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16 SOYA Karriere einer Bohne DIE WUNDERBOHNE «ALLE SIND SÜCHTIG DANACH» DIE GUTE SOCKE JAPAN IN FRIESLAND DIE KUH ZUR SAU GEMACHT DER GROSSE WANDEL SCHWEIN SÜSS-SAUER DIE BESSER-ESSER FOLIO 8 / 2012
18 SOYA DIE WUNDERBOHNE Mönche erhofften sich von der Soyabohne eine verminderte Libido, die Nazis wollten mit ihr Blitzkriege gewinnen und die Hippies den Weltfrieden herbeikochen. VON DIRK ASENDORPF Kleine Sprosse mit grossen Nebenwirkungen. FOLIO 8 / 2012
19 SOYA Der Bericht liest sich, als ginge es um die Künste eines begnadeten waren für die Zen-Mönche tabu, im Tofu erkannten sie die ideale Winzers. «Man lässt die Mixtur einen Tag und eine Nacht abgedeckt Nahrung für diese Regeln. Die östrogenähnlichen Pflanzenhormo- an einem warmen Platz stehen», schreibt Engelbert Kaempfer in ne der Soya reduzierten bei Männern Libido und Zeugungsfähig- «Amoenitatum Exoticarum», seinem 1712 veröffentlichten Buch keit, hiess es. Ausserhalb der Klostermauern wurde Tofu erst im der exotischen Neuigkeiten. «Die Masse wird gepresst und gefiltert. 18.Jahrhundert populär, wenn auch nur als eine von vielen Zutaten Die Flüssigkeit wird in hölzernen Gefässen aufbewahrt. Je länger sie eines vollständigen japanischen Essens. lagert, desto klarer und schmackhafter wird sie.» Als Grundnahrungsmittel waren Soyabohnen wenig geeignet, Es war das erste Mal, dass der Westen ein – wenn auch leicht denn ihre Aufbereitung zu Essbarem ist vergleichsweise umständ- fehlerhaftes – Rezept für die Zubereitung japanischer Soyasauce lich. Rohe Soya enthält verschiedene Gifte, zum Beispiel SBTI, den erfuhr. Zwar hatte man schon seit einigen Jahrzehnten von Tofu, sogenannten Soyabohnen-Trypsin-Inhibitor. Er schützt die Pflanze Miso und anderen merkwürdigen Speisen aus Fernost gehört, wor- vor Schädlingen, indem er ihre Verdauungsenzyme hemmt, kann aus und wie sie hergestellt wurden, war in Europa jedoch völlig aber auch den menschlichen Stoffwechsel empfindlich stören. Erst unbekannt. Erst der Universalgelehrte aus dem westfälischen Städt- langes Kochen, aufwendige Fermentation oder das Raffinieren des chen Lemgo lieferte zwanzig Jahre nach der Rückkehr von seiner Soyaöls zerstören das Gift. Asienreise eine detaillierte Beschreibung der Soyapflanze und ihrer vielfältigen Nutzung. Heute, genau dreihundert Jahre später, finden sich Soyasauce, Hippies lieben Tofu Soyamilch oder Soyawurst ganz selbstverständlich in den Regalen jedes westlichen Supermarkts. Auch in unserem Steak, Schnitzel Die Verwendung der Soyabohne als Lebens- und Futtermittel war oder Pouletschenkel steckt Eiweiss aus dem Soyaschrot. Margari- denn auch über Jahrtausende nur ein Nebeneffekt ihrer eigentli- ne, Eis und rund 30 000 weitere industriell erzeugte Lebensmittel chen Nutzung als Dünger. Im Unterschied zu anderen Pflanzenar- enthalten Bestandteile der Soyabohne. Selbst in manchem Tank ten sind die meisten Leguminosen wie Lupine, Erbse oder Soyaboh- gluckert Soyaöl, in der Schweiz bis anhin zwar nur in Spuren, in ne nicht auf Stickstoff im Boden angewiesen. Im Gegenteil: In ihren den Nachbarländern macht es aber bis zu einen Viertel des Bio- Wurzelknöllchen siedeln Bakterien, die den Stickstoff direkt aus der diesels aus. Luft aufnehmen und an die Pflanze weitergeben. Im Fruchtwechsel spielen Leguminosen deshalb eine wichtige Rolle für den Erhalt der Bodenqualität. Werden die Reste der Soyapflanze nach der Bohnen- Mehrere Ursprungsländer ernte untergepflügt, erhöhen sie im folgenden Jahr den Ertrag beim Getreideanbau. Und die Pressrückstände aus der Soyaölgewinnung Den Nutzen der braunen Soyaschoten mit ihren bis zu fünf erbsen- sind ein idealer Dünger für Reisfelder. grossen Samen hat die Menschheit schon früh erkannt. In Nord- Anbau und Verwendung der Soyabohne blieben über Jahrtausen- china haben Archäologen Soyasamen entdeckt, die vor rund 9000 de auf Ostasien beschränkt. Der Nordosten Chinas spielte dabei die Jahren zum Verzehr geröstet worden waren. Auch die gezielte Zucht Hauptrolle, von dort wurde Soya in die gesamte Region verschifft, ertragreicher Pflanzen hat eine lange Tradition. Bereits vor 5000 allerdings nur in kleinen Mengen. Das änderte sich erst zu Beginn Jahren konnten japanische Bauern deutlich grössere Bohnen ernten, des 20.Jahrhunderts, dann aber rasant. Von 1900 bis 2010 schoss die wenig später schafften das auch ihre Kollegen in China und Korea. weltweite Erntemenge um sagenhafte 4000 Prozent in die Höhe, von Die Wissenschaft glaubt deshalb nicht mehr an einen einzigen 6 auf 250 Millionen Tonnen im Jahr. «Kein Agrarprodukt hat jemals geographischen Ursprung der Nutzpflanze.«Unsere Ergebnisse stüt- ähnlich dramatische Wachstumsraten erreicht wie der weltweite zen die jüngst auch von Genetikern geäusserte Sichtweise, dass die Soyaanbau», schreiben William Shurtleff und Akiko Aoyagi in ihrer Soyazucht an verschiedenen Orten Ostasiens unabhängig voneinan- über 2500 Seiten umfassenden «Geschichte der Soya». der begonnen hat», schreibt eine Gruppe von fünf Anthropologen Der inzwischen 71jährige Shurtleff und seine 62jährige in Japan und Archäologen aus den USA, Kanada, Japan und China. geborene Partnerin haben sich in die Tiefen des Themas vergraben Als Engelbert Kaempfer durch Indonesien, China und Japan wie niemand sonst. Seit 1972 haben Shurtleff und Aoyagi – nach ei- reiste, stiess er überall auf Soyagerichte. Ein Grundnahrungsmittel, genen Angaben – 75 000 Dokumente zusammengetragen, fast 6000 vergleichbar mit Reis oder Weizen, war das Leguminosengewächs Interviews geführt, eine Datenbank mit über 15 000 Soyaprodukten jedoch nie. Meist wurde es nur nach langsamer, monatelanger Fer- angelegt und 66 Bücher veröffentlicht. Das populärste davon, ein mentation als Zusatz- oder Würzstoff ins Essen gerührt. «Miso ist 1978 erstmals erschienenes Kochbuch mit 500 Tofurezepten, hat eine Art Brei, der Gerichten anstelle von Butter zugefügt wird, die sich bis heute über 600 000 Mal verkauft. «Die Bücher laufen so gut, unter diesem Himmelsstreifen gänzlich unbekannt ist», berichtete dass ich in meinem Leben nie etwas für Geld machen musste», sagt Kaempfer, «und die berühmte Soyasauce wird, wenn nicht gleich Shurtleff zufrieden. Als Absolvent der kalifornischen Eliteuniversi- über alle, dann doch zumindest auf alle gekochten und gebrate- tät Stanford wollte und musste er nicht im Wissenschaftsbetrieb nen Speisen gekippt.» Tofu, das vermeintlich wichtigste japanische arbeiten, Aoyagi ist gelernte Modedesignerin. Ihre Beschäftigung Soyaprodukt, erwähnte er überhaupt nicht. mit der Soyabohne hat einen politischen und einen ethisch-religiö- Der blasse und weitgehend geschmacklose Wackelkuchen aus sen Hintergrund – kein seltenes Motiv der modernen Begeisterung dem geronnenen Eiweiss der Bohne war damals in China zwar für die ostasiatische Pflanze und ihre Produkte. Untypisch ist die schon seit einigen Jahrhunderten bekannt, kam in Japan aber wohl unvoreingenommene Akribie, mit der die beiden Soyaexperten zu nur in buddhistischen Klöstern auf den Tisch. Fleisch, Fisch und Sex Werke gehen. Sie speist sich aus dem Zen-Buddhismus, den bei- FOLIO 8 / 2012
