Relevant - Digitalisierung treibt uns an Alles zum entscheidenden Thema der Branche in unserem Magazin - made in Homeoffice - BDZV
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relevant. Das Magazin des Bundesverbands Digitalpublisher und Zeitungsverleger Nr 1 | 2020 Digitalisierung treibt uns an Alles zum entscheidenden Thema der Branche in unserem Magazin – made in Homeoffice.
MANIFEST Zeitungen sind und bleiben relevant. Unabhängige Zeitungen sind unerlässlich für eine pluralistische Meinungs- und Haltungsbildung in der Demokratie. Ihre Existenz ermöglicht verantwortungsvollen Journalismus. INTRO relevant. 1|2020 2
VORWORT Liebe Leserinnen und Leser, Der BDZV hat sich umbenannt. Er heißt zwar wei- einladen. Auch wenn die Planbarkeit von Veran terhin BDZV, aber das D steht nicht mehr für „Deut- staltungen in diesen Tagen fast ein Ding der Un scher“, sondern für die Entwicklung, die immer möglichkeit ist, denn kurzfristig bestimmt das mehr Bereiche unseres Alltags umkrempelt und Coronavirus unseren Alltag noch stärker als die sowohl Wertschöpfungsketten als auch tradierte Transformation unserer Medienwirtschaft. Wäh- Machtgefüge auf den Kopf stellt: die Digitalisie- rend die Digitalisierung die Medienbranche dis- rung. Der Verband macht seine Türen auf für neue ruptiert, disruptiert Corona gerade das gesamte Le- Mitglieder aus dem Bereich des digital publishing. ben. Und doch könnte genau das jetzt stattfinden: Sie sollen künftig auch von einer starken Inter- ein Schub der Digitalisierung durch die Coronakri- essensvertretung in Berlin und Brüssel und vom se. Hoffen wir auf das Beste und auf ein Wiederse- Austausch untereinander, neudeutsch: dem best hen beim Kongress des BDZV am 15. September in practice sharing, profitieren können. Berlin. Bis dahin: Bleiben Sie gesund und genießen Konsequenterweise wird der Bundesverband Di- Sie die Lektüre unserer ersten Komplettausgabe gitalpublisher und Zeitungsverleger deshalb im von relevant. – dem Magazin des BDZV. September auch keinen Zeitungskongress mehr © Foto: Bernd Brundert/BDZV veranstalten, sondern zum „BDZV. Der Kongress“ Ihre Redaktion Alexander von Schmettow Dr. Andrea Gourd Hans Hendrik Falk 3 relevant. 1|2020 INTRO
INHALT DIE KERNFRAGE Die Digitalisierung verändert unseren Alltag. Sie verschiebt Prioritäten, Wertschöpfungs- ketten und treibt uns an. Dabei muss es aber fair zugehen. Wie werden klare Rahmenbe- dingungen für alle Beteiligten geschaffen? 06 ARBEIT IN ZEITEN DER CORONAKRISE 08 WELTGESCHEHEN VOR DER HAUSTÜR – NEW(S)COMERS BEST POLITIK 10 M EINUNG WENN SICH DAS RATHAUS ALS VERLAGSHAUS BETÄTIGT Wie legitim sind publizistische Aktivitäten von staatlichen Stellen? Und dürfen Kommunen Verlegerinnen sein? 16 WISSEN WIE KANN EINE EFFEKTIVE REGULIERUNG VON INTERNET-PLATTFORMEN AUSSEHEN? Für Wettbewerb und Vielfalt im Internet braucht es effektive Regulierungen. Aber wie können diese aussehen? INHALT relevant. 1|2020 4
INHALT MARKT 24 MEINUNG „WIR SIND EIN NICHT PERFEKTES SYSTEM MIT DEM ZIEL, DIE WAHRHEIT ZU VERBREITEN“ BDZV-Präsident Mathias Döpfner im Interview über Transformation, Zukunft und R elevanz der Publishing-Branche. 32 WISSEN I AUF DEN ZEITPUNKT KOMMT ES AN Eine Abonnentenbefragung zeigt, dass die Zeitungszustellung ein sensibles Thema ist. Und eines, das nichts an Relevanz verliert. 38 WISSEN II ZWISCHEN PRINT-APOSTELN UND DIGITAL-JÜNGERN Nicht alle Leser sind für das E-Paper zu begeistern. Aber es hat großes Potenzial – vor allem bei Jüngeren. 40 ANWENDUNG „WIR SIND DATENINFORMIERT, NICHT DATENGETRIEBEN“ Wie wird Journalismus im Digitalen zum tragfähigen Geschäftsmodell? Die Datenanalyse spielt für den Erfolg eine gewichtige Rolle. PERSPEKTIVEN 46 MEINUNG WIE VIEL TWITTER IST GUT FÜR DEN JOURNALISMUS? Fünf Journalistinnen und Journalisten auf Twitter zeigen, wie Berichterstattung in Social Media fernab von Bubbles funktioniert. 52 WISSEN „MIT DIGITAL STELLEN WIR DIE WEICHEN“ Die Studie „Trends der Zeitungsbranche 2020“ zeigt, welchen Weg die deutschen Verlage im Digitalen nehmen – und wie weit sie auf ihm sind. 58 ANWENDUNG EIN PLUS FÜR DIE „PLUS“-PRODUKTE Steigende Erlöse, aber auf niedrigem Niveau. Wie werden journalistische Bezahlangebote im Netz erfolgreich? 5 relevant. 1|2020 INHALT
Arbeiten in der Coronakrise AKTUELL Der Ausbruch und die Verbreitung des Coronavirus in Deutsch land und die damit einhergehenden Maßnahmen und Einschränkungen betreffen die gesamte Gesellschaft. VON HANS HENDRIK FALK O b sich die Lage mit Erscheinungstermin möglich, auch für den Arbeitsplatz. Und so trägt dieser relevant.-Ausgabe zum Besseren auch die BDZV-Geschäftsstelle in Berlin seit dem verändert haben wird, hängt, so hat es 16. März dazu bei, das Coronavirus einzudämmen Bundeskanzlerin Angela Merkel betont, auch vom und arbeitet mobil. Verhalten jedes Einzelnen ab. „Im Moment ist nur Hier berichten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Abstand Ausdruck von Fürsorge“, sagte Merkel des BDZV über ihren mobilen Arbeitsalltag in Zei- in ihrer TV-Ansprache (18.03.2020). Das gilt, wo ten der Coronakrise. « Kornelia Behnert Finanz- & Rechnungs- wesen/Personal „In der Buchhaltung ist es mit dem Mobile Of- fice nicht ganz so ein- fach. Dadurch, dass wir noch überwiegend Belege in Papierform erhal- ten und diese verarbeiten und bezahlen müssen, klappt das mit dem Arbeiten von zu Hause nicht ganz so reibungslos. Ein- bis zweimal die Woche müsste ich eigentlich ins Büro. Auch mussten © Fotos: Bernd Brundert/BDZV, shutterstock/elenabsl wir einige Termine verschieben, wie beispiels- weise die Prüfung unseres Jahresabschlusses. Die Anwendung der Software ist durch diver- se Sicherheitsmaßnahmen auch nicht sofort einsetzbar und muss erst eingerichtet werden. Also, Computer abbauen und zu Hause wieder aufbauen – so einfach ist es dann in unserem Fall nicht. Einen kleinen Vorteil hat das Arbeiten von zu Hause allerdings: Ich spare mir jeden Tag Anzeige zwei Stunden für die An- und Abreise ins Büro.“ « AKTUELL relevant. 1|2020 6
