SHGBulletin - Schweizerischen Hämophilie-Gesellschaft

Die Seite wird erstellt Gustav Baumgartner
 
WEITER LESEN
SHGBulletin - Schweizerischen Hämophilie-Gesellschaft
Ausgabe Nr. 141 | Frühling 2021

                                                        SHGBulletin
                          Das Mitgliedermagazin der Schweizerischen Hämophilie-Gesellschaft und des Schweizerischen Hämophilie Netzwerks

Abschied von Lino Hostettler                                                                                 Die Highlights dieser Ausgabe

Lieber Lino,                                                                                                 Jahresbericht des Präsidenten           Seite 5
                                                                                                             Der letzte Jahresbericht vom scheidenden
ich möchte dir für die rund 10 Jahre Zusam-             konntest, hast du es verstanden, immer wie-
                                                                                                             Präsidenten ist geprägt von der Corona-
menarbeit danken, davon 6 Jahre als Präsi-              der gute Ideen anderer Organisationen in die
                                                                                                             Pandemie, da viele Anlässe ausgefallen sind.
dent der SHG. Du hast in diesen Jahren sehr             Schweiz zu bringen und mit dem Vorstand
viel Zeit und Energie für die SHG investiert.           und mir abzuklären, was wir davon überneh-
                                                                                                             Virtueller Patientenanlass              Seite 7
Manchmal hatte ich fast ein schlechtes Ge-              men könnten, adaptiert auf die Verhältnisse in
                                                                                                             Im November 2020 fand ein virtueller Patienten­
wissen, wenn ich dir am selben Tag mehrere              unserem Land.
                                                                                                             anlass statt für Betroffene in den deutsch­
E-Mails mit Informationen, Anfragen, Berich-
                                                                                                             sprachigen Ländern. Thema waren die psycho-
ten etc. gesandt habe. Aber du hast dich nie            Mit einem lachenden und einem weinenden
                                                                                                             sozialen Aspekte der Menschen mit Hämophilie.
beklagt, dass es zu viel wurde. Du warst stets          Auge lassen wir dich ziehen und hoffen, dass         Ein Thema, das immer mehr in den Fokus ge-
offen, besonnen und vorausschauend und                  du der SHG weiter verbunden bleibst und wir          langt, weil die psychische und die medizinische
mir gegenüber sehr kollegial.                           dein Wissen und deine Erfahrungen bei Be-            Gesundheit zusammenhängen.
                                                        darf beiziehen dürfen. Für deine Zukunft wün-
Dank deinem sehr guten internationalen                  schen wir dir Glück, Erfolg und vor allem gute       Eltern adoptieren Jungen mit Hämophilie
Beziehungsnetz in der Hämophilie-Commu-                 Gesundheit.                                                                                 Seite 14
nity, das du dir im Laufe der Jahre aufbauen                                              Jörg Krucker       Ein berührender Erlebnisbericht einer Familie
                                                                                                             aus den USA, die für ihren betroffenen Sohn
                                                                                                             einen Bruder suchte mit der gleichen Krankheit.
                                                                                                             Eine Herausforderung für die ganze Familie.

Eines seiner ersten internationalen Meetings, Lino vorne als 2. von links.               Ein Bild aus dem Jahre 2010, als Lino dem Vorstand beigetreten war.
SHGBulletin - Schweizerischen Hämophilie-Gesellschaft
Editorial

                                                     Den Faktorverbrauch registrieren
                                                                                 – eine wichtige Aufgabe des Patienten

                                                     In den letzten Jahren wurde an unseren Veranstaltungen immer wieder darauf hingewiesen,
                                                     dass es enorm wichtig ist, dass der/die von einer Gerinnungsstörung Betroffene seinen/
                                                     ihren Faktorverbrauch minuziös festhält und diese Daten regelmässig seinem/ihrem
                                                     Behandlungs-Zentrum übermittelt.

                                                     Wir können es nur betonen, dass die Verbrauchsdaten sowie die Angaben über Blutungen oder
                                                     sonstige Vorkommnisse für die Fachleute in den Zentren eminent wichtig sind. Einerseits vermit-
                                                     teln die Verbrauchsdaten ein Bild darüber, wie der/die Betroffene seine/ihre Therapievorgaben
                                                     einhält, sowie welche Blutungen er/sie zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Umständen
                                                     erlitten hat, um die Therapie für die Bedürfnisse des/der Patienten/In optimieren zu können.
    Inhalt                         Ausgabe 141       Andererseits fliessen diese Daten anonymisiert in das Schweiz. Hämophilie-Register ein, welches
                                                     das SHN (Schweiz. Hämophilie-Netzwerk) nachführt. Das Register liefert den Behandelnden und
        Editorial                                    der Forschung wichtige Daten, u. a. über Therapieformen, Faktorverbrauch pro Kopf, Altersstruk-
    2   Faktorverbrauch registrieren                 tur der Betroffenen usw.

        Aus der Geschäftsstelle                      Damit die Erfassung und Übermittlung der Verbrauchsdaten der Patienten direkt und papierlos
    3   Bericht aus der Geschäftsstelle              erfolgen kann, stehen nun zwei Datenerfassungssysteme in Form von Apps zur Verfügung. Mit
                                                     Hilfe dieser Apps kann der/die Betroffene die wichtigen Daten schnell und online an sein/ihr
        Jahresbericht                                Behandlungszentrum weiterleiten. Das Zentrum kann die Angaben dann direkt ins Hämophi-
                                                     lie-Register überführen. Die aufwändige Erfassung von Daten aus dem Substitutionskalender
    5   Jahresbericht des Präsidenten
                                                     entfällt somit.
    6   Bericht der Geschäftsstelle zum 2020

                                                     Die beiden Apps «Smart medication» und «florio HAEMO» stehen kostenlos zur Verfügung und
        Anlässe und Tagungen
                                                     können nach Aktivierung von dem zuständigen medizinischen Team problemlos im Internet
    7   Virtuelle Patientenveranstaltung
                                                     heruntergeladen werden. Erkundigen Sie sich bitte bei Ihrem Zentrum, mit welcher App Sie die
                                                     Daten übermitteln sollen. Die weitere Erfassung mit Hilfe des Substitutionskalenders ist weiter-
        International                                hin möglich. Wichtig ist lediglich, dass dokumentiert wird. Die Art und Weise kann jede/r nach
    9   WFH Global Summit                            seinen/ihren individuellen Bedürfnissen richten.
    10 WFH Kongress 2020
    11 Umfrage über Gentherapie                      Wie Sie wahrscheinlich wissen, sind Gerinnungsprodukte und Nicht-Faktor-Therapien teure
    12 Umfrage über Schmerzen                        Medikamente. In Deutschland hat das staatliche Gesundheitswesen die Schraube angezogen
    14 Eltern adoptieren Jungen                      angesichts der zahlreichen Betroffenen, die leider keine ausreichenden Daten über ihren
                                                     Faktorverbrauch liefern konnten und hat die Dokumentation als pflichtige Aufgabe gesetzt. Uns
        Medizinisches                                ist ausserdem bekannt, dass in gewissen Zentren die Fachleute ihre Behandlung und Beratung
    15 Gentherapie – wo stehen wir?                  verweigern, wenn der/die Betroffene keine oder nur unzureichende Verbrauchsdaten liefern
    17 Gentherapie – Versuche mit Hunden             kann. Grund ist, dass die Gesundheitsämter den Ärzten/Innen massiv Druck machen, wenn diese
                                                     ihre Behandlungen nicht mit entsprechenden Zahlen belegen können.
        AGILE.CH
    19 Schadenminderungspflicht in der IV            Wir hoffen nicht, dass diese Zustände auch in der Schweiz eintreffen werden. Deshalb ist es an
    21 IV schiebt Menschen in die Sozialhilfe ab     den Patienten, durch ihr Mitwirken dazu beizutragen, dass die jetzige Praxis weiterbestehen
                                                     kann. Im Namen der SHG und der Ärzteschaft danke ich Ihnen für Ihre Kooperation.
        Diverses                                                                                                                         Jörg Krucker

    22 Ein grosser Schritt fürs nationale Register

        Hämophilie-Zentren
    23 Ostschweiz/Zentralschweiz
    24 Zentralschweiz/Westschweiz

2
SHGBulletin - Schweizerischen Hämophilie-Gesellschaft
Aus der Geschäftsstelle

Bericht aus der Geschäftsstelle

Bestellungen von Medikamenten zur                   Von Seiten der Ärzte/Innen wurde auch be-
Behandlung von Hämophilie A und B                   kannt, dass gewisse Patienten/Innen ihre
Während den Phasen der Covid 19-Pandemie,           verordnete Therapie teilweise unterbrochen
wo die persönlichen Freiheiten stärker einge-       oder reduziert haben. Es gibt aus medizi-
schränkt waren, wurden gemäss Informati-            nischer Sicht keinen Grund, wegen äusseren
onen der Industrie grosse Einzelbestellungen        Umständen seine Therapie einzuschränken
festgestellt. Dies mag erstaunen, da heute die      und damit möglicherweise seine Gesundheit
rekombinanten Medikamente die überwie-              zu gefährden.
gende Mehrheit der angewendeten Präparate
ausmachen. Diese Medikamente werden aus             Wir alle hoffen, dass sehr bald ein Stück Nor-
Zellkulturen hergestellt und sind nicht mehr        malität zurückkehren kann. Bis dahin bitten
auf menschliches Plasma angewiesen, wie die         wir Sie, im Umgang mit Ihren Medikamenten
seit 30 Jahren im Gebrauch stehenden plas-          Augenmass zu halten. Bei Unsicherheit wen-
matischen Produkte.                                 den Sie sich an Ihr Zentrum. Vielen Dank.