20 SOYA de praktizieren. Der Amerikaner Shurtleff hatte Mitte der 1960er Öl. All das hatte die Soyabohne zu bieten. In der Mandschurei schoss Jahre als Lehrer in Nigeria gearbeitet und für kürzere Zeit auch die Produktion nach oben, schon nach wenigen Jahren hatte die bei Albert Schweitzer in Lambarene. Nach der Rückkehr in seine weitgehend autonome Region das chinesische Kernland als Haupt- Heimat geriet er mitten ins Flower-Power-San-Francisco. Er zog sich produzent überrundet. Die Exporte gingen nach Japan und ab 1908 für zwei Jahre in das kalifornische Zen-Kloster Tassajara zurück und zunehmend auch nach Europa und in die USA. 1928 lebte über die begleitete dessen Gründer Suzuki Roshi nach Japan. Dort traf er Hälfte der mandschurischen Bevölkerung von Anbau und Verarbei- Akiko Aoyagi, die ihn die Geheimnisse der japanischen Tofuküche tung der Soyabohne. einweihte. Während Europa bis heute von Soyaimporten abhängig ist, fan- Es war die Zeit des Biafra-Kriegs, und der Stanford-Professor Paul den amerikanische Farmer schnell heraus, wie sie die Bohne selber Ehrlich hatte in seinem Bestseller «Die Bevölkerungsbombe» ge- anbauen konnten. Zunächst pflanzten sie Soya als Zwischenfrucht, rade weltweite Hungersnöte als Folge einer überbevölkerten Erde um mit der Stickstoffdüngung der untergepflügten Pflanze den vorhergesagt. «In Japan lernte ich die Zen-Kunst der traditionellen Maisertrag zu steigern. Doch nach der Erfindung des Haber-Bosch- Tofuherstellung kennen, am Anfang wollte ich sie einfach nur in Verfahrens zur chemischen Herstellung von Kunstdünger änderte die USA bringen», erinnerte sich Shurtleff Ende der 1970er Jahre in sich das rasant. Soya wurde zu einem der wichtigsten Rohstoffe der einem Interview, «doch dann erkannte ich, dass im Tofu die Lösung boomenden Chemie-, Agrar- und Lebensmittelindustrie. der Welternährungskrise liegt.» Und so sieht er es noch immer. Wür- Schon in den dreissiger Jahren des 20.Jahrhunderts überholten de die Menschheit ihre Soyaernte selber essen,anstatt sie zur Fleisch- die USA Japan und Korea beim Soyaanbau, kurz danach auch die produktion zu verfüttern, müsste niemand hungern. Denn auf dem Mandschurei und China. Seit 1948 sind die USA der weltgrösste Umweg über das Nutztier gehen über drei Viertel des Nährwerts Produzent, seit 1956 erzeugen sie sogar mehr als alle asiatischen verloren. «Kein Wunder, dass gerade die intelligentesten und am Länder zusammen. Ihren Ursprung im Fernen Osten hat die Soya- besten ausgebildeten Menschen im Westen zu Vegetariern werden.» bohne längst hinter sich gelassen. Heute dehnt sich jeden Sommer Nicht nur bei Shurtleff setzt Soya Erlösungsphantasien frei. Bis ein Soyameer von der Grösse Deutschlands im amerikanischen heute vergöttern Vegetarier und Viehzüchter, Gesundheitsapostel Mittelwesten. und Unterernährungsbekämpfer die Wunderbohne. Tatsächlich enthält Soya die wichtigsten Bestandteile menschlicher Ernährung in einmalig günstiger Kombination: 40 Prozent Eiweiss, 25 Prozent Adenauers Soyawurst Kohlehydrate, 20 Prozent Fett und 5 Prozent Mineralstoffe. Ausser- dem sind die Samen reich an Vitaminen und Lecithin, und Soyaöl Von der Schmierölherstellung über Lacke, Kunststoffe und Reini- hat einen hohen Gehalt mehrfach ungesättigter Fettsäuren, die der gungsmittel bis hin zum Nitroglycerin für den Bombenbau erwies menschliche Körper nicht selber herstellen kann. sich Soyaöl als idealer Rohstoff. Und die Pressrückstände aus den Manche Nutzpflanzen liefern, wie Kartoffeln, Weizen oder Reis, Ölmühlen waren das Kraftfutter der beginnenden industriellen vor allem Stärke. Zuckerrohr und Zuckerrübe enthalten, wie der Fleischproduktion. Mitte der 1930er Jahre hatte der Agrochemie- Name schon sagt, Zucker. In Linsen, Erbsen und Erdnüssen steckt konzern Archer Daniels Midland das sogenannte Toasting entwi- vor allem Eiweiss, in Raps und Sonnenblumen Öl. Soya bietet alles ckelt, ein industrielles Verfahren zur Entfernung der Giftstoffe im gleichzeitig. «Die Hausfrau kann lachen», hiess es 1932 in einer Re- Soyaschrot. Von nun an war Soya als Futtermittel und als Öl glei- klame für Berliner Soyamehl, «denn sie kann ihre Küchenausgaben chermassen gefragt. Mal stand die eine, mal die andere Nutzung im wesentlich ermässigen und trotzdem die Ihren besser ernähren als Vordergrund, doch die Gesamtentwicklung kannte immer nur eine bisher.» Richtung: mehr und noch mehr. Nur die Menschen in Europa und den USA rümpften vorerst noch die Nase. Der Nährwert all der neuen Soyaerzeugnisse, die auf Die Bohne erobert den Westen den Markt drängten, war zwar gut, der Geschmack aber bitter und fad. Selbst hochverarbeitete Produkte wie Margarine oder Schoko- Billig, nahrhaft, universell nutzbar – Anfang des 20.Jahrhunderts lade hatten eine muffige Note. Und bei falscher Zubereitung führte hatte zunächst Japan die unübertrefflichen Vorzüge des Multitalents Soyamehl zu Bauchschmerzen. Ausser bei Milcheiweissallergikern unter den Leguminosen für den entstehenden Industriestaat mit und einigen wenigen Fans exotischer Gerichte sorgten die Lebens- hohem Bevölkerungszuwachs erkannt, angespornt durch zwei mili- mittelprodukte der Wunderbohne für Enttäuschung. tärische Erfolge. 1895 hatte das Inselreich China besiegt, zehn Jahre Ernährungsgewohnheiten sind tief verankert, Menschen ändern später auch noch Russland. China musste daraufhin Zollerleich- sie nur ungern und langsam. Ausser im Krieg, denn dann gilt das terungen zugestehen, und nach dem russischen Rückzug bekam Motto: Hauptsache satt. Ihren ersten Boom als europäisches Le- Japan freien Zugang zu den endlosen Ackerflächen der fruchtbaren bensmittel erlebten Soyaprodukte denn auch tatsächlich im Ersten Mandschurei. Japans Soyahunger war gewaltig, angetrieben vom Weltkrieg. Brot und Suppen wurden mit Soyamehl gestreckt, die Düngerbedarf des rasch expandierenden Reisanbaus. deutschen Soyama-Werke brachten ein populäres, an Leberwurst Schnell sprachen sich die fast unglaublichen Qualitäten der exo- erinnerndes Fleischersatzprodukt auf den Markt. tischen Bohne nun auch im Westen herum. Die erste Welle der Auch kleinere Firmen und Einzelpersonen erforschten Einsatz- Globalisierung hatte die Handelswege geöffnet, die junge Industrie möglichkeiten der proteinreichen Pflanze. Einer von ihnen war verlangte nach gut und günstig ernährten Arbeitskräften, die Land- Konrad Adenauer, der spätere Gründungskanzler der Bundesrepu- wirtschaft nach Dünger, und die Chemiefabriken wollten billiges blik Deutschland. Im Ersten Weltkrieg leitete er das Ernährungsde- FOLIO 8 / 2012
