Mamma MIA! - Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie

Die Seite wird erstellt Arthur Krauß
 
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Mamma MIA! - Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie
MIA!
                                                Mamma
     Das Brustkrebsmagazin
MIA!
 Mamma

                                           www.mammamia-online.de

  Das Brustkrebsmagazin

                             Tumor ist nicht gleich Tumor
                             Orientierungshilfe zur individuellen
                             Brustkrebstherapie                     2. aktualisierte Auflage
Mamma MIA! - Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie
Dieses Heft ist allen Frauen gewidmet, deren Leben durch
eine Brustkrebserkrankung auf den Kopf gestellt wurde.

Ein besonderer Dank gilt den Betroffenen, die durch
eine Studienteilnahme den wissenschaftlichen Fortschritt
unterstützen sowie den Wissenschaftlern, deren Ziel die
Erforschung neuer Brustkrebstherapien ist.

                          a
                      April 2013
Mamma MIA! - Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie
Editorial                                                                                                  Thema

                                                            möglich, so viel wie nötig. so werden immer mehr Frauen
                                                            brusterhaltend operiert, Lymphknoten werden nicht mehr
                                                            grundsätzlich entfernt. Die klassische strahlentherapie
                                                            kann in günstigen Fällen durch eine intraoperative Be-
                                                            strahlung ersetzt werden, wodurch sich die Bestrahlungs-
                                                            dauer erheblich verkürzt. Genetische Untersuchungen
                                                            des Tumorgewebes können „Hochrisiko-“ und „niedrig-
                                                            risikopatienten“ unterscheiden. Das erlaubt eine bessere
                                                            Prognoseabschätzung und somit bedachte Verordnung
                                                            der Chemotherapie. Hinzu kommen neue Wirkstoffe, die
                                                            Tumorzellen gezielt angreifen, ohne allzu große neben-
                                                            wirkungen zu verursachen.

                                                            Die neuesten entwicklungen der zielgerichteten, perso-
                                                            nalisierten Brustkrebstherapie werden in diesem ratge-
LieBe Leserin, LieBer Leser!                                ber vorgestellt. Dabei wird klar, dass es auf der einen
                                                            seite große Fortschritte gibt, auf der anderen seite aber
es ist gerade mal anderthalb Jahre her, dass unser rat-     noch großer Bedarf an weiteren Forschungen herrscht.
geber „Tumor ist nicht gleich Tumor – Orientierungshilfe    so gibt es immer noch Tumorarten, die schwer oder gar
zur individuellen Brustkrebstherapie“ zum ersten Mal        nicht behandelbar sind. Außerdem sollten neue erkennt-
erschien. Bei der Aktualisierung wurde uns bewusst,         nisse viel schneller einzug in den klinischen Alltag finden.
dass sich die Brustkrebstherapie in dieser kurzen Zeit
schon wieder signifikant weiterentwickelt hat. ein großer   ein weiterer Punkt kann nicht oft genug betont werden:
Dank gilt an dieser stelle all den Wissenschaftlerinnen     ein gesunder Lebensstil der Frauen kann das rück-
und Wissenschaftlern, die dem Brustkrebs den Kampf          fallrisiko senken. Gesunde ernährung, weitgehender
angesagt haben und mit unermüdlichem eifer versuchen,       Alkoholverzicht und regelmäßige Bewegung sind hier
wirkungsvolle Mittel gegen diese Krankheit zu finden,       die schlüsselfaktoren. Das sollte jede Frau verinnerlichen.
die sich unaufhaltsam auszubreiten scheint.                 Und: Die Früherkennung muss weiter verbessert werden!
                                                            noch immer gibt es zu viele Frauen, deren Tumor bei
so konnte in den letzten Jahrzehnten zwar nicht die er-     Diagnosestellung bereits inoperabel ist oder Metasta-
krankungshäufigkeit verringert werden, die Heilungschan-    sen gebildet hat. Früherkennung rettet Leben – sagen
cen wurden jedoch deutlich verbessert. in den Fokus der     sie es weiter! a
Wissenschaft ist neben der Heilung auch zunehmend die
Lebensqualität von Krebskranken gerückt, was eine sehr      Herzliche Grüße,
erfreuliche entwicklung ist. Heutzutage werden nicht mehr
alle Krebspatienten ungeachtet der Ansprechrate und der
nebenwirkungen gleich behandelt, wir sprechen vielmehr
von einer „risikoadaptierten“ Behandlung – so wenig wie     eva schumacher-Wulf

                                                                                    www.mammamia-online.de            3
Mamma MIA! - Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie
LieBe Leserin, LieBer Leser!

Knapp 60.000 Frauen erkranken in Deutschland jährlich             Wir wissen heute, dass durch gesunde ernährung und
an Brustkrebs. Das ist eine besorgniserregende Zahl.              regelmäßige sportliche Betätigung das erkrankungsrisiko
es gibt jedoch auch positive entwicklungen: so liegt die          für Brustkrebs gesenkt werden kann. Darüber sollte jede
sterblichkeit von Frauen mit Brustkrebs in Deutschland            Frau aufgeklärt werden, am besten schon in der schu-
unter dem europäischen Durchschnitt. Dank gut organi-             le. Weiterhin sollte die Früherkennung weiter verbessert
sierter Versorgungsstrukturen, der einrichtung zertifizierter     werden. Wünschenswert wäre eine Zusammenarbeit von
Brustzentren sowie der etablierung verbesserter Früher-           Gynäkologen, radiologen und Hausärzten sowie eine grö-
kennungsprogramme konnte die Überlebensprognose für               ßere Bereitschaft bei Frauen, Früherkennungsangebote in
Brustkrebspatientinnen deutlich verbessert werden. Dazu           Anspruch zu nehmen. ein Punkt ist in diesem Zusammen-
kommt, dass wir in den letzten Jahren viele erstklassige          hang wichtig zu wissen: Die effektivste Früherkennungs-
Medikamente vorstellen konnten, beispielsweise Antikör-           methode ist noch immer das Abtasten der Brust, das
per und hormonelle substanzen. Die Deutsche Gesell-               jede Frau regelmäßig selbst tun sollte. Wir sollten immer
schaft für Gynäkologie und Geburtshilfe ist an der erstel-        wieder an die selbstverantwortung der Frauen appellieren.
lung von empfehlungen und Leitlinien beteiligt, um die
flächendeckende Versorgungsqualität zu gewährleisten.             Herzlichst,

Diese positive entwicklung bedeutet jedoch nicht, dass wir        Prof. Dr. Rolf Kreienberg
unser Ziel erreicht haben. insbesondere in den Bereichen          Für die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie
Prävention und Früherkennung gibt es noch viel zu tun.            und Geburtshilfe e.V.

4         Mamma       Mia!         Tumor ist nicht gleich Tumor
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Vorwort                                                                                           Thema

LieBe Leserin, LieBer Leser!

Die Brustkrebsforschung konnte in den vergangenen           es ist uns auch ein großes Anliegen, Patienten bestmög-
Jahren enorme erfolge verzeichnen: Anstelle einer brei-     lich zu therapieren und ihnen die Möglichkeit zu bieten, an
ten, uniformen Therapie nach dem Gießkannenprinzip          studien teilzunehmen, um so früh wie möglich vom medi-
finden immer mehr zielgerichtete Therapien Anwendung.       zinischen Fortschritt zu profitieren. so hat unsere Gesell-
so ist es uns durch intensive Forschung gelungen, den       schaft gemeinsam mit der Deutschen Krebsgesellschaft
Tumor immer besser zu verstehen, subgruppen zu bil-         Kriterien entwickelt, nach denen ein deutschlandweites
den und Angriffspunkte für Therapien zu definieren. Um      Zertifizierungsprogramm für interdisziplinäre Brustzentren
Fortschritte in der Forschung erreichen zu können, ist es   durchgeführt werden soll. eine Übersicht über zertifizierte
wichtig, dass Wissenschaftler verschiedener medizini-       Brustzentren findet sich unter www.senologie.org oder
scher Disziplinen zusammenarbeiten. so ist es auch das      www.krebsgesellschaft.de. Weiterhin stellen wir im in-
erklärte Ziel der deutschen Gesellschaft für senologie,     ternet unter www.brustkrebs-studien.de aktuell laufende
den interdisziplinären erfahrungsaustausch zu fördern.      studien vor. so können sich Betroffene selbst informieren,
                                                            welche studie interessant für sie sein könnte.
in diesem interdisziplinären Umfeld erarbeitet unsere Ge-
sellschaft standards und Konsensus-empfehlungen zu          es grüßt sie herzlich
Diagnostik und Therapie von Brustkrankheiten, die dem
aktuellen stand der Wissenschaft entsprechen. Der vor-      Prof. Dr. Diethelm Wallwiener
liegende ratgeber gibt einen Überblick über gängige         stellv. Präsident der Deutschen Gesellschaft
Therapien und neue Ansätze.                                 für senologie e.V.

