Take Off! - Kultur-Etage Messestadt
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Take Off! Nummer 75 | April – Juni 2020 Das Messestadt-Magazin Öko-Vorbild Messestadt? SELBSTTEST: Lebt die Großfamilie wirklich umweltfreundlicher als der Single? GLAUBENSSACHE: Wie wichtig ist Umweltschutz Schutzgebühr 2 € für Muslime? CORONAVIRUS: Wie erlebt ein Messestädter das Zwangs-Homeoffice?
„ Jetzt hab’ ich sogar gefunden, was ich gar nicht gesucht habe“ hat Bernadette gesagt. H I ER FR AU FINDET S DAS WA ALLES, GEHRT! E H ER Z B – s 0 Shop Über 14 dliche unen hl! Auswa
INHALT EDITORIAL Überblick Als ob man unter Verdacht steht 4 Viel Hilfe in der Not – aber kein Kontakt 4 Liebe Messestadt, Immer noch zu viel Silvestermüll im Park 5 Hard Drive in der Messestadt 6 erwähnte ich bereits, dass Unterschriftenaktion zur Hochhausdiskussion 6 ich aufs Land gezogen Überzählige Fahrräder gesucht 6 bin? Ach ja, ein- oder zweimal vielleicht. Aber Schwerpunkt erwähnte ich auch, dass es Fit für den Klimawandel? 7 Einige Plätze werden aufgewertet 11 in einem Dorf entgegen Lust und Frust des Ehrenamts 12 der „land“läufigen Egobilanz 13 Meinung ziemlich Gegenwind für den Klimawandel 16 schwerfällt, im Alltag die Holzzahnbürsten und Fahrrad-Urlaub 17 Umwelt zu schützen? Die Grünes Vorzeigeviertel? 18 Durchschnittsfamilie Zwölfmal um die Erde für eine kühles Bad 19 braucht zwei Autos, hat einen mehrere hundert Honig selbst imkern 20 Quadratmeter großen Gartenbedarf und kauft größten- Faszination Wildbienen 21 teils plastikfreundlich im Supermarkt, weil sich Holz, Solarstrom, Kleinere Grundrisse 22 nachhaltige Regio-Bio-Läden für ein paar hundert Messe und Nachhaltigkeit 24 Der Grüne Gockel zeigt ... 26 Einwohner meist nicht rechnen. Gretas Wort in Gottes Ohr 27 Vermutlich erwähnte ich ebenfalls bereits des Öfteren, Vorreiter beim Thema Ökologie 29 dass die Messestadt viel zu oft unterschätzt wird. Das Gefährdetes Paradies vor unserer Haustür 31 gilt, wie dieses Heft zeigt, auch in ökologischer Hinsicht. Senf Der Park erspart den großen Garten, die U-Bahn ein Mit dem Flugtaxi auf die Öko-IAA 32 Auto, und auf dem Bauernmarkt packen viele Kunden ihr Obst und Gemüse in den mitgebrachten Jutebeutel. Kultur Darüber hinaus wuchern geradezu die kleinen und Programm der Kultur-Etage von April bis Juni 2020 33 großen Initiativen für weniger Müll, mehr erneuerbare Messe München informiert Energien und ein besseres Klima-Gewissen. Lebensfreude, Emotionen, Inspiration, Freiheit, Outdoor 38 Selten war die Take Off! so umfangreich wie dieses Mal, Stadtteil voller Leben selten haben so viele externe Autoren Artikel beigesteu- Neue Hoffnung in der Mutter-Theresa-Straße 39 ert. Deshalb finden sich in diesem Heft unfassbar viele Ein Wohnzimmer für den Osten 40 Ideen für ein nachhaltigeres, umweltfreundlicheres Im Hightechlab einfach erleben und testen 41 Leben. Ideen, die sich natürlich nicht nur in der (Messe-) „Respekt hat viele Gesichter“ sucht Mitstreiter 41 Stadt, sondern auch auf dem Land umsetzen lassen. Gesundheit / Sport Und für die sich vielleicht gerade jetzt, während das Gesundheitsladen München neu in der Messestadt 42 öffentliche Leben virusinfiziert flachliegt, viel Zeit und Internationaler Lauftreff für jung und alt 42 Gelegenheit bietet. Schule Viel Spaß beim Lesen! Hans Häuser Titelfotos: Daniel Bröhl, LMU / Editorial: Marion Steinhart Baufortschritt nach Plan, gymnasiale Vorläuferklassen 43 Kids Kita „Zaubersterne“ macht Klimaschutz 44 Impressum 55 Wer sich bewegt, friert nicht! 45 Jetzt erst Recht auf Spiel 46 Anzeigen Riem Arcaden 2 Gott und die Welt Kieferorthopädie Dr. Gremminger 23 Wie das Osterei zum Osterfest kam ... 47 Kinderzahnarztpraxis 25 Nachhaltigkeit in den Religionen 48 Messe München 38 Fest der Religionen und Menschrechte 48 Kultur-Etage 56 Taufe im großen Becken 49 Mit der Pfarrjugend an den Chiemsee 49 Die nächste Take Off! erscheint Anfang Juli 2020. Kalender 50 Redaktionsschluss ist am 15. Mai 2020. Wichtige Rufnummern 54 Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020 3
ÜBERBLICK ALS OB MAN UNTER VERDACHT STEHT Unser Autor war während der Corona-Krise in Italien Foto: privat Als wir uns zu Beginn der Faschings- wurden. Diese aber waren mehrere ferien auf den Weg in die italienischen hundert Kilometer von unserem Auf- Alpen machten, war die Welt noch in enthaltsort entfernt. Gefühlt war die Ordnung. Das heißt, zumindest aus Epidemie also noch weit weg. Dann deutscher Sicht gab es zwar ein paar erreichte uns gegen Ende unseres Auf- bestätigte Fälle des Corona-Virus, diese enthalts die nächste alarmierende waren aber alle in Quarantäne und es Meldung: in ganz Norditalien müssen gab keine weiteren Einschränkungen die Schulen und Universitäten vorerst im täglichen Leben. schließen. Langsam fragten wir uns, ob Gleich am ersten Tag in Italien erfuh- eine Rückreise nach Deutschland noch ren wir, dass mehrere Dörfer zwischen möglich sein würde oder ob wir viel- Martin Rauch hat zwei Wochen im Zwangs- Mailand und Venedig komplett isoliert leicht sogar an der Grenze zur Schweiz Homeoffice verbracht Viel Hilfe in der Not – aber kein Kontakt Eine Messestädterin sucht nach einem Unfall ihre Retter Es passiert Anfang Dezember. 16 Uhr Sie wollen den Vorfall mit ihren Han- tet – und würde sich sehr freuen, wenn 30, Iris Aberger ist gerade auf dem dys filmen. Iris Abergers Mann und der sie oder der Mann oder der Junge sich Heimweg von der Arbeit. Sie steigt an Sohn vertreiben sie. angesprochen fühlen und sich bei der der Haltestelle Messestadt-Ost aus der Der Sanka kommt und bringt Iris Aber- Redaktion melden. Emailadresse: take- U-Bahn, kommt rauf zur Selma-La- ger ins Krankenhaus. Dort die Erleich- offmessestadt@icloud.com. Wir leiten gerlöf-Straße, geht an einem Bauzaun terung: Nichts gebrochen, nur ein paar dann weiter. Hans Häuser vorbei, bleibt in einer Kiesritze hängen, heftige Prellungen. Noch am selben Foto: Florian Aberger stolpert, stürzt. Abend kann die 50-Jährige, die selbst Sie weint, versucht sich aufzurappeln, als Krankenschwester arbeitet, wieder schon kommen zwei Passanten her- nach Hause. Da erst fällt ihr auf, dass beigelaufen. „Brauchen Sie Hilfe? Blei- sie ihren Helfern noch einmal ausführ- ben Sie liegen, wir rufen einen Kran- lich danken möchte. Aber sie hat keinen kenwagen.“ Sie telefonieren mit dem Kontakt. „Es war super, wie viele stehen Rettungsdienst, dann reichen sie das geblieben sind. Das ist heute nicht mehr Handy der Verletzten, damit die ihre selbstverständlich, und es zeigt wieder Familie verständigen kann. Ihr Mann einmal, dass die Messestadt viel besser und ihr Sohn eilen aus der nahen Woh- ist als ihr Ruf!“ nung herbei. Weitere Passanten bieten Iris Aberger schreibt einen Post in die Hilfe an. Ein Junge, Fünftklässler viel- Facebook-Gruppe „Messestadt Mün- leicht, beugt sich zu Iris Aberger hin- chen“, aber bis jetzt hat sich niemand unter, versucht sie zu beruhigen: „Sie gemeldet. Deshalb dieser Versuch über müssen langsamer atmen. Glauben Sie die Take Off! Sie weiß nur, dass eine mir. Ich bin Schulsanitäter.“ der Helferinnen vermutlich als Medi- Nur drei Jugendliche sorgen für Ärger: zinisch-Technische Assistentin arbei- In dieser Lücke ist Iris Aberger gestolpert 4 Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020
