"Verbote helfen nicht" - UNITI Bundesverband ...
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1 —2017 2,50 EUR Aufforstung als Königsweg? Klimaexperte Radermacher im Exklusivinterview So machen es die Nachbarn Findet die deutsche Energiewende Nachahmer? „Verbote helfen nicht“ VDA-CHEF MATTHIAS WISSMANN ÜBER DIE INNOVATIONSKRAFT VON DIESEL UND WIRKSAMEN KLIMASCHUTZ
editorial Deutschland als Anreiter Udo Weber, Vorstandsvorsitzender von UNITI Bundesverband mittelständischer Mineralöl- unternehmen e.V. IHRE MEINUNG I ch blättere gerade im Duden, um mich der Bedeutung des Begriffes „Vorrei- ter“ zu versichern: „jemand, der etwas Frankreich und Belgien laufen die Atom- kraftwerke munter weiter, in Polen wer- den neue geplant, die Niederlande zeigen praktiziert, bevor andere in ähnlicher sich weiterhin technologieoffen für alle IST UNS Lage daran denken“. Gut zu wissen, zu- Energieträger. Von Energiewende ist also WICHTIG! mal die Bundesregierung dieses Wort nicht allzu viel zu spüren. Nur eines ganz oft im Munde führt. Und zwar im- scheint gewiss: Man schaut auf Deutsch- SCHREIBEN SIE UNS – mer dann, wenn es um die Energiewende land, doch kaum einer folgt. Vielmehr Ob Kritik, Anregung oder und Deutschlands Rolle in der Welt geht. kocht jeder sein eigenes Süppchen, zu- Themenidee – wir haben ein Deutschland will also vorreiten und meist nach bewährtem Rezept. Deutsch- offenes Ohr für Sie. E-Mail an allen zeigen, wie’s geht, zumindest gehen land sucht indes nach neuen Zutaten, will dialog@uniti.de könnte. Das erinnert an frühere Zeiten. aber schon mal die alten weglassen, zum Kaiser Wilhelm II. kommt mir da in den Beispiel Öl. Diese Vorreiter-Suppe mag Sinn: „Am deutschen Wesen soll die mir nicht schmecken! Welt genesen!“ Freilich: Dass Deutsch- Vielleicht ist für Deutschland land Anteil am technischen Fortschritt statt des „Vorreiters“ besser ein anderes hat, wird hierzulande gern gesehen. Auch Bild angebracht: das des „Anreiters“. Zu- dass dabei der Mittelstand dank seiner gegeben: ein Wort, das der Duden nicht Innovationsfreude und Innovationskraft kennt. Aber man kann es herleiten – von mitmischt, ist ein gutes Zeichen für unse- „anreiten“, das heißt unter anderem „los- Titelbild: imago/CommonLens; Foto: UNITI/Bernhart Link re Wirtschaft. Wer wollte das bestreiten? reiten“ oder „gegen etwas reiten“. Und Doch will sich die ganze Welt ich finde, das passt: Deutschland hat ein von Deutschland schulmeistern lassen? Ziel vor Augen und legt schon mal los, Ist unser Land der energiepolitische Na- ohne abgestimmten Plan. Und ohne, dass bel der Welt? Mitnichten! US-Präsident jemand folgt. Klimaschutz ist ein globa- Trump zeigt gerade, dass die Klima-, Um- les Thema und kann nur global angegan- welt- und Energiepolitik bei ihm nicht gen werden. Die Geschichte zeigt: Selten Erfahren Sie mehr über UNITI. sehr weit oben auf der Prioritätenliste ist es gut, als Einzelner vorzupreschen. Um das Internetvideo auf Ihrem Handy oder steht. In China wird zwar die Elektromo- Denn große Ziele erreicht man schließ- Tablet anschauen zu können, benötigen Sie bilität vorangetrieben, aber auch auf Koh- lich nur gemeinsam. Und erst dann, um eine QR-Reader-Applikation. Scannen Sie das oben stehende Symbol mit Ihrer Handy- le gesetzt, um den Energiehunger der wieder das andere Bild zu gebrauchen, kamera und es öffnet sich automatisch der zahlreichen Millionenstädte zu stillen. schmeckt auch die gemeinsame Suppe Multimedia-Inhalt. Und unsere unmittelbaren Nachbarn? In wieder. 1—2017 3
inhalt 15 Die können auch anders Mit „Target Neutral“ kompensiert der Ölkonzern BP sehr erfolgreich eigene Treibhausgasemissionen. Das Weltklima profitiert. 6 Schwerpunkt 18 „Keine Verbote für einzelne Technologien“ Energiewende VDA-Chef Matthias aus internationaler Sicht Wissmann über den Wird die deutsche Energiewende unverzichtbaren Diesel, alternative Kraftstoffe und zur Blaupause für den Globus? Eher nicht, den Handel mit wie der Blick ins nähere und fernere Kohlendioxidzertifikaten. Ausland zeigt. 5 . Hingeguckt Neues Leben Die segensreichen Folgen der Aufforstung 6 . Schwerpunkt Energiewende aus internationaler Sicht Wie klappt's denn beim Nachbarn? 8 . Schwerpunkt Interview mit Nina Scheer, SPD „Atomenergie kann keine Option sein“ 11 . Interview Klimaexperte Franz-Josef Radermacher „Müssen das Klimaproblem international lösen“ Fotos: plainpicture/Tomas Adel; xtra06/photocase.de; Hermann Bredehorst/Polaris/laif 14 . Zur Sache Debattenbeitrag von Dirk Arne Kuhrt Strategien für einen Energiewende-Vorreiter 15 . Report Initiative „Target Neutral“ von BP Wie der Ölkonzern sein CO2 neutralisiert 18 . Interview VDA-Verbandschef Matthias Wissmann „Keine Verbote für einzelne Technologien“ 21 . Klartext Die Energie-Kolumne Henning Krumrey über geprellte Steuerbürger 22 . Kompakt Weltweite Wasserstoff-Initiative Neues aus der Welt der Energie 24 . Zur Sache Wahlen in Nordrhein-Westfalen Die Erwartungen an die neue Landesregierung 26 . 60 Sekunden über … Atomkraft Deutschland schaltet ab, die anderen rüsten auf IMPRESSUM HERAUSGEBER UNITI Bundesverband mittelständischer Mineralölunternehmen e.V., Jägerstraße 6, 10117 Berlin, Elmar Kühn (V. i. S. d. P.) CHEF VOM DIENST Dr. Robert Borsch CHEFREDAKTEUR Florian Flicke REDAKTIONSLEITUNG Björn Larsen REDAKTION Frank Burger, Henning Krumrey, Florian Sievers ART DIREKTION Periodical.de BILD REDAKTION Karin Aneser VERLAG UND REDAKTIONSANSCHRIFT planet c GmbH, ein Unternehmen der Verlagsgruppe Handelsblatt, Kasernenstraße 69, 40213 Düsseldorf, Tel. 0211/54227-700, Fax 0211/54227-722, www.planetc.co VERLAGSGESCHÄFTS FÜHRUNG Andrea Wasmuth (Vorsitzende), Thorsten Giersch, Holger Löwe PROJEKTLEITUNG Jana Teimann ANZEIGENLEITUNG Dr. Robert Borsch, Tel. 030/755414-416 DRUCK Strube Druck & Medien OHG, 34587 Felsberg LITHO TiMe GmbH ADRESS ÄNDERUNGEN Dr. Robert Borsch, Tel. 030/755414-416, Fax 030/755414-366 ISSN 2195-4445 Der Inhalt der Beiträge gibt nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers wieder. Alle Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Änderungen behalten wir uns vor. 4
hingeguckt Neues Leben Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. Was Albert Einstein schon wusste, gerät gerne in Vergessenheit. Dabei ist es ja gerade die Schönheit der Chance, dass aus einer Idee etwas Großes wird. Im Falle eines Baumes geschieht dies Schritt für Schritt von unten nach oben. Er steht für nachhaltiges Wachstum, Leben, Entwicklung. Das Forschungsinstitut für anwen- dungsorientierte Wissensverarbeitung der Universität Ulm hat sogar analysiert, dass Aufforstung 13 der 17 Nachhaltigkeitsziele der Agen- da 2030 der Vereinten Nationen für die Jahre 2016 bis 2030 fördert: Foto: imago/imagebroker etwa Armut beenden, Ernährung sichern, Gesundheit stärken, saubere Energie erzeugen, gute Arbeit für alle schaffen, Vielfalt der Natur er- halten, Klima umfassend schützen und weltweite Partnerschaften ein- gehen. Wer hätte das vor dem ersten Spatenstich gedacht? 1—2017 5