                                                                                    www.mammamia-online.de           5
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3    eDiTOriAL
                   4    VOrWOrT
                   6    inHALT

            1           Tumorbiologie
                   9    TUMOrBiOLOGie
                        Den Tumor besser verstehen
                        Prof. Dr. Andreas Schneeweiss, NCT Heidelberg

                   13   PATHOLOGie
                        Die rolle des Pathologen bei der Therapieentscheidung
                        Prof. Dr. H. H. Kreipe, Medizinische Hochschule Hannover

                   16   TrAnsLATiOnALe FOrsCHUnG
                        Von der präklinischen Forschung zur klinischen Anwendung
                        Prof. Dr. Nadia Harbeck, Brustzentrum der Universität München

            2           Zielgerichtete Therapien
                   19   DAs GiessKAnnenPrinZiP isT OUT
                        Die entwicklung zielgerichteter Therapien
                        Prof. Dr. Dr. h.c. W. Eiermann, IOZ München

                   23   BrUsTKreBs
                        eine Krankheit mit vielen Gesichtern
                        Dr. B. Ataseven, Rotkreuzklinikum München

                   27   GenAnALyse VereinFACHT THerAPieenTsCHeiDUnG
                        Vermeidung von Übertherapie durch risikoabschätzung
                        PD Dr. Peter Dubsky, Medizinische Universität Wien

            3           Primäre Situation
                   31   DiAGnOse BrUsTKreBs
                        Wegweiser bei der ersterkrankung
                        Prof. Dr. Volker Möbus, Klinikum Frankfurt/M. Höchst

            4           Metastasierte Situation
                   35   MeTAsTAsierTer BrUsTKreBs
                        Aktuelle Behandlungsempfehlungen
                        Prof. Dr. H.-J. Lück, Gynäkologische-onkologische Praxis Hannover

6   Mamma   Mia!        Tumor ist nicht gleich Tumor
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              Inhalt
         Triple negativer Brustkrebs
                                                                                          Thema

    39   DAs TriPLe neGATiVe MAMMAKArZinOM
         eigenschaften und Therapiemöglichkeiten
         PD Dr. Cornelia Liedtke, Universitätsklinikum Münster

6        Familiärer Brustkrebs
    43   GeneTisCHer BrUsTKreBs
         Diagnose, Behandlung und Prophylaxe
         Prof. Dr. Rita Schmutzler, Universitätsklinikum Köln

7        Brustkrebs bei der jungen Frau
    49   BrUsTKreBs Bei Der JUnGen FrAU
         Besonderheiten und Therapieoptionen
         Dr. Stefanie Noeding, Gynäkologische-onkologische Praxis Hannover

    54   rePrODUKTiOnsMeDiZin
         Chancen für den Kinderwunsch nach Krebs
         Prof. Dr. Michael von Wolff, Inselspital Bern

8        Medizinische Studien
    57   MeDiZinisCHe sTUDien
         Die Basis wissenschaftlichen Fortschritts
         Prof. Dr. Gunter von Minckwitz, GBG Forschungs GmbH Neu-Isenburg

9        Austausch mit Betroffenen
    63   seLBsTHiLFe, inTerneTFOren, sOZiALe neTZWerKe & CO.
         Der Austausch mit anderen Betroffenen
         Eva Schumacher-Wulf

10       Anhang
    65   AUTOrenVerZeiCHnis
    68   WiCHTiGe ADressen
    70   GLOssAr
    82   iMPressUM

                                                                 www.mammamia-online.de       7
Mamma MIA! - Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie
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8   Mamma   Mia!
                          Tumorbiologie
                   Tumor ist nicht gleich Tumor
Mamma MIA! - Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie
1     Tumorbiologie

Tumorbiologie
Den TUMOr Besser VersTeHen
Zielgerichtete Krebstherapien stehen im Fokus der Wis-        Die eigenschaften der Zellen spiegeln sich in den Mus-
senschaft. Das Ziel: Patienten sollen so individuell wie      tern dieser Moleküle, den so genannten signaturen, wi-
möglich behandelt und das „Gießkannenprinzip“ (alle           der. Die signaturen der Tumorzellen könnten uns bessere
bekommen das gleiche) vermieden werden. Um eine               Auskünfte geben über die Aggressivität des Tumors und
zielgerichtete und gut verträgliche Therapie entwickeln       das Ansprechen auf verschiedene Therapien als die her-
zu können, müssen die Forscher den Tumor und im ide-          kömmlichen Faktoren. Auch das Verhalten der normalen
alfall auch den gesunden Körper zunächst kennen und           Zellen der erkrankten Patientin könnte besser vorhergesagt
verstehen. Dafür werden Zellen auf molekularer ebene          werden. Am weitesten erforscht sind beim Brustkrebs die
genau untersucht, um deren Beschaffenheit, Beson-             Muster der Boten-Moleküle der Brustkrebszelle, die so ge-
derheiten, Lebenszyklus sowie interaktion mit ande-           nannten Gen-expressions-signaturen.
ren Zellen kennenzulernen. Wissenschaftler haben in
den vergangenen Jahren weitreichende erkenntnisse             Mamma Mia!: Welche Forschungseinrichtungen sind an
über die Tumorbiologie erforscht, viele Fragen sind aber      der Aufschlüsselung der Tumorzellen beteiligt und wer
auch noch offen. Mamma Mia! sprach mit dem Onkolo-            trägt die Kosten der Grundlagenforschung?
gen Professor Dr. Andreas schneeweiss, sektionsleiter
Gynäkologische Onkologie im nationalen Centrum für            Prof. Dr. A. schneeweiss: Zunächst müssen Grundlagen-
Tumorerkrankungen (nCT) des Universitätsklinikums in          forscher in öffentlich geförderten instituten wie beispiels-
Heidelberg, über den aktuellen stand der Wissenschaft.        weise im Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg
                                                              (DKFZ) oder anderen nationalen und internationalen For-
Mamma Mia!: Die Wissenschaft legt seit einigen Jahren         schungseinrichtungen oder in einrichtungen der forschen-
einen Forschungsschwerpunkt auf die individualisierte         den pharmazeutischen industrie neue Hypothesen aufstel-
Krebsbehandlung. Fachleute sprechen von einer zielge-         len und Ansatzpunkte definieren. Die Kosten tragen also
richteten oder besser personalisierten Therapie. Welche       die öffentliche Hand und private Unternehmen. Öffentliche
konkreten erkenntnisse liegen heute vor?                      und private einrichtungen arbeiten häufig in größeren netz-
                                                              werken zusammen. Die richtungen, in welche die Grund-
Prof. Dr. A. schneeweiss: Ziel der Wissenschaft ist es, die   lagenforscher zielen, ergeben sich aus den Problemen, die
unterschiedlichen Tumoren sowie die eigenschaften der         klinisch tätige Ärzte bei der alltäglichen Behandlung von
gesunden Zellen und Organe verschiedener Patientinnen         Krebspatienten haben.
viel genauer zu charakterisieren und ihr Verhalten besser
zu verstehen. Dies ist die entscheidende Voraussetzung für    Mamma Mia!: Wie geht es weiter, wenn es neue er-
eine individualisierte oder personalisierte Behandlung. so    kenntnisse in der Grundlagenforschung gibt?
untersuchen wir die molekularen Muster der Zellen auf ver-
schiedenen ebenen. Wir befassen uns mit dem erbgut der        Prof. Dr. A. schneeweiss: neue Hypothesen und Ansät-
Zellen (Genom), den reversiblen Veränderungen am erbgut       ze werden zunächst an Tumorzelllinien und Tieren mit
(epigenom), Veränderungen an den Boten-Molekülen für          spontanen oder induzierten Krebserkrankungen über-
die Proteinproduktion (Transkriptom), den Proteinen selbst    prüft. erhärten sich die Hypothesen, werden klinische
(Proteom) und den stoffwechselprodukten (Metabolom).          studien mit betroffenen Krebspatienten gestartet. Be-

