Von der automatisierten zur autonomen Fertigung - KI IN DER FERTIGUNGSINDUSTRIE SONDERAUSGABE
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
2022 www.digital-manufacturing-magazin.de SO N D E R AU S GABE KI IN DER FERTIGUNGSINDUSTRIE ERFOLGREICHE KI-EINFÜHRUNG Von der automatisierten zur autonomen Fertigung
Think digital Sichern Sie sich jetzt Ihr exklusives Abonnement! │www.digital-process-industry.de/abonnement/ Bild: John Kasawa, Iurii Motov / Shutterstock.com
EDITORIAL Künstliche Intelligenz besser verstehen Liebe Leserinnen und Leser, die Experten sind sich einig: Künstliche Intelligenz (KI) soll in Zukunft unsere Arbeits- und Lebenswelt prägen. Durch künst- liche Intelligenz können Unternehmen in der Fertigungsindus- trie ihre Produktivität steigern und ihre Geschäftsmodelle opti- mieren. Und der Markt für KI-Lösungen birgt großes Potenzial: Laut einer neuen Prognose des Marktforschungs- und Bera- tungsunternehmens Gartner wird der weltweite Umsatz mit Software für künstliche Intelligenz im Jahr 2022 voraussicht- lich 62,5 Milliarden US-Dollar betragen. Das bedeutet einen Anstieg von mehr als 21 Prozent gegenüber dem Jahr 2021. Zum Thema KI gibt es aber auch großen Informationsbedarf. TITELANZEIGE: Grund genug für uns, ein Sonderheft zu starten, das sich aus- HEWLETT PACKARD ENTERPRISE schließlich mit der künstlichen Intelligenz in der Fertigungsin- dustrie befasst. Auf 32 Seiten präsentieren wir Ihnen zahlrei- VON DER AUTOMATISIERTEN che Fachbeiträge, die zeigen, wie es aktuell um den KI-Einsatz ZUR AUTONOMEN FERTIGUNG in der diskreten Fertigung aussieht und was Unternehmen beachten sollten, die mit KI-Lösungen starten wollen. In eini- Die Einführung von künstlicher Intelligenz (KI) in der Fertigung gen Beiträgen werden bereits konkrete KI-Projekte erläutert. scheitert oft beim Übergang Herzstück des Sonderhefts ist eine große Expertenumfrage, vom Proof of Concept (PoC) in an der 16 KI-Fachleute teilgenommen haben. Lesen Sie auf den Regelbetrieb. Die Ursache den Seiten 10 bis 15, wie weit industrielle KI-Anwendungen dafür liegt tiefer als fehlende bereits in die Praxis vorgestoßen sind und was mittelständi- KI-Expertise oder fehlendes sche Fertigungsunternehmen beachten sollten, wenn sie sich Budget – in vielen Fällen unterschätzen mit dem Thema KI beschäftigen wollen oder den Einsatz von Fertigungsunternehmen die systematischen KI-Lösungen planen. Herausforderungen der KI-Einführung. Gefordert ist ein ganzheitlicher Ansatz, der Mit der KI-Thematik im Mittelstand befasst sich auch der Ar- das gesamte Spektrum von kaufmännischen, tikel „KI-Projekte schnell umsetzen“ auf Seite 24 und zeigt, technischen und organisatorischen Abhän- wie Unternehmen des Technologie-Netzwerks it’s OWL in gigkeiten berücksichtigt. Hewlett Packard der Region Ostwestfalen-Lippe ihren eigenen Use Case im Enterprise (HPE) hat dafür eine spezifische Lemgoer KI-Reallabor erproben können – nach dem Motto: Methode entwickelt, die in der Titelstory Starten statt Warten. am Beispiel eines Metallverarbeiters erläutert wird. Dieser Betrieb hat begonnen, Viel Spaß bei Lesen! seine regelbasierte Automatisierung durch KI-Methoden zu ergänzen und die serielle Rainer Trummer Kopplung der Verarbeitungsstationen allmäh- Chefredakteur lich in ein System von flexibel ansteuerbaren Arbeitsstationen umzuwandeln. Kontakt: BESUCHEN SIE DIGITAL MANUFACTURING Hewlett Packard Enterprise AUCH AUF FACEBOOK, TWITTER, XING UND Herrenberger Straße 140 LINKEDIN. D-71034 Böblingen E-Mail: fertigung@hpe.com hpe.com/de/info/manufacturing www.digital-manufacturing-magazin.de KI in der Fertigungsindustrie 2022 3