21 SOYA zernat der Stadt Köln, entwickelte in seiner Freizeit eine Bratwurst, gegen das ebenfalls von Monsanto vertriebene Herbizid Roundup die zu vierzig Prozent aus Soyamehl bestand, und meldete sie zum mit dem giftigen Wirkstoff Glyphosat resistent, schon nach drei Patent an. Jahren hatte es über die Hälfte der Soyaanbaufläche in den USA Nach Kriegsende verschwanden die Ersatzprodukte schnell wie- erobert. Und kurz darauf setzten die transgenen Samen ihren Sie- der vom Markt. Erst der Zweite Weltkrieg brachte den Durchbruch. geszug auch in den südamerikanischen Soyagrossmächten Brasilien Der ungarische Ernährungswissenschafter Ladislaus Berczeller hatte und Argentinien fort. in der Zwischenkriegszeit eine Methode, das sogenannte Berczel- Heute wird in Nordamerika praktisch keine gentechnikfreie Soya lersche Verfahren, zur Verbesserung des Soyamehls entwickelt, das mehr angebaut, und auch im Süden des Kontinents sind nur noch nun als «Edel-Soya» vermarktet wurde. Das gelbliche,fast geruchlose Restflächen davon verschont geblieben. Zunächst führt das zu hö- Pulver hatte einen leicht süsslichen Geschmack, eignete sich zum heren Erträgen. Brotbacken, als Zutat in Suppen, Würsten und Hackbraten – und Langfristig könnte es aber mehr schaden als nützen. Denn die erschien als perfekte Verpflegung für Soldaten. Monopolisierung von Saatgut und zugehörigem Herbizid aus einer «Es ist tausendfach erbrachte Erfahrungstatsache, dass der Hun- Hand bringt landwirtschaftliche Betriebe in grosse Abhängigkeit ger der Truppe eines der wirksamsten Hemmnisse ist, die sich der vom Hersteller. Die genetische Vielfalt wird durch die unbeabsich- Erringung des Sieges in den Weg zu stellen vermögen», hiess es tigte Auskreuzung bestimmter Eigenschaften der genveränderten in einer 1941 in Deutschland veröffentlichten Untersuchung der Pflanzen und die Ausbildung von Resistenzen bei Unkraut und Lebensmittelversorgung im Krieg. Intensiv liess die Wehrmacht Schädlingen bedroht. Und Biobauern oder Imker befürchten die den militärischen Nutzen von Soyaprodukten zur Deckung der Verunreinigung ihrer eigenen Ernte, die sie dann nicht mehr als «Eiweisslücke» in den Feldküchen erforschen. Das Ergebnis waren Bioprodukt verkaufen können. neben Backwaren, Kakaogetränken und Wurstkonserven, die mit Wird genmanipulierte Soya erst einmal im Grossmassstab an- Soya gestreckt wurden, vor allem die sogenannten Pemmikan-Land- gebaut, ist es für eine Rücknahme zu spät – selbst wenn später ein jäger. Sie enthielten geräuchertes Fleisch, getrocknetes Obst, Molke, gravierender Nachteil der im Labor erzeugten Sorten auftauchen Tomatenmark, Hefeextrakt, grüne Peperoni, Preiselbeeren, Lecithin sollte. In vielen Agrarregionen ist dieser Point of no return längst und Vollsoyamehl und sollten schnell vorrückenden Truppenteilen überschritten. Drei Viertel der weltweit gut 100 Millionen Hekta- alle nötigen Nährstoffe in hochkonzentrierter Form liefern. So wür- ren grossen Soyafelder werden inzwischen mit transgenen Sorten den die Rucksäcke leichter und der Nachschub einfacher. bestellt. Und Asien, die Wiege der Wunderbohne, ist ihr grösster Nach der schnellen Eroberung Polens kamen die Pemmikan- Importeur geworden. So funktioniert der globale Soyahandel heute: Landjäger zu internationaler Berühmtheit. «Soya für den Blitzkrieg», Die USA beliefern den Weltmarkt zur Hälfte, China kauft ihn zu hiess es in den Medien, in den USA war von der «Nazi-Bohne» die fast 60 Prozent wieder leer. Rede. Das deutsche Militär übernahm den Begriff und brüstete sich Um Soyasauce, Tofu, Miso und all die anderen Spezialitäten der mit der internationalen Beachtung seiner Erfindung. traditionellen asiatischen Küche geht es dabei längst nicht mehr. Als die Soyalieferungen aus der Mandschurei nach dem Überfall Und auch die eiweissreiche Kost von Millionen moderner Vegetarier auf die Sowjetunion ausblieben, sollten die IG Farben, der damals fällt kaum ins Gewicht. Noch nicht einmal 3 Prozent der geernteten weltgrösste Chemiekonzern, für schnellen Ersatz sorgen. In den Soya landen direkt im Menschenmagen.Heute füttert Soya weltweit mit Deutschland alliierten Ländern Südosteuropas wurde der Soya- das Vieh – und stillt so in den USA, in Europa, Japan, Südamerika anbau massiv gefördert, die zuvor aus Asien importierten Mengen und auch im Reich der Mitte den Fleischhunger von immer mehr konnte er aber nie ersetzen. Menschen. Auch nach dem Krieg fasste der Soyaanbau in Europa nie wirk- lich Fuss. Nur in Italien, Frankreich, Rumänien und Ungarn wer- den nennenswerte Mengen geerntet. Soyaprodukte dagegen ste- hen heute weltweit auf dem Speiseplan von Mensch und Tier. Der Marshallplan von 1948 bis 1952 und ein kurz danach von Präsi- dent Eisenhower aufgelegtes und von seinem Nachfolger John F. Kennedy in «Food for Peace» umbenanntes, noch immer gültiges Gesetz zur Erleichterung von Agrarexporten erwiesen sich als mas- sive Subvention amerikanischer Soyaerzeugnisse.Menschen verzeh- ren sie vor allem in Form von Margarine und, nach dem Umweg über Kraftfutter und Viehzucht, als Fleisch. Triumph der Gentechnik Als Anfang der 1990er Jahre die Böden im amerikanischen Mit- telwesten nach einem halben Jahrhundert Soyaboom ausgelaugt waren und sich die Wachstumsraten abflachten, trat die Gentech- nikindustrie auf den Plan, allen voran der amerikanische Monsan- to-Konzern. Das von ihm entwickelte Saatgut Roundup Ready ist DIRK ASENDORPF ist freier Journalist; er lebt in Bremen. FOLIO 8 / 2012
22 SOYA «ALLE SIND SÜCHTIG DANACH» Brasilien stillt den wachsenden Hunger nach Soya. Die Anbaufläche ist sechsmal so gross wie die Schweiz. Die Frucht hat ein paar wenige unermesslich reich gemacht – auf Kosten der Ureinwohner und des Regenwaldes. VON TJERK BRÜHWILLER Soya ist der Treibstoff der industriellen Landwirtschaft: Ernte im brasilianischen Mato Grosso. FOLIO 8 / 2012
