Tageszeiten Jahreszeiten - Forum für Alte Musik Zürich

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Tageszeiten Jahreszeiten - Forum für Alte Musik Zürich
Tageszeiten
    Jahreszeiten
32. Festival Alte Musik Zürich
20.—31. März 2020
Editorial

                                                          Natürlich: Antonio Vivaldi und seine               Ein einziges Jahr war hingegen für den
                                                       Quattro stagioni! Sie stehen exemplarisch          englischen Komponisten Christopher
                                                       für die Jahreszeiten in der Musik. Doch wie        Simpson nicht genug: Er komponiert um
                                                       das Festival zeigt: Vivaldi ist nicht der Erste,   1650 gleich zwei «saisonale» Zyklen. Das
                                                       der diesen Versuch wagte. Und noch früher          Cellini Consort spielt The Monthes, Hille
                                                       entstehen zahlreiche Werke für eine ganz           Perl mit ihren Sirius Viols The Four Sea-
                                                       bestimmte Tages- oder Jahreszeit.                  sons. Dazwischen liest Aaron Hitz Auszüge
                                                                                                          aus dem pikanten Tagebuch von Samuel
                                                          So schreiben die grossen Komponisten            Pepys. Und es gibt ein paar saisongerechte
                                                       der Spätrenaissance um 1600 ganze Zyklen           Häppchen.
                                                       mit Tenebrae-Gesängen, Musik für die
                                                       frühen Morgenstunden von Gründonners-           Und dann doch auch Vivaldis Jahreszeiten
                                                       tag bis Karsamstag. Das Ensemble Corund      – oder wenigstens fast: Nicolas Chédeville
                                                       singt Responsorien und Lamentationen für     fand Vivaldis Musik zwar toll, aber nicht
                                                       den Karsamstag von Palestrina, Victoria      so ganz nach französischem Geschmack.
                                                       und Gesualdo.                                So arrangierte er die Quattro stagioni und
                                                                                                    andere Werke als Les Saisons amusantes
                                                          Das 16. Jahrhundert ist die Epoche des    – mit der Barock-Drehleier als Soloinstru-
                                                       Madrigals; die Tages- und Jahreszeiten sind  ment. Diesen Vivaldi à la française bieten
                                                       ein beliebter Topos dieses Genres. Die Voces die virtuose Tobie Miller und ihr Ensemble
                                                       Suaves führen uns durch die Frühlings- und Danguy; Monika Mauch singt dazwischen
                                                       Herbstklänge, durch die Morgen- und Nacht- zwei Kantaten.
                                                       stimmungen der beiden Madrigalmeister
                                                       am Hof von Mantua: Giaches de Wert und          La Musa novarese: Eine spezielle Note
                                                       Claudio Monteverdi.                          gibt unserem Motto das letzte Konzert des
                                                                                                    Festivals. Mit einem Auftritt von I Cavalieri

Titelseite: Kalender-Uhr von Thomas Alcock, ca. 1650
                                                          Kühn gespannt ist der Bogen des Kon-      del Cornetto feiern wir eine ganz andere
                                                       zerts von Rudolf Lutz und den Ensembles      «Jahreszeit», nämlich den 400. Geburtstag
                                                       der J.S. Bach-Stiftung St. Gallen: In einer  der Komponistin Isabella Leonarda.
                                                       Art Collage geht es mit Bach durch ein
                                                       ganzes Jahr, kirchlich und weltlich, von        Und wieder dabei sind die Studierenden
                                                       Leipzigs Kirchen in Leipzigs Kaffeehaus.     der ZHdK und die SchülerInnen der MKZ
                                                       Dazu als Uraufführung ein Concerto von       mit ihren eigenen Kurzkonzerten – eben-
                                                       Rudolf Lutz.                                 falls immer eine besondere Note in unserem
                                                                                                    Programm.
                                                          Ebenfalls ein ganzes Jahr dauert 1839/40
                                                       Fanny Mendelssohns Reise durch Italien.         Wir freuen uns!
                                                       Von dort bringt sie reiche Eindrücke und
                                                       Ideen für ihren Klavierzyklus Das Jahr mit:     Martina Joos und Roland Wächter
                                                       Zum ersten Mal erklingen die zwölf Monate       Präsidium Forum Alte Musik Zürich
                                                       auf dem Klavier. Els Biesemans lässt sie
                                                       auf einem historischen Pianoforte aufleben.

                                                                                                                                                       3
Tageszeiten                                           32. Festival Alte Musik Zürich
Jahreszeiten                                          20.—31. März 2020

Fr 20.03.					                                                                                        S. 6   Fr 27.03.					                                                                                S. 22
19.30h Kirche St. Peter                                                                                      19.30h Kulturhaus Helferei, Kirchgasse 13
   Tenebrae-Gesänge für den Karsamstag                                                                          Fanny Mendelssohn:                und Jahreszeiten-Lieder
   Giovanni Pierluigi da Palestrina, Tomás Luis de Victoria, Carlo Gesualdo, Gregorio Allegri                   Els Biesemans Fortepiano, Antje Rux Sopran
   Ensemble Corund, Ltg. Stephen Smith
                                                                                                             Sa 28.03. 					                                                                               S. 27
Sa 21.03.					                                                                                       S. 12   15.00h Weinschenke Hotel Hirschen, Hirschengasse 6
17.30h Kulturhaus Helferei, Kirchgasse 13                                                                       Apérokonzert
   Tageszeiten und Jahreszeiten in Mantua                                                                       Studierende der ZHdK
   Giaches de Wert, Giovanni Giacomo Gastoldi, Salomone Rossi, Claudio Monteverdi
                                                                                                             17.15h Kulturhaus Helferei, Kirchgasse 13		         		S. 28
   Voces Suaves, Capricornus Consort Basel
                                                                                                                Christopher Simpson:
                                                                                                                Samuel Pepys: Tagebuch 1660–1664
So 22.03.					                                                                                       S. 18      Cellini Consort, Aaron Hitz Sprecher
16.00h Lavatersaal vis-à-vis Kirche St. Peter
                                                                                                             19.30h
   Präludium
                                                                                                                Christopher Simpson:
   Studierende der ZHdK
                                                                                                                Samuel Pepys: Tagebuch 1665–1669
17.00h Kirche St. Peter                                                                                         Hille Perl und die Sirius Viols, Aaron Hitz Sprecher
   Bachs Jahr
   Soli und Ensemble der J.S. Bach-Stiftung St. Gallen, Ltg. Rudolf Lutz
                                                                                                             So 29.03. 					                                                                               S. 32
                                                                                                             16.00h Lavatersaal vis-à-vis Kirche St. Peter
                                                                                                                Präludium
                                                                                                                Octoplus – Schülerinnen und Schüler der MKZ
                                                                                                             17.00h Kirche St. Peter
                                                                                                                Nicolas Chédeville:
                                                                                                                Nach Antonio Vivaldis Quattro Stagioni
                                                                                                                Tobie Miller Drehleier, Monika Mauch Sopran, Ensemble Danguy
    Wir danken herzlich
    Präsidialdepartement Stadt Zürich, Fachstelle Kultur des Kantons Zürich, Musikschule Konservatorium      Di 31.03.					                                                                                S. 36
    Zürich MKZ, Zürcher Hochschule der Künste ZHdK, Freunde der Alten Musik, RHL Foundation,                 19.30h Kulturhaus Helferei, Kirchgasse 13
    Schüller-Stiftung, SRF2 Kultur.
                                                                                                                Zum 400. Geburtstag
    Wir danken weiteren GönnerInnen und Stiftungen, die nicht namentlich genannt werden möchten.

                                                                                                               Isabella Leonarda – Nonne und Komponistin
                                                                                                               I Cavalieri del Cornetto

                                                                                                               Wir weisen Sie freundlich darauf hin, dass Bild- und Tonaufnahmen (auch für Privatzwecke)
                                                                                                               während des Konzerts nicht erlaubt sind.

4                                                                                                                                                                                                             5
Fr 20.03.                                                               Erste Nokturn
19.30h Kirche St. Peter                                               Gregorianisch 		         Antiphon: In pace – Psalm 4
                                                                      Palestrina 		            Lamentatio Lectio I: Incipit lamentatio Ieremiae prophetae
    Tenebrae-Gesänge für den Karsamstag                               Gesualdo 		              Responsorium: Sicut ovis

    Giovanni Pierluigi da Palestrina, Tomás Luis de Victoria,         Gregorianisch 		         Antiphon: Habitabit in tabernaculo – Psalm 14
    Carlo Gesualdo, Gregorio Allegri                                  Palestrina 		            Lamentatio Lectio II: Vau. Et egressus est
                                                                      Gesualdo 		              Responsorium: Jerusalem surge

    Ensemble Corund                                                   Gregorianisch            Antiphon: Caro mea – Psalm 15 – Versikel
    Gunhild Alsvik, Gabriela Bürgler, Sara Jäggi,                     Palestrina 		            Lamentatio Lectio III: Iod. Manum suam
                                                                      Gesualdo 		              Responsorium: Plange quasi virgo
    Anne Montandon, Cressida Sharp Sopran
    Victor de Souza Soares, Ursina Patzen, Carmen Würsch Alt
    Christophe Gindraux, Thomas Herford, Eelke van Koot Tenor           Zweite Nokturn
    Hubert Michael Saladin, Philipp Scherer, Gerhard Nennemann Bass
                                                                      Gregorianisch 		         Antiphon: Elevamini – Psalm 23
                                                                      Victoria 		              Responsorium: Recessit pater noster
    Stephen Smith Leitung
                                                                      Gregorianisch 		         Antiphon: Credo videre – Psalm 26
                                                                      Victoria 		              Responsorium: O vos omnes

                                                                      Gregorianisch 		         Antiphon: Domine abstraxisti – Psalm 29 – Versikel
                                                                      Victoria 		              Responsorium: Ecce quomodo