ÜBERBLICK abgewiesen würden. Dies war aber kein Nun bin ich seit einer Woche zuhause gefragt, ob ich überhaupt das Haus ver- Problem. Allerdings erreichten uns nach „isoliert“, und es fühlt sich wirklich lassen dürfe. Daran spürt man die ge- der Rückkehr zuerst die besorgten Fra- etwas seltsam an. Man kann zwar un- nerelle Verunsicherung. Aber auch ich gen der Nachbarn nach unserem Aufent- gestörter arbeiten, da ich aber in ei- habe mich gefragt, ob ich es verantwor- haltsort und ob wir nun in Quarantäne nem Großraumbüro gearbeitet habe, ten kann, beispielsweise zum Sport oder seien. Und am Sonntag vor Wiederbe- hatte ich indirekt über Telefonate und in die Riem-Arkaden zum Einkaufen zu ginn der Schule kamen auch über den Gespräche von Kollegen sehr viel mit- gehen, oder ob ich mich nicht komplett Klassen-Chat entsprechende Nachfra- bekommen. Da auch die Gespräche in Selbst-Quarantäne versetzen soll. gen. Da wir uns aber nicht in einem am Kaffeeautomaten fehlen, habe ich Nachdem nun auch Südtirol zum Ri- Risikogebiet laut Robert-Koch-Institut das Gefühl, nicht mehr richtig dazu zu sikogebiet erklärt wurde, bin ich nicht aufgehalten und keine Symptome hat- gehören. Ich erfahre nur noch das, was mehr der einzige Mitarbeiter unserer ten, mussten unsere Kinder regulär in per E-Mail kommuniziert wird. Firma, der zum Arbeiten von zuhause die Schule und wir in die Arbeit ge- Dazu kommt: obwohl wir alle keinerlei verpflichtet wurde. Aber das ist nur ein hen. Ich bin Softwareentwickler und Symptome haben, in keinem Risikoge- schwacher Trost. Vor dieser Episode informierte sofort meinen Chef über biet waren und uns auch sonst entspre- war ein einzelner Tag Homeoffice im- den Italien-Aufenthalt. Dieser schickte chend der offiziellen Empfehlungen mer eine nette Sache. Langsam freue ich mich nach Rücksprache mit der Perso- verhalten haben, fühle ich trotzdem mich tatsächlich wieder auf das Büro. nalabteilung sicherheitshalber für zwei eine Art Stigma, so als ob man unter Wochen ins Homeoffice. Verdacht steht. Ich wurde auch schon Martin Rauch Immer noch zu viel Silvestermüll im Park Weniger Böllerei, oder besseres Aufräumen danach? Die gute Nachricht: Es wird weniger. Anlass für einen Hoffnungsschimmer. Fotos: Theresa Höpfl, Marion Steinhart Weniger Müll, der von den Böllerbe- Entweder nehmen die Schützen ihre geisterten am 1. Januar übrigbleibt. Hinterlassenschaften anschließend be- Weniger bedeutet aber immer noch: 55 reitwilliger mit nach Hause, oder der Tonnen in München. Immerhin waren gesellschaftliche Wandel, Silvester auch es im Vorjahr 70 Tonnen, die von der ohne teure und umweltschädigende Straßenreinigung nach dem Jahres- Böllerei zu feiern, macht sich so lang- wechsel beseitigt werden mussten. sam bemerkbar. Die schlechte Nachricht: Ein „beson- Marion Steinhart ders hohes Müllauf- kommen“ bescheinig- te das Baureferat als zuständige Behörde dem Riemer Park. Zum Teil in Hand- arbeit mussten die Stadtgärtner und -gärtnerinnen die Wiesen- und Beet- flächen säubern und zwischen den Ge- hölzen räumen. Die Ein großes Ärgernis sind die wilden sinkende Menge an Müllhalden nach Silvester Müll gibt trotzdem Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020 5
ÜBERBLICK Foto: RODEO2020 UNTERSCHRIFTENAKTION ZUR HOCHHAUSDISKUSSION Mehrere Messestädter haben einen Fragenkatalog an die Stadtspitze vorbereitet. Sie sehen das Projekt skeptisch und möchten unter anderem wissen, ob in den angedachten Hochhäusern an der Willy-Brandt-Allee hochwertiges Woh- nen möglich ist, und ob die Infrastruktureinrichtungen im Viertel auf eine deutlich steigende Einwohnerzahl ausgelegt wären. Interessierte Messestädter können die Aktion mit ih- rer Unterschrift unterstützen. Unfall? Nein – Theater. Und zwar mitten auf dem Willy-Brandt-Platz Kontakt: HARD DRIVE IN Ralf Burkert, Heinrich-Böll-Str. 72 Tel. 089 189 994 67 E-Mail: ralf.burkert@gmx.de DER MESSESTADT Matthias S. Greska, Selma-Lagerlöf- Str. 18, Tel. 089 673 713 30, E-Mail: contact@matthias-greska.de Ein Auto ist in ein Klohäuschen gekracht – und das direkt auf Carmen Rudolph, Heinrich-Böll-Str. dem Willy-Brandt-Platz. Was auf den ersten Blick aussieht 64, Tel. 089 370 671 25, wie ein Unfall, ist eine Theaterinstallation. „Hard Drive“ E-Mail: carmen.rudolph@gmx.de lautet der Titel des Stücks, das formal und inhaltlich so ganz anders daherkommt als es den Sehgewohnheiten entspricht. Das Auto ist gleichzeitig Bühne, animierter Darsteller und Zuschauerraum. „Hard Drive“ ist der erste Teil der zweijäh- rigen Projektreihe „CRASH“, die im Fonds Doppelpass der Kulturstiftung des Bundes gefördert wird. Mit CRASH arbei- ÜBERZÄHLIGE tet die Stuttgarter Theatergruppe O-Team in Zusammenar- beit mit dem Theater Aalen und dem HochX München an der FAHRRÄDER GESUCHT Entwicklung eines performativen Objekttheaters. Vier Ein- zelprojekte gehen von technischen Objekten aus. Zum Auf- Wenn Sie ein gut takt der Reihe untersucht O-Team in München den Unfall als erhaltenes Fahr- das Verdrängte von Technik und Fortschritt. rad haben, das Vom 21. bis zum 23. Mai 2020 gastiert das O-Team mit seiner Sie nicht mehr brauchen, spenden Sie Produktion in der Messestadt. „Hard Drive“ ist im Rahmen es bitte an den Allgemeinen Deutschen von Rodeo, dem Tanz- und Theaterfestival der Landeshaupt- Fahrradclub München (www.adfc-mu- stadt München, jeweils ab 16 Uhr auf dem Willy-Brandt-Platz enchen.de). Der Arbeitskreis Asyl des zu erleben. Vereins repariert ehrenamtlich gespen- Wer im Auto dabei sein will, kann sich unter www.rodeo- dete Fahrräder und verkauft sie zum muenchen.de für ein Zeitfenster anmelden. Wer Interesse an Selbstkostenpreis an Geflüchtete in dem Projekt hat und mehr über die digitale Zukunft erfahren mehreren Gemeinschaftsunterkünften möchte, kann am 21. Mai 2020 um 18 Uhr zur „Rodeo2020 im Münchner Osten. Talkshow: Über Digitalisierung“ auf den Willy-Brandt-Platz kommen. Mit dabei sind Antonia Beermann für das O- Kontakt: Team und Dirk von Gehlen von der Süddeutschen Zeitung. Weitere Informationen unter www. rodeomuenchen.de Helmut Schweiger, Tel. 089 4302775 Christian Hopfmüller, Tel. 089 43777961 E-Mail: fahrradspende.adfc@gmx.de Simone Egger 6 Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020