23 SOYA Nova Mutum ist keine typische brasilianische Kleinstadt. Das ge- Indien ist die Nachfrage nach dem Grundstoff gestiegen – und pflegte Stadtbild mit Alleen, Kreiselverkehr und Einfamilienhäusern damit auch die Preise. Brasilianische Landwirte setzen im grossen erinnert eher an eine adrette amerikanische Vorstadtgemeinde als Stil auf die Bohne. In den letzten beiden Dekaden sind die Produk- an eine Ortschaft tief im Westen Brasiliens. Seit dem Eintreffen der tionsmengen in die Höhe geschnellt – von 18,3 Millionen Tonnen ersten Pioniere vor dreissig Jahren hat sich hier einiges getan: Aus im Jahr 1985 auf knapp 70 Millionen Tonnen, was rund 29 Prozent der Siedlung an der Bundesstrasse BR 163, die die Provinzhauptstadt der Weltproduktion entspricht. Hinter den USA ist Brasilien heute Cuiabá mit Santarém am Amazonas verbindet, ist eine Stadt mit der zweitwichtigste Soyaproduzent. über 30 000 Einwohnern gewachsen. Mato Grosso spielt dabei eine wichtige Rolle. Regelmässige Nie- Den Bewohnern von Nova Mutum geht es gut. Die meisten derschläge und die intensive Sonneneinstrahlung zwischen dem 10. Häuser sind gross und modern. Auf den frisch geteerten Strassen und dem 20.Breitengrad bescheren den Produzenten Erträge wie wimmelt es von fetten Geländewagen. Auch die Gemeinde sieht kaum woanders. Ein Drittel der brasilianischen Soya stammt aus wenig Anlass zur Sparsamkeit und hat sich ein schickes Verwal- diesem Gliedstaat,der etwa doppelt so gross ist wie Frankreich. Wäre tungszentrum mit Gartenanlage gebaut. Seit 2001 hat sich das Brut- Mato Grosso ein eigenes Land, so wäre es der viertgrösste Soyapro- toinlandprodukt (BIP) von Nova Mutum auf 1,6 Milliarden Reais duzent der Welt. Auch in der Produktion von anderen Agrargütern (770 Millionen Franken) verzehnfacht.Mit einem BIP pro Kopf von wie Mais, Zuckerrohr, Orangensaft, Kaffee oder Fleisch gehört Bra- über 50 000 Reais belegt die Kleinstadt einen der Spitzenplätze in silien zu den Spitzenreitern. Gemessen am Handelsüberschuss von Brasilien. rund 58 Milliarden Dollar ist das Land mit Abstand der weltgrösste Zu verdanken hat sie das José Aparecido Ribeiro. 1966 kaufte Exporteur von Agrargütern. der Jurist aus São Paulo ein Grundstück von 169 000 Hektaren an Das war nicht immer so. Als in den fünfziger und sechziger Jah- der BR 163 und gründete die Fazenda Mutum, die später der Stadt ren mit der Industrialisierung immer mehr Menschen in Städten Nova Mutum ihren Namen geben sollte. Ribeiro war ein Visionär. wohnten, musste Brasilien Nahrungsmittel importieren. Damals Schon früh entwarf er Pläne für eine Stadt. Er suchte nach Anrei- konzentrierte sich die Agrarproduktion auf den Süden des Landes zen, um neue Siedler in die Region zu locken, und begann Ende und die Küstenregionen.Der Cerrado war kaum besiedelt, geschwei- der 1960er Jahre, auf einem 200 Hektaren grossen Landstück mit ge denn landwirtschaftlich genutzt. Um sich die Wildnis untertan verschiedenen Pflanzensorten zu experimentieren. Es waren die zu machen, begann unter dem Militärregime ab 1964 der Bau ver- ersten dokumentierten Versuche mit Soya, Mais und Reis in den schiedener Bundesstrassen in den entlegenen Regionen, darunter brasilianischen Tropen. auch der berühmten Transamazônica. Holzfäller, Viehzüchter und Später entdeckte auch die Regierung die Notwendigkeit, in die Abenteurer folgten dem Ruf. Forschung zu investieren. 1973 schuf sie die Empresa Brasileira de Immer mehr Landwirte zog es nach Mato Grosso, wo es billiges Pesquisa Agropecuária, kurz: Embrapa. Das Forschungsinstitut, das Land gab und die Möglichkeiten grenzenlos schienen. Die Besied- dem Landwirtschaftsministerium angegliedert ist und heute 8000 lung folgte dabei der typischen Erschliessungslogik Holzwirtschaft Wissenschafter beschäftigt, koordiniert die Forschung im Agrarbe- – Viehzucht – Ackerbau.Wie Heuschrecken frassen sich die Pioniere reich. Heute ist es weltweit das wichtigste Forschungsinstitut für in die Savanne hinein. tropische Landwirtschaft. Der Embrapa gelang es, verschiedene Die Agrarrevolution liess dennoch lange auf sich warten. Der Pflanzensorten zu entwickeln, die speziell auf die Gegebenheiten Agrarsektor war rückständig, Investitionen fehlten, und Ende der in den Tropen zugeschnitten sind. «Das war ein wichtiger Moment», achtziger Jahre geriet Brasilien zudem in eine Phase der Hyper- sagt Daniel Latorraca Ferreira vom Institut für Agrarwirtschaft des inflation. Der Umschwung kam in den neunziger Jahren, als die Gliedstaates Mato Grosso, Imea.Denn bis zu diesem Zeitpunkt habe Regierung die Importbeschränkung für Maschinen aufhob und schlicht die Technologie gefehlt, um die weitläufigen Savannenge- den Produzenten Zugang zu modernen und günstigen Geräten aus biete des mittleren Westens, den sogenannten Cerrado, landwirt- dem Ausland ermöglichte. 1994 führte der sogenannte Plano Real schaftlich zu erschliessen. zur Stabilisierung der Währung. Ein Jahr später trat Brasilien der Rund um die Stadt erstrecken sich bis an den Horizont Soya- Welthandelsorganisation (WTO) bei. Mit dem WTO-Beitritt Chinas felder. Das im Gliedstaat Mato Grosso am Eingang zu einem der sechs Jahre später war die perfekte Basis für den Soyahandel gelegt. grössten Soyaanbaugebiete der Welt gelegene Nova Mutum gehört zu den wichtigsten Produktionszentren Brasiliens.340 000 Hektaren Auf den Ländereien der Fazenda Mutum, die heute Teil der Unter- werden auf dem Gemeindegebiet bewirtschaftet, auf denen pro Jahr nehmensgruppe Mutum ist, wird gerade die Baumwolle eingefah- mehr als 1,1 Millionen Tonnen Soya wachsen. Das entspricht etwa ren. Sie ist zusammen mit Mais eines der wichtigsten Nebenpro- dem Vierfachen der jährlichen Soyaimporte der Schweiz. dukte der Soyaproduktion. Entlang der Bundesstrasse liegen Haufen von Soyabohnen und Sobald die Soya geerntet ist, erfolgt die Saat der «Safrinha», der Maiskörnern, die aus den Tausenden Lastwagen geweht worden zweiten, kleinen Ernte. Das bringt nicht nur zusätzlichen Gewinn, sind, die hier jeden Tag durchfahren. In der Gewerbezone reihen sondern hat auch den Vorteil, dass das Unkraut keine Zeit hat, sich sich neben mehreren Tankstellen die Vertreter des Agrarbusiness auszubreiten. Luiz Divino, der die Geschäfte der Mutum-Gruppe aneinander: die Handelshäuser ADM, Bunge, Cargill und Louis leitet, ist mit seinem Geländewagen auf Stippvisite. Immer wieder Dreyfus, der Fleischmulti Brasil Foods, der Landmaschinenherstel- macht er Halt und informiert sich bei einem der rund 170 Ange- ler John Deere. stellten des Betriebs über den Stand der Dinge. Die Arbeit könnte Soya gehört zu den wichtigsten Agrar- und Exportgütern Brasi- er auch von seinem Büro in der Stadt aus erledigen, wo alle Daten liens. Mit dem wachsenden Wohlstand in Ländern wie China und des Betriebes zusammenfliessen. Doch Luiz Divino ist gerne auf FOLIO 8 / 2012
24 SOYA der Farm. Der Anbau von Bauwolle sei heikel und der Preis sehr volatil, sagt er. Zum Glück habe man 80 Prozent der Ernte bereits verkauft. Im Vergleich dazu sei Soya ein wesentlich besseres Produkt. Die Investitionen und das Risiko seien tiefer und die Produktion deshalb lukrativer. «Soya kannst du immer verkaufen, alle sind süch- tig danach.» Obwohl die Mutum-Gruppe eine Fläche von der Grösse des Kantons Genf bewirtschaftet und knapp 100 Millionen Reais um- setzt, gilt sie als kleiner Betrieb. «Wir waren immer konservativ und strebten nicht nach schnellem Wachstum», erklärt Frederico Ribeiro Krakauer, der nach dem Tod seines Grossvaters José Apa- recido im Alter von 19 Jahren die Gruppe übernommen und von der Rinderzucht auf Ackerbau umgestellt hat. Man konzentriere sich darauf, die Produktion zu optimieren. Zurzeit bauen sie eine Entkernungsanlage für Baumwolle. Daneben tüftelt die Fazenda an neuen Produkten und Anbaumethoden. Auf einem 30 Hektaren grossen Feld läuft ein weltweit einzigartiges Pilotprojekt, das die Soya- und