Anja Pasquay Philippe Pressesprecherin Meistermann Referent Europapolitik, „Seit drei Tagen sitze Büro Brüssel ich im Mobile Office. Technisch klappt das „Die EU-Institutionen gut. Nur bräuchte ich arbeiten in Brüssel zwei Münder, min- jetzt schon seit einigen destens drei Paar Augen und Ohren und Arme Wochen mit zahlreichen Einschränkungen. Zu- wie ein Oktopus: Handy und stationäres Tele- nächst wurden Anfang März Besucher aus dem fon klingeln am liebsten gleichzeitig, während EU-Parlament ausgeschlossen. Termine mit Ab- ich via Laptopkamera an unserem vormittäg- geordneten und deren Büros finden daher seit- lichen Abteilungs-Jour-fixe teilnehme und ei- dem nicht statt oder eben nur telefonisch. Ge- gentlich längst den Infotext für die Website sprächstermine mit den zuständigen Referenten formuliert haben sollte. Corona und die Folgen aus den Ständigen Vertretungen der Mitglied- – Aufregung und Unsicherheit sind groß, auch staaten werden seit einigen Wochen auch nicht in den Verlagen. Was im Büro via Zuruf durch mehr genehmigt und finden für die nächste Zeit, die offenen Türen funktioniert, weil alle mithö- sofern möglich, telefonisch statt. Anstehende ren, muss jetzt als Arbeitsprozess mühselig via Ratsarbeitsgruppen wurden bis auf Neues abge- E-Mail ausgehandelt werden. Das dauert immer sagt. Seit 18. März gilt in Belgien nun auch eine eine Umdrehung mehr. Und wehe, der Verteiler Ausgangssperre. Die Arbeit an unseren Themen ändert sich mittendrin. Das sind Kinderkrank- geht allerdings mehr oder weniger wie gewohnt heiten und wird sich mit ein bisschen Disziplin weiter. ePrivacy-Verordnung und die Vorberei- sicher bald einspielen. Ganz wichtig: Pausen tung auf den Digital Services Act stehen auf der einhalten. Abends stelle ich mir jetzt dafür so- Tagesordnung. Die Institutionen und Verbände gar den Wecker: Täglich gegen 19.00 Uhr gibt stellen sich auf eine neue Arbeitsweise um, aber der grandiose Pianist Igor Levit via Twitter ein bisher bleiben alle am Ball. Wir nutzen die Situa- Konzert. Wunderbar, das hätte ich ohne Corona tion auch, um uns zu allen unseren gegenwärti- jedenfalls nicht erlebt.“ « gen Themen gut aufzustellen und vorzubereiten. In der Medienpolitik steht deshalb nun eine Jah- resplanung an. Zudem arbeiten wir gemeinsam mit den EU-Verbänden daran, wie diese den Ver- lagen in der derzeitigen Krise am besten helfend beistehen können.“ « Mobiles Arbeiten ist nicht nur für den BDZV eine neue Erfahrung. Auch für die meisten Zeitungen: Fast alle Redaktionen arbeiten inzwischen aus dem Homeoffice. Zeitungsproduktion im Ausnahmezustand. relevant. 1|2020 AKTUELL
1908_15356_BBDO_Duesseldorf_awards_New_s_comers_Best_480x325_StraubingerTagblatt_LandshuterZeitung.indd 2 17.12.19 17:20 Mehr als 200 Anzeigen hatten junge Kreative beim BDZV-Nach wuchswettbewerb „New(s)comers Best 2019“ eingereicht. Gewonnen hat eine Motivserie, die das globale Geschehen in die Heimat über- trägt – mit authen- tischen Headlines. Hier die regionali- sierten Motive. 1908_15356_BBDO_Duesseldorf_awards_New_s_comers_Best_480x325_StraubingerTagblatt_LandshuterZeitung.indd 3 17.12.19 17:20 1908_15356_BBDO_Duesseldorf_awards_New_s_comers_Best_480x325_StraubingerTagblatt_LandshuterZeitung.indd 1 17.12.19 17:20 Weltgeschehen M ehr als zehn Verlage unter- stützen den Werbe-Nach- wuchspreis der Zeitungen vor der Haustür mit der Veröffentlichung eines Sieger- motivs ihrer Wahl (Gold, Silber oder Bronze). Dieses Jahr fiel die Entschei- dung eindeutig aus: Zwölf Zeitungen AWARD Beim 27. Nachwuchskreativ haben sich für „Das Weltgeschehen bis vor Ihre Haustür“ der Nachwuchskre- wettbewerb „New(s)comers Best 2019“ ativen Anina Wäsche (28) und Henrik mit dem Thema „Die Zeitungen – ein van Laak (29) von der Agentur BBDO Düsseldorf entschieden. Für die Preis- © Foto: Dr. Andreas Breunig, BBDO Stück Heimat“ lag eine Motivserie mit träger eine freudige Überraschung, Abstand vorn – sowohl in den Augen der denn neben dem Preisgeld bedeutet Jury (Gold) als auch bei den Koopera die – ganzseitige – Veröffentlichung des Siegermotivs in einer Tageszeitung tionspartnern des Wettbewerbs. nicht nur Prestige, sondern ist auch die VON SIRID HEUTS UND JOACHIM DONNERSTAG Voraussetzung für die Teilnahme an AKTUELL relevant. 1|2020 8
Think global, act local: Nur die Zeitung dekliniert die großen Themen durch alle Ebenen und Ressorts. Eben bis vor die eigene Haustür. In Zeiten von Clickbaiting, Facebook- Algorithmus und Filterbla- sen ist diese Einordnung der Ereignisse – auch mit der nötigen Vorauswahl – umso wichtiger. PREISTRÄGER ANINA WÄSCHE UND HENRIK VAN LAAK (BBDO DÜSSELDORF) Verlage, die den Wettbewerb unterstützen Badische Zeitung (Freiburg), Badisches Tagblatt (Baden-Baden), Boyens Medien (Heide), General-Anzeiger (Bonn), Kieler Nachrichten, Remscheider General-Anzeiger, Mediengruppe Straubinger Tagblatt / Landshuter Zeitung, Mittelbayerische Zeitung (Regensburg), Rheini- sche Post (Düsseldorf), Südwest Presse (Ulm) und Solinger Tageblatt. Wenn Sie 2020 als Kooperationspartner dabei sein möchten, indem anderen Wettbewerben der Branche. Sie ein Siegermotiv veröffentlichen (freie Terminwahl), wenden Sie sich Das Wettbewerbsthema haben die bei- bitte an: Joachim Donnerstag (donnerstag@bdzv.de, Tel. 030 726298- den Jungkreativen mit ihren drei Moti- 223 oder Sirid Heuts (heuts@bdzv.de, Tel. 030 726298-218) ven auf den Punkt gebracht. Zwei Ver- lage wünschten sich darüber hi naus, dass die Headlines noch einmal re gional angepasst werden, und schlugen damit für ihre Leser eine Brücke von keit für die Zeitung allgemein gebracht der Eskalation am Golf zu Baden-Baden – ganz besonders die regionale Umset- (Badisches Tagblatt) oder von der EZB zung: Das kann man eigentlich nicht nach Straubing (Straubinger Tagblatt). besser machen. In vielen unserer Ak- INFO zum Wettbe- tionen steht der regionale Bezug im werb unter awards. die-zeitungen.de/ Regionaler Bezug zieht Vordergrund, auch beim digitalen An- newscomers-best Jürgen Volz, stellvertretender Chef- gebot, das wir sehr spezifisch auf die Das Thema für redakteur Badisches Tagblatt, bekam Region abstimmen. Wir sind schließ- den Wettbewerb ausschließlich positive Rückmeldun- lich eine Regionalzeitung. Sehr gern 2020 wird im Mai ausgeschrieben, gen auf die Veröffentlichung des Mo- sind wir auch weiterhin als Koopera Einreichungsschluss tivs: „Der Wettbewerb hat Aufmerksam- tionspartner beim Wettbewerb dabei.“ « ist August 2020. 9 relevant. 1|2020 AKTUELL