                                                                                      www.mammamia-online.de            9
Mamma MIA! - Tumor ist nicht gleich Tumor Orientierungshilfe zur individuellen Brustkrebstherapie
stätigen auch diese klinischen studien einen eindeuti-          einen wird das Zellwachstum durch eine rezeptorblockade
gen nutzen beim krebskranken Menschen, ist eine neue            (beim Brustkrebs zum Beispiel des Hormonrezeptors oder
Therapiemöglichkeit geboren. Die enge Zusammenar-               Her2/neu-rezeptors) oder durch eine störung von signal-
beit zwischen Grundlagenforschern und klinisch tätigen          übertragungen innerhalb der Zelle gehemmt. Zum anderen
Ärzten ist eine Grundvoraussetzung für den raschen              wird versucht, die Tumorgefäße am Wachstum zu hindern
Transfer neuer erkenntnisse aus der Grundlagenfor-              (Angiogenesehemmung). Der entwicklung dieser Thera-
schung in den klinischen Alltag. Diese Kooperation ist          pieformen ging eine intensive Forschung an Tumorzellen
damit der schlüssel zur Verwirklichung unseres Trau-            voraus. Weitere Ansatzpunkte in der Zukunft werden sein
mes der personalisierten Therapie, das heißt der indi-          die Wiederherstellung der natürlichen Wachstumshem-
viduell auf jeden Patienten und seine Krebserkrankung           mung von Tumorzellen und die gezielte Beeinflussung
zugeschnittenen Behandlung. Aus diesem Grund wur-               von stoffwechselvorgängen, die für invasion, streuung
den in Deutschland Krebszentren wie das nationale               und erbgutkontrolle verantwortlich sind.
Centrum für Tumorerkrankungen (nCT) Heidelberg
nach dem Vorbild der amerikanischen Comprehensive               Die Tumorbiologie kann die Therapieentscheidung aber
Cancer Center geschaffen, in denen Grundlagenfor-               auch indirekt beeinflussen, denn sie hat eine prognosti-
scher und klinisch tätige Ärzte unter einem Dach zu-            sche und prädiktive Bedeutung. so haben beispielswei-
sammenarbeiten.                                                 se die Arbeiten mit den Proteasen (Faktoren, die zum
                                                                Abbau des umgebenden Gewebes beitragen) uPA und
Mamma Mia!: inwiefern beeinflusst die Tumorbiologie in          seinem inhibitor PAi-1 sehr vielversprechende ergebnis-
der Praxis heutzutage die Therapieentscheidung?                 se gebracht. im Jahr 2007 wurde die Bestimmung des
                                                                uPA- und PAi-1-Gehalts im Primärtumor einer Patien-
Prof. Dr. A. schneeweiss: Derzeit gibt es im wesentlichen       tin sogar in die empfehlungen der American society of
zwei Ansatzpunkte für eine zielgerichtete Therapie. Zum         Clinical Oncology (AsCO) aufgenommen. Danach wird

10        Mamma     Mia!         Tumor ist nicht gleich Tumor
1     Tumorbiologie

empfohlen, den uPA/PAi-1-Test für die Prognoseabschät-         an Frischgewebe bestimmt wird. Bei dieser MinDACT-stu-
zung von neu an Brustkrebs erkrankten Frauen ohne              die wird vor der Behandlung die Amsterdam-signatur aus
Lymphknotenbefall und mit hormonabhängigen, kleinen            dem Tumorgewebe bestimmt. Zusätzlich werden natürlich
Tumoren einzusetzen, um die angemessene Therapie               alle herkömmlichen Prognosefaktoren gemessen. Weichen
auszuwählen. eine hohe uPA- oder PAi-1-Aktivität spricht       die beiden Prognoseabschätzungen voneinander ab, wird
für einen aggressiveren Tumor. so würde man in die-            entweder anhand der herkömmlichen Faktoren oder an-
sem Fall eher eine Chemotherapie verordnen als bei             hand der Amsterdam-signatur behandelt. so kann geprüft
Patientinnen mit einem niedrigen uPA- und PAi-1-Wert.          werden, ob die signatur eine bessere Prognoseabschät-
                                                               zung erlaubt als die klassischen Faktoren. es wird allerdings
Mamma Mia!: Werden diese Werte heute schon stan-               noch bis circa 2016 dauern, bis das ergebnis dieser studie
dardmäßig ermittelt?                                           vorliegt. Bisher gibt es nur ergebnisse aus rückblickenden
                                                               Analysen, die allerdings vielversprechend sind.
Prof. Dr. A. schneeweiss: Teilweise ja, es gibt standardfak-
toren, die immer bestimmt werden. so wird beispielsweise       Mamma Mia!: Können Patientinnen diese signatur auch
immer untersucht, ob Hormonrezeptoren und Her2/neu-            bestimmen lassen, wenn sie nicht in der studie sind?
rezeptoren vorhanden sind. schwieriger wird es mit Fak-        so könnten sie langfristig auf diese Daten zurückblicken.
toren, die am Frischgewebe untersucht werden müssen.
Dazu zählen zum Beispiel die uPA- und PAi-1-Werte. Diese       Prof. Dr. A. schneeweiss: es gibt die Möglichkeit, diese
Untersuchung scheitert häufig an organisatorischen und         Untersuchung in privaten Labors durchführen zu lassen.
logistischen Hürden. Die Bestimmung von uPA und PAi-1          Wir raten davon jedoch ab. Der Test kostet sehr viel
muss an frischem, in stickstoff oder Trockeneis gelager-       Geld und das ergebnis sollte noch nicht als entschei-
tem Tumorgewebe erfolgen. nicht alle Kliniken haben die        dungskriterium in der alltäglichen Therapie verwendet
Möglichkeit, das Gewebe entsprechend zu konservieren.          werden, solange die Daten aus diesen abschließenden
Bisher sind die institute darauf eingerichtet, Gewebepro-      studien nicht vorliegen. ich würde den Betroffenen eher
ben in Paraffin einzulegen. es sollte für diesen Test jedoch   empfehlen, Tumorgewebe einfrieren zu lassen. so hät-
maximal zehn Minuten nach der entnahme gefroren sein.          ten sie in der Zukunft jederzeit die Möglichkeit, weitere
Dabei sollte es sich genau genommen um das Gewebe aus          Faktoren des Tumors zu bestimmen, falls es in Zukunft
der Operation handeln. Wir wissen noch nicht abschlie-         relevant würde.
ßend, ob bei stanzgewebe gleiche ergebnisse erzielt wer-
den können. Die studien befassten sich ausschließlich mit      Mamma Mia!: Wie können Patientinnen ihre Gewebe-
dem herausoperierten Gewebe. Für Krankenhäuser gibt es         proben einfrieren lassen?
einen fertigen Kit, das diese Vorgehensweise ermöglicht.
Patientinnen sollten in jedem Fall vor der Operation fragen,   Prof. Dr. A. schneeweiss: es gibt einige Kliniken, die
welche Möglichkeiten das Krankenhaus bietet.                   über die Möglichkeit verfügen, Frischgewebe tiefgekühlt
                                                               zu verwahren. es handelt sich hier hauptsächlich um die
Mamma Mia!: Was schätzen sie, ab wann neue moleku-             oben genannten Krebskliniken nach dem Vorbild der
lare Tests in den Leistungskatalog der Krankenkassen           amerikanischen Comprehensive Cancer Center. Die-
aufgenommen werden?                                            se Zentren verfügen über Tumorbanken. Weiterhin gibt
                                                               es in einigen städten die PATH (Patients Tumorbank of
Prof. Dr. A. schneeweiss: Derzeit läuft in europa eine Pha-    Hope, www.stiftungpath.org). Am besten sprechen die
se-iii-studie (genannt MinDACT), in der die Aussagekraft ei-   Betroffenen dieses Thema vor der Operation in ihrem
ner Gen-expressions-signatur, der so genannten „Amster-        Krankenhaus an.
dam-signatur“ (nach dem Ort, an dem sie entwickelt wurde)
abschließend geklärt werden soll. Bei der Amsterdam-sig-       Mamma Mia!: Was können Frauen tun, deren Gewebe
natur handelt es sich um ein Muster aus 70 Molekülen, das      bereits in Paraffin eingelegt wurde?

