BbzBerliner Bildungszeitschrift - 30 Jahre Kita-Streik - BERLIN - GEW Berlin
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bbz BERLIN 72. (87.) Jahrgang April 2020 Berliner Bildungszeitschrift 30 Jahre Kita-Streik SCHULE Berufliche Bildung Tendenzen Politikunterricht Ein Praktikum Business as usual ist fundamental reicht nicht nach Hanau April 2020 | bbz Schule 1
I I C a r t o o n d e s M o n at s I I Ko l u m n e Das Tabu über den Lehrerberuf jemandem halten, der der Schule gerade einer realen Grundlage und ist Resultat ur von Joshua Schultheis erst entkommen ist, und nun so schnell alter Assoziationen, etwa die »antike(n) wie möglich wieder zurückwill? Erinnerungen an den Lehrer als Sklaven«. In einem Rundfunkbeitrag von 1965 hat Das mag man für plausibel halten oder W ir, die Lehramtsstudierenden, sind die Schmuddelkinder der Universität. Unter denjenigen, die »richtig« studieren, sich Theodor W. Adorno bereits mit diesem »Tabu über den Lehrerberuf« beschäftigt. Der Umstand, dass die Lehrkraft »in eine nicht – was Adorno sagen will: Der Beruf der Lehrer*in ist würdevoller als sein Ruf! »Das Pathos der Schule heute«, so Adorno kursieren die fiesesten Vorurteile über uns. Kinderwelt eingespannt ist«, sei der Grund, weiter, bestehe darin, dass nur sie »unmit Wir stehen unter dem Verdacht, uns gar warum die anderen Studierten sie »nicht telbar auf die Entbarbarisierung der nicht wirklich für unsere Fächer zu inter ganz als Erwachsenen« betrachten. Obwohl Menschheit hinzuarbeiten vermag«. Also essieren; spießig sollen wir sein, ambitions doch ebenfalls hoch gebildet, gelte daher liebe Lehramtsstudierenden, lasst uns un los und ein bisschen dumm; von uns gibt die Lehrkraft als »nicht eigentlich gesell ser Stigma mit Stolz tragen – denn ohne es viel zu viele, wir verstopfen alle Semina schaftsfähig« und als »aus der erotischen uns keine Entbarbarisierung! re und sagen dann auch noch nur Stuss; Sphäre« ausgeschlossen. Adorno: »Psycho uns fehlt der Mut, es mit der echten Wis analytisch läuft diese Imagerie des Lehrers Joshua ist Lehramtsstudent in Berlin. senschaft aufzunehmen, und alles, was wir auf Kastration hinaus.« Ouch! In seiner Kolumne schreibt er über wollen, ist ein sicherer Job und ein Reihen Dieses Ressentiment gegen den Lehrer Widersprüchliches und Kurioses in haus; und mal ehrlich, was soll man von *innenberuf entbehrt nach Adorno jedoch der Lehrer*innen-Ausbildung 2 Cartoon des Monats I Kolumne bbz | April 2020
I I S ta n d p u n k t Das StePS platzt aus allen Nähten Das 2016 eröffnete Weiterbildungszentrum für Lehrkräfte, Erzieher*innen sowie Quereinsteigende (StePS) sollte Angebote bündeln und unter einem Dach vereinen, aber der Platz reicht nicht hinten und vorne nicht hinkommen kann, ist einfach Thomas Rosenbaum, Gesamtpersonalrat der zu berechnen. Demzufolge platzt das StEPS mittler- allvemeinbildenden Schulen bei der Senatsverwaltung weile aus allen Nähten. für Bildung, Jugend und Familie Die Leitung des StEPS hat bereits vor Monaten auf diese infrastrukturellen Probleme hingewiesen und die Anmietung einer weiteren Etage im Gebäude S ehr geehrte Frau Mustermann, Sie wurden für die Weiterbildungsmaßnahme »Mustergültige Lernat- mosphären kreieren« ausgewählt. Mit Bedauern müs- empfohlen. Pläne sowohl für Unterrichts- als auch Gruppenräume sowie für Aufenthaltsräume der Kol- leg*innen liegen offensichtlich bereits seit vielen sen wir Ihnen leider mitteilen, dass diese berufsbe- Wochen oder gar Monaten vor. Allerdings können gleitende Weiterbildungsmaßnahme nicht stattfin- sich einzelne Senatsverwaltungen beziehungsweise den kann.« So oder so ähnlich könnte es bald kom- dort handelnde Personen nicht einigen, sich nicht men. Wurde im September 2016 zur Eröffnung des durchsetzen oder sind nicht in der Lage, über ihren StEPS (Studienzentrum für Erziehung, Pädagogik und Schatten zu springen. Dann passiert eben – mal wie- Schule) noch von Sandra Scheeres betont, dass zu- der – nüscht und unsere Kolleg*innen schauen in die sätzliche Qualifizierungsangebote wichtig seien, um Röhre: denn auch in Zukunft werden sie sich zum die Qualität der Lehre an Berliner Bildungseinrich- Studieren und Lernen auf engstem Raum zusammen- tungen weiter zu verbessern und auf einem hohen quetschen, sich für das Stillen des Kindes irgendwo Niveau zu halten, so stellt sich die Situation heute eine möglichst ruhige Ecke suchen und in einem me- anders dar. dizinischen Notfall wohl auf dem Boden liegend be- Die Zentralisierung der berufsbegleitenden Weiter- treuen lassen müssen. bildungsangebote war ganz sicher ein richtiger Schritt. Allerdings beeinträchtigen die schlechten Rahmenbedingungen die Qualität der Lehre massiv. Mittlerweile kommen im laufenden Schuljahr pro A uch die Beschäftigten im StEPS arbeiten mindes- tens an ihrem Limit. Eine zur Auslastung des StEPS proportionale Erhöhung der Stellenanzahl? Woche fast 500 Menschen zu Weiterbildungsmaß- Negativ. Die zu erwartenden Folgen sind völlig klar: nahmen in die Georgenstraße, weitere 910 Personen Überlastung und Stress führen zu Krankheit. Dies absolvieren dort ihre berufsbegleitenden Studien. hat eine Minderung der Leistungsfähigkeit der ver- Seit dem Sommer 2018 finden im StEPS außerdem bleibenden Beschäftigten und im Nachgang der Ler- die Veranstaltungen des QuerBer statt. Ein unbestrit- nenden und Studierenden zur Folge. Foto: Fotostudio Charlottenburg ten recht funktionales Programm zur Begleitung von Da jedoch QuerBer die Weiterexistenz der Berliner Quereinsteigenden, für das sich die Senatorin bis Schule überhaupt erst möglich macht, wird die gra- heute bundesweit feiern lässt. Es bedeutet weitere vierendste Folge der Untätigkeit der Senatorin die 500 Personen, die jede Woche das Studienzentrum Streichung einzelner berufsbegleitender Weiterbil- besuchen. Tendenz steigend. dungsmaßnahmen sein. Kolleg*innen, die sich auf Insgesamt lernen in einer Woche also fast 2.000 diesem Wege persönlich und im Sinne ihrer Einrich- Menschen in Räumen, die bei der Eröffnung 2016 für tung weiterentwickeln möchten, wird auch diese 300 Personen täglich angedacht waren. Dass dies Möglichkeit genommen. April 2020 | bbz Standpunkt 3