Durch die neuen Herstellungstechniken wird          Umfrage bei Menschen mit Seltenen
die Produktion von Gerinnungsfaktoren heute         Krankheiten in Europa zu Covid-19
unter sterilen Bedingungen abgewickelt. Die         Die Organisation Eurordis hat im April und Mai
Wahrscheinlichkeit, dass sich dabei Viren und       2020 eine umfangreiche Umfrage bei 6'945 Be-
Bakterien einschleichen könnten ist enorm           troffenen aus 36 Ländern in Europa durchge-
gering. Pandemien, Seuchen etc. können folg-        führt. Wie hat sich Covid-19 auf Menschen mit
lich keine Auswirkungen auf die Qualität der        Seltenen Krankheiten ausgewirkt?
Medikamente haben. Auch die Herstellung
von ausreichenden Mengen dieser Produkte            Die Resultate sind teilweise erschreckend. Die
ist in keiner Weise durch die aktuelle Pande-       medizinische Versorgung dieser Menschen
mie in Frage gestellt.                              war massiv eingeschränkt. Viele hatten keinen
                                                    Zugang mehr zu ihren behandelnden Ärzten.
Es ist verständlich, dass Betroffene, die die Me-   Viele Operationen mussten verschoben wer-
dikamente mehrmals wöchentlich einsetzen,           den. Viele Krankenhäuser waren nicht oder
um eine gute Gesundheit und Lebensqualität          nicht mehr ausreichend zugänglich. Viele
zu erhalten, in Zeiten von Krisen Ängste ent-       Patienten konnten immerhin die Möglichkeit
wickeln, dass ihr Produkt plötzlich nicht mehr      von Online-Beratungen in Anspruch nehmen.
erhältlich sein könnte. Von Seiten der Phar-        Viele hatten Angst und litten an Depressionen.
mabetriebe wird uns versichert, dass sie in der
Schweiz Vorräte für mehrere Monate an Lager         Der vollständige Bericht von Eurordis kann
haben und die Lieferketten in den letzten Mo-       unter dem nachstehenden Link abgerufen
naten einwandfrei funktioniert haben.               werden:

Es ist in unserem Gesundheitssystem glück-
licherweise möglich, dass der Betroffene je-
derzeit uneingeschränkt seine Medikamente
bestellen kann. Wichtig ist jedoch zu bedenken,
dass bei einem massiven plötzlichen Anstieg
der Faktorbestellungen insbesondere kleinere
Krankenkassen durch die erhöhten Kosten auf-
geschreckt werden könnten und es in der Folge       http://download2.eurordis.org/rbv/covid19survey/
zu Nachfragen bei den behandelnden Ärzten/In-       covid_infographics_final_de.pdf
nen oder den Patienten/Innen kommen könnte.

                                                                                                  3
SHGBulletin - Schweizerischen Hämophilie-Gesellschaft
Aus der Geschäftsstelle

Neue Broschüre für                                 Vorstellung von Sandro Ferrara                    Vorstellung von Hermanas Usas
ältere Betroffene mit Hämophilie                   Mein Name ist Sandro Ferrara und ich bin 47       Mein Name ist Hermanas Usas und ich möch-
Mit Hämophilie alt zu werden, ist heute dank       Jahre jung. Ich bin viersprachig, verheiratet     te mich kurz vorstellen. Im 11. Lebensmonat
modernen Therapien möglich geworden.               und habe eine 15-jährige Tochter. Aufgewach-      wurde bei mir eine schwere Hämophilie A
Viele Bluter führen ein langes und erfülltes Le-   sen bin ich in Täuffelen im schönen Seeland.      diagnostiziert. Aufgewachsen bin ich in Li-
ben. Doch die höhere Lebenserwartung bringt        Meine Wurzeln sind in Italien.                    tauen, wo ich nach Abschluss des Abiturs ein
auch neue Herausforderungen mit körper-                                                              Medizinstudium an der Universität Vilnius
lichen, psychischen oder sozialen Verände-         Ich habe eine kaufmännische Ausbildung            begonnen habe. Diese Entscheidung wurde
rungen mit sich. Die Broschüre «Hämophilie         und eine Gärtner-Ausbildung absolviert und        durch meine regelmässigen Arztvisiten und
im Alter» soll die in Frage kommenden Men-         führte während 10 Jahren ein eigenes Reini-       die Hämophiliebehandlung stark beeinflusst.
schen mit Blutungsneigungen dabei unter-           gungsinstitut. Meine letzte Ausbildung war        Im 2017 bin ich nach dem Staatsexamen nach
stützen, diese Hürden gut zu bewältigen. Sie       Aussenhandelsfachmann. Während 20 Jah-            Bern umgezogen, wo ich als Assistenzarzt in
können die Broschüre über die SHG-Webseite         ren arbeitete ich als Export Manager bei einer    Psychiatrie und Psychotherapie bis Ende 2019
www.shg.ch herunterladen oder als gedruck-         schweizerisch-amerikanischen Firma. 2016          tätig war. Anschliessend habe ich mein neues
tes Exemplar bestellen.                            erlitt ich eine schwere Hirnblutung und bin       Zuhause im Kanton Zürich gefunden.
                                   Jörg Krucker    seither halbseitig gelähmt. Ich arbeite nun
                                                   selbständig an kleineren Projekten und kon-       Trotz meiner Diagnose versuche ich, im Leben
                                                   zentriere mich auf meine Rehabilitation. Ich      aktiv zu sein und die Balance zwischen Hä-
                                                   bin ein Kämpfer und schaue positiv in die Zu-     mophilie und körperlicher Aktivität zu finden.
                                                   kunft.                                            Deswegen gehe ich regelmässig wandern in
                                                                                                     den Alpen oder bewege mich mit dem Stand
                                                   Ich habe eine Hämophilie A und war früher         up Paddle auf einem See. Ich möchte gerne
                                                   sehr sportlich unterwegs, z.B. Biken und          Teil des SHG-Vorstands sein, um meine po-
                                                   Kampfsport. Zudem bin ich ein Autonarr.           sitiven Erfahrungen in der Beherrschung der
                                                                                                     Hämophilie weitergeben zu können.
                                                   In letzter Zeit war ich in verschiedenen For-
                                                   schungsarbeiten als Patient mit Hämophilie
                                                   involviert, und mit der SHG bin ich schon seit
                                                   einiger Zeit verknüpft. Ich interessiere mich
                                                   sehr für die Forschung und möchte mit mei-
                                                   ner Erfahrung als hämophiler Menschen im
                                                   täglichen Leben helfen.

                                                                                    Sandro Ferrara                                   Hermanas Usas

4
SHGBulletin - Schweizerischen Hämophilie-Gesellschaft
Jahresbericht

Jahresbericht 2020                                  Lino Hostettler – Präsident

Als ich an der Vorstandssitzung im Februar 2020 meinen Rücktritt als Präsident und Vorstandsmitglied der SHG per GV 2021 bekannt gab, war
die Welt noch in Ordnung. Ich hätte nicht gedacht, dass mein sechstes und letztes Jahr so ausfallen würde.

