URBANE AUSTERITÄT Die neoliberale Krise der amerikanischen Städte Von Jamie Peck - Rosa Luxemburg Stiftung

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URBANE AUSTERITÄT Die neoliberale Krise der amerikanischen Städte Von Jamie Peck - Rosa Luxemburg Stiftung
URBANE AUSTERITÄT
                  Die neoliberale Krise der amerikanischen Städte
ROSA
LUXEMBURG
STIFTUNG
NEW YORK OFFICE   Von Jamie Peck
Inhaltsverzeichnis

     Austerität und Widerstand im 21. Jahrhundert. Von den Herausgebern....................................1

     Urbane Austerität
     Die neoliberale Krise der amerikanischen Städte....................................................................2

     Von Jamie Peck

         Extremes Sparen: Die Austeritätsphase des Neoliberalismus.................................................4
     		            Was das „1%“ den Städten zumutet.............................................................................8
         Wenn die Lichter ausgehen: Städte unter Austeritätsdruck.................................................10
     		            Der Fall Detroit.............................................................................................................11
     		            Austerität wird politisch erzwungen.........................................................................12
     		            Sachverwalter des Sparzwangs.................................................................................14
     		            Strukturanpassungsmaßnahmen.............................................................................16
     		            Das Beispiel Chicago....................................................................................................18
         Der Zwang zur Veränderung: Die Dynamik der kommunalen Austerität...........................21
     		            Austeritätsurbanismus.............................................................................................24
         Zusammenfassung: Austerität als Krise der Kommunen......................................................26

Veröffentlicht von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Büro New York, Mai 2015

City Series

Herausgeber: Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg
Adresse: 275 Madison Avenue, Suite 2114, New York, NY 10016
E-Mail: info@rosalux-nyc.org; Telefon: +1 (917) 409-1040

Gefördert mit Mitteln des Auswärtigen Amts

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung ist eine international tätige, progressive Non-Profit-Organisation für
politische Bildung. In Zusammenarbeit mit vielen Organisationen rund um den Globus arbeitet sie für
demokratische und soziale Partizipation, die Ermächtigung von benachteiligten Gruppen, Alternativen
zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und für friedliche Konfliktlösungen.

Das New Yorker Büro erfüllt zwei Hauptaufgaben: sich mit Themen der Vereinten Nationen zu befassen
und mit nordamerikanischen Linken in Hochschulen, Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und der
Politik zusammenzuarbeiten.

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Austerität und Widerstand im 21. Jahrhundert
Städte sind Schauplätze sozialer Auseinandersetzungen – dies wird heute, angesichts weiter wach-
sender sozialer Ungleichheit, besonders sichtbar. Doch trotz seiner spektakulären Fehlschläge, die
in der Finanzkrise von 2007/08 gipfelten, regiert der Neoliberalismus unangefochten weiter. In die-
sem Kontext gilt Austeritätspolitik – laut David Harvey ein neues Kapitel in der „Akkumulation durch
Enteignung“ – als das Gebot der Stunde. Während viele Beobachter den „Gridlock” – den legislativen
Stillstand – in Washington, D.C. diskutieren, finden die Folgen und Formen der Austerität auf kom-
munaler Ebene vergleichsweise wenig Beachtung.

In dieser Studie analysiert Jamie Peck, Professor für Geographie an der University of British Co-
lumbia in Kanada, wie der Neoliberalismus seit der Großen Rezession seinen Zugriff auf die Städte
verstärkt hat – ein Phänomen, das er als „urbane Austerität” bezeichnet. Aufgrund der räumlichen
Konzentration von gewerkschaftlichen Organisationen, Afroamerikanern und anderen People of Co-
lor, von armen Menschen und liberalen Wählern sind Städte bevorzugte – und zugleich besonders
verwundbare – Ziele für die Implementierung von Austeritätsmaßnahmen. Städtische Verwaltungen
kürzen soziale Dienstleistungen und die Löhne von Beschäftigten des öffentlichen Sektors, stut-
zen Schulhaushalte und reduzieren den Bestand an Sozialwohnungen. Gleichzeitig privatisieren sie
wesentliche Versorgungsbereiche der Stadt und subventionieren private Anleger. Einige Stadtver-
waltungen mit unternehmerischen Neigungen begrüßen diese Schritte, doch den meisten bleibt
schlicht keine Wahl angesichts der Haushaltszwänge, die von Regierungsvertretern in Washington,
D.C., und in den Bundestaaten geschaffen und an die kommunale Ebene durchgereicht werden. Da-
mit bleibt letztlich jede Stadt und jede Gemeinde sich selbst überlassen. Und während einige Städte
in der Lage sind, sich den Sparzwängen anzupassen und die Welle an Privatisierungen ohne Kollaps
zu überstehen, gehen andere Städte – wie im letzten Jahr Detroit – unter.

Trotzdem ist die gegenwärtige Situation in US-Städten für linke Politik keineswegs völlig düster. Denn
Städte werden erneut zum Nährboden für progressive Kampagnen – von Basisorganisationen und
Bewegungen bis hin zum wahlpolitischen Engagement. Auch Occupy Wall Street war eine urbane
Bewegung, die ähnliche Ausformungen in zahlreichen Städten überall in den Vereinigten Staaten
und anderswo inspirierte. An vielen Orten kämpfen Right-to-the-City-Initiativen gegen die Flut von
Zwangsvollstreckungen, Zwangsräumungen und steigenden Mieten. Viele linke Bewegungen haben
sich zuletzt auf die Stadtpolitik konzentriert und den Weg für progressive Bürgermeister bereitet – in
New York City, Boston und Minneapolis, um nur einige zu nennen. Diese Städte erleben soziale Ver-
besserungen, wie beispielsweise Mindestlohnerhöhungen, Ausweise für Papierlose, Rechtsschutz
für Hausangestellte, bezahlte Krankheitstage, Kleinkindbetreuung und mehr. Während Städte also
zunehmend Angriffspunkte für Austeritätspolitik werden, zeigt sich gleichzeitig, dass der Kampf ge-
gen Austerität und für progressive Politik gerade erst richtig beginnt.

Mieten- und Stadtpolitik sind ein Schwerpunkt unserer Arbeit als New Yorker Büro der Rosa-
Luxemburg-Stiftung. Mit dieser Studie schlagen wir in neues Kapitel auf und beginnen, neben un-
seren anderen Publikationen, eine diesem Thema gewidmete Publikationsreihe: die „City Series”.

                                                              Stefanie Ehmsen und Albert Scharenberg
                                                                   Leiter des Büros New York, Mai 2015

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Urbane Austerität
Die neoliberale Krise der amerikanischen Städte

