Hochschulpolitik in NRW: Verlässliche Perspektiven? - nds-zeitschrift.de
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
4-2018 Marode Schulbauten in NRW Politische Bildung im Ländervergleich G9: Gesetzentwurf richtig lesen Gutes Studium geht anders! Tarifrunde: Guter Kompromiss DIE ZEITSCHRIFT DER BILDUNGSGEWERKSCHAFT Digitalisierung: Gesundheit schützen! Hochschulpolitik in NRW: Verlässliche Perspektiven? 70. Jahrgang April 2018 ISSN 0720-9673 K 5141
Tarifrunde im öffentlichen Dienst Mit Ratschen und Fahnen für mehr Gehalt Tausende GEW-Kolleg*innen machten bei Warn- der die Beschäftigten motivierte, für eine finanzielle Auf- streiks im öffentlichen Dienst weiter Druck auf die wertung ihrer Arbeit zu kämpfen. Die Arbeitgeber*innen Arbeitgeber*innen. Zuletzt gingen die Streikenden – hatten bis dahin kein Angebot vorgelegt. In der dritten darunter viele Kitabeschäftigte – am 10. April 2018 unter Verhandlungsrunde gab es den Durchbruch: Die Tarif- anderem in Dortmund und Köln auf die Straße. Lautstark parteien einigten sich auf durchschnittlich 7,5 Prozent zogen sie durch die Innenstädte und demonstrierten für mehr Gehalt für die Beschäftigten des öffentlichen die gemeinsame Forderung von GEW, ver.di und dbb nach Dienstes. Die Laufzeit des Tarifvertrags beträgt 30 sechs Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 200,- Euro. Monate. Mehr zum TVöD-Tarifergebnis ab Seite 25. Zu Gast in Köln war der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske, Text: kue, Fotos: M. Scheidereit, M. Schulte
nds 4-2018 3 Wissenschaftspolitik der GroKo: Jetzt liefern und nachlegen! Im März 2018 hat eine sechsmonatige Hängepartie ihr Ende gefunden: CDU, CSU und SPD verständigten sich auf eine erneute Große Koalition (GroKo), neue Bildungs- und Forschungs- ministerin ist die nordrhein-westfälische CDU-Politikerin Anja Karliczek. Für die Wissenschafts- politik der neuen Bundesregierung enthält der Koalitionsvertrag zwar einige positive Ansätze, doch Papier ist geduldig – die GroKo muss jetzt liefern und noch nachlegen. Gutes Studium: Für sichere Finanzierung sorgen! Dr. Andreas Keller, Überfällig ist die von Union und SPD in Aussicht gestellte Verstetigung des Hochschulpakts, stellvertretender Vor- mit dem Bund und Länder für zusätzliche Studienplätze sorgen. Schon lange steht fest, dass die sitzender und Vorstands- Nachfrage nach Studienplätzen weit über 2020 hinaus ungebrochen bleiben wird. Der Bund mitglied der GEW (Bund) darf sich nicht länger aus seiner Mitverantwortung für die Grundfinanzierung der Hochschulen stehlen. Das Fortschreiben des Pakts allein wird jedoch nicht ausreichen: Seine Zuweisungen müssen zugleich deutlich aufgestockt werden, um den Numerus clausus zu überwinden und die Betreuungsrelationen zwischen Lehrenden und Studierenden zu verbessern. Die Exzellenzstrategie wollen Union und SPD ausbauen und den Pakt für Forschung weiter wachsen lassen. Das heißt: Jahr für Jahr werden immer mehr Exzellenzgelder und Drittmittel ins System gespült, während die Grundfinanzierung der Hochschulen stagniert. Die Folge: noch mehr Wettbewerbsdruck an den Hochschulen und immer mehr Zeitverträge. Hier hat die GroKo die Chance zum Kurswechsel ebenso verpasst wie beim Hochschulbau. 2020 werden die vom Bund bereitgestellten Kompensationsmittel sang- und klanglos entfallen – ein Problem nicht nur für die finanzschwachen Länder. Zu begrüßen ist die Absicht der Koalitionspartner*innen, das BAföG zu verbessern. Eine Reform ist überfällig, damit endlich wieder mehr Studierende und Schüler*innen mit bedarfsdeckenden Fördersätzen unterstützt werden. Dass die GroKo eine Trendwende erst zur nächsten Bundestagswahl erreichen will, greift allerdings zu kurz. Niemand Geringeres als der BAföG-Beirat beim Bundesbil- dungsministerium hat vor Kurzem eine rasche und deutliche Erhöhung der Ausbildungsförderung gefordert. Die Reform gehört daher ins 100-Tage-Programm der neuen Regierung. Gute Arbeit: Befristungsmissbrauch bekämpfen! Hoffnung macht, dass sich Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag zum Grundsatz der Guten Arbeit in der Wissenschaft bekennen – konkrete Maßnahmen benennen sie jedoch nicht. Wenn neun von zehn wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen befristet beschäftigt sind und die Hälfte der Arbeitsverträge nicht einmal ein Jahr läuft, ist der Handlungsbedarf enorm: Wir brauchen Dauerstellen für Daueraufgaben, Mindeststandards für Zeitverträge und verlässliche Karrierewege. Die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes 2020 abzuwarten, reicht nicht aus. Da sich viele Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit der Umsetzung des neuen Befristungsrechts schwertun und nach Schlupflöchern suchen, muss die Evaluation vorgezogen und schnell über Nachjustierungen des Gesetzes entschieden werden. Das gilt umso mehr, weil sich die GroKo die Bekämpfung des Befristungsmissbrauchs auf die Fahnen geschrieben hat. Künftig sollen Arbeitgeber*innen mit mehr als 75 Beschäftigten nur noch maximal 2,5 Prozent der Belegschaft sachgrundlos befristen dürfen. Die Befristung eines Arbeitsvertrags ohne sachlichen Grund soll eingeschränkt werden. Ob die Großkoalitionär*innen dabei nur die Industrie oder auch die Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Blick hatten, ist unklar. Wenn es irgendwo einen Missbrauch mit dem Befristungsrecht gibt, dann dort. Dem darf die Regierung nicht tatenlos zusehen! //
4 INHALT SONDERHEFT BILDUNG 17 8 punktlandung 2018.1: Marode Schulbauten Studium mit Nährwert? Kommunaler Investitionsstau trifft NRW am härtesten Seite 8 Studium in Zahlen Für Dosenfutter reicht‘s Politische Bildung im Bundesländervergleich Seite 18 Zwischen Abwertung und Anerkennung Seite 10 Gewerkschaftsjugend macht mobil Gutes Studium geht anders Sekundarschule Olpe kooperiert mit Uni Siegen Seite 19 Mathematik zum Anfassen Seite 12 Die Sache mit dem Studienerfolg Studieren nach Schema F? Gesetzentwurf zu G9 Seite 20 Koalitionsvertrag weichgespült Seite 14 Soziale Rahmenbedingungen im Studium Studis am Limit Seite 22
nds 4-2018 5 ARBEITSPL ATZ IMMER IM HEFT Nachrichten Seite 6 Leser*innenbriefe Seite 15 Jubilar*innen Seite 32 Weiterbildung Seite 33 Infothek Seite 34 GEW-Kino Seite 38 Termine Seite 38 Impressum Seite 39 26 Tarifrunde im öffentlichen Dienst erfolgreich abgeschlossen Ein Kompromiss, aber ein guter Seite 25 Hochschulpolitik in NRW: Verlässliche Perspektiven? Eckpunkte zur Reform des Hochschulgesetzes NRW Beschäftigte und Studierende vor Rückschritten schützen Seite 26 Postdocs in Wissenschaft und Forschung Dünne Luft im Wissenschaftsbetrieb Seite 28 Arbeits- und Gesundheitsschutz Wenn der Unterricht zur Belastung wird Seite 30