SCHWERPUNKT FIT FÜR DEN KLIMAWANDEL? Im Sommer 2019 haben sich Soziologiestudentinnen der Ludwig-Maximilians-Universität mit Messestädter*innen auf einen Kaffee zusammengesetzt und über das Klima in der Messestadt geredet: Wo ist es (zu) heiß, wo lässt es sich gut leben? Die Interviews werden nun für das Forschungsprojekt von LMU und TU „Grüne Stadt der Zukunft. Klimaresiliente Quartiere in einer wachsenden Stadt" ausgewertet. Auch unsere Autorin Theresa Höpfl hat teilgenommen, Plätze, Straßen und Orte im Park bewertet und mit Linien auf einer Messestadt-Karte dargestellt, wo sie sich meist im Viertel bewegt und wo lieber nicht. Nun hat sie interessiert: Was können die Expert*innen schon dazu sagen, wie fit die Messestadt für den Klimawandel ist? Ein telefonisches Interview mit Amelie Bauer, wissenschaftlicher Mitarbei- terin am Institut für Soziologie der LMU, und Sabrina Erlwein, wissenschaftlicher Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strategie und Management in der Landschaftsentwicklung der TU. Take Off!: Wie schätzt ihr die bisherige Klimaresilienz der Was bedeutet Klimaresilienz? Messestadt ein? Amelie Bauer: Grundsätzlich wurde die Messestadt ja mit Das ist die Widerstandsfähigkeit zum Beispiel einer Stadt gegen einem hohen ökologischen Anspruch gebaut. Es gibt Fern- den Klimawandel. Zum einen sollte eine Stadt versuchen, selbst so wärme, viel ist verkehrsreduziert. Es gibt die „Grünfinger“ wenig CO2 wie möglich auszustoßen. Zum anderen muss sie im Blick haben, welche Folgen des Klimawandels zu erwarten sind und sich im Viertel, und viele Dächer sind begrünt. Das ist ein guter darauf vorbereiten. Es geht also um Vermeidung und Anpassung. Schutz bei Starkregen. Zusammen mit dem Park nehmen sie viel Wasser auf, und das verdunstende Wasser kühlt dann Klima ist etwas anderes als städtisches Mikroklima wieder bei Hitze. Der Park ist eine Kaltluftschneise, bis nach Wenn wir vom Klimawandel sprechen, geht es um das globale Klima. München hinein. Wir forschen auch noch im Bahnhofsvier- Das Mikroklima in Städten kann sich aber sehr stark unterscheiden. tel. Im Vergleich dazu ist die Messestadt ein richtiges Positiv- Wenn es am Münchner Marienplatz (kein Grün, wenig Schatten!) Beispiel. sehr heiß ist, kann es zur gleichen Zeit an der Isar ein paar Grad kühler sein. Foto: privat Wo wird es heiß werden? A.B.: Auf versiegelten Flächen wie dem Messegelände auf je- den Fall. Fast einstimmig wurde in den Interviews schon jetzt der Willy-Brandt-Platz als zu heiß genannt, wenn die Sonne dort hinknallt. Auch das Seeufer wurde oft genannt, weil es dort zu wenig Bäume gibt. Sabrina Erlwein: Wenn ich mich in meiner Freizeit dort am See aufhalte, ist es immer gut die Wahl zu haben, wo ich mich aufhalten möchte: Schatten und Sonne – je nach Wohlbefin- den. Das ist aber noch nicht gut möglich, wenn es sehr voll ist. Welche Orte wurden denn eher positiv bewertet? A.B.: Viele Orte im Park. Natürlich der See zur Abkühlung. Den lieben alle! Manchmal wurde auch explizit die südliche, ruhigere Seeseite genannt. Aber auch der Rodelhügel. Und Amelie Bauer weiter auf der nächsten Seite Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020 7
SCHWERPUNKT die Promenade zum Spazierengehen und Radeln – durch die Was genau wollt ihr mit dem Forschungsprojekt eigentlich höheren Bäume ist es dort angenehm kühl. Private Grünflä- herausfinden? chen wurden auch oft genannt, also zum Beispiel begrünte A.B.: Wir gehen davon aus, dass der Klimawandel im Gange Innenhöfe, Laubengänge von Genossenschaften, Gärten und ist und uns noch schärfer treffen wird. Und dass noch mehr Balkone. Und von manchen auch die klimatisierten Riem- Menschen nach München zuziehen. Deshalb wollen wir he- Arcaden. rausfinden, wie man mehr Grün schaffen kann, und wie es besser für die Bevölkerung nutzbar wird – gerade wenn es Welche Folgen hat der Klimawandel denn für eine Groß- eine Flächenkonkurrenz zwischen „mehr Grün“ und „mehr stadt? Wohnungen“ gibt. S.E.: Es wird häufiger Starkregen und extreme Hitze geben. Dann muss die Stadt mehr Grünflächen schaffen, auf denen Was hat die Soziologie damit zu tun? der Regen versickern kann. Generell sind die Auswirkungen A.B.: Wir fragen nach dem sozialen oder gesellschaftlichen des Klimawandels in Großstädten stärker als im Umland, Teil: Wie nutzen die Menschen tatsächlich die Grünflächen, weil es mehr versiegelte Flächen gibt. Auch Hitze staut sich und wie bewerten sie sie? Sind sie da überhaupt gerne, und in der Stadt mehr. Auf dem Land kühlt es nachts besser ab. was machen sie da? Was fehlt ihnen? Wo ist es Ihnen zu heiß? Wo halten Sie sich gerne auf im Sommer in der Messestadt? Zeichnen Sie Linien in die Karte ein, wo Ihre häufigsten und liebsten Wege verlaufen – zur Arbeit, zum Spazierengehen, in der Freizeit oder zum Einkaufen. Außerdem können Sie rot Orte markieren, die Ihnen im Sommer zu heiß sind, und blau die Orte, an denen Sie sich gerne aufhalten, weil es angenehmer ist. Das Ergebnis können Sie uns gerne abfotografieren oder einscannen und per E-Mail an takeoffmessestadt@icloud.com schicken. 8 Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020
SCHWERPUNKT Foto: TU München DIE MESSESTADT ALS REALLABOR Als Teil des wissenschaftlichen Projekts „Grüne Stadt der Zukunft – klimaresiliente Quartiere in einer wach- senden Stadt“ haben sich mehrere Viertelbewohner zu ersten Initiativen zusammengeschlossen. In einem Workshop erarbeiteten zwölf Teilnehmer zu- nächst ihre Zukunftsvisionen. Hier die wichtigsten Er- gebnisse, wie die Messestadt 2050 (noch) klimafreund- licher sein könnte: Sabrina Erlwein Lokale Lebensmittelversorgung/ gemeinsames Gärt- nern/ Park und Grünfinger bleiben erhalten/ Park vollenden/ mehr Baumschatten/ Erholungsräume im Können sich diese subjektiven Vorlieben auch mal kom- Grünen/ Fassadenbegrünungen / Bodenqualität ver- plett von den objektiven Erkenntnissen unterscheiden? bessern/ Kooperationen der Generationen, Kulturen A.B.: Ja! Nicht alle finden Hitze grundsätzlich schlecht. Wer und Religionen/ Nachverdichtung in die Höhe/ flexi- im See gebadet hat, möchte sich auch gerne voll in die warme bler Wohnraum/ klimaneutral/ (autarke) Energiever- Sonne legen. Leute, die aus heißen Ländern kommen, finden sorgung/ Belebung der Plätze/ Gastronomie/ Auswei- es oft angenehmer. Für Ältere oder Menschen mit gesund- tung des ÖPNV/ Autos reduzieren – mehr Carsharing/ heitlichen Problemen wiederum ist die Hitze tendenziell be- Straßenräume umwidmen/Radwege ausbauen. lastender. Die Ideen gestalteten sich zu einem bunten, sinnvollen und notwendigen Visionsreigen, der kraftvolle Syner- Derzeit wird hier viel über den Vorschlag diskutiert, an der gien beinhaltet und umgesetzt werden sollte, um sich Willy-Brandt-Allee