                                                                        Dritte Nokturn
                                                                      Gregorianisch 		         Antiphon: Deus adjuvat me – Psalm 53
                                                                      Gesualdo 		              Responsorium: Astiterunt reges terrae

                                                                      Gregorianisch 		         Antiphon: In pace factus – Psalm 75
                                                                      Gesualdo 		              Responsorium: Aestimatus sum

                                                                      Gregorianisch 		         Antiphon: Factus sum – Psalm 78 – Versikel
                                                                      Gesualdo 		              Responsorium: Sepulto Domino

                                                                        Laudes
                                                                      Allegri 		               Psalm 50: Miserere mei, Deus

6                                                                     Tenebrae-Gesänge für den Karsamstag                                                   7
Tenebrae – Dunkelheit, Schatten, Finster-    migen Vertonungen von vier italienischen         der neueren mehrstimmigen Kirchenmusik         Dormoli. Die Erträge aus dem Pelzhandel
nis: Im religiösen Sinn kann mit dem latei-     oder in Italien tätigen Komponisten der          besonders glücklich: sie sei zu schwierig,     legt Palestrina umsichtig in Immobilien an ...
nischen Wort manches gemeint sein. So die       Spätrenaissance gestaltet. Weitere Verto-        zu extravagant, zu sinnlich, zu wenig text-
Sonnenfinsternis, die sich beim Tod Jesu –      nungen finden sich in dieser Zeit in ganz        verständlich – was die Komponisten und             In diesem letzten Lebensabschnitt
zusammen mit einem Erdbeben – ereignete;        Europa, so bei Thomas Tallis, Orlando di         Sänger jedoch wenig zu interessieren           schreibt und/oder veröffentlicht Palestrina
oder der Todesschatten, der sich mit diesem     Lasso, Manuel Cardoso oder Carpentras.           scheint. Bei dieser Diskussion weckt Pale-     zahlreiche Madrigale, Motetten, Messen, so
Tod gleichsam über die ganze Welt legte;                                                         strinas Musik, möglicherweise vor allem        die Hohelied-Motetten (1583/1584), einen
oder als Drittes der Gottesdienst, der in der      Giovanni Pierluigi da Palestrina (ca.         auch seine Missa Papae Marcelli, das beson-    fünften Zyklus mit Lamentationen (1588),
Karwoche frühmorgens noch bei Dunkel-           1525–1594) wird vermutlich in Rom geboren.       dere Interesse einiger Konzilsteilnehmer.      eine Magnificat-Sammlung (1591) und zwei
heit (später dann am Vorabend) gefeiert         Die Familie Pierluigi stammt ursprünglich        Diese Missa scheint die Forderungen des        liturgische Jahreszyklen mit Hymnen und
wurde – Karmette oder Finstermette ist sein     aus der Stadt Palestrina in der Nähe Roms,       Konzils ideal zu verwirklichen: Klarheit,      Offertorien (1593). Anfang 1594 erkrankt
alter deutscher Name.                           und so bürgerte sich Palestrina als Familien-    schlichte Eleganz, Ausgewogenheit, Textver-    Palestrina und stirbt; er wird in einer Gruft
                                                name ein. Nach seiner Ausbildung an Santa        ständlichkeit. Und Palestrina wird auch der    des Petersdoms beigesetzt.
   Konkret sind dies die drei Gebetsgottes-     Maria Maggiore findet Palestrina 1544 dort       erste musikalische Leiter des 1565 gegründe-
dienste der Matutin (Mette) an Gründon-         seine erste Anstellung als Chordirigent,         ten Seminario Romano, das als Ausbildungs-       ***
nerstag, Karfreitag und Karsamstag: Nokturn     Organist und Musiklehrer, und dort heiratet      stätte für Priester die Konzilsbeschlüsse in      Als Palestrina 1571 die Leitung des Semi-
I bis III mit den nachfolgenden Laudes. Jeder   er 1547 Lucrezia Gori, die aus einer angese-     die Praxis umsetzen soll.                      nario Romano abgibt, wird ein 23jähriger
dieser Gottesdienste war in sich wiederum       henen Familie der Stadt stammt.                                                                 Spanier sein Nachfolger: Tomás Luis de
dreiteilig mit je drei Elementen gestaltet:                                                         Palestrina ist inzwischen ein Komponist     Victoria (1548–1611). Auch er verspürt wie
                                                   1551 wird Palestrina zum Magister canto-      von europäischem Ruf; er widmet seine          Palestrina den Wunsch, Priester zu werden,
   Nokturn I: 3 Psalmen, 3 Lesungen             rum der Cappella Giulia, der Privatkapelle       Publikationen Fürsten (Guglielmo Gonzaga       und er wird es 1575 tatsächlich auch – keine
(Klagelieder des Jeremias), 3 Responsorien      des Papstes in Rom ernannt – erstaunlicher-      von Mantua) und Kaisern (Maximilian II.)       reiche Pelzhändlerwitwe kreuzt seinen Weg
                                                weise ohne die sonst übliche Prüfung. Und        und wird von ihnen umworben. Der Kom-          …
   Nokturn II: 3 Psalmen, 3 Lesungen            wiederum ohne Prüfung wird der Kompo-            ponist stellt jedoch immer so hohe Hono-
(Schriften des Augustinus), 3 Responsorien      nist 1555 Mitglied der offiziellen päpstlichen   rarforderungen, dass er Rom nie verlässt          Victoria wird als Sohn einer begüterten
                                                Kapelle, der Cappella Sistina. Da darf man       (oder nie verlassen muss?). So kehrt er 1571   Familie in Avila geboren, der Stadt der
   Nokturn III: 3 Psalmen, 3 Lesungen           wohl Protektion vermuten: Der frühere            an die Cappella Giulia des Papstes zurück,     Mystikerin Teresa von Avila; dort wird er
(Briefe des Apostels Paulus), 3 Responsorien    Bischof der Stadt Palestrina wurde mittler-      diesmal nun als Kapellmeister. 1574 scheint    auch als Chorknabe ausgebildet. 1565 erhält
                                                weile nämlich zum Papst gewählt. Ihm             Palestrina seinen ersten Zyklus mit Lamen-     er ein Stipendium, um in Rom am Collegium
   Laudes: Ähnlicher Aufbau, an erster          widmet der Komponist denn auch seine             tationen geschrieben zu haben (der auch        Germanicum (eine Gründung der Jesuiten)
Stelle immer Psalm 50: Miserere mei, Deus       erste Veröffentlichung Missarum liber primus     im Konzert erklingt). Im Druck erscheint       zu studieren. Sicher hat Victoria Palestrina,
                                                (Rom 1554). Julius III. regiert jedoch nur       er 1588: Joannis Petri Aloysii Praenestini –   der damals das Seminario Romano leitete,
   Ursprünglich wurden diese Gesänge mit        wenige Jahre, sein Nachfolger Marcellus          Lamentationum Hieremiae Prophetae Liber        gekannt und möglicherweise bei ihm stu-
den einstimmigen Melodien des Gregoria-         sogar nur wenige Wochen – und damit              primus.                                        diert. Sicher hat er dessen Stil so weit assi-
nischen Chorals gesungen; in der Zeit der       wendet sich das Blatt vorerst: Der nächste                                                      miliert, dass man zumindest den jungen
Spätrenaissance wurden sie dann sehr oft        Papst Paul IV. entlässt alle verheirateten          Schatten gibt es allerdings im Lauf der     Victoria als einen italienischen Komponis-
mehrstimmig vertont. Die Aufmerksamkeit         Sänger der Cappella Sistina, so auch Pales-      Zeit auch: der Tod des Bruders, der beiden     ten sehen kann. 1572 veröffentlicht er einen
der Komponisten erregten hauptsächlich          trina. Eine neue Stelle findet sich zwar         ältesten Söhne, der Ehefrau, dreier Enkel-     Band mit 33 Motetten beim renommierten
die Lamentationen (Klagelieder des Propheten    schnell an der Kirche San Giovanni in            kinder … Dies widerspiegelt sich mögli-        Drucker Antonio Gardano in Venedig – den
Jeremias) und die Responsorien (Antwort-        Laterano. Diese ist jedoch finanziell und        cherweise in den auffallend vielen Trauer-     ersten von elf prachtvollen Bänden mit aus-
gesänge), wohl vor allem wegen ihrer bilder-    personell schlechter gestellt, und nach          musiken eines neuen Motettenbuchs,             schliesslich geistlicher Musik.
reichen und emotionalen Sprache. Selten         einem Streit wechselt Palestrina 1561 an         Motettorum quatuor vocibus (Venedig 1584).
mehrstimmig vertont wurden dagegen die          die Kirche Santa Maria Maggiore, den Ort         Und es widerspiegelt sich vielleicht auch in      Bis 1576 ist Victoria Maestro di cappella
Psalm-, Augustinus- oder Paulus-Texte.          seiner Ausbildung.                               Palestrinas Entschluss, die niederen Weihen    des Collegium Germanicum, und in diesen
                                                                                                 zu empfangen und Priester zu werden.           Jahren wirkt er auch als Sänger, Organist
   Der Dirigent Stephen Smith hat in Anleh-        In dieser Zeit tagt wiederholt das Konzil     Allerdings: Wenig später zeigt der Kompo-      und Lehrer an verschiedenen Kirchen und
nung an die oben skizzierte Struktur frei       von Trient, das sich mit einer Reform der        nist einen überraschenden Sinneswandel         Häusern Roms. Allerdings wird ihm diese
einen Ablauf von einstimmigen Gregoriani-       Liturgie und der Kirchenmusik beschäftigt.       und heiratet 1581 die wohlhabende Witwe        öffentliche Tätigkeit allmählich etwas zu
schen Gesängen im Wechsel mit mehrstim-         Nicht alle Bischöfe und Kardinäle sind mit       des päpstlichen Pelzlieferanten, Virginia      viel. Im Vorwort des zweiten Buchs mit