Wenn sich das Rathaus als Verlagshaus betätigt MEINUNG Mit ihrer Berichterstattung in Print und Online überschreiten Städte und Gemeinden oft die Grenzen zulässiger kommunaler Öffentlichkeitsarbeit. VON MICHAEL RATH-GLAWATZ I nformationen von staatlichen Stel- men müssen, sondern gestalterische len mag man mögen oder nicht, für Möglichkeiten nutzen dürfen, die Ei- notwendig oder überflüssig erach- genwerbung attraktiv macht. ten. Gleichwohl ist es legitim, dass die öffentliche Hand – auf welcher Ebene Die Selbstüberschätzung kommunaler auch immer – für sich und ihre eige- Publikationskompetenz nen Aktivitäten wirbt, um so Zustim- Von den Kommunen wird zur Legiti- mung aus der Bevölkerung zu erlangen mation der Öffentlichkeitsarbeit gern Die Kommunen und zu bewahren. Zwei Beispiele: Der auf ihre in Art. 28 Abs. 2 GG veran- berufen sich auf ihre Bundestag gibt die Publikation „Das kerte „Allzuständigkeit“ verwiesen. im Grundgesetz ver- ankerte „Allzustän- Parlament“ heraus, die Bundeskanzle- Wer wie die Kommunen verfassungs- digkeit“ (siehe auch rin bringt ihre Sicht der Dinge in wö- rechtlich befugt sei, „alle Angelegen- Kasten auf S.12). chentlichen Online-Videobotschaften heiten der örtlichen Gemeinschaft … © Foto: shutterstock.com/Biscotto Design, rawpixel.com/Freepik „unters Volk“. in eigener Verantwortung zu regeln“, Im Grundsatz ist es nicht zu bean- der dürfe auch autonom über Inhalt, standen, wenn Kommunen als Teil der Umfang und Ausmaß publizistischer staatlichen Hierarchie Öffentlichkeits- Aktivitäten bestimmen, ohne dass arbeit betreiben und dabei alle dafür dafür Grenzen gesetzt wären. Insbe- zur Verfügung stehenden medialen sondere dann, wenn Kommunen mei- Möglichkeiten nutzen. Insoweit sind nen, tatsächliche oder vermeintliche etwa zu nennen: Presseinformationen, „Informationsdefizite“ ausmachen zu Amtsblätter, Online-Portale. Zudem können, wäre es geradezu ihre Pflicht, steht es außer Frage, dass die Kommu- die Bürger über alle Angelegenheiten nen in ihrer Öffentlichkeitsarbeit nicht der örtlichen Gemeinschaft medial zu verschämt als „graue Maus“ daherkom- informieren. Man könnte sich ver- » POLITIK relevant. 1|2020 10
Das Rathaus: für alles zuständig, aber auch ein Alleskönner? 11 relevant. 1|2020 POLITIK
INFO Die wichtigsten Gesetze zum Thema Art. 28 Abs. 2 GG (1) ... Dies schon deshalb nicht, weil es zu (2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle den Grundpfeilern einer freiheitlichen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesellschaft gehört, dass Kommuni- Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemein- deverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbe- kation generell „staatsfrei“ zu sein hat, reiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstver- nicht von staatlicher Gewalt gelenkt waltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch sein darf. Selbst dann, wenn behaup- die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht tet würde, dass in einer Kommune zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle. ein „Informationsdefizit“ bestehe (was (3) ... allerdings angesichts der sich im- mer weiter ausdehnenden digitalen Art. 5 GG Kommunikationsmöglichkeiten eher (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild unwahrscheinlich ist), wäre es – wie frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugängli- höchstrichterlich entschieden – in chen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film keinem Fall Aufgabe staatlicher Stel- werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. len, dieses Defizit zu beseitigen. Wer (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der auch immer legitimiert sein könnte, allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum publizistische Defizite zu beseitigen, Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. (3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die nach dem Grundgesetz kann es einer Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung. nicht sein: der Staat – und damit auch nicht die Kommunen. Es gilt das Gebot der Staatsfreiheit der Presse » wundert die Augen reiben, blendet Trotz aller gegenteiligen Beteuerun- diese Selbstüberschätzung kommu- gen gilt es festzuhalten, dass staatli- naler Publikationskompetenzen doch che (kommunale) Öffentlichkeitsarbeit geflissentlich aus, dass Kommunen nicht frei ist wie verlegerische Tätig- als Teil staatlicher Verwaltung selbst keit, sondern elementaren Grenzen un- nicht Grundrechtsträger sind. Ihnen terworfen ist, die eingehalten werden ist eine Berufung auf die Garantie der müssen, sofern nicht gegen das „Gebot Kommunen sind Pressefreiheit in Art. 5 GG verwehrt. der Staatsfreiheit der Presse“ verstoßen Teil der staatlichen Damit ist zugleich verfassungsrecht- werden soll. Während es vielfach Fall- Verwaltung, eine Berufung auf die Ga- lich vorentschieden, dass kommunale gestaltungen gibt, in denen konkurrie- © Foto: shutterstock.com/La1n rantie der Pressefrei- Öffentlichkeitsarbeit in keinem Fall rende Grundrechte miteinander abzu- heit ist ihnen daher dem entsprechen kann und darf, was wägen sind, besteht dieses Erfordernis verwehrt (siehe auch (private) verlegerische Tätigkeit aus- mit Blick auf die Öffentlichkeitsarbeit Kasten oben). macht. Plakativ formuliert: Kommu- von Kommunen nicht. Ihnen steht das nen sind keine Verleger und dürfen Kommunikationsgrundrecht aus Art. 5 auch keine sein. GG nicht zu, sie sind – und auch dies POLITIK relevant. 1|2020 12
Liegt ein Verstoß gegen die Staatsfrei- heit der Presse vor, ist höchstrichterlich entschieden – in liegt ein Verstoß gegen das Gebot der kann das Medien- angebot gerichtlich ihrer Öffentlichkeitsarbeit auf die me- Staatsfreiheit der Presse vor. Das kom- untersagt werden. diale Vermittlung ihrer eigenen Ver- munale Medienangebot ist unzulässig waltungsaktivitäten begrenzt. und kann gerichtlich untersagt werden. Insoweit ist zugleich anzumerken, dass Kommunen agieren die Kommunen auch dann für ihre me- zum Teil sehr trickreich dialen Produkte einstehen müssen, Die Grenzen legitimer Öffentlichkeits- wenn sie – mitunter ausgesprochen arbeit der Kommunen sind immer „trickreich“ – versuchen, sich durch die dann überschritten, wenn das mediale Einschaltung von privaten Unterneh- kommunale Produkt wie ein privat ver- men „aus der Schusslinie zu stehlen“, antwortetes Medium „daherkommt“. indem z. B. privatrechtliche Gesell- Ist ein kommunales Printerzeugnis, schaften „vorgeschoben“ werden, die ein kommunales Online-Portal in der jedoch bei genauerer Betrachtung in Lage, vergleichbare privatwirtschaft- kommunaler Hand sind. Dass verlags- liche Angebote zu substituieren, dann wirtschaftliche Aufgaben wie die » 13 relevant. 1|2020 POLITIK