schwerpunkt Energiewende international WIE KLAPPT’S DENN BEIM NACHBARN? T E X T Florian Sievers Foto: plainpicture/Bildhuset/Jan Hoekan Dahlström 6
Energiewende international schwerpunkt Die Welt will die durch Treibhausgase verursachte Erd- er wärmung begrenzen. Doch welchen Weg schlagen die großen CO2-Emittenten und die deutschen Anrainer ein, um das Zwei-Grad-Ziel aus dem Pariser Abkommen zu erreichen? D er sonst oft etwas knurrige „Termi- nator“ war ausnahmsweise mal voll des Lobes: „Deutschland leistet gera- wende zu einem globalen Vorbild werden könnte. Und kein einziger Experte be- fand, das Konzept lasse sich komplett für „Wir müssen de Grandioses“, schwärmte Kaliforniens die Energiepolitik des eigenen Landes Ex-Gouverneur Arnold Schwarzenegger angesichts der deutschen Energiewende umsetzen. Vor allem die hohen Kosten und die fehlende Integration in die Struk- nicht alles schon vor vier Jahren in einem Interview turen der deutschen Nachbarländer wir- kopieren, mit dem „Manager Magazin“. „Das Land ken abschreckend. weiß, wo es hinwill, und hat eine Vision“, Stattdessen urteilten mehr als was unsere sagte Schwarzenegger. Der US-Politiker 80 Prozent der befragten Experten, das bestärkte Deutschland darin, den Weg eigene Land habe weder die technischen deutschen der Energiewende weiter zu beschreiten. noch die ökonomischen Voraussetzun- Im Gegensatz dazu gebe es in den USA gen für eine Energiewende wie in Freunde keine zukunftsfähigen Planungen. Mit seiner Haltung steht der ehe- Deutschland. Die internationalen Reakti- onen auf die deutsche Energiewende las- tun.“ malige Schauspieler Schwarzenegger auf sen sich darum zusammenfassen mit Jean Bizet, französischer Senator der Welt weitgehend allein. Zwar ist der dem Satz: „Bei uns nicht zur Nachah- deutsche Ausdruck „Energiewende“ im mung geeignet.“ Selbst unter den G7- internationalen englischen Sprachge- Staaten gilt der deutsche Sonderweg als brauch angekommen – neben Begriffen mindestens exotisch. Wie ist der Tenor wie „Kindergarten“, „Schadenfreude“ bei den vier größten globalen CO2-Emit- oder „Zeitgeist“. Doch rund um die Welt tenten sowie Deutschlands wichtigsten überwiegt die Skepsis angesichts des Um- europäischen Nachbarn? baus des gesamten deutschen Energiesys- tems, weg von Atomstrom, hin zu erneu- Radikaler Kurswechsel erbaren Energien, mit fossilen Energieträ- Die US-Amerikaner haben auch eine gern als „Brückentechnologien“. „Energiewende“. Doch sie interpretieren Dabei hofft Deutschland darauf, den Begriff anders, als die Deutschen ihn das Konzept zum Exportschlager zu ma- ursprünglich gemeint haben: Die US- chen – auch damit deutsche Unterneh- Energiewende meint vor allem eine men weltweit die entsprechende Techno- Abkehr von Rohölimporten und die Hin- US-Energiewende als Gegenentwurf zum logie verkaufen können. Aber klappt das? wendung zum verstärkten Schiefergasab- Foto: plainpicture/Tomas Adel deutschen Sonderweg Bei einer Umfrage des World Energy bau durch Fracking, der die Energiever- Councils unter Experten aus 35 Ländern sorgung der USA unabhängig von inter- erklärten 70 Prozent der Befragten, die nationalen Märkten machen soll. Zwar deutsche Energiepolitik sei eine Bedro- setzen US-Bundesstaaten vereinzelt auch hung für die europäische Versorgungssi- auf erneuerbare Energien. So wird im te- cherheit. Gerade mal ein Drittel war zu- xanischen San Antonio eines der größten versichtlich, dass die deutsche Energie- Solarkraftwerke der Welt errichtet. Und 1—2017 7
schwerpunkt Energiewende international das einst von Arnold Schwarzenegger re- INTERVIEW gierte Kalifornien fördert schon seit Jahr- Nina Scheer, SPD-Bundestagsabgeordnete, Mitglied zehnten grüne Technologien. Die US- des Ausschusses für Wirtschaft und Energie sowie Bundesstaaten tun dies allerdings haupt- stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Umwelt, sächlich aus wirtschaftlichen Gründen – Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit sogar in Texas war Windenergie zeitwei- se billiger als Gas und Öl. „ATOMENERGIE US-Präsident Donald Trump plant derweil, die Finanzierung für Programme zur Senkung des CO2-Ausstoßes zusam- KANN KEINE menzustreichen. Mit dem radikalen Kurswechsel wären die Klimaziele nicht OPTION SEIN“ mehr einzuhalten. Zurzeit debattiert das Weiße Haus denn auch darüber, ob und wie das Land auch formell aus dem Pari- ? Frau Scheer, Deutschland strebt eine Stromversorgung an, die vollständig ser Vertrag aussteigen könnte. Wegen der auf erneuerbaren Energien beruht. Folgen uns unsere europäischen Nachbar- teils erratischen Amtsführung Trumps ist staaten auf diesem Weg? In Frankreich, den Niederlanden oder Polen lie- momentan jedoch unklar, wie sich die gen die Anteile teilweise weit unter 20 Prozent. In Österreich oder Schweden USA weiter verhalten werden. werden hingegen schon rund zwei Drittel des gesamten Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen. Die Energiewende ist somit keines- Klimaschutz hat keine Priorität wegs ein deutscher Alleingang. Gleichwohl hatte das EEG, auf dessen Grundlage Noch vor den USA stößt China inzwi- wir in Deutschland heute einen Anteil von über 30 Prozent Strom aus erneuerba- schen weltweit am meisten CO2 aus; es ren Energien haben, weltweite Ausstrahlungswirkung und zeigt, wie wichtig glo- ist allein für knapp ein Viertel der globa- bal betrachtet Vorreiterrollen sind. Zugleich ist die Energiewende spätestens seit len Emissionen verantwortlich. Wie alle den Beschlüssen zu einer integrierten Energie- und Klimapolitik vor rund zehn BRICS-Schwellenländer hat China nach Jahren auch ein europäisches Projekt. Europa setzt sich das Ziel, eine weltweite wie vor großen Energiehunger. Den stillt Führungsrolle bei erneuerbaren Energien zu übernehmen. es vor allem mit Kohleverstromung. Zu- gleich legen die erneuerbaren Energien ? Könnte für andere Länder nicht auch Atomenergie eine Lösungsoption für in dem Land so stark zu wie in keinem die international festgelegten CO2-Reduktionsziele sein? Atomenergie anderen weltweit. Schon bald könnte es kann und sollte bereits aus Restrisikogründen, ganz zu schweigen von AKW-be- die Hälfte seines Strombedarfs über Was- zogenen Terrorgefahren und fehlenden Endlagern, keine energiepolitische Opti- serkraft decken. 