6 NACHRICHTEN Viele Studierende brauchen Hilfe Bundesweit stehen viele Studierende so stark unter Druck, dass sie Beratungsbedarf von Studierenden in Deutschland Hilfe brauchen. Zu diesem Ergebnis kommt die 21. Sozialerhebung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Probleme im Studium haben demnach 61 Prozent aller Stu- Arbeitsorganisation / Zeitmanagement 19 % dierenden. Von den Befragten, die Schwierigkeiten haben, nehmen 46 Prozent eine Beratung in Anspruch. Unterstützung bei studien- Arbeits- und Konzentrationsschwierigkeiten 16 % bezogenen Themen sucht rund ein Drittel aller Studierenden. 19 Prozent haben Probleme bei der Arbeitsorganisation und dem Zeitmanagement. mangelndes Selbstwertgefühl 14 % Weitere Themen sind Konzentrationsschwächen und die Vereinbarkeit von Vereinbarkeit von Studium und Erwerbstätigkeit 14 % Nebenjob und Studium. Im Bereich der persönlichen Themen geben 33 Prozent aller Studierenden an, Hilfe zu brauchen. Die häufigsten Knack- Finanzierung des Studiums 13 % punkte in diesem Bereich sind fehlendes Selbstwertgefühl, depressive Verstimmungen oder Probleme in der Beziehung. Bei den finanziellen Zweifel, das Studium fortzuführen 10 % Schwierigkeiten, die 20 Prozent aller Studierenden in Deutschland betreffen, ist die Finanzierung des Studiums das Hauptproblem. Mehr zu den Bedingungen für Studierende in NRW ab Seite 17 und unter www.sozialerhebung.de DZHW Quelle: 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks, durchgeführt vom DZHW, 2016 Kommunikation Kopftuchverbot ist das falsche Signal Durch elektronische Kommu- Die Frage nach einem Kopftuchverbot für Mädchen bis 14 Jahre be- Begreifen nikation fallen am Arbeitsplatz schäftigt die Politik und Gesellschaft in NRW. Fakt ist, dass sowohl das zum Eingreifen immer mehr Daten an, die Inter- aktionen unter Beschäftigten do- Kopftuch als auch die Halskette mit einem Kreuz, Zeichen und Ausdruck der Werte sind, die in einer Familie gelebt werden. Ein Kopftuchverbot kumentieren. Technisch ist es für sorgt vielleicht für eine äußerliche Integration, aber nicht dafür, dass ein Mädchenzukunftstag www. Arbeitgeber*innen bereits möglich, tatsächliches Umdenken in den Köpfen der Menschen passiert. Es stellt daraus soziale Beziehungsgeflechte die betroffenen Mädchen und ihre Familien ins Abseits und stigmatisiert Am 26. April 2018 war Girls‘ oder „soziale Graphen“ zu konstruie- die Mädchen als Außenseiterinnen. Integration – und sie muss das Day. Das Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancen- ren, zeigt eine von der Hans-Böckler- grundsätzliche Ziel aller Bemühungen sein – funktioniert nur durch aktive gleichheit e. V. stellt kostenloses Stiftung geförderte Studie. Damit Elternarbeit und im Dialog mit den Erziehungsberechtigten, nicht durch Material zum Thema Geschlech- Beschäftigte geschützt werden, generelle Verbote. Ein Kopftuchverbot ist unangebrachte Symbolpolitik, terrollen für Lehrkräfte zum sind Personalvertretungen gefor- die mehr schadet als den Kindern nützt. Mädchen müssen so gestärkt Download zur Verfügung. www.tinyurl.com/girls- dert. Mehr unter www.tinyurl.com/ werden, dass sie selbstbewusst und eigenständig entscheiden können. day-2018 sozialer-graph Hans-Böckler-Stiftung Mehr unter www. tinyurl.com/kopftuchverbot rue www. Bundeswehreinsätze Ostermärsche Beliebteste Abiturfächer in NRW Wo ist die Bundeswehr im Einsatz? Wie lange schon und Mehrere Zehntausend Menschen 38,5 Prozent der Schüler*innen wählten im vergangenen Jahr Englisch was kostet das? Die Bundes- gingen traditionell rund um die als Leistungskursfach. 35,5 Prozent favorisierten als erstes oder zweites zentrale für politische Bildung Ostertage auf die Straßen, um Abiturfach Deutsch und 32,3 Prozent Mathematik. Von den jungen hat eine interaktive Weltkarte zum Thema veröffentlicht. ein starkes Zeichen für Frieden zu Frauen wählten 44,9 Prozent Deutsch und 42,5 Prozent Englisch als www.tinyurl.com/einsatz- setzen. Bei vielen Ostermärschen Leistungskursfach. Die männlichen Abiturienten entschieden sich dage- bundeswehr standen in diesem Jahr die Ab- gen am häufigsten für Mathematik (42,8 Prozent) und Englisch (33,3 www. schaffung von Atomwaffen, ein Prozent). Neben Mathematik waren bei den jungen Männern auch die Heterogenität in Schule Ende der Rüstungsexporte und anderen MINT-Fächer (Informatik, Naturwissenschaften und Technik) sehr Heterogenität bedeutet mehr „Abrüsten statt Aufrüsten“ im Mit- beliebt: So lag Physik bei den Männern mit 10,3 Prozent auf Platz acht, als nur unterschiedliche Her- telpunkt. Die Organisator*innen bei den Abiturientinnen mit 1,8 Prozent auf Platz 13. Chemie rangierte kunftsländer und Milieus in ei- ner Lerngruppe. Prof. Dr. Jürgen freuten sich in diesem Jahr über bei allen Schüler*innen auf Platz zehn. Für Informatik interessierten sich Budde skizziert, wie differenzsen- Teilnehmer*innenzuwächse. Mehr 2,3 Prozent der Männer (Rang zwölf) und 0,3 Prozent der Frauen (Rang sible Lehre gelingen kann. unter www.tinyurl.com/oster 17). Biologie wählten Abiturientinnen mit 24,1 Prozent häufiger als www.tinyurl.com/schule-hete- maersche-2018 Abiturienten (19,8 Prozent). Insgesamt machten 73.489 Schüler*innen rogenitaet Netzwerk Friedenskooperative 2017 ihr Abitur in NRW. IT.NRW
nds 4-2018 7 Imagekampagne für den Lehrberuf Das Ministerium für Schule und Bildung NRW will den Lehrer*innenberuf mit einer Imagekampagne attraktiver machen, die am 18. April 2018 offiziell vorgestellt wurde. Die GEW NRW unterstützt die Maßnahmen des NRW-Schulministeriums zur Lehrkräftegewinnung, hält sie aber für begrenzt wirksam. Das beste Argument ist eine bessere Bezahlung, wie die Vorsitzende der GEW NRW Dorothea Schäfer ausführt: „Die beste Werbekampagne für Lehrkräfte wird nicht viel bewirken, wenn nicht endlich mehr für die Attraktivität des Berufs getan wird. Das betrifft die Arbeitszeit, die Arbeitsbedingungen und eine bessere und gerechte Bezahlung. Die Landesregierung muss endlich ihre Wahlversprechen Teilnehmer*innen des Senkrechtstarts fordern das Teilzeit-Ref. Foto: M. Schulte einlösen.“ Mehr unter www.tinyurl.com/lehrkraft-werden bp Aktion: Teilzeit-Ref jetzt! Mehrsprachigkeit kommt zu kurz Junge Lehrkräfte machten sich beim Fortbildungstag „Senkrechtstart“ Das Schulsystem muss sich mehr auf die Mehrsprachigkeit von Kindern der jungen GEW NRW am 14. April 2018 stark für das Teilzeitreferenda- einstellen. Das fordert die GEW mit Blick auf die PISA-Sonderauswertung riat. Das Modell ist dringend notwendig, um Familie und Beruf besser der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung miteinander vereinbaren zu können. Vor allem junge Lehrer*innen warten zum Schulerfolg und zur Zufriedenheit von Schüler*innen mit Migrati- schon lange darauf, die Familienplanung endlich flexibler organisieren onshintergrund. „Das ist ein wichtiger Baustein, um die Teilhabe dieser zu können. Wer die Forderung ebenfalls unterstützen möchte, hat zwei Kinder und Jugendlichen an Bildung zu verbessern“, sagt GEW-Vorsitzende Möglichkeiten: Entweder das Aktionsplakat online herunterladen, ein Foto Marlis Tepe. „Es ist die Aufgabe von Schule, soziale Ungleichheiten und machen und an aktion@gew-nrw.de schicken. Alle eingesendeten Bilder Diskriminierung abzubauen. Dieser Herausforderung wird das Bildungs- und Forderungen sammeln wir unter #teilzeitrefjetzt und #besseranders wesen in Deutschland nicht ausreichend gerecht.“ Mehr unter www. in einer Bildergalerie! Oder bei Facebook das Teilzeit-Ref-Design auf das oecd.org/pisa GEW Profilbild legen und allen Menschen, auch der Schulministerin, zeigen, dass das Teilzeitreferendariat wichtig ist. Mehr unter www.gew-nrw.de/ teilzeit-ref-jetzt kue Engagement für Vielfalt prämiert Den ersten Preis des Jugendwettbewerbs „Die Gelbe Hand“ 2017 / 2018 Digitale Geräte für alle Schüler*innen erhielten die Azubis der Rheinbahn AG Düsseldorf für ihre Idee, 5.000 Schutzhüllen für Fahrkarten mit dem Logo der Gelben Hand bedrucken zu Schüler*innen an weiterführenden Schulen sollen nach den Plänen lassen. Der jährlich stattfindende Wettbewerb wird vom gewerkschaftlichen der NRW-Regierungsparteien künftig ihr eigenes Handy, Tablet oder ihren Antirassismus-Verein „Mach‘ meinen Kumpel nicht an!