8                                                          Tenebrae-Gesänge für den Karsamstag   Tenebrae-Gesänge für den Karsamstag                                                            9
Messen (1583) äussert er seinen Wunsch,          Werken von Carlo Gesualdo (ca. 1561–1613).
meiner mühseligen Suche nach Ruhe ein Ende       In seinen sechsstimmigen Responsoria von
zu setzen, damit ich eine Zeitlang in ehrsamer   1611 (alle 27 Responsorien sowie Benedictus
Musse rasten und meine Seele zu stiller          und Miserere) äussert sich eine Ausdrucks-
Betrachtung sammeln kann, wie es sich für        kraft – vielleicht eine «Ausdruckswut» –, die
einen Priester geziemt.                          in der religiösen Musik dieser Zeit Ihresglei-
                                                 chen sucht.
   König Philipp II. erfüllt den Wunsch, und
so kehrt Victoria um 1587 – also nach 20             Biografisch wird dies gern in Zusammen-
Jahren in Rom – in sein Heimatland Spanien       hang mit Gesualdos eigenhändiger Ermor-
zurück. In Madrid wird er Maestro di capilla     dung seiner Ehefrau und deren Liebhaber
der Kaiserinwitwe Maria, der Schwester           – in den Augen der Zeit ein «Ehrenmord»
Philipps; sie lebt nach dem Tod ihres            – und mit seiner neurotisch geprägten
Gemahls Maximilian II. – zurückgezogen,          Persönlichkeit gesehen. Musikalisch spielt
aber natürlich standesgemäss – im könig-         andererseits Gesualdos Begegnung mit den
lichen Kloster der Barfüsser-Nonnen              harmonisch kühnen Madrigalen von Luz-
(Descalzas Reales). Die Position als Maestro     zasco Luzzaschi am Hof von Ferrara eine
und später als Organist des Klosters scheint     wichtige Rolle. Von ihnen lernt der Kom-
Victoria zu behagen. Nur noch einmal wird        ponist, wie Schlüsselwörter und -passagen
er Spanien verlassen, um in Rom eine             eines Textes hervorgehoben werden können
Publikation zu überwachen und – was für          mit unerwarteten und oft auch unerwar-
ein Zufall – 1594 an Palestrinas Begräbnis       tet grossen Tonschritten, mit unüblichen
teilzunehmen. Der Tod der Kaiserinwitwe          harmonischen Wendungen und instabilen
wird 1603 zum Anlass für ein letztes grosses     rhythmischen Figuren; «Manierismus»
Werk, das sechsstimmige Requiem Officium         ist der aus der Kunstgeschichte entlehnte
defunctorum.                                     Begriff, um Gesualdos Musik – früher oft
                                                 auch negativ – zu charakterisieren.
   Zu den «am spanischsten» gefärbten
Werken Victorias gehört das Officium Hebdo-        ***
madae Sanctae, die grösste Werksammlung             Wie oben skizziert, folgen auf die
der Renaissancezeit mit mehrstimmiger            Matutin die Laudes, die mit dem Psalm 50,
Musik für die Karwoche. Sie erscheint 1585       Miserere mei, Deus beginnen. Dies ist einer
in Rom – auffälligerweise ohne eine Wid-         der bekanntesten und vielfach vertonten
mung – und enthält 37 Einzelgesänge: alle        Psalmen. Und eine der berühmtesten Ver-
neun Lamentationen des Jeremias, 18 Respon-      tonungen stammt von Gregorio Allegri
sorien sowie weitere Motetten für die Zeit       (1582–1652) – allerdings nicht aus rein          Mozart (gemäss einem Brief von Vater               Dieser vierstimmige Satz ist heute der
von Palmsonntag bis Karsamstag. In ihnen         musikalischen Gründen.                           Leopold) nach dem Besuch dieses Gottes-         «Clou» des Ganzen: Über längere Zeit
gelingt es Victoria, einerseits die Worte klar                                                    dienstes das Miserere auswendig nieder-         bildete sich die Tradition heraus, vor allem
und deutlich hervortreten zu lassen, sie            Gregorio Allegri war Sängerknabe, später      geschrieben haben. Erhalten ist diese           die Sopranstimme dieses Satzes immer
aber andererseits durch den musikalischen        Komponist und Kapellmeister in Rom, unter        Niederschrift nicht –, und sie stellt für ein   virtuoser zu verzieren, am spektakulärsten
Ausdruck zu überhöhen und intensivieren:         anderem auch der Cappella Sistina. Sein          Genie wie Mozart auch keinen besonderen         mit einer Zutat aus jüngerer Zeit: einem
In einer eher einfachen Musiksprache             Miserere wurde berühmt, weil die päpstliche      Geniestreich dar. Allegris Miserere besteht     hohen C. Die Verzierungen wurden nicht
finden hier religiöse Andacht und emotio-        Kapelle es strikt geheim hielt; Abschriften      nämlich aus nur drei Elementen, die sich        aufgeschrieben, sondern improvisiert, so
nale Inbrunst ihren Ausdruck.                    gab es keine, und jahrzehntelang war das         mehrmals wiederholen. Das erste ist ein ein-    dass sich die Komposition von Vers zu Vers
                                                 Werk deshalb nur am Karfreitag in der            stimmiger gregorianischer Rezitationston,       zu verändern schien, im Kern aber gleich
     ***                                         Sixtinischen Kapelle zu hören. Im 18. Jahr-      das zweite ein schlichter fünfstimmiger Fal-    blieb – und genau das hat Mozart vermutlich
  Allerdings nimmt sich die meiste für die       hundert wurde diese publikumswirksame            sobordone-Satz (eine Folge von einfachen        durchschaut.
Karwoche komponierte Musik der Spätre-           Geheimhaltung jedoch mehr und mehr               Akkorden) und das dritte ein vierstimmiger
naissance moderat aus im Vergleich zu den        durchlöchert. So soll der vierzehnjährige        Falsobordone-Satz.

10                                                          Tenebrae-Gesänge für den Karsamstag   Tenebrae-Gesänge für den Karsamstag                                                       11
Sa 21.03.                                                   Prima Parte: O Primavera!
17.30h Kulturhaus Helferei, Kirchgasse 13                Claudio Monteverdi         Fugge il verno dei dolori
                                                         (1567–1643)		              Scherzi musicali a tre voci, 1607
     Tageszeiten und Jahreszeiten in Mantua              Giaches de Wert            Ninfe leggiadre e voi, almi pastori
                                                         (1535–1596) 		             Il lauro verde. Madrigali a sei voci di diversi autori, 1583
     Giaches de Wert, Giovanni Giacomo Gastoldi,
     Salomone Rossi, Claudio Monteverdi                  Salomone Rossi             Ride la primavera
                                                         (1570–ca. 1630)		          Il terzo libro de madrigali, 1603
                                                         Claudio Monteverdi         O primavera, gioventù dell’anno
     Voces Suaves                                        			                        Il terzo libro de madrigali, 1592
     Lia Andres, Christina Boner, Mirjam Wernli Sopran   Giaches de Wert		          Vago augelletto, che cantando vai
                                                         			                        Il nono libro de madrigali a cinque et sei voci, 1588
     Jan Thomer Altus
                                                         Claudio Monteverdi         Zefiro torna, e’l bel tempo rimena
     Dan Dunkelblum, Andrés Montilla-Acurero Tenor       			                        Il sesto libro de madrigali, 1614
     Tobias Wicky Bariton
     Davide Benetti Bass                                 Gasparo Zanetti		          La Mantovana
                                                         (ca. 1600–1660)		          Il scolaro. Per imparare a suonare di violino, et altri stromenti,
     Orí Harmelin Theorbe                                			                        1645

     Capricornus Consort Basel                           Giaches de Wert		          Questi odorati fiori
                                                         			                        L’ottavo libro de madrigali a cinque voci, 1586
     Peter Barczi, Eva Borhi Barockvioline
                                                         			                        Sovra un bel cristallino
     Daniel Rosin Barockcello                            			                        Il nono libro de madrigali a cinque et sei voci, 1588
     Johanna Seitz Barockharfe                           Giovanni Giacomo           Cantiam, lieti cantiamo
     David Blunden Orgel                                 Gastoldi (ca. 1554–1609)   Madrigali a otto voci de diversi eccellenti et famosi autori, 1597

                                                         Salomone Rossi 		          Sonata undecima, detta La Scatola
                                                         			                        Il quarto libro de varie sonate, sinfonie, gagliardi, brandi e corrente,
                                                         			                        1622
                                                         Claudio Monteverdi         Zefiro torna, e di soavi accenti
                                                         			                        Madrigali e canzonette, libro nono, 1651
                                                         			                        A quest’olmo, a quest’ombre ed a quest’onde
                                                         			                        Concerto: Settimo libro de madrigali, 1619