oben links: Adobe Stock / Rawpixel.com; oben rechts: Werner Eckart; unten links: Christina Bauermeister / GEW BERLIN; unten recht: imago images/HMB-Media 24 Schule Der Streit um die Stundenverteilung in den GeWi- Fächern darf nicht zu Lasten einer demokratie- und geschichtsbewussten Erziehung der kommenden Generationen führen. Die Senatsverwaltung muss Lösungen zulassen, die zu einem einheitlichen Handeln der Fach bereiche führen und nicht zu konkurrierendem, findet Arne Schaller. 30 Tendenzen Wenige Wochen nach dem rassisti 25 Berufliche Bildung schen Attentat in Hanau ist wieder Berufliche und allgemeine Bildung müssen business as usual. Menschen mit (zu besser ineinandergreifen. Dieser Ansicht geschriebener) Migrationsgeschichte sind zwei Autor*innen in dieser Ausgabe, werden – egal wie lange sie hier sind, TitelBild: Werner Eckart aus zwei ganz verschiedenen Perspek egal wie sehr sie sich anstrengen – als tiven. Thomas Isensee fordert die Auf Fremde gesehen. Die Mehrheitsgesell wertung der Oberstufenzentren und Ajda schaft verschließt ihre Augen vor der Özmen wünscht sich, dass Schulen mehr Gefahr, die diesen Menschen entge für die berufliche Orientierung tun. genschlägt, mahnt Aida Baghernejad. 4 Inhalt bbz | April 2020
I I I n h a lt Kolumne | Standpunkt | kurz & bündig | Impressum | Leser*innenforum______________________________________________________________ 2-7/35 Titel 30 Jahre Kita-Streik ___________________________________________________________________________________________ 8 Kita-Streik im Zeichen der Wende Erhard Laube_______________________________________________ 9 Ein Fulltime-Job Bärbel Jung _____________________________________________________________________________ 12 Interview mit Monika Ulbrich und Norbert Hocke: »Wir haben ein Zeichen gesetzt!« Josef Hofman_____________________________________________ 14 Märchen und Mythen Ilse Schaad_____________________________________________________________________ 16 Die Rolle der Alternativen Liste Udo Jeschal___________________________________________________ 18 Glosse Das Leben kann so schön sein Klaus Will_________________________________________________________ 21 Schule 8 Titel Vor etwas mehr als 30 Verkaufsschlager Förderschule? Lisa Reimann_______________________________________________ 22 Jahren befand sich Berlin nicht nur mit Politikunterricht ist Demokratiebildung Arne Schaller__________________________________ 24 ten im Prozess der Wiedervereinigung, sondern auch im längsten Kita-Streik Berufliche Bildung der Geschichte. Der Streik konnte nicht erfolgreich abgeschlossen werden, die Tabus statt Perspektiven in der Schulpolitik Thomas Isensee_______________________ 25 Kampfeslust der Erzieher*innen aber Ohne Eigeninitiative kein passender Beruf Ajda Özmen_______________________________ 26 war geweckt – und zwar bis heute. Recht & Tarif Untere Gehaltsklassen Ulrich Falke__________________________________________________________________ 28 Am Ende hilft nur der Gang vors Gericht Nele Althoff__________________________________ 29 Tendenzen Fremd im eigenen Land Aida Baghernejad________________________________________________________ 30 Lernen mit Interviews Verena Lucia Nägel _________________________________________________________ 32 Marschieren wir gegen den Osten? Lore Nareyek___________________________________________ 33 Gewerkschaft Arbeitszeit und Arbeitsbelastung – was tun die Gewerkschaften? Thomas Schmidt________________________________________________ 34 Service Theater | Bücher | Materialien | Aktivitäten ____________________________________________________ 36 April 2020 | bbz Inhalt 5
I IK u r z & B ü n d i g kann rückwirkend zum 1. Januar 2020 die pauschale Beihilfe beantragen. Alle Infor- mationen zur Antragsstellung sowie An- tragsformulare werden von der Personal- stelle der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie und/oder dem Lan- desverwaltungsamt zur Verfügung gestellt. Da das Gesetz erst am 20. Februar 2020 beschlossen wurde, kann das jedoch noch etwas dauern. Ein ausführliches Info zum Thema findet ihr auf unserer Internetseite unter www.gew-berlin.de/pauschale- beihilfe ■■ Die Besten für die Kleinsten – Scheeres sieht das anders Bildungssenatorin Sandra Scheeres hat sich aufgrund des Erzieher*innenmangels dafür entschieden, die Standards für die Rund 250 Beschäftigte des Humanistischen Verbands Berlin-Brandenburg haben am 11. März Erzieher*innenausbildung abzusenken. Mit gestreikt. Foto: GEW dem »2+2-Modell« benötigt ein*e ange- hende*r Erzieher*in lediglich die Berufs- bildungsreife (Hauptschulabschluss) und ■■ Aktuelle Infos auf unserer Webseite ■■ Streik beim HVD kann nach vierjähriger Ausbildung eben- Die Corona-Krise hat sich in den Tagen Mindestens acht Kitas mussten in Folge des falls die staatliche Anerkennung zum*r vor Drucklegung dieser bbz-Ausgabe mit Warnstreiks beim Humanistischen Verband Erzieher*in erreichen. Bisher galt: Abitur solch einem Tempo verschärft, dass es Berlin-Brandenburg geschlossen bleiben. oder eine abgeschlossene Berufsausbil- für die Redaktion unmöglich ist, richtig Die GEW BERLIN hatte die Beschäftigten dung sind die Voraussetzungen, um Erzie einzuschätzen, wie die Lage zum Erschei- aufgerufen, um die Wiederinkraftsetzung her*in zu werden. Darauf folgen drei Jah- nen der Zeitung im Anfang April aussehen des TV HVD-BB zum 1. Januar 2020 ohne re Studium, Abschlussprüfung und die wird. Wir bitten, dies beim Lesen dieser zeitliche Befristung durchzusetzen. Au- staatliche Anerkennung zur Erzieher*in. Ausgabe zu berücksichtigen. Stand heute ßerdem fordern die Gewerkschaften eine »Anstatt durch eine Verbesserung der Be- (16. März) ist, dass die Geschäftsstelle der Erhöhung der tariflichen Tabellenentgelt- zahlung und der Arbeitsbedingungen die GEW bis zum Ende der Osterferien für den beträge für den HVD Berlin-Brandenburg Anreize zu erhöhen, senkt Scheeres die Publikumsverkehr geschlossen ist. Davon rückwirkend zum 1. Januar 2020 um 6 Anforderungen an den Beruf und lässt betroffen sind alle Seminare, Mitglieder- Prozent und zeitnahe Verhandlungen, um eine nachhaltige Dequalifizierung zu«, versammlungen und alle weiteren Sitzun- die Struktur der Entgelttabellen des TV bemängelte die Vorsitzende der GEW BER- gen, die bei uns in der Geschäftsstelle HVD-BB an die Struktur der Entgelttabel- LIN, Doreen Siebernik, die Maßnahme der stattfinden. Die Geschäftsstelle wird alles len des TV-L anzupassen und einen Stu- Senatsverwaltung. tun, um den Mitgliedern auch in den fenplan zur Angleichung der Tabellenent- kommenden Wochen und Monaten wie geltbeträge für den HVD an die des TV-L gewohnt mit Rat und Tat zur Seite zu ste- zu vereinbaren. ■■ Verzweifelt gesucht: Wohnheimplatz hen. Um das Risiko von Infektionen in Nirgendwo anders als in Berlin ist es für der Geschäftsstelle zu minimieren, unse- Studierende schwieriger, einen staatlich ren Teil zur Begrenzung der Ausbreitung ■■ Pauschale Beihilfe für Beamt*innen geförderten Wohnheimplatz zu bekommen. beizutragen und die Beschäftigten zu beschlossen In der Hauptstadt liegt die Versorgungs- schützen, wird aber auch die Geschäfts- Das Berliner Abgeordnetenhaus hat im quote von Studierenden zu geförderten stelle ihre Erreichbarkeit reduzieren. Ein Februar eine neue gesetzliche Regelung Wohnheimplätzen bei 5,8 Prozent, teilte Teil der Mitarbeiter*innen wird