» Anzeigenakquisition, der Druck, der Produkte. Auch wenn stets die Einzel- Vertrieb von Amtsblättern oder die Ge- fallbetrachtung ausschlaggebend ist, so staltung und das Handling kommuna- lassen sich doch eine ganze Reihe von ler Online-Portale an Private ausgela- Indizien aufführen, die in ihrer Sum- gert werden, ändert ebenfalls nichts an me belegen, dass die Grenzen zulässi- der fortbestehenden Verantwortlich- ger kommunaler Öffentlichkeitsarbeit keit der Kommunen für „ihre“ medialen überschritten sind. CHECKLISTE: Vier Indizien, wann die Grenzen zulässiger kommunaler Öffentlichkeitsarbeit überschritten sind 1 Das kommunale Medium enthält nicht nur vereinzelt redaktionelle Fremdbeiträge, sondern berichtet wie ein privates lokales Medium umfassend über das allgemeine politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle, sportliche Geschehen auf Ausschlaggebend ist kommunaler Ebene. Insoweit sind etwa Kirchennachrichten und Vereinsmeldungen, stets die Einzelfall jedenfalls dann, wenn sie über unkommentierende Veranstaltungsankündigungen hinausge- betrachtung. hen, unzulässige Fremdmeldungen, weil es nicht zu den kommunalen Aufgaben gehört, eine „Litfaßsäule“ vorzuhalten, auf der jedermann das kommunizieren kann, was er lokal für be- deutsam erachtet. Redaktioneller Inhalt kommunaler Medien darf nur die Vermittlung eigener Verwaltungsaktivitäten sein. 2 Auch wenn kommunale Medien optisch anspruchsvoll aufgemacht sein dürfen, so ist gleichwohl eine „pressemäßige“ Aufmachung ein weiteres Indiz dafür, dass die Grenzen kommunaler Öffentlichkeitsarbeit nicht mehr gewahrt sind. Denn der Leser/ Nutzer rechnet ein entsprechend pressemäßig aufgemachtes Produkt eben nicht mehr staatlicher Kommunikation zu, er wird gravierend irregeführt. 3 Bedeutsam ist weiter, inwieweit mediale kommunale Produkte wie private Medienan- gebote verbreitet werden. Für jedermann frei zugängliche Online-Plattformen, an alle Haushalte gratis oder im Abonnement zugestellte Amtsblätter sind auch insoweit per se nah dran, private Angebote ersetzen zu können. 4 Schließlich ist die Frage von besonderem Gewicht, ob die kommunalen Medien ganz oder teilweise werbefinanziert sind. Ist die Werbefinanzierung kommunaler Medien nicht mehr nur „von untergeordneter Bedeutung“, dann ist auch dies ein Indiz, dass derartige Praktiken mit kommunaler Öffentlichkeitsarbeit unvereinbar sind. Die zuläs- sige Grenze dürfte überschritten sein, wenn z. B. bei einem Amtsblatt der Anzeigenteil mehr © Foto: Privat als 20 % des Umfangs ausmacht oder wenn ein kommunales Online-Portal mit dem Hinweis auf „mehrere Tausend Werbekunden“ auftrumpft. POLITIK relevant. 1|2020 14
Für die privaten Medienanbieter gilt es, diesen kommunalen Verlockungen selbst bewusst entgegenzutreten. Es darf nicht vergessen werden, dass Kommunikation staatsfrei zu sein hat. MICHAEL RATH-GLAWATZ Zugegeben, die Verlockungen für die Es gilt, Tabubrüche zu verhindern „kommunale Obrigkeit“ sind groß, den Staatliche/kommunale Informationen möglicherweise als zu kritisch, zu hat es schon immer gegeben und wird/ wenig optimistisch, zu kleinkariert darf es auch weiterhin geben. Sie muss empfundenen privaten lokalen Medi- aber auf die Vermittlung eigener Akti- en eigene mediale Produkte als Wett- vitäten beschränkt bleiben. Der Staat/ bewerber entgegenzusetzen, in denen die Kommunen dürfen nicht, als sei die Bürger „endlich“ das erfahren, was dies gleichsam gottgegeben, als voll- aus kommunaler Sicht mitgeteilt wer- wertige „Player“ in die öffentliche Kom- den sollte. Allzumal dann, wenn man munikation eingreifen. Derartige Tabu- online, ohne lästigen Druck und teuren brüche gilt es zu verhindern. « Vertrieb, Tag und Nacht mit den priva- ten Medien konkurrieren und langfris- tig auch „mehr“ an Inhalt bieten kann, weil dafür die kommunalen Haushalte als Finanzier zur Verfügung stehen. Für die privaten Medienanbieter gilt es, diesen kommunalen Verlockungen ZUR PERSON selbstbewusst entgegenzutreten. Es Dr. Michael Rath-Glawatz darf nicht vergessen bzw. durch schlei- Rechtsanwalt seit 1981 chende Aushöhlung untergraben wer- Tätigkeit als Verlagsgeschäftsführer Leiter Rechtsabteilung Medienunternehmen den, dass Kommunikation staatsfrei zu Geschäftsführer Hörfunk-/TV-Unternehmen sein hat. Buchautor 15 relevant. 1|2020 POLITIK
Wie kann eine effektive Regulierung von Internet plattformen aussehen? WISSEN Wettbewerb und Vielfalt im Internet sind stark gefährdet, wenn Europa die Internetplattformen nicht bald strenger und angemessener reguliert. Bisher agieren die Kartellbehörden oft zu spät und zu zögerlich. VON THOMAS HÖPPNER POLITIK relevant. 1|2020 16
D as Internet hat sich für viele zur den sie als Erste ein, weniger relevante Mehr Einsatz bitte! wichtigsten Informationsquelle blenden sie aus. Verbraucher vertrau- Auch vielen EU-Politi- kern erscheinen die entwickelt. Nutzer vergleichen en oft blind auf diese Bewertung. Das bisherigen Regeln für Produkte, diskutieren Nachrichten und erste Ergebnis auf eine Suchanfrage die großen Plattfor- bewerten die neuesten Videos. Das wird doppelt so häufig angeklickt wie men als zu schwach. Internet hat nicht nur für den Wettbe- das zweite. werb, sondern auch für die Meinungs- bildung eine zentrale Bedeutung. Gefährdungslage für den Wettbewerb Gesteuert wird der Wettbewerb durch Eine besondere Gefährdungslage für Intermediäre: Plattformen, die wie den Wettbewerb, aber auch die Mei- Suchmaschinen, App-Stores, Markt- nungsvielfalt, entsteht, wenn ein In- Intermediär: lat. plätze oder soziale Netzwerke zwi- termediär einen ökonomischen Anreiz „dazwischenlie- gend“, Vermittler. schen Inhalte-Anbietern und Ver- hat, Nutzer zu eigenen Angeboten oder Ein Vermittler ist brauchern vermitteln. Wegen der Inhalten zu leiten. Ein solcher Ein- eine dritte Partei, die © Foto: shutterstock/GoodStudio unüberschaubaren Fülle im Internet griff in die Vermittlungsleistung ist Vermittlungsdienste zwischen zwei Partei- verfügbarer Informationen überneh- hinnehmbar, solange der Intermediär en anbietet. men Intermediäre häufig nicht nur das wirksamem Wettbewerb ausgesetzt ist Auffinden relevanter Inhalte, sondern und seine fehlende Neutralität erkenn- auch deren inhaltliche Bewertung. Aus bar ist. Dann können die Nutzer selbst ihrer Sicht bedeutsame Inhalte blen- durch einen Wechsel des Interme- » 17 relevant. 1|2020 POLITIK
