SOYA - soja netzwerk schweiz

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AUGUST 2012          NR. 253

              SOYA
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         SOYA
     Karriere einer Bohne

    DIE WUNDERBOHNE

«ALLE SIND SÜCHTIG DANACH»

      DIE GUTE SOCKE

    JAPAN IN FRIESLAND

 DIE KUH ZUR SAU GEMACHT

   DER GROSSE WANDEL

   SCHWEIN SÜSS-SAUER

     DIE BESSER-ESSER

          FOLIO 8 / 2012
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            DIE WUNDERBOHNE
 Mönche erhofften sich von der Soyabohne eine verminderte Libido, die
Nazis wollten mit ihr Blitzkriege gewinnen und die Hippies den Weltfrieden
                 herbeikochen. VON DIRK ASENDORPF

                      Kleine Sprosse mit grossen Nebenwirkungen.

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Der Bericht liest sich, als ginge es um die Künste eines begnadeten         waren für die Zen-Mönche tabu, im Tofu erkannten sie die ideale
Winzers. «Man lässt die Mixtur einen Tag und eine Nacht abgedeckt           Nahrung für diese Regeln. Die östrogenähnlichen Pflanzenhormo-
an einem warmen Platz stehen», schreibt Engelbert Kaempfer in               ne der Soya reduzierten bei Männern Libido und Zeugungsfähig-
«Amoenitatum Exoticarum», seinem 1712 veröffentlichten Buch                 keit, hiess es. Ausserhalb der Klostermauern wurde Tofu erst im
der exotischen Neuigkeiten. «Die Masse wird gepresst und gefiltert.          18.Jahrhundert populär, wenn auch nur als eine von vielen Zutaten
Die Flüssigkeit wird in hölzernen Gefässen aufbewahrt. Je länger sie        eines vollständigen japanischen Essens.
lagert, desto klarer und schmackhafter wird sie.»                              Als Grundnahrungsmittel waren Soyabohnen wenig geeignet,
   Es war das erste Mal, dass der Westen ein – wenn auch leicht             denn ihre Aufbereitung zu Essbarem ist vergleichsweise umständ-
fehlerhaftes – Rezept für die Zubereitung japanischer Soyasauce             lich. Rohe Soya enthält verschiedene Gifte, zum Beispiel SBTI, den
erfuhr. Zwar hatte man schon seit einigen Jahrzehnten von Tofu,             sogenannten Soyabohnen-Trypsin-Inhibitor. Er schützt die Pflanze
Miso und anderen merkwürdigen Speisen aus Fernost gehört, wor-              vor Schädlingen, indem er ihre Verdauungsenzyme hemmt, kann
aus und wie sie hergestellt wurden, war in Europa jedoch völlig             aber auch den menschlichen Stoffwechsel empfindlich stören. Erst
unbekannt. Erst der Universalgelehrte aus dem westfälischen Städt-          langes Kochen, aufwendige Fermentation oder das Raffinieren des
chen Lemgo lieferte zwanzig Jahre nach der Rückkehr von seiner              Soyaöls zerstören das Gift.
Asienreise eine detaillierte Beschreibung der Soyapflanze und ihrer
vielfältigen Nutzung.
   Heute, genau dreihundert Jahre später, finden sich Soyasauce,                                Hippies lieben Tofu
Soyamilch oder Soyawurst ganz selbstverständlich in den Regalen
jedes westlichen Supermarkts. Auch in unserem Steak, Schnitzel              Die Verwendung der Soyabohne als Lebens- und Futtermittel war
oder Pouletschenkel steckt Eiweiss aus dem Soyaschrot. Margari-             denn auch über Jahrtausende nur ein Nebeneffekt ihrer eigentli-
ne, Eis und rund 30 000 weitere industriell erzeugte Lebensmittel           chen Nutzung als Dünger. Im Unterschied zu anderen Pflanzenar-
enthalten Bestandteile der Soyabohne. Selbst in manchem Tank                ten sind die meisten Leguminosen wie Lupine, Erbse oder Soyaboh-
gluckert Soyaöl, in der Schweiz bis anhin zwar nur in Spuren, in            ne nicht auf Stickstoff im Boden angewiesen. Im Gegenteil: In ihren
den Nachbarländern macht es aber bis zu einen Viertel des Bio-              Wurzelknöllchen siedeln Bakterien, die den Stickstoff direkt aus der
diesels aus.                                                                Luft aufnehmen und an die Pflanze weitergeben. Im Fruchtwechsel
                                                                            spielen Leguminosen deshalb eine wichtige Rolle für den Erhalt der
                                                                            Bodenqualität. Werden die Reste der Soyapflanze nach der Bohnen-
              Mehrere Ursprungsländer                                       ernte untergepflügt, erhöhen sie im folgenden Jahr den Ertrag beim
                                                                            Getreideanbau. Und die Pressrückstände aus der Soyaölgewinnung
Den Nutzen der braunen Soyaschoten mit ihren bis zu fünf erbsen-            sind ein idealer Dünger für Reisfelder.
grossen Samen hat die Menschheit schon früh erkannt. In Nord-                  Anbau und Verwendung der Soyabohne blieben über Jahrtausen-
china haben Archäologen Soyasamen entdeckt, die vor rund 9000               de auf Ostasien beschränkt. Der Nordosten Chinas spielte dabei die
Jahren zum Verzehr geröstet worden waren. Auch die gezielte Zucht           Hauptrolle, von dort wurde Soya in die gesamte Region verschifft,
ertragreicher Pflanzen hat eine lange Tradition. Bereits vor 5000            allerdings nur in kleinen Mengen. Das änderte sich erst zu Beginn
Jahren konnten japanische Bauern deutlich grössere Bohnen ernten,           des 20.Jahrhunderts, dann aber rasant. Von 1900 bis 2010 schoss die
wenig später schafften das auch ihre Kollegen in China und Korea.           weltweite Erntemenge um sagenhafte 4000 Prozent in die Höhe, von
   Die Wissenschaft glaubt deshalb nicht mehr an einen einzigen              6 auf 250 Millionen Tonnen im Jahr. «Kein Agrarprodukt hat jemals
geographischen Ursprung der Nutzpflanze.«Unsere Ergebnisse stüt-             ähnlich dramatische Wachstumsraten erreicht wie der weltweite
zen die jüngst auch von Genetikern geäusserte Sichtweise, dass die          Soyaanbau», schreiben William Shurtleff und Akiko Aoyagi in ihrer
Soyazucht an verschiedenen Orten Ostasiens unabhängig voneinan-             über 2500 Seiten umfassenden «Geschichte der Soya».
der begonnen hat», schreibt eine Gruppe von fünf Anthropologen                 Der inzwischen 71jährige Shurtleff und seine 62jährige in Japan
und Archäologen aus den USA, Kanada, Japan und China.                       geborene Partnerin haben sich in die Tiefen des Themas vergraben
   Als Engelbert Kaempfer durch Indonesien, China und Japan                 wie niemand sonst. Seit 1972 haben Shurtleff und Aoyagi – nach ei-
reiste, stiess er überall auf Soyagerichte. Ein Grundnahrungsmittel,        genen Angaben – 75 000 Dokumente zusammengetragen, fast 6000
vergleichbar mit Reis oder Weizen, war das Leguminosengewächs               Interviews geführt, eine Datenbank mit über 15 000 Soyaprodukten
jedoch nie. Meist wurde es nur nach langsamer, monatelanger Fer-            angelegt und 66 Bücher veröffentlicht. Das populärste davon, ein
mentation als Zusatz- oder Würzstoff ins Essen gerührt. «Miso ist           1978 erstmals erschienenes Kochbuch mit 500 Tofurezepten, hat
eine Art Brei, der Gerichten anstelle von Butter zugefügt wird, die         sich bis heute über 600 000 Mal verkauft. «Die Bücher laufen so gut,
unter diesem Himmelsstreifen gänzlich unbekannt ist», berichtete            dass ich in meinem Leben nie etwas für Geld machen musste», sagt
Kaempfer, «und die berühmte Soyasauce wird, wenn nicht gleich               Shurtleff zufrieden. Als Absolvent der kalifornischen Eliteuniversi-
über alle, dann doch zumindest auf alle gekochten und gebrate-              tät Stanford wollte und musste er nicht im Wissenschaftsbetrieb
nen Speisen gekippt.» Tofu, das vermeintlich wichtigste japanische          arbeiten, Aoyagi ist gelernte Modedesignerin. Ihre Beschäftigung
Soyaprodukt, erwähnte er überhaupt nicht.                                   mit der Soyabohne hat einen politischen und einen ethisch-religiö-
   Der blasse und weitgehend geschmacklose Wackelkuchen aus                 sen Hintergrund – kein seltenes Motiv der modernen Begeisterung
dem geronnenen Eiweiss der Bohne war damals in China zwar                   für die ostasiatische Pflanze und ihre Produkte. Untypisch ist die
schon seit einigen Jahrhunderten bekannt, kam in Japan aber wohl            unvoreingenommene Akribie, mit der die beiden Soyaexperten zu
nur in buddhistischen Klöstern auf den Tisch. Fleisch, Fisch und Sex        Werke gehen. Sie speist sich aus dem Zen-Buddhismus, den bei-