                                                         			                        — Pause mit Apéro —

12                                                       Tageszeiten und Jahreszeiten in Mantua                                                             13
Mantua und Ferrara um 1600: zwei Klein-       in Venedig sein Primo libro de madrigali;
     Seconda Parte: Notte e giorno                                                               städte in der Poebene, politisch bedeutungs-     danach erscheinen in regelmässiger Folge
                                                                                                 los, aber einige Jahrzehnte musikalisch so       weitere Publikationen – 12 Bücher mit «klas-
Claudio Monteverdi   Hor che’l ciel e la terra                                                   tonangebend wie neben ihnen nur noch             sisch» fünfstimmigen Madrigalen werden
			                  Madrigali guerrieri et amorosi. Libro ottavo, 1638                          Venedig oder Rom. Als Erstes etabliert sich      es schliesslich sein, dazu weitere Bände mit
                                                                                                 Ferrara auf der Landkarte der Musik: Grosse      Werken in anderen Besetzungen. De Wert ist
Giaches de Wert		    Usciva omai dal molle e fresco grembo                                       Komponisten der Renaissance, von Josquin         mittlerweile ein berühmter Komponist; so
			                  L’ottavo libro de madrigali a cinque voci, 1586                             bis Cipriano de Rore, sind hier, am Hof der      erhält er etwa ein Stellenangebot von Kaiser
Claudio Monteverdi   Sfogava con le stelle                                                       d’Este, angestellt. Und Mantua, der Hof          Maximilian II., das er aber ablehnt.
			                  Il quarto libro de madrigali, 1603                                          der Gonzagas, holt auf, als der Komponist
                                                                                                 Giaches de Wert dorthin engagiert wird.             Dann lockt der Hof der d’Este in Ferrara:
Salomone Rossi 		    Sonata in dialogo, detta La Viena                                                                                            Der Fürst unterhält dort das Concerto delle
			                  Il terzo libro de varie sonate, sinfonie, gagliardi, brandi e corrente,         Giaches (Jacques/Jaches) de Wert (1535–      dame (oder donne), ein Ensemble von drei
			                  1613                                                                        1596) wird in Flandern geboren, vermutlich       Sängerinnen, die sich selber auf Instru-
                                                                                                 in Ghent oder Weert bei Antwerpen. Schon         menten begleiten – von ihnen spricht das
Giaches de Wert		    Quel rosignol, che sì soave piagne                                          früh gelangt er nach Italien – für talentierte   ganze musikalische Italien. Am Hof von
			                  Il nono libro de madrigali a cinque et sei voci, 1588                       Sängerknaben damals kein unüblicher              Ferrara ist auch Torquato Tasso angestellt,
Claudio Monteverdi   Lamento della ninfa                                                         Lebenslauf. Die fürstlichen Dienststellen        der an seinem Epos La Gerusalemme liberata
			                  Madrigali guerrieri et amorosi. Libro ottavo, 1638                          des jungen Sängers wechseln in schneller         arbeitet. De Wert vertont als einer der Ersten
                                                                                                 Folge: von einem Hof der d’Estes bei Neapel      Texte von Tasso (Ottavo libro de madri-
Salomone Rossi 		    Sonata duodecima, sopra la Bergamasca                                       zu einem der Gonzagas in Novellara (Reggio       gali 1586) wie auch von Giovanni Battista
			                  Il quarto libro de varie sonate, sinfonie, gagliardi, brandi e corrente,    Emilia), von hier nach Ferrara, wo ein           Guarini, dessen Theaterstück Il pastor fido
			                  1622                                                                        Landsmann, Cipriano de Rore, Kapellmeis-         (1585) damals eine literarische Sensation ist
                                                                                                 ter (und vielleicht auch de Werts Lehrer)        und in Mantua aufgeführt werden soll.
Salomone Rossi       O tu che vinci l’alba                                                       ist, dann nach Mailand. 1565 schliesslich
			                  Il secondo libro de madrigali, 1602                                         der entscheidende Schritt: De Wert wird             Die Beschäftigung mit diesen einerseits
Giaches de Wert		    Sì come ai freschi e matutini rai                                           als Maestro di cappella an die Kirche Santa      emotional-heroischen, andererseits pasto-
			                  L’ottavo libro de madrigali a cinque voci, 1586                             Barbara in Mantua, dem Hauptsitz der             ral-amourösen Themen hat Folgen für die
Claudio Monteverdi   Com’è dolce oggi l’auretta                                                  Gonzaga-Fürsten berufen; er wird es bis          Musiksprache des Komponisten. Hatte er
			                  Madrigali e canzonette, libro nono, 1651                                    zu seinem Tod 1592 bleiben.                      noch in der traditionell polyphonen Tra-
			                  Quando l’alba in oriente                                                                                                     dition der Madrigale von Adrian Willaert
			                  Scherzi musicali a tre voci, 1607                                               Dem Musiker persönlich bringt der            begonnen, so ändert sich de Werts Stil nun:
                                                                                                 Wechsel nach Mantua vorerst allerdings           Der kunstvoll durchgebildete polyphone
			                  Vago augelletto, che cantando vai                                           kein Glück: De Werts Frau Lucrezia – begü-       Satz wird weniger wichtig; in den Vorder-
			                  Madrigali guerrieri et amorosi. Libro ottavo, 1638                          tert und aus der Familie der Gonzagas            grund tritt der künstlerische Ausdruck, die
                                                                                                 stammend – beginnt eine Affäre mit einem         Umsetzung der Emotionen und Bilder des
                                                                                                 anderen Musiker. Sie wird daraufhin vom          Textes in Musik.
                                                                                                 Hof verbannt, kehrt nach Novellara zurück
                                                                                                 – und beginnt dort eine Affäre mit einem            In Mantua ist de Wert mittlerweile als
                                                                                                 illegitimen Sohn der Gonzaga-Familie.            Praefectus musicorum auch Leiter der welt-
                                                                                                 Dieser plant – mit Lucrezias Wissen und          lichen Musik des Hofes, doch nimmt der
                                                                                                 Mitwirkung – einen Mordanschlag, um zu           (hochbezahlte und privilegierte) Komponist
                                                                                                 seinem Erbe zu kommen. Als der Plan              seine Pflichten eher sporadisch wahr. Denn
                                                                                                 aufgedeckt wird, kann der Sohn fliehen,          in Ferrara tut sich nicht nur Musikalisches:
                                                                                                 nicht aber Lucrezia: Sie verbringt den Rest      Der Komponist verliebt sich in eine der drei
                                                                                                 ihres Lebens im Gefängnis.                       berühmten Dame, die verwitwete adelige
                                                                                                                                                  Hofdame Tarquinia Molza, und sie erwidert
                                                                                                   Mehr Glück hat Giaches de Wert als             seine Gefühle. Die – natürlich nicht standes-
                                                                                                 Komponist: Bereits 1558 veröffentlicht er        gemässe – Beziehung wird von Spionen und

14                                                      Tageszeiten und Jahreszeiten in Mantua   Tageszeiten und Jahreszeiten in Mantua                                                       15
mittels abgefangener Liebesbriefe aufge-            1628 erscheint Rossis letzte Publikation,
deckt – ein Skandal erster Güte! Tarquinia       ein Band mit Madrigaletti; danach verliert
Molza wird vom Hof verbannt, der Kompo-          sich seine Spur. Leider ist anzunehmen,
nist fällt in Ungnade ... Allerdings für nicht   dass er bei der österreichischen Invasion
allzu lange, denn 1587 schreibt er die Krö-      während des Mantuanischen Erbfolge-
nungsmesse für den neuen Herzog Vincenzo         krieges ums Leben kam, sei es in den damit
Gonzaga.                                         verbundenen antisemitischen Ausschreitun-
                                                 gen, sei es durch die von den Österreichern
   Seit 1582 ist de Wert immer wieder ein        eingeschleppte Pest.
Opfer von Malariaanfällen; er verträgt das
feucht-heisse Klima Mantuas nur schlecht.           ***
So wird ein Stellvertreter an Santa Barbara         1596 stirbt Giaches de Wert, und ein
nötig. Dies ist zuerst provisorisch, dann ab     junger Musiker seines Ensembles macht
1588 definitiv Giovanni Giacomo Gastoldi         sich, ebenso talentiert wie ambitioniert,

                                                                                                                   Ihr Klangerlebnis,
(ca. 1554–1609). Er kommt als Sängerknabe        Hoffnungen auf die Nachfolge als Maestro
nach Mantua und wird dort zum Sänger,            di cappella der Hofmusik: Claudio Monte-
Komponisten und Priester ausgebildet.            verdi (1564–1643). Diese erfüllen sich
Heute ist er vor allem für seine leichtfüs-
sigen Frottole und Balletti bekannt, doch
umfasst sein vielfältiges Werk auch Madri-
                                                 vorerst jedoch nicht: ihm wird der erfahre-
                                                 nere Benedetto Pallavicino vorgezogen. Erst
                                                 1601/02 kann Monteverdi dann nachrücken;
                                                                                                                     unser     Handwerk.
gale und geistliche Kompositionen.               danach wird er diese Stelle rund 12 Jahre
                                                 innehaben, bevor er 1613 Kapellmeister an
     ***                                         San Marco in Venedig wird.
   In de Werts Musikensemble findet sich                                                               SCHLOSSERGASSE 9, 8001 ZÜRICH, WWW.GEIGENBAUMEISTER.CH
auch ein Musiker aus Mantua selbst: Salo-            Monteverdi schreibt seine ersten Mad-
mone Rossi (1570–ca. 1630). Er stammt aus        rigale schon in der Zeit vor und die letzten
einer alteingesessenen jüdischen Familie.        in der Zeit nach der Anstellung in Mantua:
1587 wird Rossi am Hof, wo seine Schwester       Acht Madrigalbücher veröffentlicht er (die
Europa bereits Sängerin ist, als Sänger und      meisten höchst erfolgreich), dazu je einen
Violinist angestellt; später steigt er zum       Band mit Canzonette und Scherzi musicali
Leiter des herzoglichen Instrumentalensem-       (die Opern und geistlichen Werke gar nicht
bles auf. Er veröffentlicht mehrere Bände        zu erwähnen). Seine Musiksprache macht
mit Vokal- und Instrumentalmusik: drei-          dabei eine enorme Entwicklung durch:
stimmige Canzonetti (1589) – leichtfüssige,      Die Umsetzung des emotionalen und bild-
tänzerische Stücke –, Madrigale mit Basso        haften Gehalts des Textes in musikalischen
continuo sowie zahlreiche Instrumental-          Ausdruck gewinnt – wie schon bei Giaches
werke. Darunter finden sich auch Sonaten in      de Wert – Vorrang vor dem klassisch fünf-
der Besetzung mit zwei Melodieinstrumen-         stimmigen Satz, und schliesslich weicht das
ten und Basso continuo. Somit kann Rossi         Renaissance-Madrigal einem frühbarock
als einer der Pioniere der barocken Trioso-      geprägten Vokalwerk der Madrigalbücher 7
nate gelten. Bemerkenswert ist aber v.a. auch    und 8. Als Beispiele stehen dafür einerseits
seine mehrstimmige Vertonung von Texten          das frühe, noch durchkomponierte Ecco
aus dem alttestamentlichen Hohen Lied oder       mormorar l’onde (2. Madrigalbuch, 1590) und
Buch Salomons: Ha-Shirim Asher li-Shelomoh       das späte, refrainartig gestaltete Vago augel-
(1622). Diese mehrstimmigen Gesänge waren        letto (8. Madrigalbuch 1638).
für den bisher stets einstimmigen Synago-
gengesang bestimmt; sie sollten ein Schritt      Eine ausführliche Darstellung von Monteverdis
auf dem Weg der kulturellen Assimilation         Madrigalen findet sich auf www.altemusik.ch/archiv,
der Juden sein.                                  Programmheft Monteverdi März 2017.