Baumwollproduktion auf sandigen Böden mit Hilfe einer neuen Bewässerungs- und Düngungsmethode erprobt. «Wir wollen innovativ sein», erklärt Ribeiro Krakauer, der den Pioniergeist seines Grossvaters geerbt hat. Neben der Agrarproduktion hat die Gruppe ein zweites Stand- bein im Immobiliensektor: Die Stadt Nova Mutum befindet sich auf dem Land der Fazenda. An der Stadtentwicklung war und ist das Unternehmen wesentlich beteiligt. Krakauer hat seinen Erfolg und Wohlstand vor allem der Soya zu verdanken. Als Soyakönig sieht er sich aber nicht. Das überlasse er den anderen, sein Unternehmen sei doch viel zu klein. Mit den anderen meint Krakauer die Pioniere, die eine aggressive Expan- sionsstrategie fuhren und jeden Sack Soya in neues Land investier- ten. Innerhalb von wenigen Jahren sind so Familienbetriebe zu Grosskonzernen aufgestiegen. Einer der bekanntesten Vertreter der Soyakönige ist Blairo Mag- gi, der in den achtziger Jahren mit seinem Vater aus dem Süden nach Mato Grosso kam, um auf einem Stück Pachtland Soya anzu- pflanzen. Das Geschäft lief gut. Schnell hatten die Maggis eigenes Land erworben. Im Nirgendwo gründeten sie die Stadt Sapezal samt Schule, Spital und Kleinwasserkraftwerk. Aus dem einstigen Familienbetrieb wurde in wenigen Jahren die mächtige Gruppe André Maggi (Amaggi), einer der grössten Soyaproduzenten und Soyaexporteure der Welt. Auf einer Fläche von 135 000 Hektaren produziert Amaggi mehr als 450 000 Tonnen Soya pro Jahr, wovon drei Viertel ins Ausland gehen. Daneben fallen jährlich 260 000 Tonnen Mais sowie 50 000 Tonnen Baumwolle an. Bauernidylle sucht man auf diesen Ländereien vergeblich. Eine computerüberwachte Armada von Maschinen erntet, bestellt, düngt und spritzt die riesigen Felder und speist die Daten ins Kontrollsy- stem der Firma ein. Neben dem Anbau verarbeitet das Unterneh- men mit über tausend Mitarbeitern den grössten Teil der Ernte selbst und ist – um von den Grosshändlern unabhängig zu sein – auch im Transportgeschäft tätig. Der Konzern verfügt über eine Flotte von Flussfrachtschiffen sowie eigene Verladestationen. 2011 belief sich der Umsatz von Amaggi auf 2,2 Milliarden Dollar, der Reingewinn betrug über 40 Millionen Dollar. Seinen Titel als grösster Soyaproduzent der Welt musste Blairo Maggi allerdings abgeben. Der Sektor ist dynamisch. Kleine Betrie- FOLIO 8 / 2012
25 SOYA Immer mehr: Bis 2020 wird Brasilien eine Produktion von über 111 Millionen Tonnen erreichen. FOLIO 8 / 2012
26 SOYA be werden geschluckt, Konzerne aus anderen Branchen dringen in versteht das Anliegen: In endlosen Karawanen schleppen sich den Agrarmarkt vor, und andere gehen an die Börse,um zu wachsen. die Lastwagen Richtung Südosten, wo die Häfen von Santos und Heute tummeln sich in Mato Grosso etliche Agrargiganten. Blairo Paranaguá liegen. Oft sind die Lastwagen Tage unterwegs, bis sie ihr Maggis Cousin Eraí Scheffer beispielsweise, dem die Gruppe Bom Ziel erreichen. Die Kosten für die Fracht zu den wichtigen Häfen Futuro gehört, produziert bereits über 500 000 Tonnen pro Jahr. des Landes liegen mit derzeit 85 Dollar pro Tonne weit über jenen Ein anderes Beispiel liefert der Konzern Vanguarda Agro, der in Argentinien oder in den USA. heute an der Börse von São Paulo kotiert ist. Gegründet wurde er Ein Ausbau der Strassen Richtung Amazonas sowie die Fertigstel- lung von Wasserwegen und Eisenbahnlinien würden die Wege der Soya von Mato Grosso ans Meer erheblich verkürzen. Seit 1999 hat Brasília im Gliedstaat jedoch kein Infrastrukturprojekt umgesetzt. Nicht umsonst werden die grossen Ob es das ist, was Blairo Maggi dazu bewog, sich 2010 als Senator aufstellen zu lassen und nach Brasília zu ziehen, lässt sich nur erah- Unternehmer der Branche Könige oder nen. Ebenso,ob es ein Zufall ist, dass ein ehemaliger Mitarbeiter von Barone genannt. Amaggi bis vor kurzem Chefsekretär des Transportministeriums war. Blairo Maggi ist mächtig geworden. Das Magazin «Forbes» lis- tete ihn 2009 unter den einflussreichsten Politikern der Welt auf. Eine Auszeichnung der anderen Art erhielt Maggi von der Um- von Otaviano Pivetta, einem ehemaligen Lastwagenfahrer aus Süd- weltorganisation Greenpeace, die ihm für seinen Beitrag zur Abhol- brasilien. Aus dem Traum von der eigenen Fazenda ist ein Imperium zung des Regenwaldes die «Goldene Kettensäge» verlieh, nachdem von 300 000 Hektaren geworden. Geschichten wie jene von Pivetta die abgeholzte Fläche in Mato Grosso 2004 auf 12 000 Quadratkilo- gibt es viele im mittleren Westen. meter angestiegen war. Umweltschützer beschuldigten die Soyafar- mer, sie würden durch ihre aggressive Expansion und den Bau von Die Landwirtschaft ist heute für einen Viertel des Bruttoinlandpro- Strassen der Abholzung Vorschub leisten. Blairo Maggi zeigte nicht dukts Brasiliens verantwortlich. Gemäss Schätzungen hängt einer die geringste Sorge. In einem Interview mit der «New York Times» von drei Arbeitsplätzen von der Landwirtschaft ab. Die Soyapro- sagte er 2003, dass der Anstieg nichts zu bedeuten habe und er keine duktion nehme aus wirtschaftlicher Sicht eine ausserordentliche Reue empfinde für das, was in Mato Grosso geschehe – Amazonien Stellung ein, sagt Daniel Latorraca Ferreira vom Imea, da sie ein sei schliesslich grösser als Europa. ganzes Cluster schaffe. Gemeint ist, dass rund um den Anbau von Ab 2006 sank die Abholzungsrate allerdings rasant. Grund war Soya eine verarbeitende Industrie entsteht: Die Bohne wird zu nicht die «Goldene Kettensäge», sondern eine andere Kampagne: Schrot und Öl verarbeitet, die wiederum die Grundstoffe für die Greenpeace dokumentierte, wie Soya von abgebrannten Urwald- Lebensmittel- und Fleischindustrie, den Chemie- oder Energiesek- flächen via den Zwischenhändler Cargill als Futtermittel in eine tor liefern. Laut den Berechnungen des Imea basieren in Brasilien Hühnerfabrik und von dort aus als Chicken Nuggets in eine Filiale heute neben den 340 000 Direktbeschäftigten rund 1,5 Millionen von «McDonald’s» in London gelangte. Lebensmittelhersteller und weitere Arbeitsplätze auf der Soyaproduktion. Supermarktketten kündigten sofort an, keine Soya mehr von den Die Kleinstadt Nova Mutum lebt von dieser Wertschöpfungs- Händlern zu kaufen, die aus Brasilien stammte, es sei denn, es könne kette. Mit Hilfe von Steueranreizen ist es der Gemeinde gelungen, nachgewiesen werden, dass sie nicht von neuen Rodungsflächen verschiedene Industrieunternehmen anzusiedeln. Das schafft Ar- stamme. Die brasilianische Soyabranche lenkte ein und kündigte beitsplätze und bringt Steuereinnahmen.«Wir wollen möglichst viel ein freiwilliges zweijähriges Moratorium für Soya an, die die Aufla- Wertsteigerung generieren», erklärt Oduvaldo Lopes Ferreira, Sekre- gen nicht erfüllt. Das Moratorium existiert auch heute noch. Und tär für Industrie und Gewerbe von Nova Mutum.