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de praktizieren. Der Amerikaner Shurtleff hatte Mitte der 1960er              Öl. All das hatte die Soyabohne zu bieten. In der Mandschurei schoss
Jahre als Lehrer in Nigeria gearbeitet und für kürzere Zeit auch              die Produktion nach oben, schon nach wenigen Jahren hatte die
bei Albert Schweitzer in Lambarene. Nach der Rückkehr in seine                weitgehend autonome Region das chinesische Kernland als Haupt-
Heimat geriet er mitten ins Flower-Power-San-Francisco. Er zog sich           produzent überrundet. Die Exporte gingen nach Japan und ab 1908
für zwei Jahre in das kalifornische Zen-Kloster Tassajara zurück und          zunehmend auch nach Europa und in die USA. 1928 lebte über die
begleitete dessen Gründer Suzuki Roshi nach Japan. Dort traf er               Hälfte der mandschurischen Bevölkerung von Anbau und Verarbei-
Akiko Aoyagi, die ihn die Geheimnisse der japanischen Tofuküche               tung der Soyabohne.
einweihte.                                                                       Während Europa bis heute von Soyaimporten abhängig ist, fan-
   Es war die Zeit des Biafra-Kriegs, und der Stanford-Professor Paul         den amerikanische Farmer schnell heraus, wie sie die Bohne selber
Ehrlich hatte in seinem Bestseller «Die Bevölkerungsbombe» ge-                anbauen konnten. Zunächst pflanzten sie Soya als Zwischenfrucht,
rade weltweite Hungersnöte als Folge einer überbevölkerten Erde               um mit der Stickstoffdüngung der untergepflügten Pflanze den
vorhergesagt. «In Japan lernte ich die Zen-Kunst der traditionellen           Maisertrag zu steigern. Doch nach der Erfindung des Haber-Bosch-
Tofuherstellung kennen, am Anfang wollte ich sie einfach nur in               Verfahrens zur chemischen Herstellung von Kunstdünger änderte
die USA bringen», erinnerte sich Shurtleff Ende der 1970er Jahre in           sich das rasant. Soya wurde zu einem der wichtigsten Rohstoffe der
einem Interview, «doch dann erkannte ich, dass im Tofu die Lösung             boomenden Chemie-, Agrar- und Lebensmittelindustrie.
der Welternährungskrise liegt.» Und so sieht er es noch immer. Wür-              Schon in den dreissiger Jahren des 20.Jahrhunderts überholten
de die Menschheit ihre Soyaernte selber essen,anstatt sie zur Fleisch-        die USA Japan und Korea beim Soyaanbau, kurz danach auch die
produktion zu verfüttern, müsste niemand hungern. Denn auf dem                Mandschurei und China. Seit 1948 sind die USA der weltgrösste
Umweg über das Nutztier gehen über drei Viertel des Nährwerts                 Produzent, seit 1956 erzeugen sie sogar mehr als alle asiatischen
verloren. «Kein Wunder, dass gerade die intelligentesten und am               Länder zusammen. Ihren Ursprung im Fernen Osten hat die Soya-
besten ausgebildeten Menschen im Westen zu Vegetariern werden.»               bohne längst hinter sich gelassen. Heute dehnt sich jeden Sommer
Nicht nur bei Shurtleff setzt Soya Erlösungsphantasien frei. Bis              ein Soyameer von der Grösse Deutschlands im amerikanischen
heute vergöttern Vegetarier und Viehzüchter, Gesundheitsapostel               Mittelwesten.
und Unterernährungsbekämpfer die Wunderbohne. Tatsächlich
enthält Soya die wichtigsten Bestandteile menschlicher Ernährung
in einmalig günstiger Kombination: 40 Prozent Eiweiss, 25 Prozent                              Adenauers Soyawurst
Kohlehydrate, 20 Prozent Fett und 5 Prozent Mineralstoffe. Ausser-
dem sind die Samen reich an Vitaminen und Lecithin, und Soyaöl                Von der Schmierölherstellung über Lacke, Kunststoffe und Reini-
hat einen hohen Gehalt mehrfach ungesättigter Fettsäuren, die der             gungsmittel bis hin zum Nitroglycerin für den Bombenbau erwies
menschliche Körper nicht selber herstellen kann.                              sich Soyaöl als idealer Rohstoff. Und die Pressrückstände aus den
   Manche Nutzpflanzen liefern, wie Kartoffeln, Weizen oder Reis,              Ölmühlen waren das Kraftfutter der beginnenden industriellen
vor allem Stärke. Zuckerrohr und Zuckerrübe enthalten, wie der                Fleischproduktion. Mitte der 1930er Jahre hatte der Agrochemie-
Name schon sagt, Zucker. In Linsen, Erbsen und Erdnüssen steckt               konzern Archer Daniels Midland das sogenannte Toasting entwi-
vor allem Eiweiss, in Raps und Sonnenblumen Öl. Soya bietet alles             ckelt, ein industrielles Verfahren zur Entfernung der Giftstoffe im
gleichzeitig. «Die Hausfrau kann lachen», hiess es 1932 in einer Re-          Soyaschrot. Von nun an war Soya als Futtermittel und als Öl glei-
klame für Berliner Soyamehl, «denn sie kann ihre Küchenausgaben               chermassen gefragt. Mal stand die eine, mal die andere Nutzung im
wesentlich ermässigen und trotzdem die Ihren besser ernähren als              Vordergrund, doch die Gesamtentwicklung kannte immer nur eine
bisher.»                                                                      Richtung: mehr und noch mehr.
                                                                                 Nur die Menschen in Europa und den USA rümpften vorerst
                                                                              noch die Nase. Der Nährwert all der neuen Soyaerzeugnisse, die auf
           Die Bohne erobert den Westen                                       den Markt drängten, war zwar gut, der Geschmack aber bitter und
                                                                              fad. Selbst hochverarbeitete Produkte wie Margarine oder Schoko-
Billig, nahrhaft, universell nutzbar – Anfang des 20.Jahrhunderts             lade hatten eine muffige Note. Und bei falscher Zubereitung führte
hatte zunächst Japan die unübertrefflichen Vorzüge des Multitalents           Soyamehl zu Bauchschmerzen. Ausser bei Milcheiweissallergikern
unter den Leguminosen für den entstehenden Industriestaat mit                 und einigen wenigen Fans exotischer Gerichte sorgten die Lebens-
hohem Bevölkerungszuwachs erkannt, angespornt durch zwei mili-                mittelprodukte der Wunderbohne für Enttäuschung.
tärische Erfolge. 1895 hatte das Inselreich China besiegt, zehn Jahre            Ernährungsgewohnheiten sind tief verankert, Menschen ändern
später auch noch Russland. China musste daraufhin Zollerleich-                sie nur ungern und langsam. Ausser im Krieg, denn dann gilt das
terungen zugestehen, und nach dem russischen Rückzug bekam                    Motto: Hauptsache satt. Ihren ersten Boom als europäisches Le-
Japan freien Zugang zu den endlosen Ackerflächen der fruchtbaren               bensmittel erlebten Soyaprodukte denn auch tatsächlich im Ersten
Mandschurei. Japans Soyahunger war gewaltig, angetrieben vom                  Weltkrieg. Brot und Suppen wurden mit Soyamehl gestreckt, die
Düngerbedarf des rasch expandierenden Reisanbaus.                             deutschen Soyama-Werke brachten ein populäres, an Leberwurst
   Schnell sprachen sich die fast unglaublichen Qualitäten der exo-           erinnerndes Fleischersatzprodukt auf den Markt.
tischen Bohne nun auch im Westen herum. Die erste Welle der                      Auch kleinere Firmen und Einzelpersonen erforschten Einsatz-
Globalisierung hatte die Handelswege geöffnet, die junge Industrie            möglichkeiten der proteinreichen Pflanze. Einer von ihnen war
verlangte nach gut und günstig ernährten Arbeitskräften, die Land-            Konrad Adenauer, der spätere Gründungskanzler der Bundesrepu-
wirtschaft nach Dünger, und die Chemiefabriken wollten billiges               blik Deutschland. Im Ersten Weltkrieg leitete er das Ernährungsde-