2014 landete fast ein on sein, zumal auch Uran ein endlicher Rohstoff ist – die Not des Klimawandels Drittel der weltweiten Investitionen in darf darüber nicht hinwegtäuschen. Klimaschutz sollte nicht isoliert betrachtet erneuerbare Energien in China. Zum werden, als gäbe es keine anderen zu berücksichtigenden Faktoren. Über die- Vergleich: In Deutschland waren es in je- ses Ausschlussprinzip kann Klimaschutz letztlich nur über die Energiewende, so- nem Jahr gerade mal sieben Prozent. mit nur auf Grundlage erneuerbarer Energien unter Einbeziehung von Energie- Der Grund für die chinesische einsparung und Energieeffizienz, gelingen. In Anbetracht der fluktuierenden Ei- Energiewende ist aber nicht etwa, dass genschaften der Hauptsäulen Wind und Solar erweist sich die Atomenergie die Regierung nun den Klimaschutz für aufgrund ihrer schweren Regelbarkeit zudem als systemisches Hemmnis eines sich entdeckt hat. Zwar kommt der Um- energiewendeorientierten Strukturwandels. weltschutz in den smoggeplagten Städten des Landes allmählich auf die Tagesord- ? Ist es aus heutiger Sicht ausgeschlossen, dass Anteile europäischen Atom- nung. Vornehmlich aber will sich das stroms über den europäischen Strombinnenmarkt auch in unsere Haushalte Land unabhängig von Energieimporten und Fahrzeuge gelangen werden? Deutschland produziert aktuell mehr machen, damit die Wirtschaft ohne Hin- Strom, als es verbraucht. 2016 sind 55,5 Terawattstunden beziehungsweise dernisse weiter wachsen kann. Zudem 8,6 Prozent der Stromproduktion ins Ausland abgeflossen – insbesondere nach sollen chinesische Unternehmen, so der Österreich, Frankreich sowie in die Niederlande und die Schweiz. Damit hat Plan, den Weltmarkt für Photovoltaik, Deutschland 2016 einen neuen Rekord beim Stromexport aufgestellt – und das Wasser- und Windkraft beherrschen. Der Staat unterstützt sie dabei großzügig mit Foto: Joachim E. Roettgers GRAFFITI trotz laufendem Atomausstieg. Für die Zukunft lässt sich nicht gänzlich ausschlie- ßen, dass ausländischer Atomstrom auf dem physikalischen Weg in unsere Haus- Staatskrediten und Subventionen. halte und Fahrzeuge gelangen kann. Durch den Abbau von Überschüssen, auch „Kosten-, Wachstums- und Wohl- im fossilen Sektor, unter gleichzeitigem Ausbau erneuerbarer Energien können standsfragen stehen ganz oben, Klima- wir aber zunehmend auch bilanziell betrachtet atomstromfrei sein. Je stärker sich schutz kommt weiter hinten“, fasst Jasper dezentrale Strukturen durchsetzen, desto eher wird es uns gelingen, physika- Eitze, Koordinator Energie- und Klima- lisch atomstromfrei zu werden. Je stärker die Energiewirtschaft hingegen binnen- politik der Konrad-Adenauer-Stiftung, marktorientiert ausgerichtet wird, desto weniger wird Atomstrom unserer Nach- eine Studie seiner Institution zusammen. barn auszugrenzen sein. Dafür wurden Ende 2016 unter anderem 8
Energiewende international schwerpunkt chinesische Experten aus Wirtschaft, lem unterschrieben, weil er unverbind- Verwaltung oder Wissenschaft befragt. lich genug war. So gibt es in Russland we- Sie betrachten die deutsche Energiewen- der Programme zum Ausbau der Erneu- de vor allem als interessantes, aber zu erbaren noch welche zur Steigerung der teures Experiment. „Die Deutschen ha- Energieeffizienz. Stattdessen will das Russland hält nichts ben viel Kraft, Geld und Willen in den Land den Anteil der Kernenergie weiter von Erneuerbaren Umweltschutz investiert und entspre- ausbauen – um mehr Öl und Gas expor- chende Ergebnisse vorzuweisen“, wird tieren zu können. ein chinesischer Verwaltungsfachmann Die deutsche Energiewende wird zitiert, „aber diese sind mit hohen Kosten denn auch eher belächelt. So machte sich verbunden.“ der damalige Ministerpräsident Wladi- mir Putin schon 2010 über Deutschland Globaler Mechanismus gefordert lustig, als er sagte, es sei gut, wenn sich Ebenso wie China setzt auch das zweit- die Deutschen aus der Atomenergie ver- größte Schwellenland Indien auf einen abschieden – weil sie dann mehr russi- Mix aus allen verfügbaren Energiequel- sches Gas werden kaufen müssen. „Und len. Dabei erzeugt das Land fast die Hälf- wenn ihr mit Brennholz heizt, müsst ihr te seiner Energie mit Kohle, die es zum das auch in Sibirien kaufen“, frohlockte Großteil importiert. Zwar wächst auch in Putin damals. Indien der Anteil der Erneuerbaren. Ein kompletter Umstieg wie in Deutschland Polen strebt nach Atomkraft ist hier aber kein Thema. „Obwohl erneu- Auch Polens Energieversorgung hängt erbare Energiequellen ganz oben auf der zumindest zum Teil an Gaslieferungen Agenda stehen“, sagt Narendra Taneja, aus Russland. Hier bedeutet „Energie- Polens Energiewende – Energieexperte der Regierungspartei BJP, wende“ hauptsächlich, das Land vollends Kohle und Atomkraft? „wird Indien auch weiter auf Öl, Gas, unabhängig davon zu machen – durch Kohle und Nuklearenergie setzen.“ verstärkte Kohleverstromung und mögli- Mit dem Energiemix will Indien cherweise bald sogar Atomkraft. Zwar zunächst einmal weiter wachsen. Zwar soll ein Quotensystem den Anteil erneu- sollen dabei die Emissionen zurückgefah- erbarer Energiequellen ausbauen. Eine ren werden – theoretisch zumindest. Energiewende nach deutschem Vorbild Aber das Land ist zu arm, um sich dafür ist allerdings kein Thema. Höchstens Erneuerbaren-Hightech aus Deutschland dann, wenn deutlich wird, wie wenig die oder China leisten zu können. Zudem ist Deutschen ihren Umstieg mit ihren der Staat in vielen Regionen zu schwach, Nachbarn abgesprochen haben. So be- um eine Energiewende von oben durch- schwerte sich der stellvertretende polni- drücken zu können. „Für Entwicklungs- sche Energieminister Michał Kurtyka länder wie Indien wäre es nicht möglich, kürzlich bei einer Konferenz zur Energie- ein solch umfassendes Unterfangen al- wende im deutschen Außenministerium, lein zu finanzieren“, urteilt denn auch Chandra Bhushan, Chef des indischen Centre for Science and Environment. Es brauche vielmehr einen globalen Mecha- nismus, um die Last einer Energiewende zu verteilen. „Kosten-, Keine Energiewende in Russland Wachstums- und Wohl- Foto: plainpicture/Bildhuset/Jan Hoekan Dahlström Im Gegensatz zu den anderen drei gro- ßen CO2-Emittenten sind in Russland Erneuerbare und Energiewende über- standsfragen stehen haupt kein Thema. So finden sich im ganz oben, Klimaschutz Energiemix des Landes quasi keine er- neuerbaren Energiequellen, stattdessen kommt weiter hinten.“ deckt das Schwellenland seinen hohen Jasper Eitze, Bedarf über Gas, Kohle, Öl und Atom- Koordinator Energie- und Klimapolitik der strom. Da Russland über reichhaltige Konrad-Adenauer-Stiftung Gas-, Kohle- und Ölvorkommen verfügt, hat es nicht vor, daran etwas zu ändern. Den Pariser Vertrag hat das Land vor al- 1—2017 9