ab sofort geschaffen, wonach gesetzlich versicher- das Deutsche Studentenwerk mit. Das be- von zu Hause aus arbeiten. Wir bitten alle te Beamt*innen künftig eine pauschale deutet: Auf 100 Studierende kommen 5,8 Mitglieder um Verständnis, falls es des- Beihilfe als Zuschuss zum Krankenversi- Plätze. Bundesweit sind es 9,4 Plätze. Eine wegen zu Unannehmlichkeiten kommen cherungsbeitrag erhalten können. Damit ebenfalls geringe Versorgungsquote gibt sollte. Auf unserer Webseite unter www. reduzieren sich die bisherigen hohen es in Schleswig-Holstein (6,1 Prozent), Bre gew-berlin.de/corona halten wir euch auf Kosten bei einer gesetzlichen Versicherung men (6,6 Prozent) und Hessen (7,2 Prozent). dem Laufenden, was unsere Erreichbarkeit im Beamtenverhältnis deutlich. Auch bis- Die prozentual beste Unterbringungsquo- und wichtige Informationen für unsere her privat versicherte Beamt*innen kön- te weisen Thüringen (15,7 Prozent) und Mitglieder rund um das Corona-Virus an- nen auf Antrag die pauschale Beihilfe Brandenburg (15,4 Prozent) auf. 2015 hat geht. Dort findet ihr auch Antworten auf wählen. Wer sich aktuell bereits im Refe- te der rot-schwarze Senat beschlossen, in- häufig gestellte Fragen. rendariat (im Beamtenverhältnis) befindet, nerhalb von fünf Jahren zusätzlich 5.000 6 Kurz & Bündig bbz | April 2020
I I Üb r i g e n s Wohnungen für Studierende schaffen zu wollen. Bis Ende 2019 waren mit insge- samt 1438 Wohnungen nicht einmal ein rund 30.000 Kinder und Jugendliche in knapp 1.000 Klassen von Grund- und Se- kundarschulen beläuft sich die Zahl der G estaltung von Zeitungen findet haupt sächlich im Hintergrund statt. Oft fällt sie den meisten Menschen erst auf, wenn Drittel davon fertiggestellt. Kinder und Jugendlichen, die mit mehr etwas schief geht. So kann es als Lob an als 26 Kindern in einer Klasse lernen. An gesehen werden, wenn »niemand meckert«. den Sekundarschulen ist sogar in 100 Seit über 20 Jahren habe ich mit viel En ■■ Hier ist Berlin Spitze siebten und achten Klassen die Richtgrö- gagement und Freude die bbz/blz gestal Ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis ße nicht eingehalten worden, weil die Be- tet und dafür gesorgt, dass dafür mög gibt es nur in wenigen Berufen. Was die zirke andernfalls nicht alle Schüler*innen lichst wenig bzw. viel Grund besteht ;) Vergabe von Professuren angeht, nähert hätten unterbringen können. Zudem wird sich das Land Berlin erfreulicherweise ei- ner Fifty-Fifty-Quote. Im vergangenen Jahr hat sich Frauenanteil bei Berufungen an in über 20 Gymnasialklassen die Maxi- malgröße von 32 Schüler*innen über- schritten. Mit dieser Art Notlösung haben E s ist aber an der Zeit für mich, neue Herausforderungen anzunehmen und ich verlasse – nicht ohne Wehmut – die Re die staatlichen Hochschulen weiter erhöht. Berlins Schulen Erfahrung. Allein im ab- daktion der bbz. Im Auftrag unserer Agen Der Frauen-Anteil liegt aktuell bei 46 Pro- geschlossenen Schuljahr 2018/2019 be- tur bleifrei Texte + Grafik wird Judith Miller zent. Zum Vergleich: 2016 lag die Frauen- stand laut Bildungssenatorin ein rechne- als meine Nachfolgerin künftig mit ihrer quote bei Berufungen erst bei 29 Prozent. risches Schulplatzdefizit von fast 6900 Kompetenz und Kreativität für frischen Die meisten Berufungen von Frauen an Plätzen – ein Mangel, der vor allem durch Wind sorgen. Berliner Hochschulen erfolgten 2019 bei Überbelegungen »kompensiert« wurde. den Rechts-, Wirtschafts-, Sozial- und Geisteswissenschaften. ■■ Tarifeinigung mit der Lebenshilfe W as für mich das Besondere an der Redaktion der bbz ist? Dass sie stets mit viel Respekt und Fingerspitzen iKita gGmbH gefühl den Kompromiss zwischen »Inhalt« ■■ Schulreinigung im Bezirk wird In der Tarifauseinandersetzung zwischen und »Form« gesucht und gefunden hat. wieder kommunal dem Träger von Inklusionskitas, der Le- Und das kam nicht nur der bbz zu Gute:) Mit Charlottenburg-Wilmersdorf macht benshilfe iKita gGmbH, und der GEW BER- Danke für die gute Zeit mit euch! sich der erst Berliner Bezirk daran, seine LIN gibt es eine Teileinigung. Der Träger Claudia Sikora, Noch-Grafikerin der bbz Schulreinigung wieder in die öffentliche hat zugestimmt, die Entgelttabellen des Hand zu geben. Am 20. Februar stimmte TV-L vom 1. Januar 2019 rückwirkend zum die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) 1. Januar 2020 zu übernehmen. Zum 1. Von Mitgliedern für Mitglieder einem Einwohner*innenantrag zu, für den Juli 2020 werden dann die aktuell gelten- die Bürger*inneninitiative »Schule in Not« den Entgelttabellen des TV-L eingeführt. Die Redaktion freut sich über Beiträge zu mehr als 2.500 Unterschriften gesammelt Der Haustariftarifertrag wird dahinge- vielfältigen Themen, von jedem hatte. Ab dem Schuljahr 2021/2022 sollen hend geändert, dass der Anspruch auf GEW-Mitglied. Also schreibt für die bbz! keine Fremdfirmen mehr mit der Reini- Erholungsurlaub bei Verteilung der wö- Schickt eure Texte an bbz@gew-berlin.de und bringt euch ein! gung der Schulgebäude beauftragt wer- chentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in den. Bestandteil des Beschlusses ist auch, der Woche ab dem 1. Januar 2020 einheit- Redaktionsschluss – die »Schulreinigung um eine nasse Teil- lich 30 Tage beträgt. Die Entgeltgruppe immer Mittwoch reinigung zu ergänzen«. Außerdem be- 9a und 9b werden analog der Tarifeini- Juni 2020: 29. April fürworteten alle Fraktionen einen zusätz- gung des TV-L eingeführt. Außerdem wird Juli/August 2020: 27. Mai lichen CDU-Antrag. Demnach soll das Be es für die Beschäftigten im laufenden zirksamt prüfen, »ob und zu welchen Be Jahr eine weitere Einmalzahlung geben. dingungen die jetzige Schulreinigung um Zu weiteren Tarifentwicklungen werden I II m p r e s s u m eine Reinigung während des Schulvormit- ab Herbst 2020 Gespräche geführt. Die bbz ist die Mitgliederzeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Landesverband Berlin, Ahornstr. 5, 10787 Berlin und tags erweitert werden kann«. Nach Schät- erscheint monatlich (10 Ausgaben) als Beilage der E&W. Für Mit zungen des Bezirksamts müssen bis zu glieder ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Für Nicht mitglieder beträgt der Bezugspreis jährlich 18 Euro (inkl. Versand). 