2‚4 Mrd. Euro Bußgeld wurde Google im nicht eine weitere Industrie, ein wei- terer Inhalte-Anbieter bei einer Wett- bewerbsbehörde beschwerte, dass Google, Amazon, Apple oder Facebook eigene Dienste begünstigen und re- levantere Wettbewerber unsichtbar machen. Dabei hatte die Europäische Kommission 2017 infolge einer Be- schwerde von BDZV und VDZ für ge- nau solche Praktiken Google ein Buß- geld von € 2.4 Mrd. auferlegt.1 In der Jahr 2017 auferlegt mündlichen Verhandlung von Googles Klage gegen diese Kommissionsent- scheidung im Februar 2020 redete Dieses Bußgeld soll Google zahlen, denn die Kommission sieht es als erwiesen an, dass der Konzern seine Markt- dann auch ein Richter beim EU-Ge- macht durch die bessere Darstellung eigener Dienste in den richt Tacheles: Das Bußgeld sollte noch Suchergebnissen begünstigt (Urteil vom 27. Juni 2017). erhöht werden. Google begünstige sich vorsätzlich. Die immer neuen Wettbe- werbsbeschwerden zeigten, dass die Entscheidung der Kommission offen- bar keinerlei abschreckende Wirkung entfaltete.2 » diärs reagieren. Anders verhält es sich aber, wenn der Intermediär man- Komplexität und permanentes Markt- gels Wettbewerbs faktisch den Zugang versagen sprechen für Regulierung zu einer bestimmten Gruppe von Ver- Die mündliche Verhandlung zeigte brauchern kontrolliert und nicht be- aber auch die Komplexität der Mate- fürchten muss, dass die Begünstigung rie. Die kleinsten Details der verschie- eigener Dienste abgestraft wird. densten Funktionen, technischen Op- tionen und Auswirkungen von Designs Google wurde wegen Disintermediation ganzer Industrien von Suchdiensten auf Sichtbarkeit, Missbrauchs seiner trotz hoher Bußgelder Klickraten und Klickpreise kamen zur marktbeherrschen- den Stellung bei Bei den größten Internet-Intermediä- Sprache. Selbst eine so starke Wett- Produktanzeigen ren ist diese Marktphase mittlerweile bewerbsbehörde wie die Europäische im Suchergebnis erreicht. In den letzten zwei Jahren Kommission gelangt da schnell im bestraft. verging kaum ein Monat, in dem sich Informationsgefälle zur Blackbox 1) Kommission, Case.AT 39740, Google Search (Shopping). 2) Finanzen.net, v. 17.2.2020, „EU-Richter bringt höheres Bußgeld gegen Google ins Spiel“, https://www.finanzen.net/nachricht/aktien/berufung-koennte-scheitern-eu-richter-bringt-hoeheres-bussgeld- gegen-google-ins-spiel-8518209 POLITIK relevant. 1|2020 18
Google, Amazon, Apple und Facebook haben nahezu unbegrenzte Stellschrauben, um Märkte zu monopolisieren. THOMAS HÖPPNER Google an ihre Grenzen. Google, Ama- und ex ante wirkende Verbote schaffen zon, Apple und Facebook stehen na- die erforderliche Rechts- und Planungs- hezu unbegrenzte Stellschrauben zur sicherheit. Gerade in dynamischen Verfügung, um über ihre milliarden- Märkten müssen die zuständigen Ins- fachen täglichen Vermittlungsleis- titutionen schnell und gezielt agieren tungen Märkte zu monopolisieren. Es können. Die von der 10. GWB-Novelle kann nicht Aufgabe allgemeiner Wett- prognostizierten zwei Entscheidun- bewerbsbehörden sein, dauerhaft und gen des Bundeskartellamts gegen die tagesaktuell solche Kleinstprozesse Tech-Riesen innerhalb der ersten fünf zu überwachen. Wer Montag aus den Jahre 4 sind schlicht „too little, too late“. Suchergebnissen verschwindet, will Mittel- bis langfristig führt kein Weg an und braucht spätestens Freitag Klar- einer speziellen Regulierung vorbei. Sie heit – nicht Jahre später. sollte die folgenden Mindestanforde- rungen erfüllen: » Eine Aufgabe für den Gesetzgeber Die allgemeinen Wettbewerbsbehörden sind auch nicht dazu berufen, komple- xe, grundrechtsrelevante Gemenge- lagen in einen allgemeinen Einklang zu bringen, um die es beim Zugang zu Informationen im Internet geht. Das INFO „Too little, too late“ ist originäre Aufgabe des Gesetzge- Selbst EU-Politiker sehen die bisherigen Maßnahmen im Umgang mit bers. Der Referentenentwurf für eine 10. den amerikanischen (und chinesischen) Internetgiganten als unzu- GWB-Novelle (sog. „Digitalisierungsge- reichend und zu zögerlich an. Der Begriff „too little too late“ steht symbolisch für diese Kritik aus den eigenen Reihen. So forderte etwa setz“) ist insoweit ein richtiger Schritt. der EVP-Vorsitzende Manfred Weber (CSU) im vergangenen April Die vorgesehene Modifizierung der im „Spiegel“: „Wenn es US-Internetriesen gelingt, die gesetzlichen Missbrauchsaufsicht reicht aber nicht Rahmenbedingungen für die Digitalisierung zu beeinflussen (…), dann müssen wir in der EU auch sehr viel zielgerichteter unsere Unterneh- aus.3 Nur gesetzliche Detailregelungen men unterstützen und Rahmenbedingungen deutlich verbessern. (…) Die Zeiten des Abwartens und Zuschauens müssen vorbei sein, sonst 3) S. im Detail Höppner, WuW 2/2020, S. 71–79; ders./Weber, K&R verspielen wir unsere Zukunft. (…)“ 1/2020, S. 24–51. 4) BMWi, Begründung des Referentenentwurfs für eine 10. GWB-Novelle, S. 62. 19 relevant. 1|2020 POLITIK
» Gebotene asymmetrische diszipliniert. Jeder Auferlegung von Regulierung Verpflichtungen muss daher eine um- Eine Marktregulierung von Internet-In- fassende Marktanalyse vorausgehen. termediären muss zwingend asymme- Dafür sind zunächst die verschiede- trisch sein, also zwischen Plattformen nen Vermittlungsdienstleistungen ab- mit und Plattformen ohne signifikan- zugrenzen, also die relevanten Märkte te Marktmacht unterscheiden. Ein zu definieren. Im Anschluss ist festzu- Marktversagen besteht nur bei Platt- stellen, auf welchem definierten Markt formen, für die es auch längerfristig eine signifikante Marktmacht besteht keine echten Ausweichmöglichkeiten und ob diese nur von vorübergehen- gibt. Für sie können und müssen unter der Natur ist oder der Markt aufgrund dem Gesichtspunkt der Verhältnismä- beträchtlicher und anhaltender Markt- ßigkeit strengere Vorgaben gelten als zutrittsbarrieren längerfristig nicht für andere Plattformen. Der symmetri- zu wirksamem Wettbewerb tendiert. sche Ansatz etwa der Platform-to-Bu- Wurden derart durch Wettbewerb nicht siness-Verordnung 5 oder der Daten- hinreichend disziplinierte Intermediäre schutzgrundverordnung ist nicht identifiziert, sollte noch geprüft werden, Nach Ansicht geeignet, Probleme asymmetrischer ob das allgemeine Wettbewerbsrecht führender Juristen Machtverhältnisse zu lösen. Er kann ausreicht, um das Marktversagen zu ist es eine Genera- tionenaufgabe, das diese Asymmetrien sogar verfestigen. adressieren. Das ist typischerweise auf Kartellrecht fit für Märkten mit vielen Transaktionen und das Zeitalter der Differenzierung anhand der hohem Streitpotenzial nicht der Fall. Digitalisierung zu Angreifbarkeit eines Intermediärs machen. Die verschiedenen Internetplattfor- Maßgeschneiderte men werden auf ihren jeweiligen Regulierungsverfügungen Märkten unterschiedlich intensiv Im Anschluss an die Marktanalyse durch die Wechselmöglichkeiten ih- sind dem identifizierten Intermediär rer jeweiligen Abnehmergruppen mit signifikanter Marktmacht in einem 5) Verordnung Nr. 2019/1150. Für alle Mitarbeiter von Medienunternehmen Die Presse-Betriebsrente: Hohe Rendite. Großkundenkonditionen. Persönliche Ansprechpartner. Anzeige 0711 2056 244 Fotolia-ivanko80 POLITIK relevant. 1|2020 20