Von Jamie Peck

„Austerität“? Das ist ein Begriff, den der be-          text einer (lokalen) Staatlichkeit und (kommu-
kannte US-amerikanische Wörterbuchverlag                nalen) Politik, die ja schon zuvor neoliberalisiert
Merriam-Webster 2010 zum Wort des Jahres                worden sind.
ernannte und der mittlerweile die Zeit nach der
Großen Rezession, in der wir angeblich leben,           Seit dem Wall Street Crash von 2008 lautet die
geradezu als Schlüsselbegriff charakterisiert.          neu aufpolierte Begründung für Austeritäts-
Entgegen der Behauptung, wir hätten die Krise           maßnahmen, die Durchsetzung strenger Haus-
hinter uns, spricht einiges dafür, dass wir viel-       haltsdisziplin und staatliche Ausgabenkürzun-
mehr erst am Beginn eines ganzen „Zeitalters            gen seien der (einzige) Weg zur Wiederher-
der Austerität“ stehen (Edsall, 2012; Feather-          stellung geordneter Staatsfinanzen auf allen
stone u.a., 2012). Merriam-Webster definiert            Ebenen – und nur so könne man das Vertrauen
„Austerität“ als einen Zustand „erzwungener             der Investorenklasse festigen, die nervösen
oder extremer Sparsamkeit“ – eine Begriffs-             Märkte beruhigen und neues Wachstum schaf-
bestimmung, deren adäquate Knappheit auf                fen. In Europa allerdings – wo offenkundig der
historische Sinngehalte dieses Wortes (und              entscheidende Test läuft – gibt es keine Anzei-
die mit ihm verbundenen klassischen Vorstel-            chen dafür, dass die Sache funktioniert: Dort
lungen von Selbstdisziplin, Sparsamkeit und             hat das Wachstum sich verlangsamt oder ganz
Mangel) verweist, zugleich aber ausgespro-              aufgehört; es wurden Massenproteste provo-
chen neoliberale Anklänge hat. Dem neolibera-           ziert, die mit politischen Gegenzügen sowohl
len Drehbuch zufolge ist öffentliche Austerität         von rechts wie von links einhergehen; und un-
eine Notwendigkeit, Reaktion auf Marktzwän-             ter der Last dieser Entwicklungen sind diverse
ge, und der Staat reagiert mit immer neuen              Austeritätsregierungen der Reihe nach kolla-
fiskalischen Kürzungsrunden, wobei er oft-              biert. In den Vereinigten Staaten hat das kurze
mals Stadtverwaltungen und alle die ins Visier          Zwischenspiel der Obama‘schen Wirtschafts-
nimmt, die sozial wie räumlich am verwund-              belebungsmaßnahmen nach dem Crash ei-
barsten sind. Die Austeritäts-Orientierung er-          nen populistischen Aufstand der Rechten mit
öffnet die historische Chance, auf kommunaler           erheblichen wahlpolitischen Folgen ausgelöst,
Ebene noch schlankere Versionen des „schlan-            die in einer Haushaltsblockade in Washington
ken Staats“ zu erzwingen. Definiert man die             und wesentlichen Ausgabenkürzungen auf
Verkleinerung der öffentlichen Verwaltungen             einzelstaatlicher und kommunaler Ebene kul-
und die fortschreitende Privatisierung als fis-         minierten.
kalische Notwendigkeiten, so bewegt man sich
auf neoliberalem Terrain. Das ist jedoch – na-          Es handelt sich dabei um keine vorüberge-
türlich – nicht einfach nur neoliberal, denn die-       hende Erscheinung. Was in einer Untersu-
se neueste Austeritätsoffensive verläuft unter          chung (Pew Charitable Trusts, 2012: 2) „lokale
historisch und geografisch spezifischen, unver-         Finanzklemme“ heißt, wird „auf Jahre hinaus“
wechselbaren Bedingungen, und dies im Kon-              spürbar bleiben. Der US-Bundesrechnungshof,

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JAMIE PECK
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das Government Accountability Office (GAO),                      der faktische Konsens über diesen Kurs sich in
schätzt, dass das Grundsteueraufkommen                           nächster Zeit ändern könnte. Zwar mögen jene,
(das traditionell etwa ein Drittel der kommu-                    die Krugman „Austerianer“ tauft, „nicht mehr
nalen Geldeinkünfte ausmacht) nicht vor 2039                     so sehr auf den Faktor Hoffnung setzen, doch
wieder das Niveau von 2009 erreichen wird.                       setzen sie weiterhin auf den Faktor Angst – das
Das dadurch entstehende „Haushaltsloch“ ist                      heißt auf die Behauptung, ohne drastische
struktureller Art. Wenn die Politik sich nicht                   Ausgabenkürzungen, selbst bei wirtschaftli-
ändert, werden die Ausgaben der Kommunen                         cher Depression, werden wir wie Griechenland
um 12,7 Prozent p.a. gesenkt werden müssen,                      enden“ (Krugman, 2012a: 7; vgl. auch Crotty,
um dieses Loch zu schließen, und zwar Jahr für                   2012). Das läuft auf eine besonders dreiste
Jahr bis 2062 (GAO, 2012). Schlimmer noch, 46                    Form der wohlerprobten neoliberalen Taktik
der 50 US-Bundesstaaten haben mittlerweile                       hinaus, Krisendruck umzulenken und gegen
die kommunalen Möglichkeiten beschnitten,                        den Staat selbst zu richten. „Bei dem Drängen
eigene Steuern zu erheben, was – in der Bo-                      auf Austeritätspolitik“, betont Krugman, „geht
xersprache ausgedrückt – einen regelrechten                      es in Wirklichkeit gar nicht um Schulden und
Eins-zwei-Schlag bewirkt: nämlich sinkende                       Defizite; es geht darum, Defizitpanik zu schü-
Einnahmen bei steigendem Bedarf (Pew Chari-                      ren und als Vorwand zur Demontage von So-
table Trusts, 2012).                                             zialprogrammen zu nutzen [...]. Wirtschaftsbe-
                                                                 lebung war nie der Punkt. In Wahrheit zielt der
Im öffentlichen Diskurs der Vereinigten Staa-                    Austeritätsdruck darauf, die Krise auszunut-
ten assoziiert man mit „Austerität“ in erster Li-                zen, nicht, sie zu lösen.“
nie die anhaltende Krise Europas, während der
Begriff als solcher im eigenen Land seltener                     Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit
benutzt wird, obwohl die entsprechende Praxis                    einem um sich greifenden Phänomen, dem
dort inzwischen ebenfalls durchaus üblich und                    „austerity urbanism“, der finanziellen Austrock-
auch auf lokaler Ebene voll angekommen ist.1                     nung der Kommunen und ihrer Handlungsmög-
Zwar haben die politischen Eliten Amerikas,                      lichkeiten. Sie tut dies im Kontext der angedeu-
wie Paul Krugman (2012: 7) festgestellt, „sich                   teten Entwicklung, die die Austeritätsverhältnis-
die Doktrin nie voll zu eigen [gemacht]“, den-                   se in den Vereinigten Staaten, wo die Dezentra-
noch erlebte das Land nach dem Wall Street                       lisierung politischer Verantwortung im Gefolge
Crash „eine De-facto-Austeritätskur in Gestalt                   der Krise eine neue Welle nach unten delegier-
massiver Ausgaben- und Personalkürzungen                         ter Haushaltsdisziplinierung mit sich brachte,
auf einzelstaatlicher und kommunaler Ebene.“                     zur Alltagsnormalität werden lässt. Auf der
Weniger der Begriff „Austerität“, wohl aber                      Ebene der Einzelstaaten und der Kommunen,
die Sache selbst ist in den Vereinigten Staaten                  insbesondere in den Städten, sehen die Ver-
inzwischen bis in die Fundamente durchgesi-                      waltungen sich der ganzen Wucht austeritäts-
ckert. Nach unten durchgereichte Sparmaß-                        gemäßer „extremer Sparsamkeit“ ausgesetzt,
nahmen haben ihren Anteil daran, dass die bis                    die in manchen Fällen städtische Finanzkrisen
heute schwächelnde wirtschaftliche Erholung                      erzeugt. Stadtpleiten in Kalifornien haben es
schon an ihren Quellen geschädigt wurde. Für                     in die Schlagzeilen geschafft, dahinter aber
Krugman besteht kaum Aussicht darauf, dass                       steckt ein tiefer reichendes Muster strukturel-
                                                                 ler Ungleichgewichte zwischen schrumpfenden
1   Adam Gopnik (2012: 18) bemerkt dazu trocken: „Für            Einnahmen und fortgeltenden Verpflichtungen
    die amerikanische Rechte läuft alles, was in Europa          gegenüber öffentlich Beschäftigten und zur
    falsch läuft, deshalb falsch, weil Europa auf dem fal-
    schen Weg ist, und nicht etwa aufgrund des Austeri-          Erbringung öffentlicher Dienstleistungen. Die
    tätskurses, denn Austerität ist richtig.”                    Einnahmen stammen hauptsächlich aus Grund-