INHALT 22 NEUER FAHRPLAN FÜR KI: Die zweite Ausgabe der deutschen Normungsroadmap KI steht in den Startlöchern und soll ab Ende 2022 die weitere Richtung vorgeben. Warum braucht es eine solche Richtschnur? Bild: envatomarket 24 KI-LABOR: Im KI-Reallabor in Lemgo können interessierte Unternehmen aus OWL ihren „Use Case“ erproben News – in neutraler Umgebung, auf Aktuelles aus der Branche 6 modernen Produktionsanla- gen und mit der Unterstüt- Titelstory: Ganzheitlicher Ansatz zung von KI-Experten. für die KI-Einführung Bild: Fraunhofer IOSB-INA Von der automatisierte zur autonomen Fertigung 8 Expertenumfrage: Künstliche Intelligenz in der Fertigungsindustrie Mit KI zur smarten Fabrik 10 Ethik und die Entwicklung von KI-Lösungen für den Shopfloor Auf Tuchfühlung 16 Leichter KI-Einstieg auch für Prozessverantwortliche Die verständliche KI 18 Mit Maschinellem Lernen Industrielle Abläufe optimieren TITELSTORY: 4 reife KI-Ansätze 20 ANSATZ FÜR DIE KI-EINFÜHRUNG Normung und KI Die KI-Einführung scheitert oft beim Übergang vom Neuer Fahrplan für KI 22 Proof of Concept in den Regelbetrieb. Vermeiden lässt sich das mit einem Ansatz, der das gesamte Das KI-Labor in Lemgo Spektrum von kaufmännischen, technischen und KI-Projekte schnell umsetzen 24 organisatorischen Abhängigkeiten berücksichtigt. KI-Trainer für KMU SEITE 8 Künstliche Intelligenz in den Mittelstand bringen 26 REDAKTIONELL ERWÄHNTE Digitalisierung der Fertigung INSTITUTIONEN, ANBIETER UND VERANSTALTER In fünf Schritten zum Smart Manufacturing 29 Artiminds Robotics S. 10, Asseco Solutions S. 10, AWS S. 20, CGI S. 29, Dataiku S. 6, DIN S. 22, Fraunhofer IAIS S. 11, EDITORIAL 3 Fraunhofer IPA S. 11, Hewlet Packard Enterprise S.8, 12, Hochschule Landshut S. 6, 12, IDS S. 6, IGZ S. 13, IMPRESSUM29 Industrie Informatik S. 13, it‘s OWL S. 11, KIT S. 13, Landesmesse Stuttgart S. 6, MHP S. 16, Micropsi Industries S. 15, Mitsubishi Electric S. 12, Mittelstand Digital S. 26, MPDV S. 15, PSI S. 18, Siemens S. 14, TQ-Group S. 15, Weidmüller S. 14 4 KI in der Fertigungsindustrie 2022 www.digital-manufacturing-magazin.de
ANZEIGE Digitaler Schichtwechsel Warum Unternehmen KI auch im Workforce-Management nutzen sollten Künstliche Intelligenz wird in vielen Unternehmen effektiv eingesetzt. Vor ihrem Einsatz im Workforce-Management schrecken aber noch viele zurück. Dabei gibt es handfeste Gründe, KI auch in der Personaleinsatzplanung zu verwenden. F ahrzeuge, die autonom durch Pro- duktionshallen steuern, Anwen- dungen, die selbstständig Liefer- ketten optimieren und Maschinen, Dank intelligenter die benötigte Reparaturen automatisch Software lassen anfordern – an KI-gestützte Systeme ha- sich auch komplexe ben wir uns längst gewöhnt. Schichtsysteme Der Grund für deren Siegeszug liegt leicht planen und darin, dass sie Muster in Abläufen er- managen. kennen, analysieren und automatisieren können, um sie effizienter zu machen. Darüber hinaus minimieren sie Risiken, da sie weniger anfällig für Fehler sind. Wenn es