schwerpunkt Energiewende international dass Deutschland die polnischen Netze doch als zu teuer. Die Briten haben dar- durcheinanderbringe, wenn es darin aus bereits Konsequenzen gezogen und Strom von den nördlichen deutschen die Förderung von erneuerbaren Energi- Windkraftparks zu den Verbrauchern im en in ihrem Land stark zurückgefahren. Süden leite. Stattdessen setzt die konservativ-liberale Hauseigene Energiewende Anders als in Polen steht in Frank- Regierung ebenso wie Frankreich auf gilt in Italien als zu teuer reich eine Energiewende auf der Agenda, neue Atomkraftwerke. deren Ziele denen der deutschen zumin- Die Energiewende habe drei Ziele, dest ähneln: weniger Klimagasausstoß, erklärte Clemens Fuest, Präsident des mehr Energieeffizienz, ein nachhaltiger Münchner Ifo-Instituts, kürzlich dem bri- Energiemix. Bei näherem Betrachten tischen Magazin „The Economist“: erstens könnten die Wege zu diesen Zielen aller- eine verlässliche Energieversorgung, die dings unterschiedlicher nicht sein. So zweitens nicht zu teuer ist und drittens bis sieht die französische „transition énergé- 2050 die Emissionen im Vergleich zu tique“ keinesfalls einen Atomausstieg 1990 um 95 Prozent zurückfährt. „Alle vor. Stattdessen sollen künftig nur noch drei Ziele werden verfehlt werden“, sagte 50 Prozent statt wie bisher mehr als Fuest. Dies sei „ein internationales Bei- 70 Prozent des Stroms von einem der spiel für schlechte Politik“. Dass Allein- 58 französischen Atomkraftwerke kom- gänge in die Sackgasse führen, dämmert men. Sie machen das Land zur zweitgröß- nun auch der deutschen Politik. Auf dem ten Atomnation der Welt – und Strom so Außenministertreffen der G20-Staaten Die drei verfehlten Ziele billig, dass ein Drittel der Franzosen da- im Februar sagte Bundesaußenminister der Energiewende mit heizt. Gabriel: „Kein Staat der Welt kann die vor Die Art des Umbaus beim Nach- uns liegenden Aufgaben allein lösen. barn östlich des Rheins betrachtet man in Klimawandel, Terrorismus, Flucht und Frankreich derweil mit einer Mischung Migration – das alles bewältigen wir nicht aus Neugier und Unbehagen. „Wir müs- in nationalen Grenzen. Das geht nur mit sen nicht alles kopieren, was unsere deut- Kooperationen und Offenheit, statt sich in schen Freunde tun“, kommentierte etwa nationale Schneckenhäuser und Wagen- der konservative Senator Jean Bizet. „Der burgen zurückzuziehen.“ deutsche Atomausstieg ist so teuer wie dreckig und ineffizient.“ Ein Grund für die Skepsis: Wenn in Deutschland mal wieder zu wenig die Sonne scheint oder Windflaute herrscht, kauft der Nachbar heimlich Atomstrom in Frankreich. KLIMASCHUTZ DARF KEINE Das gilt dort als Beweis dafür, dass die deutsche Energiewende schlicht nicht PLANWIRTSCHAFT SEIN funktioniert. Für UNITI ist klar: Soll die Energiewende gelingen, muss der im Pariser Abkom- men vereinbarte längere Umsetzungszeitraum – bis Ende des Jahrhunderts – Briten fahren Erneuerbare zurück genutzt werden. Denn nur so kann der technische Fortschritt mitsamt der Ent- Italien importiert ebenfalls Atomstrom wicklung neuer Technologien vollständig ausgereizt werden. von seinem französischen Nachbarn. Das Zudem müssen die im Klimaschutzplan 2050 vereinbarten Maßnahmen und Zeit- Land hatte eine Zeit lang den europaweit pläne mit den Plänen der anderen EU-Mitgliedstaaten gemeinschaftlich in der größten Zuwachs an Photovoltaik und Europäischen Union abgestimmt werden. Das vermeidet Wettbewerbsverzerrun- hat nach deutschem Vorbild ein Erneuer- gen und sichert die Grundfreiheiten des europäischen Binnenmarktes. Alle müs- bare-Energien-Gesetz etabliert, um die sen also an einem Strang ziehen. Sonnenenergie weiter zu fördern. Das Für den Mineralölmittelstand wesentlich ist auch, dass die Maßnahmen des Kli- reicht allerdings bislang offensichtlich maschutzplans den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft entsprechen müssen. nicht aus, auch wenn etwa Südtirol be- Aus dem Klimaschutz darf keine Planwirtschaft werden! Und kein teures Privat- reits mehr als die Hälfte seines Strombe- vergnügen: Auch in Zukunft muss Energie für Wirtschaft und Gesellschaft bezahl- darfs aus erneuerbaren Energiequellen bar sein. Schließlich bedarf es eines echten gesellschaftlichen Dialogs zum Kli- deckt. So ist der Zuwachs mittlerweile er- maschutz und zur Energieversorgung der Zukunft – und einer Legitimation des lahmt. Zwar setzt Italien auch auf mehr Klimaschutzplans aus dem Volk. Das kann am besten mit einem Bundestagsbe- Energieeffizienz und begünstigt bei- schluss geschehen. spielsweise energieeffiziente Altbausa- nierungen steuerlich. Die hauseigene Elmar Kühn, UNITI-Hauptgeschäftsführer Energiewende gilt vielen Italienern je- 10
Franz-Josef Radermacher interview „W I R M Ü S S E N DAS KLIMAPROBLEM I N T E R N AT I O N A L LÖSEN“ INTERVIEW Björn Larsen Professor Franz-Josef Radermacher ist einer der gefragtesten Redner, wenn es um die Themen Nachhaltigkeit und Globalisierung geht. In energie + Mittelstand plädiert er für eine Arbeitsteilung zwischen Kontinenten. ? Herr Professor Radermacher, im barkeit entscheidend und die ist bis heute in der Jahr 2050 könnten zehn Milliarden Menschen Regel mit hohen CO2-Emissionen verbunden. auf der Welt leben. Das sind 2,5 Milliarden Wenn fünf Milliarden Arme im Mittel auch nur mehr als heute. Allein in Afrika kommen jedes eine Tonne mehr CO2 pro Jahr verursachen als bis- Jahr 25 Millionen hinzu. Was bedeutet das her und dann mit vielleicht zwei Tonnen pro Kopf Foto: Christoph Busse / VISUM. klima- und energiepolitisch für die Welt? und Jahr bei einem Fünftel der deutschen Pro- 2,5 Milliarden Menschen mehr bedeuten enorme Kopf-CO2-Emissionen liegen, sind das dennoch zusätzliche materielle Erwartungen und Ansprü- fünf Milliarden Tonnen mehr CO2 als bisher. Das che. Sie addieren sich zu den Ansprüchen hinzu, ist fünf- bis sechsmal das Gesamtvolumen der die von Milliarden ärmeren Menschen ohnehin er- Emissionen in Deutschland. Ganz offensichtlich hoben werden, von uns in der reichen Welt erst gar lässt sich das Klimaproblem nicht dadurch lösen, nicht zu reden. Für Wohlstand ist Energieverfüg- dass wir in Deutschland weniger emittieren, son- 1—2017 11
interview Franz-Josef Radermacher Kritiker und Klimaaktivisten haben recht, dass mehr passieren muss. Die sogenannte Ambitions- lücke im Klimabereich muss geschlossen werden. Die meisten Kritiker und Klimaaktivisten verfol- gen dabei aber einen nicht tragfähigen Ansatz. Sie „IN EINER ART setzen darauf, dass die einzelnen Staaten bei sich im Land immer mehr für das Klima leisten, bis die Lücke geschlossen ist. Aber genau dieser Weg KLIMAPLANWIRT- funktioniert nicht, denn es geht ja um die legiti- men Emissionszuwächse in den ärmeren Ländern und die dort absehbaren zusätzlichen Volumina SCHAFT IST können in den reicheren Ländern nicht eingespart werden. Stattdessen müssen Know-how und Geld der reicheren Länder in den ärmeren Ländern zum DAS KLIMA PROBLEM Tragen kommen, um dort den Zuwachs von Emis- sionen bei gleichzeitiger Vergrößerung des Wohl- NICHT LÖSBAR.