Umbruchzeit - Chance und Gefahr - Mit Solidarität und Fakten gegen Egoismus und Populismus - Bildung, Wissenschaft und Forschung

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Umbruchzeit - Chance und Gefahr - Mit Solidarität und Fakten gegen Egoismus und Populismus - Bildung, Wissenschaft und Forschung
report
                        Bildung, Wissenschaft und Forschung

Umbruchzeit –
Chance und Gefahr
Mit Solidarität und Fakten
gegen Egoismus und Populismus

                                                              0 2 / 2 018
Umbruchzeit - Chance und Gefahr - Mit Solidarität und Fakten gegen Egoismus und Populismus - Bildung, Wissenschaft und Forschung
Editorial                                                                  b i w i f o r e p o r t 2 / 2 0 18

    Liebe Kolleginnen                                                          Inhalt
    und Kollegen,                                                              Schwerpunkt: Umbrüche bergen neue
                                                                               Möglichkeiten und Risiken

                                                                               Arbeit 4.0, Klimawandel, Fake News –
        Mit großer Verzögerung hat die Bundes-                                 und die GroKo dümpelt vor sich hin                                  3
    regierung ihre Arbeit aufgenommen. Immerhin:                               Was ver.di tun kann                                                 3
    Der Koalitionsvertrag lässt hoffen. ver.di ist es                          Identitäre wollen an Hochschulen
    gelungen, an verschiedenen Stellen die Interes-                            Fuß fassen                                                          4
    sen von Arbeitnehmer*innen einzubringen.                                   Halle wehrt sich: kein Platz für Rechte                             5
    Besonders positiv für unseren Fachbereich ist,                             Rückwärtsgewandtes Punktesammeln
    dass Bildungs- und Forschungspolitik einen                                 á la Bologna                                                        6
    deutlich höheren Stellenwert erhalten sollen.                              Bibliotheken sind Gemeingüter –
                                                                               keine Eventbuden                                                   7
    Jetzt sind wir gespannt auf die Taten, die den
                                                                               Weiterbildung für morgen                                           7
    Worten folgen.
                                                                               Ende des sozialdemokratischen
                                                                               Zeitalters?                                                         8

                                                                                                                                                       report
         Das Kooperationsverbot wurde gestrichen.       Ute Kittel             Gewerkschaften vor vielfältigen
    Nun kann der Bund endlich wieder flächen-           Mitglied des ver.di-   Aufgaben – Interview mit Ute Kittel                                 9
    deckend in Bildungsinfrastruktur investieren.       Bundesvorstandes
    Kitas sollen 3,5 Milliarden Euro bekommen.          und Leiterin           Exzellenz und die Folgen in den
                                                        des Fachbereichs       USA und anderswo                                                   10
    Das ist gut – und doch viel zu wenig, denn die
                                                        Bildung,               Neuer Datenschutz auch Thema für
    frühkindliche Bildung ist elementar, weil damit
                                                        Wissenschaft und       Betriebsräte                                                       10
    die Basis für Lebenschancen gelegt wird.
                                                        Forschung              Tarifvertrag für Studis – Berliner
    Geplant ist außerdem eine nationale Weiter-                                Vorbild macht Schule                                               11
    bildungsstrategie, ebenfalls ein begrüßens-                                Mindestlohn in der Weiterbildung
    werter Grundgedanke. Bei vielen Vorhaben, die                              steigt deutlich                                                    12
    der Koalitionsvertrag ankündigt, kommt es                                  ver.di und Deutsches Studentenwerk
    jetzt auf die Gestaltung an. Wird es bei klein-                            kooperieren                                                        12
    teiligen Ausbesserungen bleiben oder startet                               Bezahlbare Mieten und gemeinwohl-
    die Bundesregierung mutig eine                                             orientiertes Leben                                                 13
    Neuausrichtung des Bildungswesens?                                         Unser Fachbereich – da wächst was
                                                                               zusammen                                                           14
                                                                               Nachruf                                                            14
        Geht es um mehr Gerechtigkeit, Chancen-
                                                                               Reisen erweitert den Horizont                                      15
    gleichheit und Solidarität in der Gesellschaft,
    hat Bildung eine zentrale Bedeutung. Für die                               Porträt: Franziska Hamann-Wachtel                                  15
    Umsetzung braucht es ein Bildungssystem, das
                                                                               Impressum
    zur gesellschaftlichen Teilhabe befähigt, nicht
                                                                               Der ver.di Report biwifo Nr. 02/2018 · September 2018
    selektiert und keinen Menschen ausschließt.                                Herausgeber: Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)
                                                                               Fachbereich Bildung, Wissenschaft und Forschung
                                                                               Paula-Thiede-Ufer 10 · 10179 Berlin
        Wie wir dahinkommen? Eine Chance hierzu
                                                                                                                                                          Fotos v.o.n.u.: Werner Bachmeier (2), Berliner Studierende*r, Mirjam Sorge

                                                                               V.i.S.d.P.: Ute Kittel
    bietet die Idee eines neu zu schaffenden                                   Redaktion: Carsten Bauer, Klaus Böhme, Katharina Common,
    Nationalen Bildungsrates. Damit gäbe es in                                 Bernward Friedrich, Harald Giesecke, Birthe Haak, Dirk Heitmann,
                                                                               Frank Hennig, Michael Niedworok, Mirjam Sorge
    Deutschland erstmals seit 1975 wieder ein
                                                                               Verantwortliche Redakteurin: Annette Jensen
    Gremium, das eine gemeinsame, umfassende                                   Internet: www.verdi.de
    Bildungsstrategie entwickeln könnte. ver.di                                Layout: einsatz, Wolfgang Wohlers
                                                                               Druck: apm AG Darmstadt, Kleyerstraße 3, 64295 Darmstadt
    wäre zur Mitarbeit bereit! b                                               Titelbild: commons.wikimedia.org (Bildmontage)
                                                                               W-1728-60-0918

                                                                               Die Artikel stellen die Meinungsvielfalt unseres
                                                                               Fachbereiches dar und spiegeln nicht in jedem Fall die
                                                                               Meinung des Bundesfachbereichsvorstandes wider.
2
                                                                               Service
                                                                               Fachbereich Bildung, Wissenschaft und Forschung
                                                                               Internet: www.biwifo.verdi.de
                                                                               Ansprechpartnerin biwifo-Report: Annette.Jensen@t-online.de
Umbruchzeit - Chance und Gefahr - Mit Solidarität und Fakten gegen Egoismus und Populismus - Bildung, Wissenschaft und Forschung
Schwerpunkt: Umbrüche bergen Chancen und Gefahren

                                                                                                                    K O M M E N T A R

                                                                                                                    W ver.di-Kompass für

         Weimarer                                                                                                   Umbruchzeiten
                                                                                                                        I. Die Digitalisierung der
                                                                                                                    Arbeit beschleunigt sich, ver.di
                                                                                                                    als Gewerkschaft der tausend

         Verhältnisse?                                                                                              Berufe befindet sich mittendrin.
                                                                                                                    Das vielfach beschriebene Unbe-
                                                                                                                    hagen in konkrete Forderungen
                                                                                                                    zu verdichten, ist unsere Auf-
         „Was ist nur mit Deutschland los?“ fragt             Die Welt ordnet sich neu. Das erfordert eigentlich    gabe. Dabei geht es um gute,
         mich die nette Schweizerin, die mir am               ein einiges, starkes Europa, das uns Schutz und       sichere und weitgehend selbst-
         Tisch gegenüber sitzt. Während ich diesen            Sicherheit bietet.                                    bestimmte Arbeit, um Daten-
         Artikel schreibe, befinde ich mich auf                                                                     schutz und eine Dienstleistungs-
         einem Wanderurlaub in der Alpen. Unser                  Stattdessen hat die neoliberale Politik der ver-   welt, die sich am Bedarf der
         Tischgespräch dreht sich um Europa,                  gangenen Jahrzehnte Einzelkämpfertum, Indivi-         Nutzer*innen ausrichtet. Ob
biwifo

         die Flüchtlingspolitik, das Erstarken von            dualisierung und Egoismus befördert. Angst und        Schutz im Umbruch oder
         Populisten in Deutschland, aber auch                 Populismus haben sich tief in die europäische         Gestaltung von Innovationen:
         in Ungarn, Österreich, Polen, den USA                Gesellschaft hineingefressen – mit den Folgen:        Gute Arbeit erfordert mehr Mit-
         und die Schwäche von sozialistischen und             Abwehr gegen Fremde, Spaltung der Gesellschaft        bestimmung. Dafür müssen sich
         sozialdemokratischen Parteien.                       und Rückkehr des Nationalen. Auch bei vielen          alle Gewerkschaften entschieden
                                                              Arbeitnehmern*innen ist das Gefühl entstanden,        engagieren.
         VON CARSTEN BAUER                                    die EU sei ein riesiger Selbstbedienungsladen für
                                                              Lobby-Interessen.                                         II. Trotz sprudelnder Steuer-

