Trendletter - Mensch im Mittelpunkt 1/2013 - Prognos AG
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Basel · Berlin · Bremen · Brüssel Düsseldorf · München · Stuttgart 1/2013 ISSN 1023-8158, 24. Jahrgang trendletter Mensch im Mittelpunkt Impulse für Bildung, Integration & Partizipation
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Editorial Mensch im Mittelpunkt Die Erschließung von Potenzialen setzt aber auch Investitionen voraus. Dies wird Schwerpunkt am Beispiel der Ganztagsschulen deutlich (S. 8–9). Ein qualitativ hochwertiges Ganz- Arbeitslandschaft 2035 4–5 tagsangebot verbessert das Bildungsniveau und die Teilhabechancen von jungen Er- Mütter mit Migrationshintergrund – wachsenen. Am Beispiel von Nordrhein- Erwerbsintegration sichern 6 Westfalen wird die Kosten-Nutzen-Relation in einer Gesamtperspektive aufgefächert. Mehr Selbstbestimmung Der potenzialorientierte Blick bringt auch in der Eingliederungshilfe 7 für die Forschung selbst neue Erkenntnis- möglichkeiten. Die Studienserie Juvenir ist Ausbau der Ganztagsschule: Wer hat eine Forschung im Dialog mit der Jugend den Nutzen, wer trägt die Kosten? 8–9 – mit durchaus unerwarteten Ergebnissen (S. 10–11): Dank der Neuen Medien kön- Studienserie Juvenir – Forschung nen die Jugendlichen direkt in die sie im Dialog mit der Jugend 10–11 betreffenden Fragen einbezogen werden, was ihrer Perspektive im gesellschaftlichen Diskurs zugleich Gehör verschafft. Ein lebendiges und vor allem zukunftsfä- Neben dem Schwerpunkt Mensch im Wirtschaftspolitik higes Gemeinwesen lebt von Teilhabe. Auf- Mittelpunkt – Impulse für Bildung, Inte- Innovative Finanzierungsinstrumente gabe der Politik ist es, dort Hindernisse aus gration & Partizipation finden Sie natürlich für die Kultur- und Kreativwirtschaft 12 dem Weg zu räumen, wo sie die Menschen auch in diesem trendletter wieder weitere an einer aktiven Gestaltung ihres Leben- interessante Beiträge. Zum Beispiel zu den Innovationspolitik sumfeldes hindern. Im Mittelpunkt dieses Themen Wirtschaft, Innovation und Ver- Technik ist nicht gleich Technik – trendletters stehen daher wichtige Ansatz- kehr sowie zur Energie- und Umweltpolitik. Deutschland zeigt sich skeptisch 13 punkte für mehr Partizipation: Bildung und Zusätzlich möchten wir Ihnen unsere Ausbildung, Arbeit, Integration und gesell- neue Rubrik „Standpunkt“ (S. 19) vorstel- Umweltpolitik schaftliche Teilhabe. len. Dr. Michael Böhmer, verantwortlich für Ist Ihr Unternehmen fit Die Daten zum Arbeitsmarkt verdeutli- den Bereich Wirtschaftspolitik & Globali- für den Klimawandel? 14 chen die Herausforderungen für die näch- sierung, kommentiert hier das Thema „Min- sten Jahre (S. 4–5). Wenn keine geeigneten destlohn und Armutsvermeidung: einfache Energiepolitik Gegenmaßnahmen eingeleitet werden, Instrumente, einfache Zielgrößen?“. Stromversorgung der Schweiz: Inte- droht Deutschland im Jahr 2035 ein Ar- Richten wir also gemeinsam den Blick gration fluktuierender Erneuerbarer 15 beitskräftemangel von 4 Mio. Personen. auf die Bedingungen, die notwendig sind, Dabei rücken Menschen mit einer Lehre um die vorhandenen Potenziale der Men- Verkehrspolitik bzw. einer Meister-/Technikerausbildung schen nicht zu verschenken. Veloverkehr in der Schweiz – stärker in den Fokus. Für die Zukunft gilt Zählungen, Nutzen, Potenziale 16 es, die berufliche Ausbildung zu stärken. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine Eine arbeitsmarktrelevante Gruppe sind spannende Lektüre und freue mich auf eine Thüringen – die Chancen die in Deutschland lebenden Menschen mit anregende Diskussion. der besseren Erreichbarkeit nutzen 17 Migrationshintergrund und unter ihnen insbesondere Mütter (S. 6). Die Erwerbs- Ressourcenpolitik potenziale dieser Gruppe zu erschließen Nachhaltiges Gesamtkonzept ist nicht nur unter arbeitsmarktpolitischen der Abfallentsorgung in München 18 Gesichtspunkten wichtig, sondern es geht auch um Teilhabe und Integration der Christian Böllhoff Standpunkt Frauen und ihrer Kinder. christian.boellhoff@prognos.com Mindestlohn und Armutsvermeidung: Das Persönliche Budget für Menschen einfache Instrumente, einfache mit Behinderungen ermöglicht es den Nut- Zielgrößen? 19 zerinnen und Nutzern, Unterstützungsleis- tungen entsprechend den eigenen Parti- Meldungen / Impressum 20 zipationszielen auszuwählen (S. 7). Es ist ein wichtiges Instrument zur Stärkung von Selbstbestimmung und Eigenverantwor- tung. Bei steigender Inanspruchnahme bie- tet es die Chance, die Eingliederungshilfe im Sinne des SGB IX und der UN-Behinder- tenrechtskonvention weiterzuentwickeln. Prognos trendletter 1 / 2013 3
Arbeitslandschaft 2035 Die neue Prognose zeigt, dass der deutsche Arbeitsmarkt auf zukünftige Anforderungen reagieren kann. Es ist bereits viel erreicht worden. Mit einem stärkeren Fokus auf der beruflichen Ausbildung gilt es, weiter aktiv zu bleiben. A rbeitsmarktstudien behalten ihre Relevanz nur dadurch, dass man sie in regelmäßigen Abständen hinsichtlich der Daten, der qualitativen Einschätzungen und des verwendeten Instrumen- schnittlichen Produktivitätszuwächse, sodass der Beschäftigungs- aufbau allein hier stattfindet. tariums aktualisiert. Die zentralen Ergebnisse der neuen Arbeits- Wer wird zukünftig produzieren? Der wirtschaftliche Struktur- landschaft 2035 – eine Studie, die Prognos bereits zum dritten wandel beeinflusst im Wesentlichen, was künftig produziert wird, Mal im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. und prägt damit neben der Produktionsstruktur die Nachfrage nach (vbw) erstellt hat – unterscheiden sich zum Teil deutlich von den Arbeitskräften. Zugleich ändert sich aber auch das Angebot an Ergebnissen der vorherigen Arbeitslandschaften. Dies ist einerseits Arbeitskräften im Zeitablauf. Die Verfügbarkeit und die Zusam- der aktuelleren statistischen Grundlage geschuldet, andererseits mensetzung des Arbeitskräfteangebots haben einen maßgeblichen aber auch ein Zeichen dafür, dass im Kampf gegen den drohenden Einfluss auf die Produktion der Zukunft. Arbeitskräftemangel bereits einiges erreicht worden ist. Kurz- und Infolge des demografischen Wandels verringert sich die Zahl mittelfristig wirkt zudem die notwendige Konsolidierung der Staats- der Einwohner Deutschlands zwischen den Jahren 2011 und 2035 finanzen in vielen Industrieländern mit entsprechend geringerem um rund 3,4 Mio. Bei der für den Arbeitsmarkt entscheidenden weltwirtschaftlichem Wachstum dämpfend auf die Arbeitskräf- Altersgruppe (zwischen 20 und 65 Jahren) beträgt der Rückgang telücke in Deutschland. Aufgrund der deutschen Wirtschaftsstruk- sogar 8,6 Mio. Personen. Die Veränderungen im Altersaufbau der tur und der demografischen Entwicklung in unserem Land wird der Fachkräftebedarf aber langfristig bestehen bleiben. Tätigkeitsstruktur 2011 bis 2035 100% Was wird