“ ausgerufen. Prämiert Laptop im Unterricht einsetzen. Diesen Vorschlag zur Digitalisierung wird das kreative Engagement von Auszubildenden, Berufsschüler*innen und im Klassenzimmer machen sowohl die CDU-Landtagsfraktion als auch Gewerkschaftsjugenden für Demokratie, Vielfalt und Akzeptanz. Schirmherrin Schulministerin Yvonne Gebauer. Die GEW NRW warnt dagegen vor des diesjährigen Wettbewerbs war die Ministerpräsidentin von Mecklenburg- einer „digitalen Spaltung in den Klassenzimmern“. Alle Schüler*innen Vorpommern Manuela Schwesig. Der Sonderpreis der DGB-Jugend Nord müssten „unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern“ ein digitales End- ging an das Betriebliche BeratungsTeam Mecklenburg-Vorpommern (BBT) gerät mit gleichen Standards nutzen können, erklärte die stellvertretende für „Azubis on Tour“. Auszubildende besuchten Unternehmen und lernten GEW-Landesvorsitzende Maike Finnern. Der Vorschlag, dass Schüle- gelungene Beispiele zu Integration und Mitbestimmung kennen. Mehr r*innen ihr eigenes Gerät mitbringen sollten, „zeigt doch nur das Versagen unter www.gelbehand.de Die Gelbe Hand der Politik“. dpa Zahl der Privatschulen in NRW steigt In NRW besuchten im Schuljahr 2016 / 2017 insgesamt 210.010 Schüler*innen eine der 553 Privatschulen. Die Zahl der Schüler*innen ist im Vergleich zum Schuljahr 2009 / 2010 fast unverändert geblie- ben. Die Zahl der Schulen ist jedoch um 18,7 Prozent gestiegen von 466 auf 553. Unter den allgemeinbildenden Schulen sind die Grund- schulen, Realschulen und Gesamtschulen auffällig: Die Zahl der privaten Grundschulen stieg seit 2009 um fast 41 Prozent von 44 auf 62, die der privaten Realschulen um ein Viertel von 48 auf 60 und die der privaten Gesamtschulen sogar um 82,4 Prozent von 17 auf 31 Schulen. Mehr Zur Preisverleihung des Jugendwettbewerbs „Die Gelbe Hand“ 2017 / 2018 kamen unter tinyurl.com/zahl-privatschulen kue rund 100 Gäste ins Schweriner Schloss. Foto: Die Gelbe Hand
8 BILDUNG Marode Schulbauten Kommunaler Investitionsstau trifft NRW am härtesten Fotos: Jonathan Schöps, hydra / photocase.de Nordrhein-Westfalen investiert seit Jahren zu wenig in Schulgebäude. Die Folgen sind Während im Jahr 2002 noch fast 700 Millionen verrottende Schulen und massiver kommunaler Investitionsstau. Damit sich an der Situ- Euro in diesem Bereich investiert wurden, sind es ation schnell etwas ändert, müssen die Städte und Gemeinden unter anderem mit mehr 2016 nur noch 200 Millionen Euro. In den drei Personal ausgestattet werden. Eine Herkulesaufgabe für das bevölkerungsreichste Jahren davor wurde sogar dieser Wert deutlich Bundesland Deutschlands. unterschritten. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei der Zahlenreihe um nominale Größen Dass Deutschland ein ernsthaftes Problem Schulraum als „dritter Pädagoge“ – neben den handelt. Der Preisverfall ist nicht berücksichtigt. bei den öffentlichen Investitionen insbesondere Mitschüler*innen sowie den Lehrenden. Schulen Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auf kommunaler Ebene hat, ist mittlerweile eine und Klassenzimmer sollen flexibel nutzbar und ein Pro-Kopf-Vergleich der Schulbauinvestitionen weithin anerkannte Tatsache. Im Jahr 2017 hat individuell gestaltet sein – ein angenehmer unter den Flächenländern (siehe Abbildung). die KfW-Bank für die deutschen Kommunen ei- Raum, so die Erkenntnis in den nordischen Spitzenreiter ist sowohl im Jahr 2016 als auch im nen Investitionsstau in Höhe von 126 Milliarden Staaten, wirkt positiv auf das Lernklima und langjährigen Durchschnitt Bayern. Aktuell gibt Euro ermittelt. Davon entfallen 33 Milliarden die Konzentration der Schüler*innen. Bayern siebenmal so viel Geld im Bereich der Euro auf die Schulen. NRW dürfte – gemessen Verglichen damit ist der Zustand vieler Schulinfrastruktur aus wie Nordrhein-Westfalen an der seit der Jahrtausendwende besonders Schulen in Deutschland, insbesondere der in mit gerade einmal 90,- Euro pro Schüler*in. schlechten Investitionstätigkeit im Schulbereich – Nordrhein-Westfalen, mehr als ernüchternd. Den Durchschnittswert aller Flächenländer einen überproportional großen Anteil haben. Viele Schulgebäude sind in einem maroden unterschreitet NRW um mehr als 70 Prozent. Genaue Zahlen für die Bundesländer sind nicht und baufälligen Zustand. Die Benutzung der Auch längerfristig, zum Beispiel von 2000 bis verfügbar. Die Landesregierung ist aufgefordert, Toiletten ist häufig eine Zumutung und in 2016, war Nordrhein-Westfalen das Schlusslicht den konkreten Investitionsbedarf zu ermitteln. Zu vielen Schulen bröckelt der Putz buchstäblich unter den deutschen Flächenländern. Das Land erwarten ist in jedem Fall ein Wert, der zwischen von der Wand. Aktuelle Berichte aus NRW, die investiert ziemlich genau 50 Prozent weniger fünf und zehn Milliarden Euro liegt. Auch eine das belegen, sind leicht im Internet zu finden: als der Durchschnitt. Zahl im höheren zweistelligen Milliardenbereich „In Köln gibt es 296 Schulen. Viele davon be- Bund investiert in Projekte Öffentlich- wäre keine Überraschung. Wegen der in vielen finden sich in einem beklagenswerten Zustand.“ Privater Partnerschaft Kommunen prekären Finanzlage wurden seit „Mehr als jedes zweite Schulklo in Essen ist Angesichts der dargestellten Entwicklung 2015 gleich zwei Kommunalinvestitionsförder- marode.“ „Marode Schule: Gelderner Rektor scheint es zunächst begrüßenswert zu sein, dass programme im Umfang von bundesweit je 3,5 schlägt Alarm. Rektor klagt über Schimmel und der Bund Geld für die Sanierung von Schulen Milliarden Euro beschlossen. Ein wesentlicher schlechte Fluchtwege. Er will bei Unglücken bereitstellt. Dieses Geld könnte – so steht es in Teil des ersten Programms und das gesamte keine Verantwortung übernehmen.“ der Änderung des Kommunalinvestitionsförde- zweite Programm sind dabei der Schulinfra- Die Gründe für die besonders schlechte Lage rungsgesetzes – explizit auch zur Finanzierung struktur gewidmet. in NRW liegen auf der Hand: In dem Bundesland von Projekten in Öffentlich-Privater Partner- Moderne Klassenzimmer wirken positiv ist ein besonders starker Rückgang der kommu- schaft (ÖPP) genutzt werden. Im Unterschied auf das Lernklima nalen Investitionstätigkeit in den Kernhaushal- zu konventionellen öffentlichen Investitionen – Der Zustand gerade der Schulgebäude ten zu beobachten. Die Schulbauinvestitionen hier erbringen private Unternehmen nur die ist von besonderer Bedeutung für den Lern- als Teil dieser kommunalen Investitionsausgaben Bauleistung – sind im Rahmen von ÖPP private erfolg. In den skandinavischen Ländern gilt der weisen eine geradezu dramatische Abnahme auf. Akteur*innen bei der Planung, Ausführung