                                                   • Wir haben zwei Gesuche an den Solidaritäts-      tal Zürich ist sehr angenehm und konstruktiv.
  Der Vorstand
                                                     fonds geprüft und bewilligt.
  Der Vorstand setzte sich im Jahr 2020 wie        • Wir lieferten Beiträge für die zwei Bulletins,   Anlässe
  folgt zusammen:                                    wobei allerdings die Hauptredaktion un-          Leider mussten wir im 2020 gleich mehrere
                                                     serem Geschäftsleiter Jörg Krucker oblag.        Anlässe absagen: die Berner Familienta-
  Lino Hostettler         Präsident
                                                     Gerne nehmen wir z.B. auch (Erfahrungs-)         gung, das Dreiländer-Treffen in Ittingen TG
  Laura Brügger           Vizepräsidentin
                                                     Berichte von unseren Mitgliedern entgegen.       sowie die Journée Romande in Prangins VD.
  Dr. med. Inga Hegemann
                                                   • Wir nahmen an verschiedenen Kongressen teil:     Die Vorgaben des Bundes liessen es nicht
                          Präsidentin SHN
                                                     - European Association for Hemophilia and        mehr zu, an den Durchführungen festzuhal-
  Dr. Gérard Pralong      Ehrenmitglied
                                                   		 Allied Disorders (EAHAD) in Den Haag            ten. Die Vollversammlung der SHG hätte im
  Angelo Accardi          Kassier
                                                     - Gesellschaft für Thrombose- und                Rahmen des Dreiländer-Treffens stattgefun-
  Enea Atroce             Beisitzer
                                                   		 Hämostaseforschung (GTH) in Bremen              den. Ebenso abgesagt wurden das Erlebnis-
  Diana Bonvin            Beisitzerin                - diverse virtuell durchgeführte Tagungen        wochenende sowie das Sommerlager. Da
  David Simovic           Beisitzer                		und Kongresse                                    sich die Lage im Herbst wieder verschlechtert
                                                                                                      hatte, waren wir gezwungen auch die Herbst-
Nachdem wir an der Vereinsversammlung              Dem ganzen Vorstand gilt ein herzlicher            tagung abzusagen.
unsere langjährigen Vorstandsmitglieder Igor       Dank für seine ehrenamtliche Mithilfe.
Arsic und Prof. Dr. Manuela Albisetti verab-                                                          Nach Abklärungen in Bezug auf die rechtliche
schiedet hatten, konnten wir Enea Atroce neu       Geschäftsstelle                                    Zulässigkeit rechtlichen Zulässigkeit konnten
in den Vorstand aufnehmen.                         An dieser Stelle möchte ich die Gelegenheit        wir die Generalversammlung in schriftlicher
                                                   nutzen, um mich bei Jörg Krucker für die           Form durchführen. Mit erfreulicher Beteili-
Aktivitäten des Vorstandes                         jahrelange sehr gute Zusammenarbeit zu             gung! Vielen Dank für Ihre aktive Teilnahme.
• Wir trafen uns im 2020 zu einer physischen       bedanken. Ich kenne Jörg seit Beginn seiner
  und zwei virtuellen Sitzungen. Da die Vor-       Anstellung bei der SHG. Durch den Digitali-        Trotzdem konnten wir zwei Anlässe in Zusam-
  standsmitglieder aus allen Landesteilen der      sierungs-Schub hörten wir uns im 2020 neu          menarbeit mit der Pharma realisieren, näm-
  Schweiz kommen, verfolgen wir die Abhal-         jeweils wöchentlich via digitalen Video-Call.      lich den Bouldern-Event mit SOBI sowie das
  tung der Sitzungen via Skype weiter. Minde-      Der enge Austausch zwischen Präsident und          Urban Art Event mit Roche.
  stens einmal pro Jahr wollen wir uns aber        Geschäftsleiter ist sehr wichtig. Zu Jahres-
  weiterhin physisch treffen.                      ende führte ich mit Jörg ein Qualifikations-       Mitgliederbeiträge und
• In Zusammenarbeit mit Fachleuten haben           gespräch, welches auch Mitarbeiterziele für        finanzielle Zuwendungen
  wir einen Videofilm über Hämophilie und          das Jahr 2021 beinhaltete. Ich danke Jörg für      Für die pünktliche Überweisung der Mitglie-
  Sexualität erstellt, der sich vor allem an Ju-   seine Loyalität und die fortlaufend sehr gute      derbeiträge bedanke ich mich bei den Mitglie-
  gendliche richtet (DE/FR). Diesen Film finden    Zusammenarbeit. Ein separater Bericht der          dern. Vielen Dank auch dem Bundesamt für
  Sie auf unserer Webseite oder auch auf You-      Geschäftsstelle liegt dem Jahresbericht bei.       Sozialversicherungen, respektive der Dachor-
  Tube.                                                                                               ganisation AGILE.CH, von welcher wir jährlich
• Wir haben mit den Vertretern der Pharma-         Zusammenarbeit SHG –                               Beiträge gemäss Art. 74 des IV-Gesetzes zur
  firmen die finanzielle Unterstützung der         Schweiz. Hämophilie Netzwerk (SHN)                 Durchführung unserer Aufgaben als Patien-
  SHG besprochen. Dabei haben wir das neue         Gemäss Statuten des SHN scheidet die Prä-          tenorganisation erhalten. Die finanziellen Zu-
  Finanzierungsmodell erläutert. Dieses bein-      sidentin / der Präsident nach maximal sechs        wendungen der neun Pharmafirmen sei an
  haltet folgende Abstufungen für finanziellen     Jahren aus dem Vorstand des SHN aus. Somit         dieser Stelle ebenfalls verdankt. Diese werden
  Zuwendungen:                                     endete im März 2020 für Prof. Dr. Manuela Al-      namentlich und betragsmässig im Bericht der
     		       Platin:       CHF 24'000             bisetti auch die Funktion als Mitglied des Vor-    Geschäftsstelle erwähnt.
     		       Gold:         CHF 20'000             stands der SHG. Als Nachfolgerin durften wir
     		       Silber:       CHF 16'000             Dr. med. Inga Hegemann begrüssen. Die Zu-
     		       Bronze:       CHF 8'000              sammenarbeit mit der Ärztin aus dem Unispi-

                                                                                                                                                  5
Jahresbericht

Auf Wiedersehen
Ich bedanke mich an dieser Stelle bei allen
Mitgliedern und Partnern für das Vertrauen,
welches mir über die Jahre entgegengebracht
wurde. Ich war seit 2010 im Vorstand und für
mich war es das 6. Jahr als Präsident der SHG.
Ich bin mit meiner Vorstandstätigkeit auch
persönlich gewachsen. Ich wünsche der SHG,
welche sich für die Anliegen der Menschen mit
Blutgerinnungsstörungen einsetzt, alles Gute.
Den Mitgliedern danke ich für die jahrelange
Treue. Ich freue mich, Sie wieder einmal an
einer physischen Veranstaltung zu sehen. Alles
Gute und bleiben Sie gesund.

Bericht der Geschäftsstelle zum 2020                                                         Jörg Krucker
Mitgliederbestand                                 Spenden
2020 waren 8 Eintritte und 18 Austritte zu ver-   Auch im 2020 durfte die SHG erneut auf
zeichnen. Somit beträgt der neue Bestand 716      grosszügige Spender zählen. So gingen ins-
Mitglieder (-10).                                 gesamt Zahlungen von CHF 8'560.00 ein, die
                                                  nicht für konkrete Projekte bestimmt waren.
AGILE.CH
Gemäss dem Unterleistungsvertrag mit AGILE.       Herzlichen Dank an dieser Stelle für jeden
CH bzw. dem Bundesamt für Sozialversiche-         aufgerundeten Jahresbeitrag.
rungen durfte die SHG Beiträge über total
CHF 81'118.– entgegennehmen.                      Solidaritätsfonds
                                                  Im Berichtsjahr wurden zwei Anträge an den
Finanzielle Unterstützung                         Solidaritätsfonds gestellt. Insgesamt wurden
der Pharmaunternehmen                             CHF 5'289.95 ausbezahlt. Der Fonds weist
Auch 2020 wurden uns von den Präparate-Her-       Ende 2020 den Stand von CHF 82'620.15 auf.
stellern grosszügige Unterstützungsbei­
                                      träge
entrichtet:                                       Vielen Dank an alle, welche die SHG im 2020
                                                  in irgendeiner Form unterstützt haben.
    Bayer (Schweiz) AG        CHF 16'000.–
    Biotest (Schweiz) AG      CHF    8'000.–                                      Jörg Krucker
    CSL Behring AG            CHF 16'000.–
    Novo Nordisk Pharma AG    CHF 24'000.–
    Octapharma AG             CHF    8'000.–
    Pfizer AG                 CHF 16'000.–
    Roche Pharma (Schweiz) AG CHF 24'000.–
    Swedish Orphan Biovitrum AG CHF 24'000.–
    Takeda Pharma AG          CHF 16'000.–

6
Anlässe und Tagungen

Virtuelle Patientenveranstaltung
                                                                     vom 07.11.2020

Am Samstag, den 07.11.2020 fand eine virtuelle Veranstaltung für Hämophilie-Betroffene und
Angehörige zum Thema «Psychosoziale Aspekte der Hämophilie und deren Auswirkungen in
verschiedenen Lebensphasen» statt. An der vierstündigen Veranstaltung waren Teilnehmer
aus Deutschland, Österreich und der Schweiz anwesend, darunter auch Vertreter wichtiger
Patientenorganisationen in der DACH-Region (1). Die Veranstaltung wurde von der Firma Sobi
unterstützt.