«Keine Soyabohne Blairo Maggi ist – vom Markt bekehrt – zum Verfechter des Wald- soll ertraglos die Stadt verlassen.» schutzes mittels Entschädigungszahlungen geworden. Die wirtschaftliche Bedeutung lässt erahnen, welche Macht Aber die Abholzung ist nicht gestoppt und nach wie vor ein hinter dem Agrarsektor steckt. Nicht umsonst werden die grossen heikles Thema in Mato Grosso. Meist wird darauf verwiesen, wie Unternehmer der Branche Könige oder Barone genannt. Da die viel Wald noch steht: «Die geschützte Waldfläche in Mato Grosso meisten Wähler in Grossstädten leben, kümmerte sich die Politik beträgt 62 Prozent. Das entspricht der Fläche Frankreichs und Bel- jedoch lange Zeit herzlich wenig um ihre Belange. In Mato Grosso giens», rechnet auch Daniel Latorraca Ferreira vom Imea vor und sollte sich das 2003 ändern, als Blairo Maggi Gouverneur wurde. verweist auf das strenge Forstgesetz, das Landbesitzern den Erhalt Zielstrebig ging Maggi ans Werk und räumte auf mit der Bürokratie, von Reserveflächen vorschreibt. die – wie er bis heute sagt – jenen im Weg stehe, die etwas bewegen Der Druck auf den Wald ist nicht das einzige Problem, das die wollten. Mit Hilfe privater Investoren begann er, die Infrastruktur landwirtschaftliche Ausdehnung mit sich bringt. Die Region im des Gliedstaates zu verbessern. Innerhalb von 20 Monaten stieg der südlichen Amazonien, die sogenannte Fronteira agrícola, ist auch Anteil der asphaltierten Strassen in Mato Grosso um 50 Prozent. für Landkonflikte bekannt. Die Grossgrundbesitzer vertreiben 2006 richtete er einen Fonds ein, der den Aufbau eines Dachver- Kleinbauern und Landlose. Gleichzeitig dringen sie in Regionen bandes der Soyaproduzenten namens Aprosoya ermöglichte, der vor, die Urvölkern gehören oder einst gehört haben. Da die Staats- ihm den Rücken stärkt. gewalt kaum präsent ist, gilt oft das Gesetz des Stärkeren. Farmbeset- Eines der Hauptanliegen von Aprosoya ist der Ausbau der In- zungen, Strassenblockaden und auch Gewaltverbrechen sind keine frastruktur. Wer auf den Strassen in Mato Grosso unterwegs ist, Seltenheit. Und nehmen sogar zu. Darüber hinaus werden jedes FOLIO 8 / 2012
27 SOYA Soyaboss und Senator Blairo Maggi: Eine Auszeichnung wie die «Goldene Kettensäge» lässt ihn kalt. Jahr aus Landwirtschaftsbetrieben Hunderte Arbeiter aus sklaven- Mato Grosso spiele dabei eine sehr wichtige Rolle, sagt André ähnlichen Arbeitsbedingungen befreit. Obwohl sich die grossen Pessoa von Agroconsult, denn Soyaplantagen könnten sich dort auf Unternehmen um soziale Verantwortung bemühen, trifft es auch den bestehenden Weideflächen ausdehnen.Eine weitere Region,die sie. Die Gruppe Bom Futuro von Eraí Scheffer, Blairo Maggis Cou- in den Fokus gerückt ist, liegt im Landesinnern des Nordostens. Die sin, stand 2008 unter Anklage, weil auf einer gepachteten Farm 41 Gegend muss zwar grösstenteils noch in Kulturland transformiert Arbeiter ohne Schutzausrüstung Schädlingsbekämpfungsmitteln werden, ist wegen ihrer Küstennähe aber aus logistischen Über- ausgesetzt waren. legungen interessant. Anders als vor dreissig Jahren werden die Pioniere diesmal allerdings keine Bauernfamilien aus Südbrasilien Inwiefern sich die Probleme mit dem Wachstum des brasilianischen mehr sein, sondern Soyakönige aus Mato Grosso. Agrarsektors verschärfen werden, ist nicht abzusehen. Die OECD geht davon aus, dass Brasilien seine Nahrungsmittelproduktion bis 2020 um bis zu 40 Prozent ausbauen wird. Das Land verfügt derzeit über rund 62 Millionen Hektaren genutztes Kulturland, was 8 Pro- zent der Landesfläche entspricht. Laut Daten der Weltbank beläuft sich die zusätzlich nutzbare Fläche auf 45 Millionen Hektaren, wo- von sich rund die Hälfte für den Soyaanbau eignet. Gemäss den Prognosen der Beratungsfirma Agroconsult wird sich die mit Soya bewirtschaftete Fläche in Brasilien bis 2020 von heute 24 auf 32 Millionen Hektaren ausweiten. Bei einer gleichzei- tigen Produktivitätssteigerung von knapp 2 Prozent wird Brasilien jedes Jahr rund 6 Prozent mehr Soya produzieren und 2020 eine Produktion von über 111 Millionen Tonnen erreichen. TJERK BRÜHWILLER ist Korrespondent der NZZ; er lebt in São Paulo. FOLIO 8 / 2012
28 SOYA DIE GUTE SOCKE Henry Ford propagierte das Soyaauto und trug Soyaanzüge. Seine Ideen gerieten rasch in Vergessenheit. Doch nun kommen T-Shirts, Designerkleider und Socken aus Soya. Und damit die Erfüllung grüner Träume? VON BURKHARD STRASSMANN Polyvalenter Rohstoff: Chinesische Fabrikarbeiter sortieren Soyabohnen für die Weiterverarbeitung. FOLIO 8 / 2012
29 SOYA Sie ist seidenweich. Ihr Sitz ist perfekt. Auch in einer Business- ler Garne und Stoffe «aus Bambusfasern» an, aus denen zum Beispiel umgebung müsste man sich nicht schämen. Der Preis ist beschei- Bambussocken hergestellt wurden. Das hörte sich alles ziemlich den – drei Paar kosten im Internet 5 Franken 50. Auf der Sohle grün und nachhaltig an. Umweltfreundliche Läden legten Bambus- prangt fett und weiss der Aufdruck «Soya». Gratis dazu gibt es die textilien in die Regale, ökologisch orientierte Modelabels entwarfen Anmutung «öko». Und die Verheissung «antibakteriell,riecht nicht». Bamboo-Mode. Bis die Chinesen aufflogen: Auch sie hatten einfach Die Soyasocke ist das Symbol für das Eindringen der asiatischen nur Viskosegarne produziert, zwar aus Bambuszellulose, aber eben Bohne in den letzten soyafreien westlichen Lebensbereich: unse- auch nur Kunststoff. Von wegen Natur. ren Kleiderschrank. Gequirlte Soyabohnen als Tofu sind allseits be- Der jüngste Textiltrend für die umweltbewusste Kundschaft, die kannt. Unsere Zungen und Mägen kennen mittlerweile Soyamilch, nach nachwachsenden Rohstoffen fragt und sich über Recycling Soyaöl, Soyasauce. Niemand wundert sich, wenn er an der Biodie- und die Kompostierbarkeit von Produkten den Kopf zerbricht, sind sel-Zapfsäule Soyaöl tankt. Selbst Soya-Polyurethane gibt es, aus Proteingarne. Im Rennen sind aktuell das Soyaproteingarn aus Chi- denen man Schaumstoffmatratzen und Polsterungen macht oder na, aus dem die im Internet bestellten Soyasocken sind, und ein Soyadämmschaum zur Isolierung von Häusern. Nun also: Socken Garn mit tierischem Ursprung: «Milchseide». und T-Shirts aus Soya, Mützen und Unterwäsche, Decken und sogar Designerkleider aus der nachwachsenden Bohne. München, Isartor. Hier residiert die Popp und Pschorr Produkt- Es war der Automobilhersteller Henry Ford, der in den vierziger innovation GmbH, Geschäftsbereiche Werbung und Produktideen. Jahren des vergangenen Jahrhunderts als erster das ganze Poten- Vor Jahren – damals bedruckte, bestickte und bestrasste Popp und tial der Bohne erkannte und eine Vision entwickelte. Der Soya- Pschorr noch T-Shirts, die über Dauerwerbesendungen im Fernse- milchtrinker Ford träumte davon, die erdölbasierten Kunststoffe hen verkauft wurden – entdeckte der Grafikdesigner Albert Pschorr durch Biopolymere, also mit Pflanzenöl erzeugte Kunststoffe, zu auf