St. Barbara in Kunzendorf - b. Neurode - DES GROSSDECHANTEN - Grafschaft Glatz
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RUNDBRIEF D ES G R O SS D EC H A N T E N und des Heimatwerkes Grafschaft Glatz e. V. St. Barbara in Kunzendorf b. Neurode Rundbrief 1/2020 Heft 1/2020 1 ISSN 1865-4312
Inhaltsverzeichnis Zum Geleit Osterwort........................................................................................................................................... 3 Begegnungen Pastoralmesse in Münster ................................................................................................................. 4 Schlesische Weihnachtsandacht in Kloster Oesede .......................................................................... 5 Adventsfeier in Kudowa ................................................................................................................... 6 Heimatwerk Alarmbotschaft an alle Rundbriefleser/-innen und -Bezieher/-innen ........................................ 7 Bevor es vergessen wird... Eine letzte Aktion! Gedanktafel am Landgestüt Warendorf .................. 7 Gedenken an Joseph Wittig Glauben – „fest für wahr halten“ ...? Teil 3 ...................................................................................... 8 Aus dem Glatzer Land Kunzendorf b. Neurode ..................................................................................................................... 10 Ignaz Reimann Festival 2020 in Albendorf ...................................................................................... 12 Wanderwoche im Glatzer Bergland .................................................................................................. 12 Schülerwettbewerb ............................................................................................................................ 12 Aus der Glatzer Stube in Telgte Zukunft des Vereins Glatzer Sammlungen e. V. ................................................................................ 13 Persönlichkeiten aus der Grafschaft Glatz Ruth Prager-Lewin ............................................................................................................................ 14 Dichterin der Heimat Anna Bernard – Lebendige Gestalterin glätzischen Volkstums ........................................................ 16 Aus den Grafschafter Gruppen Woche der Begegnung der Jungen Grafschaft .................................................................................. 22 Jahresabschlusstreffen der Grafschafter Gemeinschaft .................................................................... 26 Würdigungen Michael Güttler 70 Jahre alt .............................................................................................................. 33 85. Geburtstag von Georg Jaschke .................................................................................................... 33 Jubiläen und Geburtstage ............................................................................................................. 34 Heimgänge ...................................................................................................................................... 36 Sie gehören zu uns .......................................................................................................................... 37 Buchtipp .......................................................................................................................................... 38 Wichtige Informationen/Impressum ............................................................................................ 39 Termine ........................................................................................................................................... 40 Zum Titelbild: Die Pfarrkirche St. Barbara in Kunzendorf b. Neurode wurde ursprünglich 1910/1911 als Kuratiekirche im damals zeittypischen neuromanischen Stil erbaut. Foto: Jacek Halicki 2 Rundbrief 1/2020
Zum Geleit Osterwort „Da verließen sie (Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome) das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt.“ (Mk 16,8) Die Perspektive einer Grabeshöhle, wie wir sie auf dem Bild sehen, müssen eigentlich alle gehabt haben, die am Ostertag das Grab Jesu wieder verlassen haben. Sie wird aber in den Ostererzählungen nur ganz kurz und nicht sehr frohmachend beschrieben. Voll Schrecken und mit vielen Fragen haben die Frauen das Grab Foto: Ute Quaing Jesu verlassen. Manchmal ist auch vom Glau- ben die Rede, aber es überwiegt doch selbst bei den Aposteln der Zweifel. Wer das Foto anschaut, das aus einer Grabes- höhle heraus gemacht worden ist, sieht aber des Abschieds von einem lieben Menschen eigentlich etwas sehr Schönes und Frohmachen- die Stimme verschlagen hat. Aber auch andere des. Der Betrachter kommt aus der Dunkelheit ausweglos erscheinende Situationen in der Ar- und geht ans Tageslicht. Er steigt aus der Tiefe beitswelt, Politik, Umwelt und Kirche können in die Höhe. Was ihn draußen erwartet, kann sich durch den Blick aus der Grabeshöhle ver- er nicht genau erkennen. Das ist so, als ob wir ändern. Das Gebet und die Feier von Tod und nach einer Tunnelfahrt wieder ans Tageslicht Auferstehung Jesu im Gottesdienst laden zur kommen und das Tageslicht uns blendet. Der Veränderung der Perspektive ein. Vielleicht ist Autofahrer muss dann besonders aufmerksam das Gebet am Morgen und Abend mühsam und sein, dass er nicht ein Hindernis übersieht und lediglich eine Pflichterfüllung, aber es rahmt Schaden verursacht. Die Wirklichkeit im Tages- den Tag und das Leben ein, das von der Liebe licht hat sich nicht verändert, aber unsere Augen des Auferstandenen umfangen ist. Er wünscht haben Mühe, diese Wirklichkeit wieder richtig sich für uns von Herzen, dass wir mit ihm aus wahrzunehmen. Es liegt an unseren Augen – dem Grab und seiner Dunkelheit auferstehen. nicht an der Wirklichkeit. Nehmen wir seine ausgestreckte Hand gern an und lassen wir uns führen. Jesus Christus kennt Das Osterfest will uns wieder die neue Wirk- den Weg aus dem Grab und ist ihn gegangen. Er lichkeit bewusst machen, die manchmal verbor- kennt das Licht nach der Dunkelheit und führt gen liegt und unser Denken nicht ständig prägt. uns dorthin, wo alles verklärt wird, das heißt Dass wir durch die Taufe vom Tod erstanden klar, rein und leuchtend froh. sind, singen wir zwar in den Osterliedern und bekennen es im Glauben, aber wir vergessen es Frohe Ostern und die Erfahrung von Licht auch schnell in der Hektik des Alltags. Weil es am Ende des Tunnels wünsche ich daher von Auferstehung aus dem Dunkel des Todes gibt, Herzen. können wir an den Gräbern das Halleluja sin- Weihbischof Dr. Reinhard Hauke, gen. Die trauernden Angehörigen verlassen sich Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz dann darauf, dass die Freunde und Bekannten für die Seelsorge an den Vertriebenen und es laut singen, weil es ihnen im Augenblick Deutschen aus Russland Rundbrief 1/2020 3