         J  a, was ist mit Deutschland los? Haben wir wie-
            der Weimarer Verhältnisse? Wie in vielen west-
         lichen Demokratien sind auch in Deutschland
                                                                  Aber Europa ist auch ein Friedensprojekt, wie
                                                              es kein zweites in der Geschichte gegeben hat. Es
                                                                                                                    einnahmen wird in Bildung,
                                                                                                                    Gesundheit und Stadtentwick-
                                                                                                                    lung zu wenig investiert: Die
         traditionelle Regierungen nicht mehr möglich:        ist höchste Zeit, das vom DGB geforderte soziale      Schere zwischen Arm und Reich
         Weder konservativ-liberale noch sozialdemokra-       Europa anzugehen. Warten ist keine Option             geht weiter auf. Die herrschen-
         tisch-grüne Regierungen erhalten Mehrheiten,         mehr, denn die europäischen Rechtspopulisten          den Eliten kümmern sich um ihre
         weil neue rechte Kräfte in die Parlamente einzie-    erzeugen eine Stimmung, die den Fortbestand           Interessen und nicht um das
         hen. Also schon wieder GroKo. Und die gestaltet      der EU massiv gefährdet. Sie besetzen die politi-     Wohl der Mehrheit in West- wie
         fast nichts und lässt sich die Themen stattdessen    sche Agenda mit ihren Themen – und so stehen          in Ostdeutschland. Politik-
         zunehmend von einer nationalliberal-populististi-    Aufbau und Sicherung von Grenzen auf der              verdrossenheit und Abwehr von
         schen Partei bestimmen. Von einer solchen politi-    Tagesordnung statt die Vereinigten Staaten von        Migrant*innen sind keine Ant-
         schen Führung ist keine große Politik zu erwarten    Europa.                                               worten –, sondern der Kampf für
         – und dabei wäre gerade jetzt eine weitsichtige                                                            den Ausbau des Sozialstaates
         Regierung nötig.                                         Wir diskutieren nicht mehr über die Begren-       und eine humane Einwande-
                                                              zung des Klimawandels und nicht über die Ge-          rungs- und Flüchtlingspolitik.
             Zum einen stehen wir vor wirtschaftspoliti-      staltung der Digitalisierung. Stattdessen befassen    Das muss sich ver.di auf die
         schen Umbrüchen, die so tiefgreifend sein wer-       sich die Leute und die Medien mit Themen, die         Fahnen schreiben.
         den wie die Industrialisierung vor 150 Jahren. Die   eine eher untergeordnete Bedeutung haben. Die
         Digitalisierung wird unsere Arbeitswelt grund-       deutsche Politik drehte sich wochenlang um eini-          III. US-Präsident Trump zeigt:
         legend verändern – und das, während die plane-       ge Dutzend Geflüchtete an der österreichischen        Nationalismus und Kapitalismus
         taren Ressourcen sich erschöpfen und eine            Grenze, anstatt Probleme anzugehen und zu             sind kein Widerspruch. In Europa
         Klimakatastrophe bevorsteht. Gebraucht würde         lösen.                                                erleben wir Ähnliches. Die Ant-
         eine offensive und mutige Politik, die vielfältige                                                         wort der Gewerkschaften kann
         Perspektiven einbezieht und auch vor fundamen-           Also liebe Schweizer Tischnachbarin: Mit          nur ein gesamteuropäischer
         talen Neuerungen nicht zurückschreckt. Das           Deutschland ist gar nix los. Das Problem ist, dass    Sozialstaat mit gleichen sozialen
         reicht von einer radikalen Verkehrswende bis zu      mit Europa nix los ist – und darum müssen wir         Rechten sein. ver.di muss mit
         einer Bildungsoffensive, die endlich die Chancen     uns kümmern und nicht um rechtspopulistische          aller Kraft dazu beitragen, dass
         für alle ins Zentrum stellt.                         Fantastereien. Es gilt den Grundsatz der Auf-         Wirtschaftspolitik sozialer und
                                                              klärung zu verteidigen, dass Fakten Fakten sind       ökologischer wird, Ungleich-
            Zum zweiten wird die weltpolitische Lage zu-      und jede akzeptable Politik darauf fußen muss.        gewichte schwinden und die
         nehmend unübersichtlich. Die alten Bündnisse         Für die Gestaltung einer wünschenswerten Zu-          Menschenrechte in einem welt-        3
         funktionieren in einer multipolaren Welt nicht       kunft ist die Zugänglichkeit zu Wissen und            offenen Europa verteidigt wer-
         mehr: Der Brexit, der wider jede Vernunft durch-     Bildung zentral: Lösungen müssen erarbeitet, Ver-     den. b
         gezogen wird, Amerika first und ein drohender        haltensweisen geändert werden. Gebraucht wer-
         Handelskrieg, dazu der Konflikt der EU mit Russ-     den Kooperation und Solidarität. Dabei kommt es       Wolfgang Uellenberg
         land und das Erstarken Chinas zur Weltmacht.         auf uns alle an. b
Umbruchzeit - Chance und Gefahr - Mit Solidarität und Fakten gegen Egoismus und Populismus - Bildung, Wissenschaft und Forschung
Schwerpunkt: Umbrüche bergen Chancen und Gefahren

                                                                                                                                                        Foto: Werner Bachmeier
       Hass-
     Hipster
                                                                                                              Mann, ist das schön hier zu wohnen!
               Die rechtsextreme       VON MICHAEL NIEDWOROK
         „Identitäre Bewegung“
          hat den Kampf um die
     kulturelle Hegemonie aus-
           gerufen. Rückenwind
                                       S   eit einigen Jahren werden die Grenzen des
                                           Sagbaren in Deutschland durch immer neue
                                       Tabubrüche von Rechts durchbrochen. Dennoch
                                                                                               gibt es zudem mit dem in Deutschland und
                                                                                               Österreich aktiven Burschenschaftsdachverband
                                                                                               „Deutsche Burschenschaft“. Über eine „Iden-
             erhielt sie durch die     kommt es selten vor, dass einem Parteifunktionär        titäre Sommeruniversität“ in Frankreich, die allein
       Wahlerfolge der AfD, die        so gründlich die Maske verrutscht wie dem AfD-          schon durch ihren militaristischen Stil faschistisch
     islamfeindliche Bewegung          Nachwuchspolitiker Lars Steinke. Der Vorsitzende        wirkt, wird der Kontakt mit den europäischen
           Pegida und die Stich-       der Jugendorganisation „Junge Alternative“ in           Schwesterorganisationen gehalten.
           wortgeber der Neuen         Niedersachsen löste Ende Juli einen Skandal aus:
      Rechten. Um gesellschaft-        Auf Facebook schrieb der 25-jährige Politik-Stu-            Ihre Aktionsformen schaut sich die „Identitäre
    lich anschlussfähig zu wer-        dent mit dem auffällig gezwirbelten Schnurrbart         Bewegung“ bei erklärten politischen Gegnern ab:
       den, tarnt sie ihre rechts-     über den Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von        Von der „Subversiven Aktion“ der 68er um
         extremistischen Inhalte       Stauffenberg: „Stauffenberg war ein Verräter, der       Kunzelmann und Dutschke bis hin zu Green-
    mit einem intellektuell wir-       bereit war, Millionen von Leben zu riskieren und        peace. Damit schaffte sie es bereits wiederholt in
          kenden Jargon. Damit         zu opfern – ohne erkennbaren Nutzen für das             die Medien. So erkletterten die Rechtsextremen
      unterscheidet sie sich auf       deutsche Volk“. Der AfD-Vorstand hält die Äuße-         das Brandenburger Tor. Außerdem störten sie eine
            den ersten Blick von       rungen für parteischädigend, weil sie das „ehren-       Jelinek-Aufführung an der Wiener Universität, bei
                der NPD und den        volle Andenken“ an Stauffenberg „verächtlich            der Einheimische und Geflüchtete gemeinsam auf
     neonazistischen Kamerad-          machen“ und will Steinke nun ausschließen.              der Bühne standen. Dabei verspritzten sie Kunst-
        schaften. Bei genauerer                                                                blut, entrollten ein Transparent mit der Aufschrift
      Betrachtung von Personal             Steinke macht keinen Hehl aus seiner Nähe zu        „Heuchler“ und verteilten Flugblätter mit der Auf-
    und Programmatik werden            Mitgliedern der vom Verfassungsschutz beobach-          schrift „Multi-Kulti tötet“.
                jedoch vielfältige     teten „Identitären Bewegung“. Die akademisch                Hinter den öffentlichen Provokationen steht
              Verbindungen zum         geprägten Identitären sind in Deutschland seit          eine verschleierte Programmatik. Forderungen
           traditionellen Rechts-      2012 organisiert und fallen vor allem durch ihren       wie „Erhalt der ethnokulturellen Identität“ und
                     extremismus       Aktivismus auf. Ihr Vorbild ist die rechtsextremisti-   „Remigration“ ersetzen das hinlänglich bekannte
                          deutlich.    sche, französische Jugendorganisation „Généra-          „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“
                                       tion Identitaire“. Der Gründer des deutschen            der Neonazi-Szene. Fremdenfeindlichkeit wird
                                       Ablegers, Nils Altmieks, engagierte sich früher bei     durch heroische Symbolik kodiert zum Ausdruck
                                       der verbotenen, neonazistischen „Heimattreuen           gebracht. So stilisieren sich die Identitären als Ver-
                                       Deutschen Jugend“ (HDJ). Überschneidungen               teidiger des Abendlandes durch geschichtsklit-
                                                                                               ternde Bezugnahme auf den Abwehrkampf Spar-
                                                                                               tas gegen die Perser in der Antike oder die
                                                                                               „Reconquista“ – die Zurückdrängung des musli-
     Provokante Thesen                                                                         mischen Machtbereichs von der iberischen Halb-
                                                                                               insel durch die Spanier im Mittelalter.
     Das Buch „Die AfD und die soziale Frage“ von Stefan Dietl rührt an ein Tabu:
     Überdurchschnittlich viele Gewerkschaftsmitglieder wählen die rassistische Partei.            Gefährlich sind die Identitären weniger durch
     Das widerspricht eklatant dem Selbstverständnis der DGB-Gewerkschaften. Sie               ihre Mitgliederzahl – Recherchen der ZEIT deuten
     beteiligen sich intensiv an Bündnissen gegen Rechts und proklamieren immer                auf nur 100 Aktive in Deutschland – als durch ihre
     wieder Null Toleranz gegen Rassismus. Für Dietl, ehrenamtlich im bayerischen              Funktion als Avantgarde einer rechten Bewegung.
     ver.di- Landesvorstand aktiv, reicht das nicht. Aus seiner Perspektive hat sich die       Sie unterhalten Kontakte zu den Vordenkern der
     Politik der Gewerkschaften in den vergangenen Jahren zu stark orientiert an               Neuen Rechten rund um Götz Kubitschek, einem
     Standortnationalismus, Leistungs- und Nützlichkeitsprinzipen. Damit hätte sie die         engen Vertrauten Björn Höckes (AfD). Erst im
4    Ausgrenzung von Menschen verstärkt, die im In- oder Ausland unter prekären                März ist bekannt geworden, dass die „Identitäre
     Bedingungen leben müssen, so Dietls These. b                                              Bewegung“ gemeinsam mit Mitgliedern der
                                                                                               „Jungen Alternative“ das Trollnetzwerk „Recon-
     Stefan Dietl: Die AfD und die soziale Frage – Zwischen Marktradikalismus                  quista Germanica“ betrieben hat, das zugunsten
     und völkischem Antikapitalismus, Unrast-Verlag, 168 Seiten, 14 Euro                       der AfD in den Bundestagswahlkampf eingegrif-
                                                                                               fen hat. Wieder dabei: Lars Steinke. b
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Schwerpunkt: Umbrüche bergen Chancen und Gefahren