200 Stellen geschaffen werden, um die ■■ Klaus Will wird 70 Redaktion: Caroline Muñoz del Rio (verantwortlich), Markus Hanisch (geschäftsführend), Janina Bähre, Doreen Beer, Josef Hof Schulen von bezirkseigenem Personal Der langjährige geschäftsführende Re- man, Manuel Honisch, Antje Jessa, Arne Schaller, Ralf Schiweck, säubern zu lassen. dakteur der bbz, Klaus Will, wird am 11. Folker Schmidt , Joshua Schultheis, Bertolt Prächt (Fotos), Doreen Stabenau (Sekretariat). April 70 Jahre alt. Wir gratulieren Klaus Redaktionsanschrift: Ahornstraße 5, 10787 Berlin, Tel. 21 99 93-46, ganz herzlich und danken ihm für seine Fax –49, E-Mail bbz@gew-berlin.de Verlag: GEWIVA GmbH, erreichbar wie Redaktion. ■■ Überfüllte Klassenzimmer weiterhin zahlreich erscheinenden Beiträ- Anzeigen: bleifrei Medien + Kommunikation, info@bleifrei-berlin.de, Tel. 030/613936-30. Es gilt die Preisliste Nr. 15 vom 1.11.2018 In Berlin gibt es immer vollere Klassen- ge! Normalerweise hätten wir ihm in der Satz, Layout und Konzept: bleifrei Texte + Grafik/Claudia Sikora/Jür zimmer. Dies geht auf eine Antwort der von ihm stets geliebten »Leute«-Rubrik gen Brauweiler, Erkelenzdamm 9, 10999 Berlin, Tel. 61 39 36-0, Fax -18, E-Mail info@bleifrei-berlin.de Senatsbildungsverwaltung auf eine aktu- gratuliert. Diese wurde aber ausgerechnet Druck: Bloch & Co, Grenzgrabenstr. 4, 13053 Berlin elle Anfrage der Grünen-Politikerin Mari- mit dieser Ausgabe zugunsten eines neu ISSN 0944-3207 04/2020: 31.100 anne Burkert-Eulitz hervor. In diesem überarbeiteten Hefteinstiegs eingestellt. Unverlangt eingesandte Besprechungsexemplare und Beiträge Jahr ergab die Messung, dass über 6.200 Wir entschuldigen uns bei Klaus und hof- werden nicht zurückgeschickt. Die Redaktion behält sich bei allen Schüler*innen in rund 225 Klassen in fen, dass die Veränderung dem Rest un- Beiträgen Änderungen vor. Beiträge nur per E-Mail einsenden. Die in der bbz veröffentlichten Artikel sind keine verbandsoffiziellen überfüllten Klassenräumen sitzen. Auf seren Leser*innen gefällt. Mitteilungen, sofern sie nicht als solche gekennzeichnet sind. April 2020 | bbz Kurz & Bündig 7
Kita-Streik im Zeichen der Wende Mitten in der turbulenten Phase der Wiedervereinigung begibt sich die GEW BERLIN zusammen mit der ÖTV in den längsten Streik in der Berliner Geschichte von Erhard Laube 30 Jahre sind seit dem Kita-Streik vergangen. Viele Erinnerungen sind noch frisch. Und doch sind diese 30 Jahre eine Ewigkeit. Als ich im waren circa 1.000 Erzieher*innen gewerkschaftlich organisiert; 300 davon in der GEW. Bis zum Jahr vor Streikbeginn konnten ÖTV (heute ver.di) und GEW September 1989 zum Vorsitzenden der GEW BERLIN BERLIN die Zahl der organisierten Erzieher*innen auf gewählt wurde, hatte diese Gewerkschaft ungefähr 2.500 steigern. In der GEW BERLIN wuchs die Zahl 13.000 Mitglieder. Die meisten Mitglieder waren der Erzieher*innen auf 800. Die Gewerkschaften be- Lehrkräfte, fast ausnahmslos Beamt*innen. Die GEW gannen daraufhin gezielt, die Organisationsarbeit zu BERLIN funktionierte auf der Basis ehrenamtlicher intensivieren, mit dem Versprechen sich nachhaltig Arbeit. Auch ich als Vorsitzender war mit lediglich für die Tarifierung von Vor- und Nachbereitungszei- einer halben Stelle freigestellt. Ansonsten arbeitete ten einzusetzen. ich jeden Morgen als Lehrer in einer Schöneberger Die Forderungen der Gewerkschaft nach einer Ta- Grundschule oder aber im Schöneberger Personalrat. rifierung der Vor- und Nachbereitungszeiten wurde Internet, Computer, Handys gab es noch nicht. von den Berliner Erzieher*innen begierig aufgegriffen. Sie war der Grundstein für den längsten Streik in der Fotos: Werner Eckart Berliner Geschichte, der im Dezember 1989 mit Warn Am Anfang stand ein Versprechen streiks begann und im Januar bis Ende März 1990 als Erzwingungsstreik fortgeführt wurde, drei Monate Bereits 1979 hatte die GEW BERLIN mit der Mobilisie- lang. Es war nicht nur der längste Streik, den es je in rung der Erzieher*innen begonnen. Zu dieser Zeit Berlin gegeben hatte, sondern auch der einzige in April 2020 | bbz 30 Jahre Kita-Streik Titel 9
Der damalige GEW-Vorsit- zende Erhard Laube (Foto ganz links und ganz rechts) kannte sich mit streikenden Erzieher*innen noch nicht aus und musste sich schnell in die Materie einarbeiten. Mit dabei war bei den wo- chenlangen Streiks auch im- mer Werner Eckart. Ihm verdanken wir die tollen Fo- tos aus der Zeit, die wir in diesem Schwerpunkt zei- gen. Vielen Dank! Deutschland, der fast ausschließlich von Frauen mit schlossen! Frühmorgens fuhr ich mit meinem Motor- unglaublichem Engagement getragen worden war. rad zu den Kolleg*innen, die vor den Kitas standen, um sie zu ermutigen. Auf wöchentlichen Streik-Voll- versammlungen und unglaublich gut besuchten De- Streikrecht war uns fremd mos vor dem Schöneberger Rathaus machten wir uns Mut, den Streik trotz der Verweigerungshaltung Als Lehrer und Personalrat hatte ich Ahnung von Schul des Momper-Senats zur Aufnahme von Tarifverhand- pädagogik und Schulrecht, Streikrecht war mir weit- lungen fortzuführen. Es beflügelte mich auch, in gehend fremd. Mit Ausnahme relativ bedeutungsloser diesem Taumel der Solidarität weiter für den Tarif- Tarifverhandlungen bei kleinen freien Trägern hatte vertrag zu kämpfen: »Keinen Kindergartentag ohne auch sonst niemand in der GEW BERLIN hiervon Ah- den Tarifvertrag!« skandierten wir. nung. Diesbezügliche Kompetenz lag bei der ÖTV, Im Vorstand hatten wir uns die Arbeit aufgeteilt. der mächtigen Gewerkschaft des Öffentlichen Diens- Denn neben dem Kita-Streik gab es nicht nur die tes in Berlin, die regelmäßig die BVG und die Müllab- ganz »normale« Gewerkschaftsarbeit, sondern auch fuhr zu Streiks aufrief, um ihren Forderungen für die Befolgung zahlloser Einladungen in den Ostteil den Öffentlichen Dienst Nachdruck zu verleihen. der Stadt und nach ganz Brandenburg. Denn die al- Als der Streik vorbereitet wurde, war die West-Ber- ten Gewerkschaften der DDR hatten sich aufgelöst, liner Welt noch in Ordnung. Doch am 9. November neue entstanden, auch eine GEW BERLIN im Ostteil 1989 kam die Maueröffnung. Eine Grundsatzdiskus- der Stadt. Wir spürten vielleicht ab Mitte Februar, sion, was das für den geplanten Erzwingungsstreik dass der Streik nicht erfolgreich sein würde. Andere bedeutete, unterblieb. Als wir im Januar 1990 den Dinge waren der Landesregierung wichtiger, nicht unbefristeten Streik gemeinsam mit der ÖTV ausrie- die Tarifierung von Vor- und Nachbereitungszeiten. fen, verdichteten sich schon die Rufe »Wir sind ein Intensiv diskutiert haben wir das nicht. Niemand Volk«. Jeden Montag wurde in Leipzig demonstriert, wollte als zaghaft gelten, niemand den kämpfenden mehr und mehr auch für die Einheit Deutschlands. Erzieher*innen in den Rücken fallen. Und schon am 1. Februar 1990 verkündete Modrow seinen Vierstufenplan zur Vereinigung Deutsch- lands. Und schon am 10. Februar 1990 gab Gorbats- Schmerzhafte Gespräche chow grünes Licht zur Herstellung der deutschen Einheit. So kam die Forderung zur Beendigung, man kann auch sagen »Aufgabe« (offiziell hieß es Aussetzung) Fotos: Werner Eckart aus der ÖTV. Wir als Funktionär*innen in der GEW Wir ließen uns nicht beirren BERLIN drückten uns um eine klare Aussage herum, ob der Streik fortgeführt oder wegen Aussichtslosig- Wir aber fokussierten uns unbeirrt auf den Streik. keit beendet werden sollte, und forderten eine er- Über 380 der 400 Kitas in West-Berlin waren ge- neute Urabstimmung. 10 Titel 30 Jahre Kita-Streik bbz | April 2020
