Tarantel Nr. 89 - Ökologische Plattform bei DER LINKEN
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Nr. 89 Tarantel Zeitschrift der Ökologischen Plattform Juni II/2020 bei der Partei Militär – katastrophal auch für die Umwelt
Editorial/Impressum Editorial Krieg und Umwelt stehen in einem direkten Zusammenhang, werden doch die Kampfmittel zu Lande, in der Luft und im Meer eingesetzt. Kriege führen immer dazu, dass die Grundlagen für das Leben der Menschen und der übrigen Organismen zerstört oder zumindest stark gefährdet werden. (Der Begriff umweltzerstörend ist in die- sem Sinne nicht richtig, da ja die Umwelt an sich nicht zerstört werden kann, sie verändert sich nur mehr oder weniger. Aber im Alltag wird der Begriff umweltzerstörend eben sehr anthropozentristisch aufgefasst und wird in diesem Sinne hier auch gebraucht.) Das sind dann sogenannte Kollateralschäden. Die von den NATO-Staa- ten angezettelten Kriege der jüngsten Zeit in Jugoslawien, Afghanistan, Irak und Libyen wurden von schwersten Umweltzerstörungen begleitet. Neben der Zerstörung der Infrastruktur wurden Zivilisten und Tiere getötet und die Ernährungsgrundlagen teilweise zerstört. Aber immer häufiger werden auch Naturereignisse Auslöser von Konflikten. Die Dürreperioden in Nahost waren eine Ursache für Bürgerkriege, die Klimawandelfolgen in der Sahelzone führten zu bewaffneten Auseinander- setzungen. Nach Angaben des Stockholmer International Peace Research Instituts (SIPRI) werden gegenwär- tig 25 Prozent der gegenwärtigen Umweltschäden durch Militär verursacht: Militäreinsatz und Umweltschutz schließen sich absolut aus. Die massive Zerstörung der natürlichen Umweltbedingungen in Kampfgebieten erfolgt physikalisch durch radioaktive Strahlung beim Einsatz von DU-Munition, chemisch durch die Zerstörung von Chemiefabriken, was einem Giftgasangriff ähnelt, und biologisch durch Brände und den Verlust an Tieren und Menschen. In vielen Fällen ist die Natur nicht mehr regenerierbar und langfristig verändert oder beeinträchtigt. Die Staaten der Welt kümmern sich immer weniger um die im Rahmen der UNO abgeschlossenen Verträge zum Schutz der Natur und der Zivilisten. Krieg gegen die Natur ist zum taktischen Kriegsziel geworden, um die Bevöl- kerung zu bestrafen, wenn sie einen „Regime Change“ nicht will. Die US-Amerikaner haben wichtige Abrüstungs- verträge gekündigt, um schrankenlos aufzurüsten. Die weltweite Militarisierung und die Kriegsgefahr steigen. Die Friedensbewegung ist gegenwärtig nicht in der Lage, diese völkerrechtswidrige Entwicklung aufzuhalten und gewaltfreie Lösungen von Konflikten international durchzusetzen. Umso wichtiger ist es, allen Friedenswilli- gen und Friedenskämpfern Diskussionsmaterial in die Hände zu geben für eine Diskussion mit noch zögernden Menschen. Dieser Aufgabe dient ein wesentlicher Teil der Artikel in diesem Heft. Zu diesem Thema gibt es auch einige Broschüren, auf die am Ende der Zeitschrift hingewiesen wird. Die Redaktion zum Titelbild: In der Kyritz-Ruppiner Heide weisen viele Schilder auf die Gefahren hin, dass man die Flächen nicht betreten darf. Das wäre doch eine sinnvolle Aufgabe für die Bundeswehr, die Altlasten auf diesen Flächen (und z. B. in der Nord- und Ostsee) zu beseiti- gen, statt Geld und Ressourcen auf militärischen weltweiten Abenteuern zu vergeuden. Impressum Herausgeber: SprecherInnenrat der Ökologischen Platt- Veröffentlichte Beiträge, auch einzelner Autoren der form; ISSN 2195-027X Ökologischen Plattform, spiegeln nicht in jedem Fall die Redaktion: tarantel@oekologische-plattform.de Auffassung der Ökologischen Plattform als Ganzes wider. (ausschließlich für Belange der Tarantel) Beiträge ohne weitere Quellenangabe stammen von den Layout: Hans-Jürgen Paasch, Oeste, www.buchgestalter.eu Autoren, Beiträge ohne Autorenangaben in der Rubrik IN Kontakt: Ökologische Plattform bei der Partei DIE LINKE; EIGENER SACHE von der Redaktion. Kleine Alexanderstraße 28, 10178 Berlin Geplanter Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe: E-Mail: oekoplattform@die-linke.de 15. 9. 2020 Internet: www.oekologische-plattform.de Elektronische Fassungen dieser und älterer Ausgaben unter Die ÖPF ist ein anerkannter Zusammenschluss der LINKEN www.oekologische-plattform.de/publikationen/tarantel und bundesweit aktiv. Bestellung/Adressänderung: Redaktionsschluss: 15. 8. 2020 kontakt@oekologische-plattform.de oder Beiträge, Leserbriefe, Buchempfehlungen bitte möglichst https://www.oekologische-plattform.de/mitgliedschaft/ in maschinenlesbarer Form per E-Mail einsenden oder Spenden für die „Tarantel“ und ÖPF: Partei DIE LINKE; das Formular auf https://www.oekologische-plattform. IBAN: DE38 1009 0000 5000 6000 00; BIC: BEVODEBB; de/publikationen/tarantel/ benutzen. Ein Anspruch auf Verwendungszweck: Ökologische Plattform – Spende Rückgabe unverlangt eingesandter Beiträge in Papier- Neuaufnahmen, Veränderungen, Ergänzungen bei form wird ausgeschlossen. Über eine Veröffentlichung Adressen/Abonnement der Tarantel bitte über entscheidet der SprecherInnenrat, der sich sinnwahrende kontakt@oekologische-plattform.de oder Kürzungen und ggf. Umformulierungen vorbehält. https://www.oekologische-plattform.de 2 Tarantel Nr. 89 Heft II-2020
Militär und Umwelt Klima, Krisen, Kriege Kathrin Vogler „Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle der Flugzeit bestäubender Insekten übereinstimmen.4 gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, Trockenheit, Hitze oder Starkregen beeinträchtigen sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur Besitzer, das Pflanzenwachstum, und Nutztiere legen weniger ihre Nutznießer und haben sie als boni patres familias Eier oder geben weniger Milch. Insekten, die die ange- (gute Familienväter) den nachfolgenden Generationen bauten Pflanzen befallen, werden in wärmeren Wintern verbessert zu hinterlassen.