einer Pariser Textilmesse einen berückend weichen Stoff aus ersetzen. Vor allem hatte er das billige Soyaöl im Auge. Sein persön- China. Ein zartgelber, leichter, hauchdünner Tricotagestoff, kühl auf licher Beitrag war ein Auto auf Pflanzenbasis: der «Soybean Car». der Haut. Doch für Pschorrs T-Shirts zu teuer. Er nahm trotzdem Beim Prototyp des Soyaautos wurde ein Kunststoff benutzt, eine Probe mit. zu dessen Herstellung mit Hanf, Kork, Algenöl und Ramie expe- Spätere Recherchen ergaben: Dieser Stoff aus Soyabohnen soll rimentiert wurde. Ramie («Chinagras») ist die Pflanze, mit deren antibakteriell wirken. Konkret, gaben die chinesischen Produzenten gewobenen Fasern schon ägyptische Mumien eingehüllt wurden. an, soll er Staphylococcus aureus, den berüchtigten «Krankenhaus- Am Ende hatte Ford einen Biokunststoff, der seine Festigkeit durch keim», attackieren, dazu Darmbakterien und Pilze, die für Menschen eingelegte Soyafasern gewann. Und schon damals liess der Soyafan mit schlechter Immunabwehr ein Problem darstellen.Zum Beispiel aus Soyabohnen auch eine textile Faser entwickeln. Daraus liess er Diabetiker. Da hatte Pschorr eine Produktidee: Antibakterielle Tex- die Sitzbezüge des Soybean Car weben. tilien, die müssten laufen. Socken für die Schweissfussjugend.Medi- Ford war sich nicht zu schade, zur Propagierung seiner Idee in zinische Spezialanfertigungen für Diabetiker und Neurodermitiker, einem Soyaanzug mit passender Soyakrawatte herumzulaufen. Er deren schlecht heilende Wunden gern von Pilzen oder Bakterien trat als Soyamissionar auf. Dass wir den Mann heute nur noch als besiedelt werden. Prediger der Fliessbandarbeit kennen, liegt am Ausbruch des Zwei- Heute lässt Pschorr vorwiegend extraweite und rutschfeste Dia- ten Weltkriegs. Spielereien wie das Soyaauto waren da nicht mehr betikersocken in Ankara produzieren. Er verkauft sie übers Internet möglich. Auch das Soyagarn geriet in Vergessenheit. und über Sanitätshäuser für 13 Euro 90 das Paar. Nicht, dass sie Neue, rein synthetische Fasern wie Nylon entwickelten sich ra- weggingen wie heisse Semmeln – aber das Geschäft läuft. Denn die sant und wurden billiger. Ungern erinnern wir uns an die zwar Medizinsocken kann man auch auf Rezept bekommen. Seine ge- schnell trocknenden und bügelfreien, aber leider luftundurchlässi- ruchsreduzierende Inkontinenzunterwäsche dagegen läuft schlecht, gen und schnell müffelnden Nylonhemden der Sixties. Irgendwann vielleicht, mutmasst der Hersteller, weil sie, in diesem Kontext pro- wollte man dann doch wieder mehr Natur. Viskose wurde modern, blematisch, in Soyagelb gehalten ist. seidenglänzend und glatt, immerhin hergestellt aus Holz- und Pflan- Der Münchner Sockenmacher hat die antibakterielle Wirkung zenresten. Das war doch Natur pur! Nur: Als Umweltfreunde die der Soyasocken von der Technischen Universität München in einer Viskoseherstellung genauer untersuchten, stellten sie fest, dass die Vorstudie testen lassen – und tatsächlich: Die Zahl der Kranken- Pflanzenfaser dabei so lange mit aggressiven und gefährlichen Che- hauskeime an den Füssen eines Probanden verringerte sich in drei mikalien traktiert wird, bis an ihr nichts mehr Natur, stattdessen Tagen um den Faktor 10, beim zweiten Probanden sogar um den alles Kunst ist. Die Produktion ist dermassen umweltbelastend, dass Faktor 18. Die medizinische Wirkung beruht indes nicht auf einer Viskose in Europa heute gar nicht mehr hergestellt wird. Das war geheimnisvollen Strahlung oder Esoterik. Bei der Garnherstellung definitiv kein Stoff für die neu entstehenden Ökoläden und die wird die Soyamasse, die nach dem Auspressen des Öls übrigbleibt, überall auftretenden umweltbewussten Verbraucher. Viskose wurde mit Säuren versetzt, wobei das vielfach gefaltete Eiweiss denaturiert, zum Schimpfwort. also aufgeknackt wird. Die entstandene Pampe kann nun mit un- Baumwolle, selbst Biobaumwolle, war schon längst in Verruf terschiedlichen Wirkstoffen versetzt werden. geraten. Massenhafter Einsatz von Pestiziden, Insektiziden und Aus China heisst es, man gebrauche Mittel aus der traditionel- enormer Wasserverbrauch, dazu die Missachtung einfachster Um- len chinesischen Medizin. Fachleute hierzulande tippen eher auf welt- und Sozialstandards bei Produktion und Verarbeitung – der antibakteriell wirkende Kupfersalze. Danach presst man die Masse gewissenhafte Konsument wusste schon gar nicht mehr, womit er durch ein gelochtes Blech und erhält einen medizinisch wirksamen sich kleiden sollte. Da boten vor einigen Jahren chinesische Herstel- Endlosfaden. Ob der Faden aber auch ein Ökofaden ist, das fragt FOLIO 8 / 2012
30 SOYA sich der Umweltfreund und gewiss auch der Sportartikelhersteller Adidas, der sich bei seinen Bemühungen, grün zu wirken, stark auf die Soyabohne bezieht. Während bereits Muskeln mit Soya- proteindrinks aufgebaut werden, ist nun auch die Tinte, mit der die Schuhkartons bedruckt sind, auf Soyabasis hergestellt. Und na- türlich bietet die Ökokollektion «Adidas Grün» Damenoberbeklei- dung aus Soyagarn. Ist das alles nun gut für die Umwelt? Ökozertifizierer meiden Biokunststoffe, und ein solcher ist die Soyaproteinfaser aufgrund der chemischen Strukturveränderungen. Immerhin ist der mitverarbeitete Polyvinylalkohol biologisch ab- baubar und auch rezyklierbar. Der Emmenbrücker Garnspezialist und Importeur Swicofil vermutet bei den chinesischen Faserher- stellern eher sanfte Chemie am Werk: «Ihre Prozesse scheinen die Proteine nicht zu killen.» Was wird von Henry Fords Soyaträumen übrigbleiben? Vermutlich nichts. Kaum ist das Material fünf Jahre auf dem Markt, setzt sich die textile Avantgarde schon wieder ab. Modedesigner wie das Ams- terdamer Studio Yux, eins der Vorzeigelabels der «grünen Mode», haben eine Zeitlang mit dem faszinierenden Material experimen- tiert. Jetzt legen sie es wieder zur Seite. Die Garnproduktion sei nach neueren Untersuchungen überhaupt nicht umweltfreundlich, Der intelligente heisst es bei Yux. Und Komodo aus London («ethische Mode») hält das Material zwar für sehr schön, aber zu teuer. Daneben sei es für Mehrwert für Unter- die Sommerkollektion zu schwer, und es zeige nach Tragen und Waschen einen Pilling-Effekt. Kleine Knötchen bilden sich auf der Oberfläche, wie man sie von Wollpullovern kennt. Das Pilling kann nehmer, Manager und 10CEXLOQ6AMAwEwBclWi82SXCZo4oQAsT_n4JEQzHlzOkW8al9v_vpAqgFSUaqs6S4Llk8q8ScSzFHohLCTRJJoxb_Q6gtXMAAHkg82ngB1yVQMmAAAAA= 10CAsNsjY0MDAx1TU0NzUyMgEAAQpuYw8AAAA= man verhindern, aber nur mit noch mehr Chemie. Andernorts wird kritisiert, Soyaproteingarn lasse sich schlecht färben – es sei denn, erfolgreiche Anleger. man bleiche es zuvor. Mit der Chemiekeule. Die Suche nach der idealen, natürlichen, nachwachsenden, ohne Chemie herzustellenden Textilfaser geht weiter. Algeneiweiss ist im «NZZ Equity» erscheint jeden Donnerstag Gespräch. Selbst Tierkadaver, die seit der Rinderseuche in vielen als ergänzender Bund zum Wirtschaftsteil der Ländern nicht mehr zu Futter verarbeitet werden dürfen, werden «Neuen Zürcher Zeitung» sowie monatlich ins Auge gefasst. Sie beinhalten jede Menge Eiweiss und könnten als Special im Magazinformat, begleitet von einer Rinder- oder Schweineseide liefern. hochkarätigen Veranstaltung. Doch vielleicht kommt auch die Milch zum Einsatz. Milch- eiweissfasern gibt es seit Jahrzehnten. Schon produziert eine Shang- hai Milk-Fiber Technology Co., Ltd. das ungewöhnliche Material für Testen Sie das Probeabo den Weltmarkt. Und soeben hat eine norddeutsche Modedesignerin Lesen Sie jetzt die «Neue Zürcher Zeitung» und «NZZ Equity» und studierte Biologin gemeinsam mit dem Bremer Faserinstitut 10 Wochen lang für nur Fr. 65.