Begegnungen Pastoralmesse in Münster Grafschafter Chor sang im traditionellen Weihnachtsgottesdienst Tasten und Pedale der Orgel in der Überwasser- und Sanctus bis zum Agnus Dei. Darüber hinaus kirche schwiegen am Sonntagnachmittag, dem erklangen traditionelle kirchliche Weihnachts- 12. Januar 2020. Die musikalische Gestaltung lieder. Dirigent war wieder Georg Jaschke, der traditionellen Grafschaft Glatzer Eucharis- der auch die Bläser organisiert hatte, während tiefeier mit dem Großdechanten Franz Jung zu Monika Veit die Streicher zusammenbrachte. Beginn des Jahres übernahmen der Grafschafter Chor und ein Instrumentalensemble von Strei- Gehalten wurde der Gottesdienst von Großde- chern und Bläsern. Auf dem Programm stand chant Franz Jung in Konzelebration mit Diakon diesmal die Pastoralmesse in F ,,Zur Heiligen Prof. Otmar Schober (beide Bistum Münster) Nacht“ des Albendorfer Komponisten Ignaz und Diakon Arnold Bittner (Bistum Osnabrück). Reimann (1820–1885). „Nach Epiphanias und dem Fest der Heiligen Die mittlerweile zehnte Aufführung des Chores Maria feiern wir jetzt das Fest der Taufe des in der Münsteraner Überwasserkirche (früher in Herrn“, sagte Schober in seiner Predigt und St. Aegidii) war mit rund 350 Zuhörern wieder fragte: ,,Was bleibt über die Weihnachtszeit sehr gut besucht. Der Gottesdienst wird seit über hinaus von ihr? Was können wir in die nächsten 20 Jahren im jährlichen Wechsel in Münster und Wochen mitnehmen?“ Die Eucharistiefeier sei der St.-Johann-Kirche in Osnabrück gefeiert. der Taufe Jesu durch Johannes gewidmet. Jesus Dabei kommen entweder Reimanns Pastoral- habe die Taufe zugelassen. „Damit die Heilsge- messe in F oder die Pastoralmesse in C („Christ- schichte Wirklichkeit werden konnte“, so Scho- kindlmesse“) zu Gehör. In Münster haben diese ber. Die Weihnachtsgeschichte werde von den kirchenmusikalischen Werke schon lange zahl- Gläubigen das Jahr über fortgeführt, sagte er. reiche Freunde. Die musikalische Messe beglei- Klaus Möllers in: WN, 14.01.2020, tete die Liturgie vom Kyrie über Gloria, Credo mit Ergänzungen der Redaktion Der Grafschafter Chor und die Instrumentalgruppe in der Überwasserkirche Foto: Klaus Möllers 4 Rundbrief 1/2020
Begegnungen Schlesische Weihnachtsandacht Für die Heimatgruppe Niederschwedel- dorf, die ihren Sitz in Kloster Oesede hat, beginnt das Jahr mit der Feier der Schle- sischen Weihnachtsandacht in der Kirche St. Johann. In diesem Jahr nahmen am 5. Januar ca. 250 Menschen daran teil. Die Gläubigen kamen nicht nur aus dem Bereich der Stadt Georgsmarienhütte, zu der Kloster Oesede gehört, sondern auch aus dem gesamten Landkreis Osnabrück und darüber hinaus. Für die Gemeinschaft der im Jahr 1946 aus ihrem geliebten Niederschwedeldorf Vertriebenen und deren Nachkommen ist die Weihnachtsandacht mit heimatlichen Liedern und Gebeten ein fester und nicht Weihnachtsandacht in Kloster Oesede Foto: Norbert Buhl wegzudenkender Teil ihres Lebens. die seinerzeit heimatlos war und Zuflucht suchte, Bemühungen der aus Niederschwedeldorf Ver- zur Situation der Vertriebenen nach dem unglück- triebenen und ganz besonders der Einsatz der seligen Zweiten Weltkrieg, der großes Leid über damaligen Niederschwedeldorfer Volksschul- unzählige Menschen brachte und als Folge zur lehrerin Maria Brieskorn hatten dazu geführt, Vertreibung eben auch der Niederschwedeldor- dass ein Großteil von ihnen ihre Bleibe und jetzt fer Gemeinschaft führte. Arnold Bittner ging auch Heimat in Kloster Oesede gefunden hat. dabei auch auf die vielen Menschen ein, die in der heutigen Zeit, ganz aktuell, ihre Heimat Die Weihnachtsandacht erinnert nicht nur an das verlassen müssen und Zuflucht suchen. „Wir Geschehen der Heiligen Nacht vor über 2000 müssen auch unsere Türen öffnen“, rief der Jahren, sondern auch an die Zeit, in der dieses Diakon den Gläubigen zu. Ereignis auf ganz spezielle „schlesische“ Weise in der Heimat gefeiert wurde. In diesem Jahr Einen Großteil der Weihnachtsfeier nahmen setzte sich der Kreis der Zelebranten zusammen musikalische Vorträge des Chores Harderberg aus dem Diakon Arnold Bittner, Großdechant unter der Leitung von Gregor Lemper ein; dazu Prälat Franz Jung und Pfarrer Christoph Scholz. gehörte selbstverständlich auch „Transeamus Arnold Bittner begrüßte zunächst die Besuche- usque Bethlehem“. Mathias Weber begleitete rinnen und Besucher. Dabei äußerte er seine den Chor- und Gemeindegesang an der Orgel. Überraschung über die große Anzahl. Er brachte zum Ausdruck, dass dies für alle Beteiligten Zum Abschluss sprach der Großdechant den große Stärke und Ermutigung bedeute. Nach Segen. „Abgerundet“ wurde das Treffen durch einem Eingangsgebet von Christoph Scholz las „Mohkucha und Kaffee“, wozu der Vorsitzen- Großdechant Franz Jung aus dem Neuen Testa- de der Niederschwedeldorfer Heimatgruppe, ment, anschließend hielt Diakon Bittner die Pre- Norbert Buhl, die Gäste in den Saal Steinfeld in digt in Form einer eindringlichen Meditation. Kloster Oesede einlud. Dort hielt er auch einen Dabei ging er auf das Wort „Zuhause“ ein und Fotovortrag über Breslau, das heutige Wrocław. spannte einen Bogen von der Heiligen Familie, Norbert Buhl Rundbrief 1/2020 5
Begegnungen Adventsfeier in Kudowa Es war ein unvergesslicher Nachmittag. Mit Dankbarkeit aus. Hilfe des Deutschen Freundschaftskreises in Einige hatten Trä- Glatz und der Sozial-Kulturellen Gesellschaft nen in den Augen. der Deutschen in Oppeln erhielten wir – der Es erschien noch Freundeskreis in Kudowa – einen finanziellen eine Zwei-Mann- Zuschuss zur Gestaltung einer deutschen Ad- Kapelle aus ventsfeier am 15. Dezember 2019. Tschechien, die böhmische Am Anfang gab es in der Alten Mühle in Weihnachtsmusik Kudowa ein Mittagessen nach schlesischer Art. spielte. Außerdem In der Grafschaft müssen immer Klöße dabei kam St. Nikolaus sein, so wie beim Kaffeetrinken der schlesische mit einem Engel Mohnkuchen nicht fehlen darf. Eingeladen und las uns eine waren neben unseren Mitgliedern auch Freunde, Geschichte aus die in Tscherbenay und Umgebung leben, und der Grafschaft St. Nikolaus kam in Begleitung alle Deutschen, die noch in der alten Heimat Glatz vor. eines Engels Foto: zg. wohnen. Die Älteste unter den rund 50 Gästen war mit fast 98 Jahren Anna Duchatsch. Wir haben von der Feier aus auch den Groß- dechanten in Münster angerufen und ihm sein Die Freude war sehr groß, über unser Brauch- Lieblingslied am Telefon vorgesungen. Er sagte tum aus deutscher Zeit zu sprechen und unsere am Schluss: „Das war mein schönstes Geschenk alten deutschen Lieder zu singen. Auf der Gitarre zu Weihnachten aus der Heimat.