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Prof. Dr. A. schneeweiss: einige dieser Gen-expressi-            KOnTAKT
ons-signaturen können auch an dem in Paraffin konser-
vierten Gewebe bestimmt werden (recurrence score,                Prof. Dr. med. Andreas Schneeweiss

PAM50 classifier, endopredict). in nordamerika läuft             sektionsleiter Gynäkologische Onkologie
derzeit eine studie (genannt TAiLOrx), in der der re-            nationales Centrum für Tumorerkrankungen
currence score aus Paraffingewebe bestimmt wird. es              Universitäts-Klinikum
                                                                 im neuenheimer Feld 460
soll überprüft werden, ob der recurrence score eine              69120 Heidelberg
Aussage über den nutzen einer Chemotherapie erlaubt.
                                                                 Tel.:   06221 56 36051
ergebnisse dieser studie werden 2014 erwartet.                   Fax: 06221 56 7920
                                                                 e-Mail: andreas.schneeweiss@med.uni-heidelberg.de

Mamma Mia!: Gibt es weitere, erfolgversprechende An-             www.klinikum.uni-heidelberg.de
sätze im Bereich der Tumorbiologie, die vielleicht in den
kommenden Monaten oder Jahren für die Brustkrebs-
behandlung relevant werden könnten?

Prof. Dr. A. schneeweiss: es gibt vielfältige Ansätze, die       Mamma Mia!: Was erhoffen sie sich für die Zukunft?
nicht in den kommenden Monaten, aber in den kom-                 inwiefern wird die erforschung der Tumorbiologie ihrer
menden Jahren relevant werden könnten. Wir müssen                Meinung nach die Brustkrebsbehandlung verändern?
das „Gießkannenprinzip“ der Krebsbehandlung zuguns-
ten einer stärker individualisierten, zielgerichteten The-       Prof. Dr. A. schneeweiss: Der Traum ist die persona-
rapie verlassen.                                                 lisierte, das heißt für jede Patientin und ihre Krebser-
                                                                 krankung individuell zugeschnittene Therapie. Diesem
Vielversprechende Ansätze (neben anderen) sind:                  Ziel werden wir immer näher kommen, aber nicht in
 Die Behandlung molekular definierter subgruppen mit            großen sprüngen, sondern in kleinen schritten. neben
  gezielten Kombinationstherapien (zum Beispiel die The-         der Finanzierung der erforschung und Anwendung die-
  rapie bestimmter Her2/neu-positiver Brustkrebsformen           ser Therapien wird ein Hauptproblem die Verarbeitung
  mit Trastuzumab und einer weiteren Anti-Her2-Therapie          der riesigen Datenmengen, die durch neue Hochdurch-
  wie Lapatinib oder Pertuzumab. Alle diese substanzen           satzverfahren innerhalb kürzester Zeit bei jeder Patien-
  sind schon für die Behandlung des Her2/neu-positiven,          tin und ihrer Krebserkrankung individuell erhoben wer-
  metastasierten Brustkrebses zugelassen, eine genauere          den können. in wenigen Jahren wird es beispielsweise
  Definition, welcher Brustkrebs auf welche Kombination          möglich sein, innerhalb von einer Woche das gesamte
  besonders anspricht, gelang bisher aber nicht).                erbmaterial einer individuellen Krebserkrankung zu ent-
 Die Therapie anhand genetischer Veränderungen                  schlüsseln. Daraus werden sich viele neue Ansatzpunk-
  anstelle morphologischer Kriterien (zum Beispiel die           te für eine personalisierte Therapie ergeben. Vor uns
  Therapie von BrCA-defizienten Brustkrebsformen                 liegt ein aufregender, aber auch mühsamer und lang-
  mit PArP-Hemmern (PArP = Poly-(ADP-ribose)-                    wieriger Weg mit hohen wissenschaftlichen, strukturel-
  Polymerase).                                                   len und finanziellen Hürden. Diese Hürden müssen wir
 Die Bestimmung neuer Zielstrukturen und deren ge-              gemeinsam überwinden. Wir sind es den Betroffenen
  zielte Beeinflussung (zum Beispiel des „insulin-like           und ihren Familien schuldig. a
  Growth Factor-rezeptors“ und seines signalweges).
 Die Charakterisierung und gezielte Ausschaltung der
  Krebsstammzelle.
 Das gezielte Ausnutzen der immunologischen interak-
  tionen zwischen dem Krebspatient und seiner Krebs-
  erkrankung.

12        Mamma      Mia!         Tumor ist nicht gleich Tumor
1    Tumorbiologie

Pathologie
Die rOLLe Des PATHOLOGen Bei Der
THerAPieenTsCHeiDUnG
Ob eine Veränderung der Brust gut- oder bösartig ist,       zubringen. Bevor das Gewebe unter dem Mikroskop un-
kann nicht durch eine sonographie oder eine Mammo-          tersucht werden kann, muss es eine spezielle Aufberei-
graphie, sondern nur durch eine Gewebeuntersuchung          tung und Anfärbung durchlaufen, die 24 bis 48 stunden
entschieden werden. Für diese Untersuchung gibt es eine     in Anspruch nimmt. Daher liegt nicht sofort nach einer
spezialisierte Facharztausbildung, die mit sechs Jahren     Probeentnahme eine Diagnose vor.
eine der längsten ist und als Pathologie bezeichnet wird.
Die Facharztbezeichnung führt immer wieder zu Ver-          Folgende für die Patientin und ihre Ärzte entscheiden-
wirrung, denn statt der erwarteten Obduktionstätigkeit      den informationen stammen aus der pathologischen
bedeutet Pathologie heute in mehr als 99 Prozent der        Untersuchung:
Fälle die Untersuchung von Gewebeproben zur Diag-
nosestellung von erkrankungen Lebender.                     1. GUT- ODer BÖsArTiG?

Für die Untersuchung des Gewebes (hiervon leitet sich       Mit Dignität wird die Gut- oder Bösartigkeit (Benignität
der Begriff Histologie ab) benutzten die Pathologen ein     oder Malignität) der Gewebsveränderung bezeichnet.
Mikroskop, an dem sie den Großteil ihres Arbeitstages       Zumeist wird aus einem fraglichen Herd in der Brust

                                                                                  www.mammamia-online.de         13
(Mamma) zunächst eine stanz- oder Vakuumbiopsie                   mikroskopisch abschätzen. Dies geben die Pathologen
gewonnen. Deren mikroskopische Untersuchung durch                 mit dem so genannten „Grading“ an, das in drei stufen,
die Ärzte für Pathologie legt fest, ob es sich um einen           niedrig (G1), mittel (G2) und hoch maligne (G3) erfolgt.
bösartigen oder gutartigen Tumor handelt. Falls es ein            Hieran bemisst sich vor allem die notwendigkeit einer
bösartiger Tumor ist, und das sind in der weiblichen Brust        Chemotherapie. Ob eine Hormontherapie ausreicht oder
in den allermeisten Fällen Karzinome, beurteilen die Pa-          es einer zusätzlichen Chemotherapie bedarf, bleibt ins-
thologen auch, ob der Prozess noch auf die Milchgänge             besondere bei G2 Tumoren offen. Die wichtigste Frage,
beschränkt und damit nicht metastasierungsfähig ist („in          die sich an die Diagnose Mammakarzinom anschließt, ist
situ“) oder ob er bereits invasiv und damit die Gefahr der        heute: Um was für ein Mammakarzinom handelt es sich?
streuung gegeben ist.                                             es gibt eher harmlose und sehr gefährliche Vertreter unter
                                                                  den Mammakarzinomen, was manchmal mit dem „Haus-
2. GrÖsse UnD AUsBreiTUnG                                         tier“- und dem „raubtierkrebs“ anschaulich umschrie-
   Des TUMOrs?                                                    ben wird. Die harmlosen, also die „Haustierkarzinome“,
                                                                  sind in der Mehrzahl und sind mit einer Hormontherapie
Wurde ein Karzinom operiert, untersucht die Pathologie            ausreichend behandelt, benötigen also keine zusätzli-
alle entnommenen Gewebe. Daran wird die Größe des                 che Chemotherapie. Die Festlegung, wie gefährlich ein
Karzinoms ausgemessen. Die Größe eines Tumors ist                 Karzinom wirklich ist, stellt eines der größten ungelös-
nach wie vor ein Faktor, der in die entscheidung „Chemo-          ten Probleme in der Behandlung von Brustkrebs dar. es
therapie ja oder nein“ einfließt. Maßgeblich für die Größen-      gibt einerseits Frauen, deren Tumoren zum Hochrisiko-
bestimmung ist wieder ausschließlich der pathologische,           Typ gehören und intensiver behandelt werden müssen,
nicht der radiologische oder sonographische Befund.               und andererseits Patientinnen mit niedrigrisiko-Typ, bei
schließlich wird die Ausbreitung erfasst: Hat der Tumor           denen nach der Operation außer Hormontherapie keine
Lymph- und Blutgefäße infiltriert oder liegen Absiedelun-         weitere Therapie nötig ist. Die erwähnten Messinstru-
gen in einem oder mehreren axillären Lymphknoten vor?             mente der Pathologie (Tumorgröße, Ausbreitung, Gra-
Das Ausbreitungsstadium wird nach dem „TnM-system“                ding) können diese Unterscheidung nicht immer genau
angegeben. T 1 bis 4 bezeichnet dabei die Tumorgröße,             treffen. sehr wichtig für die risikoabschätzung ist die
n das Ausmaß des metastatischen axillären Lymphkno-               Wachstumsgeschwindigkeit eines Karzinoms, die sich
tenbefalls, M wird fast immer von der Klinik bestimmt             mit dem Anteil teilungsaktiver Zellen abschätzen lässt.
und bezeichnet das Vorliegen von Fernmetastasen (TnM-             Dazu benutzt die Pathologie den Marker Ki-67. sind zehn
system: siehe seite 74).                                          Prozent oder weniger eines Tumors Ki-67 positiv, liegt
                                                                  ein niedriges risiko vor; reagieren mehr als 25 Prozent
3. ABsTAnD ZU Den rÄnDern?                                        der Zellen positiv, besteht ein hohes, zwischen diesen
                                                                  Werten ein mittleres risiko.
eine wichtige Frage, die in der Pathologie durch die Unter-
suchung des resektates entschieden wird, ist die, ob der          Liegt ein mittleres risiko (G2, Ki-67 bei 15 bis 25 Pro-
Prozess komplett entfernt werden konnte. Dazu müssen              zent) vor, fehlen eindeutige Kriterien für oder gegen eine
die ränder des Operationspräparates gesondert unter-              Chemotherapie. Der Trend geht zur individuellen risi-
sucht und die Tumorfreiheit und der Abstand des Tumors            koabschätzung anhand genauerer Kenntnis der Tumor-
zum gesunden Gewebe festgelegt werden. ist dieser zu              biologie. Hilfe verspricht man sich von molekularbiolo-
klein, muss eventuell eine nachresektion erfolgen.                gischen Verfahren, die die Genaktivität messen. Das
                                                                  Genprofiling scheint eine vielversprechende Methode
4. AGGressiViTÄT Des TUMOrs?                                      zur Unterscheidung von Hochrisiko- und niedrigrisiko-
                                                                  Typen zu sein. Verschiedene Verfahren sind verfügbar,
Wie groß die Aggressivität beziehungsweise Ausbrei-               werden in der regel jedoch nicht durch die gesetzlichen
tungstendenz eines Karzinoms ist, lässt sich ebenfalls            Krankenkassen getragen. Die deutschen Leitlinien, unter