16                                                          Tageszeiten und Jahreszeiten in Mantua                                                              17
So 22.03.                                                    Ein Jahr in Johann Sebastian Bachs Leben in Leipzig
16.00h Lavatersaal vis-à-vis Kirche St. Peter                Auswahl und Zusammenstellung: Arthur Godel und Rudolf Lutz

     Präludium                                             			                    Mit Ausschnitten aus:

     Musik von Antonio Vivaldi, Peter I. Tschaikowsky,     J.S. Bach		            März
     Bent Sørensen und Astor Piazzolla                     			                    Kantate Weichet nur, betrübte Schatten BWV 202

                                                           			                    April
     Studierende der ZHdK                                  			                    Kantate Jesus nahm zu sich die Zwölfe BWV 22
     Nina Dmitrovic, Noel Dožic, Mario Strebel Akkordeon   			                    Johannes-Passion BWV 245
                                                           			                    Sonate für Violine und Cembalo E-Dur BWV 1016
                                                           			                    Osteroratorium BWV 249

17.00h Kirche St. Peter                                    			                    Mai
                                                           			                    Suite für Cello solo C-Dur BWV 1009
     Bachs Jahr
                                                           			                    Juli
     Ein Jahr in Johann Sebastian Bachs Leben in Leipzig   			                    Bauern-Kantate Mer hahn en neue Oberkeet BWV 212
     anhand seiner Musik
                                                           			                    September
                                                           			                    Orchestersuite h-Moll BWV 1067
     Soli und Ensemble der J.S. Bach-Stiftung St. Gallen   			                    Kaffee-Kantate Schweigt stille, plaudert nicht BWV 211
     Marie Luise Werneburg Sopran
                                                           			                    November
     Jan Börner Altus
                                                           			                    Kantate O Ewigkeit, du Donnerwort BWV 60
     Raphael Höhn Tenor
     Matthias Helm Bass                                    			                    Dezember
                                                           			                    Kantate Nun komm, der Heiden Heiland BWV 61
     Eva Borhi Violine
                                                           			                    Januar
     Peter Barczi Violine                                  			                    Kantate Das neugeborne Kindelein BWV 122
     Martina Bischof Viola
     Daniel Rosin Violoncello                              			                    April
     Markus Bernhard Violone                               			                    Kantate Erfreut euch, ihr Herzen BWV 66

     Katharina Arfken Oboe                                   Rudolf Lutz		        Cembalo-Improvisationen und Concerto für Streichinstrumente
     Elise Nicolas Oboe
     Tomoko Mukoyama Traversflöte
     Susann Landert Fagott

     Rudolf Lutz Cembalo & Leitung

18                                                         Bachs Jahr                                                                           19
Anfänglich – so schreibt Johann Sebastian     dem Textdichter zu erarbeiten; diesen Text       ist gratis – die «Umwegrendite» war anschei-   der) gebohrne Musici, und kann versichern,
Bach 1730 an seinen ehemaligen Schulkolle-       dann zu vertonen (normalerweise rund 20          nend gross genug! Und während Frauen           dass schon ein Concert Vocaliter und Instru-
gen Georg Erdmann – anfänglich sei es ihm        Minuten Musik); danach das Aufführungs-          der Besuch des Cafés generell verwehrt ist,    mentaliter mit meiner Familie formiren kann,
gar nicht anständig erschienen, aus einem        material (also die Einzelstimmen für Sänger      dürfen sie doch die Konzerte besuchen …        zumahln da meine itzige Frau (Anna Magda-
Capellmeister ein Cantor zu werden. So habe      und Instrumentalisten) von Schreibern aus                                                       lena) gar einen sauberen Soprano singet,
er lange gezögert, die Stelle als fürstlicher    der handschriftlichen Partitur herauskopie-         Ab 1702 hatte Georg Philipp Telemann,       auch meine älteste Tochter nicht schlimm
Kapellmeister am Hof von Köthen aufzu-           ren zu lassen, diese Kopien zu kontrollieren     noch als Student, mit seinem Collegium         einschläget.
geben und 1723 das (bürgerliche) Amt des         und allenfalls zu korrigieren sowie in der       Musicum bei Zimmermann konzertiert,
Thomaskantors in Leipzig zu übernehmen.          Orgelstimme den bezifferten Bass einzu-          nun übernimmt Bach von 1729 bis 1737 und         ***
1730 nun, also sieben Jahre später, hat Bach     tragen. Vor allem das Herausschreiben            wiederum von 1739 bis 1741 dessen Leitung.
genug von seiner Arbeitssituation in Leipzig,    und Kopieren der Einzelstimmen scheint           Hatte also bisher der sonntägliche Gottes-        Das Programm des Konzerts Bachs Jahr
und er will weg, meine Fortun anderweitig        manchmal in grosser Eile vor sich gegangen       dienst Bachs Leben als Thomaskantor            wurde auf Anfrage des Festivals Alte Musik
zu suchen. Vielleicht hat Georg Erdmann          zu sein, und für Proben blieb wohl meistens      strukturiert, so versetzen ihn die wöchent-    Zürich vom Musikwissenschaftler und
(inzwischen hochrangiger Diplomat) Kennt-        nur wenig Zeit, wenn denn überhaupt im           lichen Kaffeehaus-Konzerte wieder stärker      Bachspezialisten Arthur Godel sowie vom
nis von einer besseren Stelle? – Wir wissen:     heutigen Sinn geprobt wurde. – Am Sonntag        ins Amt des Kapellmeisters. Bach führt         Cembalisten und Dirigenten Rudolf Lutz
Es kam anders, Bach blieb für den Rest           folgte dann die Aufführung, und zwar im          sowohl eigene wie Werke anderer Kompo-         ausgearbeitet. Als Komponist steuert Rudolf
seines Lebens Thomaskantor in Leipzig.           Wechsel zwischen Thomas- und Nikolai-Kir-        nisten auf; nachgewiesen sind Orchester-       Lutz ausserdem ein Concerto für Streich-
                                                 che, an hohen Sonntagen jedoch in beiden         suiten seines Verwandten Johann Bernhard       instrumente bei, das in diesem Konzert
   Und es hatte auch ganz anders begonnen.       Kirchen; im Übrigen hatte Bach auch noch         Bach. Leider ist nur wenig dokumentiert,       uraufgeführt wird.
1723 stürzt sich Bach mit Feuereifer in sein     die Mitwirkung der Thomaner in den sonn-         was Bach an eigener Musik gespielt haben
neues Amt. Denn nur er selbst und niemand        täglichen Gottesdiensten der Neuen Kirche        könnte: vermutlich die eigenen vier Orches-       Zu diesem Werk hat der Komponist einige
sonst verlangt, dass er in den nächsten          und der Peterskirche zu organisieren.            tersuiten (Ouvertüren) oder die Violin- und    Stichworte formuliert:
Jahren Woche für Woche eine neue Kantate                                                          Cembalo-Konzerte, so gut wie sicher aber
komponieren oder (gelegentlich) eine alte           Sonntag für Sonntag also eine neue            die sogenannte «Kaffee-Kantate» – eine            Die vier Streicherstimmen übernehmen die
für die Leipziger Bedürfnisse adaptieren soll.   Kantate, und das sicher zwei, drei, vielleicht   humorvolle Auseinandersetzung mit dem          Tuttifunktion wie auch solistische Aufgaben. Es
So komponiert er ab dem 1. Sonntag nach          sogar vier, fünf Jahre lang: Das prägt Bachs     modischen und, wie heute, immer wieder         wird eine Spielmusik voll der verschiedensten
Trinitatis 1723 einen ersten Jahrgang mit        Arbeitswelt in den 1720er Jahren – oder          mal verteufelten Kaffeetrinken. Bach hat       Teilaffekte, virtuos und auch mit viel „espres-
Kantaten und gleich anschliessend einen          vielmehr: So prägt Bach aus eigenem Willen       übrigens entscheidend in die Handlung der      sione“. Natürlich für meine Leute komponiert!
zweiten, dieser nun mit Choralkantaten.          seine Arbeitswelt. «Daneben» entstehen 1724      Kantate eingegriffen: Im originalen Libretto
Einen dritten Jahrgang realisiert Bach nur       auch noch die Johannes- und 1727 die Mat-        von Picander (Christian Friedrich Henrici,        Durch das Komponieren im hochbarocken
teilweise und greift auch zu älteren Werken      thäus-Passion sowie verschiedene weltliche       der Textdichter der Matthäus-Passion) ringt    Stil erfahre ich die Innensicht eines Kompo-
bzw. zu Kantaten anderer Komponisten.            Kantaten … Als aber um 1730 der Ärger über       Vater Schlendrian seiner Tochter Liesgen       nisten und kann so viel eindringlicher barocke
Der von Carl Philipp Emanuel mitverfasste        eine finanziell nicht optimale Situation und     erfolgreich den Verzicht auf Kaffee ab, da     Originalkompositionen nachvollziehen.
Nekrolog auf Bach erwähnt ausserdem noch         eine wunderliche und der Music wenig erge-       sie sonst keinen Ehemann erhalte. In Bachs     Ich habe nun schon so viele Jahre diesen Stil
einen vierten und fünften Jahrgang, von          bene Obrigkeit (Brief an Erdmann) überhand-      Kantate gibt es nun eine zusätzliche, ironi-   gepflegt, dass ich den Eindruck habe, ich
denen sich allerdings nur Fragmente erhal-       nimmt, wendet Bach sich verstärkt Anderem        sche Wende: Liesgen lässt verbreiten, dass     schreibe „zeitgenössisch“; ich meine: Es ist
ten haben.                                       zu. Natürlich ist nicht daran zu denken,         sie nur einen Ehemann akzeptiere, der ihr      keine Stilkopie, sondern ich schreibe persönlich
                                                 die musikalische Leitung im Gottesdienst         im Ehekontrakt den Kaffeegenuss ausdrück-      in einem alten Stil.
    In seiner Leipziger Anfangszeit führte       fahren zu lassen, doch neue geistliche Kan-      lich zugestehe …
Bach so pro Jahr also gegen 60 eigene, meist     taten entstehen nach 1730 nur noch verein-                                                        Rudolf Lutz
neue Kirchenkantaten auf – 60, weil neben        zelt. Hingegen lockt nun etwas Weltliches:          Durchaus denkbar, aber nicht belegt, ist
den 52 Sonntagen auch noch die hohen             nämlich das Zimmermannische Caffeehaus           auch die Aufführung von Werken für ein
Feiertage des Kirchenjahrs zu berücksich-        in Leipzigs eleganter Katharinenstrasse.         Soloinstrument (Cello-Suiten, Cembalo-
tigen waren. «Führte auf» ist allerdings         In zwei grossen Räumen (und sommers              Partiten) oder für Duo (Violin-Cembalo-
schnell gesagt: Es galt ja – das Folgende darf   auch im Zimmermannischen Coffee-Garten)          Sonaten) – «Hausmusik» höchster Qualität,
man sich jedoch nicht allzu linear vorstellen    betreibt Gottfried Zimmermann ein Kaffee-        wie sie schon am Köthener Hof und auch
–, zuerst einen für den betreffenden Sonntag     haus: normalerweise mit einem Konzert,           in Bachs eigenem Haus erklang. So schreibt
geeigneten (nämlich auf das Evangelium           während der drei grossen Leipziger Messen        Bach im Brief an Georg Erdmann zum
bezogenen) Text zu finden oder diesen mit        mit zwei Konzerten pro Woche. Der Eintritt       Schluss: Insgesamt aber sind sie (Bachs Kin-