produziert? Grundsätzlich füh- 90% 20.9% 21.5% 22.1% 22.6% 23.3% 23.7% ren die Globalisierung und der mit ihr ver- 80% bundene strukturelle Wandel dazu, dass 70% 22.7% 22.8% 22.7% 22.7% 22.7% sich die Nachfrage nach Arbeitskräften in 22.8% 60% Deutschland bis zum Jahr 2035 verändern 50% wird. Anteilsmäßig gewinnt der Dienstleis- 40% 35.6% 35.6% 35.6% tungssektor, während die Industrie zwar 35.5% 35.4% 35.3% Anteile an der gesamtwirtschaftlichen 30% Bruttowertschöpfung verliert, absolut je- 20% doch weiterhin Wertschöpfungszuwächse 10% 20.9% 20.1% 19.6% 19.1% 18.6% 18.1% verzeichnen wird. 0% 2011 2030 2035 2015 2020 2025 Kurz- und mittelfristig wird die Ver- schärfung der Staatsschuldenkrise die Wissensbasierte Tätigkeiten Verwaltende und organisatorische Tätigkeiten Wirtschaftsentwicklung stark beeinflus- Primäre Dienstleistungstätigkeiten Produktionsnahe Tätigkeiten © Prognos AG 2012 sen. Der Konsolidierungszwang hemmt das Wirtschaftswachstum der Industrieländer und schränkt zudem ihre finanz- und wirtschaftspolitischen Spiel- Bevölkerung haben weitere Konsequenzen: Während im Jahr 2011 räume merklich ein. Entsprechend trifft der aktuelle Nachfrage- noch 61,1 % der Bevölkerung zwischen 20 und 65 Jahren waren, rückgang aus den Industrieländern Deutschland als exportstarke so werden es im Jahr 2035 nur noch 53,8 % sein. Die Bevölke- Volkswirtschaft deutlich und hat zur Folge, dass das deutsche Wirt- rungsentwicklung fungiert als natürliche Grenze und führt dazu, schaftswachstum in den kommenden Jahren zunächst spürbar zu- dass das Angebot an Arbeitskräften über alle Fachrichtungen und rückgeht. Tätigkeitsbereiche hinweg zurückgeht. Zumindest dann, wenn man Von der anschließenden Erholung profitiert Deutschland jedoch annimmt, dass sich die strukturellen Bestimmungsfaktoren auf in besonderem Maße, sodass die langfristige wirtschaftliche Ent- dem Arbeitsmarkt nur sehr langsam verändern. Dazu zählen bei- wicklung deutlich positiver verläuft, als in der kurzen Frist ange- spielsweise das Bildungsverhalten, die Erwerbsbeteiligung oder die nommen. Im Zeitraum bis 2035 wird die deutsche Wirtschaft um Flexibilität der Erwerbstätigen. durchschnittlich 1,1 % pro Jahr wachsen. Der Außenbeitrag bleibt mit durchschnittlich 33 % weiterhin eine wichtige Stütze des deut- Wie wird zukünftig produziert? Die spezifischen Bedarfe an Ar- schen Wachstums. Die deutsche Industrie kann ihr Exportvolumen beitsleistungen werden von den Unternehmen und den Betrieben bis zum Jahr 2035 mehr als verdoppeln. selbst festgelegt und können branchen- oder gar betriebsspezifisch Trotz des – auch im internationalen Vergleich – überdurch- ganz unterschiedlich ausfallen. Erst auf dieser dezentralen Ebene schnittlich starken sekundären Sektors entsteht das Gros der deut- wird es möglich, die Arbeitskräftenachfrage zu spezifizieren und in schen Bruttowertschöpfung im Dienstleistungssektor. Hier entwi- ihrer Struktur nach räumlichen, fachlichen und qualifikatorischen ckeln sich der Handel, die unternehmensnahen Dienstleistungen Gesichtspunkten fassbar zu machen. In der Summe der betrieb- und das Gesundheitswesen besonders dynamisch. Beschäftigungs- lichen Entscheidungen entsteht dann eine gesamtwirtschaftliche fördernd wirken im Dienstleistungssektor zudem die unterdurch- Tätigkeitsstruktur: Zwar werden auch im Jahr 2035 noch mehr als die Hälfte aller Erwerbstätigen direkt mit der Produktion von 4 Prognos trendletter 1 / 2013
Schwerpunkt Gütern und Dienstleistungen befasst sein, der Anteil an produk- Differenziert nach Fachrichtungen könnten bereits 2020 fast tionsnahen Tätigkeiten sinkt jedoch auf deutlich unter 20 %. Die 9 % der insgesamt angebotenen Stellen für Ärzte und fast 6 % wesentlichen Ursachen hierfür sind die Automatisierung der Leis- derjenigen für Lehrer und Erzieher nicht besetzt werden. Bis 2035 tungserstellung, die immer stärker auch den Dienstleistungssektor verschärft sich der Mangel zudem bei den Ingenieuren, Natur- erfasst, demografische Veränderungen, wohlstandsbedingt gestie- wissenschaftlern und Mathematikern. Erhebliche Probleme treten gene Ausstattungsgrade und Veränderungen in der internationalen – unter den gegebenen Bedingungen – auch bei der Besetzung von Arbeitsteilung. Stellen für Nichtakademiker auf. Schon 2025 können mehr als 10 % Demgegenüber wächst das Gewicht von Tätigkeiten, deren wich- der Stellen in der Krankenpflege, den medizinischen Diensten und tigste Aufgabe einerseits die Gewährleistung möglichst verläss- im Bereich von Sprachen, Kultur und Sport nicht besetzt werden. licher und sicherer Abläufe sowie andererseits die Schaffung und Bis 2035 spitzt sich die Situation auch im sonstigen Gesundheits- Verbreitung von Informationen und Wissen ist. Der Anteil der mit wesen, bei den mathematischen und naturwissenschaftlichen Aus- diesen Aufgaben befassten Arbeitskräfte wird bis 2035 auf knapp bildungen sowie dem Friseurgewerbe und der Schönheitspflege zu. 47 % steigen. Hier schlägt sich nieder, dass Produktivitätsstei- gerungen und der Erhalt der Funktionsfähigkeit einer komplexer Handlungsoptionen. Im Vergleich zur vorherigen Arbeitslandschaft werdenden Gesellschaft den Einsatz zunehmender ökonomischer 2030 ergibt sich damit in der aktuellen Arbeitslandschaft 2035 eine geringere Arbeitskräftelücke. Ne- ben dem zahlenmäßigen Rückgang Arbeitskräftemangel nach Qualifikationen, 2011 bis 2035, in 1.000 Personen zeigen sich auch strukturelle Verän- 2011 2015 2020 2025 2030 2035 derungen der Arbeitskräftelücke. So 0 konnte der drohende Mangel unter den -500 Personen ohne berufliche Bildung voll- -1.000 ständig abgebaut werden, während sich der -1.500 Mangel unter den beruflichen Abschlüssen -2.000 spürbar verschärft hat. -2.500 Die neue Arbeitslandschaft 2035 zeigt -3.000 damit, dass sich der Arbeitsmarkt bewegt -3.500 und bereits einiges geschehen ist. Durch Ohne beruflichen Abschluss -4.000 die vier Handlungsfelder Weiterbildung, Mit Berufsabschluss Verlängerung der Arbeitszeit, Erhöhung -4.500 Mit Hochschulabschluss der Erwerbsbeteiligung und Steigerung der -5.000 © Prognos AG 2012 Bildungsbeteiligung kann die Entstehung einer Arbeitskräftelücke vermieden wer- Ressourcen erfordern. In der Gewichtsverlagerung von Output- den. In der Vergangenheit ist bereits viel bei der Erwerbsintegration nahen zu den Output-fernen Tätigkeiten zeigt sich damit deutlich von Personen ohne berufliche Bildung (Agenda 2010) erreicht wor- die Tendenz zur „Wissensgesellschaft“. Hinzu kommt, dass in allen den und auch die Bildungsanstrengungen der vergangenen Jahre Tätigkeitsbereichen die Anforderungen an das Fachwissen sowie zeigen Wirkung. Der Anteil der Hochschulabsolventen ist deutlich an die persönliche und soziale Lernkompetenz zunehmen. Für gestiegen, sodass die zukünftige Lücke kleiner ausfallen dürfte, als wissensintensive Tätigkeiten