Gegen die Normalisierung
der „Identitären“
Der Gründungsauftritt der Identitären                  pen statt. Das soll Menschen schützen und der IB-
Bewegung (IB) in Halle sollte martialisch              Strategie der Raumnahme entgegenwirken.                                         Stichwort
wirken: Man wolle den Kulturkampf an die
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg                 Die Strategie, die Rechten zu isolieren, geht
                                                                                                                                       „Fake Science“
tragen, den „linken Mainstream“ brechen                einher mit Aufklärung der Studierenden durch Bil-                               Mehr als 5.000 deutsche
und damit den nationalen Umschwung vor-                dungsveranstaltungen und Info-Vorlesungen für                                   Wissenschaftler*innen haben in
bereiten. Ab sofort müsse man mit einer                Erstsemester. All das wäre aber nicht zielführend,                              den vergangenen zehn Jahren
starken rechtsextremen Kraft an der Uni                wenn nicht auch die Universität das Problem                                     laut Recherchen von NDR, WDR
rechnen – so die Botschaft. Doch es blieb              sehen würde. Deshalb ging über mehrere Kanäle                                   und SZ-Magazin Forschungs-
beim Anspruch einer „Kontrakultur“.                    die Aufforderung ans Rektorat, sich öffentlich zu                               arbeiten in pseudowissenschaft-
                                                       positionieren. Das – zwischenzeitliche – Ergebnis                               lichen Verlagen veröffentlicht.
VON LUKAS WANKE                                        ist ein „Offener Brief” der Uni-Leitung und des                                 Regelmäßig wurde dabei der
                                                       StuRa vom Januar 2018. Darin ist klar formuliert,                               übliche Prozess des Peer-

I hr erster Auftritt im Juni 2015 kam zwar kämp-
  ferisch und erschreckend daher – faktisch wur-
den aber nur Papierschnipsel im Hauptgebäude
                                                       dass die IB gegen alles steht, was die Universität
                                                       repräsentiert.
                                                                                                                                       Reviews umgangen, also der
                                                                                                                                       Kontrolle durch andere Wissen-
                                                                                                                                       schaftler*innen des Faches.
herumgeworfen. Danach gab es erst einmal ein-             Wahrscheinlich die wichtigste Erkenntnis ist,                                Der hohe Publikationsdruck in
einhalb Jahre lang keine Aktionen mehr im Uni-         dass die Arbeit der Universitäts-Gremien ohne                                   der Wissenschaft wurde dabei
Kontext. Der Außendarstellung der Rechten tat          Kooperationen kaum wirksam werden kann. Sie                                     zum Anreiz selbst für etablierte
das keinen Abbruch. Im Oktober 2016 inszenierte        müssen sich mit antifaschistischen Bündnissen                                   Forscher*innen, Veröffent-
die IB ihren angeblichen Eroberungsfeldzug, in-        und dem zivilgesellschaftlichen Widerstand soli-                                lichungen in zweifelhaften
dem sie ein Banner entrollte mit der Aufschrift        darisieren und ihn unterstützen. Auch viele Stu-                                Journalen vorzunehmen, mit-
„Willkommen auf unserem Campus“. Nach weni-            dierende sind dort aktiv. In diesen Gruppen findet                              unter auch ohne Wissen um
gen Minuten war auch das wieder verschwunden.          der hauptsächliche Kampf gegen die IB statt.                                    deren Qualität.
Den Höhepunkt ihrer Selbstinszenierung erreich-        Maßnahmen in der Uni können und sollten das
ten die IB-Aktiven dann 2017 mit dem Kauf eines        begleiten. Denn auch wenn der IB an der Hoch-                                       Der gesellschaftliche
Hauses in der Nähe des geistes- und sozialwissen-      schule bisher so gut wie erfolglos ist, verbreiten                              Schaden geht weit über ein
schaftlichen Campus. Erneut bleibt das angekün-        die Rechten Angst durch gewaltsamen Übergriffe                                  Schönen von Publikationszahlen
digte Übergreifen auf das universitäre Geschehen       auf dem Campus und in der Stadt, durch illegale                                 hinaus: Lobby-Interessen nutzen
nahezu aus: Zwei hochschulnahe Infostände sind         Kameraüberwachung und Dominanzgehabe. Da-                                       die Raubjournale, um ihre An-
die identitäre Bilanz nach drei Jahren. Zwar konn-     mit lässt sich erahnen, wie Gesellschaft aussehen                               liegen durch scheinbar seriöse
te im Mai 2018 bei den Hochschulwahlen eine IB-        könnte, wenn eine Gruppe wie die IB plötzlich                                   Forschung zu befördern. Die
nahe Liste einen Platz im Studierendenrat (StuRa)      „normal“ würde. b                                                               Glaubwürdigkeit von Wissen-
erringen. Doch die übrigen Mitglieder erklärten                                                                                        schaft droht massiven Schaden
bereits vor der Konstitution des Gremiums im                                                                                           zu nehmen. b
                                                                                                            Foto: transit-magazin.de

Oktober, dass sie jeden identitären Einfluss verhin-
dern werden.                                                                                                                           NDR-Dossier:
                                                                                                                                       https://www.ndr.de/nachrich-
    Bisher ist das identitäre Vorhaben klar geschei-                                                                                   ten/investigation/Dossier-
tert, rechtsextreme Vorstellungen und Praktiken                                                                                        Das-Geschaeft-mit-der-
an die Uni zu tragen. Das liegt vor allem an einem                                                                                     Wissenschaft,fakescience-
breiten zivilgesellschaftlichen Widerstand. Der                                                                                        dossier100.html
StuRa als studentische Vertretung hat die Existenz
der IB in Halle skandalisiert und so versucht, einer
Normalisierung entgegenzuwirken. Im Dezember
2015 beschloss er eine Ausschlussklausel gegen                                                                                                                            5
Rechtsextreme bei allen Veranstaltungen und
positionierte sich grundsätzlich gegen rechte Ten-
denzen und insbesondere identitäre Ideologien.
Partys, Vorträge und Diskussionsrunden finden
ohne Vertreter*innen der IB und ähnlicher Grup-
Schwerpunkt: Umbrüche bergen Chancen und Gefahren
Foto: Werner Bachmeier