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und Umsatzsteuern, zuzüglich intergouverne-           deshauptstadt“. Größer ist jedoch die Zahl der
mentaler Transfers, die sämtlich unter starkem        Städte, die schwer zu kämpfen haben und an-
Druck stehen. Was die Verpflichtungen betrifft,       gesichts sinkender Einnahmen sowie oftmals
so werden diese jetzt einseitig neu bestimmt.         struktureller Defizite versuchen, Personal und
                                                      Dienstleistungen deutlich zu reduzieren – man-
Sicher, die Lage ist durchaus nicht überall           che an der Schwelle der „fiscal receivership“
gleich, aber überall sieht man, wie Austeri-          (also verzweifelter Sponsorensuche) oder eben
tätsdruck nach unten weitergegeben wird,              der Zahlungsunfähigkeit. Zwischen diesen Ex-
mit zunehmender Evidenz auf der kommuna-              tremen gibt es überall im Lande Stadtverwal-
len Ebene im ganzen Lande. Darin zeigt sich           tungen, die sich unter den Bedingungen ganz
der Beginn einer den kommunalen Sektor der            „gewöhnlicher Austerität“ gezwungen sehen,
Vereinigten Staaten insgesamt erfassenden             ihre Haushalte auszudünnen und zu „schlanke-
Fiskalkrise, doch im weiteren Sinn handelt es         ren“ Verwaltungspraktiken überzugehen. Das
sich auch deshalb um eine speziell kommuna-           treibt sie in immer neue Innovationsrunden
le Krise, weil die Städte besonders hart vom          beim Outsourcen und Privatisieren.
„housing slump“, der Immobilienkrise und der
damit einhergehenden Welle von Hypothe-               Die folgende Untersuchung besteht aus drei
kenkündigungen und Pfändungen, getroffen              Teilen. Zunächst rückt sie den jüngsten Stand
wurden; weil Städte unverhältnismäßig stark           der Austeritätsoffensive in den Kontext der
von öffentlichen Dienstleistungen abhängig            bekannten neoliberalen Urbanisierungs- oder
sind; und weil sie viele der bevorzugten Ziele        Kommunalisierungs- und Restrukturierungs-
von Austeritätsprogrammen beherbergen –               strategien. Sodann wendet sie sich den neu-
„Sozialschmarotzer“ wie Arme, Minderheiten            esten Erscheinungsformen des austerity urba-
und marginalisierte Bevölkerungsgruppen; öf-          nism in den Vereinigten Staaten zu, wo Städte
fentliche Dienste und die zugehörigen Gewerk-         sich infolge verminderter Einnahmen und des
schaften; sowie schließlich „bürokratisierte“         Entzugs von „Landes“- und Bundeshilfen ge-
Infrastrukturen. Es sind deshalb die Städte, wo       zwungen sehen, „extreme Maßnahmen“ zu
Austerität besonders wehtut – allerdings nicht        ergreifen. Abschließend wird der Frage nach-
überall in gleichem Maße. Eine glückliche Min-        gegangen, ob die kommunale Austerität länge-
derheit der Städte, die Zugang zu den Anleihe-        re Zeit andauern wird oder nur temporär ist,
märkten findet, hat begonnen, eigenständige           nur eine Facette der anhaltenden neoliberalen
Finanzarrangements zu entwickeln, unabhän-            Transformation, die die amerikanische Stadt
gig von Washington und der jeweiligen „Lan-           durchmacht.

Extremes Sparen: Die Austeritätsphase des Neoliberalismus

Austeritätsmaßnahmen gehören, fallweise er-           Ideologie erklärt die Reduzierung der Staatstä-
griffen, schon lange zum neoliberalen Reper-          tigkeit zur unerlässlichen Voraussetzung dafür,
toire. Fiskalische Entschlackungskuren für den        dass Privatwirtschaft, freie Märkte und indivi-
Staat (und ganz besonders den Sozialstaat) las-       duelle Freiheit wieder erstarken können. Die
sen sich aus dem elementarsten neoliberalen           unangenehme Wahrheit, dass das Verhältnis
Motiv herleiten – nämlich dem Staat (immer            von Staat und Markt kein Nullsummenspiel ist,
engere) Grenzen zu setzen. Die neoliberale            und die sperrige Tatsache, dass die Verdrän-

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gung des Leviathan-Staates nicht automatisch             sich (vgl. Peck u.a., 2010; McBride und White-
mehr Freiheit bewirkt – beides erfuhren die              head, 2011), schießt aber auch immer wieder
neoliberalen Reformer erst in der politischen            über das Ziel hinaus, bewirkt Fehlschläge und
Praxis, nicht durch die klassische Theorie.              Krisen. Bei der allerjüngsten Welle von Aus-
Nichtsdestotrotz kommt man immer wieder                  teritätsmaßnahmen geht es um mehr als die
auf die – sich über dieser Erfahrung hinwegset-          bloße Neuauflage dessen, was in den 1980er
zende – Strategie zurück, die öffentlichen Aus-          Jahren geschah – um mehr als eine Art Re-
gaben zusammenzustreichen. Das heißt aber                tro-Reagonomics. Weil, was jetzt geschieht,
nicht, dass wir uns auf geradem Wege zu ei-              „danach“ geschieht, haben wir es nicht mit ei-
nem neuen Gleichgewicht, dem eines „schlan-              ner Wiederholung zu tun, sondern mit einer
ken Staates“, befinden. Die Kürzungen liefern            selektiven Konsolidierung und Intensivierung
eher einen Vorgeschmack auf politische In-               sowohl der zugrunde liegenden Logik als auch
stabilität und institutionellen Niedergang, auf          ihrer (sich vertiefenden) Widersprüchlichkeit.
Krisenmanagement und Löcherstopfen auf                   Viele der Auswirkungen schaukeln sich ge-
Seiten gemeinnütziger oder kommerzieller Ak-             genseitig hoch, politisch und sozial wie auch
teure, die in manchen Fällen schließlich de fac-         institutionell und fiskalisch. Anders als eine
to aufgeben. So entstehen ärgerliche Muster              gelegentliche Fastenwoche haben die immer
einer dialektischen Transformation, wie sie die          neuen finanziellen Abführkuren die staatliche
institutionelle Dynamik der real ablaufenden             Handlungsfähigkeit mit der Zeit kumulativ ge-
Neoliberalisierung charakterisieren: Durch               schwächt. Das wirkt sich letzten Endes nicht
Deregulierungsschübe, Auflösung, Abbau und               allein auf jene Staatsfunktionen aus, die neoli-
„Verschlankung“ drohen Marktversagen und                 berale Kritiker als „Fettansatz“ zu verunglimp-
eine Fülle externer Effekte, die angebliche              fen pflegen, Wohlfahrtseinrichtungen, Sozial-
Korrekturmaßnahmen in Form von Governan-                 leistungen und Bürokratie beispielsweise. Es
ce-Experimenten, marktfreundlicher Re-Regu-              betrifft auch die elementaren Basisleistungen
lierung, Behelfslösungen aller Art – mitsamt             des Staates, die (selbst im Neoliberalismus) oft
der eigenen Beschränkungen und Widersprü-                als unverzichtbar gelten, etwa Polizeiarbeit,
che – bewirken (vgl. Peck und Tickell, 2002;             Gefängniswesen und öffentliche Sicherheit.
Brenner u.a., 2010; Peck u.a., 2013). Wenn es            Austerität ist folglich kein bloß zyklisches Phä-
immer wieder zu Krisen kommt, Finanz- oder               nomen; langfristig geht sie mit zunehmender
anderen Krisen, liegt das im Grunde natürlich            Handlungsunfähigkeit und institutioneller Aus-
daran, dass die aufeinander folgenden Wellen             zehrung einher, mit der Gewöhnung an Nied-
neoliberaler Reform keine nachhaltige wirt-              rigsteuer-/Niedrigleistungs-Ungleichgewichte
schaftliche, soziale oder ökologische Entwick-           unterschiedlichster Art.
lung zustande gebracht haben. Zugleich ist
dieser Prozess aber untrennbar verknüpft mit             Loïc Wacquant meint, in ihrer amerikanischen
tief sitzenden politischen Absichten, die auf die        Version sei die Neoliberalisierung unausweich-
Herabsetzung des Staates und seiner Partner              lich (ja sogar notwendigerweise) mit einer sä-
sowie darauf abzielen, die Tauglichkeit politi-          kularen Ausweitung des strafenden Staates,
scher Lösungen grundsätzlich in Zweifel zu zie-          eines Law-and-Order-Regimes, verbunden
hen. Regelmäßiges Staatsversagen wird dann,              (Wacquant, 2012; Peck und Theodore, 2012).
im Ergebnis dieser vorsätzlichen Vernachlässi-           Es gibt aber Anzeichen dafür, dass die jüngste
gung, geradezu self-fulfilling (vgl. Frank, 2008).       Austeritätsoffensive droht, sogar einige dieser
                                                         „rechtshändigen“ Staatsfunktionen auszuhöh-
Ein neoliberales Regime bringt also regelmäßi-           len. Hinzu kommt, dass in föderalen Systemen
ge finanzpolitische „Entschlackungskuren“ mit            wie den Vereinigten Staaten viele dieser Funk-