zweiten Schritt geeignete Verpflich- räumen. Die Behörde könnte dann die tungen aufzuerlegen, um den Wettbe- im Einzelfall effektivsten auswählen. werb zu sichern. Dafür sollte das Gesetz Jedenfalls die folgenden Verpflich- der Regulierungsbehörde einen breiten tungsoptionen erscheinen sinnvoll: » Kanon möglicher Verpflichtungen ein- Gleichbehandlungsgebote Pflicht, bei der Vermittlung alle Angebote nach den gleichen Prozessen und Methoden zu behandeln, einschließlich der eigenen Angebote. Entflechtungsvorgaben Pflicht, den regulierten Vermittlungsdienst strukturell (buchhalterisch, funktional, gesell- schaftsrechtlich bis hin zu eigentumsrechtlich) von anderen Geschäftsbereichen zu trennen. Zugangsverpflichtungen Pflicht, Wettbewerbern eine Mitbenutzung wesentlicher Vorleistungen zu erlauben, damit sie in Konkurrenz treten können, einschließlich des Zugangs zu wettbewerbsrelevanten Daten. Datenportabilitätsvorgaben Pflicht, die Portierung von Nutzerdaten auf eine andere Plattform zu ermöglichen und gegebe- nenfalls aktiv zu portieren. Transparenzverpflichtungen Pflicht, Nutzergruppen Interessenkonflikte bei der Vermittlung und relevante technische Spezifikationen offenzulegen. Je nach Marktversagen könnten diese Verpflichtungen weiter ergänzt werden. 21 relevant. 1|2020 POLITIK
Das Telekommunikationsrecht sieht den asymmetrischen Regulierungs ansatz bereits vor. THOMAS HÖPPNER ZUR PERSON Telekommunikationsmärkten vertraut Prof. Dr. Thomas Höppner werden, in Deutschland die Bundes- Professor für Wirtschaftsprivatrecht an der netzagentur. Das ähnlich dynamische Technischen Hochschule Wildau und technisch komplexe Telekommu- Partner der Wirtschaftskanzlei Hausfeld, die u. a. den BDZV & VDZ vor der Kommission und nikationsrecht sieht den hier darge- dem EU-Gericht in Sachen Google vertritt legten asymmetrischen Regulierungs- ansatz bereits vor. Die erfolgreiche Rückführung der sektorspezifischen Regulierung hat hier auch freie Kapa- zitäten geschaffen. Mit BEREC besteht eine Europäische Dachorganisation, Das Gremium » Spezialbehörde mit die kurzfristig allgemeine, übergreifen- Europäischer technischem Know-how de Leitlinien entwickeln könnte. Regulierungsstellen für elektronische Die Durchsetzung einer asymmetri- All das ließe sich im Ergebnis ganz Kommunikation schen Regulierung setzt eine schlag- zügig erreichen, wenn man den (engl. BEREC) exis- kräftige Regulierungsbehörde voraus. Rechtsrahmen für die elektronische tiert seit 2010 und ist eine Agentur der Hierfür sollte auf die nationalen Be- Kommunikation auf Internet-Interme- EU-Kommission. hörden für die Regulierung von diationsdienste erweitert. « POLITIK ANWENDUNG Reduzierter Steuersatz für digitale Presseprodukte Der Deutsche Bundestag hat am 7. November 2019 be- scher Mühe erreichte Änderung des EU-Mehrwertsteu- schlossen, dass für digitale Presseprodukte ab Dezember errechts erlaubt es den Mitgliedsstaaten, die reduzierte 2019 der reduzierte Umsatzsteuersatz gilt. Damit werden Mehrwertsteuer auf die elektronische Dienstleistung der die digitalen Produkte der Zeitungsverlage den Print- Überlassung von Büchern, Zeitungen oder Zeitschriften produkten aus steuerlicher Sicht endlich gleichgestellt. anzuwenden. Von der Steuerermäßigung ausgenommen © Foto: Privat Vorausgegangen war der deutschen Gesetzgebung ein sind Veröffentlichungen, die vollständig oder im Wesentli- Prozess auf EU-Ebene. Die 2018 nach jahrelanger politi- chen Werbezwecken dienen. POLITIK relevant. 1|2020 22
„Wir sind ein nicht perfektes System mit dem Ziel, die Wahrheit zu verbreiten“ MEINUNG Uwe Vorkötter, Chefredakteur des Medienmagazins Horizont, interviewte für relevant. den BDZV-Präsidenten Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE, zu den Themen, die die Publisher-Branche umtreiben: Transformation, Relevanz, Selbstkritik. Die aktuellen politischen Themen blieben dabei ebenso wenig außen vor wie ein Ausblick in die Zukunft von Verband und Branche. INTERVIEW VON UWE VORKÖTTER H err Döpfner, vor einem halben hen wir einen Schritt weiter. Wir wol- Jahr ist aus dem Bundesver- len deutlich machen, dass der BDZV band Deutscher Zeitungsverle- nicht nur ein Verband von Leuten ist, ger der Bundesverband Digitalpublisher die Papier mit Nachrichten bedrucken, und Zeitungsverleger geworden. Was sondern ein Verband von Verlegern, hat sich außer dem Namen geändert? die aktuellen Journalismus betreiben, Die Namensänderung ist eine Zielposi- und zwar immer stärker auf digitalen tionsbestimmung. In unserem Verband Vertriebswegen. Das ist zugleich ein gibt es heute bereits 600 digitaljour- Signal der Öffnung an Unternehmen nalistische Angebote. Aber die Digital aus der digitalen Wirtschaft. Natives, die an diesen Webseiten, Apps Der Nachfolger von und anderen Produkten arbeiten, brau- An wen denken Sie da? © Foto: Daniel Biskup „Zeitung digital“ fin- chen eine stärkere Stimme im Verband. An Digitalverlage wie Politico, Vox Me- det vom 27. bis 28. Um das zu ändern, haben wir bereits dia, Business Insider, Huffington Post. Mai 2020 in Berlin bereits zum zweiten den beBETA Digitalkongress ins Leben Aber auch an journalistische Start-ups, Mal statt. gerufen. Mit der Namensänderung ge- an Blogs, an ganz neue Initiativen. » MARKT relevant. 1|2020 24
Mathias Döpfner ist seit 2016 Präsident des BDZV. 25 relevant. 1|2020 MARKT
Junge Digitalpublisher brauchen verlässliche gesetzliche Rahmen bedingungen und fairen Wettbewerb, um ihr Geschäft zu entwickeln. MATHIAS DÖPFNER, BDZV-PRÄSIDENT » T-Online, Correctiv, Übermedien: Technologie. Dafür können wir eine Sind das potenzielle Mitglieder des Plattform bieten. neuen BDZV? Bei Correctiv und Übermedien würde Kann der digitale Nachwuchs sich den ich das bejahen, bei T-Online kommt es BDZV leisten? Müssen die Tarifverträ- auf das Selbstverständnis an. Unsere ge in jedem Start-up gelten? Kriterien sind sehr klar: Die Mitglieder Erste Frage: ja. Zweite Frage: nein. Die des BDZV haben einen journalistischen Einstiegshürde wird sehr niedrig sein. Anspruch, sie recherchieren originäre Ein Start-up wird am Anfang einen eigene Inhalte, sie sind unabhängig, symbolischen Beitrag zahlen. Und un- sie trennen die kommerzielle von der sere Mitglieder kommen in den Genuss journalistischen Sphäre. Ich nenne das von Events, Weiterbildung und ande- zusammengefasst das Prinzip der ver- ren Leistungen. antwortlichen Absenderschaft. Wenn die Kriterien erfüllt sind, dann wäre Die Zeitungsverlage arbeiten seit zwei eine Anbindung wünschenswert. Al- Jahrzehnten an der Transformation lerdings müssen dazu erst noch die vom Printzeitalter in die digitale Ära. satzungsrechtlichen Voraussetzungen Gibt es, Stand heute, ein funktionie- geschaffen werden. rendes Geschäftsmodell für den digi- talen Journalismus? Warum sollte ein Blogger oder ein jun- Ja. ges Digitalunternehmen Mitglied im BDZV werden? Wie sieht es aus? Junge Digitalpublisher brauchen ver- Das digitale Abonnement etabliert sich lässliche gesetzliche Rahmenbedin- zusehends, es wird zur wichtigsten Säu- gungen und fairen Wettbewerb, um le des Geschäfts. Die Erwartung, Jour- ihr Geschäft zu entwickeln. Der BDZV nalismus im Netz nur aus Werbeerlösen vertritt ihre Interessen. Und sie suchen finanzieren zu können, war von Anfang den Austausch von Know-how und an eine Fehleinschätzung. Die Wer- MARKT relevant. 1|2020 26