nds 4-2018 9 ausfallen. An konkreten Beispielen lässt sich nachzulesen ist, sei in den 20 Jahren von 1991 zeigen, dass Investitionen auf Basis von ÖPP bis 2010 deutschlandweit die Zahl der mit teurer ausfallen als konventionell durchgeführte Baufragen befassten Personen im öffentlichen öffentliche Investitionen: Im Bereich der Auto- Dienst der Kommunen um rund 35 Prozent bahnen lassen sich entsprechende negative gesunken. Die beiden Autoren Martin Gornig Beispiele finden – zuletzt bei der Erneuerung und Claus Michelsen schreiben, dass im darauf- der A 1 auf einer Länge von 73 Kilometern zwi- folgenden Zeitraum bis 2015 die Beschäftigten- schen Hamburg und Bremen. Lange galt dieses zahl noch einmal um annähernd zehn Prozent Projekt als Vorzeigemodell – bis im Sommer des zurückgegangen sei. vergangenen Jahres das Betreiberkonsortium Um das Problem der maroden Schulen zu A 1 Mobil das Bundesverkehrsministerium vor lösen, ist eine finanzielle Besserstellung der einer „existenzbedrohenden Situation“ warnte, Kommunen erforderlich – auch, um das für den zusätzliche Finanzmittel verlangte und eine Kla- Baubereich zuständige Personal auf der kom- ge über 640 Millionen Euro gegen die Bundes- munalen Ebene angemessen zu erhöhen. Kurz- republik einlegte. Das deutschlandweit größte fristig angelegte und zu gering dimensionierte ÖPP-Projekt im Schulbereich scheitert gerade Investitionsfördermaßnahmen eignen jedenfalls in Hessen im Landkreis Offenbach: Nach einer nicht, um den Investitionsstau aufzulösen. // Prüfung des Hessischen Rechnungshofs aus dem Jahr 2015 ist mit einer Kostensteigerung in Höhe von 367 Millionen Euro (47 Prozent) Dr. Kai Eicker-Wolf: Einstürzende Schul- und dem Betrieb der staatlichen Infrastruktur bis zum Jahr 2019 zu rechnen. PDF bauten in NRW involviert. Geworben wird mit einer höheren www.tinyurl.com/studie-schulbauten Effizienz und Effektivität von Privatunternehmen, Dauerhafte finanzielle Besserstellung Martin Gornig und Claus Michelsen: was ÖPP-Projekte insgesamt billiger mache. der Kommunen ist notwendig PDF Engpässe bei Planungs- und Baukapazi- täten bremsen Städte und Gemeinden aus Nachvollziehbar sind solche Argumente nicht, Dringend erforderlich ist eine dauerhafte Erhö- www.tinyurl.com/diw-bericht schließlich zielt jede unternehmerische Tätigkeit hung der Bauinvestitionen im Schulbereich – und Prof. Dr. Achim Truger, Martin Nees und darauf ab, einen Gewinn zu erwirtschaften. diese höheren Investitionen sollten konventionell PDF Dr. Kai Eicker-Wolf: Kommunalfinanz- Allein deshalb ist es zweifelhaft, dass ÖPP und nicht in Form von ÖPP erfolgen. Zwar sind bericht 2017 www.tinyurl.com/kommunalfinanzbericht wirtschaftlicher und kostengünstiger ausfal- die Investitionsmittel des Bundes hilfreich, aber www. Gute Schule 2020 len kann als die Finanzierung, Sanierung und sie werden definitiv nicht ausreichen, um das www.land.nrw/de/guteschule2020 Bewirtschaftung der öffentlichen Infrastruktur in bestehende Problem auch nur im Ansatz zu lösen. staatlicher Eigenregie. Zahlreiche Beteiligte wie Bedenklich ist es, dass bei den kommunalen Steuerberater*innen, Anlagevermittler*innen Investitionen trotz der Investitionsfördermaßnah- Dr. Kai Eicker-Wolf und Projektentwickler*innen verursachen un- men bisher keine Belebung auszumachen ist. Ein Ökonom und Politikwissenschaftler sowie Referent für finanzpolitische nötige Kosten. Zudem kommt es oft zu teuren Grund dafür scheinen Engpässe im personellen Fragen der GEW Hessen, zuständig und langwierigen Rechtsstreitigkeiten. Bereich zu sein: Wie im Wochenbericht 11 / 2017 für Wirtschaftspolitik beim DGB Ein weiteres gewichtiges Argument gegen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Hessen-Thüringen ÖPP sind die häufig intransparenten Entschei- dungsprozesse in den Parlamenten. Das liegt Schulbauinvestitionen der Kommunen in NRW von 1992 bis 2016 unter anderem daran, dass die Vertragswerke hochkomplex und enorm umfangreich sind. 7* *Milliarden Euro Außerdem unterliegen sie – wie bei allen pri- vatrechtlichen Vertragswerken – einer hohen Geheimhaltung. Infolgedessen und wegen der 5* Datenschutzbestimmungen wird das Parlament unzureichend informiert. Insofern sind eine demokratische Kontrolle und transparente öffentliche Diskussion über das Für und Wider 4* von ÖPP-Projekten nicht möglich. Nicht zuletzt führt die lange Vertragslaufzeit von bis zu 30 Jahren dazu, dass die Verträge 2* nicht alle im Laufe der Zeit auftretenden Even- tualitäten im Vorhinein regeln können. Damit sind häufig Nachverhandlungen erforderlich, die teuer sein können und unter Umständen 0* 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 mit Vereinbarungen verbunden sind, die für die öffentliche Hand nicht besonders günstig Quelle: Statistisches Bundesamt, 2017
10 BILDUNG Illustration: Angel Soler Gollon / shutterstock.com Politische Bildung im Bundesländervergleich Zwischen Abwertung und Anerkennung Schulen gehen mit politischer Bildung sehr unterschiedlich um: An einigen Schu- auf dessen Stundentafelquote. Die Quote misst len ist das Fach ein fester Bestandteil des Stundenplans, andere vernachlässigen das vorgegebene verpflichtende Zeitvolumen für es sträflich. Einen Anhaltspunkt, welche Relevanz das Fach im Unterricht hat, politische Bildung als Anteil an der gesamten bietet die Stundentafelquote. Nordrhein-Westfalen schneidet im Vergleich der Unterrichtszeit der Sekundarstufe I. Bundesländer gut ab. Bayern und Thüringen vernachlässigen politische Bildung im Unterricht Stundentafeln verkörpern Politik. Die Schul- Die sozialwissenschaftliche Domäne unter- fächer und ihre Wochenstunden zeigen in Zahlen, scheidet sich von Bundesland zu Bundesland, das Der Vergleich für die Sekundarstufe I des welche Domänen des Wissens und Könnens den Feld ist recht komplex. Für einen Ländervergleich Gymnasiums dokumentiert eine ziemlich klare politischen Akteur*innen wichtig sind. Das gilt benötigt man jedoch einen belastbaren und Rangordnung für die relative Relevanz der in auch für die politische Bildung, ihre Bedeutung in transparenten Indikator. Dafür eignet sich die einem Schulfach organisierten politischen Bil- einem Bildungsgang kann man vor allem an den Stundentafelquote. Sie misst den prozentualen dung. Man findet eine kleine Gruppe von Län- Stundentafeln ablesen. Wie ernst die Länder den Anteil eines Schulfachs an der Gesamtsumme der dern, die weit hinter dem Median zurückbleiben, Politikunterricht in der Sekundarstufe I nehmen, Kontingentstunden eines ganzen Bildungsgangs. ein breites Mittelfeld, einige recht ambitionierte belegt erstmals das „Ranking Politische Bildung Das Ranking reduziert die Vielfalt und Komple- Länder sowie eine Doppelspitze. Die Schluss- 2017“ der Universität Bielefeld im quantitativen xität der schulischen politischen Bildung auf das lichter Bayern und Thüringen liegen sehr weit Vergleich. Die Ergebnisse zeigen unerwartet dafür zuständige Schulfach (Leitfach), auf dessen unter dem Median, für politische Bildung bleibt große Unterschiede. obligatorische Stundentafelwochenstunden und dort vergleichsweise sehr wenig Zeit. Das dritt- schlechteste Bundesland ist Rheinland-Pfalz – im Vergleich bietet Bayern nur ein Drittel der Stundentafelquoten für politische Bildung in der Sekundarstufe I Wochenstundenanteile. Vom breiten Mittelfeld im Schulformdurchschnitt heben sich Bremen, Brandenburg, Niedersachsen Bayern 0,81 % und Nordrhein-Westfalen deutlich ab. Schleswig- Thüringen 1,28 % Holstein und Hessen schneiden im Länderver- Berlin 1,53 % gleich am besten ab. Mit Brandenburg findet Rheinland-Pfalz 1,67 % sich nur ein ostdeutsches Land in den Rängen Hamburg 2,03 % der Ambitionierten und der Spitzengruppe. Mecklenburg-Vorpommern 2,04 % Nimmt man die Klassenstufe, in der Politik- Sachsen 2,05 % unterricht beginnt, als zweiten Indikator hinzu, Sachsen-Anhalt 2,08 % bleiben Bayern und Thüringen auch hier auf den Median 2,23 % letzten Plätzen (Jahrgangsstufe 10 beziehungs- Baden-Württemberg 2,37 % Saarland 2,62 % weise 9). Nur das Saarland und Sachsen fangen Brandenburg 2,93 % vergleichsweise spät mit Politik im Unterricht Niedersachsen 3,01 % an. Bildungspolitisch zeigt das Ranking für das Bremen 3,06 % Gymnasium, dass die Bundesländer weit von Hessen 3,60 % einer gemeinsamen Vorstellung entfernt sind, Nordrhein-Westfalen 3,63 % welche Wertschätzung dem Leitfach der politi- Schleswig-Holstein 3,88 % schen Bildung in der gymnasialen Stundentafel Quelle: eigene Berechnung, Illustration: karetniy / shutterstock.com zukommen soll.