“ begleitete uns Heinz Peter Keuten vom Deutschen Freundschaftskreis in Glatz. Es waren auch viele Wir bedanken uns bei dem Glatzer Freund- junge Leute da, die ich gebeten habe, von unse- schaftskreis und der Sozial-Kulturellen Gesell- rem Brauchtum weiter zu erzählen und vor allem schaft in Oppeln für die Unterstützung unserer unsere alten Weihnachtslieder zu singen. Das Feier. Im Namen des dankbaren Freundschafts- war für alle beeindruckend, da es dazu sonst kreises in Kudowa-Czermna keine Gelegenheit mehr gibt. Viele sprachen ihre Elisabeth Kynast Jung und Alt erlebten eine bewegende deutsche Adventsfeier, stehend: Elisabeth Kynast Foto: zg. 6 Rundbrief 1/2020
Heimatwerk Alarm-Botschaft an alle Rundbrief- Bevor es vergessen wird… Leser/-innen und Bezieher/-innen Eine letzte Aktion! Mit Entsetzen hat die Buchhaltung des Büros Gedenktafel am Landgestüt Warendorf des Großdechanten festgestellt, dass im Jahr 2019 ein großes Loch in der Finanzierung des Waren Sie auch dabei im Jahr 1946, als über Rundbriefs entstanden ist, weil trotz der seit 60 000 Heimatvertriebene in den Pferdeställen Jahren sehr niedrigen Abokosten diese von vielen des Landgestüts Warendorf auf dem Strohboden nicht bezahlt wurden. Es fehlen uns derzeit ca. jeweils zwei bis drei Nächte bleiben mussten, 4 000 Euro. Der Zahlungsverzug ist sicher kein bevor wir dann in Nordrhein-Westfalen verteilt böser Wille, sondern – wie wir viele Grafschaf- wurden? ter kennen – einfach Vergesslichkeit. Ich selbst war als Neunjähriger dabei und wurde Wir dürfen aus dem Haushaltsplan keine Spenden- noch einmal mit einem Giftzeug entlaust wie gelder zugunsten des Rundbriefs verwenden. wohl alle 60 000, die hier 1946 die Konsequenz des Zweiten Weltkrieges ertragen mussten. Seit Wenn uns in diesem Jahr wiederum ein solcher mehr als zwei Jahren lässt es mir keine Ruhe. Fehlbetrag belastet, dann müssen wir den Rund- Wir können Steine und Gedenktafeln auch nach brief, der bisher gut ankam, einstellen. Ich bitte uns noch reden lassen über das Unrecht und die also, um das zu verhindern, um Begleichung des Verbrechen der Vertreibung. Und so habe ich Jahresbeitrags für den Rundbrief von mindestens mit dem Ehepaar Barbara und Harald Dierig aus 12 Euro, wobei dieser Betrag schon länger die Münster die ersten Kontakte gesucht – mit der Kosten für den Rundbrief nicht mehr deckt und Verwaltung des Landgestüts, der Stadt Waren- die Post zum 01.01.2020 erneut das Porto erhöht dorf und dem Land Nordrhein-Westfalen als hat. Wir hatten vor ca. zwei Jahren schon einmal Träger des Landgestüts sowie einem Künstler eine Erhöhung geplant, waren aber dabei auf für die Gestaltung einer Gedenktafel, die wir Widerstand gestoßen. voraussichtlich noch in diesem Jahr in Waren- dorf anbringen wollen. Beteiligen wollen sich Wir danken allen, die nach dem Weihnachts- auch die Reichenbacher/Niederschlesien, über rundbrief bereits für das neue Jahr 2020 bezahlt die die Stadt Warendorf die Paten- und Partner- haben. Wir entschuldigen uns für die Verspätung schaft übernommen hat. des Weihnachtsbriefes. Der Grund war: Unse- re Redakteurin Patricia Simon war plötzlich In die Gedenktafel sind auch die Menschen, die schwer erkrankt und verstorben (s. S. 36), so ihr Leben unterwegs verloren haben und deren dass ihre Arbeit am Rundbrief 3/2019 vorüber- Zahl über das Diözesanarchiv in Münster wir zu gehend liegen blieb. ermitteln versuchen, integriert. Wir bitten den ausstehenden Jahresbeitrag für Diese Gedenktafel mit der würdigen Gestaltung 2019 auf das Rundbriefkonto der Anlage vor dem Eingangstor zum Land- DE26 4006 0265 0015 1001 01 gestüt ist natürlich mit Kosten verbunden. Ich bei der Darlehnskasse Münster bin bei den anderen Anlagen, die an unsere zu überweisen und würden uns freuen, wenn Sie Heimat und die Vertreibung 1946 erinnern, noch gleichzeitig auch schon den Beitrag für 2020 niemals allein gelassen worden, weder beim entrichten würden. Bildstock in Telgte noch den Gedenktafeln am Bildstock. Im Namen des Heimatwerkes Grafschaft Glatz Pfarrer Martin Karras, Präses Ich vertraue darauf, dass diese wohl letzte Ak- Elisabeth Brauner, Geschäftsführerin tion offene Herzen und Hände findet. Ich stelle Franz Jung, Großdechant mir vor, dass jeder, der in Warendorf in den Rundbrief 1/2020 7
Heimatwerk | Gedenken an Joseph Wittig Pferdeställen überlebt hat, einen kleinen Beitrag Begleitend zur Errichtung des Gedenksteins geben kann, um unser Schicksal nicht in Verges- wollen wir eine kleine Broschüre mit Beiträgen senheit geraten zu lassen. Ich glaube daran, dass von Zeitzeugen, die ja immer weniger werden, alle Heimatvertriebenen sich an dieser letzten herausgeben. Deshalb bitten wir um die Ein- Aktion beteiligen werden. sendung von kurzgefassten Erinnerungen an die Tage und Nächte auf dem Landgestüt Waren- Spenden an Heimatwerk Grafschaft Glatz e.V., dorf. Bitte schicken Sie Ihre Aufzeichnungen, Konto DE53 4006 0265 0015 1001 00 bei der gerne auch mit der Hand geschrieben, an: DKM, Stichwort: „Gedenktafel Warendorf“. Glatzer Büro, Ermlandweg 22, 48159 Münster, Eine Spendenquittung kann erstellt werden beim oder per E-Mail an: grossdechant@t-online.de. Vermerk „Quittung“. Franz Jung, Großdechant Glauben – „fest für wahr halten“...? Mit dem letzten Beitrag zu dieser dreiteiligen los ergab. Er konnte vom Brote, das er vor dem „Serie“ kehre ich in meine rheinische Wahlhei- Verzehr segnet, sagen: ,Das ist mein Leib...‘ mat zurück und und möchte hier wiedergeben, (Das bin ich; ich gebe mich für Euch hin). Und: was ich im Sommer 2002 in den Pfarrbrief ,Tut dies zu meinem Gedächtnis.