– inklusive Zugriff auf alle digi- talen Angebote. SMS mit Keyword NZZ41 sowie Namen und eine chemiefreie Methode entwickelt, aus Molkereiabfällen einen Adresse an Nr. 5555 senden (20 Rp./SMS); www.equity.nzz.ch Faden zu spinnen. Genauer: aus dem Milcheiweiss Kasein. oder Telefon 044 258 15 30. Die «Milchseide» wirkt vielversprechend. Nur für Socken wird sie Soya nicht ersetzen können. Kasein erinnert denn doch zu stark Testen Sie das Probeabo «Digital» an problematische Geruchserlebnisse mit getragenen Socken. Lesen Sie jetzt die digitale Ausgabe der «Neuen Zürcher Zeitung» und von «NZZ Equity» für Tablets und Smartphones 10 Wochen lang für nur Fr. 45.–. SMS mit Keyword NZZ48 sowie Namen und Adresse an Nr. 5555 senden (20 Rp./SMS); www.equity.nzz.ch oder Telefon 044 258 15 30. BURKHARD STRASSMANN ist Autor der «Zeit»; er lebt in Bremen. FOLIO 8 / 2012
32 SOYA JAPAN IN FRIESLAND 18 Millionen Liter Soyasauce braut Kikkoman jährlich für uns Europäer. Die Nachfrage steigt stetig. VON HARALD WILLENBROCK Am Ortsrand stehen Holsteiner Rinder knietief im sattgrünen Wie- mit Milchsäurebakterien fermentierte Soyapaste nutzten, um ihre sengras, Austernfischer picken zwischen ihren Beinen mit signal- eintönige, zumeist auf Reis basierende Nahrung aufzupeppen. Erst roten Schnäbeln nach Beute. Kanäle mit tiefschwarzem Wasser im 6.Jahrhundert nach Christus soll ihre kulinarische Innovation durchziehen das platte Land, alle paar Kilometer von einer schnee- dann im Gepäck buddhistischer Mönche nach Japan gelangt sein. weissen hölzernen Zugbrücke unterbrochen, bevor sie hinterm Dort wurde der Sauce neben Soya zu gleichen Teilen gerösteter scheinbar endlosen Horizont verschwinden. Durch Hoogezand- Weizen beigegeben, was ihr einen milderen Geschmack und eine Sappemeers Strassen weht der salzig-würzige Geruch von Gras, Tang dünnflüssigere Konsistenz als ihrem chinesischen Schwesterpro- und der nahen Nordsee. Nichts deutet darauf hin, dass die friesische dukt verleiht. Ausserdem wird Shoyu, wie die japanische Variante Kleinstadt der japanischste Flecken Europas ist. heisst, nach der Fermentation auch noch unter Zugabe von Hefe Am Rande der 35 000-Einwohner-Gemeinde reift ein asiatischer gebraut. Allein in Japan tun dies heute etwa 1500 kleinere und grös- Exportschlager. In einem grauen, von hüfthohen Zäunen umfrie- sere Shoyu-Brauereien nach ganz unterschiedlichen Rezepten. Die deten Fabrikquader braut der japanische Saucenmulti Kikkoman dickflüssige, süsslich-rauchige «Marumata Owarino Tamari»-Sauce seine Soyasaucen für europäische Konsumenten. Täglich rollen beispielsweise wird aus japanischen Soyabohnen gebraut und drei Lastzüge mit deutschem Weizen und brasilianischer Soya auf den Jahre in Zedernholzfässern gelagert. Die «Kanro Shoyu» wieder- gepflasterten Fabrikhof, während andere, beladen mit Soyasauce um, die teuer und in Europa kaum zu bekommen ist, wird doppelt nach Kasachstan,Irland,Finnland,Malta oder irgendwo dazwischen fermentiert. Daneben gibt es natürlich noch chinesische Varianten starten. 18 Millionen Liter Soyasauce im Jahr braut der Weltmarkt- sowie einfache industrielle Soyasaucen, bei denen die Proteine der führer in Friesland zusammen, das entspricht 118 Millionen der Soyabohnen nicht durch Mikroorganismen, sondern chemisch un- charakteristischen Kikkoman-Flaschen mit gewölbtem Bauch und ter Einsatz von Salzsäure aufgebrochen werden. roter Kappe, die für Europäer zum Sushi gehören wie Bambusstäb- chen und Wasabipaste. «Soyasauce» als Sammelbegriff ist also etwa so unscharf wie die «Und das», sagt Peter Deeg, «ist schon einmal der erste Irrtum.» Überschrift «Wein» für ein Getränk mit Tausenden unterschiedli- Deeg, ein grossgewachsener Lebensmittelmanager, der früher in chen Provenienzen, Herstellungsphilosophien und Geschmacks- Diensten der Knorr-Suppenköche stand, ist Kikkomans «Senior richtungen. Auch sonst gibt es einige Parallelen zu Europas Tradi- Manager Food Services & Industry» mit Sitz in Düsseldorf. Deeg tionsgetränken. Lebensmitteltechnisch gilt Soyasauce nämlich als ist Kikkomans Statthalter für den europäischen Markt, was eine Würzwein. Und ganz ähnlich dem deutschen Bierreinheitsgebot ziemlich erbauliche Aufgabe ist. Rund 280 Jahre nachdem ein wird sie traditionell nur aus natürlichen Zutaten gewonnen, näm- Schiff der niederländischen Ostindienkompanie die ersten 35 Fässer lich Soya, Weizen, Wasser und Salz. Soyasauce in der Alten Welt abgeladen hat, läuft das Europageschäft Aus diesen Inhaltsstoffen begannen irgendwann im 17.Jahrhun- prächtig. Der Schweizer Markt beispielsweise wächst seit 15 Jahren dert auch die Familien Mogi und Takanashi aus dem japanischen ununterbrochen, im Schnitt schlucken die Schweizer jedes Jahr 2 Noda, Shoyu zu brauen. Nachdem sie mehr als 250 Jahre fermen- Prozent mehr Kikkoman-Sauce, dabei sind sie mit einem Konsum tiert und vermarktet hatten, legten die Mogis und Takanashis ihre von durchschnittlich 150 Millilitern heute bereits Europameister. Unternehmen 1917 zu einem gemeinsamen zusammen. Sein heu- «Je mehr sich die schnelle, frische, gesunde Küche durchsetzt», froh- tiger Name, Kikkoman, setzt sich aus dem japanischen «man» für lockt Deeg, «umso grösser wird automatisch unser Markt.» Und 10 000 und «kikko» für Schildkrötenpanzer zusammen und heisst mit jeder neuen Sushi-Bar, die irgendwo zwischen Lappland und also wörtlich «10 000 Schildkrötenpanzer». In der japanischen My- Sizilien aufgeht, eröffnet gleichzeitig ein weiterer Kikkoman-Store. thologie ist die Schildkröte, deren Panzer sich auch im sechsecki- gen Kikkoman-Logo widerspiegelt, ein Symbol für Langlebigkeit. Dabei ist das «Ketchup des 21.Jahrhunderts», wie es die «Frankfurter «Kikkoman» steht also für nichts anderes als den frommen Wunsch Allgemeine Sonntagszeitung» nannte, eigentlich gar kein japani- nach einem langen, glücklichen, erfolgreichen Leben. Zumindest sches Produkt. Es waren Chinesen, die vor mehr als 2500 Jahren eine die Herstellerfirma selbst scheint dabei auf gutem Kurs. Trotz rasan- FOLIO 8 / 2012
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