Psychosoziale Aspekte stellen in der Hämophilie ein sehr relevantes Thema dar, welches aber
häufig nicht angesprochen wird. Dabei können Menschen mit Hämophilie von psychosozialen
Belastungen betroffen sein. Mit dem Thema sollte offen umgegangen und darauf aufmerksam
gemacht werden, weshalb der Fokus der Veranstaltung hierauf gesetzt wurde.

Im ersten Teil der Veranstaltung berichteten zwei Jungendvertreter der grössten Patienten-
Organisationen in Deutschland, DHG e.V. und IGH e.V. (1), von Ihrer Arbeit sowie Ihrem Antrieb,
andere Betroffene zu unterstützen. Patienten-Organisationen stellen eine wichtige Anlaufstelle
für Betroffene und Angehörige dar, die von den unterschiedlichen Angeboten der Organisati-
onen profitieren können. Im Anschluss folgten zwei Erfahrungsberichte: Ein junger Hämophi-
lie-Betroffener erzählte von seinem Weg in die Selbständigkeit, welchen er dank einer geeigneten
Therapie und eines vertrauensvollen Verhältnisses zu seinem Hämophilie-Behandler erfolgreich
gehen konnte. Ein Hämophilie-Betroffener im fortgeschrittenen Alter gab anschliessend einen
Einblick in sein erfahrungsreiches Leben mit Hämophilie. Trotz zahlreicher Hürden hat er nicht
aufgegeben und ist mit seiner positiven Einstellung ein grossartiges Vorbild für andere.

Im zweiten Teil der Veranstaltung wurde das Thema Psychologie im Zusammenhang mit der
Hämophilie näher beleuchtet. Eine erfahrene Psychologin, die langjährig Hämophilie-Betroffene
psychologisch begleitet hat, berichtete über ihre Arbeit sowie über den Umgang mit Herausfor-
derungen in der Hämophilie. Abschliessend hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, in Kleingrup-
pen selbst den Fragen nachzugehen, welche psychischen Herausforderungen es aktuell in der
Hämophilie gibt, wie man damit positiv umgehen kann und was derzeit noch an Unterstützung
und Informationen fehlt.

Herausforderungen in der Hämophilie können abhängig vom Betrachter sehr unterschiedlich
sein. Ein Betroffener – ob im jungen oder fortgeschritten Alter – hat vermutlich andere Sorgen
und Nöte als zum Beispiel Eltern eines Kindes mit Hämophilie. In den Kleingruppen wurden des-
halb die verschiedenen Perspektiven betrachtet, wobei aber auch Gemeinsamkeiten identifiziert
werden konnten.

Hämophilie-Betroffene im fortgeschrittenen Alter
Bei älteren Hämophilie-Betroffenen steht zum Beispiel die Sorge um mögliche wachsende kör-
perliche Einschränkungen (auch unabhängig von der Hämophilie) im Vordergrund und es treten
Fragen auf, wie zum Beispiel: Bis wann kann ich meinen Beruf noch ausüben? Wie lange kann ich
meinen Hobbies noch nachgehen? Einige Betroffene beschäftigen sich mit der Frage, ob sich ein
Therapiewechsel aufgrund modernerer Therapieoptionen lohnt und sinnvoll ist, obwohl man
sich bereits an die aktuelle Therapie gewöhnt hat. Darüber hinaus fehlen gerade in der aktuellen
Zeit persönliche Austauschmöglichkeiten: Der Wunsch nach einem regelmässigen Austausch
mit anderen Betroffenen ist sehr gross.

                                                                                              7
Anlässe und Tagungen

Junge Hämophilie-Betroffene
Junge Hämophile stehen dagegen vor der Herausforderung, nach wie vor Vorurteilen ausgesetzt
zu sein und mit diesen umgehen zu müssen. Zusätzlich kämpfen sie mit der Akzeptanz der ei-
genen Erkrankung, wobei auch Ängste eine Rolle spielen, ob man etwas kann oder darf, zum
Beispiel neue sportliche Aktivitäten ausprobieren. Darüber hinaus fehlen für junge Betroffene
Informationen zu Anlaufstellen für psychologische Unterstützung und Aufklärung.

Angehörige und Eltern
Bei Eltern von Kindern mit Hämophilie hängen die Herausforderungen stark von der Lebens­
phase des eigenen Kindes ab, wobei das Verantwortungsgefühl und die Sorge um das Kind immer
präsent sind. Am Anfang stehen der Schock der Diagnose und das Lernen mit der Erkrankung
zu leben im Vordergrund. Der Versuch, offen damit umzugehen und das Umfeld einzubeziehen,
stellt für einige Eltern eine zusätzliche Herausforderung dar. Mit dem Älterwerden des Kindes
rücken weitere Themen, wie Kindergarten, Schule oder sozialrechtliche Themen in den Fokus.
Darüber hinaus beschäftigen sich Eltern auch oft mit der Frage der geeignetesten Therapie­
option für ihr Kind, und ob eine Umstellung oder auch eine Anpassung der gewohnten Routine
vorteilhaft sein könnte.

Umgang mit psychosozialen Belastungen
Bei der Frage, wie positiv mit psychosozialen Herausforderungen bzw. Belastungen umgegangen
werden kann, gibt es einen gemeinsamen Konsens: Darüber sprechen, sei es mit anderen Betrof-
fenen, der Familie oder auch mit einem/r Psychologen/in. Der regelmässige Austausch ist eine
wichtige Massnahme, die nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern gerade auch für Eltern/
Konduktorinnen eine wertvolle Unterstützung darstellen. Insbesondere auch der Rückhalt und
die Unterstützung durch die Familie werden als essenziell angesehen und können sich positiv
auf die mentale Gesundheit auswirken. In der aktuellen Zeit sind die virtuellen Angebote zum
Gedankenaustausch sehr wertvoll und sollten beibehalten werden, auch wenn sie das persön-
liche Treffen und das direkte Kennenlernen nicht ersetzen können. Insbesondere in den Pausen
bei Präsenzveranstaltungen wird stets sehr viel Persönliches ausgetauscht, was online nicht
angesprochen werden kann (bzw. wird).

Neue Aufgaben und Hobbys, Sport und Bewegung, sowie ehrenamtliche Aktivitäten sind weitere
Möglichkeiten, um mit psychosozialen Herausforderungen umzugehen, die auch dabei helfen,
sich mental zu stärken.

Als «externe» Hilfe wurde auch der Wunsch nach dem Angebot einer psychologischen Unterstüt-
zung mehrfach geäussert – insbesondere von Eltern, aber auch von jungen Hämophilie-Betrof-
fenen. Die psychologische Hilfe sollte von Anfang an und einfach zugänglich sein. Sie sollte am
besten proaktiv im Hämophilie-Zentrum angesprochen und angeboten werden. Aktuell fehlen
teilweise Informationen, wo und wie man diese Hilfe in Anspruch nehmen kann. Fazit: Die ange-
sprochenen Themen und der rege Austausch bei dieser Veranstaltung zeigen, wie wichtig psy-
chosoziale Aspekte für Hämophilie-Betroffene in verschiedenen Lebensphasen sind. Grundsätz-
lich sollte in Bezug auf die Hämophilie mehr Aufklärung in der Öffentlichkeit geleistet und mehr
Aufmerksamkeit für die Erkrankung erreicht werden, um Vorurteilen («Stigma») vorzubeugen.
Betroffene und Eltern sollten offen mit der Erkrankung umgehen und ihr Umfeld einbeziehen.
Hämophilie-Zentren und Patientenorganisationen sollten als zentrale Anlaufstellen zur Aufklä-
rung der psychosozialen Aspekte der Hämophilie betrachtet und ggf. kontaktiert werden.

                                        Dieser Artikel wurde uns von Sobi Deutschland zur Verfügung gestellt.

(1) Abkürzungen:
DACH: Deutschland (D), Österreich (A) und Schweiz (CH);
DHG e.V.: Deutsche Hämophiliegesellschaft;
IGH e.V.: Interessengemeinschaft Hämophiler.