‘ (Zum Gedächt- meiner Kirchengemeinde einrücken ließ. Ge- nis = zur Erinnerung!) Wird dieses einmalige wiss von weniger Tiefgang als die Zeilen eines geschichtliche Ereignis seitdem wirklich millio- Eugen Drewermann, vermag mein persönlicher nen- und milliardenfach im Gottesdienst wieder- Beitrag aber an einem konkreten Beispiel an- holt...? schaulich machen, was ich so an Bedenken und Vorbehalten mit mir herumtrage – und dann Über solche Fragen mögen sich immer wieder die doch auch mal loswerden muss: Theologen ihre Köpfe heiß reden (und gelegent- lich wohl auch einschlagen). Für den einfachen Sprachverwirrung Christenmenschen, denke ich, ist das aber doch Unter dem Stichwort „Sprachverwirrung“ wird wohl eher unerheblich. Reicht es nicht aus, wenn im letzten Pfarrbrief (S. 24) moniert, daß so er an Sonn- und Feiertagen zum Tisch des Herrn mancher Katechet ,die Worte vom Leib und Blut geht, um an der Gemeinschaft mit Jesus Christus Jesu Christi‘ nicht mehr in den Mund nehme teilzunehmen? Und wenn er das tut: muß man – stattdessen vom ,heiligen Brot‘ oder ,Gottes- dann eigentlich jedesmal, ehe ihm der präsen- brot‘ spreche. tierte ,Leib Christi‘ gereicht wird, von ihm ver- langen, daß er sein ,Amen‘ dazu sagt...? Wer Ich denke, diese Katecheten tun gut daran, meint, daß das (meines Erachtens viel zu häu- daß sie Glaubenwahrheiten/-zumutungen, die fige) Amen-Sagen bereits ein Glaubensakt sei kein Mensch (von manchem Theologen einmal oder diesen doch ersetzen könne, der dürfte auf abgesehen) fassen kann, in einer den Kindern dem Holzwege sein. Und es bliebe immer noch zugänglichen Sprache zu vermitteln suchen. die Frage, was denn ein Glaubensakt wirklich Es ist ja schon erstaunlich und nicht leicht bedeutet, der eine nicht zu erfassende Wirklich- nachvollziehbar, was man aus dem einfachen keit betrifft. Wir versuchen, uns durch Sprache/ Abschiedsmahl Jesu mit seinen Jüngern und Begriffe über die Realitäten dieser Welt zu den dabei gesprochenen Worten schließlich verständigen, müssen uns aber davor hüten zu herausdogmatisiert hat! Für den historischen glauben, wir hätten diese selber damit auch Jesus lag es nahe, für die Hingabe im Opfertod schon im Griff. Bleiben wir mit der Sprache ein Zeichen zu setzen, das sich aus dem letzten auf dem Boden – und bei den Menschen, und gemeinsamen Mahl mit seinen Jüngern zwang- überfahren wir sie nicht ohne Not! Wer letztlich 8 Rundbrief 1/2020
Gedenken an Joseph Wittig Unverstehbares ständig im Munde führen soll, „Glaciographia Nova“ (2004) unter dem Titel: wird allenfalls Lippenbekenntnisse produzieren ,Hochland‘ zwischen Rheinland und Glatzer – und es dann womöglich ganz sein lassen. Land – Erinnerung an Joseph Wittig und eine mutige Zeitschrift. Er greift den Fall des von der Angeblich war das ganz schön kühn, was ich da Kirche Verfemten auf und beleuchtet ihn – auch geäußert hatte. Aber niemand widersprach mir. aus persönlicher Sicht – in Zusammenhang mit Auch unser Herr Pastor nicht, in dessen aus- der Zeitschrift „Hochland“ bzw. dem Schicksal klingende Amtszeit meine „Eingabe“ fiel. Zur ihres Gründers und Herausgebers Carl Muth. „Verabschiedung“ sagte ich auf ganz persön- Ausgehend vom Besuch eines Sonntagsgottes- liche Weise: Georg Biesenbach – danke! dienstes im Kölner Dom und dem Zufallsfund einer Broschüre auf dem Antiquariatsmarkt am Zum Geleit Rheinufer wird noch einmal deutlich zu machen versucht, wie Joseph Wittig es stets so trefflich Gehen wird er – unser Hirt. verstand, bei seinen reliösen Botschaften den Ernst bleibt zurück die Herde: Menschen zum Bezugspunkt seiner Anliegen Ob sie das wohl verkraften wird ...? zu machen, und wie es der Institution Kirche Ratlos – in Worten und Gebärde – offenbar am Verständnis dafür mangelte, dass Gärt Unbehagen, was nun werde. ungewohnte Zugänge zum christlichen Glauben wichtiger sein können als das Beharren auf Bei ihm man sich verstanden sah dogmatischen, mit Rechthaberei verbundenen In Glaubens-, Lebensfragen. Positionen. Damit hätte manches in unserer re- Er war den Menschen immer nah, ligösen Praxis offener, freier, lebendiger werden Stand ihnen bei in schweren Tagen, können. Eine „Lehre“ mag sich noch so sehr für Ein freies, mutig’s Wort zu wagen. „richtig“ halten: was taugt sie, wenn niemand sich von ihr angesprochen fühlt...? Nie hat er sich, fürwahr, gescheut, Blieb (trotz manch prekärer Lehren) Ein kürzerer Beitrag erschien etwa zur selben An dem stets orientiert, was heut’ Zeit im „Rundbrief des Großdechanten“. Er Christgemäße Wege wären...: bezieht sich – quasi als Leserbrief – auf einen Half so Glaubwürdigkeit zu mehren. Reisebericht, in dem auch von der Breslauer Kirche St. Maria auf dem Sande die Rede ist, Daß er auch weiter an uns denk’: wo einst Joseph Wittig als Kaplan tätig war. An die Gemeinden und ihr Leben – Meine ergänzenden Hinweise tragen die Über- Nehm’ Worte er an als Geschenk! schrift: „Auf (keinen) Sand gebaut...?“ und Kann er nun Neues noch erstreben: spiegeln eine Erfahrung wider, die den leiden- Es mög’ ihm Sinnerfüllung geben! den Menschen die Frage nach der „Güte Gottes“ aufwerfen lässt. Und ich schloss: Auch uns über- Auch von Joseph Wittig hätte man sagen kommen doch wohl immer wieder Zweifel, wenn können: Er blieb den Menschen immer nah / in unseren Gottesdiensten – angesichts all des Ein freies, mutig’s Wort zu wagen / Nie hat er Jammers dieser Erde – allzu freigebig mit dem sich, fürwahr, gescheut. / Blieb (trotz manch Begriff vom ,guten Gott‘ umgegangen wird – und prekärer Lehren) / An dem stets orientiert, was damit die Glaubwürdigkeit der religiösen Bot- heut / Christgemäße Wege wären ...: / Half so schaft eher Schaden nimmt... Wittig blieb den Glaubwürdigkeit zu mehren... So mag denn Menschen, ihrem Erleben und Erleiden nah, hier auch noch einmal auf unseren Grafschafter fand eine Sprache, die sie verstanden – und kam Theologen verwiesen werden, richtiger: auf dadurch mit seiner Botschaft bei ihnen an... zwei Beiträge, die ich vor einiger Zeit über Möge er, der vor 55 Jahren fern der Heimat starb, ihn geschrieben habe. Der erste, längere ist auch weiterhin noch vielen etwas zu sagen haben! abgedruckt in der Festschrift für Dieter Pohl Dr. Gerhard Blaschke Rundbrief 1/2020 9
Kunzendorf b. Neurode Historische Postkarte: zg. Kunzendorf liegt im Tal der Walditz, drei Kilo- Herrenhaus meter nördlich von Neurode. Der Ort wurde Inmitten einer großen Hofanlage etwas abseits erstmals 1352 zusammen mit Ludwigsdorf, der Hauptstraße errichtete die Familie von Still- Kunigswalde, Hugisdorf und Volprechtsdorf fried im 17. Jahrhundert ein Herrenhaus im Stil als Cunczendorf erwähnt, als Hans von Wuste- der Spätrenaissance. Darauf weisen die unregel- hube auf Neurode die Dörfer an Hänsel von mäßige Verteilung der Fensterachsen und die Donyn und dessen Brüder verkaufte. Der Ver- Asymmetrie in der Gebäudegliederung hin. Das kauf wurde 1360 vom böhmischen König Gut gehörte den Stillfrieds bis 1810. Dann ging Karl IV. bestätigt. Da es sich um ein Lehngut Kunzendorf in private Hände über. 1830 wurde handelte, wurden die landesherrlichen Abgaben das Herrenhaus mit seinem „schönen Garten“ von einem Freirichter eingezogen, dem auch ausdrücklich erwähnt (J. G. Knie, Beschreibung die niedere Gerichtsbarkeit oblag. Das Richter- von Schlesien...). Seit 1853 gehörte der Besitz gut befand sich vermutlich im Oberdorf, da der Familie Greppi. Nach zwei weiteren Eigen- dort die geografischen Bezeichnungen Frei- tümerwechseln erwarben 1927 die Neuroder richterkoppe und Scholzengrund belegt sind. Nach dem Tod des Friedrich von Donyn 1467 fiel Kunzendorf zusammen mit der Herrschaft Neurode als erledigtes Lehen an die böhmische Krone zurück. König Georg von Podiebrad übergab die Herrschaft Neurode aus Dankbar- keit für geleistete Dienste an Georg Stillfried- Rattonitz mit der Bedingung, eine der Schwes- tern des verstorbenen Friedrich von Donyn zu ehelichen. Die Schenkung wurde 1472 bestätigt. Im Jahr 1600 überließ Heinrich von Stillfried Kunzendorf und Hausdorf seinem Sohn Hans als erblichen Besitz. Herrenhaus Kunzendorf Foto: Jacek Halicki 10 Rundbrief 1/2020