werden künftig gut qualifizierte Mit- ursprünglich angenommen. Somit rücken die Personen mit einer arbeiter gesucht – mit Berufs- wie auch Hochschulabschluss. Lehre bzw. Meister-/Technikerausbildung stärker in den Fokus der zukünftigen Bemühungen. Es gilt also insbesondere, die berufliche Das Ungleichgewicht auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Stellt man Ausbildung auszubauen und zu stärken. die Nachfrage und das Angebot an Arbeitskräften einander gegen- Gleichwohl sind nach wie vor Veränderungen in allen vier Hand- über, dann zeigen sich einerseits Arbeitsplätze, die nicht besetzt lungsfeldern erforderlich. Die neue Arbeitslandschaft zeigt, dass werden können, und andererseits Arbeitskräfte, denen kein adä- der deutsche Arbeitsmarkt durchaus auf die zukünftigen Anfor- quater Arbeitsplatz angeboten werden kann. Aus den Ergebnissen derungen reagieren kann. Deutschland befindet sich auf dem rich- wird ersichtlich, in welchen Teilarbeitsmärkten und bei welchen tigen Weg – wichtig ist jedoch, dass man sich auf dem Erreichten Qualifikationen (Fachrichtungen) und Tätigkeiten besonders große nicht ausruht, sondern mit einem leicht veränderten Fokus auf die Spannungen zu erwarten sind. berufliche Ausbildung weiter aktiv bleibt. Wenn keine geeigneten Gegenmaßnahmen eingeleitet werden, droht Deutschland im Jahr 2035 insgesamt ein Arbeitskräftemangel von 4 Mio. Personen, bereits 2020 dürften 1,7 Mio. Personen fehlen. Der Gesamtmangel setzt sich aus einem Mangel an Arbeitskräften mit mittlerem (2,2 Mio.) und hohem (1,8 Mio.) Qualifikationsniveau zusammen, während bei den Personen ohne berufliche Ausbildung langfristig in der Tendenz ein Überschuss an Arbeitskräften beste- Dr. Anna-Marleen Plume hen wird, also Arbeitslosigkeit droht. anna-marleen.plume@prognos.com Prognos trendletter 1 / 2013 5
Schwerpunkt Mütter mit Migrationshintergrund – Erwerbsintegration sichern Mütter mit Migrationshintergrund stehen vor spezifischen Herausforderungen, wenn sie (wieder) in den Arbeitsmarkt einsteigen wollen. Von einer erfolgreichen Integration der Mütter profitieren auch die Töchter. M ütter mit Migrationshintergrund sind eine heterogene Grup- pe. Sie unterscheiden sich zum Beispiel nach Herkunftsland, nach Familienform und nach Kinderzahl. bestehen erhebliche zeitliche Lücken zwischen dem Abschluss ei- ner vorbereitenden und einer weiterqualifizierenden Maßnahme. Beispiel Kanada. Die Erfahrungen aus Kanada zeigen, dass sich Schulische und berufliche Bildung der Mütter. Große Unter- die Unterstützung von Einwandererfamilien – und auch deren schiede gibt es auch im Bereich der schulischen und beruflichen Töchter und Söhne der sogenannten zweiten Generation – mit Bildung. Fast ein Drittel der Mütter mit Migrationshintergrund Hilfe einer möglichst lückenlosen Maßnahmenkette auszahlt. So verfügt über ein (Fach-)Abitur und weitere 25 % über einen Re- beginnen bereits vor Einreise Orientierungs- und Informations- alschulabschluss und damit über eine bessere Bildung als oftmals programme, die u. a. eine individuelle Beratung enthalten, im angenommen. Dagegen besitzen 11 % der Mütter mit Migrations- Rahmen derer ein „Integrationsplan“ aufgestellt, die vielfältigen hintergrund keinerlei Schulabschluss (Mikrozensus 2009). Unterstützungsbausteine vorgestellt und eine zielgerichtete Nut- Auch die Daten zur beruflichen Bildung verdeutlichen das zung besprochen werden. Bei Ankunft in Kanada folgen Orien- vorhandene Erwerbspotenzial der Mütter mit Migrationshinter- tierungsprogramme zur Starthilfe, Mentoring-Programme (zum grund: Fast zwei Drittel haben eine berufliche Ausbildung abge- beruflichen und sozialen Austausch), Bridging-Programme, um schlossen, einen Abschluss als Meisterin/Technikerin oder sogar Sprach- und Kompetenzlücken zu schließen, sowie Programme, einen (Fach-)Hochschulabschluss. Dagegen steht ein gutes Drittel die Praktika vermitteln. Flankiert werden die Maßnahmen durch Mütter mit Migrationshintergrund ohne einen anerkannten Be- verschiedene (teilweise IT-gestützte) Sprach- und Weiterbil- rufsabschluss (Mikrozensus 2009). dungsmöglichkeiten für Erwachsene und Kinder. Schulen mit hohem Migrantenanteil beschäftigen spezielle Integrationsma- Ihre Zugangschancen zum Arbeitsmarkt. Obwohl Mütter mit Mi- nager. In Stadtteilen, in denen viele Migrantenfamilien leben, grationshintergrund also häufig gut qualifiziert sind, gibt es – im gibt es zudem Familienzentren, die die Integration der Familien Vergleich zu Müttern ohne Migrationshintergrund – große Unter- unterstützen und mit Rat und Tat zur Seite stehen. Zu beobachten schiede im Hinblick auf die Zugangschancen zum Arbeitsmarkt. ist insgesamt eine außergewöhnlich hohe Bildungsdurchlässig- Komplexe Problemlagen kommen hier zum Tragen. Einerseits keit, die sich in hohen Qualifikationen besonders von Töchtern stehen Mütter mit Migrationshintergrund vor den „üblichen“ fa- aus Zuwandererfamilien niederschlägt – auch bei niedriger Qua- milienbezogenen Problemen, oftmals aber in einem noch stär- lifikation der Eltern. keren Maße als Mütter ohne Migrationshintergrund. Dies betrifft zum Beispiel einen schlechteren Zugang zu Kinderbetreuung, Bildungsaufstieg der Töchter. Aktuelle Daten des OECD-Berichts fehlende soziale Netze oder die innerfamiliäre Rollen- und Auf- „Education at a Glance 2012 – OECD Indicators“ zeigen, dass gabenteilung. Andererseits haben Mütter mit Migrationshinter- sowohl in Deutschland als auch in Kanada im Inland gebore- grund spezifische arbeitsmarktbezogene Herausforderungen zu ne Töchter aus Zuwandererfamilien mit größerer Wahrschein- bewältigen. So besteht vielfach Qualifikationsbedarf, zum Bei- lichkeit ein hohes Bildungsniveau aufweisen. Die Unterschiede spiel mit Blick auf die fachlichen Spezifika des deutschen Arbeits- des Bildungsaufstiegs sind jedoch enorm: In Kanada ist mit über markts oder auch in (fach-)sprachlicher Hinsicht. Auch haben 70 % ein um ein Vielfaches größerer Anteil der im Inland gebore- viele Mütter Probleme, im „deutschen bürokratischen System“ nen Töchter aus Zuwandererfamilien mit einem hohen Bildungs- (Anträge, Ämter, Jobcenter, Kinderbetreuung, Konventionen und niveau zu beobachten als in Deutschland mit ca. 10 %. Verhaltenscodes im Arbeitsleben etc.) zurechtzukommen. Aus Um die arbeitsmarktbezogenen Potenziale der Mütter mit Mi- arbeitsmarktpolitischer Sicht sind insbesondere die gut quali- grationshintergrund – wie auch deren Töchter – zu erschließen, fizierten Mütter mit Migrationshintergrund von Interesse. Sie gilt es, zielgenaue, ineinander greifende und aufeinander auf- haben häufig in ihrem Herkunftsland einen Abschluss erworben, bauende Maßnahmen zu implementieren, die auch die gesamten dessen Anerkennung sich in Deutschland schwierig gestaltet. Mit Lebenszusammenhänge der Mütter mit Migrationshintergrund dem neuen Anerkennungsgesetz ist ein wichtiger Schritt zur Ver- einbeziehen. einfachung der Bewertung ausländischer Berufsqualifikationen getan. Damit haben sich zugleich die Möglichkeiten verbessert, das Potenzial der gut qualifizierten Mütter mit Migrationshin- tergrund zu heben. Unterstützung ist auf mehreren Ebenen erforderlich. Ein erheb- licher Unterstützungsbedarf besteht aber weiterhin in der beruf- lichen Orientierungsphase wie auch bei der Gestaltung von Über- gängen zwischen einzelnen Orientierungs-, Weiterbildungs-/ Qualifizierungsangeboten und schließlich der Organisation der Dr. Heidrun Czock Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Eine zentrale Herausforde- heidrun.czock@prognos.com rung ist es, die Anschlussfähigkeit der vorhandenen Maßnahmen Hanna Steidle-Glaßer zur Unterstützung der Erwerbsintegration sicherzustellen. Zu oft hanna.steidle-glasser@prognos.com 6 Prognos trendletter 1 / 2013