20                                                                                   Bachs Jahr   Bachs Jahr                                                                                   21
Fr 27.03.                                    1. Januar – Ein Traum. Adagio quasi una Fantasia
                                                Ahnest du, o Seele, wieder / sanfte, süsse Frühlingslieder,
19.30h Kulturhaus Helferei, Kirchgasse 13       Sieh umher die falben Bäume, / ach!, es waren holde Träume.

     Fanny Mendelssohn                       2. Februar – Scherzo. Presto
                                                Denkt nicht, ihr seid in deutschen Gränzen, / von Teufels-, Narren- und Totentänzen:
              – 12 Charakterstücke für das      Ein heiter Fest erwartet euch.

     Fortepiano                              3. März – Praeludium und Choral Christ ist erstanden

     Jahreszeiten-Lieder                        Verkündiget, ihr dumpfen Glocken, schon / des Osterfestes erste Feierstunde?

                                               Lieder: Frühling – Maienlied – Morgenständchen – Grüner Frühling – Mainacht

     Els Biesemans Fortepiano                4. April – Capriccioso
     Antje Rux Sopran                           Der Sonnenblick betrüget / mit mildem, falschem Schein.

                                             5. Mai – Frühlingslied
                                                Nun blühet das fernste, tiefste Tal.

                                             6. Juni – Serenade. Allegro
                                                Hör ich Rauschen, hör ich Lieder, / hör ich holde Liebesklage.

                                               Lieder: Anklänge I-III – Bergeslust – Am leuchtenden Sommermorgen

                                             7. Juli – Larghetto
                                                Die Fluren dürsten nach erquickendem Tau, der Mensch verschmachtet.

                                             8. August – Allegro
                                                Bunt von Farben / auf den Garben / liegt der Kranz.

                                             9. September – Am Flusse. Andante con moto
                                                Fliesse, fliesse, lieber Fluss, / nimmer werd ich froh.

                                               Lieder: Nach Süden – Schwanenlied – Warum sind denn die Rosen so blass – Im Herbste

                                             10. Oktober – Allegro con spirito
                                                 Im Wald, im grünen Walde, / da ist ein lustiger Schall.

                                             11. November – Mesto
                                                 Wie rauschen die Bäume so winterlich schon, / es fliehen die Träume des Lebens davon,
                                                 ein Klagelied schallt / durch Hügel und Wald.