8
International

WFH Global Summit
                                                      on women & girls with inherited bleeding disorders

Zum ersten Mal fand auf Ebene der World            Events und publiziert Leitfäden und Orientie-     grossen Komplikationen führen kann. Frauen
Federation of Hemophilia (WFH) eine Kon-           rungen zur Arbeit mit Frauen und Mädchen,         und Mädchen mit Blutgerinnungsstörungen
ferenz zum Thema «Frauen und Mädchen               die an einer Blutgerinnungsstörung leiden.        haben häufig ihre eigenen Erfahrungen ge-
mit Blutgerinnungsstörungen» statt. Diese                                                            macht mit der Menstruation, Geburt oder
wurde am 19.11.2020 und 20.11.2020 online          Wie Blutungsstörungen die Lebensquali-            Menopause, welche sie nicht mit gleichaltri-
übertragen. Hier ein kleiner Auszug aus den        tät von Frauen und Mädchen beeinflussen           gen Freund*innen vergleichen können. Da-
Vorträgen:                                         Anjali Pawar (USA, pädiatrische Hämatolo-         durch kann eine gefühlte Einsamkeit entste-
                                                   gin) startet bei ihrem Vortrag mit der Frage,     hen. Ebenfalls kann es sein, dass den Frauen
Dawn Rotellini (Mitglied des Komitees für          wieso es wichtig sei, die Lebensqualität von      die familiäre Unterstützung fehlt. Alle diese
Frauen mit Blutgerinnungsstörungen) und            Frauen mit einer Blutgerinnungsstörung zu         Punkte können zu psychosozialen Problemen
Cesar Garrido (Präsident des WFHs) begrüs-         untersuchen. Es sei wichtig, den Fokus auf        führen, unter welchen die Betroffenen stark
sen alle Online-Teilnehmer*innen. Einige           die patientenspezifischen gesundheitlichen        leiden.
Zahlen werden präsentiert, unter anderem           Bedürfnisse zu richten, um die Effektivität von
die Nummer aller diagnostizierten Personen         den verfügbaren Behandlungen oder Thera-          Etwa 90 % der Frauen mit einer Menorrhagie
mit einer Blutgerinnungsstörung. Insgesamt         pien zu bewerten, die Behandlungsstrategien       (zu starke und zu lange andauernde Menstru-
sind weltweit 324'648 diagnostizierte Fälle be-    zu optimieren und um die optimale Therapie        ation) leiden unter einer möglichen Blutge-
kannt. Davon sind:                                 anbieten zu können.                               rinnungsstörung. Frauen mit vWS berichten
                                                                                                     von Menorrhagie als einem der häufigsten
  Personen mit Hämophilie: 195'263                 Frauen werden im Allgemeinen eher spät di-        Symptome, gefolgt von Hämatomen, Zahn-
  Hämophilie A: 157'517                            agnostiziert. Bei einer Blutgerinnungsstörung     fleisch-, Nasen- und Magen-Darm-Blutungen.
  Hämophilie B: 31'997                             kann die Frau unter einer verstärkten und         Zum Schluss des Referates wurde nochmals
  Hämophilie mit unbekanntem Typ: 5'749            verlängerten Menstruation leiden, welche          auf die Wichtigkeit hingewiesen, dass Frauen
  Von Willebrand Syndrom: 80'302                   sich auf die Lebensqualität auswirken kann.       mit Blutgerinnungsstörungen unbedingt stär-
  Andere Blutgerinnungsstörungen: 49'083           Zu nennen sind dabei eine mögliche Anämie         ker ins Bewusstsein gerückt werden müssen.
                                                   mit Eisenmangel und Müdigkeit, Hospitali-         So könne man gezielt Therapien und andere
Dies seien nur die diagnostizierten Fälle! Bei     sationen, Transfusionen, Limitierung in den       Unterstützungsmöglichkeiten fördern, um die
weitem sind nicht alle erkrankten Personen         alltäglichen Aktivitäten, viele Absenzen in der   Lebensqualität für die betroffenen Frauen und
auch diagnostiziert. Der prozentuale Anteil        Schule oder bei der Arbeit, psychosoziale Ef-     Mädchen zu verbessern und zu erhalten.
der diagnostizierten Personen an der Gesamt-       fekte und Krämpfe und Schmerzen während
bevölkerung eines Landes ist je nach Land          der Periode. Im Allgemeinen kann dies so die                                      Laura Brügger
stark unterschiedlich. Im Allgemeinen kann         Lebensqualität stark beeinträchtigen. Diese
man sagen, dass in Ländern mit einem eher          Punkte können dazu führen, dass sich die Be-
hohen Einkommen mehr Blutgerinnungsstö-            troffenen isolieren. In gewissen Ländern gibt
rungen diagnostiziert werden als in Ländern        es ebenfalls Probleme mit dem Erwerben von
mit einem niedrigeren Einkommen.                   Hygieneartikeln. Die hohen Kosten können zu
                                                   zeitweiser Armut führen.
Der WFH ist nicht erst seit gestern aktiv im
Bereich von Frauen und Mädchen mit Blutge-         Sylvia von Mackensen (DE) ergänzte mit ihrem
rinnungsstörungen. Er fördert diese Einbezie-      Vortrag die bereits angesprochenen Themen.
hung in den Organisationen auf der Ebene der       Frauen und Männer haben teilweise dieselben
Länder. Ebenfalls unterstützt er die Öffentlich-   Symptome wie Gelenks- oder Gewebeblu-
keitsarbeit in den Ländern, damit richtige Di-     tungen. Bei Frauen können jedoch noch mög-
agnosen gestellt werden können, bietet Trai-       liche Probleme während der Menstruation,
nings und Weiterbildung in diesem Bereich an       Schwangerschaft und Geburt hinzukommen.
und organisiert spezielle «Von Willebrand-Pro-     Leider fehlt es oft an Wissen, dass auch Frauen
gramme». Seit 2018 gibt es das «Women              an einer Blutgerinnungsstörung leiden kön-
and Girls with inherited bleeding disorders»-      nen. Viele Frauen sind nicht diagnostiziert,
Komitee. Diese Organisation veranstaltet           fehldiagnostiziert und unbehandelt, was zu

                                                                                                                                                9
International

WFH Kongress 2020

Die Jahrestagung World Federation of Hemo-       Zwölf Organisationen wurden als vollwertige
philia (WFH) 2020 fand am 16.10.2020 in vir-     nationale Mitgliedsorganisationen (NMOs)
tueller Form statt. Die Veranstaltung brachte    oder assoziierte NMOs akkreditiert, wodurch
eine Reihe wichtiger Änderungen mit sich,        sich die Gesamtzahl der WFH-NMOs auf 147
darunter die Wahl eines neuen Präsidenten        erhöhte. Die bisherigen WFH-assoziierten
und neuer Vorstandsmitglieder sowie die          NMOs, El Salvador, Malediven, Mali und Sam-
Aufnahme neuer nationaler Mitglieds­             bia wurden alle vollwertige NMOs. Die Orga-
organisationen (NMOs) in die WFH-Familie.        nisationen aus Angola, Botswana, Dschibuti,
                                                 Fidschi, Kosovo, Malta, den Republiken Kongo
Sowohl der Abstimmungsprozess als auch die       und Ruanda wurden assoziierte NMOs. Das
Veranstaltung selbst fanden aufgrund von CO-     WFH ist stolz darauf, diese neuen Organisati-
VID-19-Pandemiebeschränkungen zum ersten         onen willkommen zu heissen.
Mal virtuell statt. Anstatt während eines Mee-
tings Präsentationen zu halten veröffentlich-    Das WFH dankt den ausscheidenden Vor-
ten die Kandidaten Biografien, Lebensläufe       standsmitgliedern – Alain Weill, Magdy El Eki-
und Videos auf einer digitalen Plattform, auf    aby, Deon York, Ampaiwan Chuansumrit und
der Abstimmungsentscheidungen getroffen          Vincent Dumez – für ihre harte Arbeit und ih-
wurden. Die Abstimmungen fanden dann on-         ren Einsatz im Namen von «Treatment for All».
line statt.
                                                                  Diesen Beitrag haben wir von der
Mit der Generalversammlung 2020 wurde                     WFH erhalten und ins Deutsche übersetzt.
Alain Weills (Frankreich) zweites Mandat als
WFH-Präsident abgeschlossen. Cesar Garrido
aus Venezuela wurde zum neuen Präsidenten
der WFH gewählt. Sein Mandat beginnt ab so-
fort.