“ (Karl Marx, MEW Bd. 25, nicht mehr durch Frost natürlich reduziert. Dies alles S. 784) führt durch Ertrags- und Ernteausfälle zu steigenden Preisen für Grundnahrungsmittel. Zudem greifen die Die Klimakrise ist keine Zukunftsprojektion, sie hat Bauern mehr zum Einsatz von Pestiziden, was weitere bereits begonnen. Die Luft an der Erdoberfläche hat Umweltschäden vorprogrammiert. sich bereits deutlich erwärmt. Im Jahr 2019 lag die Wenn es schon in Deutschland erhebliche Folgen mittlere globale oberflächennahe Lufttemperatur um für die Nahrungsproduktion gibt, wie sieht es erst in rund 0,95 °C* höher als das Mittel im 20. Jahrhundert. Ländern aus, die ohnehin trockener und wärmer sind? Damit war 2019 das zweitwärmste Jahr seit Beginn Als Beispiel nehmen wir den Südsudan. Das Land im der Auswertungen.1 In Deutschland, Belgien und den Osten Afrikas ist erst 2011 nach einem jahrzehntelan- Niederlanden wurden an einzelnen Messpunkten im gen Krieg selbstständig geworden. Der Südsudan ist Juli 2019 ungewöhnliche Werte von über 40 °C gemes- ein reiches Land, wenn man die Erdölvorräte zum Maß- sen. stab nimmt. Von diesem Reichtum kommt aber bei der Seit mehreren Jahrzehnten zeigt sich ein klarer Masse der Bevölkerung wenig an.5 Die Landwirtschaft Aufwärtstrend. Die Mitteltemperatur an der Erd- und leidet noch immer unter den Folgen des Unabhängig- Wasseroberfläche hat in den vergangenen Jahrzehnten keitskriegs und unter schlechten Transportwegen, die stetig zugenommen. Seit den 1960er Jahren war jedes es unmöglich machen, die Produkte auf den Markt zu Jahrzehnt wärmer als das vorherige. bringen. Neun der zehn wärmsten Jahre überhaupt seit In der trockenen Sahelzone, zu der das Land gehört, Beginn der Aufzeichnungen traten nach dem Jahr 2005 leben seit Jahrtausenden Ackerbauern und Viehzüch- auf, die Fünfjahresperiode von 2015 bis 2019 war die ter in einer sorgsam ausbalancierten Gemeinschaft: wärmste überhaupt.2 Die wandernden Viehzüchter kamen in der Regel dann In Deutschland ist die mittlere jährliche Durch- über die Ländereien der sesshaften Bauern, wenn dort schnittstemperatur bereits um 1,5 K angestiegen, für genug Wasser und Futter für ihre Herden war, ohne die Natur und den Menschen hat das erhebliche Fol- die Felder zu zerstören. Durch die Verschiebung des gen. Klimas und der Jahreszeiten funktioniert dieses Gleich- So ergab eine Analyse von 500 ausgewählten hei- gewicht immer weniger. Auch die Folgen des Krieges mischen Tierarten, dass der Klimawandel für 63 von stören das Gleichgewicht, zum Beispiel durch Minen ihnen ein hohes Risiko darstellt; am stärksten betrof- auf den Äckern und Transportwegen. In der Folge ent- fen sind Schmetterlinge, Weichtiere (z. B. Schnecken) stehen Konflikte um Wasser und Land, die schnell und Käfer.3 Mehr Hitze und Trockenheit bedeutet nicht gewalttätig werden. nur, dass Tier- und Pflanzenarten aussterben, sondern Dabei ist ein weiterer Faktor von Bedeutung: Durch auch, dass die Blühzeiten der Pflanzen nicht mehr mit den jahrzehntelangen Bürgerkrieg ist das Land voller Waffen und voller Menschen, die sie benutzen können, * Die eigentliche Maßeinheit der thermodynamischen Temperatur aber sonst wenig Einkommenschancen haben. Jeder ist Kelvin (SI-Basiseinheit). Diese Einheit wird auch zur Angabe von Konflikt um Wasser, Land oder andere Ressourcen Temperaturdifferenzen verwendet. In Deutschland gilt allerdings auch noch Grad Celsius (°C) für beides. Die Verwendung von Grad (grd) droht daher schnell zu eskalieren. für die Angabe von Differenzen ist heute aber nicht mehr zulässig. Außerdem nutzen machtgierige Politiker, die von Celsiuswerte ergeben sich aus den Kelvinwerten durch die Addition von 273,15 (Anmerkung d. Red.) den Erdölquellen profitieren wollen, diese Situation 1 US National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA): Asses- sing the Global Climate in 2019. – https://www.ncei.noaa.gov/news/ 4 Vgl. Umweltbundesamt (2019): Veränderung der jahreszeitlichen Ent- global-climate-201912 (2020-05). wicklungsphasen bei Pflanzen. – https://www.umweltbundesamt.de/ 2 Ebd. daten/klima/veraenderung-der-jahreszeitlichen#weiterfuhrende- 3 Rabitsch, Wolfgang; Winter, Marten; Kühn, Elisabeth; Kühn Ingolf; informationen (2020-05). Götzl, Martin; Essl, Franz; Gruttke, Horst (2010): Auswirkungen des 5 C. Titz (2019): Krieg im Südsudan – ein Bombengeschäft. – Spiegel-online, rezenten Klimawandels auf die Fauna in Deutschland. – In: Natur- 23. 9. 2019. – https://www.spiegel.de/politik/ausland/suedsudan- schutz und Biologische Vielfalt Heft 9/2010. im-krieg-ein-bombengeschaeft-a-1287219.html (2020-05). Heft II-2020 Tarantel Nr. 89 3
Militär und Umwelt aus, indem sie Milizen aufstellen und diese um Macht Begrenzte natürliche Ressourcen wie Trinkwasser und Einfluss kämpfen lassen. Durch den Bürgerkrieg werden noch knapper. Viele Feldfrüchte und einige und seine Folgen ist inzwischen ein Drittel der Bevöl- Vieharten werden in bestimmten Gebieten nicht über- kerung auf der Flucht: 2,5 Millionen in den Nachbar- leben können, wenn es zu heiß und trocken oder zu ländern, 2 Millionen innerhalb des Landes. Fast 9 von kalt und nass wird. Bei anhaltenden Temperaturen 10 Vertriebenen sind Frauen und Kinder. über 40 °C können auch Menschen nicht arbeiten und Im Südsudan, ebenso wie im Sudan (Darfur) ist auch leben. die Bundeswehr im Rahmen einer UN-Mission statio- In seinem Bericht zur Klimaaußenpolitik vom niert. Dezember 20198 schreibt das Auswärtige Amt: „Geo- Ein anderes Beispiel für die Folgen der Klimaverän- politische Veränderungen ergeben sich auch aus der derungen: Bangladesch6 in Südasien. unterschiedlichen Betroffenheit von den Folgen des Bangladesh hat 167 Millionen Einwohner und ist Klimawandels. So werden zum einen Staaten und außerordentlich dicht besiedelt. Hier leben auf einem Regionen mit tieferliegenden Küstengebieten in beson- Quadratkilometer Land 1144 Menschen. Zum Ver- derer Weise betroffen sein, zumal ein Großteil ihrer gleich: Bei uns in Deutschland sind es 231, in Kanada Wirtschaftskraft in der Regel von den Küstenregionen nur vier. Etwa 80 Prozent der Menschen leben in abso- abhängt. Kleine Inselstaaten ebenso wie fragile Staa- luter Armut, und mehr als 40 Prozent leben von der ten wird der Klimawandel zunehmend überfordern. Landwirtschaft. Zum anderen sind dabei oftmals Gesellschaftsgrup- Bangladesch liegt am Mündungsgebiet von Ganges, pen überproportional betroffen, die ohnehin geringe Brahmaputra und Meghna, dem größten Flussdelta der politische Entscheidungsmacht haben. Dies reicht Welt, das aus 230 Flüssen und unzähligen Nebenar- von Frauen in patriarchalisch geprägten Staaten hin men besteht. In der schon heute von Überflutungen zur indigenen Bevölkerung, deren Lebensgrundlage gefährdeten Küstenregion befinden sich 30 Prozent eine intakte Umwelt ist.