Schwerpunkt Mehr Selbstbestimmung in der Eingliederungshilfe Das Persönliche Budget für Menschen mit Behinderungen eröffnet die Chance, das System der Behindertenhilfe als Ganzes weiterzuentwickeln. Ü ber lange Jahre wurden Menschen mit Behinderungen vor allem als Hilfsbedürftige betrachtet, deren Versorgung sicher- zustellen ist. Spätestens seit Einführung des Neunten Buches So- einträchtigungsarten und in unterschiedlichen Lebenssituationen setzen ihre Persönlichen Budgets vor allem dafür ein, um flexible persönliche Unterstützungsleistungen im Alltag zu finanzieren. zialgesetzbuch (SGB IX) im Jahr 2001 rücken dagegen zunehmend Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe in den Fokus. Vom Versorgten zum Kunden. Allerdings ist der Weg zu einem Dies bedeutet, dass bei der Gestaltung von Hilfen die Fähigkeiten, Budget oft voller Hürden, da diese Leistungsform auf einer völlig Bedürfnisse und Wünsche der einzelnen Menschen in den Blick zu anderen Philosophie als die Bewilligung von Sachleistungen be- nehmen und individuelle Teilhabeziele anzustreben sind. ruht. Der Anspruch auf ein Persönliches Budget trifft dabei auf ein System, das noch stark durch ein Denken in Maßnahmen und Unterstützung individuell denken. Als ein zentrales Instrument Leistungspaketen geprägt ist. zur Stärkung flexibler Unterstützungsformen, Selbstbestimmung Menschen mit Behinderungen, die ein Budget beantragen und Eigenverantwortung wurde Anfang 2008 der Rechtsanspruch könnten, fehlt zum Teil das notwendige Wissen über die damit auf ein Persönliches Budget eingeführt (§ 17 SGB IX). Damit haben verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten. Viele fürchten eine Über- Menschen mit Behinderungen die Möglichkeit, anstelle der klas- forderung (etwa durch den Antrags- und Verwaltungsaufwand), sischen Sachleistung eine Geldleistung zu erhalten. Mit diesem haben Vorbehalte gegenüber Neuem oder ihnen fehlt das Vertrau- Geld können sie ihren Vorstellungen und Wünschen entsprechend en in die eigenen Fähigkeiten. Zudem zeigt die Nutzerbefragung, Unterstützungsleistungen selbst aussuchen und finanzieren. Als dass sowohl im Vorfeld der Antragstellung als auch während der Orientierung dienen dabei die gemeinsam mit dem Leistungsträger Budgetnutzung ein spezifischer Beratungs- und Begleitungsbedarf in der Zielvereinbarung festgelegten Teilhabeziele. besteht. Trotz Zuwachs eine Randerscheinung. Die Prognos AG hat im Neue Prozesse und Konzepte. Leistungsträger und Leistungsanbie- Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vali- ter haben oft noch wenig Erfahrung und Routine im Umgang mit de Aussagen zur tatsächlichen Verbreitung Persönlicher Budgets dem Persönlichen Budget. Das Budget stellt sie vor die Herausfor- über alle Leistungsträger hinweg erhoben. Seit Einführung des derung, die Bewilligung, Planung und Gestaltung von Unterstüt- Rechtsanspruchs hat die Zahl der Budgets stark zugenommen. zungsleistungen neu zu denken. Mit rund 14.200 im Jahr 2010 (ohne gesetzliche Krankenversi- Für die Leistungsträger stellt sich vor allem die Frage, wie Un- cherung/GKV) sind die Persönlichen Budgets jedoch gemessen terstützungsbedarfe individuell ermittelt und in bedarfsgerechte am gesamten Leistungsgeschehen noch immer wenig verbreitet. Budgets übersetzt werden können. Zudem sind neue Prinzipien der Zudem gibt es starke Unterschiede je nach Trägerart: Am meisten Steuerung und Qualitätssicherung in einem System zu etablieren, Persönliche Budgets haben bislang die Sozialhilfeträger sowie die das sich zunehmend individualisiert und Teilhabeziele in den Vor- gesetzliche Unfallversicherung (GUV) bewilligt. Bei der Bundes- dergrund rückt. agentur für Arbeit (BA) und der Rentenversicherung (GRV) gibt Die Leistungsanbieter stehen vor der Herausforderung, ihre auf es noch wenige Budgetfälle. pauschalen Leistungsentgelten beruhenden Gesamtpakete in at- traktive, auf ihre Kunden zugeschnittene Einzelmodule umzuwan- Nutzerinnen und Nutzer sind zufrieden. Die meisten Personen, die deln. Damit gehen Veränderungen sowohl auf betriebswirtschaft- ein Persönliches Budget nutzen, sind damit sehr zufrieden und neh- licher und organisatorischer als auch auf fachlicher Ebene einher. men einen deutlichen Zugewinn an Selbstständigkeit und Selbst- bestimmung wahr. Dies hat die von der Prognos AG durchgeführte Individualisierung und Modularisierung. Das Persönliche Budget Nutzerbefragung ergeben. Menschen mit sehr verschiedenen Be- befeuert die Weiterentwicklung des Unterstützungssystems für Menschen mit Behinderungen im Sinne des SGB IX und der UN- Behindertenrechtskonvention. Hierauf müssen sich alle Leistungs- Anzahl neu bewilligter und laufender Persönlicher Budgets träger und -anbieter einstellen – unabhängig von der Leistungs- über alle Leistungsträger (ohne GVK), 2008 – 2010 form. Weitere (Integrationsämter, Jugendhilfe, Land. Sozialv.) Die Prognos AG kann Träger und Anbieter der Behindertenhilfe GRV BA* DGUV Sozialhilfe bei diesen Veränderungsprozessen fachlich und organisatorisch 16.000 begleiten. Dabei geht es insbesondere darum, in einem moderierten 14.193 Dialog zwischen Leistungsträgern, -anbietern und -nutzern zu- 12.000 9.943 kunftsweisende Gestaltungs- und Finanzierungskonzepte zu ent- 8.000 wickeln, sie fachlich und betriebswirtschaftlich zu bewerten und 6.243 schließlich die Wirkungen umgesetzter Maßnahmen zu erfassen. 4.000 0 2008 2009 2010 * Nur neu bewilligte Budgets bei der Bundesagentur für Arbeit (BA). Ohne Zahlen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen und Melanie Henkel ohne Arbeitsassistenzen der Integrationsämter. © Prognos AG 2013 melanie.henkel@prognos.com Prognos trendletter 1 / 2013 7