14        Mamma      Mia!          Tumor ist nicht gleich Tumor
1    Tumorbiologie

anderem die Therapieempfehlungen der AGO-Mamma              KOnTAKT
(Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie), sehen
die studienlage noch nicht ausreichend für eine routi-      Prof. Dr. med. H. H. Kreipe

nemäßige Anwendung. Außerhalb von studien sollten           institut für Pathologie,
                                                            Medizinische Hochschule
die molekularen Verfahren nur ausnahmsweise zur An-
                                                            Carl-neuberg-straße 1,
wendung kommen.                                             30625 Hannover
                                                            Tel.:   0511 532 4500 oder 4501
Der „recurrence score“ von Genomic Health ist der           Fax: 0511 532 5799
                                                            e-Mail: pathologie@mh-hannover.de
weltweit am stärksten verbreitete Gentest, der 2009 von
der American society of Clinical Oncology zur routine-
anwendung empfohlen wurde. Der Test stellt anhand
verschiedener Marker fest, welches rezidivrisiko bei Hor-
monrezeptor positiven Mammakarzinomen (siehe unten)
besteht und ob dieses eine Chemotherapie erfordert.         trogenrezeptor und der rezeptor für den epidermalen
Was allerdings noch aussteht, ist die Klärung, ob diese     Wachstumsfaktorrezeptor 2 (Her/2). Gegen beide struk-
neuen Verfahren die traditionelle Pathologie, wenn sie      turen stehen wirksame Medikamente zur Verfügung, mit
standardisiert ausgeführt wird, übertreffen kann oder       denen sich das Tumorwachstum gezielt hemmen lässt.
nicht. Der Test kostet 3.100€ und wird von den gesetz-      Circa 75 Prozent der Mammakarzinome sind positiv für
lichen Kassen zurzeit in der regel nicht finanziert. Wie    den Östrogenrezeptor und 16 Prozent für Her/2. sind
auch beim Grading durch die Pathologie gibt es allerdings   beide rezeptoren nicht vorhanden und fehlt auch noch
eine Mittelgruppe ohne eindeutige risikoangabe, die 30      der Progesteronrezeptor, liegt ein so genannter „triple
bis 60 Prozent aller Fälle umfasst. Außer dem recurrence    negativer“ Tumor vor, der besonders aggressiv ist (siehe
score sind noch der Gentest (70 Gene) von Agendia,          Kapitel 5, seite 38).
der allerdings Frischgewebe erfordert, und endopredict
in der erprobung. endopredict kann nur bei Hormonre-        eine spezifisch gegen Zielmoleküle gerichtete Therapie
zeptor positiven Karzinomen angewandt werden.               hat die präzise und korrekte identifikation potentieller
                                                            Targetmoleküle im Tumor zur Voraussetzung. Bei der
5. ZieLsTrUKTUren FÜr GeZieLTe                              Gewebe-basierten Analyse setzt die Pathologie eine
   THerAPien VOrHAnDen?                                     reihe von Verfahren ein, die die Unterscheidung von
                                                            Tumor- und Umgebungszellen ermöglichen, wie immun-
eine weitere wichtige Frage, die die Pathologie nach        histochemie, Polymerasekettenreaktion (PCr) oder Flu-
der Krebsdiagnose zu beantworten hat, ist die nach          oreszenz in-situ-Hybridisierung (FisH). Alle Methoden
der Behandelbarkeit mit zielgerichteter Therapie. Über      können am Formalin fixierten und Paraffin eingebetteten
Jahrzehnte hat sich die klinische Krebsforschung darauf     Gewebe erfolgen, als das fast alle Tumorproben vorlie-
konzentriert, empirische Kombinationen unspezifischer       gen. Pathologien, die für zertifizierte Brustzentren (der
zytotoxischer Wirkstoffe zu testen. in den letzten Jahren   Deutschen Krebsgesellschaft) tätig sind, unterziehen sich
sind wir Zeugen einer revolutionären Umwälzung in der       regelmäßig einer externen Qualitätskontrolle hinsichtlich
onkologischen Therapie geworden, die durch die spe-         der Zuverlässigkeit ihrer Bestimmungsverfahren. es ist
zifisch gegen Targetmoleküle gerichtete medikamentöse       zu erwarten, dass die Liste möglicher Targetmoleküle
intervention herbeigeführt wurde. Der therapeutische        zukünftig weiter wachsen wird und dass sich die Pa-
schlag soll gegen die Achillesferse eines Tumors gerich-    thologie daher der wachsenden Herausforderung aus-
tet werden, wie Oberflächenmarker, mutierte Onkogene        gesetzt sehen wird, unmittelbar und direkt die Therapie
oder Tyrosinkinasen, was freilich im individuellen Fall     beeinflussende informationen aus dem Gewebe durch
bekannt sein muss. Beim Mammakarzinom sind zwei             den nachweis von Zielmolekülen zu gewinnen und be-
Zielmoleküle von entscheidender Wichtigkeit: der Ös-        reitzustellen. a

                                                                                       www.mammamia-online.de     15
Translationale Forschung
VOn Der PrÄKLinisCHen FOrsCHUnG
ZUr KLinisCHen AnWenDUnG
Den großen Durchbruch gibt es in der Krebstherapie             Dr. nadia Harbeck, die Leiterin des Brustzentrums der
noch nicht. nach wie vor sind einige Krebsarten nicht          Universität München (LMU). Mamma Mia! sprach mit ihr
heilbar. es gibt jedoch große Fortschritte. Die Überle-        über den Forschungsstandort Deutschland.
bensraten steigen, was zum einen mit einer verbesser-
ten Diagnostik und zum anderen mit einer verbesserten          Mamma Mia!: Frau Professorin Harbeck, was genau ver-
Therapie zusammenhängt. Grundlage neuer Therapien              birgt sich hinter dem Begriff der „translationalen For-
ist eine intensive Forschung, die meist im Labor be-           schung“?
ginnt und erst nach Jahren intensiver Beobachtungen
beim Menschen eingesetzt wird. Dieser Prozess wird             Prof. Dr. nadia Harbeck: Bei der translationalen For-
als „translationale Forschung“ bezeichnet. eine in der         schung geht es darum, erkenntnisse, die wir im La-
Brustkrebsforschung führende Wissenschaftlerin ist Prof.       bor beziehungsweise in klinischen studien erlangen, so

16       Mamma      Mia!        Tumor ist nicht gleich Tumor
1       Tumorbiologie

schnell wie möglich in die klinische Praxis umzusetzen.    KOnTAKT
Die medizinische Forschung beginnt meist im reagenz-
glas, anschließend gilt es zu testen, ob die erlangten     Univ.-Prof. Dr. Nadia Harbeck

ergebnisse auch beim Menschen anwendbar sind. in           Brustzentrum der Universität München
                                                           Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde
diesem Prozess arbeiten interdisziplinäre Teams aus
                                                           und Geburtshilfe
der präklinischen Forschung und der Klinik zusammen.
                                                           Marchioninistraße 15
                                                           81377 München
Mamma Mia!: Das klingt nach einem sehr aufwendigen,        e-Mail: nadia.harbeck@med.uni-muenchen.de
kostenintensiven Projekt.