nds 4-2018 11 regierungen für die politische Bildung in Schulen sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Die poli- tische Bildung von Kindern und Jugendlichen in der Schule ist für Demokratie und Gesellschaft hochrelevant. Das weisen internationale Ver- gleichsstudien wie die „International Civic and Citizenship Education Study 2016“ nach – an der Deutschland mit Ausnahme von Nordrhein- Westfalen nicht teilgenommen hat. Bei 19 von 24 Ländern existiert ein statistisch signifikanter Foto: iStock.com / skynesher positiver Zusammenhang zwischen einem of- fenen Diskussionsklima im Unterricht und der erwarteten bürgerschaftlichen Partizipation. Diskussionsklima und Interesse der Lernenden an gesellschaftlichen und politischen Themen verstärken sich wechselseitig. Politisches Wissen aus dem Unterricht fördert gesellschaftlich- politisches Interesse, insbesondere bei Lernenden Nordrhein-Westfalen zählt schulform- die Stundenplanung der Schulen, nicht aber die mit niedrigerem sozioökonomischem Status. übergreifend zur Spitzengruppe Praxis der politischen Bildung wiedergeben. Sie Neben dem Politikunterricht kommt es auf Er- Für die gesamte Sekundarstufe I gehören können deren Qualität nicht erfassen. fahrungen echter und relevanter Mitbestimmung wieder Bayern, Thüringen und Rheinland-Pfalz Politikunterricht in der Schulpraxis ist in der demokratischen Schule an. zu den Schlechtesten, Berlin kommt hinzu (siehe abhängig von Lehrkräften Angesichts dieser belegten Zusammenhänge Abbildung). Unterdurchschnittlich bleiben Ham- ist die bildungspolitische Geringschätzung der In der Praxis entscheiden Schulleitungen burg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und über Platzierung und Stundenumfang von Schul- politischen Bildung höchst fahrlässig, sie ver- Sachsen-Anhalt. Das Mittelfeld bilden Baden- fächern in Stundenplänen. Fachkonferenzen nachlässigt die Sicherung der Grundlagen für Württemberg und das Saarland. Die Gruppe und Lehrkräfte bestimmen über die Umsetzung Demokratie in Politik und Gesellschaft. Eine der Ambitionierten besteht aus Brandenburg, von Lehrplänen in Unterricht. Damit kann es Bildungsgewerkschaft sollte deshalb nicht müde Niedersachsen und Bremen. Die Bundesländer mehrfach zu Diskrepanzen zwischen Vorgaben werden, hier einen Politikwechsel zugunsten Hessen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig- und Realität kommen. Das Leitfach kann also politischer Bildung und einer demokratischen Holstein bilden die Spitzengruppe bei den gar nicht, kürzer oder später als vorgesehen, mit Schule zu fordern. // Stundentafelquoten. abweichenden Inhalten oder von fachfremden Die Ergebnisse des Vergleichs kann man Lehrkräften unterrichtet werden. Das kommt als Hinweise auf Kulturen der politischen Bil- beim Fach „Politik“ sehr häufig vor, zum Beispiel Mahir Gökbudak, Prof. Dr. Reinhold dung in Schulen interpretieren. Die Kultur der in NRW. Auch scheint der fachspezifische Unter- Hedtke: Ranking Politische Bildung 2017 PDF Vernachlässigung – in Bayern und Thüringen richtsausfall überdurchschnittlich hoch zu sein. www.tinyurl.com/ranking-politik muss man wohl eher von Marginalisierung Wenn ein Land im Bundesvergleich relativ gut www. Mahir Gökbudak, Prof. Dr. Reinhold sprechen – bewertet das Leitfach der politischen Hedtke: Politische Bildung: 17 Minuten abschneidet, heißt das noch lange nicht, dass Politik, 20 Sekunden Redezeit (nds 2-2018) Bildung als deutlich weniger wichtig als andere die politische Bildung dort in der Schulpraxis gut www.tinyurl.com/politik-bildung Schulfächer. Gemessen an der Stundentafel- aufgestellt ist. Auch dafür sind Länderstudien Mahir Gökbudak, Prof. Dr. Reinhold quote praktiziert ein Viertel der Bundesländer notwendig. Bei den im Ranking nach Stunden- PDF Hedtke: Politische Bildung: 17 Minuten eine Vernachlässigungskultur. In der Kultur der tafelquoten vergleichsweise gut rangierenden Politik, 20 Sekunden Redezeit. Daten zum Politikunterricht in der Sekundarstufe I in Mittelmäßigkeit steht die politische Bildung Ländern kann die Realität durchaus deutlich bis Nordrhein-Westfalen im Ländervergleich weder gut noch schlecht dramatisch schlechter ausfallen. Das illustriert www.tinyurl.com/17-sekunden-politik da. Dagegen erhält die schulische politische der Fall Schleswig-Holstein. Die Stundentafel Bildung in der Anerkennungskultur, die in etwa definiert keine Mindeststundenzahl für „Welt- einem guten Drittel der Länder herrscht, deutlich Mahir Gökbudak kunde“ oder „Wirtschaft / Politik“. Die Schulen Lehrer im Hochschuldienst an der überdurchschnittliche Stundentafelanteile. können sogar entscheiden, das Fach gar nicht Fakultät für Soziologie der Universität Ob die Unterscheidung von drei Kulturen poli- auf den Stundenplan zu setzen. Dann kommt Bielefeld (AG „Didaktik der Sozialwis- tischer Bildung trägt, ob sie länderspezifisch oder politische Bildung nur in der Stundentafel senschaften“) nur zufällige Ergebnisse von Politik sind, müs- vor. Trotzdem bleibt der Stundentafelanteil sen Länderstudien zeigen. Stundentafelquoten ein bildungspolitisch hochrelevanter Indika- Prof. Dr. Reinhold Hedtke bieten einerseits Klarheit und Vergleichbarkeit. tor. Er belegt die relative Bedeutung, die die Professur für Wirtschaftssoziologie und Didaktik der Sozialwissenschaf- Andererseits haben sie den Nachteil, dass sie Bildungspolitik eines Landes dem Leitfach der ten an der Universität Bielefeld nur den kodifizierten bildungspolitischen Willen, politischen Bildung zumisst. Er weist nach, dass die in Ziffern gegossene normative Vorgabe für das bildungspolitische Engagement der Landes-
Foto: kallejipp / photocase.de 12 BILDUNG Sekundarschule Olpe kooperiert mit Uni Siegen Mathematik zum Anfassen Seit Beginn des Schuljahrs sind im Schüler. „Ich bin eure Gebrauchsanweisung“, sagt ein eigenes Gerät angeschafft. Sie setzt auf Matheunterricht an der Sekundar- Felicitas Pielsticker schmunzelnd und erklärt, Zukunftstechnologien, die den Schüler*innen schule in Olpe 3-D-Drucker im Einsatz. wie die Rechenbefehle eingegeben werden später in der Wirtschaft begegnen werden. Für Das Modellprojekt bringt spannende müssen. Sie begleitet den Matheunterricht der Schulleiterin Claudia Limper-Stracke geht es um Erkenntnisse – für Schüler*innen und Fachlehrerin und untersucht in ihrer Dissertation, die Integration neuer Medien in den Alltag. Ihr Wissenschaftler*innen. wie sich neue Medien sinnvoll in den Unterricht Credo: „Innovative Ansätze ermöglichen und einbinden lassen. Die Sekundarschule Olpe und offen sein für das, was möglich ist.