Aus dem Glatzer Land Kohlen- und Tonwerke das Gut. Nach 1945 Sitz eines Staatsgutes, wird das recht verwahrloste Herrenhaus bis heute als Wohnhaus genutzt. Wirtschaft Von wirtschaftlicher Bedeutung war neben der Landwirtschaft und der Hausweberei seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Förde- rung von Kohle. In der Buntweberei W. Jordan wurden über 500 Mitarbeiter beschäftigt. Die Inbetriebnahme der Bahnstrecke Waldenburg– Glatz begünstigte die allerdings keinen Halte- punkt in Kunzendorf, sondern in der nordöstlich gelegenen Kolonie Centnerbrunn hatte, ab 1880 Pfarrkirche St. Barbara Foto: Jacek Halicki die touristische Entwicklung. 1939 lebten 4 442 Einwohner in Kunzendorf. Bis zum Jahr 1850 wurden in Centnerbrunn 600 Kurgäste behandelt. Nachdem das Interesse an Kirche den Kaltwasseranwendungen abnahm, verkaufte Der starke Zuwachs der Bevökerung Anfang des Niedenführ die Anlage dem Gutsbesitzer Josef 20. Jahrhunderts machte den Bau der Kuratie- Greppi. 1866 wurden der Kurbetrieb eingestellt kirche St. Barbara notwendig, einer großen und die Gebäude als Lazarett für Verwundete neuromanischen Kirche (1910–1911), die am des Deutschen Krieges genutzt. Ab 1880 entwi- 12. September 1912 vom Prager Erzbischof Leo ckelte sich die Kolonie zu einem Sommerfrische- Skrbenský von Hříště geweiht wurde. Der Ent- und Ausflugsort. Es wurden Wanderwege in das wurf stammte vom Architekten Schneider, die Eulengebirge angelegt. Noch vor dem Ersten Decken- und Wandgemälde schuf der Schlegler Weltkrieg wurde der Versand von Centnerbrunner Maler Leo Richter. Der Hochaltar in barocken Tafelwasser aufgenommen. 1921 wurden die Formen zeigt das Bild der Patronin der Bergleute ehemaligen Kuranlagen von der gewerkschaft- über der Rubengrube, daneben Statuen des hl. lichen Einrichtung Volkshaus Neurode erworben, Paulus und des hl. Isidor als Patrone der Weber die 1924 einen Park mit einer Freilichtbühne und und Bauern. Die Gemeinde St. Barbara ist heute ein Schwimmbad errichtete. Auf der Freilicht- eine eigene Pfarrei. bühne wurden in den Sommermonaten anspruchs- volle Theaterstücke aufgeführt und Konzerte der Kolonie Centnerbrunn Bergkapelle Waldenburg und der Bergkapelle Die Kolonie befand sich nordöstlich von Kun- Rubengrube gegeben sowie Gewerkschaftsfeste zendorf im Zentnertal, wo seit alters her eine veranstaltet. 1933 wurde die Anlage von der kristallklare Quelle bekannt war, die als „Hirsch- Deutschen Arbeitsfront übernommen, die sie für lecke“ bezeichnet wurde. 1835 erwarb dort der propagandistische Zwecke nutzte. Nach 1945 Neuroder Arzt Karl Niedenführ 60 Morgen Land, wurde die Kuranlage als Erholungsheim und für auf dem er eine Kaltwasserheilanstalt errichtete, Bildungseinrichtungen genutzt. die 1836 eröffnet und bis 1851 als Wasserheil- Zusammengestellt von Nicola von Amsberg anstalt Kunzendorf bezeichnet wurde. In dieser wurden Kaltwasser-Trinkkuren und Prießnitz- Quellen: Anwendungen verabreicht. Letztere bestehen • Peter Güttler et al. (Hg.): Das Glatzer Land. aus diversen Wickeln, Bädern, Duschen etc. und Ein Reiseführer, Düsseldorf 1995, S. 64 sind benannt nach dem Landwirt und autodidak- • Arne Franke/Katrin Schulze: Schlösser und tischen Naturheiler Vincenz Prießnitz (1799– Herrenhäuser in der Grafschaft Glatz, Würz- 1851), der auch als Begründer der neuzeitlichen burg 2009, S. 189/190 Hydrotherapie gilt. • de.wikipedia.org/wiki/Drogosław_(Nowa_Ruda) Rundbrief 1/2020 11
Aus dem Glatzer Land Ignaz Reimann Festival 2020 in Albendorf 1820, also vor 200 Jahren, wurde Ignaz Reimann von Ignaz Reimann, in Albendorf geboren. So soll es in diesem Jahr Christel Kaven, war ein Jubiläums-Festival geben. Deutsche, tsche- immer Ehrengast chische und polnische Chöre werden zusammen- beim Festival. kommen. Es werden Musikliebhaber – nicht nur Bemerkenswert ist, aus dem Glatzer Land – Reimanns Musik hören wieviel Mühe und und bewundern können. Arbeit ... die Orga- nisatoren geleistet Im Jahr 2019 fand das 18. Internationale Ignaz haben. Schade, dass Reimann Festival statt. Dr. Siegmund Pchalek nur so wenige Gäste berichtete darüber mit viel Bildmaterial in der aus Deutschland „Ziemia Kłodzka“ vom Juli/August 2019. Er anwesend waren.“ Ignaz Reimann schreibt u. a.: „Seit 2002 ist es das größte Kul- Zeichnung: zg. turereignis in der Glatzer Region. Die Schirm- herrschaft übernehmen Bischof Ignacy Dec Zu wünschen wäre, dass sich das im Jubiläums- von Schweidnitz und der Landrat von Kłodzko/ jahr ändert und die Terminbekanntgabe frühzei- Glatz. Die künstlerische Schirmherrschaft über- tig erfolgt. Vorgesehen ist der 13./14. Juni 2020. nimmt die Hochschule für Musik in Breslau. Ob der Grafschafter Chor mit Georg Jaschke Die künstlerische Leitung hat der Albendorfer teilnehmen wird, steht noch nicht fest. Organist Stanisław Paluszek. Die Ururenkelin Klaus Kynast Wanderwochen Schülerwettbewerb im Glatzer Bergland Es war mit den letzten Mitteln zu entscheiden, ob der Deutsche Freundeskreis (DFK) die Jugend und den deutschen Lyrikwettbewerb unterstützt oder ein Oktoberfest feiert. Der Vorstand entschied sich für die Jugend. So wurde am 28. November 2019 das Projekt Deutsche Lyrik der hiesigen Schulen durchgeführt, zu dem sich 66 Schüler Schon seit 1998 können Wanderfreunde unter aus der gesamten Grafschaft Glatz angemeldet der Führung von Michael Güttler die Graf- hatten – das sind wieder mehr als im Jahr 2018. schaft Glatz erwandern. Der nächste Termin ist Wir waren erstaunt, dass wir so viele junge Men- Mittwoch, 22.07.2020 (Anreise), bis Sonntag, schen für die deutsche Lyrik begeistern konnten. 02.08.2020 (Abreise). Die Schirmherrschaft über den vom DFK or- ganisierten Wettbewerb übernahm die deutsche Anmeldung nur bei: Konsulin in Oppeln, Frau Birgit Fisel-Rösel. Gästehaus Lerchenfeld/Dom Skowronki Karina Fuglinska Wir haben die besten Voraussetzungen für die Radochów 144, PL 57-540 Lądek Zdrój Zukunft mit unserer Jugend. Viele weitere Mit- Tel./Fax +48 748 147802 glieder hier sind noch im berufstätigen Alter. E-Mail: info@gaestehauslerchenfeld.pl Wir sterben also nicht aus und werden die Mehr Informationen im Internet unter: deutsche Kultur in der Grafschaft noch einige www.gaestehauslerchenfeld.pl Generationen aufrecht erhalten. Horst Ulbrich 12 Rundbrief 1/2020