“9 Dabei unterschlägt die des bebaubaren Landes; 35 Mio. Menschen leben in Bundesregierung, dass es generell die große Mehr- diesen Gebieten. Zwei Drittel des Landes liegen weni- heit der überwiegend armen Bevölkerung ist, die von ger als 5 Meter über dem Meeresspiegel. Sollte sich politischer Entscheidungsmacht ausgeschlossen und das Weltklima um vier Grad Celsius erwärmen, würde den Umweltveränderungen weitgehend schutzlos aus- das gesamte Tiefland des Landes, einschließlich der gesetzt ist Hauptstadt Dhakka, unter Wasser stehen. Die Klimaerwärmung und die davon ausgelös- Wenn allein in Bangladesh 167 Millionen Menschen ten Fluchtbewegungen führen nicht automatisch zu von Vertreibung bedroht sind, wird klar, dass wir uns Gewalt, aber sie können gewalttägige Auseinanderset- auf große Völkerwanderungen einstellen müssen, falls zungen innerhalb und zwischen Staaten auslösen bzw. es nicht gelingt, die Erderwärmung zu begrenzen. verschärfen. Weitere Risikofaktoren dafür sind soziale Die UNO-Flüchtlingshilfe (Office of the United Nati- Ungleichheit und Massenarmut, ungleicher Zugang ons High Commissioner for Refugees [UNHCR]) rech- zur Grundversorgung (Nahrung, Schulen, Gesundheit), net damit, dass in den nächsten 50 Jahren zwischen unfähige oder unzureichende Verwaltung, bereits 250 Millionen und eine Milliarde Menschen gezwungen bestehende politische, ethnische oder religiöse Kon- sein werden, ihre Heimat zu verlassen. Das sind jedes flikte, hohe Bevölkerungsdichte sowie das Vorhanden- Jahr mindestens sechs Millionen neue Vertriebene. sein von Waffen und Kriegserfahrung. Dazu kommen Eine für diese Menschen wichtige Entscheidung hat wirtschaftliche und politische Interessen, auch gerade kürzlich der UNO-Menschenrechtsausschuss getrof- die von Dritten. fen, der feststellte, dass Klimaflüchtlinge nicht abge- Der globalisierte Kapitalismus mit seinem Bedarf an wiesen werden dürfen, wenn ihr Leben in Gefahr sei.7 immer mehr Rohstoffen, immer billigerer Energie und Diese Menschen werden innerhalb ihrer Länder und Arbeit und immer mehr Märkten und KonsumentInnen über Grenzen hinweg fliehen. Sie werden bei einer ist der große Antreiber für die beiden Überlebensri- Katastrophe schnell und in großer Zahl flüchten oder siken der Menschheit: den Krieg und die Klimakrise. allmählich, wenn die Trockenheit zu groß und das Was- Längst haben die Militärs die Klimakrise als Risiko, ser knapp wird. aber auch als Chance erkannt. 6 Vgl. Stefan Ohm (2008): Klimawandel: Dder Fall Bangladesh. – Spek- trum.de,4. 6. 2008.–https://scilogs.spektrum.de/geo-log/klimawandel- der-fall-bangladesch/ (2020-05). 8 AA (2019): Bericht des Auswärtigen Amts zur Klima-Außenpolitik. 7 Ntv (2020): Regierung sieht keine „Klimaflüchtlinge“. Neuer UN- – Berlin, Dezember 2019. – https://www.auswaertiges-amt.de/ Standard beim Asyl – ntv, 22. 1. 2020. – https://www.n-tv.de/politik/ blob/2295884/ce7a2b35b139dcfec5e74facb68916e6/200124- Regierung-sieht-keine-Klimafluechtlinge-article21526558.html klimabericht-dl-data.pdf (2020-05). (2020-05). 9 Ebd. 4 Tarantel Nr. 89 Heft II-2020
Militär und Umwelt Schon 2002 hat das Pentagon die US-Regierung zeitlich begrenzt ist, so dass jeder Einflussgewinn darauf hingewiesen, welches Risiko der Klimawandel heute ein Beitrag dazu ist, den drohenden Machtver- für die Sicherheit bedeutet. Seit 2014 bezeichnet das lust in der Zukunft zu verringern.13 US-Verteidigungsministerium ihn sogar als „Gefahr für Zudem wird der Kampf um andere Ressourcen, die nationale Sicherheit“ der Vereinigten Staaten.10 insbesondere landwirtschaftlich nutzbares Land und Die Reaktion darauf ist: Noch mehr Rüstung! Auch die sauberes Wasser, immer stärker. neueste Studie vom Januar 2019, die darauf hinweist, Eine weitere Gefahr beschreibt das Auswärtige Amt dass die Mehrheit der US-Militärbasen weltweit in den in seinem Bericht sehr offen: nächsten 20 Jahren vom Klimawandel bedroht ist,11 „Künftig dürfte sich auch die internationale Diskus- wird wohl nicht zu grundsätzlichem Umdenken führen, sion um großmaßstäbliche Eingriffe in das Klimasys- sondern nur dazu, dass noch mehr Geld für die Auf- tem der Erde (sogenanntes Climate Engineering oder und Ausrüstung des Militärs ausgegeben wird. Geld, auch Geoengineering) intensivieren. Vorausschauende das wir dringend brauchen würden, um unsere Wirt- Klimaaußenpolitik muss die Möglichkeit mitdenken, schaft, unseren Verkehr, unsere Lebensweise nachhal- dass einige unserer Partner oder auch private Akteure tiger und gerechter zu gestalten. wie Unternehmen Climate Engineering einsetzen könn- Das Auswärtige Amt beschreibt in seinem Bericht ten. Intensive Forschung und erste Pilotvorhaben gibt über Klimaaußenpolitik ökonomische und geostrate- es bereits. Die Auswirkungen auf benachbarte Staa- gische Risiken des Klimawandels und der Transforma- ten und damit die außenpolitischen Folgen sind kaum tion: abzusehen.“ „Die Transformation hin zu einer klimaneutralen Geoengineering14 fußt auf der großflächigen Beein- Wirtschaft mit einer globalen Energiewende wird sich flussung ökologischer Systeme. Seine Wirkungsweise tiefgreifend auf unsere Außenpolitik auswirken. Sie kann nicht auf ein einzelnes Land beschränkt werden. verringert das Risiko für Konflikte um den Zugang zu Brauchen wir also eine internationale Konvention zur fossilen Brennstoffen und setzt Anreize für regionale Regulierung von Geoengineering oder gar ein weltwei- Zusammenarbeit bei der Interkonnektivität. Zugleich tes Verbot? schafft sie aber zusätzliche Risiken aufgrund einer Zuletzt reden wir noch übers Geld: Während die möglichen Destabilisierung von Exporteuren fossiler deutschen Rüstungsausgaben im Jahr 2020 auf über Brennstoffe sowie möglicher „stranded assets“ in Mil- 50 Milliarden Euro ansteigen, verweigert die Bundesre- liardenhöhe. Handelsströme werden sich aufgrund der gierung ausreichende Investitionen in den Klimaschutz. globalen Energiewende stark verlagern, neue Abhän- Allein der Bundeswehretat soll von 2015 bis 2025 um gigkeiten für Rohstoffe wie seltene Erden oder Kobalt etwa 30 Milliarden Euro steigen und damit fast verdop- können entstehen. Für den internationalen Handel von pelt werden. Was könnte man damit machen? Wasserstoff muss ein neuer Markt erst noch aufgebaut Zum Beispiel den Nahverkehr für alle ticket- werden.“ frei machen, und den Ländern und Kommunen die Wenn man das beredte Schweigen der Bundesregie- 13 Mrd. € an Einnahmeausfällen erstatten. Ein für die rung etwa gegenüber dem Putsch in Bolivien deuten NutzerInnen kostenfreier ÖPNV müsste natürlich auch will, so muss man sich bewusst machen, dass dort ausgebaut werden. Verkehrsexperte Winfried Wolf große Lithium-Vorräte12 lagern, die die linke Regierung beziffert den Förderbedarf dafür auf 10 Mrd. € jähr- unter Evo Morales verstaatlicht hatte. lich. Zwei der sieben Milliarden, die dann noch übrig Und wenn man den Nahen Osten mit seinen viel- wären, könnte man in den Bau von 100 000 Solaranla- fältigen Konflikten verstehen will, so muss man immer gen jährlich (1 Mrd. €) sowie einen besseren Küsten- bedenken, dass es dort vor fossilen Energien nur so schutz (0,5 Mrd. €) investieren und die Mittel für die wimmelt. Den staatlichen Akteuren dort ist bewusst, Aufforstung der geschundenen Wälder verdoppeln dass ihre Bedeutung als Förderländer möglicherweise (0,5 Mrd. €). Das macht deutlich: Klimaschutz und Abrüstung sind zwei Seiten einer Medaille! 