“ stands zu verhindern. Genau dieser Ansatz wird aber von den meisten Kritikern und Klimaaktivis- ten nicht einmal thematisiert. Franz-Josef Radermacher, Professor an der Universität Ulm und Leiter des Forschungs- ? Sie dagegen gelten als Freund der freiwilli- instituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung gen Klimaneutralität. Freiwillige Klimaneutralität besteht darin, dass man freiwillig und auf eigene Kosten Maßnahmen finanziert. Häufig Maßnahmen in sich entwickeln- den Ländern, die dort die Klimagasemissionen ab- senken oder den Zuwachs verringern und zugleich dern primär dadurch, dass wir dazu beitragen, dass in der Regel für die Menschen dort weitere Vorteile, der erwartete, legitime Wohlstandszuwachs in den mehr Lebensqualität und höheren Wohlstand brin- ärmeren Ländern möglichst in klimaneutraler gen und so Nachhaltigkeit in vielfacher Weise för- Weise erfolgt. dern. Das ist ein äußerst sinnstiftendes Programm. ? Das Pariser Klimaabkommen soll die Erder- ? Können Sie ein Beispiel nennen? wärmung ja begrenzen. Beispielsweise hat die Firma AVIA Mineralöl Das Pariser Klimaabkommen wird vollkommen GmbH vor kurzem bekanntgegeben, dass sie zu- überschätzt. Zwar haben die Staaten der Welt sich künftig ihr Mineralöl für den Heizungsbereich kli- darauf verständigt, die Erderwärmung auf deutlich maneutral ohne Aufpreis für ihre Kunden bereit- unter zwei Grad Celsius im Vergleich zur vorin- stellen wird. Dazu finanziert sie unterschiedliche dustriellen Zeit zu begrenzen. Das war aber auch Kompensationsprojekte, etwa die Anschaffung schon vor Paris Konsens. Die Zusagen von Paris von effizienten Kochherden für Menschen in Afri- sind zwar besser als nichts, aber sie reichen wohl ka. Das verhindert viele CO2-Emissionen, erspart bestenfalls für vier Grad Celsius Zuwachsbe- zugleich den Menschen sehr viel Zeit für das Sam- schränkung. Das war übrigens seit Kopenhagen so meln von Abfallholz und erhält dem Boden drin- zu erwarten. 15 Jahre lang hatte die Welt verhan- gend benötigte Zusatzstoffe, wenn das Restholz delt, um gemeinsame Maßnahmen zur Erreichung verrottet. des Zwei-Grad-Ziels zu vereinbaren. In Kopenha- gen wurde endgültig klar, dass das nicht gelingen ? Was könnte man sonst noch tun? würde. Deshalb hat man sich auf einen neuen Typ Es gibt glücklicherweise viele Mechanismen mit ho- Abkommen geeinigt, in dem jeder, unabhängig von hem Wirkungsgrad. Interessant ist zum Beispiel die Foto: Ul Barcelos/EyeEm/Getty Images den anderen, erklärt, was er in Bezug auf Maßnah- Stilllegung von Emissionszertifikaten im europäi- Klimaretter Wald: men und Zusagen zu tun bereit ist. Das ist jetzt in schen Klimasystem. Jede stillgelegte Tonne CO2 – Gezielte Aufforstung, vor allem auf degra- Paris passiert, aber naturgemäß ist das Ergebnis das heißt: Zertifikat kaufen, dann aber nicht nutzen dierten Böden in den bei weitem nicht ausreichend. Deshalb hat mich – bedeutet eine Tonne weniger Emissionen auf dem Tropen, bremst den eher verwundert, warum so viele von dem Paris- Territorium der EU. Die dadurch bewirkte Redukti- Klimawandel. Abkommen begeistert waren. on der tatsächlich verfügbaren Zertifikate führt auf Dauer zudem zu einer Erhöhung des Zertifikatprei- ? Kritiker und Klimaaktivisten sind weniger ses. Darauf warten Fachleute schon lange. CO2- begeistert und fordern verschärfte Zusagen. Emissionen sollten einen spürbaren Preis haben. 12
Franz-Josef Radermacher interview Darüber hinaus ist Aufforstung, vor allem auf de- Kompensationsmaßnahmen verabreden und gradierten Böden in den Tropen, besonders wirk- durch eine adäquate Preisgestaltung für Güter, in sam. Ebenso forcierte Humusbildung im landwirt- denen indirekt CO2-Emissionen enthalten sind, schaftlichen Bereich, zum Beispiel in Nordafrika. letztlich in internationaler Perspektive das Klima- problem lösen. Davon sind wir heute noch meilen- ? Wieso? weit entfernt. Diese Maßnahmen gehen in der Regel Hand in Hand mit einer deutlichen Verbesserung der Er- ? In Deutschland versuchen wir, ein völlig nährungssituation, aber auch der Beschäftigung neues Energiesystem auf einen Schlag zu etab- und der Erwirtschaftung von Einkommen durch lieren. Geben wir uns genug Zeit, um den tech- die Menschen vor Ort. Durch Aufforstung bekom- nologischen Herausforderungen gerechtzuwer- men wir Zugang zu einer wertvollen erneuerbaren den? Ressource, also Holz, die für vielfältige Zwecke Die Deutschen haben sich in kurzsichtiger Reakti- verwendbar ist. Und wenn man um die Regenwäl- on auf den Atomunfall in Japan entschieden, relativ der herum Sekundärwälder als Nutzwälder unvorbereitet in ein neues Energiesystem zu wech- pflanzt, schützt man außerdem die Regenwälder seln und dabei gleich zwei Ziele zu verfolgen: her- vor einer drohenden Austrocknung. Sollte es zu ei- aus aus der Atomkraft und heraus aus den fossilen ner solchen kommen, könnten die Regenwälder Energieträgern. Wobei das Erste aus Klimasicht von alleine abfackeln. Dies stellt einen der bedroh- kontraproduktiv wirkt. Für diesen raschen Wech- lichsten Kipp-Punkte des Klimasystems dar. Dage- sel fehlten entscheidende Voraussetzungen, insbe- gen sollten wir angehen. sondere bezüglich dringend benötigter, leistungsfä- higer Speichertechnologien für Elektrizität. Für ZUR PERSON ? Gestoppt wird der Klimawandel damit nicht. Schwerindustrie, Wärmemarkt und Mobilität feh- Aber wir können die Probleme wesentlich hinaus- len bis heute überzeugende Lösungen ganz. Teil- Professor Franz-Josef zögern und uns viel wertvolle Zeit kaufen, um das weise halten wir heute zwei Infrastrukturen vor. Radermacher, Klimaproblem definitiv zu lösen. Hierzu sind wei- Das belastet die Bürger, aber ebenso die Industrie. Jahrgang 1950, arbeitet tere Forschungen nötig. Dann muss die praktische als Professor für Daten- banken und Künstliche In- Erprobung der neuen Lösungen folgen, dann eine ? Was macht Ihnen Hoffnung? telligenz an der Universi- breite Umsetzung, wobei diese aber auch finan- Meine Hoffnung ist, dass wir in den nächsten Jahr- tät Ulm und leitet ziert werden muss. Das heißt, sie muss sich im zehnten leistungsfähige Speichersysteme erfinden zugleich das Forschungs- Rahmen von Abschreibungszyklen rechnen. Zeit und ebenso neue Kraftstoffe, die klimaneutral institut für anwendungs- zu gewinnen, ist deshalb von zentraler Bedeutung sind. Die Klimaneutralität sollte durch großflächi- orientierte Wissensverar- und ist etwas ganz anderes als Schadensbegren- ge biologische Maßnahmen erfolgen und auf diese beitung. Der promovierte zung. Es ist dies der Schlüssel zur Lösung des Kli- Weise dazu beitragen, die Ressourcensituation Mathematiker und Wirt- maproblems. Auf rein konventionelle Weise in ei- und die Ernährungsbasis deutlich zu verbessern, schaftswissenschaftler ist ner Art Klimaplanwirtschaft, wie das heute in während wir gleichzeitig zur Lösung des Klima- darüber hinaus Mitgrün- Deutschland versucht wird, ist das Klimaproblem problems beitragen. Im Fokus steht besonders der der Global Marshall nicht lösbar – und wenn überhaupt, dann nur um Afrika. Dort besteht auch das größte Potenzial zur Plan Initiative und