“ Die Koo- Die Klasse sieht aus wie eine Mischung aus der Bereich Didaktik der Mathematik der Uni peration mit den Wissenschaftler*innen sieht Fernsehstudio und Versuchslabor: Kabel, Kame- Siegen kooperieren seit Beginn des Schuljahrs. sie als Bereicherung des Schullebens. „Das hat ras und kleine quaderförmige Geräte. Nebenan, Und die Schüler*innen? Die gehen voll mit. Neugier geweckt“, sagt sie. Und das nicht nur im Differenzierungsraum der Klasse 8 A, qualmen „Wir haben erst einmal erzählt, was wir vorha- bei den Schüler*innen. die Köpfe. Die Sekundarschüler*innen in Olpe ben. Die Schüler wollten sofort wissen, wie es Hochschule Siegen fördert den sind zugleich Testpersonen und Pionier*innen. funktioniert“, schildert die Doktorandin den Start Austausch mit Schulen Vier Schüler, die ihre Arbeitsaufgaben schon zu Beginn des Schuljahrs. „Die Begeisterung erledigt haben, versuchen eine Funktionsglei- Auf der anderen Seite freuen sich die hält seit Oktober an“, bilanziert sie und findet chung als 3-D-Modell darzustellen. Aus einem Wissenschaftler*innen, mit der Olper Schule es „spannend zu sehen, wie die Schüler sich eine aufgeschlossene Partnerin mit guter Aus- Strich im Koordinatensystem soll Mathematik entwickeln.“ Die Kameras in der Klasse, die die stattung und Lernatmosphäre zu haben. Hier zum Anfassen werden: ein gedruckter Graph. Diskussion und Arbeitsweise in der Klasse doku- können sie ihre Ideen in der Praxis testen und Mit neuen Medien, in diesem Fall 3-D-Druckern, mentieren, die Suche nach Lösungen festhalten, weiterentwickeln. Mit dem Projekt an der Se- will Mathelehrerin Birgitta Marx gemeinsam stören die Schüler*innen nicht. Die gehören für kundarschule will Mathedidaktiker Ingo Witzke mit Forscher*innen der Uni Siegen alten Stoff sie schon zum Alltag. Die Jugendlichen rücken feststellen, ob sich über einen längeren Zeitraum in neuer Form vermitteln. sie für die Aufzeichnung ihrer Lernschritte selbst etwas verändert. Auf einer Forschungsreise in Sekundarschule Olpe setzt auf Zukunfts- in die richtige Position. „Die Schüler haben es den USA hatte er gesehen, was man mit neuer technologien im Unterricht zu ihrem Projekt gemacht. Sie sehen sich als Technik machen könne. Über eine Studentin, die In Zweierteams tippen die Schüler Zahlen Experten für 3-D-Drucker“, sagt Felicitas Piel- in der Sekundarschule ihr Praktikum absolvierte, in den Computer. Nichts passiert. Was tun? sticker und lobt das Engagement: „Sie sehen und Mathelehrerin Birgitta Marx, war 2017 der Die Jungs diskutieren und probieren. „Macht an den Geräten, was technisch möglich ist und Kontakt nach Olpe zustande gekommen. Er mal die Werte größer“, rät Felicitas Pielsticker, probieren es aus.“ Dabei decken auch sie Fehler mündete schnell und pragmatisch – wie alle die Doktorandin an der Uni Siegen ist. Der auf. „Die Programme sind noch nicht perfekt, Beteiligten betonen – in dem 3-D-Drucker-Projekt. Graph taucht jetzt über einem kleinen Winkel die Schüler finden die Lücken“, beobachtet Der Hochschullehrer sieht die Kooperation, als gelbe Linie auf dem Bildschirm auf. Fast Projektleiter Prof. Dr. Ingo Witzke bei seinen die über das derzeitige Projekt hinausgehen soll, geschafft. Jetzt müssen nur noch die Daten Unterrichtsbesuchen. als gute Möglichkeit, „Kontakte in die Schule zu für den 3-D-Drucker aufbereitet werden. „Wo Zwei Drucker haben die Forscher*innen aus bekommen“. Das fördere den Austausch und sei ist die Gebrauchsanweisung?“, fragt einer der Siegen mitgebracht. Die Schule hat inzwischen auch gut für die Schüler*innen, die von neuen
nds 4-2018 13 Erkenntnissen profitieren könnten. „Die Idee, dass man etwas produziert, fasziniert immer Nachgefragt Das Projekt war darauf ausgerichtet, einen Mehr- wert hinsichtlich der mathematischen Wissens- noch“, sagt Ingo Witzke. Mit dem ausgedruck- entwicklung zu erzielen. Die Arbeit mit den ten Graphen halte man das Wissen quasi in Schüler*innen führt auch zum Austausch über ihr Prof. Dr. Ingo Witzke Mediennutzungsverhalten. Dabei zeigt sich häu- Händen. Bisher seien Funktionen in Büchern Projektleiter und geschäftsfüh- fig ein mangelndes Bewusstsein für Datenschutz nur als Bild zu sehen. Was über verschiedene render Direktor des Instituts für oder Werbung im Netz. Die Arbeit mit dem neuen Kanäle erfasst wird, bleibt auch besser hängen, Mathematikdidaktik an der Uni Medium schafft eine Vielzahl von Anlässen dafür, verweist der Wissenschaftler auf lerntheore- Siegen mit den Kindern an realistischen Anwendungssze- tische Erkenntnisse. Dabei sei die neue Methode narien über den kritischen Umgang mit digitalen nds: Den Sekundarschüler*innen macht die Ar- Medien zu sprechen und sie für die Gefahren zu nicht nur etwas für Computerfreaks. Profitieren beit mit dem 3-D-Drucker offenbar Spaß. Bleibt sensibilisieren. könnten Kinder, die haptisch veranlagt sind. dadurch mehr Wissen hängen? Der Aufwand bei dem Projekt an der Sekundar- Auch Förderschüler*innen erhielten unbelastet Ingo Witzke: Indikatoren wie Lerntagebücher der schule in Olpe ist groß – technisch, logistisch und einen neuen Zugang zur Mathematik, weil es Schüler*innen, Klassenarbeiten und Lernstanderhe- personell. Wie können Schulen das umsetzen? bungen weisen in die richtige Richtung. Begrifflich auch für sie ein Neustart sei. Das ist ein wichtiger Punkt, wobei wir von Anfang erscheinen uns die Kinder weiter als Schüler*innen Schulleiterin Claudia Limper-Stracke sieht gleicher Schulstufen. Zudem stellen wir ein hohes an die Übertragbarkeit auf andere Schulen im Blick das Projekt zudem als einen Mosaikstein, die Maß an Motivation für das Fach Mathematik fest. hatten. Den anfangs hohen Aufwand zur Unter- Der Unterricht ist weniger kalkülorientiert und mehr stützung haben wir sukzessive zurückgefahren. Wir Schüler*innen auf ihr späteres Berufsleben beobachten, wie die Lehrerin das Thema mit der auf begrifflich-inhaltliches fokussiert. Das scheint vorzubereiten. In den südwestfälischen Indus- Klasse nun weitgehend selbstständig mit großem allen Beteiligten viel Spaß zu machen und führt triebetrieben hat die Digitalisierung längst nach unserer Einschätzung zu einem tiefen, tragfä- Erfolg bearbeitet. Man braucht eine an aktuellen Einzug gehalten. Mit den 3-D-Druckern will higen mathematischen Verständnis. Lehr- und Lernfeldern interessierte Lehrkraft, die be- reit ist, sich in das neue Thema einzuarbeiten und die Sekundarschule die neuen Medien in den Wo liegt der Kompetenzgewinn für die Schüle- fortzubilden, technischen Support an der Schule Unterricht integrieren. Auch wenn der Umgang r*innen, auch mit Blick auf die Herausforde- und finanzielle Mittel, um Schulen mit neuer Tech- mit dem 3-D-Drucker Neugier über die Klasse rungen der Digitalisierung? nik ausstatten zu können. hinaus geweckt hat, kommt es ihr auf Nach- haltigkeit an. Mit kooperierenden Firmen auf praxisorientierte Anleitungen für Fachkräfte mehr Spaß“. Elisa, 14 Jahre alt, findet „es viel diesem Weg weiterzugehen, könnte sie sich an Schulen und Hochschulen vorliegen. Ingo interessanter und einen Ansporn, Aufgaben als nächsten Schritt vorstellen. Wichtig ist ihr Witzke: „Die Idee ist, dass Studierende eng schneller und sorgfältiger zu erledigen“. Und zudem, dass die Eltern sehen, „dass ihre Schüler begleitet durch uns didaktisch sinnvolle und „weil man mit dem Druck etwas in der Hand hat, gut gefördert werden“. bedarfsgerechte Unterrichtseinheiten entwickeln, kann man sich die Sache besser vorstellen“. Fach- Für Wissenschaftler Ingo Witzke ist die Inte- die dann in Schulen eingesetzt und beforscht lehrerin Birgitta Marx, die ihre Schüler*innen gration der neuen Technik in den Unterricht die für die MINT-Fächer begeistern will, sieht das Herausforderung. Nur schnelles Internet und der werden.