Prof. Dr. nadia Harbeck: Ja, das ist es auch. Ziel bei
den meisten Forschungsvorhaben ist ja die entwicklung      wegweisende studien in Deutschland durchführen kön-
neuer Wirkstoffe, die einige Millionen euro kosten kann.   nen. Das hätte möglicherweise die Folge, dass wir be-
Bevor ein Wirkstoff zugelassen wird, müssen verschie-      stimmte Wirkstoffe schneller einsetzen können. ein wei-
dene studien mit – je nach Fragestellung – mehreren        terer Trend, den wir in den UsA beobachten, ist, dass
tausend Patienten durchgeführt werden.                     immer mehr akademische Forscher und institutionen
                                                           selbst Firmen gründen, um sich Patente zu sichern. Das
Mamma Mia!: Wer finanziert das?                            wird sicherlich auch hierzulande zunehmen.

Prof. Dr. nadia Harbeck: nun, in der regel kooperieren     Mamma Mia!: Was müsste ihrer Meinung nach in
Universitätskliniken beziehungsweise andere akademi-       Deutschland verbessert werden, um die translationale
sche Forschungseinrichtungen mit der industrie. Die        Forschung zu fördern?
Finanzierungsfrage gestaltet sich jedoch immer wieder
als schwierig, zumal verschiedene interessen gewahrt       Prof. Dr. nadia Harbeck: ein großes Problem ist, dass
bleiben müssen – das akademische interesse im sinne        Kliniker auch an Universitätskliniken immer weniger Zeit
der wissenschaftlichen Unabhängigkeit, das interesse       für die Forschung haben. Der Klinikalltag lässt einfach
der Patienten sowie das der industrie. Meiner Meinung      keinen raum für größere Forschungsprojekte bezie-
nach müssen hier alle Beteiligten noch etwas scheu ver-    hungsweise sie gestalten sich aufgrund des Zeitman-
lieren und in einen offenen Dialog treten. Je größer die   gels oft als sehr langwierig. Meiner Meinung nach sollte
Transparenz ist, desto weniger Vorbehalte und Missver-     jede Universitätsklinik über eine eigene Forschungsab-
ständnisse wird es geben. ein weiterer wichtiger schritt   teilung verfügen, in der sich die Mitarbeiter voll und ganz
wäre in Deutschland eine aktive Beteiligung der Kosten-    der Forschung widmen können. Zusätzlich sollte es die
träger im Gesundheitssystem an der Finanzierung der        Möglichkeit für Kliniker geben, für Forschung teilweise
klinischen studien – letztlich kommen Verbesserungen       freigestellt zu werden. Das setzt jedoch einen struktur-
an der Therapie gerade auch den Krankenkassen und          wandel voraus, denn derzeit haben die meisten Kliniken
ihren Versicherten zu Gute.                                mit einer stellenknappheit zu kämpfen. es gibt einen
                                                           weiteren Punkt, der mir auf der seele brennt: 70 bis 80
Mamma Mia!: Wenn sie in die Zukunft blicken – wie wird     Prozent des forschenden nachwuchses sind Frauen,
sich die Forschungslandschaft in Deutschland künftig       für die sich das Berufsbild „klinische Forschung“ nach
gestalten?                                                 wie vor nur schwierig mit Familie vereinbaren lässt. Da-
                                                           durch verlieren wir viele kompetente nachwuchskräfte.
Prof. Dr. nadia Harbeck: ich denke, dass die internati-    Hier wünsche ich mir mehr Flexibilität auch seitens der
onale Zusammenarbeit weiter ausgebaut werden wird,         Arbeitgeber. eigentlich sollte es möglich sein, gerade
so dass wir immer mehr von studien, die im Ausland         auch in einer Universitätsklinik, Beruf und Familie ver-
durchgeführt werden, profitieren können oder auch          einbaren zu können. a

                                                                                     www.mammamia-online.de        17
2
18   Mamma   Mia!
                           Zielgerichtete
                           Therapien
                    Tumor ist nicht gleich Tumor
2    Zielgerichtete Therapien

Das Gießkannenprinzip ist out
Die enTWiCKLUnG ZieLGeriCHTeTer THerAPien

Krebsbehandlungen nach dem Gießkannenprinzip sind
out. Der Fokus der Wissenschaft liegt auf der indivi-
dualisierten Tumortherapie. immer mehr zielgerichtete
Therapien werden entwickelt. neue Antikörper, „small
molecules“, kleine Moleküle und Hemmsubstanzen un-
terschiedlicher signalwege werden in der Brustkrebs-
therapie eingesetzt. Professor Dr. Dr. Wolfgang eier-
mann erläutert im Gespräch mit Mamma Mia!, welche
Therapieoptionen heute zur Verfügung stehen und wo
es noch Therapielücken gibt.

Mamma Mia!: Herr Professor eiermann, als erste zielge-
richtete Brustkrebstherapie kann die Antihormonthera-
pie bezeichnet werden, die gezielt zur Behandlung von
hormonabhängigen Tumoren eingesetzt wird. Wann
wurde diese Therapieoption entdeckt und wie hat sie          toren wurde die Wirkung von Tamoxifen nachgewiesen,
sich seither weiterentwickelt?                               einem so genannten Antiöstrogen – wie wir heute wissen
                                                             mit partieller östrogener Wirkung.
Prof. Dr. Dr. Wolfgang eiermann: Die Hormontherapie
durch entfernung der eierstöcke ist eine Therapieform,       Die heutige Hormontherapie basiert im Wesentlichen
die bis an das ende des 19. Jahrhunderts zurückverfolgt      auf drei substanzgruppen:
werden kann. Allerdings war diese Therapie ohne Kennt-
nis der Prinzipien und Mechanismen. Die entwicklung än-      1. GnrH-Analoga zur Down-regulation der eierstock-
derte sich erst, als Mitte der 1970er Jahre rezeptoren für      funktion und damit zur ovarialen suppression. Die
sexualsteroide im Tumorgewebe nachgewiesen werden               Patientin wird so medikamentös in den Wechsel ver-
konnten und zwar nicht nur bei Frauen vor dem Wech-             setzt. Die Wirkungsweise ist vergleichbar mit dem
sel, sondern auch in der postmenopausalen situation.            der entfernung oder Bestrahlung der eierstöcke. Die
Also ist hier zum ersten Mal das so genannte „Target“ als       Therapie ist reversibel.
prädiktiver Faktor für den einsatz einer Hormontherapie      2. Antiöstrogene Therapie mit Tamoxifen. ein Antiöstro-
beschrieben worden. Die wissenschaftlichen erkenntnis-          gen mit partieller östrogener Wirkung (zum Beispiel
se sind in erster Linie mit dem namen elwood Jenssen,           in der Gebärmutter). Fulvestrant, Weiterentwicklung
Chicago, verbunden. Heinrich Maass war der Pionier              der antiöstrogenen Wirkung von Tamoxifen, ein so
in Deutschland. es konnte auch gezeigt werden, dass             genanntes „reines“ Antiöstrogen mit geringer neben-
die Wirksamkeit der Hormontherapie nicht nur abhän-             wirkung. Hauptwirkung basiert auf einer Down-regu-
gig ist von rezeptoren für Östrogene oder Gestagene,            lation der Östrogenrezeptoren (maximal 80 Prozent).
sondern dass die Wirksamkeit auch in Zusammenhang            3. Aromatasehemmer (enzymblocker) entweder steroidal
steht mit der Dichte der so nachgewiesenen rezeptoren.          oder nicht steroidal, führen bei postmenopausalen
Zeitgleich mit der entdeckung der steroidhormonrezep-           Frauen zu einer weiteren Herabsetzung des Östrogen-