Mit- glied des Club of Rome. den Preis einer erheblichen Wohlstandsvernich- Gewinnung erneuerbarer Energien – unter ande- Er sitzt unter anderem im tung. rem in der Sahara. Das sind Themen, die wir im Wissenschaftlichen Beirat Rahmen eines Marshall-Plans mit Afrika entwi- beim Bundesminister für ? Wie sieht es mit Verzicht aus? Zum Beispiel ckeln und die großes politisches Interesse finden, Verkehr und digitale Infra- auf Fleisch, Flüge und Autofahren? nicht zuletzt wegen der Migrationsthematik. Foto: picture alliance/Clemens Fabry/Die Presse/picturedesk.com struktur sowie im Beirat Wer entscheidet, was genug ist? Und wer lässt sich der Deutschen Umwelt- von anderen einen Lebensstil vorschreiben? Der ? Also sollten wir die Energiewende in den stiftung. Zusammen mit Vegetarier will nicht, dass man ihn zum Fleisch- Ländern vorantreiben, die aufgrund ihrer geo- Bert Beyers ist er Autor konsum zwingt. Der Liebhaber von Steaks will grafischen Lage besser für Erneuerbare geeignet des Buches „Welt mit Zu- nicht, dass ihm ein anderer das Fleisch verbietet. sind? kunft – Überleben im 21. Umso mehr, als Steaks von einem Rind, das drau- Genauso sollten wir vorgehen. Ich sehe ein hohes Jahrhundert“. ßen weidet, zum Beispiel in Argentinien in der Potenzial für eine Arbeitsteilung zwischen Europa Pampa, überhaupt kein Klimaproblem darstellen. und Afrika, in deren Rahmen wir mit unserer Viele Menschen, die viel fliegen oder viel mit dem Technik und unseren Finanzmitteln zu einer Auto fahren, tun dies aus beruflichen Gründen Wohlstandssteigerung in Afrika beitragen, wäh- oder weil es zum Beispiel keine Alternative gibt, rend uns dieser Kontinent mit klimaneutralen um den Familienzusammenhalt zu sichern. Le- Kraftstoffen ausstattet. Dadurch können wir in viel bensstilregulierungen sind verfehlte Konstrukte. preiswerterer Weise, als das heute denkbar er- Wir müssen weltweit die richtigen Technologien scheint, die Klimaproblematik in den Bereichen hervorbringen, internationale Kooperationen für Schwerindustrie, Wärme und Mobilität lösen. 1—2017 13
zur sache Energiewende T E X T Dirk Arne Kuhrt, Geschäftsführer UNITI ST R AT E G I E N F Ü R E I N E N „ E N E R G I E W E N D E -VO R R E I T E R“ Situation, Herausforderungen, Möglichkeiten 1. Der „CO2-BIP-Quotient“ – die entscheidende Kennzahl Deutschland ist kein Vorreiter im Klimaschutz? Weit gefehlt! Das CO2-BIP-Quotient im internationalen Vergleich (Tonnen CO2-Emissionen je 1.000 US-Dollar BIP) – die zehn größten Emittenten, G20-Staaten und Rest der Welt (RoW) entscheidende Maß für die wirtschaftliche Leistungskraft einer 1,80 Volkswirtschaft ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Es ist Basis 1,60 für all das, was Gemeinwohl und Stabilität einer Gesellschaft ausmachen: soziale Sicherungssysteme, Bildung, Verbraucher- 1,40 schutz, Rente und Gesundheit, Infrastruktur, innere Sicherheit, 1,20 Integration, Entwicklungshilfe oder Friedenssicherung. Kommt 1,00 es beim gesellschaftlichen Gemeinwohl zu Schieflagen, werden 0,80 Klima- und Umweltschutzbestrebungen zwangsläufig bedeu- 0,60 tungslos. Für eine internationale Einordnung des Klimaschutz- 0,40 (und Stabilitäts-)Niveaus einer Volkswirtschaft sind deshalb die 0,20 auf das BIP bezogenen CO2-Emissionen (der „CO2-BIP-Quoti- IRN ZAF RUS IND CHN SAU IDN TUR KOR MEX CAN AUS ARG JPN USA BRA DEU ITA GBR FRA RoW ent“) eine der aussagekräftigsten Kenngrößen. Im weltweiten Vergleich nimmt Deutschland hierbei die Vorreiterrolle ein. Die- Quellen: European Commission, EDGAR-Emission Database for Global Research, Statista, IMF (2015) se Position ermöglicht überhaupt erst unsere hierzulande auf hohem Niveau geführten energiepolitischen Diskussionen. 2. Das Risiko falscher Mittelallokation beim Vorreiter vermeiden Der Klimaschutzplan 2050 (KSP 2050) vom nostiziert die Initiative Neue Soziale 3. Strategiemix mit globaler Weitsicht November 2016 legt vereinzelt konkrete Marktwirtschaft stromseitige Kosten von Spätestens seit Paris sollte Klimaschutz in Ziele fest, zum Beispiel die Reduzierung des 520 Milliarden Euro bis 2025. Im Vergleich Deutschland globaler gedacht und angegangen Primärenergiebedarfs auf 40 kWh/m²*Jahr dazu liegt der deutsche Entwicklungshil- werden: mit massiver Aufstockung des Entwick- für 18 Millionen Wohngebäude im Bestand feetat für 2016 bei gerade einmal sieben lungshilfe-Etats und/oder über die Finanzierung (heute nicht einmal Neubaustandard). Milliarden Euro. Eine Energiewende „Made von Treibhausgas mindernden Investitionen in Zu den finanziellen Folgen solcher Ziele (alone) in Germany“ – mit derzeit zwei Pro- Entwicklungsländern – initiiert von privaten Unter- gibt der KSP 2050 keine Auskunft. zent der weltweiten CO2-Emissionen – nehmen. Der Strategiemix könnte also lauten: Rechnerisch könnten die Gesamtaufwen- wäre da alles andere als effizient und für die A) weitere Erschließung der Effizienzpotenziale in dungen zu einem hohen dreistelligen Milli- Vermeidung der globalen Klimafolgen auch Deutschland – klug gefördert, marktoffen und ardenbereich führen. Darüber hinaus prog- irrelevant. sozial verträglich umgesetzt; B) Entwicklung von innovativen Energieversor- Mögliche finanzielle Folgen aus EEG und KSP 2050 gungskonzepten mit hoher Nachhaltigkeit, ho- im Vergleich zum deutschen Entwicklungshilfe-Etat 2016 (in Mrd. Euro) her und bezahlbarer Versorgungssicherheit – ohne politische Einschränkung des breiten 900 wissenschaftlichen Innovationspotenzials; C) Ausbau des internationalen Klima- und Umwelt- ? 700 500 schutzes durch freiwillige und zielgerichtete 300 Transfer- und Kompensationsprogramme der 100 privaten Wirtschaft – mit flankierender politi- Gesamtvolumen Belastung der Wohngebäudesanierung Entwicklungshilfe- scher und staatlicher Unterstützung. der EEG-Umlage Stromverbraucher bis 40 kWh/m²* Etat 2016 bis 2014 bis 2025 Jahr bis 2050 Wenn ein Vorreiter globale Realität, Wechselwir- kungen und Folgen im Auge behält, kann er am Quellen: Kleine Anfrage Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN an den Bundestag (Drucksache 18/242), Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft GmbH, KSP 2050 – Eigene Berechnungen, Euractiv besten wirklich wirkungsvolle Klimaschutz-Strate- gien anstoßen. 14