Es gab weitere Änderungen im Verwaltungs-
rat: Zwei Positionen als medizinisches Mit-
glied und drei als Laienmitglied (Betroffene
oder Angehörige von Betroffenen) standen zur
Wahl. Hier die Liste der neuen Mitglieder, die
während der WFH 2020 Jahresversammlung
in den WFH-Verwaltungsrat gewählt wurden:

Präsident
Cesar Garrido, (Südamerika), für 4 Jahre

Medizinische Mitglieder
Miguel Escobar, (Nordamerika), 4 Jahre
Cedric Hermans, (Niederlande), 4 Jahre

Laienmitglieder
Carlos Safadi Marquez (Südamerika), 4 Jahre
Clive Smith (England), 2 Jahre
Megan Adediran (Afrika), 4 Jahre
                                                                                     Cesar Garrido

10
International

Umfrage der IGH über Gentherapie

Die Interessengemeinschaft Hämophiler (IGH) ist eine grosse Patienten-Organisation in Deutsch-
land mit knapp 1'000 Mitgliedern. Sie hatte im Herbst 2020 eine Umfrage über Gentherapie
durchgeführt, an der man online teilnehmen konnte. Es haben 125 Betroffene ihre Meinung ein-
gereicht. Hier die Auswertung:

Frage: Haben Sie bereits von der Möglichkeit der Gentherapie gehört?
Ja 88,5 %       Nein 11,5 %

Können Sie sich vorstellen, zur Behandlung Ihrer Erkrankung eine Gentherapie zu machen?
Ja 40 %        Nein 11,5 %        Weiss noch nicht 48,5 %

Welche Erwartungen haben Sie an eine Gentherapie?
Heilung 36,3 %
vorübergehende Heilung 29,8 %
Reduktion des Schweregrades der Hämophilie 19,8 %
Kann ich (noch) nicht sagen 14 %

Vorausgesetzt, Sie kommen dafür in Frage, wann würden Sie sich einer Gentherapie unterziehen?
Direkt nach Zulassung 19 %
1–3 Jahre nach Zulassung 36,3 %
4 und mehr Jahre nach Zulassung 26,5 %
Ich würde mich derzeit gegen eine Gentherapie entscheiden 18,2 %

Welche Erwartungen haben Sie an eine Gentherapie?
Hoffnung 79,3 %        Angst 11,6 %        weder noch 9,1 %

Welche der nachfolgenden Therapieoptionen würden Sie der Gentherapie am ehesten vorziehen?
subkutaner Faktor VIII oder IX 30,8 %
oraler Faktor VIII oder IX 45 %
subkutane Nicht-Faktor-Präparate 3,3 %
ich würde nichts davon der Gentherapie vorziehen 20,8 %

Wüssten Sie, an wen Sie sich zu Fragen zur Gentherapie wenden könnten?
Ja 71,9 %       Nein 28,1 %

Wie beurteilen Sie die Zufriedenheit mit Ihrer aktuellen Therapie?
sehr gut 13,5 %     gut 59,7 %    mittelmässig 24,4 %      gering 2,5 %           sehr gering 0 %

Kommentar zur Umfrage der IGH:
  Erstaunlich ist, dass fast die Hälfte der Befragten noch nicht wissen, ob sie sich einer Gentherapie
  unterziehen möchten.
  Rund 2/3 der Befragten erwarten eine Heilung, oder zumindest eine vorübergehende.
  Über 60 % der Befragten würden sich mittelfristig einer Gentherapie unterziehen.
  45 % der Befragten würden eine orale Therapie der Gentherapie vorziehen.
  Auch erstaunlich ist, dass fast 30 % der Betroffenen nicht wissen, an wen sie sich zu Fragen im
  Bereich der Gentherapie wenden können!

                                                                                         Jörg Krucker

                                                                                                                   11
International

Umfrage der IGH über Schmerzen
Die IGH ist eine Patienten-Organisation für Menschen mit Gerinnungsstörungen in Deutschland mit knapp 1'000 Mitgliedern. Sie hat im
Herbst 2020 eine Online-Befragung bei ihren Mitgliedern über das Thema Schmerzen durchgeführt. Nachfolgend der Kommentar der IGH
zu den Resultaten sowie die detaillierte Auswertung der Antworten auf die 13 Fragen.

Die IGH-Umfrage zu diesem Thema sollte klären, ob und wie Schmerzen in der Hämophilie wahrgenommen werden und der Umgang damit er-
folgt. Uns ist bewusst, dass dies nur eine onlinebasierte Befragung war und nicht repräsentativ ist.

Diese grundsätzliche – nicht wissenschaftliche – Erhebung hat in unserer Indikation dennoch einen Handlungsbedarf für alle Beteiligten ergeben.
So haben 50 % der TN häufig oder sogar ständig Schmerzen, mehr als 1/3 der Teilnehmer hat jedoch täglich Schmerzen! Wir werden die Ergebnisse
daher zum Anlass nehmen und mit unseren Ärzten diskutieren und nach Lösungen suchen. Hier müssen wir Besserung erhalten.

                                                1. Wie alt sind Sie? Bitte wählen Sie Ihre Altersgruppe aus.                              0-17 Jahre

                                                                                                                                          18-29 Jahre
              30%
                                                                                                                                          30-39 Jahre
                                 20%                                                                 20%
                                                                                                                         14%              40-49 Jahre
                                                         8%                     8%                                                        50-59 Jahre
                                                                                                                                          über 60 Jahre

          2. Hatten Sie bereits im Zusammenhang mit der                           3. Wie häufig haben Sie Schmerzen im Zusammenhang mit Ihrer
                      Hämophilie Schmerzen?                                                                Hämophilie?
                                                                                     36%

                                                                                                                          23%              25%
 Nein
                                                                                                       16%

     Ja
                                                                                  Täglich           Wöchentlich         Monatlich        Seltener

                               4a. Gelenke: Wo treten die Schmerzen am häufigsten auf? Bitte wählen Sie maximal 5 aus.

                                                                                                    75%
                                                                              50%

              20%                25%                                                                                                       20%
                                                      18%
                                                                                                                         9%

               Hand/Fingergelenke       Ellbogengelenk        Hüftgelenk        Kniegelenk        Sprunggelenk    Schultergelenk     Wirbelsäule

                          4b. Andere Regionen: Wo treten die Schmerzen am häufigsten auf? Bitte wählen Sie maximal 5 aus.

                                       32%
                                                                 23%
               16%
                                                                                                                   9%
                                                                                             2%                                           2%

               Kopfschmerzen        Nacken- Schultermuskulatur         in Muskeln (allgemein)      Bauchraum      Leistenbereich    andere Stelle

12
International

          5. Inwieweit beeinträchtigen/beeinflussen die Schmerzen Ihren Alltag?                                     6. Sprechen Sie mit Ihrer/m Haus- bzw.
                                                                                                                     Kinderarzt*in über Ihre Schmerzen?
                                                          45%
                                 32%
           20%                                                                                             Nein                               39%

                                                                                    2%
                                                                                                              Ja                                             61%
         Ständig                Häufig                    Selten                    Nie

         7. Sprechen Sie mit Ihrer/m Hämophiliearzt*in über                                      8. Nehmen Sie Medikamente, um die Schmerzen zu
                           Ihre Schmerzen?                                                                          lindern?

Nein           9%                                                                      Nein                               30%

 Ja                                                                     91%               Ja                                                                       70%

             9. Welche 'Art' von Medikamenten nehmen Sie?                                      10. Nehmen Sie weitere Unterstützung in Anspruch, um
                                                                                                           Ihre Schmerzen zu lindern?

                                                                      71%
                                                                                       Nein                                                                 50%
                                         42%

                                                                                          Ja                                                                50%
       frei verkäufliche Medikamente     rezeptpflichtige Medikamente

                      11. Wenn Sie weitere Unterstützung in Anspruch nehmen, wie sieht diese aus? (Mehrfachauswahl möglich)

       64%                                                            64%                                            Physiotherapie
                                                                                                                     (Krankengymnastik)

                                                                                                                     Physikalische Therapie
                                                                                                                     (Wärme, Kälte, Elektrotherapie)

                                                                                                                     Schmerztherapie

                     32%                                                                                             Psychotherapie

                                                                                    23%
                                   18%                                                                               Hilfsmittel
                                                                                                                     (Bandagen, Gehstützen, Tapes, Rollator,...)
                                                                                                   14%
                                                     9%                                                              Sport, Fitnesscenter oder andere offene Angebote
                                                                                                                     (Gruppen)

                                                                                                                     andere

                              12. Weitere Unterstützung                                                              13. Werden die Schmerzen nach
                                                                                                                        Faktorsubstitution besser?
              33%                         33%                               33%

                                                                                                       Nein                                  41%

                                                                                                         Ja                                               59%
             Creme                     Osteopathie                 Salben, Selbstübungen

                                                                        Dieser Artikel sowie die Auswertung der Umfrage wurde uns von der IGH zur Verfügung gestellt.

                                                                                                                                                                         13
International

Eltern adoptieren Jungen
                 mit gleicher Krankheit wie biologischer Sohn

Trey aus China hat eine neue Familie in Amerika gefunden. Dazu gehört auch Brüderchen Tag,
der wie er unter Hämophilie leidet.

Es ist eine besondere Adoptionsgeschichte, die bei «goodmorningamerica.com» erzählt wird. An-
fang 2020 haben Monica und Josh Poynter, aus Bowling Green im US-Bundesstaat Kentucky, den
neunjährigen Trey in ihre Familie aufgenommen. Der Junge leidet unter einer seltenen genetisch be-
dingten Krankheit – einer schweren Hämophilie Typ A. Und genau diese Erkrankung war der Grund
dafür, dass die Poynters ihn adoptiert haben. Denn auch ihr leiblicher Sohn Tag hat Hämophilie Typ A.

Inspirierender Artikel in einer Fachzeitschrift
Nachdem Monica und Josh ihren Kinderwunsch fast aufgegeben hatte, stiessen sie auf einen
Artikel in der «HemAware», einer Zeitschrift, die von der National Hemophilia Foundation
herausgegeben wird. Hier ging es um die Adoption eines Kindes mit Hämophilie.