“ Aufschluss darüber, was mit den Dru- Projekt auf einem guten Weg: „Die Schüler sind Ruf nach Digitalisierung reichen ihm nicht. Es ckern möglich ist, soll das Projekt in Olpe geben. sehr konzentriert“, bilanziert sie ein halbes Jahr brauche für den Umgang mit neuen Medien Schüler*innen sind motivierter und nach Einführung des neuen Unterrichts. Die auch Konzepte. Das gelte für Smartboards in verbessern ihre Noten Sekundarschüler*innen arbeiten selbstständig den Klassen ebenso wie für die neuen Dru- Für den 13-jährigen Timo ist es eine „inte- an Aufgaben „und sind ganz stolz auf ihre Ergeb- cker. Fortbildungsangebote für Lehrkräfte und ressante Abwechslung. Man hat gedrucktes nisse“. Die Unterrichtsvorbereitung sei einerseits Seminare für Mathematikstudent*innen sind schon aufwendig, sagt sie. Andererseits hat sie bereits terminiert und finden noch in diesem Material, das veranschaulicht“. Für ihn ist klar, aber „nie so oft im Unterricht gehört, dass es Jahr Eingang in das Lehrangebot. 2019 sollen Mathe mit dem 3-D-Drucker „macht sehr viel Spaß macht“. Die neue Lust am alten Fach wirkt sich auch leistungssteigernd aus. Im Schnitt um eine Notenstufe haben sich die Schüler*innen der 8 A im ersten Halbjahr verbessert. // www. Universität Siegen: MINTUS-digital www.tinyurl.com/digital-mint www. Sekundarschule Olpe www.sekundarschule-olpe.de Rüdiger Kahlke freier Journalist Der 3-D-Drucker begeistert die Schüler*innen an der Sekundarschule in Olpe. Das Gerät verwandelt komplexe Rech- nungen in dreidimensionale Gebilde. Fotos: R. Kahlke
Foto: mosaiko / photocase.de 14 BILDUNG Gesetzentwurf zu G9 Koalitionsvertrag weichgespült G8 oder G9? Vor dieser Frage stehen nun viele Gymnasien in NRW. Im Gesetz- Neu im Gesetzentwurf der Landesregierung entwurf stehen aus Sicht der GEW NRW viele richtige Entscheidungen. Deshalb ist der Vorschlag, das Schulgesetz in § 52 so sollten Schulleiter*innen und -träger*innen aufpassen und die versteckten zu ändern, dass es die Möglichkeit gibt, in der Angebote der Landesregierung nutzen. Ausbildungs- und Prüfungsordnung die „Verset- zung und die Vorversetzung einschließlich der Wer die Wahlkampfaussagen von CDU und Abkopplung des Gymnasiums Bildung besonderer Lerngruppen“ zu regeln. In FDP, den NRW-Koalitionsvertrag, den Referen- weitgehend beendet dem Papier der neun Verbände wurde die Ein- tenentwurf für das G9-Gesetz und den jetzt Die nun gescheiterte schwarz-gelbe Vari- richtung einer institutionalisierten Überholspur diskutierten Gesetzentwurf der Landesregierung ante der Schulzeitverkürzung aus dem Jahr im neuen G9-Gymnasium gefordert. Hier gilt es miteinander vergleicht, stellt fest: Sinnvoll wa- 2006 koppelte das Gymnasium durch eine fünf- jetzt, für eine gute Ausgestaltung einzutreten. ren die G8-Option und die Wahlmöglichkeit jährige Sekundarstufe I nur am Gymnasium Dann ist G8 zur Profilbildung obsolet. für Gymnasien nie. Politisch gewollt sind sie von den anderen Schulformen ab. Unsinnig, Schlechte Vorgaben gut umgesetzt offenbar auch nicht mehr. Schulträger*innen aber nicht selten begrüßt von denjenigen, die Man könnte nun in der Schmollecke stehen und Schulkonferenzen sollten deshalb genau ein Alleinstellungsmerkmal des Gymnasiums bleiben: Das Optionsmodell ist nicht völlig vom lesen, bevor sie sich für eins der beiden Modelle für zwingend nötig halten. In den zentralen Tisch. Auf Jahre hinaus werden zwei Subtypen mit entscheiden. Fragen der Stundentafel, des Beginns der zweiten eigenen Richtlinien und Lehrplänen existieren. Natürlich muss es aus Sicht der GEW NRW bei Fremdsprache, der Abschlüsse in Klasse 10 und Immer wieder wird es Aufregung geben, wenn der grundsätzlichen Kritik bleiben: Die G8-Option des Verfahrens am Ende der Klasse 10, das eine eine Umwandlung oder gar eine (private) Neu- und die Wahlmöglichkeit sind schulpolitisch Prüfung mit landeseinheitlichen Aufgaben für gründung ansteht. Kann man machen. falsch. Die Kritik, die die Bildungsgewerkschaft alle vorsieht, wird das neunjährige Gymnasium Es scheint jedoch klüger zu sein, die Mög- gemeinsam mit zwei kommunalen Spitzenverbän- künftig den anderen Schulformen der Sekun- lichkeiten offensiv zu nutzen, die die Landes- den, den beiden Direktorenvereinigungen, der darstufe I weitgehend gleichgestellt. Gut so. regierung bieten will, um G8-Gymnasien zu Landeselternkonferenz, der Landeselternschaft Die Landesregierung möchte es offenbar vermeiden. Sei es durch die Handlungsmög- der Gymnasien sowie dem VBE NRW und dem Schulträger*innen leichter machen, Beschlüsse lichkeiten für Schulträger*innen oder durch DGB NRW im Dezember 2017 formuliert hat, von Gymnasien, bei G8 zu bleiben, nicht umzu- eine kluge Ausgestaltung der Überholspur. ist nach wie vor richtig. Alle treten für eine kon- setzen. War im Referentenentwurf noch davon Das Fazit lautet: Der Gesetzentwurf spült den sequente Wiedereinführung der neunjährigen die Rede, dass Schulträger*innen nur in Aus- Koalitionsvertrag weich. Mehr war bei den partei- Gymnasialzeit in NRW ein. Deshalb lehnen sie die nahmefällen zwingende Gründe der Schulent- politischen Vorgaben wohl nicht drin. Nun muss wicklungsplanung anführen können, die der die NRW-Landesregierung nur noch zu ihrem Möglichkeit zum Verbleib im bisherigen System Umsetzung entgegenstehen, ist nun schlicht Versprechen stehen, Mustercurricula zu erarbei- ebenso ab wie die Option zur Neugründung formuliert: „Der Schulträger kann entscheiden, ten, damit nicht an jeder Schule das Rad neu von G8-Gymnasien oder die Idee zum späteren dass dem Beschluss der Schulkonferenz Gründe erfunden werden muss. // Systemwechsel. der Schulentwicklungsplanung entgegenstehen.“ Zu einer grundsätzlichen Kehrtwende und der Abkehr vom Optionsmodell hat die Kraft Überholspur ist möglich der Landesregierung offenbar gefehlt. Ärgerlich Zu hoffen ist, dass die Kollegien der wenigen Michael Schulte ist auch, dass sie nahezu starrsinnig auf den Gymnasien, die zum Beispiel aus Gründen der Geschäftsführer der GEW NRW Punkt beharrt, dass das Halbtagsgymnasium Profilbildung derzeit erwägen, bei G8 zu bleiben, (wieder) möglich sein müsse. Das werden die sehr genau lesen, was nun zur Schulzeitverkür- Eltern schon richten. zung im neunjährigen Gymnasium geplant ist.