Hochhäuser zu bauen. Mit Holzfassa- zu einem klimaresilienteren Quartier zu wandeln und de. Klingt das nur Öko oder ist Holzbau für das Klima auch zugleich von mehr gelebter Nachbarschaft zu profitie- besser als Beton? ren. A.B.: Erstmal ist das ja nur eine Idee aus einer Machbarkeits- Einem Teil der Visionsthemen hat sich seitdem schon studie für die ganze Stadt – da steht noch nichts fest. Archi- ein kleiner Kreis an Menschen mit Wagemut, Visi- tektonisch kann ich da aber nichts dazu sagen. Du? onskraft und Zuversicht angenommen. Ihr Ziel: diese S.E.: Nur so viel, dass Holz natürlich ein nachwachsender Visionen im Viertel möglichst bald wirklich wer- Rohstoff ist und als Baum CO2 aufgenommen hat. Beton den zu lassen. Der Kreis ist offen und freut sich auf hat da eine schlechtere CO2-Bilanz in der Herstellung und Mitgestalter*innen. (th) Entsorgung. Und: Reihenhäuser mit Garten sind nicht pau- schal besser als Hochhäuser. Denn Hochhäuser schaffen viel Weitere Informationen erhalten Sie Wohnraum auf wenig Fläche. unter: A.B.: Entscheidend ist, dass die Freiflächen, die man gewinnt, • www.landschaftsentwicklung. dann auch von hoher Qualität sind und von den Menschen wzw.tum.de/forschung/ genutzt werden. gruene-stadt-der-zukunft/ • www.lokale-passung.de/ Sind denn die kleinen Bäumchen in der Messestadt quali- gruene-stadt-der-zukunft/ tativ hochwertig? • www.ioew.de/ S.E.: Natürlich müssen die jungen Bäume erstmal eine Chan- ce haben zu wachsen. Und dann geht es darum, den Bestand Flyer zum Forschungsprojekt: zu erhalten und zu pflegen. • https://bit.ly/2TtGiyo weiter auf der nächsten Seite Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020 9
SCHWERPUNKT Messestadt als Teil eines sozio-wissenschaftlichen Projekts A.B.: Im Viertel wachsen die Bäume zum Teil auch deshalb nicht, weil unter ihnen Tiefgaragen angelegt sind und so gar „Grüne Stadt der Zukunft – klimaresiliente Quartiere in einer kein Platz für tiefe Wurzeln da ist. wachsenden Stadt“ ist ein gemeinsames Projekt der Arbeitsgrup- pe Lokale Passung des soziologischen Instituts der Ludwig- Wie wahrscheinlich ist es, dass die Stadtpolitiker*innen Maximilians-Universität, des Lehrstuhls für energieeffizientes und nachhaltiges Planen und Bauen sowie des Lehrstuhls für Strategie Ihre wissenschaftlichen Kenntnisse auch umsetzen? und Management der Landschaftsentwicklung (beide Technische S.E.: Der Vorteil ist, dass die Stadt, genauer gesagt das Refe- Universität München), des Instituts für Ökologische Wirtschaftsfor- rat für Gesundheit und Umwelt und das Planungsreferat, als schung (IÖW Berlin) und der Landeshauptstadt München (Referat Projektpartner von Anfang an mit im Boot sind. Das heißt, für Umwelt und Gesundheit, Referat für Stadtplanung). Es wird vom wir werden die Ergebnisse weitergeben, können aber nicht Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert garantieren, dass sie eins zu eins umgesetzt werden. und hat eine Laufzeit von 2018-2021. Aber Verwaltung und Stadtrat haben ein großes Interesse an Die Messestadt ist neben anderen ausgesuchten Münchner Vierteln unseren Erkenntnissen für die weitere Stadtplanung. Durch eines der Reallabore. Die gewonnenen Erkenntnisse in Form von die letzten Hitzesommer ist der Klimawandel gerade auch ein allgemeinen Handlungsempfehlungen und visuellen Produkten wer- sehr aktuelles Thema. den abschließend der Stadt München sowie Städten mit ähnlichen Interview: Theresa Höpfl Strukturen als Hilfen zur Verfügung gestellt. Können Messestädter*innen noch an der Studie teilnehmen? Bild unten: Während des Workshops wurden die Ideen auf Plakaten Im Sommer werden erneut Befragungen im Viertel stattfinden. Wenn festgehalten und gestalteten sich zu einem bunten, sinnvollen und Sie Interesse haben, daran teilzunehmen, können Sie sich gerne notwendigen Visionsreigen, der kraftvolle Synergien beinhaltet bei Julia Mittermüller und Amelie Bauer vom Institut für Soziologie und umgesetzt werden sollte, um sich zu einem klimaresilienteren melden mit einer E-Mail an amelie.bauer@soziologie.uni-muenchen. Quartier zu wandeln und somit den Herausforderungen des Klima- de oder an julia.mittermueller@soziologie.uni-muenchen.de. wandels bestmöglich zu begegnen und zugleich von mehr gelebter Nachbarschaft zu profitieren. Foto: LMU 10 Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020
SCHWERPUNKT WELTENWANDEL VOR ORT – MITGESTALTER*INNEN GESUCHT Gerade in Zeiten des Klimawandels sind tragende Nach- um gemeinsam die besten Möglichkeiten zu finden und barschaftsstrukturen ein kostbares Gut. Ideen aus der umzusetzen. Bürgerwerkstatt, um unser Miteinander im Viertel (wei- Wenn Ihr mitgestalten wollt, kontaktiert bitte Caroline ter) zu stärken, sind Gemeinschaftsgärten auf Grünflä- Renz-Ludwig, caroline-ludwig@gmx.de, oder Jochen Din- chen, eine solidarische Landwirtschaft auf den Feldern dorf, jochen.onyva@gmx.net. Danke. im Osten des Parks wie z. B. das Kartoffelkombinat (www. Caroline Renz-Ludwig kartoffelkombinat.de) und belebte Plätze mit Aufenthaltsqualität (an- genehme Sitzbereiche, Naschgärten, Brotbackofen …). Entscheidend sind auch zukunftsweisende Mobilitäts- konzepte (Radschnellwege, ÖPNV, Car Sharing …). Seit der Bürgerwerkstatt im Novem- ber sind zu Teilthemen bereits Recher- chen bzgl. Realisierungsmaßnahmen und Treffen mit Expert*innen erfolgt, mit denen wir weiterhin in Kontakt sind. Wir sind zuversichtlich, dass wir einiges für ein Miteinander und den Weltenwandel vor Ort bewegen Im Workshop „Meine Vision für die Messestadt 2050“ ging es darum, wie die können – manches bereits in den Messestädter*innen die Lebensqualität in ihrem Stadtviertel wahrnehmen und welche nächsten ein bis zwei Jahren – und Wünsche sie für die zukünftige Entwicklung haben. Die Rückmeldungen und Ideen der Bürger*innen werden in die nächste Phase des Forschungsprojekts einfließen. Foto: LMU freuen uns über weitere Interessierte, EINIGE PLÄTZE DER MESSE- Foto: privat STADT WERDEN AUFGEWERTET Ab kommenden Frühling werden einige Gehwege und Plät- ze entlang der Georg-Kerschensteiner-Straße, der Heinrich- Böll-Straße und der Selma-Lagerlöf-Straße umgestaltet. Eine Messestädterin hatte 2016 bei der Bürgerversammlung des Stadtbezirks Riem-Trudering bemängelt, dass die entspre- chenden Ecken der Messestadt trostlos und ungepflegt er- scheinen, und einen Antrag für deren Aufwertung gestellt. In den entsprechenden Bereichen werden nun neue Bäume und Sträuche gepflanzt, die Betonblöcke – die als Sitzgelegenheit dienen – bekommen eine Holzauflage mit Lehne und einige Trostlose Ecken wie diese in der Georg-Kerschenstein-Straße werden Flächen werden entsiegelt. Das dürfte auch im Sinne der Kli- nun umgestaltet maresistenz der Messestadt sein. (red.) Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020 11