Ausbau der Ganztagsschule: Wer hat den Nutzen, wer trägt die Kosten? Ein Vergleich des notwendigen Ressourceneinsatzes und der erwarteten fiska- lischen Wirkungen ist maßgeblich für eine bessere Planbarkeit des Ganztagsaus- baus. G anztagsschulen sind heute ein fester Bestandteil der deut- schen Bildungslandschaft. Der Anteil der Schüler/-innen in Ganztagsschulen ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Nach • mittel- bis langfristig: eine höhere Bildungsrendite der am Ganztag teilnehmenden Kinder und Jugendlichen, • die Einstellung zusätzlichen Personals für die Ganztagsbe- Angaben des aktuellen Bildungsberichts belief sich der Ganztags- treuung. anteil an allen Schüler/-innen im Jahr 2010 auf 28 % – 2004 be- Außerdem sinken die Transferleistungen: trug der Anteil noch 12,5 %. Für einen Ausbau der Ganztagsschu- • an finanzschwache Familien und insbesondere Frauen, da diese le werden im Wesentlichen zwei Argumente angeführt: größere aufgrund der verbesserten Betreuungssituation verstärkt er- Bildungschancen für Kinder und eine leichtere Vereinbarkeit von werbstätig sein können, Familie und Beruf für Eltern. • an Kinder, da sich die Bildungsförderung verbessert und damit zugleich auch die Aussicht auf ein finanziell abgesichertes Bessere Bildungschancen. Ganztagsschulen bieten durch ihre um- Leben. fassende Betreuungsleistung eine wichtige Voraussetzung für die Die beschriebenen Einnahmeeffekte verteilen sich auf verschiedene individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen. Dadurch Körperschaften. So fließen von den Einkommensteuereinnahmen verbessern sich die Bildungschancen, insbesondere von benachtei- jeweils 42,5 % an Bund und Länder und 15 % an die Kommunen. ligten Kindern, was sich auf die späteren beruflichen Möglichkeiten Die Sozialversicherungseinnahmen verbleiben bei den Sozialversi- sowie die gesellschaftliche Integration der Kinder positiv auswirken cherungsträgern. Einspareffekte aufgrund verminderter Transfer- kann. Erste Evaluationen zu Ganztagsschulen (vgl. StEG, 2010) er- zahlungen verteilen sich ebenfalls gemäß den Zuständigkeiten auf gaben, dass positive Effekte bezüglich Motivation, Sozialverhalten die einzelnen Körperschaften. Im Zusammenhang mit der Wirkung und Schulerfolg zu erwarten sind, wenn der Ganztagsbetreuung auf die Bildungsrenditen der Kinder und • die Teilnahme an der Ganztagsschule dauerhaft und regelmäßig Jugendlichen ist außerdem zu berücksichtigen, dass die Kosten der erfolgt und Beschulung und der Nutzen durch höhere Einkommen auch zeitlich • die Qualität des Angebots ausreichend hoch ist. auseinander fallen. Auf der Ausgabenseite steigen durch den Ausbau der Ganz- Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Immer mehr tagsschule die Personal- und Sachkosten. Das Land trägt die Kos- Eltern möchten Familie und Beruf miteinander vereinbaren. Durch ten für pädagogisches Personal, bezahlt die Zuschüsse für den mehr Ganztagsangebote können insbesondere Mütter ihre Erwerbs- Einsatz, die Koordinierung und Fortbildung außerschulischer wünsche besser realisieren. Die Erwerbstätigenquote von Müttern Träger und übernimmt die sonstigen steigenden Schulausgaben. in Deutschland liegt gegenwärtig bei 65 % (Stand 2010), davon ar- Die Kommunen stellen die Räumlichkeiten zur Verfügung und beiten 71 % bis 32 Stunden pro Woche. Sowohl die Erwerbsbeteili- tragen die laufenden Sachkosten sowie die Verpflegungs- und gung als auch der Erwerbsumfang stehen in engem Zusammenhang Verwaltungskosten. mit dem Alter des jüngsten Kindes. Mit dem Ausbau der Betreuung für Kinder im Alter von ein bis drei Jahren realisieren viele Mütter Fiskalische Wirkungen des Ganztagsausbaus in NRW bis 2026. Für ihre Erwerbswünsche. Mit dem Übergang in die Schule nimmt die das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) hat die Prognos AG Kosten Betreuungsintensität der Kinder aber wieder zu und der Erwerbs- und Nutzen eines Ganztagsausbaus auf Länderebene sowie (bei- umfang steigt nur noch langsam an. Diese Situation ist sowohl aus spielhaft) auf kommunaler Ebene berechnet. Ausgehend von einem Sicht der Mütter, die ihre Erwerbswünsche nicht in vollem Umfang bestehenden Ganztagsangebot für 31 % der Schüler/-innen im realisieren (können), als auch der Unternehmen, die qualifizierte Jahr 2011 wurde ein Szenario berechnet, das einen jahrgangswei- Fachkräfte suchen, unbefriedigend. sen flächendeckenden Ausbau des Ganztagsangebotes bis zum Jahr 2026 annimmt. Das Szenario dokumentiert, was geschieht, wenn Die Kosten und die Vorteile kommunizieren. Ein quantitativer und bis zum Jahr 2020 100 % der Schüler/-innen der Primarstufe im qualitativer Auf- und Ausbau ist mit ökonomischen Vorteilen so- wohl auf der individuellen als auch der gesamtgesellschaftlichen Ebene verbunden. Zugleich erfordert er Investitionen und führt zu Anteil der Schüler/-innen in Ganztagsschulen in NRW – laufenden Kosten. Die Gegenüberstellung des notwendigen Res- Historische Entwicklung und Szenario-Gestaltung sourceneinsatzes und der erwarteten ökonomischen Vorteile eines historische Entwicklung Ausbauszenario 100% Ganztagsausbaus ist daher maßgeblich für eine bessere Planbarkeit Anteil Schüler/-innen im Ganztag 100% und unterstützt die politische Vermittlung der Nutzeneffekte. 90% 80% 75% 70% Kosten und Nutzen eines Ganztagausbaus fallen institutionell und 60% zeitlich auseinander. Mit dem Auf- und Ausbau des Ganztags sind 50% 50% Folgewirkungen auf den öffentlichen Haushalt verbunden. Auf der 40% Einnahmeseite sind das zusätzliche Steuereinnahmen sowie Ein- 30% 25% 31% 16% 20% nahmen aus Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung durch: 20% • das aufgrund des Ganztagsangebots veränderte Erwerbsverhal- 10% 0% ten der Mütter, 2004 2006 2008 2010 2014 2016 2018 2020 2022 2024 2026 Quelle: Bildungsbericht 2012 (Bund), eigene Darstellung © Prognos AG 2012 8 Prognos trendletter 1 / 2013
Schwerpunkt Ganztag wären sowie bis zum Jahr 2026 auch alle Schüler/-innen Bereits die Investitionskosten unterscheiden sich stark, abhängig der Sekundarstufe I. vom erreichten Stand des Ganztagsausbaus der Kommunen, der Entwicklung der Schülerzahlen sowie dem jeweiligen lokalen päda- Auswirkungen auf Landesebene. Bei dem angenommenen 100 %- gogischen Konzept und Ausstattungsniveau. Sie reichen von rund Ausbauszenario entstehen im Jahr 2026 zusätzliche Einnahmen 1,5 Mio. Euro in Kevelaer für die Schaffung von etwa 600 neuen in Höhe von 1,3 Mrd. Euro im Vergleich zu 2011. Diese setzen sich Ganztagsplätzen bis zu 110 Mio. Euro in Essen für etwa 24.000 neue zusammen aus Einnahmeeffekten aufgrund der Aufnahme oder Plätze bis 2026. Ausweitung der Erwerbstätigkeit von Müttern, durch die Beschäfti- Bei den Modellkommunen liegen die geschätzten zusätzlichen gung zusätzlichen Personals in den Ganztagsschulen sowie zusätz- jährlichen Einnahmen im Jahr 2026 (Ausbauniveau 100 %) zwi- lichen Einnahmen durch höhere Bildungsabschlüsse und daraus schen 131.000 Euro (Kevelaer) und 1,8 Mio. Euro (Essen). Den Ein- resultierenden