Aus der Glatzer Stube in Telgte Zukunft des Vereins Grafschafter Sammlungen Die unter dem Namen „Glatzer Stube“ bekannte Wir suchen Grafschafter Nachkommen oder Sammlung religiöser und kultureller Gegenstände andere interessierte junge Menschen, die bereit aus der Grafschaft Glatz wurde von Großdechant sind, diese ehrenamtliche Aufgabe weiterzufüh- Prälat Leo Christoph und Prälat Johannes Taube ren. Unsere Aufrufe bringen allerdings nichts, initiiert. Die erste Ausstellung eröffnete 1975 wenn wir als ältere Generation nicht junge im Rathaus am Markt in Telgte. 1983 zog die Menschen ganz persönlich ansprechen. Glatzer Stube in zwei Zimmer im „Heimathaus Münsterland“ in der Herrenstraße um. Dadurch Interessierte an einem persönlichen Engagement wurde sie einer breiteren Öffentlichkeit zugäng- zwecks Fortführung des Vereins melden sich lich, denn die Besuchszeiten waren nun an die bitte bald im Glatzer Büro, Tel. 0251 46114, Öffnungszeiten des Museums gekoppelt. E-Mail: grossdechant@t-online.de. Das Büro ist dienstags und donnerstags jeweils von 8:30 bis 1995 wurde das Dachgeschoss des Heimat- 13:00 Uhr besetzt. Franz Jung, Großdechant hauses mit maßgeblicher Kostenbeteiligung der Grafschaft Glatzer ausgebaut. Gleichzeitig wur- de ein Vertrag geschlossen, der uns ein 25-jäh- Unter der Überschrift „Aus der Glatzer Stube riges kostenfreies Nutzungsrecht für einen in Telgte“ stellte Peter Güttler sechs Jahre Ausstellungs- und einen Archivraum einräumte. lang im Rundbrief jeweils ein Exponat aus Dieser Vertrag läuft Ende 2020 aus. Zugleich der Grafschafter Sammlung vor: ist das Dachgeschoss inzwischen sanierungs- 03/2009 Künstlerkrippe aus Landeck bedürftig und derzeit aus Brandschutzgründen 01/2010 Figur des Auferstandenen geschlossen. 02/2010 Arnestusfigur von Otto Schrott 03/2010 Grafschafter Kastenkrippe Als das Heimathaus 2011/12 als „RELíGIO – 01/2011 Hinterglasbilder Westfälisches Museum für religiöse Kultur“ neu 02/2011 Kelche von Grafschafter Priestern konzipiert wurde, erfuhr auch unsere Austellung 03/2011 Christus Emanuel über Glatzer Bergland, eine Umgestaltung unter der kompetenten An- Federzeichnung von Josef A. Pausewang leitung der Museumsleiterin Dr. Anja Schöne. 01/2012 Ruhe auf der Flucht, Litographie von Hans Franke Träger der Glatzer Stube ist der Verein „Glatzer 02/2012 Andenkenbilder von Maria Schnee Sammlungen e. V.“ mit Sitz in Telgte. Anfangs 03/2012 Handwagen mit Vertriebenengepäck war es Annelies Lechler, Schwester von Prälat 01/2013 Meine Muttel 87 Jahre, Aquarell von Taube, die die Sammlung aufbaute und pflegte. Anton Born Ab 1983 bis Ende November 1998 wurde sie 02/2013 Andenkenbilder von Albendorf von Barbara Franke unterstützt. 1995 kamen mit 03/2013 Pieta von einem Haus in Schnellau Frau Keller und Günter Albrecht weitere ehren- 01/2014 Der blinde Jann, kollorierter Kupferstich amtliche Mitarbeiter hinzu. Sie wurden fach- 02/2014 Madonnenstatue aus dem Nachlass des lich beraten von Dr. Thomas Ostendorf, dem Grafschafter Priesters Rudolf Karger damaligen Leiter des Heimathauses. Zuletzt 03/2014 Nachbildung des Prager Jesuleins haben Günter Albrecht, Ludwig Adelt und Peter 01/2015 Schmerzensmutter aus Eisersdorf aus dem Güttler den Verein erfolgreich weitergeführt. Nachlass eines Grafschafter Geistlichen Alle drei zwingen nun gesundheitliche und 03/2015 Kirchenkrippe aus Pischkowitz Altersgründe, ihr Arbeit aufzugeben. 01/2016 Kalvariengruppe aus dem Nachlass von Pfarrer Adolf Langer Wenn wir keine Nachfolger finden, müssen 02/2016 Andenkenbildchen von Wallfahrtsstätten wir den Glatzer Sammlungen e. V. auflösen. 03/2016 Johannes von Nepomuk, Ölgemälde Rundbrief 1/2020 13
Persönlichkeiten aus der Grafschaft Glatz Ruth Prager-Lewin Glatzer Jüdin aus der Zimmerstraße, die dem Holocaust entging Ruth Prager-Lewin wurde am 20. Januar 1929 ich freue mich, dass ich dieses Originaldoku- in Glatz geboren. Sie war das einzige Kind von ment besitze und würde es gern einer größeren Kurt Prager (1887–1939) und seiner Ehefrau Leserschaft zugänglich machen... Toni geb. Schottländer. Bis zu ihrem zehnten Herzliche Grüße aus Minden Lebensjahr wohnte sie mit ihren Eltern in der Ihr Dr. Werner H. Schmack Zimmerstraße 10. Sie verstarb am 28. März 2019 im Alter von 90 Jahren in Israel. Nebenstehend veröffentlichen wir den Original- Brief von Frau Lewin, den Herr Schmack am Als Reinhard Schindler, Initiator des Gedenkens 19. Januar 2017 (Posteingang) erhielt. Hier für an die Glatzer Synagoge, 1995 eine Glatzer Jüdin ein vereinfachtes Lesen der Wortlaut: suchte, um das Mahnmal in ihrer Anwesenheit ... Wie Sie wissen, haben meine Eltern das zu enthüllen, macht er Ruth Prager-Lewin in Haus auf der Zimmerstraße 10 im Jahr 1932–33 Israel ausfindig. 1999 war dann ihr „Sandkasten- gekauft. Mein Vater Kurt ist leider im Februar freund“ Karlheinz Mose mit einer Reisegruppe 1939 an einem Schlaganfall gestorben, noch in Israel und traf die einstige Spielkameradin für bevor er ins Lager kam, + in Breslau beerdigt. kurze zwei Stunden. Daraus entwickelte sich eine Ich selbst bin im März 1939 mit einem Kinder- neue Freundschaft, die beide bis zuletzt intensiv transport nach England gekommen, hatte aber pflegten. Mose berichtete aus dem Leben seiner das Glück, meine Mutter im August des selben Freundin bei der Jahrestagung der Arbeitsgemein- Jahres in Belgien getroffen und so sind wir dann schaft Grafschaft Glatz (AGG) im Jahr 2014: am 1. X. 39 in Chile gelandet. „Entkommen 1939. Glatz und Israel – die zwei Ich war damals 10 Jahre alt und habe Schule Heimaten der Ruth Prager-Lewin“ (erschienen und Universitätsstudium in Santiago gemacht. in AGG-Mitteilungen Nr. 13 (2014), S. 61-67). Ich habe sehr früh angefangen, mit Privatunter- richtsstunden zu helfen, habe dann 1958 gehei- Bei der 15. Jahrestagung der AGG im Jahr 2016 ratet (Achim stammte aus Neustettin und kam hielt Dr. Werner H. Schmack, der bis zur Ver- im Dezember mit Familie nach Chile). Wir treibung in der Zimmerstraße 8 wohnte, einen haben 2 Kinder und inzwischen 7 