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 zernat der Stadt Köln, entwickelte in seiner Freizeit eine Bratwurst,        gegen das ebenfalls von Monsanto vertriebene Herbizid Roundup
 die zu vierzig Prozent aus Soyamehl bestand, und meldete sie zum             mit dem giftigen Wirkstoff Glyphosat resistent, schon nach drei
 Patent an.                                                                   Jahren hatte es über die Hälfte der Soyaanbaufläche in den USA
    Nach Kriegsende verschwanden die Ersatzprodukte schnell wie-              erobert. Und kurz darauf setzten die transgenen Samen ihren Sie-
 der vom Markt. Erst der Zweite Weltkrieg brachte den Durchbruch.             geszug auch in den südamerikanischen Soyagrossmächten Brasilien
 Der ungarische Ernährungswissenschafter Ladislaus Berczeller hatte           und Argentinien fort.
 in der Zwischenkriegszeit eine Methode, das sogenannte Berczel-                 Heute wird in Nordamerika praktisch keine gentechnikfreie Soya
 lersche Verfahren, zur Verbesserung des Soyamehls entwickelt, das            mehr angebaut, und auch im Süden des Kontinents sind nur noch
 nun als «Edel-Soya» vermarktet wurde. Das gelbliche,fast geruchlose          Restflächen davon verschont geblieben. Zunächst führt das zu hö-
 Pulver hatte einen leicht süsslichen Geschmack, eignete sich zum             heren Erträgen.
 Brotbacken, als Zutat in Suppen, Würsten und Hackbraten – und                   Langfristig könnte es aber mehr schaden als nützen. Denn die
 erschien als perfekte Verpflegung für Soldaten.                               Monopolisierung von Saatgut und zugehörigem Herbizid aus einer
    «Es ist tausendfach erbrachte Erfahrungstatsache, dass der Hun-           Hand bringt landwirtschaftliche Betriebe in grosse Abhängigkeit
 ger der Truppe eines der wirksamsten Hemmnisse ist, die sich der             vom Hersteller. Die genetische Vielfalt wird durch die unbeabsich-
 Erringung des Sieges in den Weg zu stellen vermögen», hiess es               tigte Auskreuzung bestimmter Eigenschaften der genveränderten
in einer 1941 in Deutschland veröffentlichten Untersuchung der                Pflanzen und die Ausbildung von Resistenzen bei Unkraut und
 Lebensmittelversorgung im Krieg. Intensiv liess die Wehrmacht                Schädlingen bedroht. Und Biobauern oder Imker befürchten die
 den militärischen Nutzen von Soyaprodukten zur Deckung der                   Verunreinigung ihrer eigenen Ernte, die sie dann nicht mehr als
 «Eiweisslücke» in den Feldküchen erforschen. Das Ergebnis waren              Bioprodukt verkaufen können.
 neben Backwaren, Kakaogetränken und Wurstkonserven, die mit                     Wird genmanipulierte Soya erst einmal im Grossmassstab an-
 Soya gestreckt wurden, vor allem die sogenannten Pemmikan-Land-              gebaut, ist es für eine Rücknahme zu spät – selbst wenn später ein
 jäger. Sie enthielten geräuchertes Fleisch, getrocknetes Obst, Molke,        gravierender Nachteil der im Labor erzeugten Sorten auftauchen
 Tomatenmark, Hefeextrakt, grüne Peperoni, Preiselbeeren, Lecithin            sollte. In vielen Agrarregionen ist dieser Point of no return längst
 und Vollsoyamehl und sollten schnell vorrückenden Truppenteilen              überschritten. Drei Viertel der weltweit gut 100 Millionen Hekta-
 alle nötigen Nährstoffe in hochkonzentrierter Form liefern. So wür-          ren grossen Soyafelder werden inzwischen mit transgenen Sorten
 den die Rucksäcke leichter und der Nachschub einfacher.                      bestellt. Und Asien, die Wiege der Wunderbohne, ist ihr grösster
    Nach der schnellen Eroberung Polens kamen die Pemmikan-                   Importeur geworden. So funktioniert der globale Soyahandel heute:
 Landjäger zu internationaler Berühmtheit. «Soya für den Blitzkrieg»,         Die USA beliefern den Weltmarkt zur Hälfte, China kauft ihn zu
 hiess es in den Medien, in den USA war von der «Nazi-Bohne» die              fast 60 Prozent wieder leer.
 Rede. Das deutsche Militär übernahm den Begriff und brüstete sich               Um Soyasauce, Tofu, Miso und all die anderen Spezialitäten der
 mit der internationalen Beachtung seiner Erfindung.                           traditionellen asiatischen Küche geht es dabei längst nicht mehr.
    Als die Soyalieferungen aus der Mandschurei nach dem Überfall             Und auch die eiweissreiche Kost von Millionen moderner Vegetarier
 auf die Sowjetunion ausblieben, sollten die IG Farben, der damals            fällt kaum ins Gewicht. Noch nicht einmal 3 Prozent der geernteten
 weltgrösste Chemiekonzern, für schnellen Ersatz sorgen. In den               Soya landen direkt im Menschenmagen.Heute füttert Soya weltweit
 mit Deutschland alliierten Ländern Südosteuropas wurde der Soya-             das Vieh – und stillt so in den USA, in Europa, Japan, Südamerika
 anbau massiv gefördert, die zuvor aus Asien importierten Mengen              und auch im Reich der Mitte den Fleischhunger von immer mehr
 konnte er aber nie ersetzen.                                                 Menschen.
    Auch nach dem Krieg fasste der Soyaanbau in Europa nie wirk-
 lich Fuss. Nur in Italien, Frankreich, Rumänien und Ungarn wer-
 den nennenswerte Mengen geerntet. Soyaprodukte dagegen ste-
 hen heute weltweit auf dem Speiseplan von Mensch und Tier. Der
 Marshallplan von 1948 bis 1952 und ein kurz danach von Präsi-
 dent Eisenhower aufgelegtes und von seinem Nachfolger John F.
 Kennedy in «Food for Peace» umbenanntes, noch immer gültiges
 Gesetz zur Erleichterung von Agrarexporten erwiesen sich als mas-
 sive Subvention amerikanischer Soyaerzeugnisse.Menschen verzeh-
 ren sie vor allem in Form von Margarine und, nach dem Umweg
 über Kraftfutter und Viehzucht, als Fleisch.

                Triumph der Gentechnik

Als Anfang der 1990er Jahre die Böden im amerikanischen Mit-
telwesten nach einem halben Jahrhundert Soyaboom ausgelaugt
waren und sich die Wachstumsraten abflachten, trat die Gentech-
nikindustrie auf den Plan, allen voran der amerikanische Monsan-
to-Konzern. Das von ihm entwickelte Saatgut Roundup Ready ist                 DIRK ASENDORPF ist freier Journalist; er lebt in Bremen.

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      «ALLE SIND SÜCHTIG DANACH»
   Brasilien stillt den wachsenden Hunger nach Soya. Die Anbaufläche ist sechsmal
so gross wie die Schweiz. Die Frucht hat ein paar wenige unermesslich reich gemacht –
    auf Kosten der Ureinwohner und des Regenwaldes. VON TJERK BRÜHWILLER

             Soya ist der Treibstoff der industriellen Landwirtschaft: Ernte im brasilianischen Mato Grosso.