LESER*INNENBRIEFE nds 4-2018 15 11/12-2017 1-2018 Betr.: nds 1-2018, OGS – Mehr Geld Arbeiten und Studieren an der FH Philosophieren in der Grundschule Im Gespräch: Aladin El-Mafaalani Kein Podium für Faschismus Ideen für die Bildungsregion Ruhr Klassenräume inklusiv gestalten Gewerkschaftsarbeit in den USA Konsequent zu G9 zurückkehren! Medienpass NRW: Was ist neu? Tarifrunde: Es geht um unser Geld! Über die „notwendige Rhythmisierung des Vor- und Nachmittagsbe- DIE ZEITSCHRIFT DER BILDUNGSGEWERKSCHAFT A 13 Z für alle endlich umsetzen! DIE ZEITSCHRIFT DER BILDUNGSGEWERKSCHAFT GEW NRW gegen Lehrkräftemangel reiches“, die in der Nachricht „OGS – Mehr Geld“ postuliert wird, kann ich nur staunen. In vielen beruflichen Bereichen reden wir von Flexibilisierung der Arbeitszeit und des Arbeitsorts, aber Kinder sollen bitte mit sechs Jahren mindestens sieben Stunden täglich in großen Gruppen beschäftigt sein. 69. Jahrgang November / Dezember 2017 ISSN 0720-9673 Als Mutter eines siebenjährigen Sohns kann ich die Haltung der GEW 70. Jahrgang Januar 2018 ISSN 0720-9673 NRW bezüglich der flexibleren OGS-Zeiten nicht teilen. Für mich sollte Digitalisierung in Schule? Für neue Aussichten: eine Bildungsgewerkschaft auch diejenigen Familien vertreten, die Zweiter Bildungsweg. Aber sicher! Betreuung in Anspruch nehmen, aber auch ihre Freizeit selber gestalten K 5141 K 5141 wollen. Unser Sohn spielt noch sehr frei. Er muss bis 15 Uhr in der OGS bleiben. Leider ist er dann aufgrund seiner individuellen Situation fast nie mit den Hausaufgaben fertig. Er muss also, wenn wir um 15.30 Uhr zu Hause sind, noch 30 Minuten Hausaufgaben machen.Neben kleinen anderen Pflichten bleiben ihm noch etwas mehr als ZWEI Stunden Freizeit zum selbstbestimmten Spiel bis zum Abendbrot. Diese Zeit finde ich für Betr.: nds 11/12-2017, Streikrecht für Beamt*innen – einen Siebenjährigen knapp bemessen. Ach ja, wenn eine AG oder Sport Gerichtliche Auseinandersetzung geht weiter ansteht, reduziert sich diese freie Zeit auf EINE Stunde am Tag. Im Hort Immer wieder propagiert die GEW in ihren Publikationsorganen das früher gab es auch Strukturen – obwohl die Kinder individuell abgeholt Streikrecht für Lehrkräfte unter Berufung auf einen Spruch des Europäischen werden konnten, wenn es für die Familie günstig war! Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Ich vermisse hier dringend eine Wem dient die Haltung der GEW NRW? Familienorientiert ist sie nicht! ausgewogene Information in der nds, die die Nachteile eines solchen Die pädagogischen Konzepte sollten sich den Bedürfnissen der Familien Rechts auch einmal klar benennt. So verschweigt die GEW wesentliche anpassen, nicht umgekehrt. Regina Köhler Passagen aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2014 (Aktenzeichen: 2C 1.13) – warum eigentlich? In diesem Urteil werden mögliche Folgen einer Statusdifferenzierung zwischen Beamt*innen im hoheitlichen Bereich – zum Beispiel Polizist*innen ohne Streikrecht – und im nicht hoheitlichen Bereich – Lehrer*innen mit Streikrecht – angedeutet. Das wären: Änderungen günstiger Regelungen im Besoldungsbereich, Betr.: nds 1-2018, Gewerkschaftstag 2017 – Lehrkräftemangel die Aufgabe oder Einschränkung des lebenslangen Alimentationsprinzips in NRW – Sozial selektiv und bildungsfeindlich oder – falls der Gesetzgeber nicht zwischen „vollwertigen“ hoheitlichen Wenn der Autor in diesem Artikel ausführt, dass der Lehrkräftemangel und „minderwertigen“ nicht hoheitlichen Beamt*innen unterscheiden zunehmend die Bildungsqualität in Nordrhein-Westfalen bedrohe und will – die zukünftige Einstellung von Lehrkräften ausschließlich als Ta- zudem die soziale Ungleichheit an den Schulen verstärke, dann „springt“ rifbeschäftigte. Wer will das? er deutlich zu kurz. Die GEW vermittelt den völlig absurden Eindruck, dass die Vorteile Im schulscharfen Lehrkräfteeinstellungsverfahren findet der Mangel an der Beamt*innen beim Kündigungsschutz, bei der Besoldung, bei der Lehrkräften seine Manifestation. Während auf manche Stellenausschrei- Krankenversicherung und bei der Versorgung erhalten bleiben können und bungen bis zu 60 und mehr Bewerbungen eingehen, laufen andere Stellen sie im Bereich der dann nicht mehr voll hoheitlichen Schulbeamt*innen leer und dies mehrfach hintereinander. Es heißt dann, der Lehrkräftemarkt sogar noch durch ein Streikrecht ausgeweitet werden könnten. Das ist sei leer gefegt. Diese Formulierung verweist auf einen weitergehenden Desinformation. Das ist sogar irre. Diese Entwicklung ist beim Erstreiten Ansatz zur Analyse der Situation. eines Streikrechts durch das oben genannte Urteil vorhersehbar und Seit Mitte der 1990er Jahre wurde im Rahmen der zunehmenden es ist mit den Interessen der werdenden und der bereits verbeamteten Ökonomisierung der Bildung mit dem Personalmanagement ein weiteres Lehrkräfte unvereinbar. Es gibt nur zwei Parteien, die von diesem GEW- Steuerungsinstrument im Schulbereich etabliert. Durch das schulscharfe Projekt profitieren: Lehrkräfteeinstellungsverfahren ist ein (Quasi-)Arbeitsmarkt für Lehrkräfte Erstens: die GEW, da es dann entweder mehr tarifbeschäftigte Lehrkräfte entstanden. Die dort wirkenden Mechanismen führten auch ohne eklatanten gibt oder mehr verbeamtete Lehrkräfte im weniger abgesicherten Status Lehrkräftemangel schon immer dazu, dass vor allem Haupt- und Realschulen, des „nicht hoheitlichen Beamt*innen“. Das erhöht den potenziellen Mit- teilweise Gesamtschulen und nun auch Sekundarschulen Schwierigkeiten gliederpool beträchtlich. Je schwächer die Position der Arbeitnehmer*innen hatten, Lehrkräfte über das Auswahlverfahren einzustellen. Schul- ist, desto mehr brauchen sie eine „Interessenvertretung“. formen wie das Gymnasium, die in den Augen vieler Bewerber*innen Zweitens: die Arbeitgeber*innen. Denn wenn sie eine Möglichkeit attraktiv sind, haben hier weitaus geringere Probleme. Bewerber*innen finden, beamtete Lehrkräfte in einen nicht mehr voll hoheitlichen Status bevorzugen „gute“ Schulen einer „attraktiven“ Schulform an einem zu überführen und dafür zum Beispiel den Versorgungssatz für Pensionen ebensolchen Standort. Wer hier Abhilfe schaffen will, muss nicht nur etwas absenken – es muss ja nicht gleich der Satz der gesetzlichen Rente „die Aussetzung des sogenannten schulscharfen Einstellungsverfahrens sein –, werden sie sicher nicht zögern. Das wäre ein toller Beitrag zur für Grundschulen zunächst befristet auf drei Jahre“ fordern, sondern das Lösung von Versorgungsproblemen durch den demografischen Wandel. Verfahren – verstanden als Baustein der Ökonomisierung der Bildung – Und wer hat dafür gesorgt? Die GEW. Herbert Sommerfeld grundsätzlich infrage stellen. Norbert Arnold
Sie können auch lesen