zukünftigen höheren Einkommen der Kinder und nahmen steht ein zusätzlicher jährlicher Aufwand für den flä- Jugendlichen, die am Ganztag teilnehmen. Dem Land NRW fließen chendeckenden Ganztagsbetrieb zwischen 640 .000 Euro (Kevelaer) davon rund 192 Mio. Euro zu, den Kommunen insgesamt 67,9 Mio. und 16 Mio. Euro (Bonn) gegenüber. Ohne Berücksichtigung der Euro. Der Rest der Einnahmeeffekte verbleibt beim Bund und den Investitionen erhalten die Kommunen in der jährlichen Haushalts- Sozialversicherungsträgern. rechnung für jeden Euro, der für den Ganztag ausgegeben wird, mit Erreichen des maximalen Ausbaus im Jahr 2026 zwischen 10 Cent (Bonn) und 20 Cent (Kevelaer) zurück. Auf der Nutzenseite kann Verteilung der Nutzeneffekte auf Land und Kommunen in den vorliegenden Berechnungen also nur ein Teil der laufenden (Ausbaustufe 100 % im Jahr 2026) Ausbaukosten durch fiskalische Effekte gegenfinanziert werden. Mütter Betreuungspersonal Kinder Allerdings ist hier zu beachten, dass sowohl die Beschäftigungsef- 1.400 fekte eher defensiv kalkuliert (z. B. ohne geschaffene Lehrerstellen 1.304 1.200 und unter Einbeziehung eines Dämpfungsfaktors) als auch zum 1.000 Beispiel plausibel erscheinende Einspareffekte an dritter Stelle im Mio. Euro Haushalt nicht einbezogen wurden. 800 600 400 Kosten und Nutzen des Ganztagsausbaus auf Landesebene 200 192 (Ausbaustufe 100 % im Jahr 2026) 68 Betreuungspersonal Ausbaukosten Kosten längere Bildung 0 Mütter Kinder Gesamt davon Land NRW davon Kommunen NRW © Prognos AG 2012, eigene Berechnung 500 192 0 Mio. Euro Die Kosten des Landes NRW für Personal sowie für verschiedene -500 Förderprogramme für den Ganztagausbau belaufen sich bei Errei- -1.000 Saldo: -1.797 chen eines flächendeckenden Ganztagangebots im Jahr 2026 auf -1.500 zusätzlich rund 1,99 Mrd. Euro im Vergleich zu 2011. Darin ent- -2.000 halten sind auch Kosten, die für die längere Beschulung der Kinder -1.990 -2.500 als Folge besserer Schulabschlüsse entstehen. Nutzen Land NRW Kosten Land NRW Der Saldo aus zusätzlichen Einnahmen und Ausgaben beläuft © Prognos AG 2012, eigene Berechnung sich im Jahr 2026 auf –1,8 Mrd. Euro. Positive Renditen durch die angenommenen höheren Bildungsabschlüsse bei Kindern, die am Fazit. Insgesamt ergibt die Studie, dass Kosten und Nutzen für den Ganztag teilnehmen, ergeben sich erst außerhalb des Betrach- Ausbau des Ganztags ungleich verteilt sind. Während die Kosten tungszeitraums bis 2026. Kurzfristig entstehen zunächst Einnah- zunächst vorwiegend vom Land und seinen Kommunen getragen meausfälle sowie direkte Kosten durch längere Beschulungszeiten. werden, profitieren vorrangig der Bund und die Sozialversiche- Der negative Saldo auf Landesebene ergibt sich primär dadurch, rungsträger von Mehreinnahmen durch Einkommensteuer und So- dass von den realisierten Einnahmen nur ein Teil dem Land zufließt. zialversicherungsbeiträge. Langfristig übersteigt der Nutzen des Ausbaus des Ganztags die Kosten, jedoch reicht der hier gewählte Ergebnisse für vier Beispielkommunen. Beim Ausbau des Ganz- Betrachtungszeitraum bis 2026 nicht aus, um diese Entwicklung tags tragen Kommunen eine große Verantwortung. Angesichts der abzubilden. Aus gesellschaftlicher Perspektive birgt der Ausbau heterogenen Ausgangslage in den Regionen ist zu prüfen, welche eines qualitativ hochwertigen schulischen Ganztagsangebotes je- Konsequenzen bei einem Ganztagsausbau für die Kommunen ent- doch schon heute die Chance, eine Verbesserung des Bildungsni- stehen. Anhand von Fallstudien wurden in der Studie Kosten und veaus und der Teilhabechancen von jungen Erwachsenen zu errei- Nutzen des Ganztagsausbaus für vier Kommunen ermittelt: Berg- chen und damit zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung positiv kamen, Bonn, Essen und Kevelaer. Die ausgewählten Kommunen beizutragen. unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Sozialstruktur sowie der be- reits realisierten Ausbausituation des Ganztags. Lisa Krämer lisa.kraemer@prognos.com Bei den fiskalischen Effekten auf kommunaler Ebene ist zu un- Claudia Münch terscheiden zwischen einmaligen Investitionskosten, die erforder- claudia.muench@prognos.com lich sind, um Räume und Infrastruktur für den Ganztagsbetrieb zu Marcel Hölterhoff schaffen, sowie den laufenden jährlichen Personal- und Betriebs- marcel.hoelterhoff@prognos.com kosten. Demgegenüber stehen auf der Einnahmeseite der Haushalte Investitionskostenzuschüsse, Gebühren und Beiträge im laufenden Kosten-Nutzen-Analysen dienen als wirtschaftliche und politische Betrieb sowie laufende Zuschüsse und fiskalische Effekte durch Entscheidungsgrundlage für die Durchführung von Maßnahmen oder Beschäftigung und eingesparte Transferzahlungen. Projekten. Gerne unterstützen wir Sie auch in Ihrem Vorhaben. Prognos trendletter 1 / 2013 9
Studienserie Juvenir – Forschung im Dialog mit der Jugend Bei der dialogbasierten Jugendstudienserie Juvenir werden die interaktiven Potenziale der Neuen Medien konsequent eingesetzt. Thema der ersten Studie war die Nutzung des öffentlichen Raums durch Jugendliche. D er Anspruch der von der Prognos AG im Auftrag der Jacobs Foundation Zürich konzipierten und durchgeführten Stu- dienserie Juvenir geht über traditionelle Repräsentativstudien zu Der Dialog mit der Jugend Jugendlichen in der Schweiz hinaus: Die jeweils gesellschaftlich Identifikation relevanten Einzelthemen gewidmeten Studien, die über mehrere der Juvenir-Themen Die Jugendlichen selbst stimmen Jahre sukzessiv erstellt und publiziert werden, sollen sich zuvor- im Rahmen eines Facebook-Votings derst und unmittelbar an der Lebenswirklichkeit von Jugendlichen über das jeweilige Juvenir-Thema orientieren. Auf Grundlage der Ergebnisse soll zugleich der hetero- ab. Zugleich besteht die Möglich- keit eigene Themen in das Voting genen Perspektive der Jugend im gesellschaftlichen Diskurs Gehör einzubringen. verschafft werden. Ein innovativer Studienansatz auf Web-2.0-Basis. Um diesem An- Online-Chat spruch gerecht zu werden, wurde ein innovatives Studiendesign Ca. 10 – 15 Jugendliche diskutieren unter Nutzung der Möglichkeiten des Web 2.0 entwickelt, bei dem das aktuelle Juvenir Thema und konkretisieren es aus ihrer eigenen Jugendliche am gesamten Prozess der Studiendurchführung betei- Perspektive. Die Ergebnisse dienen ligt werden. Gleichermaßen werden die wissenschaftlichen Stan- als Grundlage für die Erstellung des dards einer Repräsentativstudie gewahrt. standardisierten Fragebogens. Damit sich die Jugendlichen jederzeit möglichst unkompliziert an der Studie beteiligen können, werden sämtliche Arbeitsschritte auf jugendspezifischen Plattformen im Internet durchgeführt. Online-Befragung Online-Befragung anhand eines Bereits die Auswahl und Ausgestaltung der Themen erfolgt im standardisierten Fragebogens Rahmen von Online-Chats