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 Nova Mutum ist keine typische brasilianische Kleinstadt. Das ge-         Indien ist die Nachfrage nach dem Grundstoff gestiegen – und
 pflegte Stadtbild mit Alleen, Kreiselverkehr und Einfamilienhäusern       damit auch die Preise. Brasilianische Landwirte setzen im grossen
 erinnert eher an eine adrette amerikanische Vorstadtgemeinde als         Stil auf die Bohne. In den letzten beiden Dekaden sind die Produk-
 an eine Ortschaft tief im Westen Brasiliens. Seit dem Eintreffen der     tionsmengen in die Höhe geschnellt – von 18,3 Millionen Tonnen
 ersten Pioniere vor dreissig Jahren hat sich hier einiges getan: Aus     im Jahr 1985 auf knapp 70 Millionen Tonnen, was rund 29 Prozent
 der Siedlung an der Bundesstrasse BR 163, die die Provinzhauptstadt      der Weltproduktion entspricht. Hinter den USA ist Brasilien heute
 Cuiabá mit Santarém am Amazonas verbindet, ist eine Stadt mit            der zweitwichtigste Soyaproduzent.
 über 30 000 Einwohnern gewachsen.                                            Mato Grosso spielt dabei eine wichtige Rolle. Regelmässige Nie-
     Den Bewohnern von Nova Mutum geht es gut. Die meisten                derschläge und die intensive Sonneneinstrahlung zwischen dem 10.
 Häuser sind gross und modern. Auf den frisch geteerten Strassen          und dem 20.Breitengrad bescheren den Produzenten Erträge wie
 wimmelt es von fetten Geländewagen. Auch die Gemeinde sieht              kaum woanders. Ein Drittel der brasilianischen Soya stammt aus
 wenig Anlass zur Sparsamkeit und hat sich ein schickes Verwal-           diesem Gliedstaat,der etwa doppelt so gross ist wie Frankreich. Wäre
 tungszentrum mit Gartenanlage gebaut. Seit 2001 hat sich das Brut-       Mato Grosso ein eigenes Land, so wäre es der viertgrösste Soyapro-
 toinlandprodukt (BIP) von Nova Mutum auf 1,6 Milliarden Reais            duzent der Welt. Auch in der Produktion von anderen Agrargütern
 (770 Millionen Franken) verzehnfacht.Mit einem BIP pro Kopf von          wie Mais, Zuckerrohr, Orangensaft, Kaffee oder Fleisch gehört Bra-
 über 50 000 Reais belegt die Kleinstadt einen der Spitzenplätze in       silien zu den Spitzenreitern. Gemessen am Handelsüberschuss von
 Brasilien.                                                               rund 58 Milliarden Dollar ist das Land mit Abstand der weltgrösste
    Zu verdanken hat sie das José Aparecido Ribeiro. 1966 kaufte          Exporteur von Agrargütern.
 der Jurist aus São Paulo ein Grundstück von 169 000 Hektaren an              Das war nicht immer so. Als in den fünfziger und sechziger Jah-
 der BR 163 und gründete die Fazenda Mutum, die später der Stadt          ren mit der Industrialisierung immer mehr Menschen in Städten
 Nova Mutum ihren Namen geben sollte. Ribeiro war ein Visionär.           wohnten, musste Brasilien Nahrungsmittel importieren. Damals
 Schon früh entwarf er Pläne für eine Stadt. Er suchte nach Anrei-        konzentrierte sich die Agrarproduktion auf den Süden des Landes
 zen, um neue Siedler in die Region zu locken, und begann Ende            und die Küstenregionen.Der Cerrado war kaum besiedelt, geschwei-
 der 1960er Jahre, auf einem 200 Hektaren grossen Landstück mit           ge denn landwirtschaftlich genutzt. Um sich die Wildnis untertan
 verschiedenen Pflanzensorten zu experimentieren. Es waren die             zu machen, begann unter dem Militärregime ab 1964 der Bau ver-
ersten dokumentierten Versuche mit Soya, Mais und Reis in den             schiedener Bundesstrassen in den entlegenen Regionen, darunter
brasilianischen Tropen.                                                   auch der berühmten Transamazônica. Holzfäller, Viehzüchter und
    Später entdeckte auch die Regierung die Notwendigkeit, in die         Abenteurer folgten dem Ruf.
Forschung zu investieren. 1973 schuf sie die Empresa Brasileira de            Immer mehr Landwirte zog es nach Mato Grosso, wo es billiges
Pesquisa Agropecuária, kurz: Embrapa. Das Forschungsinstitut, das         Land gab und die Möglichkeiten grenzenlos schienen. Die Besied-
dem Landwirtschaftsministerium angegliedert ist und heute 8000            lung folgte dabei der typischen Erschliessungslogik Holzwirtschaft
Wissenschafter beschäftigt, koordiniert die Forschung im Agrarbe-         – Viehzucht – Ackerbau.Wie Heuschrecken frassen sich die Pioniere
reich. Heute ist es weltweit das wichtigste Forschungsinstitut für        in die Savanne hinein.
 tropische Landwirtschaft. Der Embrapa gelang es, verschiedene                Die Agrarrevolution liess dennoch lange auf sich warten. Der
 Pflanzensorten zu entwickeln, die speziell auf die Gegebenheiten          Agrarsektor war rückständig, Investitionen fehlten, und Ende der
 in den Tropen zugeschnitten sind. «Das war ein wichtiger Moment»,        achtziger Jahre geriet Brasilien zudem in eine Phase der Hyper-
 sagt Daniel Latorraca Ferreira vom Institut für Agrarwirtschaft des     inflation. Der Umschwung kam in den neunziger Jahren, als die
 Gliedstaates Mato Grosso, Imea.Denn bis zu diesem Zeitpunkt habe         Regierung die Importbeschränkung für Maschinen aufhob und
 schlicht die Technologie gefehlt, um die weitläufigen Savannenge-         den Produzenten Zugang zu modernen und günstigen Geräten aus
 biete des mittleren Westens, den sogenannten Cerrado, landwirt-          dem Ausland ermöglichte. 1994 führte der sogenannte Plano Real
 schaftlich zu erschliessen.                                              zur Stabilisierung der Währung. Ein Jahr später trat Brasilien der
     Rund um die Stadt erstrecken sich bis an den Horizont Soya-          Welthandelsorganisation (WTO) bei. Mit dem WTO-Beitritt Chinas
 felder. Das im Gliedstaat Mato Grosso am Eingang zu einem der            sechs Jahre später war die perfekte Basis für den Soyahandel gelegt.
 grössten Soyaanbaugebiete der Welt gelegene Nova Mutum gehört
 zu den wichtigsten Produktionszentren Brasiliens.340 000 Hektaren           Auf den Ländereien der Fazenda Mutum, die heute Teil der Unter-
 werden auf dem Gemeindegebiet bewirtschaftet, auf denen pro Jahr            nehmensgruppe Mutum ist, wird gerade die Baumwolle eingefah-
 mehr als 1,1 Millionen Tonnen Soya wachsen. Das entspricht etwa             ren. Sie ist zusammen mit Mais eines der wichtigsten Nebenpro-
 dem Vierfachen der jährlichen Soyaimporte der Schweiz.                      dukte der Soyaproduktion.
     Entlang der Bundesstrasse liegen Haufen von Soyabohnen und                 Sobald die Soya geerntet ist, erfolgt die Saat der «Safrinha», der
 Maiskörnern, die aus den Tausenden Lastwagen geweht worden                  zweiten, kleinen Ernte. Das bringt nicht nur zusätzlichen Gewinn,
 sind, die hier jeden Tag durchfahren. In der Gewerbezone reihen             sondern hat auch den Vorteil, dass das Unkraut keine Zeit hat, sich
 sich neben mehreren Tankstellen die Vertreter des Agrarbusiness             auszubreiten. Luiz Divino, der die Geschäfte der Mutum-Gruppe
 aneinander: die Handelshäuser ADM, Bunge, Cargill und Louis                 leitet, ist mit seinem Geländewagen auf Stippvisite. Immer wieder
 Dreyfus, der Fleischmulti Brasil Foods, der Landmaschinenherstel-           macht er Halt und informiert sich bei einem der rund 170 Ange-
 ler John Deere.                                                             stellten des Betriebs über den Stand der Dinge. Die Arbeit könnte
     Soya gehört zu den wichtigsten Agrar- und Exportgütern Brasi-           er auch von seinem Büro in der Stadt aus erledigen, wo alle Daten
 liens. Mit dem wachsenden Wohlstand in Ländern wie China und                des Betriebes zusammenfliessen. Doch Luiz Divino ist gerne auf

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 der Farm. Der Anbau von Bauwolle sei heikel und der Preis sehr
 volatil, sagt er. Zum Glück habe man 80 Prozent der Ernte bereits
 verkauft. Im Vergleich dazu sei Soya ein wesentlich besseres Produkt.
 Die Investitionen und das Risiko seien tiefer und die Produktion
 deshalb lukrativer. «Soya kannst du immer verkaufen, alle sind süch-
 tig danach.»
    Obwohl die Mutum-Gruppe eine Fläche von der Grösse des
 Kantons Genf bewirtschaftet und knapp 100 Millionen Reais um-
 setzt, gilt sie als kleiner Betrieb. «Wir waren immer konservativ
und strebten nicht nach schnellem Wachstum», erklärt Frederico
Ribeiro Krakauer, der nach dem Tod seines Grossvaters José Apa-
recido im Alter von 19 Jahren die Gruppe übernommen und von
der Rinderzucht auf Ackerbau umgestellt hat. Man konzentriere
sich darauf, die Produktion zu optimieren. Zurzeit bauen sie eine
Entkernungsanlage für Baumwolle. Daneben tüftelt die Fazenda an
neuen Produkten und Anbaumethoden. Auf einem 30 Hektaren
grossen Feld läuft ein weltweit einzigartiges Pilotprojekt, das die
 Soya- und Baumwollproduktion auf sandigen Böden mit Hilfe einer
 neuen Bewässerungs- und Düngungsmethode erprobt. «Wir wollen
 innovativ sein», erklärt Ribeiro Krakauer, der den Pioniergeist seines
 Grossvaters geerbt hat.
    Neben der Agrarproduktion hat die Gruppe ein zweites Stand-
 bein im Immobiliensektor: Die Stadt Nova Mutum befindet sich
 auf dem Land der Fazenda. An der Stadtentwicklung war und ist
 das Unternehmen wesentlich beteiligt.
    Krakauer hat seinen Erfolg und Wohlstand vor allem der Soya
 zu verdanken. Als Soyakönig sieht er sich aber nicht. Das überlasse
 er den anderen, sein Unternehmen sei doch viel zu klein. Mit den
 anderen meint Krakauer die Pioniere, die eine aggressive Expan-
 sionsstrategie fuhren und jeden Sack Soya in neues Land investier-
 ten. Innerhalb von wenigen Jahren sind so Familienbetriebe zu
 Grosskonzernen aufgestiegen.