                                                     5
JAMIE PECK
                                                                                         URBANE AUSTERITÄT

tionen in einzelstaatliche oder lokale Verant-                Da die Austeritätskosten für gewöhnlich ex-
wortung fallen – und erst recht viele der „links-             ternalisiert und weiter unten, von den Bun-
händigen“, sozialstaatlichen Aufgaben, die                    desstaaten abwärts bis zu den Kommunen,
seit langem unter neoliberalem Feuer liegen.                  abgeladen werden, steigen die Aussichten auf
Das bedeutet, dass der Preis der Austeritäts-                 (lokales) Staatsversagen tatsächlich. In einer
maßnahmen vor allem auf den subnationalen                     fiskalisch angespannten und steuerfeindlichen
Ebenen der Staatstätigkeit zu entrichten ist,                 Zeit stärkt das Gespenst des Staatsbankrotts
die denn auch zu Experimentierfeldern krisen-                 paradoxerweise den Trend, noch drastische-
bedingter Leistungskürzungen und zu Brenn-                    re Sparmaßnahmen zu ergreifen, was die An-
punkten der toxischen Schrumpfungspolitik                     nahme nahelegt, das hier eine systemische
gegenüber Staatsfinanzen und -aufgaben ge-                    (oder vielleicht sogar strukturelle) Logik ins
macht worden sind. Doch auf dieser Ebene                      Spiel kommt. Die Situation ist zu instabil, um
stößt das neoliberale Verfahren, die Lasten                   als new order etikettiert werden zu können.
auf immer schwächere Schultern abzuladen,                     Der Begriff „Austerität“ definiert eher die herr-
an seine Grenzen. So erklärt sich das seltsame                schende Restrukturierungspolitik, als dass er
Schauspiel, dass in Amerika Law-and-order-Re-                 einen haltbaren Endzustand angeben könnte.
publikaner sich für Programme vorzeitiger                     So gesehen erscheint ein geordneter Über-
Haftentlassung einsetzen, weil die staatlichen                gang zum „schlanken“ Staat auf lokaler Ebene
Gefängnisse überfüllt und finanziell überfor-                 weniger wahrscheinlich als eine Zukunft, in der
dert sind. Es erklärt auch, warum Kommunen                    Krisenmanagement und politische Instabilität
ihre Polizeidienste einschränken – aus Haus-                  herrschen.
haltsgründen. 2
                                                              Aus einer Vielzahl von Gründen dürfte der Ne-
Auch wenn weithin anerkannt wird, dass die                    xus zwischen durchgreifender Neoliberalisie-
Ursachen der Finanzkrise von 2008-2009 we-                    rung und permanenter Austerität besonders
nig oder nichts mit staatlicher Verschwen-                    die Städte bedrohen. Die neoliberale Übung,
dungssucht zu tun haben (vgl. Crotty, 2011;                   Krisendruck auf den Staat umzulenken, weckt
Callinicos, 2012), werden ihre Folgen dennoch                 in diesem Zusammenhang die Sorge, dass
so verhandelt, als rührten die Probleme aus ei-               Selbstdisziplin zu Selbstverstümmelung oder
ner tief sitzenden Finanzierungskrise des Staates             Selbstzerstörung verkommt. Dass der Druck
her. Das geschieht im Dienste just jener neo-                 nach unten weitergegeben wird, führt zu einer
liberalen Interessen, die primär für die Krise                regressiven Form politischer Abstufungen, bei
verantwortlich sind. Und da die Alternativen                  der die Städte auf der untersten und beson-
zu fiskalischen Chirurgenkünsten unter diesen                 ders massiv betroffenen Stufe stehen. Dieser
Umständen sehr schnell erschöpft sind, lassen                 Eskalationsprozess, der als Urbanisierung oder
sich Vorstöße in Richtung „schlanker“ Staat                   Kommunalisierung der neoliberalen Austeri-
bald als fast unvermeidlich darstellen. Hier                  tätsoffensive verstanden werden könnte, weist
zeigt sich deutlich, wie der Neoliberalismus als              vor allem folgende Aspekte auf:
ideologischer Orientierungsrahmen fungiert,
nämlich indem er letztlich den Handlungsspiel-
                                                              ⇒⇒ Destruktive Kreativität: Austeritätsverhält-
raum absteckt, innerhalb dessen zeitgemäße
                                                                 nisse wirken in dem fortschreitenden Pro-
Heilmittel gesucht werden dürfen.
                                                                 zess schöpferischer Zerstörung, den der
2   Zum Thema Haftanstalten vgl. Steinhauer (2009) und           Neoliberalismus betreibt, als Verstärker
    Dayev (2010); zur Einschränkung von Polizeidiensten          des destruktiven Moments. Der Weg der
    und anderen Leistungen vgl. Cooper (2010, 2011a,
    2011b), McKinley und Wollan (2010) sowie Lowenstein
                                                                 Neoliberalisierung führt, historisch be-
    (2011).                                                      trachtet, über eine Reihe gezielter Attacken

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JAMIE PECK
                                                                                 URBANE AUSTERITÄT