10 Davenport, Coral (2014): Pentagon signals security risks of climate change. – The New York Times, 13. 10. 2014. – https://www.nytimes. com/2014/10/14/us/pentagon-says-global-warming-presents- immediate-security-threat.html (2020-05). 11 AFP (2019): Pentagon: Großteil der US-Militäreinrichtungen durch Klimawandel bedroht. – Welt, 19. 1. 2019. – https://www.welt.de/ newsticker/news2/article187334548/Klima-Pentagon-Grossteil- 13 Hier am Beispiel Saudi-Arabien: Gehlen, Martin (2018): Keine Lust auf der-US-Militaereinrichtungen-durch-Klimawandel-bedroht.html anstrengende Jobs. – Zeit online, 23. 7. 2018. – https://www.zeit.de/ (2020-05). wirtschaft/2018- 07/saudi-arabien-mohammed-bin-salman-oel- 12 Ismar, Georg (2018): Deutschland greift nach dem „weißen Gold“. wirtschaft-modernisierung (2020-05). Lithium in Bolivien. – ZDF. 12. 12. 2018. – https://www.zdf.de/ 14 Vgl. Umweltbundesamt (2011): Geo-Engineering wirksamer Klima- nachrichten/heute/vertrag-mit-bolivien-deutschlands-griff-nach- schutz oder Größenwahn? – https://www.umweltbundesamt.de/ weissem-gold-100.html (2020-05). sites/default/files/medien/publikation/long/4125.pdf (2020-05). Heft II-2020 Tarantel Nr. 89 5
Militär und Umwelt Zerstörung der Lebensgrundlagen der Zivilbevölkerung durch Krieg Götz Brandt Bereits in vergangenen Epochen gab es Handlungen von mit Bombern und Marschflugkörpern hielt die eigenen Kriegsparteien, die auf eine Beeinträchtigung der Lebens- Verluste in Grenzen. – Was wurde zerstört? Wohnhäu- grundlagen der beteiligten Völker abzielten: Abbrennen ser, Versorgungsanlagen für Strom, Wasser, Abwasser, von Dörfern und Städten, Vergiftung von Brunnen, Raub Kanalisation und Bewässerung, Anlagen der Kommu- des Eigentums usw. Aber erst in moderner Zeit wurde nikation (Telefon-, Fernsehkabel), Stützpunkte von die Zerstörung der Infrastruktur Hauptkriegsziel, um Feuerwehr und Polizei, Schulen, Kitas, Bibliotheken, einen „Regime Change“ und eine Befreiung von „bösen Universitäten, Krankenhäuser und Pflegeheime, Brü- Diktatoren“ zu erzwingen, die die Rohstoffe ihres Lan- cken, Straßen, Straßenbahnen, Geleise und Busse. Die des nicht den Weltkonzernen ausliefern wollten. gesamte Infrastruktur wurde systematisch, zielgenau Bereits im Zweiten Weltkrieg wurde sowohl die Tak- und gründlich zerstört. Aber die Zerstörungen führ- tik der „verbrannten Erde“ beim Rückzug der Wehr- ten nicht dazu, dass die Bevölkerung sich gegen die macht aus der Sowjetunion angewendet als auch der Regierungen auflehnte. Jahrelange Bürgerkriege mit Bombenkrieg der westlichen Allierten gegen deutsche US-amerikanischer Unterstützung haben die betroffe- Städte mit dem Ziel geführt, dem Gegner nichts an Res- nen Länder noch tiefer in den Ruin geführt. sourcen zurückzulassen bzw. die Bevölkerung gegen Um beispielsweise in Syrien die Infrastruktur wieder Hitler aufzuwiegeln. Der Vormarsch der russischen auf den Vorkriegsstand zu bringen, sind nach Schät- Truppen wurde nicht aufgehalten, die deutsche Bevöl- zung der UNO 300 Mrd. $, nach syrischen Schätzun- kerung hielt mehrheitlich zu Hitler bis zum „Endsieg“. gen 400 Mrd. $ und nach anderen Experten etwa Schon damals war diese Taktik der Kriegsführung völ- 1 Bio. $ erforderlich, was selbst im günstigen Fall einer kerrechtswidrig und verbrecherisch. Die Haager Land- Finanzierung durch das Ausland mindestens 15 Jahre kriegsordnung von 1907 wurde missachtet. erfordert. Ein Viertel der Wohngebäude sind in Syrien Die Bombenangriffe auf die Hauptstadt Berlin wäh- zerstört, in Aleppo 30 Prozent. rend des Zweiten Weltkriegs hatten zum Ziel, Wohnraum Auch im Jemen wurde mit über 20 000 Luftangrif- zu zerstören und die Infrastruktur zu blockieren. 28,5 von fen der Saudis mit Waffen, die zu 50 Prozent aus den 187 km2 der bebauten Fläche wurden völlig zerbombt. USA stammten, Moscheen, Marktplätze, Wohnhäuser, Die Zahl der Arbeitsstätten ging um 57,6 Prozent zurück. Schulen, selbst Schulbusse,. besetzt mit Kindern, ange- Die Einwohnerzahl halbierte sich von 4,3 Mio. 1939 auf griffen und zerstört. Die Menschen sterben nicht mehr- 2,8 Mio. 1945. Von 649 Schulen wurden 276 zerstört. heitlich durch Bombensplitter, sondern durch Hunger Die Zahl der Krankenhausbetten sank von 33 000 auf und Krankheiten (Cholera, Diphtherie, Durchfall), die 8500. Von 400 Kinos blieben 20 intakt. Es entstanden dann nicht behandelt werden können, weil auch die Ein- 75 Mio. m³ Trümmer, die einen 30 m breiten und 5 m richtungen des Gesundheitswesens zerstört wurden. hohen Wall bis nach Köln ergeben hätten. Alle diese Zer- Es handelt sich eindeutig um Völkermord (Genozid) störungen haben die Kampfkraft der deutschen Aggres- und um Kriegsverbrechen sowie um „Komplizenschaft sionsarmee „Wehrmacht“ kaum beeinflusst. am Genozid“ durch die Waffenlieferanten. Aber es fehlt Gipfel des Wahnsinns war dann der bewusste Ein- die internationale Anklage und ein Tribunal zur Verfol- satz von Atombomben gegen die Zivilbevölkerung gung dieser Straftaten. Ein Kriegsverbrechertribunal in Hiroshima und Nagasaki – nicht deshalb, um den wie es 1945/46 in Nürnberg zu den Verbrechen der Zweiten Weltkrieg in Asien zu beenden, sondern vor Nazi-Herrschaft gegeben hat, wäre notwendig. allem, um gegenüber der Sowjetunion zu drohen und Das vom UNO-Sicherheitsrat 1993 errichtete „Inter- Überlegenheit zu demonstrieren. Noch heute sterben nationale Strafgericht zur Verfolgung von Verletzun- Menschen an den Spätfolgen, insgesamt inzwischen gen des humanitären Völkerrechts“ (Haager Tribunal) bald eine halbe Million. Die USA wurden bis heute des- diente bisher nur der Verfolgung von Delikten im wegen nicht zur Verantwortung gezogen. ehemaligen Jugoslawien (1993), der Massenmorde in Die Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung wurde Ruanda (1994), der Taten der Roten Khmer (2003) und durch die USA in den letzten Jahrzehnten perfektio- der Terrorakte im Libanon(2005). Da die USA, China, niert. Vietnam mit Napalm und Agent Orange war nur Indien, Russland, die Türkei und Israel das Abkommen der Anfang. nicht ratifiziert haben, gilt diese Gerichtsbarkeit nicht Die Taktik der Zerstörung von Infrastruktur und für deren Territorien und Angehörigen. 123 andere Arbeitsplätzen wurde in Jugoslawien, dem Irak, in Staaten haben das Abkommen unterzeichnet, auch Syrien, in Libyen und im Jemen angewandt. Der Angriff alle EU-Staaten. Es wäre möglich, Deutschland wegen 6 Tarantel Nr. 89 Heft II-2020