Einer der bekanntesten Vertreter der Soyakönige ist Blairo Mag-
gi, der in den achtziger Jahren mit seinem Vater aus dem Süden
nach Mato Grosso kam, um auf einem Stück Pachtland Soya anzu-
pflanzen. Das Geschäft lief gut. Schnell hatten die Maggis eigenes
Land erworben. Im Nirgendwo gründeten sie die Stadt Sapezal
samt Schule, Spital und Kleinwasserkraftwerk. Aus dem einstigen
Familienbetrieb wurde in wenigen Jahren die mächtige Gruppe
André Maggi (Amaggi), einer der grössten Soyaproduzenten und
Soyaexporteure der Welt. Auf einer Fläche von 135 000 Hektaren
produziert Amaggi mehr als 450 000 Tonnen Soya pro Jahr, wovon
drei Viertel ins Ausland gehen. Daneben fallen jährlich 260 000
Tonnen Mais sowie 50 000 Tonnen Baumwolle an.
   Bauernidylle sucht man auf diesen Ländereien vergeblich. Eine
computerüberwachte Armada von Maschinen erntet, bestellt, düngt
und spritzt die riesigen Felder und speist die Daten ins Kontrollsy-
stem der Firma ein. Neben dem Anbau verarbeitet das Unterneh-
men mit über tausend Mitarbeitern den grössten Teil der Ernte
selbst und ist – um von den Grosshändlern unabhängig zu sein
– auch im Transportgeschäft tätig. Der Konzern verfügt über eine
Flotte von Flussfrachtschiffen sowie eigene Verladestationen. 2011
belief sich der Umsatz von Amaggi auf 2,2 Milliarden Dollar, der
Reingewinn betrug über 40 Millionen Dollar.
   Seinen Titel als grösster Soyaproduzent der Welt musste Blairo
Maggi allerdings abgeben. Der Sektor ist dynamisch. Kleine Betrie-

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Immer mehr: Bis 2020 wird Brasilien eine Produktion von über 111 Millionen Tonnen erreichen.

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be werden geschluckt, Konzerne aus anderen Branchen dringen in           versteht das Anliegen: In endlosen Karawanen schleppen sich
den Agrarmarkt vor, und andere gehen an die Börse,um zu wachsen.         die Lastwagen Richtung Südosten, wo die Häfen von Santos und
Heute tummeln sich in Mato Grosso etliche Agrargiganten. Blairo          Paranaguá liegen. Oft sind die Lastwagen Tage unterwegs, bis sie ihr
Maggis Cousin Eraí Scheffer beispielsweise, dem die Gruppe Bom           Ziel erreichen. Die Kosten für die Fracht zu den wichtigen Häfen
Futuro gehört, produziert bereits über 500 000 Tonnen pro Jahr.          des Landes liegen mit derzeit 85 Dollar pro Tonne weit über jenen
   Ein anderes Beispiel liefert der Konzern Vanguarda Agro, der          in Argentinien oder in den USA.
heute an der Börse von São Paulo kotiert ist. Gegründet wurde er            Ein Ausbau der Strassen Richtung Amazonas sowie die Fertigstel-
                                                                         lung von Wasserwegen und Eisenbahnlinien würden die Wege der
                                                                         Soya von Mato Grosso ans Meer erheblich verkürzen. Seit 1999 hat
                                                                         Brasília im Gliedstaat jedoch kein Infrastrukturprojekt umgesetzt.
     Nicht umsonst werden die grossen                                    Ob es das ist, was Blairo Maggi dazu bewog, sich 2010 als Senator
                                                                         aufstellen zu lassen und nach Brasília zu ziehen, lässt sich nur erah-
    Unternehmer der Branche Könige oder                                  nen. Ebenso,ob es ein Zufall ist, dass ein ehemaliger Mitarbeiter von
             Barone genannt.                                             Amaggi bis vor kurzem Chefsekretär des Transportministeriums
                                                                         war. Blairo Maggi ist mächtig geworden. Das Magazin «Forbes» lis-
                                                                         tete ihn 2009 unter den einflussreichsten Politikern der Welt auf.
                                                                            Eine Auszeichnung der anderen Art erhielt Maggi von der Um-
von Otaviano Pivetta, einem ehemaligen Lastwagenfahrer aus Süd-          weltorganisation Greenpeace, die ihm für seinen Beitrag zur Abhol-
brasilien. Aus dem Traum von der eigenen Fazenda ist ein Imperium        zung des Regenwaldes die «Goldene Kettensäge» verlieh, nachdem
von 300 000 Hektaren geworden. Geschichten wie jene von Pivetta          die abgeholzte Fläche in Mato Grosso 2004 auf 12 000 Quadratkilo-
gibt es viele im mittleren Westen.                                       meter angestiegen war. Umweltschützer beschuldigten die Soyafar-
                                                                         mer, sie würden durch ihre aggressive Expansion und den Bau von
 Die Landwirtschaft ist heute für einen Viertel des Bruttoinlandpro-     Strassen der Abholzung Vorschub leisten. Blairo Maggi zeigte nicht
 dukts Brasiliens verantwortlich. Gemäss Schätzungen hängt einer         die geringste Sorge. In einem Interview mit der «New York Times»
 von drei Arbeitsplätzen von der Landwirtschaft ab. Die Soyapro-         sagte er 2003, dass der Anstieg nichts zu bedeuten habe und er keine
 duktion nehme aus wirtschaftlicher Sicht eine ausserordentliche         Reue empfinde für das, was in Mato Grosso geschehe – Amazonien
 Stellung ein, sagt Daniel Latorraca Ferreira vom Imea, da sie ein       sei schliesslich grösser als Europa.
 ganzes Cluster schaffe. Gemeint ist, dass rund um den Anbau von            Ab 2006 sank die Abholzungsrate allerdings rasant. Grund war
 Soya eine verarbeitende Industrie entsteht: Die Bohne wird zu           nicht die «Goldene Kettensäge», sondern eine andere Kampagne:
Schrot und Öl verarbeitet, die wiederum die Grundstoffe für die          Greenpeace dokumentierte, wie Soya von abgebrannten Urwald-
Lebensmittel- und Fleischindustrie, den Chemie- oder Energiesek-         flächen via den Zwischenhändler Cargill als Futtermittel in eine
tor liefern. Laut den Berechnungen des Imea basieren in Brasilien        Hühnerfabrik und von dort aus als Chicken Nuggets in eine Filiale
heute neben den 340 000 Direktbeschäftigten rund 1,5 Millionen           von «McDonald’s» in London gelangte. Lebensmittelhersteller und
weitere Arbeitsplätze auf der Soyaproduktion.                            Supermarktketten kündigten sofort an, keine Soya mehr von den
   Die Kleinstadt Nova Mutum lebt von dieser Wertschöpfungs-             Händlern zu kaufen, die aus Brasilien stammte, es sei denn, es könne
kette. Mit Hilfe von Steueranreizen ist es der Gemeinde gelungen,        nachgewiesen werden, dass sie nicht von neuen Rodungsflächen
verschiedene Industrieunternehmen anzusiedeln. Das schafft Ar-           stamme. Die brasilianische Soyabranche lenkte ein und kündigte
 beitsplätze und bringt Steuereinnahmen.«Wir wollen möglichst viel       ein freiwilliges zweijähriges Moratorium für Soya an, die die Aufla-
 Wertsteigerung generieren», erklärt Oduvaldo Lopes Ferreira, Sekre-     gen nicht erfüllt. Das Moratorium existiert auch heute noch. Und
 tär für Industrie und Gewerbe von Nova Mutum.«Keine Soyabohne           Blairo Maggi ist – vom Markt bekehrt – zum Verfechter des Wald-
 soll ertraglos die Stadt verlassen.»                                    schutzes mittels Entschädigungszahlungen geworden.
    Die wirtschaftliche Bedeutung lässt erahnen, welche Macht               Aber die Abholzung ist nicht gestoppt und nach wie vor ein
 hinter dem Agrarsektor steckt. Nicht umsonst werden die grossen         heikles Thema in Mato Grosso. Meist wird darauf verwiesen, wie
 Unternehmer der Branche Könige oder Barone genannt. Da die              viel Wald noch steht: «Die geschützte Waldfläche in Mato Grosso
 meisten Wähler in Grossstädten leben, kümmerte sich die Politik         beträgt 62 Prozent. Das entspricht der Fläche Frankreichs und Bel-
 jedoch lange Zeit herzlich wenig um ihre Belange. In Mato Grosso        giens», rechnet auch Daniel Latorraca Ferreira vom Imea vor und
 sollte sich das 2003 ändern, als Blairo Maggi Gouverneur wurde.         verweist auf das strenge Forstgesetz, das Landbesitzern den Erhalt
 Zielstrebig ging Maggi ans Werk und räumte auf mit der Bürokratie,      von Reserveflächen vorschreibt.
 die – wie er bis heute sagt – jenen im Weg stehe, die etwas bewegen        Der Druck auf den Wald ist nicht das einzige Problem, das die
 wollten. Mit Hilfe privater Investoren begann er, die Infrastruktur     landwirtschaftliche Ausdehnung mit sich bringt. Die Region im
 des Gliedstaates zu verbessern. Innerhalb von 20 Monaten stieg der      südlichen Amazonien, die sogenannte Fronteira agrícola, ist auch
 Anteil der asphaltierten Strassen in Mato Grosso um 50 Prozent.         für Landkonflikte bekannt. Die Grossgrundbesitzer vertreiben
 2006 richtete er einen Fonds ein, der den Aufbau eines Dachver-        Kleinbauern und Landlose. Gleichzeitig dringen sie in Regionen
 bandes der Soyaproduzenten namens Aprosoya ermöglichte, der            vor, die Urvölkern gehören oder einst gehört haben. Da die Staats-
 ihm den Rücken stärkt.                                                 gewalt kaum präsent ist, gilt oft das Gesetz des Stärkeren. Farmbeset-
    Eines der Hauptanliegen von Aprosoya ist der Ausbau der In-         zungen, Strassenblockaden und auch Gewaltverbrechen sind keine
 frastruktur. Wer auf den Strassen in Mato Grosso unterwegs ist,        Seltenheit. Und nehmen sogar zu. Darüber hinaus werden jedes