    auf jene Formen staatlicher und gesell-                 Boden, um die anschauliche Formulierung
    schaftlicher Regulierung, die, wie etwa ein             David Stockmans, Ronald Reagans Bud-
    gewerkschaftlich organisierter öffentlicher             getdirektor, aufzugreifen: „Die Bestie aus-
    Sektor, Wohlfahrtsprogramme und kollek-                 hungern!“ Sie erzeugen nämlich haushalts-
    tive Dienstleistungen, für unvereinbar mit              politischen Druck nach unten, der zudem
    marktwirtschaftlichem Fortschritt erklärt               als Sachzwang erscheint. In einem Klima
    werden. Dieses Rollback bewirkt aber nicht              systemischer Sparzwänge und Steuersen-
    etwa (wie die neoliberale Ideologie uns glau-           kungen geraten differenzierte Budgetent-
    ben machen möchte) die Herausbildung                    scheidungen und selbstbestimmte Haus-
    deregulierter oder freier Märkte, sondern               haltspolitik alsbald unter existenziellen
    neue Runden staatlichen und gesellschaft-               – politisch forcierten – Druck. Besonders
    lichen Handelns, diesmal nach neolibera-                gefährdet sind unter solchen Bedingungen
    lem Muster (von privater Vorsorge bis zu                Ausgabenbereiche, die nicht von mächti-
    politischem Voluntarismus und restrained                gen Interessengruppen oder großen Wäh-
    governance). Die gegenwärtige Runde neu-                lerblöcken verteidigt werden, was zwangs-
    er Austeritätsmaßnahmen unterscheidet                   läufig die für Arme und Marginalisierte be-
    sich allerdings insofern qualitativ von den             stimmten Programme ins Visier rückt. Die
    Sozialstaatseinschränkungen der 1980er                  Bedrohung reicht allerdings bis ins Terrain
    Jahre, als sie in einer bereits neoliberali-            der Mittelschichten hinein (etwa im Hin-
    sierten Institutionenlandschaft operieren               blick auf Schulverhältnisse und Gemein-
    und dort neu ansetzen kann. Die Überreste               schaftseinrichtungen), wo immer Kosten
    des Sozialstaats und seiner Umverteilungs-              ausgelagert und Dienstleistungen schritt-
    funktion (also der in den 1980er Jahren an-             weise privatisiert werden können.
    gegriffenen Bastionen) fallen noch tieferen
                                                        ⇒⇒ Risikoabwälzung: Die neoliberale Neigung,
    Einschnitten zum Opfer, während gleich-
                                                           Lasten abzuwälzen, indem Verantwort-
    zeitig viele der in den Anfängen der Neoli-
                                                           lichkeiten und Zwänge nach unten durch-
    beralisierung (im Geiste der Vorstellungen
                                                           gereicht werden, nimmt in einer Austeri-
    vom „Dritten Weg“) entstandenen institu-
                                                           tätswelt immer radikalere und rückschritt-
    tionellen Ersatz- und Anpassungsregelun-
                                                           lichere Formen an. Sowohl Haushaltskür-
    gen ebenfalls eingeschränkt werden. Der
                                                           zungen als auch die Verantwortung, mit
    ursprüngliche Neoliberalismus erlebt jetzt
                                                           ihnen fertig zu werden, werden lokalen
    sein eigenes Rollback.
                                                           Behörden, Akteuren und Einrichtungen
⇒⇒ Defizitpolitik: Ein austeritätsorientiertes             aufgebürdet, also ebenjenen, deren Mög-
   makro-fiskalisches Umfeld begünstigt                    lichkeiten, sie zu bewältigen, sofern über-
   neoliberale Lösungen. Diese wiederum                    haupt gegeben, bestenfalls ungleichmäßig
   werden durch negative Haushaltsszenari-                 verteilt sind. Fiskalische Zwänge stärken
   en, die weit über elektorale Zeithorizonte              die hierarchische Macht der Budgetchefs
   hinausreichen, regelrecht zementiert. In-               und Buchprüfer, wodurch es auf den nach-
   dem sie die Optionen möglicher Gegen-                   geordneten Ebenen zu wertfreiem Zweck-
   spieler (besonders solcher, die staatliche              denken, Unternehmergehabe und ruppi-
   Investitionen, progressive Umverteilung                 gen Managementmethoden kommt. Der
   oder Ausgaben für Verbesserungsmaß-                     langfristige Abbau von Finanztransfers,
   nahmen fordern) präemptiv einschränkt,                  Ausgleichmaßnahmen und redistributiven
   erweist sich Defizitpolitik als neoliberales            ebenso wie kreditfinanzierten Program-
   Terrain. Langfristige staatliche Defizite               men bedeutet, dass es auf lokaler Ebene
   bereiten „Starve the Beast“-Taktiken den                kaum noch Optionen gibt, abgesehen vom

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    (Krisen-)Management in Haushaltskrisen.             wirtschaft, der Finanzspekulation und unter-
    Selbst Orte, denen das Schlimmste erspart           nehmerischer Profitmacherei auf die Enterbten,
    blieb, als der Wohnungsmarkt kollabierte            die Entrechteten und Entmachteten abwälzen
    und die Rezession ausbrach, erleiden mit-           lassen. In diesem Prozess bildet sich ein Auste-
    telbar das gleiche Schicksal wie weniger gut        ritätsföderalismus in den Vereinigten Staaten
    davongekommene. Auch sie trifft die Kas-            heraus, verbunden mit einer neuen Handlungs-
    kade der Kürzungen, die von Washington              matrix der Kommunalpolitik.
    und den „Landeshauptstädten“ aus über
    Städte und Gemeinden hereinbricht. Viele            Dieser Druck wird, in seinen vielfältigen For-
    werden doppelt leiden: Zuerst kommt der             men, keineswegs überall gleich spürbar, erst
    wirtschaftliche Niedergang bei ihnen an,            recht nicht in hochgradig dezentralisierten Sys-
    dann kommen die Haushaltskürzungen.                 temen wie dem amerikanischen (vgl. Cox, 2009;
                                                        Lobao und Adua, 2011). Hier ist der Sparzwang
                                                        eine altvertraute Alltagsrealität auf allen poli-
Was das „1%“ den Städten zumutet                        tischen Ebenen und besonders unterhalb der
                                                        nationalen (Clavel u.a., 1980; Clark und Walter,
Wichtig ist vor allem die Erkenntnis, dass der          1991; Pierson, 1998; Pollin, 2003; Peck, 2011).
Sparzwang eine relationale Strategie ist: Auste-        Doch dessen ungeachtet haben die seit den
rität besteht eben letztlich in der Abwälzung von       1970er Jahren aufeinander folgenden, eskalie-
Kosten und Verantwortlichkeiten. Es dreht sich          renden Neoliberalisierungsprozesse den kom-
darum, andere den Preis der Fiskaldemontage             munalpolitischen Raum ganz erheblich verän-
zahlen zu lassen. In der Sprache der Occupy-Be-         dert. Lobao und Adua beispielsweise kommen
wegung ausgedrückt handelt es sich um etwas,            in ihrer empirischen Studie über subnationale
was das eine Prozent derer, die fortfahren, in          Politikmöglichkeiten unter Austeritätsbedin-
alarmierendem Maße Reichtum und Macht zu                gungen zu folgendem Schluss:
akkumulieren, den „restlichen“ 99 Prozent der
                                                          Die Regionalisierung der Welfare-Reformen, die
Bevölkerung antut. Noch anders gesagt: Was-
                                                          zunehmende Ausnutzung der Städtekonkurrenz
hington tut es den Bundesstaaten an, diese den            bei der Mittelvergabe sowie die Abhängigkeit von
Städten und die wiederum den Stadtvierteln der            unabhängigem Fundraising, wenn es darum geht,
Geringverdiener. Dies ist der rote Faden, der die         Gewerbebetriebe anzulocken – dies alles wirkt sich
Austerität Washingtons, der Großen Politik mit            besonders auf die Landkreise [counties] ganz mas-
                                                          siv aus. Unter diesen Bedingungen hängt es – über
ihren Budget-Hütchenspielen und dem Theater
                                                          die effektive Formulierung und Umsetzung von
um Defizit-Obergrenzen, mit der Alltags-Auste-            Programmen und Strategien hinaus – entschei-
rität auf den Straßen der Städte verbindet, wo            dend von der institutionellen Leistungsfähigkeit
die Streichungen öffentlicher Dienstleistungen,           lokaler Verwaltungen [...] ab, ob ein Ort oder Be-
Arbeitsplatzverlust und erhöhte soziale Unsi-             zirk überhaupt eine Chance hat, sich externe Zu-
cherheit im täglichen Leben spürbar werden,               schüsse zu sichern. In Zukunft werden wirtschaft-
                                                          liche Flauten wahrscheinlich u.a. verstärkte Abstu-
an den Arbeitsplätzen, in den Haushalten und
                                                          fungen zwischen den Kommunen bewirken, auch
im öffentlichen Raum. Das Versprechen, die                innerhalb ein und desselben Staates oder Gebiets,
Wohltaten des Wirtschaftswachstums würden                 was wiederum Bevölkerungsumschichtungen zu
auch zu den Unteren durchsickern, wurde nie               solchen Orten hin auslösen dürfte, die hohe Leis-
eingelöst. Was aber, unübersehbar, tatsächlich            tungsfähigkeit, erfahrene Verwaltungen und einen
                                                          wirksamen Schutz der öffentlichen Wohlfahrt zu
durchsickert, sind die Kosten des wirtschaftli-
                                                          bieten haben – zu Lasten der weniger attraktiven.
chen Niedergangs und der Budgetauszehrung.                [...] Die Ergebnisse unserer Untersuchung legen die
So verstanden ist Austerität das Mittel, durch            Vermutung nahe, dass es zuerst die leistungsfähi-
das sich die Kosten makroökonomischer Miss-               geren Gebietskörperschaften sind – also die größe-