So erhielt ich auf der letzten gemeinsamen großen Streikversammlung mit der ÖTV als Vorsitzender der GEW BERLIN von den Erzieher*innen rote Rosen, während der Vorsitzende der ÖTV ausgebuht wurde. Schmerzhaft erinnere ich mich an die Situationen, in denen ich am Ende des Streiks gerade die engagier- testen, mutigsten Erzieher*innen von der Sinnlosig- keit einer Fortführung des Streiks zu überzeugen versuchte. Fürchterliche Gespräche! Im Nachhinein bin ich der festen Überzeugung, dass wir durch die turbulenten Ereignisse der Wiedervereinigung keine Chance hatten. Vorwerfen müssen wir uns, das nicht früher erkannt zu haben und dann nicht mutig ge- nug gewesen sind, es klar auszusprechen. Aber für Auch heute noch brandaktuell mich persönlich stimmt auch, dass ich mir nie und nimmer das Ausmaß der sich überschlagenden Er- Die Forderungen von damals sind auch heute noch brandaktuell. eignisse habe vorstellen können. Doch die Ausgangssituation ist eine andere: Seit 2004 ist ein regel Doch umsonst war der Streik nicht! Der Fuß war rechter Ruck durch die Berliner Kitalandschaft gegangen. Die Kita in der Tür. Heute bestreitet niemand mehr, dass ist zu einer Bildungseinrichtung geworden. Alleine die Ressourcen Kitas Bildungseinrichtungen sind. Zwar sind Vor- zur Umsetzung der hohen Anforderungen fehlen bis heute. Grund und Nachbereitungszeiten immer noch nicht tari- zum Streiken gäbe es also genug. Aber auch die Arbeitskampfbe fiert, allerdings hält das Kindertagesförderungsge- dingen haben sich verändert: Immer mehr Kitas aus der öffentli setz (KitaFöG) fest, dass Vor- und Nachbereitung chen Hand wurden inzwischen in freie Trägerschaft überführt. Die auch zur Tätigkeit von Erzieher*innen gehört. Und Schaffung einer Angebotsvielfallt war das Ziel. Tarifflucht und die GEW Berlin ist keine Lehrergewerkschaft mehr, Schwächung der Gewerkschaften sind die Folge. Arbeitskampf in sondern eine richtige Bildungsgewerkschaft. den Berliner Kitas sieht heute anders aus als vor 30 Jahren. Wir haben es mittlerweile mit über 1.600 unterschiedlichen Arbeitge bern zu tun. Einheitliche Forderungen lassen sich so kaum realisie ren, Tarifverträge sind eine Seltenheit. Neben dem Arbeitskampf in den Kitas ist politische Lobbyarbeit tägliche Aufgabe der GEW BER LIN geworden. So arbeiten wir heute in Bündnissen zusammen und Erhard Laube, wenden uns genauso oft an die Politik wie an die Arbeitgeber. 1989 bis 1999 Vorsitzender der GEW BERLIN April 2020 | bbz 30 Jahre Kita-Streik Titel 11
ÖTV (heute ver.di) organisiert. Das führte natürlich außerdem zu besonderen Schwierigkeiten. Beide Ge- Ein werkschaften hatten zwar eine gemeinsame Tarif- kommission und führten den Arbeitskampf zusam- men, aber es war ein spannungsreiches Verhältnis, Fulltime-Job das im Laufe der Auseinandersetzung immer kon- fliktreicher wurde. Das lag an zum Teil unterschied- lichen Positionen der Gewerkschaften, die – vor al- Niemand hätte 1989 geglaubt, dass lem gegen Ende des Streiks – immer deutlicher zu Tage traten, aber auch an einer Konkurrenzsituation Erzieher*innen zu so einem Streik sowie an Machtansprüchen, die das Miteinander er- fähig sind. Trotz erfolgloser Verhandlungen schwerten. konnten sie viel erreichen Ein Streik der »Basis« von Bärbel Jung Der Streik wurde in ganz starkem Maße getragen von den Aktivitäten der »Basis«. Die knapp 400 Kitas mit circa 5.000 Erzieher*innen waren verteilt auf die zwölf (West-) Berliner Bezirke. In allen zwölf Bezir- ken gab es über die gesamte Streikdauer bezirkliche D er Berliner Kita-Streik im Winter 1989/90 war und ist in verschiedener Hinsicht von besonde- rer Bedeutung: Er war der längste Streik im öffentli- Streiklokale, die täglich geöffnet hatten. Die tägli- chen Streikaktivitäten begannen in aller Herrgotts- frühe: Ab 6 Uhr standen die Kolleg*innen vor jeder chen Dienst der Bundesrepublik Deutschland, und Kita Streikposten. Da es Winter und ziemlich kalt er war ein Streik, der im Wesentlichen von Frauen war, gab es nach zwei Stunden eine Ablösung. Dann getragen wurde. Mit dem Tarifziel, der Verbesserung ging es ins Streiklokal zum Aufwärmen, zum Eintra- der Arbeitsbedingungen der Erzieher*innen und Lei- gen in die Streiklisten, zum Informationsaustausch, ter*innen der öffentlichen Kitas in Berlin, wurde zur Teilnahme an den bezirklichen Streikversamm- Neuland betreten. Es ging nicht um die »traditionel- lungen. Die Betreuung der gemeinsamen Streikloka- len« gewerkschaftlichen Forderungen wie mehr Geld le lag bei den lokalen Streikleitungen, die aus Erzie- oder kürzere Arbeitszeiten, sondern um Personal- her*innen bestanden. Jede Gewerkschaft hatte – na- schlüssel, die Gruppengröße, Vor- und Nachberei- türlich – eigene Streikleitungen. tungszeiten, sowie Fort- und Weiterbildung, die in Die Streiklokale hatten eine sehr große Bedeutung. einem Tarifvertrag festgeschrieben werden sollten. In ihnen wurden die politischen Entwicklungen dis- Das gab es bisher nicht, und der Senat wurde auch kutiert, besprochen, welche Aktionen stattfinden nicht müde, wieder und wieder zu betonen, dass sollten und natürlich auch gestritten. Täglich wurden diese Forderungen nicht tarifierbar seien. bezirkliche und überbezirkliche Aktivitäten durch- Bemerkenswert – auch im Rückblick nach drei Jahr geführt, die in der Regel auf Vorschlagen aus den zehnten – ist auch, wie dieser Arbeitskampf von den Reihen der Streikenden basierten. So war beispiels- Kolleg*innen getragen und durchgeführt wurde. Im weise jeder Donnerstag der Tag der Solidarität. Vor Vorfeld bestanden Zweifel, ob es überhaupt gelingen dem Schöneberger Rathaus fand an diesem Tag immer würde, in den Kitas (größere) Streikmaßnahmen um- eine Kundgebung statt, zu der auch viele andere zusetzen. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad Menschen kamen, die den Streik unterstützen wollten: war noch nicht so hoch und es gab wenig Erfahrung, Erzieher*innen, die bei freien Trägern (vor allem in wie man einen Streik in so vielen Kleinbetrieben (es Kinder- und Schülerläden) oder in Schulen arbeiteten, gab 396 öffentliche Kitas in West-Berlin) organisieren Eltern, manchmal (eher selten) auch Lehrer*innen, sollte. Das war schon etwas anderes als ein Streik die mit ihren Schüler*innen kamen und den Sozial- bei der BVG oder bei Siemens. Aber nachdem die kundeunterricht vor das Rathaus verlegten. Viele Ge ersten Warnstreiks Ende 1989 erfolgreich verlaufen legenheiten wurden genutzt, um mit Aktionen auf waren, trauten wir uns dann doch, nach der Weih- unser Anliegen aufmerksam zu machen, beispiels- nachtspause alle Erzieher*innen in allen Bezirken zu weise anlässlich der Berlinale vor dem Zoo-Palast. ganztägigen Streiks aufzurufen, die dann ohne Un- Die Aktionen – vor allem in der ersten Streikzeit – terbrechung bis Ende März dauerten. waren von Freude, guter Stimmung, Enthusiasmus In der GEW hatten wir bis zu diesem Zeitpunkt und Optimismus getragen. Die Kolleg*innen waren genauso wenig Streik-Erfahrung wie die Kita-Erzie- unglaublich kreativ und phantasievoll, sangen Lie- her*innen. Streiklisten, Streikgeldauszahlung, Sozi- der (»keinen Kindergartentag ohne den Tarifver- alrecht im Arbeitskampf, alles war neu für uns. An- trag«), dichteten (»in der Kita steppt der Bär, Tarif- ders als heute waren damals die meisten Kita-Erzie- verträge müssen her«), organisierten Aktionen. Für her*innen nicht in der GEW BERLIN, sondern in der viele war der Streik ein Fulltime-Job. Morgens Streik- 12 Titel 30 Jahre Kita-Streik bbz | April 2020