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                    Soyaboss und Senator Blairo Maggi: Eine Auszeichnung wie die «Goldene Kettensäge» lässt ihn kalt.

Jahr aus Landwirtschaftsbetrieben Hunderte Arbeiter aus sklaven-             Mato Grosso spiele dabei eine sehr wichtige Rolle, sagt André
ähnlichen Arbeitsbedingungen befreit. Obwohl sich die grossen             Pessoa von Agroconsult, denn Soyaplantagen könnten sich dort auf
Unternehmen um soziale Verantwortung bemühen, trifft es auch              den bestehenden Weideflächen ausdehnen.Eine weitere Region,die
sie. Die Gruppe Bom Futuro von Eraí Scheffer, Blairo Maggis Cou-          in den Fokus gerückt ist, liegt im Landesinnern des Nordostens. Die
sin, stand 2008 unter Anklage, weil auf einer gepachteten Farm 41         Gegend muss zwar grösstenteils noch in Kulturland transformiert
Arbeiter ohne Schutzausrüstung Schädlingsbekämpfungsmitteln               werden, ist wegen ihrer Küstennähe aber aus logistischen Über-
ausgesetzt waren.                                                         legungen interessant. Anders als vor dreissig Jahren werden die
                                                                          Pioniere diesmal allerdings keine Bauernfamilien aus Südbrasilien
Inwiefern sich die Probleme mit dem Wachstum des brasilianischen          mehr sein, sondern Soyakönige aus Mato Grosso.
Agrarsektors verschärfen werden, ist nicht abzusehen. Die OECD
geht davon aus, dass Brasilien seine Nahrungsmittelproduktion bis
2020 um bis zu 40 Prozent ausbauen wird. Das Land verfügt derzeit
über rund 62 Millionen Hektaren genutztes Kulturland, was 8 Pro-
zent der Landesfläche entspricht. Laut Daten der Weltbank beläuft
sich die zusätzlich nutzbare Fläche auf 45 Millionen Hektaren, wo-
von sich rund die Hälfte für den Soyaanbau eignet.
   Gemäss den Prognosen der Beratungsfirma Agroconsult wird
sich die mit Soya bewirtschaftete Fläche in Brasilien bis 2020 von
heute 24 auf 32 Millionen Hektaren ausweiten. Bei einer gleichzei-
tigen Produktivitätssteigerung von knapp 2 Prozent wird Brasilien
jedes Jahr rund 6 Prozent mehr Soya produzieren und 2020 eine
Produktion von über 111 Millionen Tonnen erreichen.                       TJERK BRÜHWILLER ist Korrespondent der NZZ; er lebt in São Paulo.

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                            DIE GUTE SOCKE
Henry Ford propagierte das Soyaauto und trug Soyaanzüge. Seine Ideen gerieten rasch
      in Vergessenheit. Doch nun kommen T-Shirts, Designerkleider und Socken
 aus Soya. Und damit die Erfüllung grüner Träume? VON BURKHARD STRASSMANN

           Polyvalenter Rohstoff: Chinesische Fabrikarbeiter sortieren Soyabohnen für die Weiterverarbeitung.