und Abstimmungen auf Facebook. Die durch ein professionelles Befra- Repräsentativerhebung findet ebenfalls online statt. Zur Interpre- gungsinstitut in den drei großen Sprachregionen der Schweiz. tation und Einordnung werden die Befragungsergebnisse wiederum auf einer eigens eingerichteten Facebook-Plattform zur Diskussion gestellt, die im Vorfeld gezielt beworben wurde. Darüber hinaus Expertengruppe greift der in der Schweiz führende Online-Jugendsender joiz.ch die Die Befragungsergebnisse werden Ergebnisse in interaktiven Diskussionssendungen auf. einem ausgewählten Kreis an Dieser Ansatz erwies sich bereits bei der ersten Studie der Juve- Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis (Experten- nir-Reihe zum Thema „Nutzung öffentlicher Räume durch Jugend- gruppe) zur Diskussion gestellt. liche“, die im vergangenen Oktober veröffentlicht wurde, als sehr erfolgreich. Durch die konsequente Einbindung von Jugendlichen von Beginn an fiel die Wahl auf ein Thema, dessen Relevanz in Veröffentlichung der Zeit der Studienerstellung stetig zugenommen hat. Im Sommer Im Rahmen des „Juvenir-Dialogs“ 2012 verging kaum eine Woche, in der in den Schweizer Medien wird die Studie öffentlich vorge- stellt. nicht über Konflikte zwischen Jugendlichen und Erwachsenen im öffentlichen Raum berichtet wurde. Kulminationspunkt war eine Tanz-Demonstration am 2. Juni 2012 in Bern, bei der über 10.000 Jugendliche einem Aufruf zum Protest für mehr Freiräume gefolgt waren. Online-Diskurs Jugendliche aus der ganzen Schweiz haben die Gelegenheit die Mit teils unerwarteten Ergebnissen. Dem durch gegenseitige Zu- Ergebnisse der aktuellen Juvenir- schreibungen von Jugendlichen und Erwachsenen geprägten öf- Studie zu bewerten und sich von fentlichen und politischen Diskurs und der häufig skandalisie- Mehrheitsmeinungen abzugrenzen. Im Online-Diskurs können alle renden medialen Berichterstattung konnte mit der Juvenir-Studie Interessierten ihre Standpunkte eine differenzierte Facette hinzugefügt werden. Hierbei zahlte sich austauschen und diskutieren. wiederum aus, dass die – durchaus selbstkritische – Perspektive der Jugendlichen berücksichtigt wurde. Die überraschenden Er- gebnisse zeichnen das Bild einer Schweizer Jugend, für die die Auswertung des Online-Diskurs Rücksichtnahme auf andere Nutzergruppen und Platzanwohner ei- Die Diskussion soll Gemeinsam- ne Selbstverständlichkeit darstellt; auch sie wollen die öffentlichen keiten, aber auch Unterschiede des jeweiligen Juvenir-Themas Plätze möglichst ohne Konflikte nutzen. Die Jugendlichen sehen verdeutlichen. Der Online-Diskurs sich mehrheitlich selbst in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass nicht wird ebenfalls anhand qualitativer so viel Müll in der Gegend herumliegt und dass die Lärmbelästi- Verfahren ausgewertet und öffent- lich gemacht. gung gering bleibt. Selbst Sicherheitsdienste werden nicht pauschal Quelle: Prognos AG/Feinheit GmbH 2012 10 Prognos trendletter 1 / 2013
Schwerpunkt Bildquelle: joiz.ch Juvenir-Diskussion bei joiz.ch, joiZone Social vom 30. Oktober 2012 und 12. November 2012 abgelehnt, sondern es wird anerkannt, dass sie bei der Einhaltung Dabei spielen öffentliche Räume für Jugendliche eine wichtige eines Regelrahmens helfen können. Rolle, insbesondere als Lern- und Erfahrungsräume. Sie dienen als Jugendliche in der Schweiz nutzen öffentliche Räume prag- Bühne für die Selbstpräsentation, hier werden Selbstwirksamkeit matisch, um Freunde und Bekannte zu treffen oder rumzuhängen und Fremdwahrnehmung getestet. Sie sind Orte, an denen die ty- und zu beobachten. Das ist kein politisches Statement. Es zeigt pischen und – aus sozialpsychologischer Sicht – für die Jugendpha- sich vielmehr, dass sich Jugendliche den öffentlichen Raum ohne se konstitutiven Entwicklungsaufgaben vollzogen werden können, rebellische Attitüde aneignen. Auch sie wollen in erster Linie eine die zugleich die Voraussetzung für gesellschaftliche Partizipation einvernehmliche Lösung von Konflikten mit Anwohnern – die und aktives Mitwirken darstellen. Den Jugendlichen diesen Lern- allerdings keineswegs die typische Erfahrung bei der Nutzung von raum zu verweigern, heißt letztlich, das Demokratieverständnis in öffentlichen Plätzen sind. In dieses Bild passt, dass nur eine Min- Frage zu stellen. derheit der Jugendlichen öffentliche Plätze als geeignete Orte für Gerade die Konfliktlagen oder vielmehr die Prozesse der Kon- Partys oder Alkohol- und Drogenkonsum betrachtet. Als beliebteste fliktbeilegung bieten die Möglichkeit die Jugendlichen frühzeitig Aktivitäten im öffentlichen Raum werden vielmehr – eher unspe- in den politischen Reproduktionsprozess einer demokratischen Ge- zifisch – das Miteinander-Zeit-Verbringen und der Austausch mit sellschaft einzubinden, indem sie gesellschaftliche Partizipations- Freunden genannt. rollen übernehmen. Die Nutzung öffentlicher Plätze kann als ein bewusster Schritt der Jugendlichen in die Öffentlichkeit betrachtet Die Diskussion geht weiter. Die Veröffentlichung der Ergebnisse werden, der mit dem Wunsch nach Interaktion bzw. Auseinander- bildet keineswegs den Schlusspunkt der Juvenir-Studien. Sie stellt setzung mit anderen gesellschaftlichen Gruppen verbunden ist. vielmehr den Auftakt für einen weiterführenden Dialog mit und Dieser – keineswegs selbstverständliche – Schritt sollte als gesell- unter Jugendlichen auf der Juvenir-Facebook-Seite (www.face- schaftliche Chance begriffen und genutzt werden. book.com/juvenir.ch) dar, der in den ersten zwei Monaten nach Veröffentlichung intensiv betreut wird. Zudem wurden die Studi- Ausblick. Die Juvenir-Studienserie soll in den kommenden Jahren energebnisse in mehreren Sendungen des Online-Jugendsenders in gleicher Form weitergeführt werden. Aktuell läuft die zweite joiz.ch vorgestellt und mit Akteuren aus Politik und Zivilgesell- Juvenir-Studie zum Thema „Sicherheit und Zufriedenheit bei der schaft diskutiert – ebenfalls unter direkter Beteiligung von Jugend- Ausbildungswahl“, das im Rahmen der Abstimmung auf Facebook lichen, die sich über das Internet mit eingeblendeten Kommentaren favorisiert wurde. Weitere Informationen zu der Studienserie sind und Fragen in die Gespräche einschalten können. unter www.juvenir.ch verfügbar. Die konsequente Nutzung jugendspezifischer Medien und Platt- formen im Internet hat sich hierbei als praktikabler Weg für einen offenen und reflektierten Austausch erwiesen. Ein solcher Dialog erhöht nicht nur die Transparenz, er kann gerade bei kontroversen gesellschaftlichen Themen auch den ersten Schritt zu konstruk- tiven Lösungen bilden. Generationsübergreifender Dialog als gesellschaftliche Chance. Michael Steiner Der Raumnutzung durch Jugendliche, die hergebrachten funkti- michael.steiner@prognos.com onalen Nutzungsarten widerspricht, begegnen Erwachsene häufig Daniela Müller mit Vorurteilen und Vorbehalten. Statt bei Konflikten direkt mit daniela.mueller@prognos.com den Jugendlichen zu sprechen, werden oft Polizei oder Sicherheits- dienste eingeschaltet, die zwar eine Kontrollfunktion ausüben und Mit unserem Partner, der Agentur FEINHEIT GmbH in Zürich, nutzen wir gesetzliche Regelungen durchsetzen, aber keinen wirklichen Inte- die Neuen Medien für den Kunden und die Zielgruppe. Nicht zuletzt durch ressensausgleich zwischen den Konfliktparteien herstellen können. unsere Erfahrungen aus der Studienserie Juvenir verfügen wir über fun- diertes Wissen, wie Neue Medien sowohl in der wissenschaftlichen Arbeit Die gegenseitige Akzeptanz wird auf diesem Weg nur schwerlich als auch in der politischen Kommunikation nachhaltig genutzt werden gestärkt, eher das Gegenteil ist der Fall. können. Gerne stellen wir Ihnen unser Konzept vor. Prognos trendletter 1 / 2013 11