Militär und Umwelt seiner Waffenlieferungen in Staaten, die Völkermord zur Bekämpfung von Kriegsverbrechen“ eingerichtet. betreiben, als Komplizen haftbar zu machen. Einzeltäter aus Jugoslawien, Ruanda, Kongo, Syrien Dem US-Luftwaffengeneral Curtis E. LeMay wird und Irak wurden angeklagt. Waffenlieferanten, die man das bekannte Zitat: „Vietnam in die Steinzeit zurück- wegen Komplizenschaft hätte anklagen können, natür- bomben“ zugeschrieben. lich nicht. NGOs können zwar Staaten bloß stellen, Deutschland war nicht untätig, um seine Feinde vor aber anklagen dürfen sie nicht. Gericht zu bringen. Beim BKA wurde eine „Zentralstelle Klimaschädliche Emissionen des Militärs Markus Pflüger Ein wenig beachteter Zusammenhang im aktuellen hat, verdeutlicht die enorme Bedeutung des Militärs Engagement für Klimaschutz und in der Diskussion um für den Klimawandel: „Das US-Verteidigungsministe- Klimagerechtigkeit ist die Bedeutung von Militär und rium ist mit einem Anteil von 77 bis 80 Prozent am Kriegseinsätzen, von deren Zielen und deren Folgen gesamten Energieverbrauch der US-Regierung seit für das Klima und für daraus folgende Klimakriege. 2001 der größte Verbraucher fossiler Brennstoffe. (…) Der Kampf für eine intakte Natur ist offenbar für viele Im Jahre 2017 betrug der Ausstoß von Treibhausgasen Menschen greifbarer als die abstrakter erscheinende im Pentagon über 59 Mio. Tonnen Kohlendioxid-Äqui- Frage nach Krieg und Frieden. Einige Zusammenhänge valent“. Weiter wird errechnet, dass das US-Militär, zwischen Krieg und Militär sowie Umweltzerstörung wenn es ein Land wäre, Platz 55 der größten Treib- und Klimapolitik sollen hier daher beleuchtet werden. hausgasemittenten der Welt belegen würde, noch vor So die Frage, was konkret Luft-, Boden- und Wasser- Portugal, Schweden oder Dänemark:3 verschmutzungen für Mensch und Umwelt und damit An allen Militärstandorten weltweit ist die Belastung auch für das Klima bedeutet. zu spüren. So kritisierte die „Bürgerinitiative Erweite- Ein Leser auf „Telepolis“ fragte: „Wie viel Klimagas rungsgegner Airbase Spangdahlem“ schon 2003 die erzeugt eine abgefeuerte Patrone? Wie viel Ressour- Abgasbelastungen für Anwohner des Militärflughafens: cen werden dafür klimaschädlich verbraucht? Wie „Die Transportmaschinen werden so aufgestellt, dass viele werden davon pro Tag abgefeuert? Dieselben ihre Abgase in den Ort getrieben werden. Nur 500 m Fragen stelle man sich für Kriegsfahrzeuge, wie LKW, von den ersten Häusern Binsfelds entfernt sollen die Panzer, Flugzeuge, Hubschrauber, Marschflugkörper, Maschinen abgestellt werden.“ Es ging um Triebwerks- alle Arten von Raketen, Munition bzw. Sprengstoffe in teststände, wo Triebwerke der Großraumflugzeuge Lenkwaffen, Geschossen, Raketen, Bomben. Überall unter Volllast getestet werden. Bei den ersten Wohn- werden Klimakiller frei, bei Herstellung und Verbrauch. häusern sollte der Abgasstrahl eine Geschwindigkeit Und wie viel Feinstaub wird da jeweils frei, bei einem von rund 54 km/h haben. Hinzu kamen die Risiken, die Panzer, Hubschrauber, einer Hellfire-Rakete?1 der hochgiftige Flugzeugtreibstoff JP 8 mit sich bringt, Diese Luftverunreinigungen sind sicher eine der kli- dazu auch Rußemissionen.4 maschädlichsten Emissionen des Militärs bei all seinen „Nicht nur Dieselfahrzeuge produzieren Feinstaub, Aktivitäten. Festzuhalten ist also, dass alle Armeen welt- sondern auch Flugzeuge beim Verbrennen von Kero- weit enorme Mengen an klimaschädlichen Emissionen sin“, berichtete der Deutschlandfunk anhand einer verursachen, indem sie sich auf Kriege vorbereiten, bei Schweizer Analysetechnik: „Eine Sekunde Laufzeit ent- Manövern üben und schließlich im Einsatz selbst, aber spricht etwa 60 km Autofahrt von einem Euro-6-Die- auch bei anschließenden Besatzungen. So ist der Treib- selfahrzeug mit Filter.“5 stoffverbrauch beispielsweise von Kriegsflugzeugen und Kriegsschiffen enorm, entsprechend hoch sind auch die Emissionen. Ein Eurofighter ohne Nachbrennereinsatz 3 Crawford, Neta°C. (2019): The Defense Department is worried verbraucht ca. 70 bis 100 Liter Flugbenzin pro Minute.2 about climate change – and also a huge carbon emitter. – The Con- versation, 12. 6. 2019. – https://theconversation.com/the-defense- Die Rolle von CO2-Emissionen des Militärs, auf die department-ist-worried-about-climate-change-and-also-a-huge- für die USA „The Conversation“ aufmerksam gemacht carbon-emitter-118017 (2020-06). 4 Jansen, Harald P. (2003): „Pläne müssen geändert werden“. – volks- 1 https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Klimapolitik- freund, 9. 2. 2003. – https://www.volksfreund.de/region/bitburg- als-Knackpunkt-einer-Jamaika-Koalition/Worueber-keiner-redet- pruem/plaene-muessen-geaendert-werden_aid-5679754 (2020-06). Krieg-ist-der-groesste-Klimakiller-sogar-schlimmer-als/posting- 5 Mrasek, Volker (2016): Feinstaub kommt auch von oben. Abgase im 31107551/show (2020-06). Flugverkehr. – Deutschlandfunk, 31. 5. 2016. – https://www.deutsch- 2 Eurofighter „Typhoon“. – eurofighter.airpower.at/technik-daten.htm landfunk.de/abgase-im-flugverkehr-feinstaub-kommt-auch-von- (2020-06). oben.676.de.html?dram:article_id=355766 (2020-06). Heft II-2020 Tarantel Nr. 89 7
Militär und Umwelt „Regierungsrohstoffe“ – „Rebellenrohstoffe“ Götz Brandt Diese Begriffe werden häufig für den Abbau von Res- Coltan (Columbo-Tantalit) findet man im Kongobecken. sourcen in Afrika verwendet. Bei den Regierungen in Für Mobiltelefone und Raketentriebwerke ist dieser den ehemaligen Kolonien, heute als Entwicklungs- Rohstoff unerlässlich. länder bezeichnet, handelt es sich meist um korrupte „Rebellenrohstoffe“ sind Rohstoffe, die an der Ober- Regimes, die sich beim Abbau von Ressourcen gegen fläche abgebaut werden können und für deren Gewin- Verstöße gegen die Menschenrechte oder gegen die nung kaum Maschinen benötigt und auf Fachkräfte Umwelt nicht wehren können oder wollen. Die Regie- verzichtet werden kann. Sie müssen leicht transportier- rungsmitglieder wollen sich vor allem bereichern. Es bar und gut zu vermarkten sein, wie es auf Gold und Dia- gibt zwar seit 1966 den Internationalen Pakt über manten zutrifft. Diese Rohstoffe werden arbeitsintensiv wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR, gewonnen. In Mittelafrika gibt es etwa 2 Millionen sog. UN-Sozialpakt) und den Pakt über bürgerliche und artisanale Bergleute (engl.: artisan – Handwerker), die politische Rechte (IPbpR, UN-Zivilpakt), von der UNO mit ihren Angehörigen 20 % der Bevölkerung ausma- verabschiedet und 1976 in Kraft getreten, aber in den chen. Im Kongo hat der artisanale Bergbau den indus- Entwicklungsländern werden diese völkerrechtlichen triellen Bergbau bereits überholt. Die Arbeiter erhalten Verträge immer wieder verletzt. geringe Löhne, es werden keine Steuern gezahlt, es gibt „Regierungsrohstoffe“ benötigen zu ihrer Gewin- keine Umweltstandards, Menschenrechte werden ver- nung große Kapitalien für Erkundung, Ausrüstungen, letzt, Umweltverschmutzungen in Kauf genommen. Verarbeitung und Transport der Rohstoffe, eine hoch- Die Diamantenlager im Kongo sind in einem Streifen entwickelte Technologie und Know-how. Da hohe von 400 km Breite und 1600 km Länge von der ango- Investitionssummen langfristig angelegt werden müs- lanischen Grenze beginnend quer durch den Kongo zu sen, geht es auch um stabile politische Verhältnisse in finden. Die Umweltbelastungen beim Rohstoffabbau den betreffenden Ländern. Es handelt sich vor allem sind gravierend. Für einen goldenen Ring entstehen 20 t um Erdöl, Erdgas, Holz. Rohstoffreichtum kann die Ent- Abraum. Im Kleinbergbau wird Gold unter Verwendung wicklung eines Landes stark behindern, der sogenannte von Quecksilber gelöst, das nicht wieder zurückgewon- „Ressourcenfluch“. Nämlich dann, wenn die Regierung nen wird. Es verseucht das Wasser und die Böden wer- korrupt ist, sich bereichert und das Volk darben lässt. den kontaminiert. Die Fische sterben und die Menschen Oft entsteht dann ein Bürgerkrieg, weil andere Grup- auch. Im Abraum der Goldminen wird Blei, Cadmium pen etwas vom Ressourcenkuchen abhaben wollen. und Arsen gefunden, die nicht minder giftig sind. Die Der „Ressourcenfluch“ („Paradox of plenty“) trifft z. B. Lebensgrundlagen der Bevölkerung werden einge- auf die DR Kongo zu, wo in Bürgerkriegen seit 1996 schränkt. Bei Protest werden die Ansässigen vertrieben, insgesamt 5,4 Mio. Menschen umgekommen sind. Die ihr Eigentum geraubt und zerstört, die Frauen vergewal- ehemalige Kupferprovinz Katanga zeigt, dass es dabei tigt. Die Umweltverschmutzungen beim Erzabbau ver- sogar zur Abspaltung von Landesteilen kommen kann. ursachen Krankheiten. Die Minenarbeiter erhalten keine Ein anderes Beispiel dafür ist das ölreiche Biafra in Arbeitsverträge, Gewerkschaften werden nicht zugelas- Nigeria, wo es in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre sen, Kinderarbeit ist weit verbreitet. Journalisten, die deshalb zum sogenannten Biafrakrieg kam. das aufdecken, werden verfolgt und sogar ermordet. Es gibt auch rohstoffreiche Länder wie Botswana Es werden aber auch „Regierungsrohstoffe“ von und Malaysia, bei denen der „Ressourcenfluch“ nicht den „Rebellen“ erbeutet, indem Erdölpipelines ange- zutrifft. Diese Länder haben sich positiv entwickelt zapft werden oder technisches Personal entführt wird. und ihre Infrastruktur ausgebaut. Die Globalisierung hat die Selbstfinanzierung illegaler Besonders bei strategischen Rohstoffen wie Platin, bewaffneter Gruppen vereinfacht, indem über Grenzen Kupfer, Kobalt, Mangan und Coltan, die unersetzbar, hinweg Geschäfte gemacht und Waffen eingekauft wer- nicht universal verfügbar und langfristig bedeutsam den können. Es geht bei den Rebellengruppen weniger bleiben, gibt es auch immer wieder kriegerische Aus- um ethnische Abgrenzungen oder religiöse Zugehörig- einandersetzungen. Der Bedarf der Industrieländer keit, obwohl das manchmal als Ursache der Kämpfe übertrifft die einheimischen Vorkommen bei Weitem: angegeben wird. Es geht vor allem um Bereicherung. So beträgt die Verfügbarkeit eigener Ressourcen der Diese Rebellengruppen werden wiederum von Regie- Industrieländer z. B. bei Zinn, Phosphat und Mangan rungstruppen, ausländischen Armeen und UN-Truppen durchschnittlich nur 10 % und bei Bauxit, Kupfer und bekämpft – Krieg als „Weiterführung der Wirtschaft Eisenerz nur 20 %. Etwa 80 % der Weltreserven an mit anderen Mitteln“. 8 Tarantel Nr. 89 Heft II-2020
Militär und Umwelt Auch auf Grund dieser Tatsachen initiierte UN-Gene- die Grundsätze minimale Standards, die von den meis- ralsekretär Kofi Annan 1999 auf dem Wirtschaftsgipfel ten Staaten sowieso akzeptiert werden und bereits in in Davos einen „Global Compact“ der Vereinten Natio- den nationalen Gesetzgebungen eingeflossen sind. Die nen, um die Globalisierung sozialer und ökologischer Einhaltung dieser Richtlinien ist außerdem freiwillig, zu gestalten, mit dem Ziel, globale Standards bei den wird nicht kontrolliert, und Sanktionen sind nicht vor- Menschenrechten, dem Umweltschutz, den Arbeiter- gesehen – also unverbindlich. rechten und bei der Korruptionsbekämpfung einzuhal- ten. Dieser wurde 2000 gestartet, Vertragsteilnehmer Literatur: Maja Liebing: Nachhaltige Nutzung mineralischer Rohstoffe am Beispiel der DR Kongo. 2009 ISSN 1432-8283 der UNO sind dabei die Unternehmen. Allerdings sind Verteidigungspolitische Richtlinien Deutschlands Markus Pflüger „Für fast alle Kriege der letzten Jahre lässt sich nach- geordnet. Verknappung von Energieträgern und ande- weisen, dass der Zugang zu Erdöl, Erdgas und anderen rer für Hochtechnologie benötigter Rohstoffe bleiben Rohstoffen sowie den Transportwegen zu den wesent- nicht ohne Auswirkungen auf die Staatenwelt. Zugangs- lichen Kriegsgründen zählt“, so der IPPNW im Beitrag beschränkungen können konfliktauslösend wirken. „Deutschland und die Rohstoffkriege“ mit Beispielen Störungen der Transportwege und der Rohstoff- und aus dem Sudan, Kongo und Zentralasien.1 Wichtig in Warenströme, z. B. durch Piraterie und Sabotage des diesem Zusammenhang sind die offenen und verdeck- Luftverkehrs, stellen eine Gefährdung für Sicherheit ten Ziele von Kriegseinsätzen, so geht es meistens um und Wohlstand dar. Deshalb werden Transport- und den Zugang zu Ressourcen und Märkten. Konkret sind Energiesicherheit eine wachsende Rolle spielen.