                                                    8
JAMIE PECK
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  ren, die professioneller arbeiten und auch höhere        konnten, begünstigt durch relativ gesicherte
  gewerkschaftliche Organisationsgrade aufweisen           Steueraufkommen und lokal vergleichsweise
  –, denen der Austeritätskurs zu schaffen macht.
                                                           milde Rezessionserscheinungen, die Stellung
  Gerade sie nimmt die Rechte, die den Einfluss or-
  ganisierter öffentlicher Bediensteter zurückdrän-
                                                           halten. Doch viele Großstadtverwaltungen –
  gen möchte, bevorzugt unter Feuer: Sie trieben es,       die für gewöhnlich größere Budgets, stärker
  so der Vorwurf, in Sachen sozialer Sicherung ein-        gewerkschaftlich organisiertes Personal so-
  fach zu weit. (2011: 433).                               wie ein höheres Niveau der institutionellen
                                                           Ausstattung haben und in der Regel von der
Bemerkenswerterweise ist es die Periode un-                Demokratischen Partei regiert werden – sind
mittelbar vor dem Wallstreet-Crash von 2008,               unter massiven (Haushalts-)Druck geraten, der
die Lobaos und Aduas aufwendige Studie er-                 sie zwingt, trotz zunehmenden Bedarfs ihre
hellt (sie erfasst mehr als 1000 Kommunal- und             Leistungen und Sozialstandards zu verringern
Kreisverwaltungen). Was die Verfasser für den              und zu rationalisieren. Wie unterschiedlich
Zeitraum 2001-2008 herausgefunden haben,                   die Verhältnisse auch sein mögen, Steuern ge-
deutet darauf hin, dass der Druck, Haushalte               raten überall unter Druck. In manchen Fällen
und Leistungen zu kürzen, sich schon damals                liegt das an neoliberaler Tugendhaftigkeit und
ziemlich breitflächig auswirkte und dass viele             der Einstellung konservativer Wählergruppen,
Kommunen und Kreise bereits seit einiger Zeit              in anderen aber an ökonomischen Zwängen
mit einem (Un-)Gleichgewicht aus niedrigen                 (unter der – oft ideologisch aufgebauschten –
Steuereinnahmen, Kapazitäten und Dienstleis-               Bedrohung durch Kapital- oder Fachkräfte-
tungen als Normalzustand hatten zurechtkom-                abwanderung. Vor diesem Hintergrund allge-
men müssen. Bei den größeren und professio-                meiner Haushaltsdisziplinierung und Steuer-
neller arbeitenden Gebietskörperschaften, die              feindlichkeit bleibt die Option, expansiver zu
auch einen höheren gewerkschaftlichen Orga-                wirtschaften oder Investoren anzuziehen, auf
nisationsgrad aufweisen, war, wie sich zeigte,             eine glückliche, von den (Markt-)Verhältnissen
die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie Leis-              begünstigte Minderheit der Städte beschränkt.
tungen gekürzt, die Bezüge öffentlicher Be-                Diese Städte finden zu relativ günstigen Bedin-
diensteter eingefroren und Outsourcing- oder               gungen Zugang zu den Anleihemärkten und
Privatisierungsanstrengungen unternommen                   können projektbezogene Staatszuschüsse mo-
hatten. Zum Verkauf öffentlicher Vermögens-                bilisieren, wobei weniger der Sozialbedarf als
bestände war es mit besonderer Wahrschein-                 die Suche nach Einnahmequellen und Profit-
lichkeit in solchen Counties gekommen, deren               chancen im Vordergrund steht. Die Abwälzung
Steueraufkommen abnahm und/oder die ei-                    der Austeritätszwänge nach unten bewirkt
nen beträchtlichen afroamerikanischen Bevöl-               eine tiefe Spaltung zwischen den Städten, die
kerungsanteil haben (Lobao und Adua, 2011).                einigermaßen zurechtkommen, und jenen, die
Dies waren die Bedingungen, unter denen                    keine andere Wahl haben, als ihre Verwaltung
Amerikas Städte bereits zu leiden hatten, bevor            zu verkleinern und öffentliche Dienstleistun-
die Große Rezession über sie kam.                          gen abzubauen. So wird der Sparzwang ab-
                                                           wärts verstärkt: Selbst die Ratingagentur Moo-
Die Auswirkungen der neoliberalen Austeri-                 dy‘s konstatiert, dass die amerikanischen Bun-
tätsmaßnahmen werden folglich zwar überall,                desstaaten „ihre Probleme zunehmend auf
aber nicht überall gleich spürbar. Sie werden              ihre Gemeinden abwälzen.“ (Zitiert in Cooper,
vielmehr weiterhin politisch und institutionell            2011b: A20).
vermittelt. Im amerikanischen Sonnengürtel
haben einige Gemeinden und Kreise schon                    Dass Gemeinden Bankrott gingen, passierte
längst den schlanken Staat praktiziert. Andere             früher eher selten, ist aber im Gefolge der Gro-

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ßen Rezession schon fast alltäglich geworden.            gen konfrontiert sehen, sowohl der Art wie
Seit 2007 haben über 60 Kommunen bankrupt-               der Größenordnung nach. In den Städten fin-
cy protection, also Schutz vor ihren Gläubigern,         det, nachdem zunächst die Einzelstaaten die
beantragen müssen, veranlasst durch massive,             Schrumpfung der Bundesfinanzen zu spüren
jahrelang anhaltende Rückgänge des Gemein-               bekamen, die eigentliche Abrechnung über ei-
desteueraufkommens (besonders der Grund-                 nen Prozess statt, der zu einer nach unten ab-
steuer) sowie staatlicher Transfers. Einige hun-         gewälzten fiskalischen Dauerkrise geworden
dert weitere Städte dürften am Rande der Zah-            ist. Aus mehreren Gründen sind gerade die
lungsunfähigkeit stehen (vgl. Lowenstein, 2011;          Städte zu Opfern der Austeritätspolitik gewor-
Walsh, 2012). Die erste Gemeinde, die nach               den. In ihnen konzentrieren sich (Sozialhilfe-)
dem Crash 2008 Konkurs anmelden musste,                  Bedarf und ökonomische Marginalisierung.
war Vallejo/Kalifornien, gefolgt 2011 von Harris-        Sie hängen besonders stark von öffentlichen
burg/Pennsylvania und Jefferson County in Al-            Dienstleistungen wie von öffentlich Bedienste-
abama (dort mit einem neuen Schuldenrekord               ten ab. Es sind die Städte, wo das große Geld
von 4,2 Mrd. Dollar). 2012 schlossen die kalifor-        – und die entsprechenden Kreise – residieren.
nischen Städte San Bernardino und Stockton               In der Folge finden dort regelmäßig Vorstöße
sich an. Stockton blieb bis 2013 der größte Ban-         zu immer schärferen neoliberalen Refomen
krotteur, doch dann setzte 2013 Detroit neue             statt, von denen viele – aus politischen eben-
Maßstäbe, was Ausmaß, Tiefe und öffentliche              so sehr wie aus fiskalischen Gründen – große
Resonanz seiner Finanzprobleme anging. Hier              Bürokratien und sowohl die Gewerkschaften
koinzidierte ein Steuerkollaps mit langfristigen         als auch die Pensionsfonds der Kommunalbe-
Verbindlichkeiten von bis zu 18 Mrd. Dollar.             diensteten ins Visier nehmen. Darüber hinaus
                                                         stehen die Städte, räumlich gesehen, auf der
Ohne die Schwierigkeiten vieler ländlicher Ge-           untersten der Stufen, auf denen die Bilanzen
meinden zu leugnen, für die eine milde Dauer-            – theoretisch – wieder ins Lot gebracht werden
krise in mancher Hinsicht schon fast als normal          könnten, nachdem dies in Washington und in
gilt, ist doch festzustellen, dass besonders die         den „Landeshauptstädten“ so offenkundig ver-
Städte sich mit singulären Herausforderun-               säumt wurde.