Wirtschaftspolitik Innovative Finanzierungsinstrumente für die Kultur- und Kreativwirtschaft Innovative Methoden, Denkmuster, Geschäftsideen prägen die Kultur- und Kreativ- wirtschaft. Oftmals hemmt der fehlende Zugang zu Privatkapital die Umsetzung der Innovation, daher sind neue Finanzierungsinstrumente gefragt. D ank ihrer hohen Problemlösungs- kompetenz und starken Innovations- orientierung ist die Kultur- und Kreativ- Zentrale Hemmnisse bei Innovationsvorhaben der Kultur- und Kreativwirtschaft Potenzial KKW als Innovationstreiber wirtschaft Wegbereiter von neuen Pro- 44,2% 32,8% für Branchen wird zu wenig wahrgenommen dukten und Dienstleistungen sowie al- Fehlende Förderprogramme 50,4% 24,3% ternativen Formen der Arbeitsgestaltung. für Innovationsvorhaben von Freiberuflern 2010 trug die Kultur- und Kreativwirt- Konzepte/Prozessabläufe 36,5% 29,7% als Geschäftsmodell kaum förderfähig schaft mit 63,7 Mrd. Euro zur Bruttowert- schöpfung in Deutschland bei und zählt Arbeitsweise wird als 32,0% 29,1% zu unorthodox wahrgenommen neben dem Automobilbau, dem Maschinen- © Prognos AG 2012 Schwieriger Zugang zu privatwirtschaftlichem bau und der IT-Wirtschaft zu den bedeu- Kapital für Innovationsvorhaben 35,0% 25,1% tendsten deutschen Wirtschaftsfeldern. Entwicklungen von Inhalten ohne technologische 31,9% 28,2% Kennzeichen der Querschnittsbranche Verfahren gelten als nicht innovativ sind die Vielzahl an Freiberuflern und trifft vollkommen zu trifft eher zu 0% 20% 40% 60% 80% Kleinstunternehmen sowie ihre Heteroge- nität: Ihr gehören u. a. darstellende und bil- dende Künstler, Musiker, Journalisten, aber sentlichen Gründe, dass sich Banken bei der Förderbank IFCIC branchenspezifisches auch Werbefirmen, Designer sowie Herstel- Kreditvergabe zurückhalten. Daher braucht Wissen Externer ein. Teilmarktspezifische ler von Games und Software an. es alternative Finanzierungsformen für die Expertengremien bewerten hier die Pro- Kultur- und Kreativwirtschaft. jekte der Kreativen und geben eine Förder- Innovationstreiber für andere Branchen. empfehlung ab. Aufgrund ihrer starken Innovationsori- Mikrokredite. In den letzten Jahren eta- entierung leistet die Kultur- und Kreativ- blierten sich Mikrokredite (bis 5.000 Euro) Fazit. Zwar gibt es bereits einige Finan- wirtschaft einen wichtigen Beitrag zur als unkomplizierte Finanzierungsart für zierungsansätze für Kreativunternehmen, Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Gründer und kleine Unternehmen. dennoch besteht weiterhin der Bedarf, dass Gesamtwirtschaft. Durch enge Koopera- sich erfolgreiche Ansätze stärker etablie- tionen mit Kreativunternehmen steigt die Crowdfunding. Ebenfalls interessant für ren. Innovationsfähigkeit der Firmen anderer die Finanzierung kleinerer Projekte und als Es gilt, die oftmals vorhandene Aus- Sektoren, vor allem mit Blick auf neue Pro- Startfinanzierung ist die Suche nach Mi- sichtslosigkeit von Finanzierungsanfragen duktkonzepte und Geschäftsmodelle. kroinvestoren durch Crowdfunding. Hier der Kreativunternehmen zu beenden, bei Eine im Auftrag des Bundesministeri- werden Unternehmensanteile an eine Viel- denen weder für Förderbanken noch für ums für Wirtschaft und Technologie durch- zahl von Investoren ausgegeben, um in der Geschäftsbanken eine tragfähige Projekt- geführte Befragung zeigt, dass Kreative Summe die notwendige Finanzierung zu und Finanzierungsbewertung möglich ist. zugleich Vorreiter im Einsatz neuer Tech- erzielen. Mittels sozialer Medien im Inter- Dabei ist es zentral, dass sich Banken für nologien und Prozesse sind: Sie übertragen net werden in kurzer Zeit viele potenzielle neue Bewertungsansätze öffnen. beispielsweise künstlerisch-kreative An- Geldgeber erreicht und zugleich im Netz ei- Zudem ist die Politik gefordert, eigene sätze auf wirtschaftsnahe Dienstleistungen, ne eigene Unterstützergemeinde aufgebaut. Programme aufzulegen, um bisher unge- entwickeln neue Bezahlmodelle und führen Der führende Crowdfunding-Anbieter in nutzte Wertschöpfungspotenziale zu he- interaktive Formen der Kunden-Nutzer- Deutschland, Seedmatch, hat bereits über ben. Die Stadt Berlin zeigt mit dem er- Kommunikation ein. 3 Mio. Euro Startkapital eingesammelt und folgreichen Kreativwirtschaftsfonds, wie so die Finanzierung für rund 30 Kreativun- ein zielgruppengerechtes und attraktives Eingeschränkter Zugang zu Fremd- und ternehmen erreicht. Finanzierungsinstrument auf Landesebene Risikokapital. Trotz dieser wichtigen Rolle aussehen kann. für die Gesamtwirtschaft wurde in der Be- Venture Capital und Bankbürgschaften. fragung deutlich, dass für viele Kultur- und Ein weiterer Weg zur Eigenkapitalfinan- Kreativunternehmen der Zugang zu privat- zierung führt über Venture-Capital-(VC) wirtschaftlichem Kapital zur Realisierung Geber. Hier existieren verschiedene öffent- ihrer Innovationsvorhaben schwierig ist. Ei- lich geförderte VC-Fonds (z. B. in Berlin und nerseits fehlt es ihnen an Anlagevermögen NRW). Sie teilen sich meist das Verlustrisi- Kathleen Freitag und Eigenkapital, andererseits ist es für Ka- ko mit privaten VC-Gebern. VC ist vor allem kathleen.freitag@prognos.com pitalgeber vielfach schwierig, die Produkte für Kreativunternehmen mit hohem Wachs- Florian Knetsch und Dienstleistungen der Kreativen adäquat tumspotenzial interessant und wird oft von florian.knetsch@prognos.com zu bewerten. Neuartige Geschäftsmodelle, Unternehmen der Digitalwirtschaft genutzt. ein hoher Anteil an immateriellen Gütern Bei der Entscheidung zur Gewährung Die Studie „Die Kultur- und Kreativwirtschaft in der gesamtwirtschaftlichen Wertschöp- und ein geringer Standardisierungsgrad der einer Bankbürgschaft für Projekte von Kre- fungskette“ finden Sie unter: Produkte und Dienstleistungen sind die we- ativunternehmen bindet die französische www.prognos.com/kreativwirtschaft 12 Prognos trendletter 1 / 2013
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