posten vor der eigenen Kita oder vor einer anderen Einrichtung, in der sich Streikbrecher*innen einfin- den sollten. Erzieher*innen saßen am »Elterntele- fon«, beantworteten Fragen, unterstützen die GEW- Geschäftsstelle beim Streikgeldauszahlen (das damals noch nicht überwiesen wurde, sondern wöchentlich in der Ahornstrasse abgeholt werden musste). Die GEW BERLIN brachte zweimal wöchentlich eine Streikzeitung heraus. Sie wurde in alle Streiklokale ausgeliefert, um alle Kolleg*innen mit Infos und Neuigkeiten zu versorgen. Sie war ein wichtiges Kom munikationsmittel und wurde von den Streikenden sehr gern gelesen. Wut und Frust Die Erzieher*innen organisierten viele kreative Aktionen, um ihre Forderungen zu verdeutlichen. Am wichtigsten war aber die wöchentliche Streikver- sammlung im Audi Max der TU, jeden Freitag um 16 Uhr. Dort kamen regelmäßig 4.000 bis 5.000 Erzieher *innen zusammen, um zu diskutieren, wie es weiter- geht und welche Aktivitäten stattfinden sollten. Die- se Streikversammlungen waren, insbesondere in der letzten Phase, von großer Emotionalität getragen. Als auf der letzten Streikversammlung im März der mit der ÖTV-Mehrheit gefasste Beschluss der Tarif kommission verkündet wurde, den Streik »auszuset- zen«, explodierte der Saal fast. Wut, Tränen, Fas- sungslosigkeit brachen bei den Streikenden aus. Die GEW BERLIN hatte sich nicht für diesen Weg ausge- sprochen. Wir schlugen eine erneute Urabstimmung vor, denn auf der Grundlage einer Urabstimmung waren wir in den Arbeitskampf getreten und es er- schien uns unfassbar, den Streik ohne einen solchen zu beenden. Der Streik war getragen worden von einem riesigen Engagement der Kolleg*innen, von einer unvorstellbaren Begeisterung und schließlich auch von einer großen Trauer. Sie nicht zu befragen, war aus Sicht der GEW BERLIN nicht richtig. Mit diesen unterschiedlichen Positionen waren dann auch beide Gewerkschaften zutiefst zerstrit- ten. Das wurde dadurch verstärkt, dass viele Erzie- her*innen der ÖTV den Rücken zuwandten und in hatte das auch etwas mit dem Frust nach dem verlo- die GEW eintraten. renen Arbeitskampf zu tun, unter anderem aber auch mit den Strukturen der GEW, die sehr auf den schulischen Bereich zugeschnitten waren (und im- Enttäuscht, aber nicht entmutigt mer noch sind). Die Enttäuschung über die Niederlage war groß. Für die GEW BERLIN als Organisation hatte der Streik Noch Jahre nach dem Streik wurde sie immer wieder eine immense Bedeutung: Die GEW wurde zu einer thematisiert. Allerdings hat der Streik auch gezeigt, streikfähigen (und auch streikfreudigen) Gewerk- welch ungeheure Kraft die Erzieher*innen entfalten schaft. Die Mitgliedschaft der GEW BERLIN veränder- können! te sich: der Anteil der Kolleg*innen aus dem sozial- pädagogischen Bereich wuchs durch die hohe An- zahl der Kitaerzieher*innen, die im Zusammenhang Fotos: Werner Eckart mit dem Streik eingetreten sind – und durch neue Bärbel Jung, bis 2017 Referentin im Mitglieder aus dem Ostteil der Stadt. Vorstandsbereich Kinder-, Jugendhilfe Leider ist es uns in der Folgezeit aber nicht gelun- und Sozialarbeit der GEW BERLIN gen, die im Streik Aktiven auch zu einer aktiven Mit- arbeit in der GEW BERLIN zu gewinnen. Natürlich April 2020 | bbz 30 Jahre Kita-Streik Titel 13
»Wir haben ein Zeichen gesetzt!« Monika Ulbrich und Norbert Hocke haben den Berliner Kita-Streik hautnah miterlebt. Sie berichten in einem Interview von ihren Erinnerungen Das Interview führte Josef Hofman Wie war eure Verbindung zur GEW damals? großen Druck auf die Regierung ausgeübt hätte. Da- Ulbrich: Ich war zu der Zeit Vorschulerzieherin an rüber haben wir uns alle gefreut und ein riesen Ge- einer Kita in Neukölln. Ich bin vor Beginn des Kitas- trampel und Geschrei gemacht. Passiert ist dann treiks in die GEW eingetreten. Mittlerweile bin ich im leider gar nichts. Das war eine herbe Enttäuschung. Personalrat Süd Ost und in der Landesdelegierten- Daraufhin haben wir angefangen, die Straße selber versammlung. zuzumachen und die Busse einfach nicht mehr fah- Hocke: Ich war Kitaleiter in einer evangelischen ren zu lassen. Bei einer Kundgebung haben wir bei- Kita, mit einer halben Stelle und bin im November spielsweise einen Bus, in dem der Regierende Bür- 1989 in den Hauptvorstand der GEW gewählt wor- germeister Walter Momper sitzen sollte, aufgehalten. den. Das war das erste Mal, dass im Geschäftsfüh- Momper musste dann in einem Auto flüchten. renden Vorstand der Bereich Jugendhilfe und Sozi- alarbeit vertreten wurde. Was war das Besondere an diesem Streik im Gegen- satz zu anderen Arbeitskämpfen? Was ist eure lebhafteste Erinnerung an den Berliner Hocke: Ich glaube, das auffälligste war, dass die Kita-Streik? ÖTV, heute ver.di, es gewohnt war, große Streiks in Ulbrich: Ich erinnere mich an mehrere kurze Ge- Großbetrieben wie der BVG oder der Stadtreinigung schichten. Bei einer Demonstration wollten wir zum durchzuführen. Mit Kleinstbetrieben über mehrere Rathaus marschieren. Die Polizei hielt uns aber da- Wochen zu streiken, das war erstmal für einen Vor- von ab und versuchte den Zug umzuleiten. Wir gin- stand der ÖTV überhaupt nicht vorstellbar. Da muss- gen weiter und ließen uns nicht abhalten. Dann sag- te man eine Menge Überzeugungsarbeit leisten. te jemand: »Wartet mal, ich kenne einen Weg!