SCHWERPUNKT BewohnerInnen eines Stadtteils ohne stützt wird sie dabei vom Abfallwirt- eigenen Fahrradladen und -werkstatt, schaftsbetrieb, der Säcke, Handschuhe könne in diesem Jahr nicht stattfinden. und die finanzielle Grundlage für die Thomas Keimerl, Kopf des Arbeitskrei- Brotzeit bereitstellt. „Schon immer ses Ökologie und bislang Organisator haben die Mitwirkenden ihre Kinder der RadbaR, ist mitgebracht, die beim Müllaufräumen ratlos: „Obwohl hautnah erleben können, was nachhal- es ein etabliertes tiges Handeln bedeutet“, erzählt Elisa- LUST UND FRUST und erfolgrei- ches Projekt ist, beth Fahlbusch. Das Ramadama habe sich gut stabilisiert als gemeinsame DES EHRENAMTS ist es nahezu un- Familienaktion, die Sinn und gleich- möglich, unter zeitig Spaß macht. Da die ehrenamtlich den Hauptak- als Abfallberaterin Tätige inzwischen teuren einen ge- auch auf einer digitalen Nachbar- meinsamen Ter- schaftsplattform zum Mitmachen ein- Einige Öko-Initiativen finden zu wenige Mitstreiter, min zu finden. lädt, finden sich halbjährlich 50 bis 60 bei anderen klappt es dagegen ganz gut Und es werden Menschen, die für einen sauberen Park immer weniger, sorgen. Etliche HelferInnen tragen da- die aktiv als Eh- rüber hinaus auch mit kulinarischen Als ökologischer Vorzeige-Stadtteil ge- renamtliche bei einer solchen Aktion Foto: privat plant, ist die Messestadt in ihren ersten mitmachen oder Organisationsaufga- beiden Jahrzehnten zur Heimat vieler ben übernehmen.“ Deshalb verweist er Tausend Menschen geworden, die das auf das vom Quax organisierte und mo- entspannte und naturnahe Leben hier natlich in der Grünwerkstatt stattfin- genießen. Dank der Tatkraft einiger dende Repair-Café als Alternative zur Engagierter finden jahrein, jahraus RadbaR, „auch dort werden Fahrräder zahlreiche Aktionen rund um das The- nachbarschaftlich repariert“. ma Ökologie statt, die dazu beitragen, Auch der Arbeitskreis Ökologie lei- nachhaltiges Denken und Handeln zu de seit Jahren unter dem nachlassen- fördern. den Engagement Freiwilliger, so dass Im Februar ließ jedoch eine Nachricht Thomas Keimerls Bereitschaft, sich aufhorchen: Die RadbaR, traditionsrei- in diesem Rahmen für Ökologie und ches Event für die Fahrrad-begeisterten Nachhaltigkeit in der Messestadt ein- zusetzen, schwindet. Nach wie vor Foto: Gregor Kern kümmert er sich um die Vögel im Park und reinigt regelmäßig deren Nist- kästen. Dass beim letzten Rundgang fünf Nistkästen einfach nicht mehr da Elisabeth Fahlbusch waren, weil jemand sie offensichtlich an anderer Stelle brauchen konnte, Köstlichkeiten zur belohnenden Brot- schockiert ihn schon gar nicht mehr. zeit bei. Er selbst wird sich zukünftig vermehrt Der Tatsache, dass sich beim harten hauptberuflich für ökologische Ziele Kern der Helfenden immer die glei- einsetzen und das ehrenamtliche Tun chen Menschen begegnen – sei es im zurückfahren. AK Ökologie des Bürgerforums, beim Von positiveren Erfahrungen berichtet Grünen Gockel, dem kirchlichen Um- Elisabeth Fahlbusch, die das Ramada- weltmanagement, oder anderswo in der ma organisiert. Zusammen mit einer Messestadt –, schreibt die Organisato- festen Kerngruppe Engagierter lädt sie rin durchaus positive Effekte zu: „So jeweils an einem Samstagvormittag im schaffen wir Synergien und verstärken Frühjahr und im Herbst zum gemein- das Engagement über die Institutionen Thomas Keimerl samen Aufräumen im Park ein. Unter- hinweg.“ Marion Steinhart 12 Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020
SCHWERPUNKT Fotos: Sabine Wagner Eine Woche Öko-Check in der Messestadt EGOBILANZ Wenn es um Umwelt- und Klimaschutz geht, denken wahrscheinlich viele von uns, sie seien nicht Teil des Problems. Schließlich geht man mit dem Jutebeutel zum Einkaufen, macht immer das Licht aus, wenn man den Raum verlässt und fährt mit der U-Bahn in die Stadt… Aber ist das genug, um ein gutes Gewissen zu haben? Wir wollten es genauer wissen und machten im Februar den Test „Eine Woche Ökobilanz“ mit ganz normalen Bewohnern der Messestadt. Ich und mein Plastikmüll – da kommt schon immer ganz schön was zusammen … Großfamilie vs. Single Heizen 0:1 Wärmeverbrauch: Großfamilie: 0,025 MWh/Kopf Normal, aber vielleicht nicht unbedingt Sowohl das Haus von Familie Faste Singlehaushalt: 0 MWh/Kopf durchschnittlich, denn die Versuchs- als auch meine Wohnung werden mit Zum Vergleich: 8 MWh Fernwärme kaninchen waren eine Großfamilie Fernwärme geheizt. Das ist schon mal produzieren 2.160 kg an C02 und wei- und ein Singlehaushalt. Auf der einen eine gute Nachricht, denn zumindest teren Treibhausgasen – bei Braunkohle Seite Familie Faste, die der CO2-Ausstoß ist bei sind es 6.982 kg, bei Heizöl 2.797 kg aus sechs Personen be- dieser Form des Heizens und bei Erdgas 2.392 kg. steht, auf der anderen geringer als bei anderen. Seite ich, der Single. Da ich in einem gut ge- Stromverbrauch 1:1 Mal sehen, ob man als dämmten Neubau wohne, Single automatisch auf schalte ich meine Fußbo- Bei Familie Faste wird am Wochenen- zu großem Fuß lebt, denheizung eher selten ein. de gewaschen, und mit sechs Personen was die Umwelt betrifft, Insbesondere unter der kommen da schon ein paar Trommeln und ob eine Großfami- Woche bin ich ja ohnehin Wäsche zusammen. Jeden Tag läuft lie wirklich effizienter kaum zu Hause, und selbst mindestens einmal der Geschirrspü- mit Ressourcen um- unbeheizt herrscht in einer ler, und der große Gefrierschrank im geht. Der Glühbirne ist Februarwoche in den Räu- Keller ist zwar neu und A++, braucht es schließlich egal, wie men eine Temperatur von aber trotzdem eine Menge Strom. Au- Leute ihr Licht nutzen, um die 20 Grad. Allerdings ßerdem wollen diverse Handys und En- und auch ein geheizter lebe ich allein auf 54 m² tertainmentgeräte jeden Tag versorgt/ Raum wird nicht kälter, Mein Handy ist jedenfalls nicht eben doch auf vergleichs- geladen werden. Doch was bedeutet nur weil sich mehr Per- schuld, wenn ich bei diesem weise großem Fuß, die Fas- das pro Kopf im Vergleich zu mir? Ich sonen darin aufhalten Experiment als hoffnungsloser tes dagegen kommen mit bin kein Technikfreak – soll heißen, ich Klimasünder abschneide – eher im Gegenteil … 25 m² pro Person aus. weiter auf der nächsten Seite Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020 13