                                             12. Dezember – Allegro molto
                                                 Vom Himmel hoch, da komm ich her.

                                             13. Nachspiel – Choral
                                                 Das alte Jahr vergangen ist.

22                                           Fanny Mendelssohn: Das Jahr                                                               23
Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühn?      Ich schreibe jetzt auch viel. Nichts spornt        Diesen beiden Ebenen, der autobiogra-        ihres Bruders Felix; in op. 8 findet sich auch
– Lange hatte Fanny Mendelssohn (1805–           mich so an als Anerkennung, wogegen mich           phischen und charakterisierend-allgemei-        das Lied Italien. Zweifelslos wollte Felix die
1847) von einem längeren Besuch Italiens         der Tadel mutlos macht und niederdrückt.           nen, fügt Fanny Mendelssohn noch eine           Kompositionen seiner Schwester nicht etwa
geträumt, nun wurde der Traum wahr: So           Gounod ist auf eine Weise leidenschaftlich über    dritte hinzu, eine genuin musikalische. Der     als seine eigenen ausgeben. Zu einer Zeit,
stand es denn im Buche des Schicksals auf        Musik entzückt, wie ich es nicht leicht gesehen.   Januar erscheint als Traum oder Fantasie        als sich das Publizieren für Komponistinnen
meinem Blatte geschrieben, dass ich 1839, den    Mein kleines venezianisches Stück gefällt ihm      dessen, was noch kommen wird: In seinem         aus bürgerlichem Haus nicht schickte, war
12. Oktober nachmittags, nach unserer Uhr        ausserordentlich, ferner das aus h-Moll, das ich   Mittelteil sind – als Collage – Fragmente der   dies für ihn wohl eher ein «Trick», um das
um 2, Venedig zum ersten Mal, aus der Brenta     hier gemacht habe. Ich habe in der letzten Zeit    Monate Februar, Mai, Juni und August zu         Publikum mit dem Schaffen seiner Schwes-
in die Lagune einfahrend, erblicken und bald     meinen Klavierstückchen Namen von hiesigen         hören. Ausserdem erklingt in seinen Aus-        ter bekannt machen.
darauf diese wunderbare Inselstadt, diese        Lieblingsplätzen gegeben, teils sind sie mir       senteilen ein Motiv (h-a-g-fis-g-e-dis), das
Biberrepublik, betreten und besuchen sollte.     wirklich an den Orten eingefallen, teils habe      später in immer neuen Varianten in anderen        Dennoch vertritt Felix (wie auch sein
                                                 ich sie im Sinn dabei gehabt, und es wird mir      Stücken erscheint, nicht als Leitmotiv frei-  Vater) in dieser Frage grundsätzlich die
   So – Goethe zitierend – schildert Fanny       künftighin ein angenehmes Andenken sein,           lich, sondern als einheitsstiftendes Grund-   gleiche Haltung wie die bürgerliche Gesell-
Mendelssohn* ihre Ankunft in Venedig, der        eine Art von zweitem Tagebuch.                     element. Der bunten Vielfalt der 12 Monate    schaft: Er rät seiner Schwester immer
ersten grossen Station ihrer Italienreise;                                                          und dem beständigen Wechsel der Zeit liegt    wieder von Publikationen unter eigenem
diese wird fast ein volles Jahr dauern, vom         Eine Art von zweitem Tagebuch: Im               somit auch unauffällig-geheimnisvoll eine     Namen ab. So veröffentlicht Fanny – mit
September/Oktober 1839 bis August/Sep-           Herbst 1841 komponiert Fanny Mendelssohn           Gemeinsamkeit und Konstante zugrunde.         einer Ausnahme und trotz Drängen ihres
tember 1840. Die damals vierunddreissig-         den Klavierzyklus Das Jahr, für jeden Monat                                                      Ehemannes Wilhelm Hensel – ihr op. 1 mit
jährige Komponistin aus grossbürgerlichem        ein Klavierstück, und ganz offensichtlich             Fanny Mendelssohn überreicht den           sechs Liedern erst 1846. Bis zu ihrem plötz-
Haus reist nicht allein, sondern zusammen        evoziert sie in einigen von ihnen Eindrücke        Klavierzyklus 1841 ihrem Mann als Geschenk lichen Tod 1847 – und noch kurz danach
mit ihrem Mann, dem Maler Wilhelm                ihrer Italienreise: im Februar den venezia-        zu Weihnachten. Gemeinsam arbeiten sie        – erscheinen in schneller Folge weitere
Hensel, dem Sohn Sebastian, der Magd             nischen Karneval, im Juni eine Serenade            daran weiter und schaffen in einer zweiten    Liedsammlungen, zuletzt op. 10 (1850).
und Kinderfrau Jette und möglicherweise          mit Gitarre, im Juli einen drückend heissen        Fassung eine Art von Gesamtkunstwerk:         Zahlreiche Lieder bleiben jedoch unveröf-
noch anderen Dienstboten.                        italienischen Sommer.                              Fanny Mendelssohn revidiert das eine und      fentlicht und dementsprechend auch lange
                                                                                                    andere und komponiert den Juni neu, allen     unbekannt.
   Freilich zeigt sich das lang ersehnte Land,      Doch die Komponistin lässt diesen auto-         Stücken werden literarische Zitate vorange-
wo die Zitronen blühn, den Reisenden vorerst     biographischen Aspekt nicht dominieren.            stellt, natürlich vor allem auch von Goethe.      Lieder galten in der damaligen Gesell-
nicht von seiner besten Seite: In Mailand        Sie zielt vielmehr darauf ab, zwölf Charakter-     Wilhelm Hensel illustriert jeden Monat mit    schaft als das einer Frau adäquate Musik-
schockiert sie der schmutzige Zustand der        stücke zu schreiben, die allgemeingültige          einer Vignette. Dieses Manuskript bleibt im   genre. Doch für Fanny Mendelssohns
Stadt, in Verona der allgemeine Zerfall der      Merkmale und Attribute der zwölf Monate            Familienbesitz der Mendelssohns und wird      umfangreiches Liedschaffen mag ein
antiken Bauten, Padua macht ihr einen            festhalten sollen. Somit sind die Monate           erst 1997 öffentlich zugänglich.              anderes Motiv zentral erscheinen: Die
widerwärtigen Eindruck von Verwesung, und        auch nicht der Italienreise entsprechend                                                         Liedkomposition ermöglicht es ihr, ihre
in Venedig fallen Flöhe und Mücken über          angeordnet, sondern in ihrer kalendari-               ***                                        grosse literarische Bildung schöpferisch in
sie her …                                        schen Abfolge von Januar bis Dezember; sie            Eine etwas peinliche Episode für Felix     ihre eigene Kunst umzusetzen. Sie vertont
                                                 evozieren die Jahreszeiten (den launischen         Mendelssohn: Als er bei einer Audienz 1842    zwar auch Gelegenheitsdichtungen aus
   Doch später hellt sich die Situation auf,     April, den frühlingshaften Mai), Bräuche wie       in London Königin Victoria fragt, ob er ihr   ihrem Bekanntenkreis und Texte von eher
man besucht eifrig die alten und neuen           Karneval, Erntedank oder Jagd, und sie zitie-      aus seinem Schaffen ein Lieblingswerk vor-    zweitrangigen Dichtern. Meistens greift sie
Sehenswürdigkeiten von Venedig, Florenz,         ren Musik kirchlicher Feste (Ostern, Weih-         spielen könne, nennt diese das Lied Italien.  aber für ihre Vertonungen zu Gedichten
Rom, Neapel, und das bildungsbewusst             nachten, Neujahr) – und dies nicht etwa mit        Leicht verlegen muss Felix gestehen, dass das der grossen und grössten deutschsprachi-
immer auch auf den Spuren der Italienrei-        italienischen, sondern mit deutschen Cho-          Lied von seiner Schwester Fanny stamme ...    gen Dichter ihrer Zeit: Heine, Lenau, Voss,
sen Goethes und mit den Tipps von Bruder         rälen. Im Nachspiel ist Fanny Mendelssohn          Diese Episode hat ihre Vorgeschichte.         Rückert, der etwas ältere Hölty, sowie vor
Felix, der Italien bereits in Jugendjahren       denn auch wieder ganz zurück in Deutsch-                                                         allem Goethe und Eichendorff. Die Musik
ausgiebig bereisen konnte. Vor allem der         land: Sie zitiert nicht nur den Choral Das alte       Das Lied ist dasjenige Genre, das in Fanny tritt mit dem Text in einen produktiven
mehrmonatige Aufenthalt in Rom lässt             Jahr vergangen ist, sondern auch eine Passage      Mendelssohns Schaffen zentral ist: Sie        Wettbewerb.
Fanny Mendelssohn und ihre Kreativität           aus dem Eingangschor von Bachs Matthäus-           komponiert Lieder von früh an, insgesamt
aufblühen – was auch mit der Bewunderung         Passion, die ihr Bruder 1829 zum ersten Mal        um die 300 Einzelwerke. Es sind denn auch         Frühling: Das gleiche Gedicht (Eichen-
des jungen Charles Gounod zu tun hat, der        wiederaufgeführt hatte.                            einige Lieder, die von ihren Werken als erste dorff), das auch Robert Schumann im
sich damals als Stipendiat in der Villa Medici                                                      publiziert werden – und zwar in den Lied-     Liederkreis op. 39 vertonte. Während die
aufhält:                                                                                            sammlungen op. 8 (1828) und op. 9 (1830)      erste und dritte Strophe überschäumende

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Freude ausdrücken, unternimmt es Fanny              Warum sind denn die Rosen so blass?: Erst
Mendelssohn, in der zweiten Strophe das          der letzte Satz des Gedichts gibt die Antwort   Sa 28.03.
gleichzeitige Jauchzen und Weinen darzu-         auf diese Frage; auf der Suche nach ihr
stellen.                                         «wandert» die Vertonung durch verschie-         15.00h Weinschenke Hotel Hirschen, Hirschengasse 6
   Maienlied: Mit Ketten von Staccato-Akkor-     dene Tonarten.
den bringt die Komponistin ein perlendes            Bergeslust: Das letzte Lied von Fanny          Apérokonzert
Lachen in die Vertonung, das im Text wört-       Mendelssohn. Sie schreibt es am 13. Mai
lich nicht vorkommt.                             1847, dem Tag vor ihrem plötzlichen Tod –
                                                                                                   Musik von Antonio Vivaldi, Peter I. Tschaikowsky,
   Morgenständchen: Eine tumultuöse              ein Lied, das in keiner Weise von Todesnähe       Bent Sørensen und Astor Piazzolla
Klavierstimme überhöht die Aussage des           spricht.
Textes ins Ekstatische.
   Mainacht: Das Lied ist ganz in der Stim-          * Die Komponistin wird als Fanny Men-         Studierende der ZHdK
mung gedämpfter Melancholie gehalten. Die        delssohn geboren, nach ihrer Heirat 1829          Nina Dmitrović, Noel Dožić, Mario Strebel Akkordeon
spätere Vertonung von Johannes Brahms            mit dem Maler Wilhelm Hensel heisst sie
lässt angesichts ihres ähnlichen Charakters      offiziell Fanny Hensel. Ihre frühen Kompo-
die Frage aufkommen, ob dieser Fannys            sitionen schreibt sie dementsprechend als
Lied gekannt hat.                                Fanny Mendelssohn, die späteren als Fanny
   Nach Süden: Die Vertonung, entstanden         Hensel. Im Folgenden wird sie Fanny Men-
nach der Italienreise 1839/40, evoziert über     delssohn genannt.
weite Strecken jubilierend den Flug der
Vögel in den Süden; am Schluss der ersten
Strophe baut die Komponistin den ewigen
Blumenflor musikalisch zu einer beinahe
entrückten Episode aus.

                                    In eigener Sache
           Aus dem Kreis unserer Mitglieder haben wir bei den letzten Festivals
                   verschiedene grosszügige Zuwendungen erhalten.
            Dafür möchten wir uns herzlich bedanken. Dies trägt nicht nur zu
         unserem Budget positiv bei, es ist für uns darüber hinaus ein Zeichen der
                           Anerkennung und Wertschätzung.

         Wir möchten uns aber auch konkret erkenntlich zeigen und haben deshalb
              für unsere Mitglieder die Kategorie «Gönnermitglied» eingeführt.
             Als GönnerIn erhalten Sie pro Jahr einen Festivalpass, mit dem Sie
         zu allen Konzerten eines Festivals freien Eintritt haben. Es steht Ihnen frei,
               einen Pass für das Frühlings- oder das Herbstfestival zu wählen.

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Sa 28.03.
17.15h Kulturhaus Helferei, Kirchgasse 13                    Pepys		    1660 Januar bis März
                                                             Simpson 		 January C-Dur – February C-Dur – March C-Dur
     Christopher Simpson:                                    Pepys		    1661 April bis Juni

     Samuel Pepys: Tagebuch 1660 – 1664                      Simpson		April a-Moll – May a-Moll – June A-Dur
                                                             Pepys		    1662 Juli bis September
                                                             Simpson		July d-Moll – August g-Moll – September g-Moll
     Cellini Consort                                         Pepys		    1663 Oktober bis Dezember
                                                             Simpson		October F-Dur – November F-Dur – December D-Dur
     Brian Franklin, Thomas Goetschel, Tore Eketorp Gamben   Pepys		    1664 Januar bis Dezember
     Juan Sebastián Lima Laute
     Yvonne Ritter Cembalo                                   			                       — Apéro —

     Aaron Hitz Sprecher
                                                             Pepys		  1665 Januar bis März
                                                             Simpson		Spring d-Moll: Fancy – Ayre – Galliard
19.30h Kulturhaus Helferei, Kirchgasse 13                    Pepys		  1666 April bis Juni
                                                             Simpson		Summer B-Dur: Fancy – Ayre – Galliard
     Christopher Simpson:                                    Pepys		  1667 Juli bis September

     Samuel Pepys: Tagebuch 1665 – 1669                      Simpson		Autumne C-Dur: Fancy – Ayre – Galliard
                                                             Pepys		  1668 Oktober bis Dezember
                                                             Simpson		Winter D-Dur: Fancy – Ayre – Galliard
     Sirius Viols                                            Pepys		  1669 Januar bis 31. Mai

     Hille Perl, Frauke Hess, Marthe Perl Gamben
     Lee Santana Cister, Theorbe
     Johannes Gontarski Cister, Bandora, Gitarre, Erzlaute     Pack hence, you Pedants, such as do bragg
                                                               Of Knowledge, Hand, or Notes; yet not one Ragg
     Andreas Küppers Orgel                                     Of musick have, mor then what (you) got by Theft,
                                                               Nor know true Posture of Right hand or Left:
     Aaron Hitz Sprecher                                       False finger’d Crew, who seem to understand,
                                                               (and) pretend to make, when you but marre a hand.
                                                               You may desist, you’l find your Trade decay:
                                                               Simpson’s great Work will teach the World to play.