Enkel. ... Vortrag über den „Jugendstil in Glatz – am 1970 wanderten wir nach Israel aus. Leider Beispiel der Zimmerstraße 8-12“ (erschienen in verstarb mein Mann in 2004. Ich habe meinen AGG-Mitteilungen Nr. 15 (2016), S. 11-17). In Doktortitel in Biochemie gemacht, arbeitete ca. diesem Zusammenhang nahm auch er Kontakt 40 Jahre in der Medizinschule in Forschung und zu Ruth Prager-Lewin auf. Anlässlich ihres Todes als Dozent. schrieb er im August 2019 folgende E-Mail an Ich war 2 Mal in Glatz. Das erste Mal anläss- die Rundbriefredaktion: lich der Einweihung einer Gedenktafel an der ... Wir waren Nachbarskinder und ich kann mich Stelle, wo die frühere Synagoge stand, ver- noch ein wenig an die Zeit erinnern. Als ich brachte 1 Woche bei den Nonnen und wurde in meinen Vortrag über den Jugendstil in Glatz ge- der Grafschaft rumgefahren, um alte Erinne- halten habe, zu dem ja auch die Zimmerstraße rungen aufzufrischen, und das zweite Mal mit 10 gehörte, habe ich ihr den Vortrag geschickt Karlheinz. Ich habe immer noch Kontakt mit und beiliegenden Brief bekommen. Ich glaube, 2 Schulfreundinnen. es gibt keinen so gefassten Lebenslauf von Frau Ich danke Ihnen recht herzlich für Ihren Bericht Lewin. Ich würde mich freuen, wenn Sie ihn im und werde ihn auch an Susi Hirschberg, ..., Rundbrief des Großdechanten veröffentlichen. weitergeben. Frau Lewin ist leider vor kurzem verstorben und Vielen Dank und Grüsse, Ruth Lewin 14 Rundbrief 1/2020
Persönlichkeiten aus der Grafschaft Glatz Rundbrief 1/2020 15
Dichterin der Heimat Anna Bernard Lebendige Gestalterin glätzischen Volkstums Im Rundbrief 3/2019 berichtete Großdechant Religionsunterricht war ich dispensiert, aber Franz Jung von fünf ereignisreichen Tagen in ich glaube, gütige Lehrer haben sich meiner der Grafschaft im September 2019 (vgl. S. 22-24). besonders angenommen. Angeregt durch seine Bemerkung, dass er auf dem Friedhof in Tscherbeney auch den Grab- Ihr Vater war der Neisser Holzbildhauer Karl stein der Heimatdichterin Anna Bernard fand, Scheer. Bei den Vereinigten Tischlern in Neisse, möchte die Rundbriefredaktion allen Leserin- die für feines Mobiliar einen Holzbildhauer nen und Lesern die Schriftstellerin heute einmal gesucht hatten, arbeitete er bis zu seinem Tode. näher vorstellen. In früheren Ausgaben haben Er stellte hohe Anforderungen an seine hand- wir bereits folgende „Dichter unserer Heimat“ werklichen Arbeiten, aber dennoch durfte ihn und ihre Werke porträtiert: Meister Eckhart, niemand Meister nennen. Er war ein großer Joseph Wittig, Hermann Stehr, Adam Langer, Liebhaber des Orgelspiels und baute für sich Richard Wolf, Dagmar von Mutius, Wiegand eigenhändig eine Zimmerorgel, auf der seine Pabsch, Vera Gottschlich und Monika Taubitz. Freunde ihm vorspielten. Daneben hielt er Nun also Anna Bernard. Josef Fischer-Bernard allerlei Kleintiere, wie Eidechsen, Ringelnat- verfasste für die literarischen Sitzung am 6. Sep- tern, Meerschweinchen, weiße Mäuse, und in tember 2008 in Bad Kudowa den folgenden der Werkstatt eine Elster, der er das Sprechen Beitrag über seine Großtante (Wiedergabe in beibrachte. Auszügen): Annas Vater kannte viele Gedichte auswendig, Das Leben der Anna Bernard vor allem Balladen der klassischen deutschen Literatur. Er hatte immer ein passendes Zitat Die Schriftstellerin wurde als Anna Scheer am oder eine passende poetische Antwort bereit. 15. Juli 1865 in Breslau geboren. Als Anna fünf Von ihrem Vater hatte Anna zweifellos die Jahren alt war, zog die Familie nach Neisse, so künstlerisch-dichterische Begabung, doch ge- dass sie dort heranwuchs. Wie sie selbst schrieb, hörte, wie sie selbst sagt, „eiserner Fleiß“ dazu, besuchte sie nur die allgemeine Volksschule diese Begabung auszubauen. in Neisse. Sie hatte also nur einen einfachen Bildungsabschluss. Der Tod ihres Vaters war ein tiefer Einschnitt für die 15-Jährige. Bevor er im 61. Lebensjahr Ihre Mutter war evangelisch, ihr Vater altkatho- starb, war sein letztes Werk neben einigen lisch, doch wohl nur von Geburt und nicht im Engelsfiguren auch ein Christuskopf für ein Geiste. ... Mit 13 Jahren setzte Anna ihre Taufe Kreuz eines neuen Leichenwagens. So wurde durch und durfte danach am evangelischen der Schöpfer dieser Schnitzkunst als Erster Religionsunterricht teilnehmen. Und schließlich mit diesem Wagen beerdigt. Die Bedeutung ließ es ihre Mutter zu, dass ihre Tochter von des Holzbildhauers Karl Scheer mag daran zu katholischen Freundinnen zur katholischen Mai- messen sein, dass der deutsche altkatholische andacht mitgenommen wurde. Anna schrieb: Bischof Prof. Dr. Weber aus Breslau zu Karl Mein Vater war ein geistig sehr hochstehender Scheers Beerdigung nach Neisse kam. Der Mann, aber er war völlig freireligiös und hatte besagte Christuskopf wurde später dem Neisser uns Kinder nicht taufen lassen. Da nahm mich Stadtmuseum überlassen und dort aufbewahrt. einmal eine liebe Hausbewohnerin in ihre Stube, faltete mir die Hände und lehrte mich Nach dem Tod ihres Vaters schloss sich Anna das Vaterunser beten. Gott lohne es ihr! Vom Scheer immer enger an die katholische Kirche 16 Rundbrief 1/2020
Dichterin der Heimat an und trat schließlich zu ihr über. Die feier- Sommersonntags lichen Gottesdienste und Prozessionen hatten heimkehrte.“ eine große emotionale Wirkung auf sie und befruchteten ihr künstlerisches Empfinden. Nun musste Bald entwickelte sich auch ihre Liebe zur Dicht- Anna aber auch kunst und zur Verehrung alles Schönen. Sie ihre Mutter mit erzählte selbst: Zu meinen Geburtstagen muss versorgen. Also ich wohl des Öfteren eine Schürze bekommen lernte sie das haben, denn als ich kurz vor dem 16. stand, Schneiderinnen- sagte ich, dass ich diesmal keine Schürze wolle. handwerk und Foto: privat Auf die Frage meiner Mutter, warum ich so ein konnte so den praktisches Geschenk verschmähe, wünschte Unterhalt verdie- ich mir anstelle dessen ein Poesiealbum, was nen. Eine ihrer ich auch erhielt. In dieses schrieb ich mir selbst Schwestern riet alle Gedichte, die mir gefielen, und hat mich das ihr eines Tages zu einem eigenen Damenschnei- Büchlein durch mein ganzes Leben begleitet, dergeschäft. Das Leben Anna Scheers änderte ja ich kann sagen, dass ich heute noch diese sich, als sie in Neisse eine eigene Damenschnei- Gedichte, die ich alle noch auswendig weiß, derwerkstatt gründete. Darüber schrieb sie: sehr liebe und sie, obwohl sie alle sehr, sehr So suchte ich denn aus den Trümmern meiner schwermütig, dennoch für die schönsten Perlen jugendlichen Ideale zu retten, was noch zu deutscher Poesie halte. Ich liebe die Poesie über retten war. Da war ja noch