beerlöse werden von den großen Tech- sich manche Luxusmentalität leisten. nologieplattformen abgeschöpft, die Aber das ist vorbei. Niemand freut Verlage wurden zu Content-Lieferanten sich mehr, wenn es dem Konkurrenten degradiert. Jetzt erleben wir den Shift schlecht geht. Und jeder freut sich über vom Werbe- zum Abomodell, und zwar ein funktionierendes Projekt, das der weltweit. Die New York Times hat 3,8 Branche weiterhilft. Millionen Digitalabonnenten, das Wall Street Journal über 2 Millionen, die Fi- Die Medienhäuser rücken enger zu- nancial Times eine Million, Bild 500.000. sammen? Die FAZ, der Spiegel, die Süddeutsche: Eindeutig. Herstellung, Technologie, Sie alle verfügen inzwischen über nen- Zustellung, Vermarktung: Das sind Fel- Von Oktober 2018 nenswerte digitale Abonnentenzahlen. der, auf denen Kooperation oft möglich bis April 2019 hat z. B. die FAZ bereits und sinnvoll ist. Die Redaktionen ste- 20.000 zahlende Leser und User konnten bisher die hen dabei nicht im Vordergrund, wobei „F+“-Abonnenten Breite des medialen Angebots kosten- ich hinzufüge, dass insgesamt in unse- gewinnen können. los nutzen. Jetzt stoßen sie auf immer rer Branche eine Konzentration unver- mehr rote Pluszeichen – und fragen meidlich ist. sich, warum sie nicht mit einem einzi- gen Abo viele Titel nutzen können. Bei Es wird weniger Verlage und Titel ge- Filmen geht das mit Netflix, bei Musik ben? mit Spotify. Im Printgeschäft setzt sich der Trend Ich schließe nicht aus, dass es solche sinkender Auflagen und Anzeigener- Angebote geben wird. Aber ich halte es löse fort. Möglicherweise beschleunigt nicht für wahrscheinlich, dass es ein sich diese Entwicklung, was ja schon einziges News-Spotify geben wird, das lange vorhergesagt wird. Dazu kom- die Vielfalt der Angebote ersetzt. men Belastungen, die der Gesetzgeber den Verlagen zumutet. Das führt ins- Warum nicht? gesamt zu einer schwierigen Situation, Es wird eine Vielfalt an Medienmarken die eine heftige Konsolidierungswelle geben, die mit individuellen Angebo- auslöst. Verlage sprechen über Koope- ten und eigenen Preispunkten ihre Le- rationen und Fusionen, mancher Titel ser bedienen. Und es wird Leser geben, wird zum Verkauf angeboten. die sich genau einer Marke anschlie- ßen, aufgrund ihrer gesellschaftlichen Sie meinen den Verkauf der DuMont- Haltung, der Tonalität, der Ästhetik, der Titel in Berlin und Hamburg? regionalen Nähe. Es kann also mehrere Ich will jetzt nicht über einzelne Häu- Aggregatoren geben. ser reden. Aber das sind schon Ent- wicklungen mit Signalcharakter. Umso Die Fähigkeit zur Kooperation gehörte wichtiger ist es, dass wir uns vom Pa- in der Vergangenheit nicht zu den be- pier emanzipieren und auf digitalen sonderen Stärken der Zeitungsverleger. Vertriebswegen unsere Geschäftsmo- Das stimmt. In den goldenen Zeiten delle entwickeln. » des analogen Geschäfts konnte man 27 relevant. 1|2020 MARKT
» Auf Print kann man demnächst ver- aktuell sind. Andererseits wollen 75 zichten? Prozent der heutigen Printleser nicht Nein! Wir haben es eindeutig mit einer auf die Papierausgabe verzichten. Also Generationsfrage zu tun. 77 Prozent müssen wir einerseits unsere digitalen der Unterdreißigjährigen sagen einer Vertriebswege konsequent ausbauen jüngsten Umfrage zufolge, dass sie ihre und gleichzeitig noch auf Jahre, wenn Nachrichten gern auf dem Smartpho- nicht Jahrzehnte hinaus die Zeitung ne oder Tablet nutzen, wo sie immer auf Papier anbieten. Belastungen, wie sie uns zurzeit bei der Zustellung zuge- mutet werden, kann kaum ein lokaler oder regionaler Zeitungsverlag in die- sem ohnehin schwierigen Transfor- mationsprozess schultern. Die Koalition hat 40 Millionen Euro im Haushalt vorgesehen, um den Ver- lagen zu helfen. Das ist dem BDZV zu wenig. Und der falsche Ansatz? Für uns gibt es eine klare ordnungs- politische Trennlinie: Wir lehnen eine direkte staatliche Förderung der Ver- lage strikt ab. Das führt letztlich in ein System der öffentlich-rechtlichen Zei- tungen und zu einer Aufweichung der redaktionellen Unabhängigkeit. Von einer Innovationsförderung, wie sie die Politik anbietet, halte ich definitiv nichts. Innovation müssen die Verlage selbst schultern. Etwas ganz anderes ZUR PERSON Dr. Mathias Döpfner ist die Förderung des Zustellsystems. Den freien Zugang des Bürgers zu un- Mathias Döpfner ist seit 2016 Präsident des BDZV. abhängigen Informationen sicherzu- Geboren im Jahr 1963, Studium der Musikwissenschaft, Germanistik stellen, daran kann und sollte sich der und Theaterwissenschaften in Frankfurt und Boston. Staat beteiligen, wie übrigens in ande- Als Journalist begann er 1982 seine Laufbahn bei der „Frankfurter ren europäischen Ländern auch. Allgemeinen Zeitung“. Von 1988 bis 1990 war er Geschäftsführer einer PR-Agentur. 1992 arbeitete er im Stab des Vorstands Inter- national des Gruner+Jahr-Verlages in Paris, später wurde er Assis- Aber 40 Millionen Euro sind Ihnen zu tent des Gruner+Jahr-Vorstandsvorsitzenden in Hamburg. Weitere wenig. journalistische Stationen waren Chefredaktion der „Wochenpost“, Wenn man an die Praxis in anderen Berlin (1994–1996), und Chefredaktion der „Hamburger Morgenpost“ (1996–1998). Ländern, etwa in Skandinavien oder in Frankreich, anknüpft, dann müss- © Foto: Daniel Biskup Seit 1998 ist er für das Unternehmen Axel Springer tätig. Zunächst ten wir über eine Größenordnung jen- als Chefredakteur DIE WELT. Seit Juli 2000 ist Mathias Döpfner Mit- glied des Vorstands und seit Januar 2002 Vorstandsvorsitzender der seits von 700 Millionen Euro reden. Das Axel Springer SE. (Quelle: Axel Springer SE) zeigt, wie weit wir von einer Problem- lösung entfernt sind. MARKT relevant. 1|2020 28