Wenn die Lichter ausgehen: Städte unter Austeritätsdruck

Die Kleinstadt Highland Park im Bundesstaat              schaft und Steueraufkommen gleichermaßen
Michigan hat einen Platz in den Geschichts-              kollabiert. 42 Prozent der verbliebenen Ein-
büchern, denn hier erprobte Henry Ford 1909              wohner leben unterhalb der Armutsgrenze,
erstmals das Fließband. In den mittleren Jahr-           während die bedrängte Stadtverwaltung sich –
zehnten des 20. Jahrhunderts erlangte die                nachdem alle vernünftigen Einsparmöglichkei-
Stadt, als Standort der expandierenden Auto-             ten erschöpft waren – genötigt sah, in einem
produktion Detroits, eine Art proletarischen             Schuldenerlass-Deal mit der örtlichen Elek-
Wohlstands. Später jedoch, mit der Abwan-                trizitätsgesellschaft auf die meisten der noch
derung der Fabriken, verfiel sie strukturellem           vorhandenen Straßenlaternen zu verzichten
Niedergang (Sugrue, 2005; Steinmetz, 2009).              (Davey, 2011). Was ein Stadtratsmitglied als
Heute sind in Highland Park, nach dem Verlust            „verantwortbare Einschränkung“ kommunaler
von über drei Vierteln seiner Einwohner, Wirt-           Leistungen bezeichnete, beinhaltet die dauer-

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hafte Entfernung von 1300 Straßenlaternen.                 tik der unerbittlichen Logik der Finanzen. Dies
Nur einige hundert Laternen verbleiben an                  impliziert, dass Detroit vor der Zeit der Not-
„strategischen Punkten.“ Der Bürgermeister                 standsverwaltung eine Stätte der Unvernunft,
rät den Einwohnern, ihre Haustürbeleuchtung                eine politisierte Stadt gewesen sei, scharf ab-
einzuschalten.                                             zusetzen von der finanziell zur Vernunft ge-
                                                           brachten Stadt Orrs. Der suspendiert ganz
                                                           einfach die politische Normalität. Hier zeichnet
Der Fall Detroit                                           sich eine Zukunft ab, in der die soziale und poli-
                                                           tische Ordnung aus der Finanzordnung hervor-
Obwohl in Michigan die Wirtschaft insgesamt                geht – und an deren Ende vielleicht die, dann
– mit der finanziell geretteten, strukturell an-           sauer verdiente, Wiederherstellung der Selbst-
gepassten und verkleinerten Autoindustrie an               verwaltung winkt.
der Spitze – allmählich wieder wächst, stecken
viele Städte dieses Bundesstaats weiter in ei-             Orrs erste wesentliche Amtshandlung als De-
ner Langzeitkrise. Detroit ist eine von elf Städ-          troits Notstandsverwalter bestand darin, ein
ten in Michigan, über die die (republikanisch              Angebot an die Gläubiger der Stadt auszuar-
beherrschte) Staatsregierung den finanziellen              beiten – theoretisch ein Mittel zur Insolvenz-
Notstand verhängt hat (wie auch über das                   vermeidung, praktisch jedoch nur das Vorspiel
Schulwesen in weiteren fünf Gemeinden). Im                 zum Bankrott. Diese erste (seither stark revi-
März 2013 bestellte Michigans Gouverneur ei-               dierte) Finanzplan-Version las sich wie eine end-
nen „Notstandsverwalter“. Solche „Staatskom-               lose Litanei struktureller Probleme. Sie lieferte
missare“ haben weitreichende Befugnisse zur                das Bild eines ruinierten Ortes, dessen Ver-
Umstrukturierung des öffentlichen Dienstes,                waltungssystem bereits bis an die Grenze der
von Planungsprozeduren und Versorgungs-                    Handlungsunfähigkeit zusammengeschrumpft
systemen, wobei sie bestehende Verträge mit                war: Obwohl man die laufenden Kosten der
Dienstleistern und Gewerkschaften einfach                  Gemeinde drastisch reduziert hatte (durch
aussetzen. Dieses Vorgehen unterläuft nicht                Personal- und Lohnkürzungen sowie Zwangs-
nur reguläre Entscheidungsprozesse, es unter-              beurlaubungen), schrumpften die Einnahmen
gräbt die kommunale Demokratie als solche                  immer noch schneller als die Ausgaben. Das
(Nichols, 2014).                                           aber würde, während die angesammelten De-
                                                           fizite geradezu explodierten, voraussichtlich
Die Aufgaben des Notstandsverwalters für                   so weitergehen und „angesichts starken wirt-
die Stadt Detroit, Kevyn Orr, hat man folgen-              schaftlichen Gegenwinds“ die Schuldenlast bis
dermaßen aufgelistet: Er fungiere als „Stadt-              zum Haushaltsjahr 2017 möglicherweise ver-
planer, Zahlenzauberer, Stadtsprecher, Unter-              vierfachen (City of Detroit, 2013: 6, 37). Tech-
händler, Politiker, Good Cop und Bad Cop“ (Da-             nisch zahlungsunfähig, hatte die Stadt Kapital-
vey und Vlasic, 2013: A1). Notstandsverwaltung             aufwendungen und Beiträge für ihre (unterka-
geht über Haushaltsausgleich weit hinaus. Es               pitalisierten) Pensionsfonds ausgesetzt; zwei
handelt sich darum, die Stadt anders zu regie-             Drittel ihrer Parkanlagen waren geschlossen
ren oder gar eine andere Stadt zu schaffen. Als            worden; an die 78 000 Häuser im Stadtbereich
selbst ernannter „Sanierungsprofi“ (der durch-             galten als aufgegeben, die Hälfte davon baufäl-
aus nicht als „zoon politikon“ verstanden wer-             lig, während weitere 66 000 Gebäude entweder
den will) erhob Orr den Anspruch, er regiere               leer standen oder als unbewohnbar beurteilt
die Stadt im Sinne einer „Vernunftherrschaft“              wurden. Bei der Feuerwehr fehlte es an Stan-
(zit. in Vlasic und Yaccino, 2013: A17). Folgerich-        dardausrüstung; der Streifenwagen-Bestand
tig unterwirft er die irdische Sphäre der Poli-            der Polizei sei, so hieß es, „völlig überaltert“ und