Daraufhin besuchten sie einen Adoptionskurs und arbeiteten eng mit einer internationalen
Adoptionsagentur zusammen. Im April 2019 lernten sie auf diesem Wege schliesslich Trey ken-
nen, zunächst auf Fotos und in Videos. «Er hatte Schwierigkeiten beim Gehen, aber er hatte dieses
riesen­grosse Lächeln auf seinem Gesicht», erinnerte sich Monica. Sie schickten dem Jungen zuerst
ein Buch mit Fotos von ihrer Familie und reisten dann nach Guangzhou in China, um ihn zu treffen.

                                                                 Familie Poynter mit Sohn und Adoptivsohn

Treys Gesundheitszustand hat sich seitdem wesentlich gebessert
Bei der ersten Begegnung musste Trey einen Rollstuhl benutzen, weil er eine aktive Blutung hatte.
Trotzdem, da war «das gleiche grosse Lächeln im Gesicht», so Monica. «Ich habe diese grosse
Umarmung von ihm bekommen», freut sie sich und setzt gleich noch hinzu, dass auch ihr Mann
und Sohn Tag vom neuen Familienmitglied gleich liebevoll in die Arme genommen worden seien.

Inzwischen ist Trey nicht mehr auf den Rollstuhl angewiesen und wird medizinisch bestens ver-
sorgt. Wie die meisten anderen Jungen auch lieben es Trey und Tag, gemeinsam zu schwimmen,
Fahrrad zu fahren oder mit Lego zu spielen. Natürlich bleibt das ungewöhnliche Familienleben
der Poynters nach eigener Aussage eine «grosse Herausforderung», aber sie konnten sich auch
auf verschiedene Hilfsfonds wie «Gift of Adoption» stützen. Josh resümierte glücklich: «Tag liebt
es, einen Bruder zu haben, und ich liebe es, einen weiteren Sohn zu haben. Es ist schwer in Worte
zu fassen, was er für unsere Familie bedeutet.»

          Diesen Artikel haben wir aus der Webseite www.bunte.de entnommen und geringfügig angepasst.
                                                                                                            Die ungleichen Brüder Tag und Trey

14
Medizinisches

Gentherapie – wo stehen wir?

Am 27.10.2020 fand ein virtuelles Meeting          und Solidarität der Hämophilie-Gemeinschaft         tät und Vorhersagbarkeit des Ansprechens auf
über Gentherapie statt, dass das EHC orga-         erleben konnte, stellte die Europa-Abgeord-         die Gentherapie problematisch sein könnten
nisiert hatte.                                     nete fest, dass die Arbeit der politischen Ent-     um eine Entscheidung zu finden. Diese Fra-
                                                   scheidungsträger erst dann getan sei, wenn          gen werden nach und nach durch Fachleute
Dieser EHC-Round Table zielte darauf ab, den       die Patienten in der Lage seien, ein Leben von      angegangen, aber Studien müssen noch die
Nutzen und die damit verbundenen Heraus-           höchster Qualität zu führen, ohne dem Druck         genaue Interaktion zwischen dem AAV (Vek-
forderungen der Gentherapie innerhalb der          ihrer Grunderkrankungen ausgesetzt zu sein.         tor) und dem Patienten eruieren. Der Wis-
Hämophilie-Gemeinschaft zu erkennen. In            Daher seien die politischen Entscheidungsträ-       sensstand in der Biologie sei noch weit hinter
diesem Zusammenhang wurden grundlegen-             ger der EU immer offen für Hinweise, wie sie        der Entwicklung klinischer Studien zurück.
de Überlegungen angestellt, die den Verlauf        die Bemühungen der Hämophilie-Gemein-               Dr. Pierce bemerkte, dass die Entwickler vor
dieser neuartigen Behandlung beeinflussen          schaft unterstützen könnten.                        der Einführung eines medizinischen Produkts
könnten.                                                                                               auf dem Arzneimittelmarkt vor dem Dilemma
                                                   Gentherapie bei Hämophilie –                        stehen, die Marktbedürfnisse 7 bis 10 Jahre im
An der Veranstaltung wurden auch zwei Beiträ-      aktueller Stand                                     Voraus vorhersagen zu müssen. Es gehe nun
ge der Europa-Abgeordneten Manuel Pizarro          Der Vortrag von Dr. David Lillicrap, stellvertre-   darum, bei den AAVs Verbesserungen bei der
und Katalin Cseh gehalten, die ihre politische     tender Leiter Forschung und Professor an der        Einführung des Vektors in den Körper zu fin-
Unterstützung für die Hämophilie-Gemein-           Queen’s University, Kingston, Kanada, kon-          den, die Funktion der Faktorproduktion und
schaft anboten, indem sie sich vermehrt für        zentrierte sich auf die Bedeutung der Genthe-       die menschliche Reaktion auf den viralen Vek-
Aktionen auf europäischer Ebene einsetzen.         rapie für Hämophilie-Patienten. Derzeit laufen      tor besser zu verstehen.
                                                   5 Hämophilie-A-Gentherapiestudien und 4 bei
Moderiert von Brian O’Mahony – CEO der             Hämophilie B. Daraus stellen sich bei der Ver-      Lizenzierung von Gentherapie – die Sicht
irischen Hämophilie-Gesellschaft und EHC-          wendung des adeno-assoziierten Virus (AAV)          der EMA (Europ. Arzneimittel-Agentur)
Mitglied der medizinischen und wissenschaft-       diverse Fragen:                                     Caroline Voltz: Die grosse Unterstützung
lichen Beratungsgruppe – fand die Veranstal-                                                           der EMA zeige sich bei der Entwicklung von
tung virtuell statt und brachte Teilnehmer von        Zuverlässigkeit in den Vektordosen               gentherapeutischen Medikamenten, nach-
Patienten-Organisationen, der Industrie und           Variabilität der Dosen in Faktor VIII und IX     gewiesen durch die Veröffentlichung über-
der Forschung zusammen.                               Expressionen (Höhe der Faktorlevel)              greifender und spezifischer Richtlinien. Allge-
                                                      Dauerhaftigkeit der gentherapeutischen           meine Anforderungen an Gentherapie sollen
Der Europa-Abgeordnete Pizarro (S&D, Por-             Reaktionen                                       aus den wichtigsten Erfahrungen der EU ein-
tugal) eröffnete die Diskussion am runden             Sicherheitsfragen, die sich aus möglichen        fliessen, wobei der Schwerpunkt auf Sicher-
Tisch mit der Bemerkung, dass Gentherapien            Nebenwirkungen ergeben.                          heitsüberlegungen für Qualitätsniveaus liege,
vielversprechende Aussichten für die Patien-                                                           und wesentliche Streitpunkte bei der Zulas-
ten mit seltenen Blutungsstörungen bedeute-        Alle Studien benötigen mindestens zwei Jah-         sung von Arzneimitteln für neuartige Thera-
ten, die es ihnen ermöglichten, krankheitsfrei     re, um für die Wirksamkeitsbewertung zu             pien (Advanced Therapy Medicinal Products,
zu leben. Er merkte jedoch an, dass es auch        reifen, da immunologische Hindernisse, bio-         ATMP) enthalte (z.B. Produkt-Konsistenz, He-
besondere Herausforderungen in Bezug auf           logisches Wissen über die Genabgabe und             rausforderungen in Bezug auf Ausgangsma-
Sicherheit, Wirksamkeit und Bezahlbarkeit          Expressionsprozesse erst verstanden werden          terialien und unzureichende langfristige Fol-
gibt. Dr. Pizarro betonte die Notwendigkeit, die   müssten. Trotzdem betonte Dr. Lillicrap, dass       geerscheinungen). Spezifisch Anforderungen
EU in Gesundheitsfragen einzubeziehen und          diese Hürden die Lizenzierung eines Genthe-         an Hämophilie-Gentherapien umfassen die
eine Europäische Union der Gesundheit aufzu-       rapie-Produkt nicht behindern sollten.              Beschaffung von Daten aus klinischen Studien
bauen, das wünsche die Präsidentin der Euro-                                                           der Phase 3. Die EMA hat auch die langfristige
päischen Kommission, Ursula Von der Leyen.         Überlegungen zur Sicherheit                         Nachbeobachtung von klinischen AAV-Stu-
                                                   und Wirksamkeit der Gentherapie                     dien auf mindestens 10 Jahre festgelegt. Ein
Dr. Cseh erklärte, dass Gentherapien weitrei-      Referenten: Dr. Glenn Pierce, Vorstand der          Hochrechnen von Erwachsenendaten auf die
chende positive Folgen hätten, nicht nur für       World Federation of Haemophilia (WFH); Ca-          pädiatrischen Patienten sei nicht unkompli-
die Hämophilie-Patienten, sondern auch für         roline Voltz, Europ. Arzneimittelagentur (EMA)      ziert, und die Erfahrungen aus jüngeren Alters-
den Bereich der Seltenen Krankheiten insge-                                                            gruppen erfordern evtl. eine Anpassung bei
samt. Nachdem sie die Widerstandsfähigkeit         Dr. Glenn Pierce bemerkte, dass die Variabili-      den Patientendaten der Erwachsenen.