SCHWERPUNKT finde es schwierig, Elektrogeräte, die Singlehaushalt: 360 l/Kopf Fahrten pro Kopf nach noch funktionieren, wegzuwerfen, weil Zum Vergleich: In Deutschland Verkehrsmittel: sie technisch veraltet sind. Mein Handy werden pro Kopf täglich rund 123 Liter Großfamilie: 5 Fahrten mit Bus/S- und ist also gut 15 Jahre alt, überhaupt nicht Trinkwasser verbraucht (das entspricht U-Bahn, 0,3 Langstreckenfahrten mit smart, aber mit einem Akku gesegnet, ca. 861 l/Woche). dem Zug, 1 Fahrradfahrt, 28,3 km mit der hält, und hält und hält … Ich besit- dem Auto ze auch keine Geschirrspülmaschine, Mobilität 2:3 Singlehaushalt: 14 Fahrten mit der denn ehe die voll wäre, gingen mir die U-Bahn Teller aus. Dementsprechend beschei- Familie Faste kommt seit dem Umzug Zum Vergleich: Während eine Person nigt mir die jährliche Stromrechnung in die Messestadt mit nur noch einem pro gefahrenen PKW-Kilometer 140 einen sehr niedrigen Stromverbrauch Auto aus. Und bedauert, dass wir das Gramm Treibhausgase verursacht, sind – selbst für einen 1-Personenhaushalt. Experiment nicht im Sommer durch- es bei gleicher Strecke mit der U-Bahn führen, denn dann steht ihr Auto sogar nur 65 Gramm. Stromverbrauch: die meiste Zeit in der Garage, weil fast Großfamilie: 8,61 kWh/Kopf alle Stadtfahrten mit dem Elektroroller Plastikmüll 3:3 Singlehaushalt: 9 kWh/Kopf erledigt werden. Und gäbe es im Viertel Zum Vergleich: Der durchschnittliche bessere Car-Sharing-Angebote, dann Annette Faste findet es schade, dass es Stromverbrauch deutscher Haushalte könnte man vielleicht sogar ganz auf in der Messestadt kein Geschäft gibt, liegt für einen Ein-Personen-Haushalt das eigene Auto verzichten. in dem man unverpackte Lebensmittel bei ca. 2.256 Kilowattstunden (kWh) Ich besitze tatsächlich kein Auto – und kaufen kann. Beim Einkaufen achtet sie pro Jahr (entspricht durchschnittlich in der Messestadt ist das an den meis- zumindest bei Obst und Gemüse da- 43,4 kWh pro Woche) während auf ei- ten Tagen auch kein Problem, schließ- rauf, lose Ware ins selbst mitgebrach- nen Haushalt mit 5 Personen ungefähr lich ist nicht nur die U-Bahn gleich te Netz zu packen. Der zeitliche und 5.969 kWh entfallen (ca. 115 kWh pro um die Ecke. Die MVG bescheinigt finanzielle Aufwand, alles nach dem Woche). mir auf ihren aktuellen Plakaten, dass Kriterium der Verpackung(smenge) zu ich, wie jeder Nutzer der Öffentlichen kaufen, übersteigt aber die Möglich- Wasserverbrauch 2:2 Verkehrsmittel, ein Klimaschützer bin. keiten der Familie. Die Menge an Plas- Also alles bestens? Immerhin bringe tikmüll, die ich mit nur einer Person Ja, ich nehme gerade im Winter gerne ich allein mit dem Arbeitsweg in die anhäufe, erschreckt mich jede Woche mal ein Bad. Im Sommer schlagen dann Innenstadt Woche für Woche eine ganz wieder, wenn ich sie zum Container eher die vielen Pflanzen auf meinem schöne Strecke zusammen. bringe. Da hilft auch das Mehrwegnetz Balkon zu Buche, die ziemlich durs- tig sind. Und ob das Geschirrspülen von Hand in Punkto Wasserverbrauch besonders ökologisch ist, sei dahin gestellt. Mehr Sorge bereitet mir aller- dings mein virtueller Wasserverbrauch, also die Menge Wasser, die beispiels- weise zur Herstellung meiner Jeans notwendig war. Denn der ist mir ja gar nicht bewusst. Bei Familie Faste badet eigentlich nie jemand, aber die Dusche und der Ge- schirrspüler sind so gut wie jeden Tag in Gebrauch. Hinzu kommen noch die Waschmaschine und der übliche Ver- brauch an Trink- und Leitungswasser in Bad und Küche. Wasserverbrauch in der Woche (kalt und warm): Großfamilie: 360 l/Kopf Mhm, Lasagne: Am Samstag gibt es tatsächlich zum ersten Mal in der Woche Fleisch 14 Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020
SCHWERPUNKT für loses Obst und Gemüse wenig. Und wenn man einerseits am Auto spart und andererseits eine 40-Stunden-Woche hat, bleibt einem auch wenig übrig, als im nächstgelegenen Supermarkt ein- zukaufen – wo ich ehrlicherweise eher zum Plastik als zur Glasverpackung greife, weil es bedeutet, dass ich weni- ger zu tragen habe … Plastikmüll pro Kopf in Liter: Großfamilie: 5,8 Liter/Woche Singlehaushalt: 8 Liter/Woche (oder 159 Gramm) Zum Vergleich: Die Einwohner Deutschlands verursachen in einem Beide Haushalte liegen zwar Jahr pro Kopf 38,5 Kilogramm Plas- unter dem (österreichischen) Durchschnitt, aber dennoch tikverpackungsmüll, also 0,7 kg pro verbrauchen wir deutlich mehr Woche. Erde, als uns zur Verfügung steht …. Fleischkonsum 3:4 Quelle: www.mein-fussabdruck.at Bin ich ein Flexitarier? Ich würde sagen, dass ich wenig Fleisch esse, aber wie viel da in sieben Tagen tatsächlich zusam- haft nach einem Fleischgericht suchen, Ökologischer Fußabdruck in gha menkommt, darüber habe ich bisher weil ich Angst hätte, dass mir niemand (globalen Hektar, also der Beanspru- ehrlich gesagt nicht nachgedacht. Fa- glaubt, dass ich die ganze Woche ein- chung von Natur in Form der dafür milie Faste hingegen hat zumindest ei- fach so kein Fleisch gegessen habe ... benötigten bioproduktiven Flächen): nen Vegetarier in ihren Reihen. Aber natürlich ist eine willkürliche Großfamilie: 4,05 gha Woche im Februar nicht unbedingt Singlehaushalt: 3,95 gha Fleischverbrauch pro Kopf und repräsentativ. So ist es eher ungewöhn- Durchschnitt der österreichischen Woche in Gramm: lich, dass der Trockner von Familie Fas- Haushalte: 5,31 gha Großfamilie: 250 Gramm/Person te bis Freitag defekt ausgefallen ist. Und Singlehaushalt: 150 Gramm/Person die wenigsten Februarwochen sind so Fazit Zum Vergleich: Die Deutsche Ge- warm, dass ich selbst am Wochenende sellschaft für Ernährung empfiehlt nicht heize. Die beiden Teilnehmer unseres Expe- den Verzehr von 300 bis 600 Gramm Deshalb haben wir zum Schluss des riments liegen erfreulicherweise unter Fleisch pro Woche. Experiments mithilfe des Portals www. dem (österreichischen) Durchschnitts- mein-fussabdruck.at des Österreichi- verbrauch und wiederum eng beisam- Der Fußabdruck schen Bundesministeriums für Nach- men. Das ist zwar nur eine Momentauf- haltigkeit und Tourismus auch noch nahme aber doch auch ein Indiz für die Das Ergebnis ist ziemlich knapp. Offen- unseren sogenannten „ökologischen gute Ökobilanz ganz normaler Messe- bar kann man selbst als tendenziell eher Fußabdruck“ für das Jahr 2019 be- stadtbewohner! umweltunfreundlicher Singlehaushalt stimmt. Dabei muss man in den Berei- Um eine bessere Datenbasis für diese zumindest an einigen Stellen etwas für chen Wohnen, Mobilität, Ernährung Aussage zu sammeln, freuen wir uns seine Ökobilanz tun. Oder habe ich und Konsum nicht nur Fragen zu sei- übrigens sehr, wenn Ihr Euren persönli- mich in dieser Woche nur nachhaltiger nem Stromverbrauch, sondern auch zu chen Fußabdruck 2020 an die TakeOff! als sonst verhalten, weil ich das Ge- Hobbys und Konsumverhalten beant- schickt (E-Mail: takeoffmessestadt@ fühl hatte, dass mir der Leser über die worten, und sieht sofort, welche Ver- icloud.com)! Wir werden dann in der Schulter schaut? Eigentlich war es eher haltensweisen schädlich für die eigene nächsten Ausgabe darüber berichten. umgekehrt. Normalerweise würde ich Ökobilanz sind und an welchen Stellen nämlich nicht an einem Samstag fieber- man Nachholbedarf hat. Sabine Wagner Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020 15