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schlecht erhalten; kaum ein Drittel der Kran-           städtischer Vermögenswerte und Personalab-
kenwagen sei betriebsbereit, während andere             bau im öffentlichen Dienst geben, einherge-
Fahrzeuge des medizinischen Notdienstes über            hend mit der Erosion der Arbeitnehmerrechte.
250 000 Meilen auf schlaglöchrigen Straßen
hinter sich gebracht hatten und „regelmäßig             Mittlerweile sind überall in der Stadt allmäh-
Pannen erlitten“ (City of Detroit, 2013, 12-14).        lich die Lichter ausgegangen. Schätzungen
Neben der Verkleinerung der Stadtverwaltung             besagen, dass jetzt 40 Prozent von Detroit im
sah Orrs Plan bescheidene Neuausgaben für               Dunkeln liegen. In einem Kommentar der „Det-
lebenswichtige Zwecke vor (für Rettungsdiens-           roit News“ heißt es dazu:
te, Sanierungsmaßnahmen, IT-Modernisierung
und dringliche Erhaltungsarbeiten am maro-                  Die Dunkelheit ist eines der sichtbarsten und be-
den Elektrizitäts- und Kanalisationssystem).                drückendsten Anzeichen dafür, dass Detroits ver-
                                                            armte Stadtverwaltung Mühe hat, ihrer schwin-
Die Gläubiger der Stadt waren jedoch, wie sich
                                                            denden Einwohnerschaft auch nur die elemen-
herausstellte, nicht bereit, die erforderlichen             tarsten Dienste zu gewährleisten [...]. Vertreter
„haircuts“ in der Größenordnung von 20 Cents                der Stadt, Bürgeraktivisten und Fachleute der
pro Dollar hinzunehmen. Damit war der Plan                  Versorgungseinrichtungen sind sich über eines
gescheitert, und im Folgemonat, im Juli 2013,               im Klaren: dass die Entscheidung, die Anzahl der
                                                            Straßenlaternen zu verringern oder ihre Standor-
musste Orr „bankruptcy protection“ beantra-
                                                            te zu verändern, zugleich eine Entscheidung über
gen. Doch es sollte noch schlimmer kommen.                  die künftige Größe und Gestalt Detroits und un-
                                                            terschiedlicher Stadtviertel ist. Wenn es in einem
Bei einer langwierigen Anhörung zur Klärung                 Teil der Stadt auf Dauer dunkel wird, dürfte der
der Frage, ob die Stadt berechtigt sei, diesen              kaum je wieder zu sich kommen.3
Insolvenz-„Schutz“ in Anspruch zu nehmen,
wurde Orr später von Richter Steve W. Rhodes
vorgeworfen, er habe es versäumt, mit den               Austerität wird politisch erzwungen
Gläubigern der Stadt nach Treu und Glauben
zu verhandeln. Allerdings gestand man ihm zu,           Detroits Probleme mögen extrem erscheinen,
dass es bei rund 100 000 Verfahrensbeteilig-            aber einmalig sind sie nicht. Auch in Kaliforni-
ten praktisch unmöglich gewesen wäre, allen             en, Illinois, Wisconsin, Minnesota, Oregon und
gleichermaßen gerecht zu werden. Orr wurde              anderswo gibt es Städte, die Straßenlaternen
auch wiederholt beschuldigt, den Markt für Ge-          abschalten mussten. Diese krasse Anwen-
meindeanleihen verdorben zu haben. Detroits             dungsform der Austeritätslogik findet selten
Krisenverhalten habe die Kreditkosten anders-           Beifall, doch stößt sie offenbar häufiger auf
wo in Michigan und in manchen Fällen über die           übellaunige Resignation als auf durchdachten
Staatsgrenzen hinaus in die Höhe getrieben.             Widerstand. Zweifellos bestätigt sie die Auffas-
(Nolan, 2013). Während ich dies schreibe, steht         sung, dass Austerität ein politisch erzwungener
Detroit noch immer unter Insolvenz-„Schutz“.            Modus ist. Es gibt allerdings auch Fälle, in de-
Extreme Maßnahmen wie etwa die Sperrung                 nen derlei Austerität auf Straßenniveau dem
der Wasseranschlüsse für Zehntausende von
                                                        3   K. Cheyfitz, „Returning light to Detroit,” in: „Detroit
Detroitern aufgrund von Zahlungsrückständen                 News”, 12. 4. 2012. – Ganz abgesehen von den zerstöre-
haben international Aufsehen erregt. Zwar ist               rischen Konsequenzen vor Ort eröffnet dieser Hinweis
                                                            die unerfreuliche Aussicht, dass Detroit auch in einer
derzeit noch unbekannt, wie die „Neuausrich-                anderen Liga absteigt, nämlich bei der jüngst bekannt-
tung“ der Stadt – so die durchaus angemessene               gewordenen Einstufung der Städte nach dem Kriteri-
Überschrift des Sanierungsplans – genau ausse-              um „light-based regional product“. Die wirtschaftliche
                                                            Leistungsfähigkeit einer Gemeinde wird hierbei auf
hen wird, doch dürfte eines sicher sein: Es wird            der Grundlage von durch Satelliten ermittelten Lichte-
neue Runden von Privatisierungen, Verkäufen                 missionen berechnet (vgl. Florida u.a., 2012).

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Volkswillen entspricht. So hat sich beispielswei-        den öffentlichen Dienst. Selbst wohlmeinen-
se die relativ wohlhabende, aber ideologisch             de Beobachter finden, dass der so „erreich-
steuerfeindliche Stadt Colorado Springs einer            te Abbau [von Verwaltungskapazitäten] weit
Brown-out-Strategie verschrieben (das heißt              über eine schlichte konservative Fiskalagenda
einer Spannungsabsenkung oder Abschaltung,               hinausgeht“, weil er die kommunale Entschei-
im Fall Colorado Springs mit der Option, dass            dungsfreiheit einengt und das Wirtschafts-
Einwohner sich freiwillig zusammenschließen,             wachstum untergräbt (Hoffman und Hogan,
um gemeinsam für einen straßenweisen Wie-                2005: 16; Stanley, 2009). Seit TABOR sind in Co-
deranschluss ans Stromnetz aufzukommen).                 lorado Springs die Grundsteuern um 41 Prozent
Das Ganze ist Bestandteil eines Selbstversuchs           gesunken. Heute zählen sie zu den niedrigsten
mit kommunalem Minimalismus.                             im ganzen Land (mit jährlich rund 55 Dollar pro
                                                         Kopf), was die radikal geschrumpfte Stadtver-
Schon seit einiger Zeit genießt Colorado Springs         waltung fast völlig abhängig macht von immer
den Ruf der „Hauptstadt und Schaubühne der               spärlicher fließenden Umsatzsteuereinnahmen
Christlichen Rechten Amerikas“ (Cooper, 1995:            (Patton, 2010). Als diese während der letzten
9). Tatsächlich konzentrieren sich dort die              Rezession plötzlich fast völlig versiegten, wur-
Hauptquartiere rechts-religiöser Organisatio-            den unverzüglich Parkanlagen geschlossen,
nen in einer Dichte, die der Stadt in manchen            öffentliche Waschräume gesperrt und Straßen-
Kreisen sogar den Spitznamen „evangelikaler              bankette nicht mehr gemäht. Das verbleibende
Vatikan“ verschafft hat. Ihre Wurzeln hat diese          1600-köpfige Personal der Stadt erfüllt zu zwei
postindustrielle Sonderentwicklung in den spä-           Dritteln Aufgaben der öffentlichen Sicherheit,
ten 1980er Jahren. Um seine zuvor von militä-            der Polizei oder Feuerwehr, so dass dieses küh-
rischen Einrichtungen abhängige ökonomische              ne Experiment einer Do-it-yourself-Verwaltung
Basis in Zeiten des abklingenden Kalten Krieges          das neoliberale Ideal vom Nachtwächterstaat
zu diversifizieren, bemühte Colorado Springs             nahezu verwirklicht hat.
sich ziemlich erfolgreich darum, New-Eco-
nomy-Unternehmen aus dem „Knowledge Sec-                 Colorado Springs‘ libertärer Genius loci bildet
tor“, aus High-tech-Branchen und Wissensver-             allerdings eher die etwas kuriose Ausnahme
arbeitung, in die Stadt zu locken. Gleichzeitig          vom üblichen Muster neoliberaler Herrschaft.
beschloss man eine Reihe von Steuervergüns-              Viel häufiger finden sich Verhältnisse, unter
tigungen für religiöse Organisationen. Wie von           denen kommunale Austerität erzwungen und
unsichtbarer Hand geführt zog daraufhin 1991             nicht per Wählerentscheidung eingeführt wird,
„Focus on the Family“, ein Gigant im Lager des           als Ergebnis der Haushaltskürzungen, die von
christlichen Konservatismus, nach Colorado               höheren Verwaltungsebenen durchgereicht
Springs, wo seine 1200 Angestellten jetzt einen          wurden, der Einschränkung staatlicher Trans-
großen Campus bevölkern. Etwa zur gleichen               ferleistungen sowie der kumulativen Auswir-
Zeit beschloss die Stadt eine bahnbrechende              kungen ökonomischen Niedergangs und sin-
„Grundrechtecharta für Steuerzahler“ mit dem             kender Steuereinnahmen vor Ort. Doch was
Kürzel TABOR (taxpayers bill of rights), Vorgriff        als eine Art Naturzustand erscheinen könnte
auf einen Verfassungszusatz, der seit 1992 für           – bewirkt durch quasi automatische Steuer-
ganz Colorado gilt und den Spielraum für Steu-           senkungen –, bleibt natürlich ein höchst po-
ererhöhungen dauerhaft einschränken soll (vgl.           litischer Prozess. Besonders frisch gewähl-
Johnson und McMaken, 2004; Stanley, 2009).               te republikanische Gouverneure haben den
TABOR wird jetzt in allen Gebietskörperschaf-            aufgrund von Austeritätszwängen betriebe-
ten Colorados praktiziert und steht dort für             nen (oder jedenfalls durch sie legitimierten)
einen unerbittlichen Verkleinerungsdruck auf             Abbau des öffentlichen Sektors zu einer Art

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