                                                            Ruhe, hier wird
                                                            gearbeitet!
                          Alle paar Jahre versammeln        VON MATTHIAS NEIS                                     schen, vordemokratischen Strukturen und dem
                                   sich die europäischen                                                          Wettbewerbsfetisch um internationale Sichtbar-
                          Bildungsminister*innen, um
                              den Stand des „Bologna-
                          Prozesses“ zu begutachten.
                                                            W      elche Bedeutung Bologna für die gesell-
                                                                   schaftliche Einmischung von Student*in-
                                                            nen hat, lohnt sich gerade in Deutschland zu
                                                                                                                  keit, Reputation und Drittmittel. Da bleibt nur
                                                                                                                  wenig Raum für Kritik und Engagement. Die auf
                                                                                                                  Punkte und Module ausgelegte Studienreform
                             Ihr Treffpunkt im Mai: die     erkunden. Denn auch wenn die Reformzutaten            fügt sich ein in einen Rahmen, der Kreativität und
                          Pariser Sorbonne. Genau 20        europäisch sind, ist die Umsetzung hierzulande        Selbst-Denken hemmt.
                                   Jahre zuvor legte die    spezifisch. Man könnte sagen: typisch deutsch.
                            „Sorbonne-Erklärung“ den                                                                  Was eigentlich benötigt wird, hat bei der
                         Grundstein für alles, was ein          Nirgendwo schreiben die Bologna-Dokumente         Sorbonne-Konferenz ausgerechnet der scheiden-
                            Jahr später in Bologna auf      die deutsche Art der Modularisierung vor. Die be-     de Präsident der Hochschulrektorenkonferenz
                           großer europäischer Bühne        ruht vielmehr auf Rahmenvorgaben der Kultus-          (HRK), Horst Hippler, zu Protokoll gegeben: „Wir
                          zu gemeinsamen Zielen der         ministerkonferenz (KMK). So sehen sich Studieren-     brauchen ein europäisches Bildungsverständnis,
                         Studienreform wurde: inter-        de heute einer Flut benoteter Prüfungen ausge-        das Persönlichkeitsbildung und die Befähigung zu
                                     nationale Mobilität,   setzt, die dann oft auch noch in den Abschluss ein-   gesellschaftlichem Engagement einbezieht.“
                           vergleichbare und gestufte       fließen. Ohne das unstrukturierte und sozial hoch     Wichtig sei, „kritisch zu denken und neue Lösun-
                              Studienabschlüsse sowie       selektive alte Studienmodell zu verklären – Kritik    gen für die zahlreichen gesellschaftlichen Heraus-
                         Credit-Points. Insofern feiert     an der Verdichtung und Verschulung des Studiums       forderungen zu finden“. Stellt sich nur die Frage,
                         „Bologna“ schon dieses Jahr        durch „Bologna“ ist berechtigt.                       warum die Organisation, der Hippler über Jahre
                         20. Geburtstag. Gleicher Ort,                                                            vorstand, so wenig dafür tut. Im Gegenteil. Ge-
                               30 Jahre früher war die          Natürlich hat das Auswirkungen auf die Bereit-    rade die HRK steht für das Nebeneinander von
                             Sorbonne der Brennpunkt        schaft und Möglichkeit von Studierenden, sich zu      ständischen Strukturen und ökonomischem Wett-
                                  im „Pariser Mai“, dem     engagieren. Eine seltsame Ruhe hat sich über die      bewerb – und blockiert damit das von Hippler
                                    Höhepunkt der 68er-     Hochschulen gelegt. Die letzten großen Studieren-     geforderte Bildungsverständnis. Solche Kritik an
                         Bewegung in Frankreich. Da         denproteste liegen fast ein Jahrzehnt zurück. In      der Studienreform bleibt deshalb immer konser-
                              drängt sich geradezu die      allen Gremien herrscht Nachwuchsmangel.               vativ und folgenlos.
                                 Frage auf, wie sich die
                           Studienreform auf Engage-           Ursache ist nicht nur „Bologna“. Hochschulen           „Bologna“ lässt sich nicht rückabwickeln,
                          ment und Protest auswirkt.        sind heute eine seltsame Mischung aus ständi-         selbst wenn man es wollte. Die Bologna-Reform
                                                                                                                  muss neu gedacht werden. Prüfungsdichte und
                                                                                                                  „Verpunktung“ sind technische Aspekte, die sich
                                                                                                                  relativ einfach neu justieren lassen. Die Frage, was
                          Vielfaltsbewusste Betriebe                                                              sich an den Hochschulen insgesamt ändern müss-
                                                                                                                  te, ist schwieriger zu beantworten. Und vor allem:
                          Gremien und Betriebe haben die Tendenz, neues Personal im eigen Dunstkreis zu           Wie sind Alternativen unter den gegebenen
                          suchen. Doch Vielfalt im Team bringt unterschiedliche Perspektiven und Er-              Bedingungen durchzusetzen?
                          fahrungen zusammen – eine wichtige Voraussetzung für gute, langfristig tragfä-
                          hige Lösungen bei komplexen Fragen und Problemen. Darüber hinaus ist                        Trotz alledem – es gibt Ansätze, wo etwas auf-
                          Diversität gerade in Bildungseinrichtungen ein wichtiges Mittel gegen nationali-        bricht. In Berlin haben gerade tausende studenti-
                          stische Brandstiftung.                                                                  sche Beschäftigte in einem vierwöchigen Streik
                              Der INQA-Check „Vielfaltsbewusster Betrieb“ stärkt das Diversitätsmanage-           nach 17 Jahren einen neuen Tarifvertrag durchge-
                          ment im betrieblichen Personalwesen. Entwickelt wurde er in Zusammenarbeit              setzt. Damit war der größte Hochschulprotest der
                          mit Arbeitgebern und Gewerkschaften. Frauenförderpläne, eine ausgewogene                vergangenen Jahre ein Arbeitskampf, getragen
                          Mischung von Jungen und Alten oder auch anonymisierte Bewerbungsverfahren               von Studierenden. Auch der „exzellenten“ Bolog-
                          helfen, Diskriminierung zu vermeiden und Qualifikationen zu beurteilen. b Walo          na-Hochschule ist der Widerspruchsgeist also
6                                                                                                                 nicht ganz auszutreiben. Und die nächste Über-
                          http://verdi-bw-hessen.de/Vielfalt                                                      raschung: Gewerkschaften können offenbar eine
                                                                                                                  wichtige Kraft bei einem solchen Aufbruch sein.
                          Fachtagung „Vielfachbewusster Betrieb“ am 29. November 2018 in                          Das ist für uns eine Chance – gesellschafts- wie
                          Frankfurt/Main. Kontakt: info-ks@verdi-bw-hessen.de                                     organisationspolitisch. b
Schwerpunkt: Umbrüche bergen Chancen und Gefahren

Bibliotheken –
Orte der Aufklärung
K    ünftig sollen Bibliotheken nicht mehr nur Orte für Leser*innen
     sein, sondern auch Räume für Begegnungen, Veranstaltungen
und Gruppentreffen jeglicher Art. Die Zentrale-Landesbibliothtek
                                                                                                   de Angebote an die Nutzenden herangetragen. Zwar wahrt die
                                                                                                   Rechtssprechung die Grundrechte auf Information und auf Schutz
                                                                                                   persönlicher Daten. Doch auch darüber muss man erst einmal Be-
Berlin (ZLB) in Berlin macht es vor: An Sonntagen organisieren                                     scheid wissen.
Agenturen dort Events, so dass die Bibliothek ohne Fachpersonal
öffnen kann. Anderswo werden Mittags- oder Abendstunden ent-                                           Das alles macht in Bibliotheken die Anwesenheit von Biblio-
sprechend genutzt. So entstehen barrierefreie, kostenlos zugängli-                                 theksbeschäftigten unabdingbar. Sie sind kundig und können ver-
che Orte, die nicht nur von Buchliebhaber*innen bevölkert werden.                                  mitteln, wie sich seriöse Informationen von „alternativen Fakten“
                                                                                                   unterscheiden. Sie sind in der Lage, den Nutzenden zuverlässige
   Dass das Konzept ‚open library‘ erfolgreich ist, ist unbestritten.                              Informationen bereitzustellen – sei es in Form von Büchern oder als
Zu fragen ist allerdings, ob solche Maßnahmen dem Auftrag der                                      Online-Ressourcen. Und sie können aufklären über die Möglichkeit
Bibliotheken entsprechen, Zugang zu Wissen zu bieten – auch zum                                    von Fehlinformationen und Gefahren im Netz. All das ist dringend
Beispiel über die digitale Welt und soziale Netzwerke.                                             nötig – aber nur möglich, wenn die räumliche und personelle
   Manipulationen im Informations- und Meinungsbereich, Hetze                                      Grundausstattung der Bibliotheken ausreicht. Ist das jederzeit
und Fake-News sind inzwischen an der Tagesordnung. Vorlieben                                       gegeben, kann es zusätzlich auch noch Familientreffen, Bastel-
und Konsumgewohnheiten werden ausspioniert und entsprechen-                                        nachmittage oder kulturelle Events geben. b       Monika Fomenko

 Blick auf Weiterbildung öffnen
                                                                          Foto: Werner Bachmeier

 Der Weiterbildung soll künftig eine größere Bedeutung
 zukommen – so jedenfalls liest es sich im Koalitions-
 vertrag. Dort taucht der Begriff 46 mal auf. Dabei wird
 schnell klar: Weiterbildung wird insbesondere im
 Kontext von Arbeitsmarktpolitik gedacht.