SCHWERPUNKT GEGENWIND FÜR DEN KLIMAWANDEL Foto: Tilman Renz Was jeder einzelne von uns tun kann Alternativen zur Fernreise: See und Berge vor der Haustür Während ich diese Zeilen verfasse, 1. Uns informieren ger machen. Und in der Messestadt bietet nimmt der Wind langsam zu – das die Grünwerkstatt des Echo e. V. (echo- Sturmtief „Sabine“ bewegt sich gen Zum Klimawandel gibt es unzählige ev.de/einrichtungen-und-projekte/ Süden, die Deutsche Bahn stellt ihre Bücher. David Nelles / Christian Serrer gruenwerkstatt-muenchen-riem/) ein Fernverbindungen ein, und in ganz (2019): „Kleine Gase – Große Wirkung“ Programm zu Natur, Ökologie und Bayern wird die Schule ausfallen. Eine bietet eine kompakte Zusammenfas- Nachhaltigkeit. Auswirkung des Klimawandels? Nein, sung zum Thema. Und über das Um- solche Winterstürme sind offenbar weltbundesamt können wir alle grob 2. Handeln normal. Tatsache ist aber, dass Sturm- ermitteln, wo wir selbst in Sachen CO2- schäden in den letzten Jahren in Europa Bilanz stehen (www.uba.co2-rechner. Einen wichtigen Beitrag zum Klima- stark zugenommen haben, dass 2019 in de). Umweltthemen mit Bezug auf un- schutz leisten die meisten von uns Deutschland das drittwärmste Jahr seit sere Stadt sind Thema der Münchner schon, weil sie hier wohnen: eine Hei- 1881 war, dass 2020 mit einem viel zu Stadtgespräche, veröffentlicht durch den zung mit Geothermie, welche die Stadt- milden und trockenen Januar begon- Umweltinstitut München e. V. mit dem werke hier erstmalig möglich machten. nen hat … Referat für Gesundheit und Umwelt Die Messestadt bietet aber auch viele Der Klimawandel betrifft also alle – (www.muenchner-stadtgespraeche.de). weitere Optionen: Benötigen wir den auch uns in der Messestadt. Und wir In Sachen Umweltbildung sind auch Urlaub in der Karibik, wenn wir doch tragen zu ihm bei – weitaus mehr als die das Ökologische Bildungszentrum einen See vor der Haustür haben, des- Menschen etwa auf der südlichen Erd- München (www.oebz.de) und der Ver- sen Wasser manchmal genauso aussieht halbkugel. Dabei haben wir es in der ein Bildung für eine nachhaltige Ent- wie das des Karibischen Meeres (wenn- Hand, ihn abzumildern. Was können wicklung München e. V. (www.bene- gleich es meist „etwas“ kühler ist)? wir als Messestädter*innen tun? muenchen.de) unterwegs. Greencity Müssen wir immer alles neu kaufen, e. V. (www.greencity.de) möchte Mün- wo es doch das Angebot des monatli- chen selbst lebenswerter und nachhalti- chen Repair-Cafés gibt (Termine siehe 16 Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020
SCHWERPUNKT Grünwerkstatt Seite 30)? Muss es für die 3. Uns engagieren onen, wo überall Engagement möglich Fahrt in die Stadt das Auto sein? Denn ist. Genannt wird beispielsweise auch schließlich haben wir die U-Bahn und Jeder einzelne kann viel tun, aber ge- „Trudering im Wandel“ – eine Gruppe können auf ruhigen Nebenstraßen und meinsam bewegen wir mehr. Da sind aus unserer direkten Nachbarschaft. Radwegen auch per Fahrrad ins Zent- politische Parteien, in und mit denen Und in der Messestadt organisiert der rum kommen. Bei Bedarf eines Autos wir uns für Klimaschutz stark machen AK Ökologie Ramadama-Tage, an de- stehen aktuell an zwei Standorten sechs können. Beim Bezirksausschuss und nen wir eingeladen sind, gemeinsam Fahrzeuge von STATTAUTO (www. der jährlichen Bürgerversammlung Müll und Unrat aufzusammeln. Dieser stattauto-muenchen.de) bereit – und können wir gut ausgearbeitete Ideen AK könnte wieder mehr tun, wenn sich z. B. die Flotte eines großen Autover- einbringen. Und natürlich können wir mehr von uns verbindlich engagieren mieters an den Riem-Arcaden. Dort in Umweltverbänden tätig werden. würden (siehe Artikel Seite 12). gibt es inzwischen auch einen Bioladen Mit München muss handeln (https:// Der Wind wird stärker – auch vor und daneben den Wochenmarkt, wo- muenchen-muss-handeln.de) setzen meinem Fenster. Auch die Bedrohung bei frisches Biogemüse und -obst auch sich Vertreter*innen der Münchner Zi- durch den Klimawandel nimmt zu. nach Hause lieferbar ist (z.B. www.isar- vilgesellschaft für Klimaschutz ein. Auf Doch es gibt Möglichkeiten, ihn abzu- land.de oder www.kartoffelkombinat. der Homepage sind die teilnehmenden bremsen und Gegenwind aufzubauen. de). Weitere Bioläden gibt es beispiels- Firmen, Verbände und Vereine aufge- Nutzen wir sie! weise in Straßtrudering. listet – eine gute Quelle für Inspirati- Tilman Renz HOLZZAHNBÜRSTEN UND FAHRRAD-URLAUBE Wie eine Messestädter Familie Ressourcen spart Es gibt sicher Familien, die umweltfreundlicher sind, aber tik brauchen als Zahnpastatuben, und die Zahnbürsten aus ich finde, wir tun auch einiges als Familie. Zum Beispiel ver- Holz, die wir seit über einem Jahr benutzen. Am wichtigsten suchen wir Energie zu sparen, indem wir die Heizung nicht ist, dass wir kein Auto haben und uns im Urlaub nur zu Fuß, so weit aufdrehen. Wir vermeiden Verpackungsmüll. Am mit dem Fahrrad oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln lustigsten finde ich die Zahnputztabletten, die weniger Plas- fortbewegen. Letztes Jahr waren wir auf Rügen. Da sind wir nur mit dem Foto: privat Fahrrad gefahren. Wir waren vier Kilometer von der nächs- ten Einkaufsmöglichkeit weg. Hingekommen sind wir mit drei Zügen, einem Bus und Leihfahrrädern. Es mag zwar manchen Menschen anstrengend, unflexibel oder nervig erscheinen, aber meine Schwestern und ich kennen es nicht anders. Nun ist es wichtig, zu Hause möglichst viel für die Umwelt zu tun, aber das größte Problem ist, dass weiterhin viele Produk- te mit Plastik produziert werden. Man sollte grundsätzlich keinen Plastikmüll herstellen und wiederverwertbare Dinge nutzen. Es macht genauso wenig Sinn, durch München mit dem Auto zu fahren, wo es doch öffentliche Verkehrsmittel gibt. Außer- dem kann man kurze Strecken mit dem Fahrrad fahren, das Umweltschutz ist bei Familie Jesuiter mit viel Spaß verknüpft trägt auch zur Fitness bei. Malina Jesuiter Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020 17