“4 Öl- und Gas-, aber auch Uranvorkommen und andere Auch die EU hat entsprechende Ambitionen, die mit Rohstoffe wie Coltan, Kobalt und Kupfer wichtige der Militarisierung korrespondieren. Das globalisie- Kriegsfaktoren. rungskritische Netzwerk Attac kritisierte deswegen 2011 Bereits die Verteidigungspolitischen Richtlinien die Rohstoffinitiative der EU: „Die Europäische Union aus dem Jahre 1992 benannten dies auch konkret als fordert in ihrer neuen Rohstoffinitiative den schranken- Ziel der Bundeswehreinsätze: „Aufrechterhaltung des losen Zugang zu Rohstoffen und übt dabei massiven freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Druck auf die Exportländer aus. In kolonial anmutender Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen einer Weise wird Entwicklungshilfe vom Zugang zu Rohstoffen gerechten Wirtschaftsordnung“. Auf die Definition des abhängig gemacht. Entwicklungspolitik wird zum willfäh- Begriffs „gerechte Wirtschaftsordnung“ durch die Bun- rigen Instrument wirtschaftsliberaler Interessen. Sogar desregierung wartet man vergeblich. Die Friedensbe- der Einsatz von militärischen Mitteln zur Deckung des wegung kritisiert, dass dies „der deutschen Wirtschaft steigenden Rohstoffbedarfs ist eingeplant.“5 den gewaltsamen Zugriff auf Ressourcen und Handels- Anders ausgedrückt: Kriege verbrauchen enorme wege“ ermöglichen soll.2,3 Mengen an fossilen Treibstoffen, um an solche Lager- In der aktuellen Fassung der Verteidigungspoliti- stätten für solche Treibstoffe heranzukommen. Konkret schen Richtlinien von 2011 liest sich das inzwischen sind wahrscheinlich die letzten Reserven des schwar- so: „Freie Handelswege und eine gesicherte Roh- zen Goldes im Persischen Golf und dem Kaspischen stoffversorgung sind für die Zukunft Deutschlands Meer strategisch wichtig und überschneiden sich mit und Europas von vitaler Bedeutung. Die Erschließung, den Kriegsschauplätzen der jüngsten Geschichte. Wei- Sicherung von und der Zugang zu Bodenschätzen, tere Faktoren für Rohstoffkriege sind auch geostrate- Vertriebswegen und Märkten werden weltweit neu gische Zugänge wie Häfen und Pipelines, die wichtig sind für Abbau, Transport, Vertrieb und Verkauf. Ent- 1 Paulitz, Hendrik (o. J.): Deutschland und die Rohstoffkriege. Zur Diskus- scheidend ist letztendlich, wer den Zugriff auf die Res- sion. – Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges - Ärzte in sozialer Verantwortung e. V. (IPPNW). – http://www.ippnw.de/ sourcen hat und am meisten von ihnen profitiert. frieden/energie-krieg-frieden/artikel/de/deutschland-und-die- rohstoffkriege.html (2020-06). 4 BMV (2011): Nationale Interessen wahren - Internationale Verantwor- 2 BMV (1992): Verteidigungspolitische Richtlinien. – NGO. Die Internet- tung übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten. – https://www. Zei-tung. – https://www.ngo-online.de/2001/11/267verteidigungs- bundesregierung.de/resource/blob/975292/730634/383a8886aa politische-richtlinien-1992 (2020-06). a1d1774920562ded11600d/verteidigungspolitische-richtlinien- 3 Rohstoffkriege der Wirtschaftsmächte. „Verteidigungspolitischen Richt- download-bnvg-data.pdf?download=1 (2020-06). linien“ – NGO. Die Internet-Zeitung, 12. 3. 2003. – https://www.ngo- 5 Attac (2011): Rohstoffraub. – attac, AG Welthandel/WTO. – https://www. online.de/2003/03/12/verteidigungspolitische-richtlinien/ (2020-06). attac-netzwerk.de/ag-welt handelwto/rohstoffraub/ (2020-06). Heft II-2020 Tarantel Nr. 89 9
Militär und Umwelt „Aufgrund knapper werdender Ressourcen muss sicher auf wesentlich gewaltsamere Formen jener sich die Welt in Zukunft auf Rohstoffkriege einstellen“ Feindseligkeit stoßen, die Einwanderern und Flüchtlin- heißt es in einer Studie der Transatlanic Academy zur gen in ihren Zielländern schon heute entgegen schlägt. Ressourcenknappheit aus dem Jahre 2012. Rohstoffe Somit würde es unausweichlich zu einer weltweiten seien häufig nicht die einzige, aber oft die entschei- Epidemie von Bürgerkriegen und anderen gewalttäti- dende Ursache von Konflikten. „Die Leitidee des west- gen Auseinandersetzungen um Ressourcen kommen.“7 lichen Luxuslebens und des Wirtschaftswachstums, Krieg ist ein Instrument innerhalb der kapitalisti- das sich auf einen immer stärkeren Ressourcenver- schen Logik der Mächtigen und des militärisch-indust- brauch gründe, müsse überdacht werden.“6 riellen Komplexes. Während die Hauptverursacher von Prognostiziert werden „gewaltsame Auseinander- Kriegen, Klimawandel und Flucht im globalen Norden setzungen und regelrechte Kriege um die verbleiben- sitzen, hat der globale Süden die gravierendsten Fol- den Nahrungsquellen, landwirtschaftlich nutzbaren gen der Kriege und des Klimawandels zu tragen. Es Böden und bewohnbaren Flächen“. Von Kriegszustän- geht darum, das System am Laufen zu halten und den den wie in Libyen, Syrien und dem Jemen ist die Rede: Profit und die Macht von Wenigen auch mit Gewalt und „Manche Leute werden bleiben und um ihr Überleben zulasten von Mensch und Klima zu sichern. kämpfen; andere werden abwandern und so gut wie 6 Focus (2012):Wie sich Rohstoff-Kriege noch verhindern lassem. Studie 7 Klare, Michael T. (2015): Klima und Krieg. Der Pariser Gipfel als Frie- zu knapp werdenden Ressourcen. – 6. 6. 2012. – https://www.focus.de/ denskonferenz. – Blätter für deutsche und internationale Politik 12’15. finanzen/new/studie-zu-knapp-werdenden-ressourcen-wie-sich- – https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2015/dezember/klima- rohstoff-kriege-noch-verhindern-lassen_aid-763545.html (2020-06). und-krieg (2020-06). Ökologische Konversion militärischer Liegenschaften Karl-Heinz Peil Die Ankündigung der US-Administration zum Teilabzug Wiese“ mit Flächenversiegelungen und möglicher von US-Soldaten aus Deutschland hat eine Debatte Zerstörung von mikroklimatisch notwendigen Kalt- beflügelt, die bereits seit langen Jahren mehr oder luftschneisen für Innenstädte zu verhindern. In struk- weniger präsent ist. Welche sinnvolle Nachnutzung ist turschwachen Regionen wird das Militär aber eher für militärisch genutzte Liegenschaften möglich? als Wirtschaftsfaktor gesehen, vor allem durch zivile Dazu zunächst ein kurzer Blick auf die Historie. Nach Dienstleistungen, die an Militärstandorten erbracht 1990 wurden in mehreren Schüben militärische Flä- werden. chen stillgelegt. Auf Basis des Zwei-plus-Vier-Vertrags Exemplarisch festmachen lässt sich diese Ambiva- zum Anschluss der DDR an die alte BRD (der sogenann- lenz an der Militärregion Kaiserslautern. Die bundes- ten „deutschen Wiedervereinigung“) erfolgte bis 1994 weite Kampagne „Stopp Air Base Ramstein“ fordert der Abzug der über 500 000 sowjetischen Militärs und die Schließung der Air Base vor allem wegen deren Angehörigen. Insgesamt wurden mehr als 1100 Lie- völkerrechtswidrigen Nutzung für den US-Drohnen- genschaften auf ca. 2500 Quadratkilometern an die krieg, aber auch wegen der Umweltbelastungen deutschen Behörden zurückgegeben. Die gesamten durch