 D     igitalisierung ist unbestritten eine der zentralen gesellschaft-
       lichen Herausforderungen und wird auch die Arbeitswelt
 radikal verändern. Unter dieser Überschrift haben die Koalitions-
 parteien viele Absichten zusammengefasst. Dort findet sich auch                                                             Lernen ist eine lebenslange Beschäftigung
 das Ziel, mit einer „Nationalen Weiterbildungsstrategie“ den be-
 ruflichen Aufstieg zu erleichtern und die Beschäftigungsfähigkeit                                 des demografischen Wandels. Was fehlt, ist eine Vision und ein
 nachhaltig zu fördern. Die Regierung weckt die Erwartung, durch                                   ganzheitlicher Bildungsansatz im Humboldtschen Sinne, bei dem
 Bündelung aller Landes- und Bundesprogramme, die Verzahnung                                       selbst und kritisch zu denken zentrale Lernziele sind.
 von arbeitsmarkt- und bildungspolitischen Instrumenten sowie
 den Rechtsanspruch auf Weiterbildungsberatung die „losen                                              Weiterbildung soll allen Menschen die Teilhabe an guter
 Enden“ zusammenzuführen. Vieles bleibt jedoch vage. Außer-                                        Erwerbsarbeit und persönlicher Entwicklung ermöglichen. Was
 dem stellen sich Fragen zum Beispiel zu Bildungsfreistellung und                                  deshalb in Zukunft gebraucht wird, sind lernmethodische
 -finanzierung: Werden die Angebote für lebenslanges Lernen                                        Kompetenzen. Qualifizierung in diesem Sinne ist nicht nur der
 künftig auch diejenigen erreichen, die sich Weiterbildung bisher                                  Schlüssel zu einer sicheren beruflichen Entwicklung auch unter
 schlicht nicht leisten können? In welcher Richtung soll die Bun-                                  Bedingungen, die sich laufend und teilweise radikal ändern. Sie
 desagentur für Arbeit beraten, wenn wir „noch“ nicht wissen,                                      ist auch die wichtigste Voraussetzung für die Integration von
 welche Fachkräfte morgen gebraucht werden?                                                        Menschen, die zu uns kommen, um hier in Sicherheit leben zu
        Die Gefahr zeichnet sich ab, dass die Regierung ihre                                       können. Der Anspruch des lebenslangen Lernens muss deshalb            7
 Weiterbildungspolitik zu eng auf die heutige Arbeitsmarkt-                                        das gesamte Bildungssystem in den Blick nehmen und darauf
 perspektive fokussiert und vorwiegend auf schnell verwertbares                                    abzielen, dass die Stationen des Lernens wie Zahnräder ineinan-
 Wissen setzt. Unbedingt zu berücksichtigen sind aber auch die                                     dergreifen. Das setzt ein grundlegendes Umdenken voraus. b
 Folgen anderer gesellschaftlicher Transformationsprozesse und                                                                                          Anne Voß
Schwerpunkt: Umbrüche bergen Chancen und Gefahren

              Vom Ende und Neuanfang der
             europäischen Sozialdemokratie
       Bei den niederländischen                                VON CARSTEN BAUER                                     das Vertrauen von Millionen unserer Mit-
        Parlamentswahlen 2017                                                                                        bürger*innen gewinnt,“ so Corbyn.
      wurde die traditionsreiche
     Partij van de Arbeid (PvdA)
          fast pulverisiert: In der
                                                               D    er aktuelle Niedergang hat eine lange
                                                                    Vorgeschichte. Vor etwa 20 Jahren erstarkten
                                                               die sozialdemokratischen Parteien. Der britische
                                                                                                                         Weil es für die konservative Premierministerin
                                                                                                                     Theresa May nur noch für eine Minderheits-
           zweiten Volkskammer                                 Premierminister Tony Blair (Labour) und der deut-     regierung gereicht hat, steht Labour gewisserma-
            erreichte sie nur noch                             sche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) ver-        ßen in den Startlöchern, um die Regierung zu
           5,7 Prozent der Sitze –                             öffentlichten am 8. Juni 1999 gemeinsam das           übernehmen. Corbyn hat bereits ein Schatten-
      davor waren es noch 24,7                                 sogenannte Schröder-Blair-Papier – ein Moder-         kabinett zusammengestellt. Der Schatten-Finanz-
           Prozent gewesen. Das                                nisierungskonzept für die europäische Sozial-         minister John McDonnell erläuterte auf dem
     Wahlergebnis in Frankreich                                demokratie. Unter dem Schlagwort „Neue Mitte“         Parteitag schon einmal das wirtschafts- und
           sah ähnlich aus: In der                             zeichneten sie darin neue Positionen und Leit-        finanzpolitische Programm im Fall einer Regie-
     Nationalversammlung sind                                  bilder auf: Der dritte Weg sollte zwischen dem        rungsübernahme: „Eine Wirtschaft für die Vielen
    die Sozialisten nur noch mit                               wirtschafts- bzw. neoliberalen Kapitalismus und       aufzubauen heißt auch, die Versorgungsunter-
         5,38 Prozent vertreten.                               der klassischen Sozialdemokratie entlangführen.       nehmen der Kontrolle des Volkes zu unterwerfen,
             Auch in Deutschland                                                                                     das sie nutzt. Die Leute sollen keinen Zweifel
    dümpelt die SPD bei gerade                                      In der Regierung fuhren sie nun einen wirt-      daran haben: Eisenbahn, Wasser, Energieversor-
      einmal 20 Prozent. Ist das                               schaftsfreundlichen Kurs. Sie senkten Einkommens-     gung, die Post – wir holen uns das zurück!"
            der Anfang vom Ende                                und Unternehmenssteuern und liberalisierten den
                 der europäischen                              Finanzmarkt. Es waren Sozialdemokraten, die               Na, das wäre doch mal ein reeller sozialdemo-
               Sozialdemokratie?                               erstmals Hedgefonds zuließen. Und dann began-         kratischer Ansatz. Und das ist das, was auch
                                                               nen sie, das Sozialsystem und die Arbeitsmarkt-       ver.di seit der Gründung fordert. b
                                                               gesetze zu reformieren. Der eigentliche Sünden-
                                                               fall – sozialdemokratisch gesehen – waren aber
                                                               nicht die Arbeitsmarktreformen, sondern die
                                      Foto: Werner Bachmeier

                                                               Entscheidungen zur Steuerpolitik. Die Sätze für
                                                               hohe Einkommen sowie für Erträge aus Unter-
                                                               nehmenstätigkeiten wurden runtergeschraubt.
                                                                                                                      Arbeitsweltliche
                                                               Dahinter steckte allerdings weniger Verrat als die     Spurensuche
                                                               Tatsache, dass die Sozialdemokratie dem neoli-
                                                               beralen Zeitgeist damals auf den Leim gegangen         Die ständige Unsicherheit in vielen Betrieben durch
                                                               ist.                                                   Outsourcing, Kontrolle und laufende Bewährung
                                                                                                                      spielt der AfD in die Hände. Das ist eine zentrale
                                                               Großbritannien: Wir holen uns Eisenbahn,               These einer Untersuchung, die auf 100 Interviews
                                                               Energieversorgung, Post und Wasser zurück              mit Betriebsrät*innen, Vertrauensleuten und
    Die alte Tante SPD                                                                                                Gewerkschaftssekretär*innen beruht. Den Rechts-
    auf hoher See                                              Gute Nachrichten für Sozialdemokrat*innen              populisten gelingt es, Existenzangst in Wut gegen
                                                               kommen derzeit eigentlich nur aus Großbritan-          Geflüchtete und die etablierten Parteien umzu-
                                                               nien. Auf dem Parteitag in Brighton im vergange-       münzen. Das Buch schildert anschaulich, wie die
                                                               nen September ließ sich Labour-Chef Jeremy             Stimmung in vielen Betrieben ist und was dort
                                                               Corbyn dafür feiern, dass es der Partei bei den        beim Mittagessen geredet wird. Als Gegenmittel
                                                               vorgezogenen Parlamentswahlen im Juni gelun-           empfehlen die Autor*innen alles, was zu einer
                                                               gen war, die regierenden Tories an den Rand einer      angstfreieren Arbeitswelt beiträgt. Den Gewerk-
                                                               Niederlage zu bringen. Niemand hätte Labour ein        schaften raten sie, stärker auf Konfrontation
                                                               solches Wahlergebnis zugetraut, nicht einmal die       gegenüber den Arbeitgebern zu setzen. b
8                                                              Mitglieder der Partei selbst. 40 Prozent der briti-
                                                               schen Wähler*innen gaben Labour ihre Stimme –          Dieter Sauer u.a.
                                                               das sind fast zehn Prozent und 30 Abgeordneten-        Rechtspopulismus und Gewerkschaften –
                                                               mandate mehr als bei der vorangegangenen               eine arbeitsweltliche Spurensuche
                                                               Wahl. „So treffen wir uns hier diese Woche als         216 Seiten, 14.80 Euro.
                                                               geeinte Partei, die in jedem Teil Großbritanniens
Schwerpunkt: Umbrüche bergen Chancen und Gefahren

         Ute Kittel ist Mitglied im
 ver.di-Bundesvorstand und leitet
                                                                        Auch Gewerkschafts-
         den Fachbereich Bildung,
     Wissenschaft und Forschung                                         mitglieder wählen AfD
                                       Foto: ver.di

   biwifo: Die DGB-Gewerkschaften positionieren sich klar               diskussionen oder Veranstaltungen, weil wir ihnen keine Platt-
gegen Rechtsparteien. Zugleich belegen Studien seit Mitte der           form bieten wollen für ihre oft menschenverachtende und
1990er Jahre, dass überdurchschnittlich viele Gewerkschafts-            rechtspopulistische Hetze. Da sind wir konsequent – auch weil
mitglieder fremdenfeindliche Einstellungen haben und ein                die AfD dort, wo sie in den Parlamenten vertreten ist, nicht
erheblicher Teil auch AfD wählt. Trifft das auch auf ver.di zu?         durch Sachkenntnis auffällt, sondern durch Populismus.