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 Sie ist seidenweich. Ihr Sitz ist perfekt. Auch in einer Business-           ler Garne und Stoffe «aus Bambusfasern» an, aus denen zum Beispiel
 umgebung müsste man sich nicht schämen. Der Preis ist beschei-               Bambussocken hergestellt wurden. Das hörte sich alles ziemlich
 den – drei Paar kosten im Internet 5 Franken 50. Auf der Sohle               grün und nachhaltig an. Umweltfreundliche Läden legten Bambus-
 prangt fett und weiss der Aufdruck «Soya». Gratis dazu gibt es die           textilien in die Regale, ökologisch orientierte Modelabels entwarfen
 Anmutung «öko». Und die Verheissung «antibakteriell,riecht nicht».           Bamboo-Mode. Bis die Chinesen aufflogen: Auch sie hatten einfach
    Die Soyasocke ist das Symbol für das Eindringen der asiatischen           nur Viskosegarne produziert, zwar aus Bambuszellulose, aber eben
 Bohne in den letzten soyafreien westlichen Lebensbereich: unse-              auch nur Kunststoff. Von wegen Natur.
 ren Kleiderschrank. Gequirlte Soyabohnen als Tofu sind allseits be-             Der jüngste Textiltrend für die umweltbewusste Kundschaft, die
 kannt. Unsere Zungen und Mägen kennen mittlerweile Soyamilch,                nach nachwachsenden Rohstoffen fragt und sich über Recycling
 Soyaöl, Soyasauce. Niemand wundert sich, wenn er an der Biodie-              und die Kompostierbarkeit von Produkten den Kopf zerbricht, sind
 sel-Zapfsäule Soyaöl tankt. Selbst Soya-Polyurethane gibt es, aus            Proteingarne. Im Rennen sind aktuell das Soyaproteingarn aus Chi-
 denen man Schaumstoffmatratzen und Polsterungen macht oder                   na, aus dem die im Internet bestellten Soyasocken sind, und ein
 Soyadämmschaum zur Isolierung von Häusern. Nun also: Socken                  Garn mit tierischem Ursprung: «Milchseide».
 und T-Shirts aus Soya, Mützen und Unterwäsche, Decken und sogar
 Designerkleider aus der nachwachsenden Bohne.                                München, Isartor. Hier residiert die Popp und Pschorr Produkt-
    Es war der Automobilhersteller Henry Ford, der in den vierziger           innovation GmbH, Geschäftsbereiche Werbung und Produktideen.
 Jahren des vergangenen Jahrhunderts als erster das ganze Poten-              Vor Jahren – damals bedruckte, bestickte und bestrasste Popp und
 tial der Bohne erkannte und eine Vision entwickelte. Der Soya-               Pschorr noch T-Shirts, die über Dauerwerbesendungen im Fernse-
milchtrinker Ford träumte davon, die erdölbasierten Kunststoffe               hen verkauft wurden – entdeckte der Grafikdesigner Albert Pschorr
durch Biopolymere, also mit Pflanzenöl erzeugte Kunststoffe, zu                auf einer Pariser Textilmesse einen berückend weichen Stoff aus
ersetzen. Vor allem hatte er das billige Soyaöl im Auge. Sein persön-         China. Ein zartgelber, leichter, hauchdünner Tricotagestoff, kühl auf
licher Beitrag war ein Auto auf Pflanzenbasis: der «Soybean Car».              der Haut. Doch für Pschorrs T-Shirts zu teuer. Er nahm trotzdem
    Beim Prototyp des Soyaautos wurde ein Kunststoff benutzt,                 eine Probe mit.
 zu dessen Herstellung mit Hanf, Kork, Algenöl und Ramie expe-                    Spätere Recherchen ergaben: Dieser Stoff aus Soyabohnen soll
 rimentiert wurde. Ramie («Chinagras») ist die Pflanze, mit deren              antibakteriell wirken. Konkret, gaben die chinesischen Produzenten
 gewobenen Fasern schon ägyptische Mumien eingehüllt wurden.                  an, soll er Staphylococcus aureus, den berüchtigten «Krankenhaus-
 Am Ende hatte Ford einen Biokunststoff, der seine Festigkeit durch           keim», attackieren, dazu Darmbakterien und Pilze, die für Menschen
 eingelegte Soyafasern gewann. Und schon damals liess der Soyafan             mit schlechter Immunabwehr ein Problem darstellen.Zum Beispiel
 aus Soyabohnen auch eine textile Faser entwickeln. Daraus liess er           Diabetiker. Da hatte Pschorr eine Produktidee: Antibakterielle Tex-
 die Sitzbezüge des Soybean Car weben.                                        tilien, die müssten laufen. Socken für die Schweissfussjugend.Medi-
    Ford war sich nicht zu schade, zur Propagierung seiner Idee in            zinische Spezialanfertigungen für Diabetiker und Neurodermitiker,
 einem Soyaanzug mit passender Soyakrawatte herumzulaufen. Er                 deren schlecht heilende Wunden gern von Pilzen oder Bakterien
 trat als Soyamissionar auf. Dass wir den Mann heute nur noch als             besiedelt werden.
 Prediger der Fliessbandarbeit kennen, liegt am Ausbruch des Zwei-                Heute lässt Pschorr vorwiegend extraweite und rutschfeste Dia-
 ten Weltkriegs. Spielereien wie das Soyaauto waren da nicht mehr             betikersocken in Ankara produzieren. Er verkauft sie übers Internet
 möglich. Auch das Soyagarn geriet in Vergessenheit.                          und über Sanitätshäuser für 13 Euro 90 das Paar. Nicht, dass sie
    Neue, rein synthetische Fasern wie Nylon entwickelten sich ra-            weggingen wie heisse Semmeln – aber das Geschäft läuft. Denn die
 sant und wurden billiger. Ungern erinnern wir uns an die zwar                Medizinsocken kann man auch auf Rezept bekommen. Seine ge-
 schnell trocknenden und bügelfreien, aber leider luftundurchlässi-           ruchsreduzierende Inkontinenzunterwäsche dagegen läuft schlecht,
 gen und schnell müffelnden Nylonhemden der Sixties. Irgendwann               vielleicht, mutmasst der Hersteller, weil sie, in diesem Kontext pro-
 wollte man dann doch wieder mehr Natur. Viskose wurde modern,                blematisch, in Soyagelb gehalten ist.
 seidenglänzend und glatt, immerhin hergestellt aus Holz- und Pflan-               Der Münchner Sockenmacher hat die antibakterielle Wirkung
 zenresten. Das war doch Natur pur! Nur: Als Umweltfreunde die                der Soyasocken von der Technischen Universität München in einer
 Viskoseherstellung genauer untersuchten, stellten sie fest, dass die         Vorstudie testen lassen – und tatsächlich: Die Zahl der Kranken-
 Pflanzenfaser dabei so lange mit aggressiven und gefährlichen Che-            hauskeime an den Füssen eines Probanden verringerte sich in drei
 mikalien traktiert wird, bis an ihr nichts mehr Natur, stattdessen           Tagen um den Faktor 10, beim zweiten Probanden sogar um den
 alles Kunst ist. Die Produktion ist dermassen umweltbelastend, dass          Faktor 18. Die medizinische Wirkung beruht indes nicht auf einer
 Viskose in Europa heute gar nicht mehr hergestellt wird. Das war             geheimnisvollen Strahlung oder Esoterik. Bei der Garnherstellung
 definitiv kein Stoff für die neu entstehenden Ökoläden und die                wird die Soyamasse, die nach dem Auspressen des Öls übrigbleibt,
 überall auftretenden umweltbewussten Verbraucher. Viskose wurde              mit Säuren versetzt, wobei das vielfach gefaltete Eiweiss denaturiert,
 zum Schimpfwort.                                                             also aufgeknackt wird. Die entstandene Pampe kann nun mit un-
    Baumwolle, selbst Biobaumwolle, war schon längst in Verruf                terschiedlichen Wirkstoffen versetzt werden.
 geraten. Massenhafter Einsatz von Pestiziden, Insektiziden und                   Aus China heisst es, man gebrauche Mittel aus der traditionel-
 enormer Wasserverbrauch, dazu die Missachtung einfachster Um-                len chinesischen Medizin. Fachleute hierzulande tippen eher auf
 welt- und Sozialstandards bei Produktion und Verarbeitung – der              antibakteriell wirkende Kupfersalze. Danach presst man die Masse
 gewissenhafte Konsument wusste schon gar nicht mehr, womit er                durch ein gelochtes Blech und erhält einen medizinisch wirksamen
 sich kleiden sollte. Da boten vor einigen Jahren chinesische Herstel-        Endlosfaden. Ob der Faden aber auch ein Ökofaden ist, das fragt

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                                                                                                                                                                                                                  Adidas, der sich bei seinen Bemühungen, grün zu wirken, stark
                                                                                                                                                                                                                  auf die Soyabohne bezieht. Während bereits Muskeln mit Soya-
                                                                                                                                                                                                                  proteindrinks aufgebaut werden, ist nun auch die Tinte, mit der
                                                                                                                                                                                                                  die Schuhkartons bedruckt sind, auf Soyabasis hergestellt. Und na-
                                                                                                                                                                                                                  türlich bietet die Ökokollektion «Adidas Grün» Damenoberbeklei-
                                                                                                                                                                                                                  dung aus Soyagarn. Ist das alles nun gut für die Umwelt?
                                                                                                                                                                                                                     Ökozertifizierer meiden Biokunststoffe, und ein solcher ist die
                                                                                                                                                                                                                  Soyaproteinfaser aufgrund der chemischen Strukturveränderungen.
                                                                                                                                                                                                                  Immerhin ist der mitverarbeitete Polyvinylalkohol biologisch ab-
                                                                                                                                                                                                                  baubar und auch rezyklierbar. Der Emmenbrücker Garnspezialist
                                                                                                                                                                                                                  und Importeur Swicofil vermutet bei den chinesischen Faserher-
                                                                                                                                                                                                                  stellern eher sanfte Chemie am Werk: «Ihre Prozesse scheinen die
                                                                                                                                                                                                                  Proteine nicht zu killen.»

                                                                                                                                                                                                                  Was wird von Henry Fords Soyaträumen übrigbleiben? Vermutlich
                                                                                                                                                                                                                  nichts. Kaum ist das Material fünf Jahre auf dem Markt, setzt sich
                                                                                                                                                                                                                  die textile Avantgarde schon wieder ab. Modedesigner wie das Ams-
                                                                                                                                                                                                                  terdamer Studio Yux, eins der Vorzeigelabels der «grünen Mode»,
                                                                                                                                                                                                                  haben eine Zeitlang mit dem faszinierenden Material experimen-
                                                                                                                                                                                                                  tiert. Jetzt legen sie es wieder zur Seite. Die Garnproduktion sei
                                                                                                                                                                                                                  nach neueren Untersuchungen überhaupt nicht umweltfreundlich,
   Der intelligente                                                                                                                                                                                               heisst es bei Yux. Und Komodo aus London («ethische Mode») hält
                                                                                                                                                                                                                  das Material zwar für sehr schön, aber zu teuer. Daneben sei es für

 Mehrwert für Unter-                                                                                                                                                                                              die Sommerkollektion zu schwer, und es zeige nach Tragen und
                                                                                                                                                                                                                  Waschen einen Pilling-Effekt. Kleine Knötchen bilden sich auf der
                                                                                                                                                                                                                  Oberfläche, wie man sie von Wollpullovern kennt. Das Pilling kann
nehmer, Manager und           10CEXLOQ6AMAwEwBclWi82SXCZo4oQAsT_n4JEQzHlzOkW8al9v_vpAqgFSUaqs6S4Llk8q8ScSzFHohLCTRJJoxb_Q6gtXMAAHkg82ngB1yVQMmAAAAA=
                                                                                                                                                                10CAsNsjY0MDAx1TU0NzUyMgEAAQpuYw8AAAA=