BP Target Neutral report D I E KÖ N N E N A U C H A N DE R S T E X T Frank Burger Der Ölkonzern BP fördert mit seiner Kompensationskampagne „Target Neutral“ sehr effektiv Klimaschutzprojekte. Was genau hinter der Initiative steckt. Das Ergebnis zählt: Klimaschädigende Gase an sich sind kein Problem, wenn es an anderer Stelle entspre- chende Einsparungen gibt. R achathewa, eine Kleinstadt rund 30 Kilo- meter östlich der thailändischen Haupt- stadt Bangkok, hat zwei überregional bedeutsa- nen Kohlendioxid-Äquivalente weniger in die Atmosphäre. Ein Teil des Geldes für die Finanzierung me Einrichtungen: zum einen den Suvar- der Deponieumrüstung hat BP Target Neutral nabhumi International Airport, einen der größ- beigesteuert. Die Initiative des Mineralölkon- ten Flughäfen Asiens. Zum anderen befindet zerns arbeitet nach dem Prinzip der Klimakom- sich in Rachathewa eine Mülldeponie, wo täglich pensationsmodelle: Der Ausstoß von Treibhaus- 3.500 Tonnen Feststoffabfall entsorgt werden, gasen an einer Stelle soll durch die Einsparung Foto: xtra06 / photocase.de; Icon made by freepik from flaticon.com rund 40 Prozent der täglichen Abfallmenge klimaschädigender Gase an anderer Stelle ausge- Bangkoks. glichen werden. Vereinfacht gesagt bezahlen da- Mülldeponien dieser Größenordnung bei Verursacher Geld an Organisationen, die da- können enorme Mengen an Methangas freiset- mit Projekte fördern, die dem Klimaschutz die- zen, das ebenso zum Treibhauseffekt beiträgt wie nen. In den vergangenen Jahren haben sich Kohlendioxid und darüber hinaus die Luftquali- einige dieser Dienstleister etabliert, beispielswei- tät der Region verschlechtert – zumal es in Thai- se Atmosfair, Myclimate, die deutsche Klimakol- land keine gesetzlichen Regelungen zur Samm- lekte; BP Target Neutral existiert seit 2006. lung oder Verbrennung von Deponiegasen gibt. Die Deponie von Rachathewa ist die große Besser handeln, statt zu lamentieren Ausnahme: Seit 2007 wird hier das Methangas Nun wäre es ein Leichtes, dem Unternehmen extrahiert und als Treibstoff für einen neu instal- vorzuhalten, es engagiere sich lediglich in der lierten Stromgenerator genutzt, die gewonnene Klimakompensation, um sein schlechtes Gewis- elektrische Energie wird ins öffentliche Strom- sen zu beruhigen. Aber mal ehrlich: Wäre es bes- netz eingespeist – dadurch gelangen über einen ser, wenn eine Firma, deren Produkte Kohlendi- Zeitraum von zehn Jahren hinweg 470.000 Ton- oxid verursachen, nichts unternimmt, um die 1—2017 15
report BP Target Neutral Konsequenzen wenigstens einzudämmen? Auch Alexander Mauer, Director Europe von BP Target Neutral, weiß, dass BP sich immer gegen den Vorwurf des Greenwashings wehren muss. Er sagt: „Wir arbeiten bei der CO2-Neutralisierung mit seriösen internationalen Partnern zusam- men, die über eine transparente und strenge Zer- tifizierung verfügen. Jedes Projekt in unserem Portfolio erfüllt entweder den Verified Carbon Standard (VCS), den Gold-Standard oder den „Wir arbeiten bei der Climate Action Reserve (CAR) Standard. Diese Standards bieten einen methodologischen Rah- CO2-Neutralisierung mit seriösen men, ein unabhängiges Verifizierungsverfahren und ein Register, um sicherzustellen, dass die internationalen Partnern Emissionsreduktionen echt und zusätzlich sind, das bedeutet, sie würden ohne das Projekt nicht zusammen, die über eine trans- erfolgen.“ Seit dem Beginn der Initiative im Jahr parente und strenge 2006 hat BP mit Target Neutral 17 Projekte abge- schlossen, darunter Aufforstungen in Tansania, Zertifizierung verfügen.“ Alexander Mauer, ein Kleinstwasserkraftwerk in China, eine Bio- Director Europe von BP Target Neutral gasanlage in den Niederlanden sowie Windkraft- anlagen auf kleinen Inseln im Pazifik, in der Tür- kei und in Indien. Derzeit fördert BP Target Neutral sieben Projekte in Amerika, Afrika, Europa und Asien. seine Einfachheit: Viele Kleinbauern in diesen Beispielsweise unterstützt die Initiative die Ins- Gebieten müssen ihre Pflanzungen bewässern, tallation eines Biomassekraftwerks mit zwölf indem sie das kostbare Nass in Krügen von weit Megawatt Leistung im Kreis Bachu im Westen entfernten Wasserstellen zu den Feldern tragen – Chinas. Es erzeugt jährlich 59.000 Megawatt- eine sehr anstrengende und ineffiziente Arbeit. stunden Strom, befeuert von 130.000 Tonnen Abhilfe schaffen Tretpumpen, die aus lokal ver- Biomasse – vor allem Pflanzenstängel, die bei der fügbaren Materialien wie Bambus hergestellt Baumwollernte übrig bleiben. Vor der Einfüh- werden. Mit ihnen wird das Wasser per Schlauch rung des Projekts blieben die Pflanzenreste ein- zu den Feldern gepumpt. Die umweltschädliche fach auf den Feldern liegen oder wurden ver- Alternative wären Dieselpumpen, von denen brannt. Die CO2-Reduktion beläuft sich auf jede jährlich ungefähr 477 Kilogramm Kohlendi- ungefähr 47.000 Tonnen pro Jahr, die sonst in oxid erzeugt. Im Rahmen des Projekts hat die Kraftwerken für das Northwest China Power Non-Profit-Organisation International Develop- Grid anfallen würden, die mit fossilen Brennstof- ment Enterprises India (IDEI) schon mehr als fen arbeiten. 68.000 Tretpumpen an die Bauern verkauft, was zwischen 2012 und 2015 die Emission von Bessere Atemluft, weniger Wasserverbrauch 84.415 Tonnen CO2 verhindert hat. Und das Projekt hat noch weitere positive Effek- Der zusätzliche Nutzen für die Bevölke- te: Die Baumwollbauern vor Ort verdienen rung ist immens, denn die optimierte Bewässe- durch den Verkauf der Pflanzenreste an den Be- rung bringt eine ganze Kaskade an Vorteilen mit treiber des Kraftwerks insgesamt 4,25 Millionen sich: Die Bauern können ihren Anbau stärker di- US-Dollar pro Jahr – und da kaum noch Reste auf versifizieren, mehr anbauen, ihren Ertrag stei- den Feldern verbrannt werden, sinkt auch das Ri- gern und so den Lebensstandard ihrer Familien siko der Bevölkerung für Unfälle und Atemwegs- verbessern. Das Einkommen der am Projekt be- erkrankungen durch Luftverschmutzung. Au- teiligten Bauern steigt im Durchschnitt um um- ßerdem verbessert und stabilisiert das Kraftwerk gerechnet 354 Euro pro Jahr. Für sie eine Menge die Stromversorgung in der abgelegenen ländli- Geld – das sie in landwirtschaftliche Geräte, chen Gegend. Und es schafft 112 direkte Arbeits- Tierbestand oder zusätzliches Land investieren, Foto: BP Target Neutral plätze sowie indirekt viele weitere in der Biomas- mit dem sie Mitarbeiter bezahlen können und se-Versorgungskette. mit dessen Hilfe sie ihre Kinder zur Schule schi- Ein Projekt in den ostindischen Bundes- cken können. staaten Uttar Pradesh, Bihar, Odisha, Chhattis- Das Konzept ist so überzeugend, dass es garh, Jharkhand und West Bengal besticht durch nicht nur die Aufmerksamkeit von BP Target 16