                                                               Hinweg mit euch, Pedanten, die ihr stets prahlt
                                                               Mit eurer Kunst, Handfertigkeit oder Noten, doch nicht ein einziges Fetzchen
                                                               An Musik vorzuweisen habt, das ihr nicht von anderen gestohlen hättet,
                                                               Und die ihr die richtige Haltung der rechten und der linken Hand nicht kennt:
                                                               Falschfing’riges Pack, die ihr zu verstehen scheint
                                                               (und) zu formen vorgebt, wo euch doch nur die Hand ausrutscht.
                                                               Ihr könnt aufgeben und von eurem Tun euch kehren:
                                                               Das grosse Werk von Simpson wird nun die Welt das Spielen lehren.

                                                               Matthew Locke 1672

28                                                           Christopher Simpson, Samuel Pepys                                                 29
So wenig bekannt Christopher Simpson             Das Handbuch war so erfolgreich, dass          Familie verhilft Samuel noblerweise zu         Beziehung zu seiner Frau Elizabeth, ver-
(ca. 1605–1669) heute ist, so berühmt und        es 1665 in einer zweiten Auflage unter dem        einer gediegenen Erziehung, die mit einem      waltungstechnische Fragen, die Einnahmen
von Kollegen geschätzt war er zu seiner          Titel Chelys, or The Division Violist erschien    Abschluss an der University of Cambridge       und Ausgaben (beide steigend) und vor
Zeit; davon zeugt auch das Loblied, das der      und zwar sowohl in Englisch wie auch in           endet. Pepys interessiert sich für Theater     allem die unablässige Verlockung durch
Komponist Matthew Locke auf ihn schrieb.         Latein; so konnte es auch in nicht-englisch-      und Literatur, spielt Laute, Gambe sowie       schöne Frauen jeglichen Standes: Dienst-
Dieses zeitgenössische Lob verdankte             sprachigen Ländern verwendet werden. –            Geige, zeigt Interesse für die Wissenschaf-    mädchen, Bürgerfrauen, Adlige …
Simpson nicht nur seiner Musik, sondern          Dieser Publikation folgte 1665 noch A Com-        ten, lernt und spricht mehrere Sprachen,
vielleicht noch mehr seinem Lehrbuch The         pendium of Practical Musick.                      was sich etwa an folgendem Zitat (nicht          Von ähnlichen Gegensätzen geprägt sind
Division Viol.                                                                                     ganz unverfänglich und deshalb hier nicht     auch Pepys’ spätere Jahre: Vom Sekretär
                                                    Als Komponist hat sich Simpson gleich          übersetzt) aus dem Tagebuch von 1665 zeigt:   im Flottenamt steigt er zum Staatssekretär
   Dabei wurde ihm diese Laufbahn nicht          zweimal «systematisch» mit dem Jahreslauf         Yo hace ella mettre su mano auf mein pragma,  und Parlamentsabgeordneten auf, seine
gerade an der Wiege gesungen: Sein gleich-       beschäftigt. Die Sammlung The Monthes             hasta hacerme hacer la cosa in su mano.       Sympathien für den (katholischen) König
namiger Vater stammte aus Yorkshire, war         scheint der frühere der beiden Jahreszeiten-      Pero ella no volunt permettre que je ponebam  James II. führen jedoch auch zu einer zwei-
Schuhmacher und Manager einer reisenden          Zyklen zu sein. Sie besteht aus zwölf ein-        meam manum a ella, doch zweifle ich nicht,    maligen Verhaftung wegen Verdachts auf
Theatertruppe. Christopher wird in Egton         sätzigen, aber mehrteiligen Fantasien für         de obtenir le ___ _.                          Verrat. Schliesslich zieht sich Pepys ins
(Yorkshire) geboren, über seine Ausbildung       eine Diskant (Sopran)-Gambe und zwei                                                            Privatleben zurück, wird Ehrenbürger der
und Jugend ist so gut wie nichts bekannt.        Bass-Gamben plus Continuo. In den Binnen-             Der Bürgerkrieg endet mit der Hinrich-    City of London und korrespondiert mit
Tatsächlich treffen wir ihn konkret erst         teilen verwendet Simpson all die damals           tung von König Charles I. und der Über-       Isaac Newton, Christopher Wren und John
viel später wieder: in der politisch unschö-     möglichen Kompositionstypen: fugierte             nahme der Regierung durch Oliver Crom-        Evelyn, dem zweiten berühmten Tagebuch-
nen Situation des englischen Bürgerkriegs        Abschnitte, meditative Passagen, Tanzsätze,       well als Lord Protector. Da Edward Montagu schreiber seiner Zeit. Er stirbt 1703; seine
zwischen Krone (Cavaliers) und Parlament         den freien Fantazy- und den Division-Stil.        (später Earl of Sandwich) Cromwell unter-     umfangreiche Bibliothek samt den Tage-
(Roundheads). Simpson ist 1642 Quartier-         Darüber hinaus mögen die Stücke den               stützt hatte, bekleidet er nun hohe Staats-   büchern vermacht er im Testament dem
meister der royalistischen Armee des Duke        betreffenden Monat auch in genereller Art         ämter, mit Pepys als Privatsekretär. Dann ein Magdalene College in Cambridge.
of Newcastle. Nach deren Niederlage bei          und Weise atmosphärisch charakterisieren.         drastischer Wechsel: Nach Oliver Cromwells
York findet der Komponist Zuflucht im            Nicht finden wird man darin allerdings            Tod 1660 beschliesst die englische Macht-        1825 erscheint eine erste, stark zensurierte
Haus des katholischen Sir Robert Bolles in       Klangmittel à la Vivaldi.                         elite, wiederum eine Monarchie unter den      und bearbeitete Ausgabe der Tagebücher.
Scampton (Lincolnshire). Dort unterrichtet                                                         Stuarts zu etablieren. Schnell stehen auch    Sie findet sofort grossen Anklang, so dass
er dessen Sohn John und andere Familien-            Dies gilt auch für den späteren Zyklus The     Montagu und Pepys politisch wieder auf der Ende des Jahrhunderts eine Gesamtausgabe
mitglieder auf der Gambe. – Ein anderer          Four Seasons mit der gleichen Besetzung.          richtigen Seite: König Charles II. wird von   in 10 Bänden herauskommt. Und nicht nur
Komponist dieser Zeit, William Lawes, hat        Im Unterschied zu den Monthes besteht nun         einer Delegation unter Montagus Leitung       das: Heute gibt es in London einen Samuel
weniger Glück: Er wird in einem der Kämpfe       aber jede Jahreszeit aus drei eigenständigen      aus dem Exil zurückgeholt; in seinem Stab     Pepys Club und im Atlantik eine nicht exis-
des Bürgerkriegs wenig später sein Leben         Sätzen: Der erste ist immer eine Fancy            ist auch Samuel Pepys.                        tierende Insel Pepys Island. Eine handliche
verlieren. – Simpson verbringt den Rest          (Fantazy), der zweite eine Ayre (Almain), der                                                   deutschsprachige Auswahl aus seinen Tage-
seines ganzen Lebens bei der Bolles-Familie      dritte eine Galliard; ausserdem steht jede            Dieser beginnt im gleichen Jahr 1660      büchern bietet:
und stirbt 1669 entweder auf deren Land-         Jahreszeit in einer anderen Tonart. Mögli-        sein Tagebuch. Er führt es zehn Jahre lang       Samuel Pepys: Tagebuch aus dem London
sitz Scampton Hall oder in ihrem Londoner        cherweise darf man in diesen Werken               (bis zum 31. Mai 1669) in stenographischer    des 17. Jahrhunderts. Ausgewählt, übersetzt
Stadthaus.                                       Vorläufer der späteren barocken Concerti          Kleinstschrift, die – ebenso wie die Aufbe-   und herausgegeben von Helmut Winter. Reclam
                                                 oder Triosonaten sehen.                           wahrung unter Verschluss – der Geheimhal- 2014
   Von Simpsons zahlreichen Werken wurde                                                           tung dient. Danach muss Pepys das Tage-
zu seiner Lebzeit nichts gedruckt; sie wur-         Samuel Pepys («Pi:ps» ausgesprochen)           buch wegen Problemen mit seinen Augen
den nur in Manuskriptform überliefert. Weit      wird 1633 als ältestes Kind einer Londoner        aufgeben. Als Themen erscheinen darin:
verbreitet waren jedoch seine zwei Lehr-         Familie in bescheidene Verhältnissen              die Rückkehr der Monarchie, der Krieg mit
bücher, vor allem The Division Viol von 1659,    geboren; sein Vater ist Schneider. Allerdings     Holland, die Mätressen des Königs, Theater-
mit praktischen Anweisungen für das Gam-         gibt es eine Verwandtschaft zur aristokra-        und Predigtbesuche, die Menus üppiger
benspiel in drei Teilen. Nicht zuletzt ging es   tischen Familie Montagu. 1642 beginnt der         Festessen, Probleme mit der Verdauung,
darum, wie über einem Ostinato-Bass eine         Bürgerkrieg zwischen König und Parlament,         die Beziehung zu Eltern und Geschwistern,
Melodie improvisiert und variiert werden         und der neunjährige Samuel wird zu einem          standesgemässe Kleidung, der Besuch von
kann.                                            Onkel aufs Land geschickt, der bei den            Hinrichtungen, die Pest (1665) und das
                                                 Montagus als Verwalter angestellt ist. Die        Grosse Feuer von London (1666), Musik, die

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