                                                                                                                                                                                                                  man verhindern, aber nur mit noch mehr Chemie. Andernorts wird
                                                                                                                                                                                                                  kritisiert, Soyaproteingarn lasse sich schlecht färben – es sei denn,
erfolgreiche Anleger.                                                                                                                                                                                             man bleiche es zuvor. Mit der Chemiekeule.
                                                                                                                                                                                                                     Die Suche nach der idealen, natürlichen, nachwachsenden, ohne
                                                                                                                                                                                                                  Chemie herzustellenden Textilfaser geht weiter. Algeneiweiss ist im
     «NZZ Equity» erscheint jeden Donnerstag                                                                                                                                                                      Gespräch. Selbst Tierkadaver, die seit der Rinderseuche in vielen
   als ergänzender Bund zum Wirtschaftsteil der                                                                                                                                                                   Ländern nicht mehr zu Futter verarbeitet werden dürfen, werden
     «Neuen Zürcher Zeitung» sowie monatlich                                                                                                                                                                      ins Auge gefasst. Sie beinhalten jede Menge Eiweiss und könnten
 als Special im Magazinformat, begleitet von einer                                                                                                                                                                Rinder- oder Schweineseide liefern.
           hochkarätigen Veranstaltung.                                                                                                                                                                              Doch vielleicht kommt auch die Milch zum Einsatz. Milch-
                                                                                                                                                                                                                  eiweissfasern gibt es seit Jahrzehnten. Schon produziert eine Shang-
                                                                                                                                                                                                                  hai Milk-Fiber Technology Co., Ltd. das ungewöhnliche Material für
Testen Sie das Probeabo                                                                                                                                                                                           den Weltmarkt. Und soeben hat eine norddeutsche Modedesignerin
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                                                                                                                                                                                                                  und studierte Biologin gemeinsam mit dem Bremer Faserinstitut
10 Wochen lang für nur Fr. 65.– inklusive Zugriff auf alle digi-
talen Angebote. SMS mit Keyword NZZ41 sowie Namen und
                                                                                                                                                                                                                  eine chemiefreie Methode entwickelt, aus Molkereiabfällen einen
Adresse an Nr. 5555 senden (20 Rp./SMS); www.equity.nzz.ch                                                                                                                                                        Faden zu spinnen. Genauer: aus dem Milcheiweiss Kasein.
oder Telefon 044 258 15 30.                                                                                                                                                                                          Die «Milchseide» wirkt vielversprechend. Nur für Socken wird
                                                                                                                                                                                                                  sie Soya nicht ersetzen können. Kasein erinnert denn doch zu stark
Testen Sie das Probeabo «Digital»                                                                                                                                                                                 an problematische Geruchserlebnisse mit getragenen Socken.
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                                                                                                                                                                                                                  BURKHARD STRASSMANN ist Autor der «Zeit»; er lebt in Bremen.

                                                                                                                                                                                                                                            FOLIO 8 / 2012
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                                                                   SOYA

                               JAPAN IN FRIESLAND
               18 Millionen Liter Soyasauce braut Kikkoman jährlich für uns Europäer.
                    Die Nachfrage steigt stetig. VON HARALD WILLENBROCK

Am Ortsrand stehen Holsteiner Rinder knietief im sattgrünen Wie-             mit Milchsäurebakterien fermentierte Soyapaste nutzten, um ihre
sengras, Austernfischer picken zwischen ihren Beinen mit signal-              eintönige, zumeist auf Reis basierende Nahrung aufzupeppen. Erst
roten Schnäbeln nach Beute. Kanäle mit tiefschwarzem Wasser                  im 6.Jahrhundert nach Christus soll ihre kulinarische Innovation
durchziehen das platte Land, alle paar Kilometer von einer schnee-           dann im Gepäck buddhistischer Mönche nach Japan gelangt sein.
weissen hölzernen Zugbrücke unterbrochen, bevor sie hinterm                  Dort wurde der Sauce neben Soya zu gleichen Teilen gerösteter
scheinbar endlosen Horizont verschwinden. Durch Hoogezand-                   Weizen beigegeben, was ihr einen milderen Geschmack und eine
Sappemeers Strassen weht der salzig-würzige Geruch von Gras, Tang            dünnflüssigere Konsistenz als ihrem chinesischen Schwesterpro-
und der nahen Nordsee. Nichts deutet darauf hin, dass die friesische         dukt verleiht. Ausserdem wird Shoyu, wie die japanische Variante
Kleinstadt der japanischste Flecken Europas ist.                             heisst, nach der Fermentation auch noch unter Zugabe von Hefe
   Am Rande der 35 000-Einwohner-Gemeinde reift ein asiatischer              gebraut. Allein in Japan tun dies heute etwa 1500 kleinere und grös-
Exportschlager. In einem grauen, von hüfthohen Zäunen umfrie-                sere Shoyu-Brauereien nach ganz unterschiedlichen Rezepten. Die
deten Fabrikquader braut der japanische Saucenmulti Kikkoman                 dickflüssige, süsslich-rauchige «Marumata Owarino Tamari»-Sauce
seine Soyasaucen für europäische Konsumenten. Täglich rollen                 beispielsweise wird aus japanischen Soyabohnen gebraut und drei
Lastzüge mit deutschem Weizen und brasilianischer Soya auf den               Jahre in Zedernholzfässern gelagert. Die «Kanro Shoyu» wieder-
gepflasterten Fabrikhof, während andere, beladen mit Soyasauce                um, die teuer und in Europa kaum zu bekommen ist, wird doppelt
nach Kasachstan,Irland,Finnland,Malta oder irgendwo dazwischen               fermentiert. Daneben gibt es natürlich noch chinesische Varianten
starten. 18 Millionen Liter Soyasauce im Jahr braut der Weltmarkt-           sowie einfache industrielle Soyasaucen, bei denen die Proteine der
führer in Friesland zusammen, das entspricht 118 Millionen der               Soyabohnen nicht durch Mikroorganismen, sondern chemisch un-
charakteristischen Kikkoman-Flaschen mit gewölbtem Bauch und                 ter Einsatz von Salzsäure aufgebrochen werden.
roter Kappe, die für Europäer zum Sushi gehören wie Bambusstäb-
chen und Wasabipaste.                                                        «Soyasauce» als Sammelbegriff ist also etwa so unscharf wie die
    «Und das», sagt Peter Deeg, «ist schon einmal der erste Irrtum.»         Überschrift «Wein» für ein Getränk mit Tausenden unterschiedli-
Deeg, ein grossgewachsener Lebensmittelmanager, der früher in                chen Provenienzen, Herstellungsphilosophien und Geschmacks-
Diensten der Knorr-Suppenköche stand, ist Kikkomans «Senior                  richtungen. Auch sonst gibt es einige Parallelen zu Europas Tradi-
Manager Food Services & Industry» mit Sitz in Düsseldorf. Deeg               tionsgetränken. Lebensmitteltechnisch gilt Soyasauce nämlich als
ist Kikkomans Statthalter für den europäischen Markt, was eine               Würzwein. Und ganz ähnlich dem deutschen Bierreinheitsgebot
ziemlich erbauliche Aufgabe ist. Rund 280 Jahre nachdem ein                  wird sie traditionell nur aus natürlichen Zutaten gewonnen, näm-
Schiff der niederländischen Ostindienkompanie die ersten 35 Fässer           lich Soya, Weizen, Wasser und Salz.
Soyasauce in der Alten Welt abgeladen hat, läuft das Europageschäft             Aus diesen Inhaltsstoffen begannen irgendwann im 17.Jahrhun-
prächtig. Der Schweizer Markt beispielsweise wächst seit 15 Jahren           dert auch die Familien Mogi und Takanashi aus dem japanischen
ununterbrochen, im Schnitt schlucken die Schweizer jedes Jahr 2              Noda, Shoyu zu brauen. Nachdem sie mehr als 250 Jahre fermen-
Prozent mehr Kikkoman-Sauce, dabei sind sie mit einem Konsum                 tiert und vermarktet hatten, legten die Mogis und Takanashis ihre
von durchschnittlich 150 Millilitern heute bereits Europameister.            Unternehmen 1917 zu einem gemeinsamen zusammen. Sein heu-
«Je mehr sich die schnelle, frische, gesunde Küche durchsetzt», froh-        tiger Name, Kikkoman, setzt sich aus dem japanischen «man» für
lockt Deeg, «umso grösser wird automatisch unser Markt.» Und                 10 000 und «kikko» für Schildkrötenpanzer zusammen und heisst
mit jeder neuen Sushi-Bar, die irgendwo zwischen Lappland und                also wörtlich «10 000 Schildkrötenpanzer». In der japanischen My-
Sizilien aufgeht, eröffnet gleichzeitig ein weiterer Kikkoman-Store.         thologie ist die Schildkröte, deren Panzer sich auch im sechsecki-
                                                                             gen Kikkoman-Logo widerspiegelt, ein Symbol für Langlebigkeit.
Dabei ist das «Ketchup des 21.Jahrhunderts», wie es die «Frankfurter         «Kikkoman» steht also für nichts anderes als den frommen Wunsch
Allgemeine Sonntagszeitung» nannte, eigentlich gar kein japani-              nach einem langen, glücklichen, erfolgreichen Leben. Zumindest
sches Produkt. Es waren Chinesen, die vor mehr als 2500 Jahren eine          die Herstellerfirma selbst scheint dabei auf gutem Kurs. Trotz rasan-

                                                              FOLIO 8 / 2012
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