    Ute Kittel: Jedenfalls ist anzunehmen, dass es eine Menge               Gewerkschaften betonen die internationale Solidarität – sind
AfD-Wähler*innen auch unter den ver.di-Mitgliedern gibt.                traditionell aber in den Grenzen von Nationalstaaten organisiert.
Das ist wenig verwunderlich – schließlich sind wir mit unserer          Ist das noch zeitgemäß?
Mitgliedschaft auch ein Spiegel der Gesellschaft und bilden
insofern vielfältige gesellschaftliche Strömungen ab.                       Alles ist notwendig: Internationale Zusammenarbeit ist eben-
    Insbesondere nach der Bundestagswahl ist der befürchtete            so wichtig wie die Arbeit auf nationaler, regionaler und lokaler
Rechtsruck in unserer Gesellschaft an vielen Stellen deutlich           Ebene. Die Globalisierung, gepaart mit Digitalisierung der
spürbar, und er kommt nun auch verstärkt in den Betrieben und           Arbeitswelt, erfordert internationales Denken und Handeln.
Dienststellen zum Vorschein. Mir erscheint es aber auch wichtig         Andererseits sind die Arbeitsbedingungen weiterhin über-
zu differenzieren. Nicht alle, die die AfD gewählt haben, sind          wiegend durch nationale Gesetze geregelt.
automatisch auch fremdenfeindlich. Manche wollten ihrem                     Politische Entwicklungen in der EU und weltweit machen
Protest gegen die etablierten Parteien Ausdruck geben. Oft fehlt        deutlich, dass internationale Solidarität wichtig ist. Und es zeigt
es auch an Aufklärung.                                                  sich, dass wir beispielsweise bei der Entwicklung des europäi-
    Aus dem Erleben zunehmender Ungerechtigkeit, ungelöster             schen Forschungs- und Wissenschaftsraums internationale
Probleme vom Rentensystem bis hin zum Klimawandel erleben               Entwicklungen stärker beeinflussen müssen.
viele die Grenzen unserer Regierung und der Parteien. Viele
unserer gesellschaftlichen Probleme sind aber auch durch ein-               Bildung erscheint vielen als der zentrale Ansatz, um Ängsten
fache Lösungen nicht mehr zu beheben. Ich glaube, dass sich             und „alternativen Fakten“ zu begegnen. Was heißt das konkret
Lösungen nur noch gemeinsam – mit allen gesellschaftlichen              für ver.dis politische Bildungsarbeit?
Gruppen – in einem demokratischen Miteinander entwickeln
lassen. Hier sind wir Gewerkschafter*innen gefordert. Wir müssen            Politische Bildungsarbeit hatte für Gewerkschaften immer
für die Grundrechte und -regeln unserer Demokratie und damit            eine große Bedeutung – und gerade jetzt wird es zunehmend
für diesen Dialog öffentlich einstehen, und wir müssen unsere           wichtig, zentrale politische Themen in die Programme aufzu-
Vorstellungen für eine solidarische und gerechte Gesellschaft           nehmen. Welchen Wert hat Demokratie für uns, was bedeutet
einbringen.                                                             gelebte Solidarität auch international, wie kann Ausgrenzung
                                                                        und Diskriminierung entgegengetreten werden? Neben klassi-
    Lieber darüber schweigen oder offensiv angehen – wie geht           schen Seminaren hierzu müssen wir spezielle Bildungsangebote
ver.di mit solchen Positionen in den eigenen Reihen um?                 gegen Diskriminierung weiter ausbauen.
                                                                            Aber auch für das gesamte Bildungssystem ergeben sich
    Auf keinen Fall schweigen. Wir haben da eine klare Haltung.         Konsequenzen. Beginnend in den Kindertagesstätten über alle
Mit Mitgliedern, die bekennende AfD-Wähler*innen sind, gehen            Bildungseinrichtungen hinweg muss Demokratie gelernt, aber
wir in den Diskurs. Wir klären auf, für was die AfD steht – auch        für alle Beteiligten immer auch gelebt werden. Hierzu braucht
im Hinblick auf Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmer*innen-              es an vielen Stellen ein Umdenken, denn Demokratie ist – wie
rechte. Da stellen wir dann oft fest, dass vieles nicht bekannt ist.    wir gerade auch erleben – keine Selbstverständlichkeit.
Wer liest sich schon ein ganzes Parteiprogramm durch? Wenn wir
mit diesen Mitgliedern reden, merken wir häufig, dass sie die              Du hast einen Wunsch frei an die Bundesregierung: Was
Ziele der Partei eigentlich gar nicht unterstützen wollen. Oft ist da   forderst Du?
Verdrossenheit, Frust und sozialer Protest und sie berichten, dass                                                                            9
sie mal „ein Zeichen setzen wollten“. Dann wird klar, wie die AfD          Dass der Bildungsetat mindestens genauso groß wird wie
auch Wähler fischt, indem sie mit Ängsten spielt und sie verstärkt.     der Rüstungsetat. Bildung statt Kanonen! b
     Anders sieht es bei AfD-Parteifunktionär*innen aus. Die laden
wir grundsätzlich nicht ein in politische Runden, Podiums-              Interview: Annette Jensen
Exzellenz-Universitäten / EU-Richtlinie