militärischen Fluglärm und Schadstoffeinträge. Sanierungskosten wurden damals auf 25 Mrd. DM Seitens der Landespolitik Rheinland-Pfalz hingegen geschätzt. Das führte an vielen Orten auch dazu, dass wurde bisher sogar für den Ausbau der Militärregion Kommunen sich nicht in der Lage sahen, die zu erwar- geworben, und die maßgeblichen Kommunalpolitiker tenden Kosten zu stemmen und deshalb auf eine zivile der Gemeinde Ramstein stehen zur Air Base. Die Air Nachnutzung verzichteten. In der alten BRD erfolgten Base Ramstein steht nämlich auch für eine US Com- bei einer vergleichbaren Reduzierung von Bundeswehr- munity in der Region, die sich einschließlich der Zivi- und US-Standorten auch zahlreiche Räumungen von listen (Familienangehörige und US-Dienstleister) auf innerstädtischen Liegenschaften, deren Übergabe für ca. 50 000 Menschen beziffern lässt. Hinzu kommen eine zivile Nutzung in der Regel sehr willkommen war, noch einige Tausend rein zivile, deutsche Arbeits- um die freiwerdenden Flächen für neue Wohn- und/ plätze. In der Stadt Kaiserslautern werden zwar oder Gewerbegebiete zu entwickeln. Bundesliegenschaften von der US Army genutzt, es Aus ökologischer Sicht ist dieses natürlich eine opti- wurden jedoch auch mehrere Altliegenschaften durch male Lösung, um zivile Erschließungen „auf der grünen die Bundesanstalt für Immobilienangelegenheiten 10 Tarantel Nr. 89 Heft II-2020
Militär und Umwelt (BImA) nicht für die Kommune freigegeben. Bei dem Ärger der Kommune nach dem 2011 angekündigten US-Großmanöver Defender 2020 hat sich nun gezeigt, und 2015 vollzogenen Abzug der US Army das große dass diese Altflächen für das Militär eine willkommene Militärgelände der früheren Coleman Barraks von der Reservefläche sind, um eine umfangreiche Manöverlo- BImA nicht freigegeben. Auch hier wäre eine kommu- gistik abzuwickeln. Durch diese Flächenreservierung nale Nachnutzung – ähnlich wie in Kaiserslautern – in zentraler, innerstädtischen Lage wird die kommu- dringend erwünscht. In diesem Fall werden aber die nale Entwicklung mit Wohn- und Gewerbegebieten Altflächen für die Instandsetzung von US-Panzern und massiv behindert. weitere Logistikflächen reaktiviert, was vor allem bei Großmanövern wie Defender 2020 relevant ist. Historische Flächenreduzierung und neuer Gegentrend Truppenübungsplätze und Naturschutzgebiete Der Gebäudebestand der Bundeswehr verteilt sich aktu- Viele Truppenübungsplätze sind von Naturschutz- ell (Stand 2020) auf 264 Standorte mit etwa 1560 Lie- gebieten umgeben bzw. als solche deklariert. Diese genschaften. Darin werden ca. 34 000 Gebäude mit sind durch die EU-Richtlinie Natura 2000 eindeutig ca. 28 Mio. m² Nutzfläche geführt. Vermutlich beinhal- definiert. Nachvollziehbar ist die Natura-2000-Klassi- ten diese Zahlen aber erhebliche Leerstände. fizierung, weil sich dort durch das jahrzehntelange Von den beim Anschluss übernommenen ca. 2280 Fehlen von landwirtschaftlicher Nutzung einzigartige militärischen Liegenschaften der NVA wurden bis März Biotope erhalten haben. Hinzu kommen teilweise 1993 über 80 % freigeräumt. Ende 1997 wurden davon Moore und naturnahe Bäche sowie größere Stillge- nur noch 383 von der Bundeswehr genutzt. 1994 wässer. Dem gegenüber stehen aber massive Umwelt- zogen alle sowjetischen Truppen ab und es wurden probleme wie Bodenerosion und Bodenverseuchung weitere Standorte aufgegeben. Auch die USA gaben in durch Schwermetalle und Mineralöle. Teilweise gibt es den 90er-Jahren etwa 600 Liegenschaften auf. zudem Lärmbelastungen durch den Übungsbetrieb bei Bereits 2004 wurden 105 Standorte der Bundes- angrenzenden Ortschaften. wehr geschlossen. 2011 wurden erneut von den Der größte Truppenübungsplatz Deutschlands ist 400 Bundeswehrstandorten 31 geschlossen und 90 Bergen. Dieser liegt ebenso wie die beiden Übungs- verkleinert. Das geschah im Zusammenhang mit der plätze Munster-Nord und Munster-Süd in der Lünebur- Verringerung des Mannschaftsbestands der Bun- ger Heide. Eine Bürgerinitiative, die eine Umwandlung deswehr bzw. der Aussetzung der Wehrpflicht und von Bergen in eine Modellregion als UNESCO-Bio- Umwandlung in eine Berufsarmee. sphärenreservat anstrebt, verweist darauf, dass die Leider ist in jüngster Zeit eine Trendwende zu derzeit insgesamt 15 Biosphärengebiete in Deutsch- verzeichnen. Eine Pressemitteilung des BMVg vom land jährlich 65 Mio. Touristen anziehen und damit Januar 2019 hat den Titel: „Eine wachsende Bundes- ca. 86 000 Arbeitsplätze schaffen. wehr braucht Platz – Rund 600 Dienstposten und Der Truppenübungsplatz Wittstock (auch Bombo- geschätzte 200 Millionen Euro Investitionen für acht drom genannt) im Nordwesten Brandenburgs wurde zusätzliche Munitions- und Materiallager.“ Im Text heißt von 1952 bis 1993 von den Sowjetischen Streitkräften es: „Nach fast zweieinhalb Jahrzehnten des Schrump- in Deutschland genutzt. Anschließend gab es langjäh- fens wächst die Bundeswehr wieder. Die sicherheitspo- rigen politischen Widerstand durch eine Bürgerinitia- litischen Rahmenbedingungen haben sich grundlegend tive gegen eine geplante, erweiterte Nutzung durch die geändert – darauf haben wir mit den Trendwenden Per- Bundeswehr. Im Rahmen der jährlichen, bundesweiten sonal, Material und Finanzen reagiert. Mehr Personal Ostermärsche der Friedensbewegung wurden 2009 in und Material bedeuten auch mehr Bedarf an weiterer der Wittstock-Ruppinger Heide mehr als 10 000 Teil- Infrastruktur. … Das ist eine gute Nachricht vor allem nehmende gezählt. Erst 2009 gab das BMVg diese für die betroffenen Regionen.“ Ausbaupläne auf, 2010 wurde der Verzicht auf den Das US-Militär hat sich in den letzten 15 bis 20 Jah- Truppenübungsplatz erklärt, der 2011 dann offiziell ren in Deutschland aus den meisten bis dahin genutz- aufgelöst wurde. Eine touristische Nutzung ist aber auf ten Standorten zurückgezogen. Dieses betrifft Städte absehbare Zeit noch nicht möglich, da die notwendige wie Hanau, Heidelberg, Bamberg und Schweinfurt. Sanierung aufgrund der extrem hohen Belastung mit In den Kasernengebieten wurde vor allem der Woh- Altmunition bereits 2011 mit ca. 500 Mio. Euro ange- nungsbau sowohl im Gebäudebestand wie auch durch setzt wurde. Freigegebene Geldmittel der Bundesre- Neubaugebiete vorangetrieben und so neue Stadt- gierung decken aber bisher nur einen kleinen Bruchteil quartiere geschaffen, teilweise auch als Gewerbege- ab und beinhalten nur notwendigste Sicherungsmaß- biete. Im Fall der Stadt Mannheim wurde jedoch zum nahmen. Heft II-2020 Tarantel Nr. 89 11
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