                                                                                                                                                   15
Medizinisches

Besprechung gentherapeutischer                    Obwohl in der Gentherapie Fortschritte er-
Herausforderungen mit Patienten                   zielt worden sind, stellen sich grundlegen-
Prof. Wolfgang Miesbach, Abteilungsleiter am      de Fragen zur Zuverlässigkeit, Variabilität,
Klinikum der Goethe-Universität, Frankfurt        Haltbarkeit und Sicherheit. Trotzdem soll-
                                                  ten diese Hindernisse nicht die Lizenzie-
Prof. Miesbach erläuterte die Bedeutung von       rung von Gentherapien in den nächsten
individualisierten Informationen für jeden Pa-    Jahren behindern.
tienten, der sich für Gentherapie interessiere.   Es braucht mehr Leberbiopsien für ein bes-
Er erklärte, dass die Patienten vor der Verab-    seres Verständnis der Integration, der Reak-
reichung der Therapie verstehen sollten, wie      tion auf den viralen Vektor und der Produk-
Gentransfer funktioniert, was der mögliche        tion von FVIII- und FIX-Genen. Jedes
klinische Nutzen ist, das Niveau der erforder-    Unternehmen ist verantwortlich für die
lichen Nachbehandlung, die Variabilität der       Durchführung regelmässiger und ausrei-
erwünschte Ergebnisse und damit verbunde-         chender Leberbiopsie-Studien in jeder Stu-
ne potenzielle Risiken. Nach der Gentherapie      die.
muss der Patient informiert werden über die       Die Gentherapie-Lizenzierung nimmt in-
Änderungen des Blutungsrisikos und der ent-       nerhalb der EMA eine immer wichtigere
sprechenden Vorsichtsmassnahmen. Auch             Rolle ein, um den Zugang und den Schutz
etwaige emotionale Probleme sollten ange-         der Patienten zu gewährleisten, während
sprochen werden.                                  gleichzeitig sichergestellt wird, dass auch
                                                  die Innovation im Vordergrund steht.
Darüber hinaus hielt Prof. Miesbach daran         Probleme im Zusammenhang mit der Be-
fest, dass auch die eingeschränkten Ansprü-       zahlbarkeit, insbesondere die Auswirkun-
che der Patienten berücksichtigt werden soll-     gen auf die Budgets der nationalen Ge-
te, da Patienten mit einer Vorgeschichte be-      sundheitssysteme, sowie die Kosten-
züglich AAV-Hemmkörpern keine geeigneten          Nutzen-Frage können durch die Schaffung
Kandidaten seien. Darüber hinaus sind nach        von Sozialverträgen für Patienten gelöst
einer Gentherapie patienten- und behand-          werden.
lungsbezogene Variabilitäten möglich, wie         Eine direkte Kommunikation zwischen me-
z.B. eventuelle Nebenwirkungen, Haltbarkeit,      dizinischen Fachkräften und Patienten ist
Angstzustände, Änderungen des Lebensstils         unerlässlich, um zu gewährleisten, dass alle
oder lebenslange Überwachung. Diese könn-         Herausforderungen bei der Erwägung und
ten den Patienten unter Umständen belasten.       der Durchführung von Gentherapie berück-
                                                  sichtigt werden.
Schlussfolgerungen
Die Redner schätzten, dass bis ins Jahr 2030      Dieser Bericht wurde uns vom EHC zur Verfügung
möglicherweise 10 – 20 % der Patienten mit            gestellt und durch uns in Deutsche übersetzt.
schwerer Hämophilie A und 20 – 30 % der
Patienten mit schwerer Hämophilie B sich
für eine Behandlung entscheiden könnten.
Zusammenfassend wurden während der Ver-
anstaltung die folgenden wichtigen Punkte
hervorgehoben:

16
Medizinisches

Gentherapie gegen die Bluterkrankheit
                                                      – Versuche mit Hunden

Gentherapien versprechen Hoffnung für Patienten mit erblich bedingten Krankheiten wie etwa
der Bluterkrankheit, bei der wichtige Gerinnungsfaktoren fehlen. Die Idee: Mit Hilfe von Viren
soll intaktes Erbgut in die menschlichen Zellen eingeschleust werden, sodass diese fortan die
benötigten Gerinnungsfaktoren produzieren. Erste Gentherapien sind bereits für Menschen
zugelassen. Parallel laufen weitere Tierstudien, um Sicherheit und Wirksamkeit genauer zu
bewerten. Forscher haben nun die Ergebnisse einer zehnjährigen Studie an Hunden vorgelegt.
Trotz insgesamt positiver Ergebnisse warnen die Forscher auf Basis genetischer Analysen, dass
die Gentherapie in seltenen Fällen das Krebsrisiko erhöhen könnte.

Als vor 30 Jahren, im November 1990, die erste menschliche Patientin eine Gentherapie erhielt,
waren die Erwartungen hoch: Intaktes Erbgut, eingeschleust mit Hilfe von Adenoviren, sollte die
damals vierjährige Ashanti de Silva dauerhaft von ihrer angeborenen Immunschwäche heilen.
Trotz anfänglicher Erfolgsmeldungen verging die Euphorie schnell. Nach und nach verschwand
das eingefügte Erbgut wieder aus den Zellen des Mädchens, die Wirkung liess nach. Andere
Kinder erkrankten in Folge von Gentherapien an Leukämie – ein Zeichen, dass die Reparatur-
Gene an falsche Stellen im Erbgut eingefügt worden waren. Obwohl inzwischen mehrere
Gentherapien für Menschen zugelassen sind, bestehen diese Herausforderungen nach wie vor:
Das intakte Erbgut soll möglichst dauerhaft in den menschlichen Zellen bleiben, sich aber nicht
an unerwünschten Stellen einfügen.

Blutungsneigung deutlich verringert
Inwieweit das bei der Gentherapie gegen die Bluterkrankheit funktioniert, haben Forscher um
Giang Nguyen vom Children’s Hospital of Philadelphia zehn Jahre lang an Hunden erforscht.
Die neun Tiere, die an der Studie teilnahmen, litten an Hämophilie A, einer Variante der Bluter-
krankheit, bei der der Blutgerinnungsfaktor VIII fehlt. Mit Hilfe von Adeno-assoziierten Viren (AAV)
schleusten die Forscher intakte Genvarianten für Faktor 8 in die Leber der Hunde ein.

Und tatsächlich: Bei allen neun Tieren sorgte die Gentherapie für ausreichend hohe Faktor-VIII-
Spiegel. Obwohl sie nur zwischen 1,9 und 11,3 Prozent der für Hunde normalen Menge an Fak-
tor-VIII produzierten, verringerte sich ihre Blutungsneigung im Vergleich zu unbehandelten Hunden
um 97 Prozent, auf weniger als eine spontane Blutung pro Jahr. Das entspricht dem Wert von Men-
schen mit Bluterkrankheit, die regelmässig vorbeugend den fehlenden Gerinnungsfaktor gespritzt
bekommen. «Unsere Daten zeigen, dass auch niedrige Faktor-VIII-Spiegel, die durch die Genthera-
pie erreicht werden, das Erscheinungsbild der Krankheit substanziell verbessern», so die Forscher.

Langfristige Wirksamkeit
Adeno-assoziierte Viren sind dafür bekannt, dass sie ihr Erbgut nur in seltenen Fällen in die
menschliche DNA integrieren. Stattdessen liegt die virale DNA mit den eingeschleusten Genen
in der Regel getrennt vom menschlichen Erbgut im Zellkern vor. Das minimiert das Risiko, dass
durch fehlerhafte Einfügungen Krebs entsteht, sorgt aber auch dafür, dass das eingefügte Erbgut
mit der Zeit wieder aus den menschlichen Zellen verschwinden kann.

Bei den von den Forschern beobachteten Hunden blieb die anfängliche Faktor-VIII-Aktivität aber
über die gesamte zehnjährige Studienzeit erhalten. «Das ist die längste Aufrechterhaltung eines
therapeutischen Faktor-VIII-Spiegels, die bisher in Studien mit grossen Tieren mit Hämophilie A
beobachtet wurde, verbunden mit einer deutlichen Reduktion spontaner Blutungen», schreiben
Nguyen und Kollegen. Ernsthafte Nebenwirkungen hatte keiner der Hunde. Regelmässige Über-
prüfungen der Leberwerte zeigten nur leichte Abweichungen von der Norm.

                                                                                                 17
Sie können auch lesen