                                                                                   www.mammamia-online.de        19
spiegels basierend auf der Blockierung eines enzyms          ben, ebenso die Wirksamkeit von Antikörpern zur Blo-
  (Aromatase), eine weitere Bildung von Östrogenen im          ckierung der signalwege. Die klinische entwicklung des
  nichtovariellen Gewebe (unter anderem Fettmuskula-           Antikörpers gegen Her2/neu ist eng mit dem namen
  tur, nebenniere) wird verhindert.                            Dennis slamon UCLA verbunden, der die wichtigsten
                                                               studien in der metastasierten situation zum nachweis
Mamma Mia!: Die entdeckung der Her2/neu-rezepto-               des Antikörpers leitete. Die Zulassung für die metasta-
ren kann als weiterer Meilenstein in der Brustkrebsbe-         sierte situation folgte bereits 1998 in den UsA, 2000
handlung bezeichnet werden, da sie eine direkte An-            in Deutschland. Die wichtigste Zulassungsstudie (648)
griffsfläche für zielgerichtete Therapien bieten. Wann         wurde allerdings erst 2001 im new england Journal of
wurden diese rezeptoren entdeckt und welche Thera-             Medicine publiziert. Der einsatz des Her2/neu-Antikör-
pieoptionen stehen zur Verfügung?                              pers (Trastuzumab) in der adjuvanten situation führte
                                                               praktisch in allen situationen in der Kombination mit
Prof. Dr. Dr. Wolfgang eiermann: Der nachweis von              Chemotherapie zu einer Halbierung der rückfallquo-
Her2/neu-rezeptoren als Teil einer ganzen Familie von          te. so konnte unter anderem in der bahnbrechenden
rezeptoren Her1 bis Her4 wurde ende der 1980er                 BCirG 006 studie auch eindeutig nach siebenjähri-
Jahre von Axel Ulrich (heute MPi Martinsried) beschrie-        ger nachbeobachtung eine Gesamtüberlebensver-

20       Mamma     Mia!         Tumor ist nicht gleich Tumor
2     Zielgerichtete Therapien

besserung nachgewiesen werden. Dieses Antikörper-         Prof. Dr. Dr. Wolfgang eiermann: Die Untersuchung von
bindungsprinzip, damit Blockierung des signalweges,       Parpinhibitoren bei triple negativen Karzinomen lösten in
eröffnet viele neue Möglichkeiten. so stehen weitere      der Phase ii eine große euphorie aus. in einer Phase-
Antikörper in der entwicklung oder sind seit kurzem zu-   iii-studie konnten diese enormen effekte nicht mehr re-
gelassen. Vor allem aber ist ein neues Therapieprinzip,   produziert werden. es gibt hier mehrere Ursachen. Das
in dem ein Zytostatikum an einen Antikörper gekoppelt     triple negative Karzinom ist sehr heterogen, die Triple-
wird, außerordentlich vielversprechend. Der Antikörper    negativität ist nicht genau definiert: Was sind die Limits,
„schleppt“ das sonst hochtoxische Zytostikum in die       beispielsweise für rezeptorpositivität? es liegt also zur-
Zelle, so dass die fatale Wirkung sich auf den intra-     zeit eine gewisse Überschätzung dieser substanzgrup-
zellulärraum beschränkt. Hier geht die entwicklung mit    pe vor. Therapielücken liegen sicher bei seltenen enti-
großen schritten weiter.                                  täten vor, für die wirksame neue Therapieformen bisher
                                                          in nur wenigen Fällen nachgewiesen werden konnten.
Mamma Mia!: Gibt es weitere zielgerichtete Therapie-
formen bei Brustkrebs, die standard-
mäßig zum einsatz kommen?

Prof. Dr. Dr. Wolfgang eiermann: Kon-
kurrierend zu der Antikörpertechnolo-
gie scheinen mir die oral verfügbaren
Tyrosinkinaseinhibitoren, zum Bei-
spiel Lapatinib und andere zu sein.
Diese substanzen sind oral verfüg-
bar und passieren die Zellmembran,
um an der innenseite der Zellmemb-
ran ihre Wirkung zu entfalten, wo sie
die Tyrosinkinase blockieren. Dieses
Konzept eröffnet eine ganze reihe
von neuen Möglichkeiten. Allerdings
ist ein limitierender Faktor der Tyro-
sinkinaseinhibitoren immer noch das
relativ ungünstige nebenwirkungs-
spektrum, insbesondere wenn man
es mit den Antikörpertechnologi-
en vergleicht. Weitere zielgerichtete
Therapieformen sind der einsatz von
m-TOr-inhibitoren (inzwischen auch
zugelassen) und eine reihe anderer
blockierender substanzen. Zumeist
liegen aber keine prädiktiven Fakto-
ren (Marker) vor.

Mamma Mia!: Gibt es Therapielücken,
also Tumorarten, für die derzeit kein
geeigneter Wirkstoff zur Verfügung
steht?

                                                                                 www.mammamia-online.de           21
Mamma Mia!: Welche neuen Wirkstoffe werden derzeit             KOnTAKT
in studien untersucht?
                                                               Prof. Dr. Dr. h.c. W. Eiermann

Prof. Dr. Wolfgang eiermann: Wie oben schon ange-              iOZ München
deutet, sind hier neue Antikörper der Her-Familie im           nußbaumstr. 12
klinischen einsatz, außerdem eine Vielzahl neuer Tyro-         80336 München
sinkinaseinhibitoren, m-TOr-inhibitoren, CdK 4/6 inhi-         Tel.:   089 599888830
                                                               e-Mail: w.eiermann@ioz-muenchen.de
bitoren und andere.
                                                               www.ioz-muenchen.de
Mamma Mia!: in Verbindung mit zielgerichteten Thera-
pien werden häufig die hohen Kosten angesprochen,
die diese Behandlungen verursachen. Wie stehen sie
zu dieser Diskussion?

Prof. Dr. Dr. Wolfgang eiermann: natürlich sind die Kos-       therapie zu einer senkung der Kosten und vor allem der
ten enorm, aber durch die Therapieverbesserungen               nebenwirkungen. Die systemischen Therapieverfahren
oder Therapieerfolgsverbesserungen sehen wir deutlich          werden teurer, dagegen sehe ich einsparpotential bei
weniger Metastasierungen mit allen Folgekosten. Durch          lokalen Therapieverfahren.
eine exakte Definition der Wirksamkeit einer substanz
mit Biomarkern wird potentiell gezielter therapiert und        Mamma Mia!: Was bringt ihrer Meinung nach die Zu-
damit weniger nach dem „Gießkannenprinzip“. Hierin             kunft? Wo geht die reise hin?
liegt sicher auch ein großes einsparpotential. Ganz ab-
gesehen davon führt auch die reduktion einer Chemo-            Prof. Dr. Dr. Wolfgang eiermann: An vorderster stelle
                                                               steht die Definition prädiktiver Marker für eine neue ziel-
                                                               gerichtete Therapie, um hier wirklich gezielt den Wirk-
                                                               stoff einzusetzen. Die Zukunft wird wahrscheinlich zei-
                                                               gen, dass die Kombination von neuen therapeutischen
                                                               substanzen über kurz oder lang den einsatz der Che-
                                                               motherapie reduzieren wird. Ob wir die Chemotherapie
                                                               ganz vermeiden können, wage ich für die absehbare
                                                               Zeit noch zu bezweifeln, aber eine reduktion und da-
                                                               mit auch eine Verringerung der Toxizität werden gut zu
                                                               erzielen sein. Der erfolg neuer Therapien wird in der
                                                               Kombination mehrerer Therapieprinzipien liegen, ohne
                                                               dabei die nebenwirkungsquote zu erhöhen. Zukünfti-
                                                               ge Fragen werden also zu beantworten haben, welche
                                                               Chemotherapie addieren wir oder fügen wir zu einer
                                                               neuen Therapiekombination hinzu und nicht mehr um-
                                                               gekehrt. es müssen auch Mittel gefunden werden, um
                                                               langjährige Therapiestudien abzukürzen und rascher
                                                               ergebnisse in die Klinik umsetzen zu können. Hier ver-
                                                               spreche ich mir sehr viel von neoadjuvanten Therapie-
                                                               studien, die uns sehr rasch über die Wirksamkeit einer
                                                               substanz beziehungsweise einer Kombination Auskunft
                                                               geben können. a