« und Ulbrich: Die große Solidarität zwischen Leitung, dann sind wir einfach durch die anliegenden Häuser Mitarbeiter*innen und Eltern war wirklich etwas Be- gelaufen. Vorher ist noch die Polizei angerannt ge- sonderes. In unserer Kita hat uns die Leitung die kommen und hat ein paar Leute geschnappt. Mir ganze Zeit den Rücken freigehalten und aktiv unter- wurde ganz schlecht und ich hoffte, dass alle Türen stützt. Als Mitarbeiter*innen haben wir gemeinsam auf meinem Weg offen sind. Wir sind dann alle ge- bei eisiger Kälte vor unserer Kita ausgeharrt und uns genüber vom Rathaus rausgekommen. Das war ein gegenseitig Mut gemacht. Aber auch wenn in ande- irres Gefühl. Dann war die Bannmeile einfach wie- ren Kitas Hilfe gebraucht wurde, haben wir schnelle derbesetzt und die Polizei hat nichts mehr gemacht. Unterstützung geleistet. Hocke: Der Streik war eine große Herausforderung für die GEW und ich frage mich bis heute, wie es Wie habt ihr es geschafft, so eine große Motivation gelingen konnte, dass diese in Sachen Streik so un- für den Streik zu wecken? erfahrene Organisation es geschafft hat, über so ei- Ulbrich: Es kam vieles von der GEW, die ja eigent- nen langen Zeitraum politisch zu agieren. Grandios lich streikunerfahren war. Wir bekamen immer zeit- waren aus meiner Sicht auch die Streiklokale, die es nah die passenden Informationen. Wir fühlten uns überall in der Stadt gab. Dort wurden Informationen von der GEW super unterstützt und hatten so das ausgetauscht und Gespräche geführt. Es fanden Gefühl, wir wissen Bescheid, wir wissen, was wir abendliche Versammlungen im ICC und in der TU im hier tun, warum wir dies tun und dass wir wichtig Audimax mit mehreren tausend sind. Leuten statt. Hocke: Ich glaube, ein Punkt war auch, dass die Ulbrich: An eine Veranstaltung Kolleg*innen gespürt haben, wie viele Ehrenamtliche »Die große Solidarität im Audimax kann ich mich beson- sich hier bei der GEW engagierten. Der Vorstand, die zwischen Leitung, ders gut erinnern. Da hat der Lei- Fachgruppe, die Kita AG, die Streikleitungen waren Mitarbeiter*innen und ter von der BVG eine Rede gehal- ausschließlich ehrenamtlich organisiert. Sie versuch- Eltern war wirklich etwas ten und versprochen, dass die BVG den Streik unterstützen wür- ten Rechtssicherheit für die Streikenden zu gewähr- leisten beispielsweise Fortzahlung von Beiträgen zur Besonderes.« de. Wir dachten, die BVG fährt Kranken- und Rentenversicherung. Die Angst vor der dann zwischendurch nicht, was Abmahnung durch den Arbeitgeber und welche Fol- 14 Titel 30 Jahre Kita-Streik bbz | April 2020
gen solch eine Abmahnung für den weiteren Berufsverlauf haben könnte, war am Anfang recht groß. Das waren alles Punkte, die erst während des Streikes, Stück für Stück, erarbeitet werden mussten. Die Kolleg*innen fühlten sich durch die GEW-Informati- onen aber sehr sicher und das war schon deutlich zu spüren. Wie lief die Zusammenarbeit mit den Eltern? Ulbrich: Für die Eltern war es insgesamt eine schwierige Sache. Viele mussten zur Betreuung der Kinder Oma und Opa aus West- deutschland holen. Andere haben sich zusammengetan und ha- ben versucht, ihre Kinder zu betreuen. Auch da waren die Frauen kreativ und haben Lösungen gefunden. Für dringende Probleme gab es immer Lösungen. Wir wollten aber auch schon dafür sor- gen, dass ein bisschen Sand im Getriebe spürbar wird und ein paar Eltern zuhause bleiben müssen. Hocke: Der Druck wuchs dann nachher, als die Presse die »heu- lende Mutter« mit zwei Kindern, die ihren Job verliert, gegen uns einsetzte. Dann begann die Stimmung bei den Eltern ein bisschen zu kippen. Die Kolleg*innen spürten vor Ort natürlich, dass die Eltern die Kinder abgeben wollten. Aber insgesamt hatten die meisten Verständnis für das Anliegen der Streikenden. Warum ist der Streik gescheitert? Ulbrich: Ein ganz blöder Punkt war, dass uns der 9. November 1989 dazwischenkam. Die Mauer war auf und das bestimmende Thema war die Wiedervereinigung. Die Forderungen der Erzieher *innen wollte dann keiner hören. Im Audimax der TU fanden Hocke: Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu erkämpfen, abendliche Versammlun- ist ein hartes Stück Arbeit. Ähnliche Arbeitskämpfe bei der IG gen mit mehreren tausend Metall haben damals auch zwei bis drei Anläufe gebraucht, ob- Leuten statt. wohl sie streikerfahren waren. Aber ich muss zugeben, dass es eines der bittersten Erlebnisse in diesem Streik war, als der Lan- deschef der ÖTV Kurt Lange am letzten Streiktag verkündete: »Wir kommen wieder!« und damit den Streik quasi beendete. Das war eine sehr bittere Pille. Welche Nachwirkung hatte der Streik? Hat sich trotz des Scheiterns danach etwas verändert? Hocke: Zunächst überwog der Frust und die Enttäuschung. Das wir aber 2009 und 2015 bundesweit mit den Erzieher*innen Streiks durchgeführt haben ist zu großen Teilen den Erzieher*in- nen von damals zu verdanken. Sie haben dadurch ein Zeichen gesetzt, das auch Erzieher*innen streiken und ihre Forderungen entschlossen vertreten können. Dass sich bis zum heutigen Tag bei einigen SPD-Mitgliedern und speziell bei Herrn Momper immer noch die Nackenhaare sträuben, wenn sie das Wort Kitastreik nur hören, ist doch auch schon mal ein kleiner Erfolg – der Kitastreik ist eben nicht vergessen. Letztendlich kann man sagen, sind vie- le der damaligen Forderungen auch im Guten-Kita-Gesetz gelan- det. Den Gewerkschaften hat es gezeigt, dass auch in Kleinstbe- trieben gestreikt werden kann und dass diese Berufsgruppe – bundesweit fast 8oo.ooo – viel stärker als Potenzial gesehen wer- den muss. Diese Berufsgruppe gilt es offensiver anzusprechen und in der Bildungsgewerkschaft GEW zu organisieren. Ulbrich: Ich denke, wir haben da schon ein bisschen Schaden Fotos: Werner Eckart angerichtet. Wir hatten ein paar Jahre später nochmal einen Streik, da hatte ich das Gefühl, die Politik hat Angst, es könnte wieder kippen und wieder wochenlange Streiks geben. Wenn das bei den Politiker*innen im Gedächtnis bleibt, haben wir vielleicht bei zukünftigen Arbeitskämpfen eine bessere Chance. April 2020 | bbz 30 Jahre Kita-Streik Titel 15
Märchen und Mythen Durch eine beispielhafte Mobilisierung konnten die Gewerkschaften den Organisationsgrad der Erzieher*innen erhöhen und den Streik zuspitzen von Ilse Schaad Durch öffentliche Veranstaltungen und Hintergrundgespräche wurde die öffentliche Meinung nachhaltig geprägt. S eit dem ersten Warnstreik 1979 wurde gewerk- schaftsintern und in der Fachöffentlichkeit eine intensive Debatte um Qualitätsstandards, angemes- Tarifauseinandersetzung jetzt zuzuspitzen, auch aus heutiger Sicht richtig, vor allem vor dem Hinter- grund der erfolgreichen Organisationsarbeit. Vorbe- sene Eingruppierung im Vergleich zu männerdomi- reitung, Durchführung und öffentliche Begleitung nierten Berufen und Arbeitsbedingungen im Kitabe- des Arbeitskampfes waren gut geplant. Dass es trotz reich zielorientiert geführt. Der Organisationsgrad eines geschlossenen Arbeitskampfes nicht zu einem der Erzieher*innen lag Abschluss kam, lag nicht an organisatorischen Feh- anfangs bei gerade lern der Gewerkschaften, sondern an politischen mal 20 Prozent, in den Blockaden auf Seiten der SPD, die so nicht zu erwar- zuständigen DGB-Ge- ten waren. »Die Ziele, die die werkschaften GEW Der Forderungsbeschluss von GEW und ÖTV