     M E L D U N G E N

     W Rote Stunde auf dem
     Bibliothekartag in Berlin
         Ein ungewöhnliches Format
     haben die ver.di-Bibliothekar*in-
                                         Aufwertung schafft
     nen für den diesjährigen 107.
     Deutschen Bibliothekartag in
     Berlin gewählt. Am 13. Juni
                                         Abwertung
     luden sie am Rande des größten
     Weiterbildungsevents für das
     Bibliothekswesen hungrige
     Teilnehmer*innen mit „müden
                                         E   xzellenz – zweite Runde: Ende September wird
                                             die Bewilligungskommission bekannt geben,
                                         welche Cluster künftig gefördert werden. Dabei
                                                                                                führt die offizielle Aufwertung der Wenigen
                                                                                                zugleich zu einer Abwertung der Vielen. Diese
                                                                                                Polarisierung bedroht dabei die größte Stärke
     Füßen“ zu Würstchen, Getränk        geht es um die Unterstützung von Projekten in For-     unseres Hochschulsystems: die Qualität in der
     und Gesprächen ein. Gefühlt         schungsfeldern einzelner Universitäten oder von        Breite. Bisher herrscht Vertrauen, dass eine uni-
     kamen (fast) alle. Jedenfalls       Universitätsverbünden. Mitte Dezember ist dann         versitäre Ausbildung unabhängig vom Standort
     wimmelte es in dem lauschigen       Abgabeschluss für die Bewerbungen als Exzellenz-       auf solider Basis gewährleistet wird. Nun wird der
     Gartenlokal gegenüber vom           universitäten, über die im kommenden Sommer            Elitestatus einzelner Universitäten deren Ab-
     Kongresshotel nur so von rede-      entschieden wird. Die 2016 beschlossene „Ex-           schlüsse aufwerten und auch Einfluss auf die
     und diskussionsfreudigen verdia-    zellenzstrategie“ ist das Nachfolgeprogramm der        Besetzung von Spitzenpositionen nehmen.
     ner*innen und Neugierigen.          „Exzellenzinitiative“ zur Spitzenforschung, für die
     Dabei ging es ebenso um Biblio-     zwischen 2006 und 2017 zusammen 4,6 Milli-                 Wohin eine solche Entwicklung führt, lässt
     theksthemen wie um Gewerk-          arden Euro an ausgewählte Universitäten flossen.       sich in England und den USA betrachten. Das
     schaftliches. Einhellige Meinung:   Mit dem neuen Programm werden nun weitere              Prinzip von Chancengleichheit und gleicher Be-
     Macht das bitte nächstes Jahr in    5,3 Milliarden ausgeschüttet.                          zahlung wird ersetzt durch die Bezahlung nach
     Leipzig wieder! Lust hätten wir                                                            der Universität, von der das Abschlusszeugnis
     schon.                                  Problematisch dabei ist, dass über die Förder-     stammt. Zwar ist der Anteil der Studierenden in
                                         richtlinie „Zukunftskonzept“ nur einzelne Uni-         Deutschland in den vergangenen Jahren deutlich
     W Weltbank auf der                  versitäten eine offizielle Statusaufwertung erfah-     gewachsen – doch über die Vergrößerung der
     schiefen Bahn                       ren. Anders als Forschungsmittel, die schon heute      Qualitätsunterschiede werden erneut Eliten
         Der Weltentwicklungsbericht     ungleich verteilt, aber nur von Fachkreisen wahr-      geschaffen. Dabei verleihen öffentliche Bildungs-
     2018 dreht sich um das Thema        genommen werden, schafft der verliehene Elite-         träger alten und neuen Eliten Argumente für eine
     Bildung. Der Grundsatzbericht       Status ein Prädikatssiegel für Studieninteressierte,   stärkere Ungleichbehandlung. Aus diesem Grund
     der Weltbank 2019 ist mit           Eltern und Arbeitgeber. Die haben bisher bei der       ist die Exzellenzstrategie vehement zu kritisieren
     dem Schwerpunkt „Wesen der          Abschätzung der Qualität Orientierung in einem         und abzulehnen. b
     Arbeit“ angekündigt. Nachdem        Meer verschiedener Rankings gesucht. Nun aber                                           Harun Demircan
     Entwürfe bekannt geworden
     sind, macht der DGB dagegen
     mobil: Arbeitnehmer*innen wer-
                                         §
     den dort vor allem als Kosten-
     faktor gesehen, Regulierungen            Kleines 1 x 1 zum neuen Datenschutz
     am Arbeitsmarkt als Gefahr für
     die Wirtschaftsdynamik. Bereits
     vor Monaten hatte der interna-
     tionale Gewerkschaftsbund ITUC
                                          E   nde Mai trat das neue Bundesdatenschutz-
                                              gesetz (BDSG) in Kraft. Es soll die informa-
                                          tionelle Selbstbestimmung stärken und Persön-
                                                                                                   Zugleich sind die Interessenvertretungen
                                                                                                aber auch Teil des Unternehmens und müssen
                                                                                                die Datenschutzbestimmungen einhalten. Sie
     gegen die absehbare Tendenz          lichkeitsrechte besser wahren. Unternehmen            haben die Daten zu sichern und dürfen keine
     des Papiers protestiert – offen-     und Dienststellen sind verpflichtet, die Daten        Vorratsdatenspeicherung auf den eigenen
     bar ohne Konsequenzen. Der           ihrer Beschäftigten zu schützen.                      Computern oder sonstwie betreiben. Außer-
     Bericht soll im Herbst veröffent-                                                          dem müssen sie die „Rechte der betroffenen
     licht werden.                            § 26 Abs. 1 BDSG erlaubt es Arbeitgebern,         Personen“ beachten, was u. a. bedeutet, dass
                                          personenbezogene Daten zu speichern und zu            Beschäftigte die Löschung von Daten verlangen
     W Aussichten auf                     verarbeiten, wenn die nötig sind, um Arbeits-         können. Der betrieblich bestellte Datenschutz-
     Personalrätepreis                    verträge, Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge       beauftragte (§ 38 BDSG) hat keine Kontroll-
         Im November wird entschie-       oder gesetzliche Bestimmungen einzuhalten.            befugnis im Betriebsrats- oder Personalratsbüro,
     den, wohin der Personalrätepreis     Auch der Betriebsrat bzw. Personalrat hat An-         wie das Bundesarbeitsgerichts klargestellt hat.
10   dieses Jahr geht. Nominiert sind     spruch auf personenbezogenen Daten, wenn er           b
     auch zwei Universitäten: Die         sie braucht, um seine Informations- und Beteili-                   ver.di b+b – Bildung und Beratung
     TU Dresden und die Universität       gungsrechte wahrzunehmen. Er darf diese
     Koblenz-Landau. Wir drücken die      Daten auch weitergeben, um seine Aufgaben             Seminare dazu:
     Daumen!                              ordnungsgemäß durchzuführen.                          www.verdi-bub.de/digitalisierungsseminare
Studentische Beschäftigte

                                                                                                                                         M E L D U N G E N

                                                                                                                                         W Abrüsten statt

                           TV-Stud                                                                                                       aufrüsten
                                                                                                                                             ver.di unterstützt die Initiati-
                                                                                                                                         ve „Abrüsten statt aufrüsten“.

                           macht Schule                                                                                                  Gegenwärtig läuft eine Unter-
                                                                                                                                         schriftenkampagne, mit der der
                                                                                                                                         Militätetat erst einmal eingefro-
                                                                                                                                         ren werden soll; die Bundes-
                                                                                   Arbeitsbedingungen von studentischen Beschäf-         regierung plant gegenwärtig
Foto: Berliner Studierende*r

                                                                                   tigten kreativ und lautstark zum Thema gemacht        eine Verdopplung des Wehretats
                                                                                   werden. Bereits seit einigen Jahren engagieren        (https://abruesten.jetzt/). Wer
                                                                                   sich Betroffene und Gewerkschaften für die Ver-       im Gewerkschaftshaus oder im
                                                                                   besserung der Situation. Im vergangenen Winter-       Betriebsratsbüro Kampagnen-
                                                                                   semester führte die DGB-Hochschulgruppe eine          plakate aufhängen will, kann sie
                                                                                   Befragung durch. Dabei wurden Mängel insbe-           bestellen bei
                                                                                   sondere bei Urlaubsansprüchen und der Lohn-           uwe.woetzel@verdi.de
                                                                                   fortzahlung im Krankheitsfall deutlich. Auch
                                                                                   bewegt sich die Bezahlung auf Mindestlohn-            W Bremer Hochschul-
                                                                                   niveau. Hinzu kommen uneinheitliche Vertrags-         gesetz novelliert
                                                                                   verhältnisse und häufige Befristungen auf wenige           Im neuen Bremer Hoch-
                                Der Streik der Berliner Studierenden
                                                                                   Monate. (mehr Infos: facebook-Initiative Stu-         schulgesetz wurden Tenure-
                                war von Erfolg gekrönt
                                                                                   dentisch Beschäftigte Hamburg)                        Track-Optionen im Bereich des
                                                                                                                                         wissenschaftlichen Mittelbaus
                               Das Medieninteresse war mäßig – schließ-                Für die Verbesserung dieser Arbeitsverhält-       verankert. Das Verfahren eröffnet
                               lich werden bundesweit jährlich 6.000 bis           nisse setzt sich inzwischen ein ganzes Netzwerk       die Chance, nach einer befriste-
                               7.000 Tarifauseinandersetzungen geführt.            ein. Neben den ver.di-Studis und der DGB-Hoch-        ten Bewährungszeit eine Lang-
                               Und doch ist in Berlin etwas ganz Großes            schulgruppe ist auch der AStA der Uni Hamburg         friststelle zu erhalten. Die Ver-
                               gelungen: Nach zähem Kampf ist der                  dabei und hat sogar eine neue Projektstelle einge-    träge für (Senior)-Researcher
                               Tarifvertrag studentische Beschäftigte (TV          richtet. Darüber hinaus engagiert sich die offene     und (Senior)-Lecturer sind zu-
                               Stud) unter Dach und Fach: Ab 1. Juli gibt          Studi-Gruppe „AGarbeitskampf_uhh“, die aus            nächst auf vier Jahre befristet. Es
                               es nun 12,30 € pro Stunde – 1,32 € mehr als         einer Uni-Besetzung hervorgegangen ist. Jenseits      gibt eine Zielvereinbarung und
                               bisher. Und in den kommenden Jahren                 der Hochschulwelt gibt es Unterstützung durch         frühestens nach zwei Jahren
                               geht es weiter aufwärts. Das spornt Initia-         unterschiedliche gewerkschaftliche Akteure –          kann der oder die Mitarbeiter*in
                               tiven in Hamburg, Bremen und anderswo               unter anderem die ver.di Jugend und den               eine Evaluation beantragen.
                               an, ebenfalls Tarifinitiativen aufzubauen.          Hamburger DGB. Auch Kolleg*innen von ande-            Der Kommission gehört auch
                                                                                   ren Statusgruppen an der Universität stellen sich     der Personalrat an.
                               VON THOMAS WEISZ                                    hinter die Forderungen. Und im Bundesland                  Da die Uni Bremen jedoch zu
                                                                                   Bremen formiert sich rund um das gewerkschaft-        50% aus Drittmitteln finanziert