BP Target Neutral report Neutral auf sich gezogen hat, sondern auch von Ein alternatives Gas ist nötig – Meridian der Bill and Melinda Gates Stiftung gefördert wird hat es gemeinsam mit der amerikanischen Um- und einen der renommierten britischen Ashden weltschutzbehörde EPA entwickelt und seine Awards für Nachhaltigkeit gewonnen hat. Produktion darauf umgestellt. Das neue Gas, No- Aber BP Target Neutral investiert nicht vec 612, ist deutlich umweltfreundlicher als SF6, nur in ärmeren Gegenden der Welt. Ebenso för- aber auch viel teurer. Für die Finanzierung der derungswürdig ist beispielsweise ein Projekt in Umstellung hat Meridian einen Emissionshandel Eaton Rapids im US-Staat Michigan beim High- für die eigene Branche entwickelt: Andere Her- tech-Unternehmen Meridian Magnesium Pro- steller von Magnesiumprodukten können CO2- ducts, das Autoteile aus Magnesiumlegierungen Zertifikate generieren und vermarkten. Der kli- herstellt, unter anderem für BMW, GM und Ford. mawirksame Erfolg der Umstellung: Der Verzicht auf SF6 vermeidet Emissionen, die 24.000-fache Wirkung von Kohlendioxid 200.000 bis 250.000 Tonnen Kohlendioxid ent- Bei zwei verschiedenen Prozessen der Produkti- sprechen – pro Jahr. on ist ein Schutzgas nötig, das die Selbstentzün- dung geschmolzenen Magnesiums verhindert: Enge Kooperation mit NGOs Schwefelhexafluorid, kurz SF6. Es ist billig, un- Auf ganz so viel Reduktion kommt das derzeit giftig und einfach in der Anwendung, daher auch einzige Windkraftprojekt von BP Target Neutral das Standardschutzgas der Branche – allerdings zwar nicht, aber immerhin spart der Sares Wind- ist es ein Treibhausgas und trägt fast 24.000-mal park im Nordwesten der Türkei rund 50.000 mehr zur Erderwärmung bei als Kohlendioxid. Tonnen CO2, die aus der Nutzung fossiler Brenn- stoffe zur Stromerzeugung entstünden. Zu dem Windpark gehören neun Turbinen mit einer ins- tallierten Kapazität von 22,5 Megawatt, die jähr- lich 82.700 Megawattstunden Energie ins türki- sche Stromnetz einspeisen. Erneuerbare Energien, die zweite: In meh- Ein Gewinn fürs Weltklima: reren ländlichen Gegenden im Südwesten Chinas Ob Aufforstungen in Tansania oder Lauf- fördert BP Target Neutral die Installation von 75 wasserkraftwerke in China – die Projekte kleinen Laufwasserkraftwerken zur Stromerzeu- von Target Neutral folgen einem Ziel. gung, die insgesamt mehr als 500.000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr vermeiden. Entwickelt werden die diversen Kraftwerksprojekte von Ein- zelnen oder Gruppen in den jeweiligen Gemein- den in Kooperation mit NGOs wie Yunnan Inter- national und dem Roots & Shoots-Programm des Jane Goddall Institute China. Wie üblich ist der Klimaschutz auch hier nur eine Komponente – die Bevölkerung vor Ort wird vor allem andere Effekte zu schätzen wis- sen: Zunächst einmal sorgen die Kraftwerke ganz schlicht dafür, dass es überhaupt zuverlässig Strom gibt, was in vielen der Dörfer keine Selbst- verständlichkeit ist. Außerdem schaffen der Bau und der Betrieb der Anlagen Hunderte neue Ar- beitsplätze und verbessern die Infrastruktur, denn wo gebaut wird, braucht es Zufahrtsstra- ßen, in einigen Fällen wurde darüber hinaus auch die Bewässerung von Feldern verbessert. „Es gibt nichts Gutes / außer: Man tut es“ – diesem Kurzgedicht hat der Schriftsteller Erich Kästner den Titel „Moral“ gegeben, und es könn- Fotos: BP Target Neutral te auch als Motto für BP Target Neutral stehen: Nur im Handeln zeigt sich, was gut ist. Im Um- kehrschluss: Wer nicht handelt, kann nicht gut sein – das als Antwort darauf, ob es einem Öl- konzern erlaubt sein sollte, sich um das Klima zu sorgen. 1—2017 17
interview Matthias Wissmann „KEINE VERBOTE FÜR EINZELNE TECHNOLOGIEN“ I N T E R V I E W Björn Larsen Für Matthias Wissmann ist der Diesel ein unverzichtbarer Baustein bei der Umsetzung der europäischen Klimaschutz‑ Foto: Hermann Bredehorst/Polaris/laif ziele. Der Präsident des Verbands der Automobilindustrie über Reduktionspotenziale, den Handel mit CO2‑Zertifikaten und alternative Kraftstoffe. 18
Matthias Wissmann interview „DIE EINBEZIE- HUNG DES STRASSENVER- KEHRS IN DEN EMISSIONSHANDEL ? Herr Wissmann, CO2-Reduktion ist ein globales Thema. Das haben die Verhand- SOLLTE GRÜND- lungen um das Pariser Klimaabkommen ge- zeigt. Blickt man auf den Verkehrssektor, zeigt LICH GEPRÜFT sich aktuell aber ein anderes Bild: Die EU hat die weltweit ambitioniertesten Flottenziele. Wie denken Sie als Vertreter der deutschen Au- WERDEN.“ tomobilindustrie darüber? Wir bekennen uns zum 95-Gramm-Ziel der EU. Die deutschen Hersteller arbeiten intensiv da- ran, dieses Ziel bis 2021 zu erreichen. Die CO2- Reduzierung ist allerdings eine weltweite Aufgabe. Die EU hat im internationalen Vergleich das mit Abstand anspruchsvollste Ziel: Japan hat 105 Gramm, China 117 Gramm und die USA haben 119 Gramm. Die Politik sollte sich weltweit dafür ? Wie könnten die CO2-Emissionen aus Ihrer einsetzen, dass es hier eine Koordinierung gibt. Sicht abgerechnet werden? Ein Ansatz wäre zum Beispiel, die Emissio- ? Wie sähe eine erfolgsorientierte CO2-Regu- nen an der Tankstelle abzurechnen, also bei denje- lierung aus? nigen, die Brenn- und Kraftstoffe in Verkehr brin- Sie sollte zum einen dazu führen, dass die gen. In Deutschland beträfe dies für den Kraftstoff Reduktionsziele erreicht werden. Zum anderen im Straßenverkehr etwa 100 Unternehmen. Der sollte sie kosteneffizient sein. Die gegenwärtige Verwaltungsaufwand wäre also sehr gering. Der CO2-Regulierung erfüllt diese beiden Kriterien lei- Verbraucher hat keinen Zusatzaufwand, er sieht der nur sehr eingeschränkt. Am wichtigsten wäre auf seiner Tankrechnung nur die ausgewiesene daher, die Regulierung umfassender zu gestalten. Zertifikatemenge und den dafür zu zahlenden Es sollten alle Reduktionspotenziale genutzt wer- Preis. den, anstatt nur Vorgaben für Neuwagen zu ma- chen. Außerdem sollte sie stets an die tatsächli- ? Stichwort: Kraftstoffe. An synthetischem chen technischen Möglichkeiten angepasst werden Sprit wird zurzeit eifrig getüftelt. Welche Mög- und vor allem das Prinzip der Technologieneutrali- lichkeiten bieten die sogenannten E-Fuels? tät beachten. Das bedeutet: keine Verbote für ein- Erneuerbare Energieträger sind unerschöpf- zelne Technologien. lich, das ist ihr großer Vorteil gegenüber fossilen. Bei der Herstellung von regenerativen Kraftstoffen ? Wissenschaftler und Industrievertreter for- wird so viel CO2 aus der Atmosphäre entnommen, dern bereits seit längerer Zeit eine Ausweitung wie später bei der Verbrennung freigesetzt wird. des Emissionshandels auf den Verkehr. Ein Im Gegensatz zu Biokraftstoffen der ersten Gene- sinnvoller Ansatz? ration werden E-Fuels mit erneuerbarem Strom ge- Der Emissionshandel ist ein Instrument, das wonnen. Diese Kraftstoffe bieten die große Chan- an den absoluten Emissionen ansetzt. Für jedes ce, auch mit Verbrennungsmotoren künftig kli- Jahr wird ein bestimmtes Emissionsbudget vorge- maneutral zu fahren. Deswegen sind wir daran sehen, das die Emittenten dann marktbasiert unter sehr interessiert. sich aufteilen müssen. So stellt sich automatisch auch Kosteneffizienz ein: Es wird dort eingespart, ? Stimmen Sie Experten zu, dass es den uni- wo es am günstigsten ist. Vor diesem Hintergrund versellen Antrieb sowieso niemals geben wird? sollte die Einbeziehung des Straßenverkehrs in Man kann jedenfalls behaupten, dass der den Emissionshandel gründlich geprüft werden. Verbrennungsmotor der universelle Antrieb im 1—2017 19
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