Den freien Zugang des Bürgers zu unabhängigen Informationen sicher zustellen, daran kann und sollte sich der Staat beteiligen. MATHIAS DÖPFNER, BDZV-PRÄSIDENT Liegen die Gespräche mit der Politik rikanischen Technologieplattformen. auf Eis? Oder sind Sie in einem kons Die sind auf die Setzung von Cookies truktiven Dialog? für ihr Werbegeschäft nicht angewie- Konstruktiver Dialog ist eine schöne sen, weil sie ohnehin über ausgefeilte Floskel. Wir sind tatsächlich im Dialog, Login-Systeme verfügen. Ich bin aber ich will den auch nicht abbrechen. Aber verhalten optimistisch, dass wir im wir reden über insgesamt 1,4 Milliar- zweiten Anlauf Verbraucherschutz den Euro Zustellkosten im Jahr. 40 Mil und Datenschutz stärken, ohne die lionen Euro, die wir uns noch mit den Verlage und die Vielfalt im Wettbewerb Anzeigenblättern oder gar Zeitschrif- zu schwächen. ten teilen sollen, sind nicht einmal ein Tröpfchen auf dem heißen Stein. In der Schweiz haben sich die Me- dienhäuser zu einer Login-Allianz zu- In Brüssel geht es nach wie vor um sammengeschlossen, um Google und die E-Privacy-Verordnung, sie soll Facebook Paroli zu bieten. Ist das ein wohl im zweiten Halbjahr, also in der Vorbild für Deutschland? deutschen Ratspräsidentschaft, ver- Ich finde das Schweizer Modell vor- In der sogenannten abschiedet werden. Droht den Verla- bildlich. Es gibt ja in Deutschland auch Digital-Allianz enga- gieren sich Ringier, gen von dieser Seite noch weiteres Versuche, Login-Allianzen auf den Tamedia, die NZZ Ungemach? Oder gewöhnt man sich Weg zu bringen. Nur eine kleine Zahl Mediengruppe sowie daran, wie an die Datenschutz-Grund- von Verlagen ist allerdings bisher be- CH Media. verordnung? reit, sich diesen Allianzen anzuschlie- Verbraucherschutz und Datenschutz ßen. Grundsätzlich ist das jedoch ein sind unbedingt zu bejahen. Der Teu- Feld, auf dem man die Kräfte bündeln fel steckt allerdings im Detail der muss. Die Kunden wollen sich nicht Umsetzung. Die Regelung, die bisher immer wieder, sondern nur einmal re- vorgesehen war, hätte nicht die Ver- gistrieren und sich dann auf unseren braucher geschützt, sondern die ame- Plattformen frei bewegen. » 29 relevant. 1|2020 MARKT
Fast 96 % der » Es gibt jetzt ein europäisches Ur- muss. Das empfinde ich als Erpressung Suchanfragen in heberrecht. Nach dem Scheitern des unter Missbrauch einer marktbeherr- Deutschland wurden 2018 über Google deutschen Leistungsschutzrechts ist schenden Stellung. getätigt. Quelle: das ein Erfolg, oder? statcounter.com Das ist ein großer Erfolg der gesamten Also ist das EU-Recht so unwirksam, Kreativwirtschaft – Zeitungsverleger, wie es das deutsche war? Zeitschriftenverleger, Literaturverbän- An dem Punkt sind wir noch nicht. de, Musikverbände und andere. Wir Das französische Beispiel zeigt nur, haben jetzt eine Rechtsgrundlage, um dass einzelne Länder zu schwach sind, überhaupt mit intellektuellem Eigen- das Recht durchzusetzen. Wenn sol- tum und Urheberrechten Geschäfte che Megakonzerne aber glauben, sie machen zu können. Wenn jemand In- könnten die Gesetzgebung auch auf halte, die andere geschaffen haben, für EU-Ebene aushebeln, dann werden sie seine kommerziellen Zwecke nutzt, sich möglicherweise verspekulieren. dann muss er dafür bezahlen, dieses Prinzip ist von essenzieller Bedeutung. Wie sieht es in Deutschland mit der Jetzt haben die nationalen Gesetzge- Umsetzung der Richtlinie aus? ber zwei Jahre Zeit für die Umsetzung. Leider nicht gut. In den bisherigen Ent- würfen stehen Ausnahmetatbestände, als hätten die Plattformen dem Gesetz- geber die Feder geführt. Aber wir ha- Ich sehe Anzeichen dafür, dass ben die Kritik daran bereits formuliert, das gesellschaftliche Bewusstsein letztlich bin ich zuversichtlich, dass für wahrhaftige Information wieder wir eine vernünftige Umsetzung der europäischen Vorgaben hinbekommen. stärker wird. MATHIAS DÖPFNER, BDZV-PRÄSIDENT Lassen Sie uns noch über die Rolle der Zeitungen in der Gesellschaft spre- chen. Die Menschen informieren sich heute bei Google und Facebook, sie Frankreich ist schon vorgeprescht. nutzen Websites von Onlinehändlern, In Frankreich setzt Ja, Emmanuel Macron hat die Bedeu- Blogs und russische Bots. Wo bleibt sich Präsident tung des Themas erkannt ... die Zeitung? Macron für das Urheberrecht ein. Dass der gesellschaftliche Einfluss © Foto: Daniel Biskup, Paulus Ponizak ... und Google hat das französische der Zeitungen geschwunden ist, kann Recht ins Leere laufen lassen. niemand ernsthaft bestreiten. Wenn Google hat, genau wie beim deutschen Sie früher den Leitartikel der FAZ oder Leistungsschutzrecht, durchblicken Ihrer regionalen Tageszeitung nicht lassen, dass jeder, der das Recht nutzt, gelesen hatten, konnten sie nicht mit erheblichen Nachteilen bei der mitsprechen. Heute gibt es viel mehr Darstellung seiner Inhalte rechnen Informationsquellen. Das kann eine MARKT relevant. 1|2020 30
Ernste Themen, ent- spannte Atmosphä- re: Beide Gesprächs- partner eint, dass sie schon in verschie- denen Zeitungen führende Positionen innehatten. Bereicherung sein. Aber zugleich ver- der Präsident der Zeitungsverleger es wischen sich die Grenzen zwischen wagen könne, Journalisten zu kriti- verantwortlicher Absenderschaft und sieren. Wir machen auch Fehler, keine Propaganda. Was wir an Fake News Frage. Viele Menschen fühlen sich ein- erleben, zeigt doch, wie wichtig der seitig informiert, wir haben Vertrauen unabhängige Journalismus gerade verloren. heute ist. Jeder Datenskandal, jeder russische Versuch, eine Wahl zu mani- Also sind die Zeitungen auch nicht bes- pulieren, ist ein Signal dafür. Insofern ser als diejenigen, die sie kritisieren? bin ich zwar einerseits besorgt über die Doch. Wir sehen uns mit einer Maschi- Entwicklung. Aber ich sehe anderer- nerie konfrontiert, die systematisch seits Anzeichen dafür, dass das gesell- Desinformation und Lügen verbreitet, schaftliche Bewusstsein für wahrhafti- und dahinter steht kein Geschäftsmo- ge Information wieder stärker wird. dell, sondern politische Absicht. Auf der anderen Seite stehen wir als Bran- Das klingt jetzt so, als gäbe es da drau- che, deren Ziel es ist, unabhängig und ßen viel Fehlentwicklung und hier wahrheitsgemäß zu informieren. Wir drinnen bei uns ist alles in bester Ord- sind ein nicht perfektes System mit nung ... dem Ziel, die Wahrheit zu verbreiten. Das Interview führ- Natürlich nicht! Wir haben manchen Das andere ist ein perfektes System, die te Uwe Vorkötter, Chefredakteur Grund zur Selbstkritik. Ich musste Unwahrheit zu verbreiten. Damit lassen HORIZONT-Medien mich ja auch schon fragen lassen, wie wir uns nicht auf eine Stufe stellen. « Print und Online 31 relevant. 1|2020 MARKT
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