                               H   ochschulen sind traditionell Orte prekärer
                                   Beschäftigung. Hier herrscht eine ausgepräg-
                               te Konkurrenz um die wenigen Stellen, die Hierar-
                                                                                   liche Hochschul-Informations-Büro an der Uni-
                                                                                   versität ebenfalls eine offene Gruppe, die sich für
                                                                                   einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte
                                                                                                                                         wird und bei Grundmitteln hoff-
                                                                                                                                         nungslos unterausgestattet ist,
                                                                                                                                         besteht die Gefahr, dass es nur
                               chieverhältnisse sind ausgeprägt. Meist sind nur    einsetzt.                                             marginale Veränderungen gibt:
                               wenige Beschäftigte gewerkschaftlich organisiert,                                                         Der Personalrat fordert 200
                               Arbeitskämpfe finden hier selten statt.                 Die Tarif-Initiativen in den beiden großen        Tenure-Track-Stellen, die Uni-
                                                                                   Hansestädten stehen zwar noch am Anfang –             versitätsleitung will lediglich
                                   Und doch ist es den Kolleg*innen in Berlin      doch der Erfahrungsaustausch mit Berliner Enga-       30 einrichten.
                               gelungen,1000 studentische Beschäftigte neu zu      gierten gibt Rückenwind. Um den Aufbau von
                               organisieren, einen ausdauernden Arbeitskampf       Strukturen zu erleichtern, erarbeitet die Bundes-     W Aktionswoche
                               zu führen und am Ende gegen den vehementen          arbeitsgruppe Studierende in ver.di momentan          „Gutes Studium“
                               Widerstand der Hochschulleitungen einen neuen       eine Broschüre. Die soll den Berliner Arbeitskampf        Vom 19. bis 20. Oktober fin-
                               Tarifvertrag durchzusetzen. Das Berliner Beispiel   beleuchten, seine Vorgeschichte und die Erfolgs-      det eine Aktivenkonferenz in
                               zeigt, dass studentische Beschäftigte solidarisch   faktoren beschreiben und Tipps und Anregungen         Hattingen statt. Dort soll die
                               zusammenstehen und erfolgreiche Arbeitskämpfe       für den Aufbau von Tarif-Initiativen geben.           Aktionswoche „Gutes Studium“
                               sogar im Wissenschaftsbereich möglich sind.                                                               vorbereitet werden, die ab dem         11
                               (mehr Infos: https://tvstud.berlin/)                   Wir haben noch viel vor uns auf dem Weg zu         3. Dezember an möglichst vielen
                                                                                   einem bundesweiten Tarifvertrag für studentische      Hochschulen laufen soll.
                                   In der Hansestadt Hamburg erzeugte der          Beschäftigte. Deshalb freuen wir uns über neue        www.dgb-seminare.de/semi-
                               Tarifabschluss in Berlin einen starken Impuls: Zu   Mitstreiter*innen! Schafft ein, zwei, viele TV-       nare/aktivenkonferenz/
                               Beginn des Wintersemesters sollen auch hier die     Stud! b
Mindestlohn / Studentenwerk

     DER „BESONDERE“

     W ver.di und DAA
     schließen Kollektivvertrag
     sui generis
         Am 30. April 2018 unter-
                                          Mindestlohn in der
     zeichneten DAA und ver.di eine
     „Kollektivvereinbarung sui
     generis“ (zum Begriff: siehe
                                          Weiterbildung steigt
     unten). Damit ist der Streit um
     die Tariffähigkeit der DAA GmbH
                                           Stufe 1 (unter Niveau 6 DQR)                                               39 Std./Woche                   40 Std./Woche
     beigelegt, der rechtsfreie Zu-
     stand beendet. Für Entgelt, allge-    01.01.2019:           3,00 %           (15,72   €/h)                           2.665,67    €                   2.734,02    €
                                           01.01.2020:           3,00 %           (16,19   €/h)                           2.745,37    €                   2.815,76    €
     meine Anstellungsbedingungen,
                                           01.01.2021:           3,00 %           (16,68   €/h)                           2.828,46    €                   2.900,99    €
     Eingruppierungen, Vorteils-           01.01.2022:           3,00 %           (17,18   €/h)                           2.913,25    €                   2.987,95    €
     regelungen für ver.di-Mitglieder,
     Jahressonderzahlungen – kurz          in summa          + 12,55 %               + 1,92 €                             + 325,58 €                      + 333,93 €
     über alles, was üblicherweise
                                           Stufe 2 (Niveau 6 DQR und höher)                                           39 Std./Woche                   40 Std./Woche
     in Tarifverträgen geregelt ist,
                                           01.01.2019:           3,50 %           (15,79   €/h)                           2.677,54    €                   2.746,91    €
     treffen ver.di und DAA jeweils
                                           01.01.2020:           3,75 %           (16,38   €/h)                           2.777,59    €                   2.848,81    €
     Vereinbarungen sui generis.           01.01.2021:           3,90 %           (17,02   €/h)                           2.886,12    €                   2.960,12    €
                                           01.01.2022:           4,00 %           (17,70   €/h)                           3.001,42    €                   3.078,38    €
         Die Arbeits- und Einkom-
                                           in summa:         + 16,03 %               + 2,44 €                             + 413,75 €                      + 424,36 €
     mensbedingungen werden künf-
     tig zwischen der ver.di-Tarif-        Teilzeitkräfte können über folgende Formel ihren künftigen Lohn ermitteln:
     kommission und DAA GmbH ver-          Mindeststundenvergütung x vereinbarte regelmäßige Wochenarbeitszeit x 4,348
     handelt. Eine Friedenspflicht gilt
     zu keinem Zeitpunkt. Die DAA
     hat gegenüber ver.di zugesagt,
     die vereinbarten Verhandlungs-
                                          D    er Mindestlohn für das pädagogische Per-
                                               sonal in der SGB II/III geförderten Weiter-
                                          bildung steigt ab 2019 deutlich. Dabei wird diffe-
                                                                                                                 staatlich anerkannte Erzieher*in, Sozialpäda-
                                                                                                                 gog*in, geprüfte*r Fachkaufmann/ Fachkauffrau,
                                                                                                                 geprüfte*r Fachwirt*in oder geprüfte*r Aus- und
     ergebnisse rechtsverbindlich für     renziert, welche Qualifikation die Unterrichtenden                     Weiterbildungspädagog*in.
     die Arbeitnehmer*innen umzu-         mitbringen. Ausschlaggebend für die Zuordnung
     setzen. Bald wird die Tarifkom-      zu einer der beiden Stufen ist der Deutsche                                Es ist gelungen, eine schrittweise Annäherung
     mission Forderungen für die          Qualifikationsrahmen (DQR). Darin haben Bun-                           zum TVöD zu erzielen. Zum Vergleich: Sozial-
     anstehenden Gehaltsverhand-          desministerium für Bildung und Forschung                               pädagog*innen im Öffentlichen Dienst erhalten
     lungen beschließen.                  (BMBF) und Kultusministerkonferenz (KMK) die                           seit 1. März 2018 ein Einstiegsgehalt von monat-
                                          Qualifikationen verschiedenen Niveaus zugeord-                         lich 2.933,26 €. Die Tarifvertragsparteien stellen
                                          net. Beschäftigte, die mindestens über einen                           nun gemeinsam beim Bundesarbeitsministerium
                                          Abschluss mit dem DQR-Niveau 6 verfügen, steht                         einen Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit. b
     „Sui generis“                        Stufe 2 zu. Dazu zählen insbesondere folgende
     „Sui generis“ ist lateinisch und     Abschlüsse: Meister*in/Techniker*in, Bachelor,                         Anne Voß/Dirk Heitmann
     heißt übersetzt „eigene Art“. Im
     Zusammenhang mit Verträgen
                                                                                                                 Gemeinsam nach vorn schauen
                                                                                                  Foto: ver.di

     werden damit Abkommen be-
     zeichnet, die nicht den üblichen                                                                            Immer wieder ziehen ver.di und das Deutsche Studen-
     Vertragstypen im Bürgerlichen                                                                               tenwerk (DSW) an einem Strang. So hatte die ver.di
     Gesetzbuch (BGB) entsprechen.                                                                               Kampagne „BILDUNG KOSTET“ im sächsischen Landtags-
     So ist Leasing als Vertragsform                                                                             wahlkampf durchschlagenden Erfolg. Mit Unterstützung
     weder ein Kauf- noch Miet-                                                                                  der Geschäftsführungen der Studentenwerke und des
     vertrag und im BGB nicht vor-                                                                               DSW gelang es, die staatlichen Zuschüsse für die – nicht
     gesehen. Dasselbe gilt etwa für                                                                             nur in Sachsen – chronisch unterfinanzierte Studenten-
     „Integrationsvereinbarungen“.                                                                               werke erheblich zu erhöhen. In Rheinland-Pfalz konnte die
     Somit handelt es sich um Ver-                                                                               Bezahlung der Erzieher*innen nach den Regelungen für
     träge der „besonderen“ Art.                                                                                 den Sozial- und Erziehungsdienst im Öffentlichen Dienst
     Auch bei EU-Institution spre-                                                                               durchgesetzt werden. Wieder ein Erfolg: Die Große Koa-
12   chen Rechtswissenschaftler von        (v.l.n.r.) Ulrich Hempe, Sprecher BAG Studentenwerke;
                                                                                                                 lition will künftig studentisches Wohnen mit Bundes-
     Gebilden „sui generis“, da sie        Anne Voß, Leiterin BAG Studentenwerke; Achim
                                                                                                                 mitteln finanziell unterstützen. Aber nicht alles läuft rund
     weder Bundesstaat noch                Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Deutschen
                                                                                                                 in der Zusammenarbeit. Es hapert unter anderem an der
     Staatenbund, sondern völker-          Studentenwerkes; Ute Kittel, Bundesfachbereichs-
                                                                                                                 Qualifizierung der Mitarbeiter*innen, die Entgeltgruppe 1
     rechtlich einzigartig sind.           leiterin sowie Reinhard Dudzig, stellv. Sprecher BAG
                                                                                                                 bleibt vielerorts ein Problem. Punkte, die wir gemeinsam
                                                                                                                 angehen. Wir bleiben im Gespräch. b
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