22       Mamma      Mia!        Tumor ist nicht gleich Tumor
2     Zielgerichtete Therapien

Brustkrebs
eine KrAnKHeiT
MiT VieLen GesiCHTern

Die Forschung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass       Vor etwa zehn Jahren haben amerikanische Forscher
es sich bei Brustkrebs nicht um eine einzelne, immer         der Universität von north Carolina eine neue Methode
gleich verlaufende erkrankung handelt. Vielmehr geht         entwickelt und das genetische Profil von Brustkrebstu-
man heute davon aus, dass Brustkrebs eine vielseitige        moren untersucht. Die Wissenschaftler haben zum ersten
erkrankung mit verschiedenen Untergruppen darstellt.         Mal gezeigt, dass morphologisch verschiedene Brust-
Genetische Untersuchungen am Tumorgewebe zeigen              krebstumoren mit molekular-genetisch unterschiedlichen
deutliche Unterschiede, die einfluss auf Aggressivität und   subtypen übereinstimmen und diese subtypen sich in
Prognose haben. somit ist das Ziel aktueller Grundlagen-     ihrem genetischen Muster deutlich unterscheiden. sie
forschung die entwicklung einer individuellen Therapie       konnten auf diese Weise folgende fünf Untergruppen
für jede einzelne Patientin bezogen auf die Aggressivi-      definieren, die sich hinsichtlich ihres Verhaltens und ihrer
tät ihres Tumors.                                            Aggressivität und Prognose unterscheiden:

Derzeit gehören zur standardmäßigen Untersuchung                Luminal A Karzinome
beim Brustkrebs die mikroskopische Bestimmung von               Luminal B Karzinome
Tumorgröße, Tumortyp (am häufigsten invasiv-ductal              „normal breast-like“ Karzinome
oder invasiv-lobulär), der Differenzierungsgrad (Grading)       „basal-like“ Karzinome
und die Bestimmung der Hormonrezeptoren (Östrogen/              Her2-positive Karzinome
Progesteron) und des Her2-status (Wachstumsfaktor
auf der Zelloberfläche). Daneben werden zur Festlegung       LUMinALe KArZinOMe
der Behandlung die information über die Achsel-Lymph-
knoten und das Patientenalter herangezogen. Grund-           Die Gruppe der luminalen Karzinome ist die größte Grup-
sätzlich ist bekannt, dass trotz dieser informationen den-   pe von Mammakarzinomen, die sich mit Genchip-ba-
noch nicht in zufriedenstellendem Maße die Vorhersage        sierter Diagnostik identifizieren lässt. Diese Karzinome
über das individuelle Patientenrisiko getroffen werden       sind durch Hormonrezeptor-Positivität charakterisiert,
kann. Vielmehr ist die Biologie des einzelnen Tumors         wobei sich mehrere Untergruppen mit unterschiedlich
hierfür bedeutend. somit bestehen nur sehr begrenz-          starker Östrogenrezeptor-Ausprägung darstellen lassen.
te Möglichkeiten, die absolute erforderlichkeit und den
nutzen einer Chemotherapie oder Hormontherapie in-           LUMinAL-A-KArZinOMe
dividuell vorherzusagen. Leider wird aus diesem Grun-
de bei einem großen Teil der Patienten übertherapiert.       Die Untergruppe der Luminal-A-Karzinome, die sich
in Zukunft soll durch die molekularpathologische/-ge-        durch eine starke Ausprägung des Östrogenrezeptors
netische Analyse des Tumorgewebes dieses Problem             und Progesteronrezeptors an der Zelloberfläche und
besser gelöst werden.                                        somit durch eine besonders gute Prognose auszeich-

                                                                                     www.mammamia-online.de          23
net, ist am besten charakterisiert. Meist sind diese          Die molekulare/genetische Unterteilung bietet also die
Tumoren gut differenziert (G1) verbunden mit geringer         Möglichkeit, die große Gruppe der Hormonrezeptor-po-
Wachstumsgeschwindigkeit und entsprechend gerin-              sitiven Mammakarzinome in mehrere biologisch unter-
ger Aggressivität. Die Prognose dieser Tumoren ist im         schiedliche Gruppen einzuteilen, woraus sich therapeu-
Vergleich zu den anderen subtypen mit Abstand am              tische einflüsse ergeben. Die Hormonrezeptor-negativen
besten.                                                       Mammakarzinome können zumindest in zwei biologisch
                                                              unterschiedliche Untergruppen eingeteilt werden, näm-
LUMinAL-B-KArZinOMe                                           lich „basal-like“ und Her2/neu-positive Tumoren, wel-
                                                              che insgesamt eher einen aggressiven klinischen Ver-
Die Luminal-B-Karzinome sind im Gegensatz dazu zwar           lauf zeigen.
ebenfalls Hormonrezeptor positiv, jedoch zumeist nur
gering. Verglichen mit Luminal-A-Typen sind Luminal-          „BAsAL-LiKe“ KArZinOMe
B-Tumoren aggressiver, weisen ein geringeres Anspre-
chen auf antihormonelle Therapie auf und haben eine           Die „basal-like“ Karzinome zeigen oft weder Östrogen-
schlechtere Prognose.                                         rezeptor- und Progesteronrezeptor noch Her2/neu-Ak-

24       Mamma     Mia!        Tumor ist nicht gleich Tumor
2      Zielgerichtete Therapien

                                                           AUTOrin
                                                           Dr. med. B. Ataseven
                                                           Leitende Oberärztin i. Gyn./Geb. Abteilung
                                                           rotkreuzklinikum München gGmbH-Frauenklinik
                                                           Lehrkrankenhaus der Technischen Universität München
                                                           Tel.:   089 15706-620
                                                           Fax: 089 15706-623
                                                           e-Mail: beyhan.ataseven@swmbrk.de

tivität sie werden heutzutage als „triple-negative“ Mam-   Umsetzung in der klinischen routine nicht problemlos
makarzinome bezeichnet, wenngleich bekannt ist, dass       gegeben sind. eine deutliche Vereinfachung der Unter-
hier zwischen den genetischen und mikroskopischen          suchungsmethode zur flächendeckenden Anwendung
Merkmalen zwar eine Überschneidung, aber nicht eine        ist dringend erforderlich. Zusätzlich muss in studien der
völlige Deckung vorliegt. Diese Tumoren sind meist         nutzen dieser molekulargenetischen Untersuchung für
schnellwachsend und mit einer ungünstigen klinischen       die Patientinnen bewiesen werden, um so die individua-
Prognose einhergehend. Gezielte Therapiemöglichkeiten      lisierung der Krebstherapie aufgrund molekularer Marker
außer einer Chemotherapie bestanden lange Zeit nicht.      des Tumors zu ermöglichen. einige vielversprechende
Derzeit werden neue substanzen, die in den Genre-          Testsysteme hierzu sind bereits auf dem Markt und wer-
paraturmechanismus eingreifen (PArP-inhibitoren), bei      den teilweise bereits in die klinische Therapieentschei-
diesen Tumoren getestet.                                   dung mit eingebunden.

Her2-POsiTiVe KArZinOMe                                    Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass
                                                           tumorspezifische genetische Analysen in Zukunft eine
Bei den Her2-positiven Karzinomen ist ein Wachstums-       ganz wesentliche ergänzung der bisherigen histopatho-
faktor auf der Zelloberfläche vermehrt vorhanden. Diese    logischen und immunhistochemischen Diagnostik beim
Tumoren zeichnen sich ebenfalls durch einen aggressi-      Brustkrebs erbringen werden. Die wichtigsten Voraus-
ven Verlauf aus. seit einigen Jahren bestehen aber für     setzungen für den routinemäßigen einsatz bestehen in
diese Art von Brusttumoren eine zielgerichtete Therapie-   einer weiteren standardisierung und Vereinfachung der
möglichkeit, die zu sehr guten Heilungsverbesserungen      Methoden und in der gezielten Auswahl jener Marker,
beitragen kann. erfreulicherweise wurden in den letzten    denen die größte prognostische information zukommt.
Jahren für diesen Tumortyp neue Therapieinnovationen       Je besser die signalwege in der Krebszelle verstanden
gefunden.                                                  werden, umso individueller kann in Zukunft die Thera-
                                                           pie auf den einzelnen Patienten abgestimmt werden. a
Diese oben genannten Genexpressionsanalysen sind
jedoch sehr zeit- und kostenaufwändig. in der regel
müssen diese Bestimmungen aus Tumorfrischgewe-
be erfolgen, wodurch ein einfacher Umgang und die

                                                                                    www.mammamia-online.de       25
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