SCHWERPUNKT GRÜNES VORZEIGEVIERTEL? Die Messestadt aus der Sicht eines „Scientists for Future“ Dr. Michael Stöhr ist Physiker, forscht diesbezüglich für sehr gelungen: „Hier Modellen, von denen trotz des nicht seit den Neunziger Jahren über erneu- hat die Stadt entscheidende Stellschrau- optimalen gesetzlichen Rahmens auch erbare Energien und koordiniert die ben richtig gedreht! Selbst wenn man die Bewohner etwas haben.“ Münchner „Scientists for Future“, eine sich überhaupt nicht für das Klima in- Gruppe von Forschern, die sich dem teressiert, lebt man umweltfreundlich!“ Optimale Raumplanung, fast Kampf gegen den Klimawandel ver- gute Verkehrsplanung schrieben haben. Stöhr wohnt in der Mühelos klimaneutral Genossenschaft WOGENO mit seiner „Die Messestadt hat mit ihren kompak- Familie seit Jahren klimaneutral. Die Ein wesentlicher Faktor: Durch das ten Wohnblocks auch eine ziemlich op- Take Off! wollte von ihm wissen, worauf Geothermie-Nahwärmenetz, an das timale Dichte für umweltfreundliches es beim Klimaschutz ankommt, und wie fast alle Haushalte „zwangs“-ange- Verhalten“, erläutert Michael Stöhr, grün die Messestadt wirklich ist. schlossen sind, heizen 90 Prozent „das führt zu kurzen Wegen.“ Mit den der Messestädter nachhaltig und kli- Riem-Arcaden stehen den Bewohnern Gleich zu Beginn des Treffens legt Stöhr maneutral, ohne auch nur darüber wohnortnahe Einkaufsmöglichkeiten los: „Es ist höchste Zeit, sehr schnell und nachdenken zu müssen. zur Verfügung. Damit schneidet die entschieden umzusteuern. Konzepte Damit auch der Strom nachhaltig Messestadt seiner Meinung nach nicht hierfür gibt es schon seit den Nuller- produziert wird, hat Stöhr zwei Pho- nur besser ab als zersiedelte Einfami- Jahren. Dabei stehe ich zu 100 Prozent tovoltaik-Anlagen initiiert: „SOLNA“ lienhaus-Gegenden, sondern auch als hinter den Forderungen von Fridays auf dem Dach des WOGENO-Hauses Hochhaus-Viertel. „Die dort nötigen for Future. Es ist entscheidend, dass in der Caroline-Herschel-Straße und Abstandsflächen würden die Wege ver- die Politik die richtigen Rahmenbedin- „SOLKIZ“ auf dem Kirchendach. Bei- längern.“ gungen schafft – dann wird die Masse de Projekte wurden von Nachbarn fi- Er lobt auch die U-Bahn zur Innen- mitgenommen.“ Die Messestadt hält er nanziert. Aufgrund des „Erneuerbare- stadt, die Buslinie durchs Viertel, den Energien-Gesetzes“ hat sich Park und die Grünzüge mit wohnort- das Umweltengagement für nahem Freizeitwert und die attraktiven Fotos: privat die Investoren sogar ausge- Fuß- und Radwege: „Das Auto zu neh- zahlt. In Kürze wird jedoch men ist meistens komplizierter, man der „PV-Deckel zuklappen“ lässt es gerne stehen – umweltfreund- und die Förderung neuer liches Verhalten ergibt sich so von Anlagen enden. „Adäquaten selbst.“ Sehr schade findet er, dass die Ersatz gibt es noch nicht“, be- Stadt nicht an ihrem ursprünglichen dauert der Wissenschaftler. Konzept festgehalten und nun doch Er hofft, dass die Umsetzung wieder jeder Wohnung einen festen der EU-Strombinnenmarkt- Parkplatz zugewiesen hat. Sonst wür- Richtline die Umsetzung den vielleicht noch mehr Menschen das ähnlicher Projekte zur re- Auto abschaffen und am Car-Sharing gionalen Stromproduktion teilnehmen. wieder attraktiver macht – zum einen als „Anschluss- Tauschen und Teilen lösung“ für die bestehenden Anlagen, zum anderen für Ein wesentlicher Faktor für Michael neue. „Die WOGENO und Stöhr ist die Förderung von Genossen- auch die Stadtwerke arbei- schaften. Gemeinsam können sich auch Michael Stöhr ten bereits an Mieterstrom- Normalverdiener eine umweltfreundli- 18 Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020
SCHWERPUNKT che Bauweise, z. B. mit Wärmerückge- sieht der Forscher hier winnung, leisten. Außerdem sei dort Optimierungsmöglich- Teilen Prinzip: Gemeinschaftsräume, keiten. „Man muss gar Gästeappartements und Werkstätten nicht verzichten, aber ermöglichen kleinere Wohnungen, statt Essen wegzuwer- Gartengeräte und Werkzeuge werden fen, könnte man es an gemeinsam genutzt. In diesem Zusam- Bedürftige abgeben. Da menhang nennt er auch „Tauschkisten“, gäbe es in der Messe- Flohmärkte und Internetforen, wie z. B. stadt sicher Abnehmer.“ „https://unsere-messestadt.de“, die hel- fen, den Ressourcen- und Energiever- Zukunftswünsche? brauch einzudämmen. Michael Stöhr initiierte im Stadtviertel zwei Photovoltaikanlagen Er würde das Teilen gerne auf Lebens- „Mehr Elektroladestati- mittel ausdehnen. „In den nächsten 20 onen für E-Autos und E-Bikes, die ide- mehr Geschäfte in den Wohnstraßen, Jahren kommt es für das Klima vor al- alerweise mit Photovoltaik und lokalen mehr Leihräder und bessere MVV-Tan- lem darauf an, Methan zu reduzieren, Stromspeichern kombiniert werden – gentialverbindungen in die nördlichen das durch die Lebensmittelindustrie, das ist auch eine ideale Zweitnutzung und südlichen Münchner Stadtteile. insbesondere die Tierzucht, entsteht. für E-Auto-Batterien“, überlegt er. „Im Eine Flughafenanbindung wünscht er Da können wir nicht weiterhin 40 5. Bauabschnitt könnte man auch auf sich explizit nicht: Schließlich müssen Prozent unserer Lebensmittel weg- Holzbauten setzen, die genossenschaft- wir vom Fliegen wegkommen. werfen.“ Gerade bei den Großbetrie- lich organisiert und autofrei sind.“ ben, wie Hotels und Supermärkten, Mehr Solarenergie fällt ihm noch ein, Birgit Heisig Zwölfmal um die Erde für ein kühles Bad Das schönste an der Messestadt ist für viele der Riemer See. Aber ist der mit seinen Wasserpumpen nicht ein ordentlicher Energiefresser? Take Off! hat recherchiert Dass der See auch im Sommer oft noch und Umwelt nachgefragt. Die Antwort: teln. Die Stadtwerke etwa schreiben saukalt ist, hat den Grund, dass das „Der Verbrauch für die Pumpe am See auf die Take Off!-Anfrage zum Ener- Wasser künstlich ausgetauscht wird – beträgt ca. 70.000 Kilowattstunden gieverbrauch des Freibads Michaelibad, mit Grundwasser. Dadurch gilt der Rie- pro Jahr. Dabei handelt es sich um ei- es gebe nur Zahlen für Freibad plus mer See als einer der saubersten in der nen ungefähren Wert, da die Leistung Hallenbad plus Sauna und ein solcher Umgebung Münchens. Auf münchen.de der Pumpe in einer Gesamtaufstellung Vergleich würde hinken. Vom Freibad steht: „Mehrere Pumpen versorgen unterschiedlicher Anlagen enthalten in Haar erhielten wir bis Redaktions- ihn jede Sekunde mit bis zu 40 Litern ist.“ Zum Vergleich: Mit einer Kilowatt- schluss keine Antwort. Frischwasser, da er wie eine riesige Ba- stunde Strom kann man knapp sieben Deshalb ersatzweise noch ein Ver- dewanne gebaut ist und ansonsten kein Kilometer mit dem Elektro-Auto fah- gleich: Der Energieverbrauch des Rie- Wasser zufließen würde. Er heizt sich ren. 70.000 mal 7, das sind 490.000 Ki- mer Sees würde reichen, um 3,5 Milli- im Sommer deshalb auch nicht so sehr lometer mit dem E-Auto, damit käme onen Stunden am Laptop zu arbeiten. auf und kann sogar noch im August bei man also etwa zwölf Mal um die Erde. Aber da scheint ein Sprung ins frische etwa 22 Grad Wassertemperatur für Immerhin: „Die Anlage wird zu 100 Wasser doch die weitaus angenehmere Erfrischung sorgen.“ Ist der See damit Prozent mit Ökostrom betrieben.“ Alternative. nicht auch ein riesiger Stromfresser? Ein Vergleich mit einem kommunalen Ich habe beim Referat für Gesundheit Freibad lässt sich leider nicht ermit- Theresa Höpfl Take Off! Nr. 75 – April bis Juni 2020 19
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