un- Streikenden verfolgten, und ÖTV (heute ver.di) terschied sich von den üblichen Streikforderungen. zusammengenommen. Im Kern ging es um die Qualität der pädagogischen waren überall bekannt« Die gemeinsame Ein- Arbeit. Es war die Forderung, die Gruppengrößen zu schätzung war, dass tarifieren, die die Blockadehaltung auf Seiten der dies keine ausreichen- Arbeitgeber auslöste. Damit greife man in das Bud- de Basis für einen schwierigen Arbeitskampf dar- getrecht des Parlamentes ein. Eine Argumentation, stellte. Erstes Ziel war somit, den Organisationsgrad die bis heute trotz eindeutiger abweichender Ge- zu erhöhen. Dies gelang unter anderem durch Öf- richtsentscheidungen herhalten muss. Durch Tari- Fotos: Werner Eckart fentlichkeits- und Bündnisarbeit, Seminare und Ver- fierung der Gruppengröße wäre in der Tat der Perso- anstaltungen. nalschlüssel nicht mehr einseitig zum Nachteil der Im November 1989 waren 90 Prozent der Erzieher Beschäftigten veränderbar gewesen, was das Budget- *innen gewerkschaftlich organisiert. Trotz der eini- recht des Parlamentes berührt. Das tut übrigens je- gungsbedingten Wirren war die Entscheidung, die der Tarifvertrag im öffentlichen Dienst, ob zur Ar- 16 Titel 30 Jahre Kita-Streik bbz | April 2020
beitszeit, zur Lohnhöhe oder Eingruppierung. Inner- wurde. Schon vor 1980 gab es Versuche, die beste- halb der »alten Arbeiterpartei« SPD führte Mompers henden Überschneidungen aufzulösen, bis heute unnachgiebige Haltung zu Widerstand. ohne Erfolg. Dazu muss man wissen, dass die GEW Durch öffentliche Veranstaltungen, Pressekonfe- Gründungsmitglied des Deutschen Gewerkschafts- renzen, Hintergrundgespräche mit Journalist*innen, bundes (DGB) war und die Zuständigkeit für den ge- Gespräche mit Parteien (außer Republikanern), mit samten Bereich der Bildung und Erziehung hatte. Eltern- und Schüler*innenvertretungen, Artikeln so- Erst zwei Jahre später trat die ÖTV dem DGB bei und wohl in der Gewerkschaftspresse als auch in Fach- beanspruchte ebenfalls den Erziehungsbereich. Bis zeitschriften, durch Seminare zu Tarifrecht und zur Gründung von ver.di wurde stets betont, dass Streikorganisation wurde die öffentliche Meinung die doppelte Zuständigkeit zur Zusammenarbeit nachhaltig geprägt. Die Ziele, die die Streikenden zwinge und niemand die Zuständigkeit der GEW in verfolgten, waren überall bekannt und als am Kin- Zweifel ziehe. deswohl orientiert hoch geschätzt. Auch SPD und die Es wird immer wieder gerne kol- Alternative Liste für Demokratie und Umweltschutz portiert, die Koalition von SPD (AL, heute Die Grünen) hatten, allerdings bevor sie und AL sei wegen des Kitastreiks »Bis dahin galten überraschend an die Regierung kamen, diese Ziele geplatzt. Der Kitastreik war ein durch Beschlüsse unterstützt. Die flankierende Öf- Baustein in einer Serie von Strei- Streiks in kleinen fentlichkeitsarbeit war von größter Bedeutung, weil tereien zwischen den beiden Re- Einrichtungen als nicht durch Streiks in diesem Bereich kein ökonomischer gierungsparteien, die beide unvor- organisierbar« Druck erzeugt werden konnte. Auf einer der letzten bereitet in die Koalition stolper- Streikversammlungen fasste Norbert Hocke die ge- ten. Schon ab dem Spätsommer machte Erfahrung zusammen: »Ein nicht geleerter 1989 häuften sich »Missverständ- Mülleimer entfaltet mehr Druck auf die SPD als nisse« zwischen SPD und AL. Die Basis der AL stand 45.000 nicht betreute Kinder!« auf der Seite der Streikenden, ihre Senator*innen Die Berliner Elternvertretungen unterstützten bis konnten sich aber im Senat nicht durchsetzen. An- zum Schluss die Streikenden, obwohl sie die stärks- lass, nicht Ursache, für den Koalitionsbruch war die ten Belastungen aushalten mussten. Auch die Presse Räumung eines besetzten Hauses mit massivem Po- war überwiegend auf Seiten der Streikenden. lizeieinsatz am 14. November 1990, worüber die AL Großen Wert legte die GEW auf schnelle und authen vorab nicht informiert wurde und ihr wurde ver- tische Information auch als Gegengewicht zur nicht wehrt, vermittelnd einzugreifen. Am 15. November immer freundlichen Berliner Presse. Jede Woche er- kündigte die AL die Koalition, am 19. November tra- schienen zwei vierseitige Streikzeitungen im DIN-A ten die Senator*innen zurück. 4 Format – in der Regel Dienstag und Freitag. Berichte Bis heute streiten sich die Geister, ob dieser Ar- von Betroffenen, Soliadressen, Beschlüsse der wöchent beitskampf Trauma oder Held*innenepos gewesen lichen Streikvollversammlungen, Presseerklärungen sei. Fakt ist, dass ohne diesen Streik die weitere Ent- und Schreiben von Senator*innen wurden schnell wicklung hin zu eigenständiger Tarifarbeit im Be- unters Streikvolk gebracht. Damit konnte sicherge- reich des Sozial- und Erziehungsdienstes nicht mög- stellt werden, dass Fake News keine Chance hatten. lich gewesen wäre. Bis dahin galten Streiks in klei- Außerdem konnte so über die vielfältigen und origi- nen Einrichtungen als nicht organisierbar. Streiks nellen Streikaktionen berichtet werden. wurden traditionell vom Müll- und Verkehrsbereich Am 27. März endete der Streik durch Beschluss der getragen. Das ist heute anders. Der Sozial- und Er- gemeinsamen Tarifkommission von GEW und ÖTV. ziehungsdienst ist eine der zuverlässigsten Stützen Beide Gewerkschaften betonten, dass für sie der bei Streiks geworden. Ohne den Aufbruch 1990 wä- Kampf damit nicht zu Ende sei, auch wenn die aktu- ren die großen und erfolgreichen Tarifauseinander- elle Auseinandersetzung verloren war. Schon im Mai setzungen 2009 und 2015, die zu erheblichen Ein- fand erneut ein Warnstreik statt. Im November 1990 gruppierungsverbesserungen in einem eigenen Ta- zerbrach die SPD/AL Koalition und bei den Neuwah- rifvertrag führten, nicht denkbar gewesen. len im Dezember 1990 gewann die CDU, Eberhard Zwar gab es 1990 keinen unmittelbaren Erfolg, Diepgen wurde wieder Regierender Bürgermeister. was immer frustrierend ist, aber langfristig hat es Diepgen ließ sich durchaus an den CDU-Beschluss zum Aufwachen einer großen und wichtigen Berufs- vom März 1990 erinnern und nahm Verhandlungen gruppe geführt. Deshalb eher Held*innenepos als mit GEW und ÖTV auf. Erst 1992 kam es schließlich Trauma! zum Abschluss eines stark abgespeckten Tarifvertra- ges, aber erstmals wurde der Anspruch auf Qualifi- zierung und der Anteil der mittelbaren pädagogi- schen Arbeit tariflich geregelt. Ilse Schaad Es gehört in die Welt der Legenden, dass der noch war zur Zeit des Kitastreiks heute bestehende Organisationsstreit um die Zustän- im Vorstand der GEW für Tarif- und digkeit im Sozial- und Erziehungsdienst zwischen Beamtenpolitik GEW und ver.di durch den Berliner Streik ausgelöst April 2020 | bbz 30 Jahre Kita-Streik Titel 17
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