meine geliebte alte alles, machte jedes schöne Gedicht zu meinem Heimatstadt mit all den ehrwürdigen Stätten, Eigentum und sog mich davon so voll, dass den lieben Kindheitserinnerungen. Da war noch es fast keine Lebenslage gab, für die ich nicht die große Liebe zur Natur, die Freude an einem passende Verse wusste. guten Buch und manches andere. Damit fing ich Das zweite große Erleben für mich war das mühsam an, zu bauen an einer still zufriedenen Theater. Ich sah klassische Tragödien, die einen Klause, in die Gott und mit ihm mein Glück ungeheuren Eindruck auf mich machten. Ich einkehrte. wollte natürlich zur Bühne gehen, vertraute mich einem früheren Lehrer an, der mir warmen Doch dann wurde eines Nachts das Schaufen- Herzens davon abriet. Gott lohne es ihm. ster eingeschlagen, die Waren und Maschinen wurden geraubt. Daraufhin nahm sie eine Stel- Allmählich begann Anna selbst zu dichten. Zu lung als Wirtschafterin bei einem Arzt an. Sie ihren ersten Versuchen zählten Messgebete zum war danach in verschiedenen Orten wie Baut- Gottesdienst in Versen. Diese wurden ihr später, zen, Berlin, Wyk auf der Insel Föhr angestellt. als sie schon eine bekannte Schriftstellerin war, als gedrucktes kleines Heftchen gewidmet. Um Das menschliche und künstlerische Bild der die Jahrhundertwende wurden ihre ersten Arbei- Dichterin wird von besonderen Erlebnissen des ten in der „Neisser Zeitung“ abgedruckt, deren Todes in ihrer nahen Verwandtschaft geprägt. leitender Redakteur ein großes Verständnis für Einmal nahm sie ihre Mutter zu einer Verwand- die junge Dichterin zeigte und ihr Talent förderte. tenhochzeit nach Pommern mit. Der Bruder der Sie beschreibt ihre dichterische Anfangszeit so: Mutter war der Bräutigam. Nach der Trauung Trotzdem stand das Leben noch vor mir, und ich trug er seine Braut auf den Armen in den dritten trat es an, arm und unwissend, denn mein gan- Stock der Wohnung. Dort brach er tot zusammen! zes Vermögen war der Inhalt des Poesiealbums. Ein jüngerer Bruder Annas fuhr zur See, er ließ Wie ein Kind am Sommersonntag, das sich sein nichts mehr von sich hören und blieb verschollen! Bäumchen mit dem goldenen Flitter jugendli- Eine jüngere Schwester heiratete einen Schnei- cher Ideale geschmückt hat, zog ich aus, und ich dermeister in Neisse. Anna führte sie zur Kirche. will schweigen davon, wie ich am Abend dieses Die Schwester starb an einer Pilzvergiftung! Rundbrief 1/2020 17
Dichterin der Heimat Als Anna Scheer das 30. Lebensjahr bereits Hier im Heimathaus lebte und wirkte Anna Bern- überschritten hatte, erhielt ihr Leben durch die ard von 1905 bis 1938. Nur wenige Reisen in Heirat mit Robert Bernard eine Wendung, die ihre geliebte Heimatstadt Neisse, eine Reise nach völlig unerwartet kam. Diese Heirat im Jahre Oberammergau und eine Reise nach Prag unter- 1902 mit dem 10 Jahre jüngeren Robert Bernard brachen sie in ihrem dichterischen Schaffen. war der Motor, der jetzt ihre dichterische Schaf- fenskraft für immer in Bewegung setzte. Denn Während des 1. Weltkrieges übertrug ihr die Robert, der inzwischen von ihrer Dichtkunst Gemeindeverwaltung die Bearbeitung der Lebens- überzeugt war, drängte sie, ihre Schneiderwerk- mittelversorgung. Nach dem Krieg übernahm statt in Neisse aufzugeben und sich ganz der sie mit viel Freude die Leitung der Gemeinde- Schriftstellerei zu widmen. Zunächst aber hatten bücherei. beide in dem Hause in Neisse, in dem ihr Ehe- mann arbeitete, eine Wohnung angemietet und Sowohl die Gemeinde Bad Kudowa wie die auch Anna selbst hat weiter schneiderhand- Kurverwaltung hielten Anna Bernard als eine werklich gearbeitet. Da gab es eines Tages die Berühmtheit des Ortes in Ehren. Nicht immer Möglichkeit, in Kudowa das Haus „Cäcilie“ zu so die Badeverwaltung, denn der Vorschlag von erwerben. Roberts Mutter gab ihnen das Geld irgendeiner Seite, für die Dichterin an einem für die Anzahlung. Anna Bernard änderte mit Sonntagvormittag eine Matinee zu veranstalten, dem Einzug in das Haus den Namen in „Heimat- wurde von der Badeverwaltung harsch abgelehnt. haus“ um. Durch ihr Dichtertum errang das Möglicherweise war der niedrige soziale Stand Heimathaus in Bad Kudowa eine Bedeutung Anna Bernards der Badeverwaltung nicht gut und wurde – vor allem während der Hochsaison genug. Dafür veranstaltete die Badeverwaltung – für Kurgäste eine Sehenswürdigkeit, die be- zu jener Zeit zum Beispiel eine kulturell frag- sucht werden musste. würdige Prämierung der schönsten Damenbeine! Noch schlimmer war es zu der Zeit, als Anna Aber das Ehepaar Anna und Robert Bernard Bernard literarisch noch keinen Namen hatte. hatten es nicht leicht. Es mangelte an Geld. Sie erhielt keine Kurkarte, weil das Ehepaar Robert hatte keine Ersparnisse und Anna hatte, keine Kurgäste, sondern nur Schauspieler und da sie nicht mehr an eine Heirat gedacht hatte, Musiker im Heimathaus beherbergte. ihre Ersparnisse für kirchliche und gemeinnüt- zige Angelegenheiten zur Verfügung gestellt. Nach dem Ersten Weltkrieg verdüsterte allmäh- So entsprach das seelische Glück nicht ihren lich ein schweres körperliches Leiden ihr Leben. materiellen Verhältnissen. Aber es gab auch Ein sich vergrößerndes Geschwür im Unterleib Schwierigrigkeiten bei ihrer dichterischen Arbeit, machte ihr das Gehen und Treppensteigen zu die es zu überwinden galt. So war es nicht selten, einer immer größer werdenden Qual. Alle, die dass ihre Schwiegermutter, wenn sie die Küche sie schwer atmend durch die Küche gehen sahen, betrat und die Dichterin mit ihren Manuskripten befürchteten das Schlimmste und werden diesen beschäftigt sah, ausrief: „Anna, was schreibst Anblick nicht vergessen. Ihr Hausarzt riet ihr denn immerfort?“ zu einer Operation in Breslau. Dem Chirurg Dr. Mai gelang im Frühsommer 1926, nicht lange Der Anfang war auch aus anderen Gründen vor ihrem 61. Geburtstag, eine erfolgreiche schwer. Wenn das Ehepaar Kurgäste in ihre Pen- Operation, so dass sie nach fünf Wochen die sion aufgenommen hatte, fragte mancher Bade- Rückreise nach Bad Kudowa antreten konnte. arzt diese Gäste: „Wo wohnen Sie?“ Und wenn die Antwort lautete „im Heimathaus“, sagte Nachdem sich Anna Bernard von ihrer Operation mancher Badearzt „Das ist zu weit, da kann ganz erholt und frischen Lebensmut gewonnen ich Sie notfalls nicht behandeln.“ In der Folge hatte, ging sie an die Fortführung ihres dichte- nahmen die Bernards dann Schauspieler oder rischen Schaffens. Bald jedoch ließ ihre Schaf- Musiker der Kurkapelle als Logiergäste auf. fenskraft in der nationalsozialistischen Zeit nach, 18 Rundbrief 1/2020
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