darum geht, das Personal möglichst effektiv einzusetzen, nutzen viele Unternehmen dennoch nach wie vor manuelle, nicht-automatisierte Pro- Mitarbeiter automatisch über Änderungen zesse. Dabei ist eine Mitarbeiterplanung informiert wird. mit KI heutzutage kein Luxus mehr – Dass dieser Punkt mehr als nur ein Nice- sondern eine Notwendigkeit, um in der to-Have ist, zeigt eine Studie aus dem Jahr oder die Unternehmensstruktur zu kom- schnelllebigen, dynamischen und ver- 2021: 70 Prozent der Beschäftigten wür- plex seien, als dass Systeme diese erfas- netzten Industrielandschaft von heute den ihren Arbeitgeber verlassen, wenn sen und optimieren könnten. und morgen zu bestehen. es an leistungsstarker und schneller Kom- Moderne Lösungen wie beispielswei- munikation mangelt2. Gerade in Zeiten se die KI-gestützte Software von shyft- Der Mehrwert einer des Fachkräftemangels kann es sich kein plan sind jedoch so skalierbar, dass sie KI-basierten Personalplanung Unternehmen erlauben, seine Mitarbeiter auch die höchsten Anforderungen an Das belegt eine aktuelle Studie von Forbes aus diesem Grund zu verlieren. Komplexität und Unternehmensgröße insights. Demnach wachsen Firmen, die Stichwort Mitarbeitermotivation: Da erfüllen. Zudem sorgt eine Einarbeitung KI-Systeme im Zusammenhang mit ihrem sie die Organisation und Verteilung von der Mitarbeiter dafür, die Angst vor einer Personalmanagement einsetzen, um bis Arbeit vereinfachen, bieten KI-basierte „Übernahme durch die Technik“ zu neh- zu 20 Prozent pro Jahr – ver- Systeme den Angestellten die men. Denn letztendlich ersetzt die KI die glichen mit 11 Prozent Wachs- Möglichkeit zur Partizipation. Menschen nicht – sondern unterstützt tum in Unternehmen, die dies Schichten können selbststän- sie. Und trägt so, Hand in Hand mit den nicht tun1. Gründe hierfür sind, dig angefordert oder getauscht Mitarbeitern, maßgeblich zum Unter- dass Unternehmen durch eine werden. Arbeitnehmer erhal- nehmenserfolg bei. agilere Personalplanung dy- ten so mehr Autonomie, was Mehr Informationen finden Sie unter namischer auf Anforderun- sich positiv auf ihr Engagement https://shyftplan.com. gen reagieren können. Wie und auf die Effizienz auswirkt. eine Umfrage unter Kunden des Anbie- 1 Empowering the Firstline Workforce: Techno ters shyftplan zeigt, lässt sich so der Per- Skalierbare Lösungen – auch für logy, Autonomy and Information Sharing sonalplanungsaufwand um bis zu 70 Pro- komplexeste Aufgaben geeignet Deliver Growth to Forward-Thinking Organi- zations. Studie. Forbesinsights, 2017 zent reduzieren. Auch wenn diese Vorteile nicht von 2 Harbinger-Consulting https://www.har- Von einer KI-basierten Lösung für der Hand zu weisen sind, zögern eini- binger-consulting.com/blog/warum-kuen- den Personaleinsatz profitieren auch ge Unternehmen noch immer, ihr Work- digen-mitarbeiter/, zitiert nach Jive Com- munications: The No. 1 Thing That Causes die Mitarbeiter, etwa durch eine klarere force-Management durch KI-Systeme zu Millennial Employees to Quit, https://fairy- und effizientere Kommunikation: Lange automatisieren. Das liegt an der Vorstel- godboss.com/articles/the-no-1-thing-that- Kommunikationswege fallen weg, da jeder lung, dass die Personaleinsatzplanung causes-millennial-employees-to-quit www.digital-manufacturing-magazin.de KI in der Fertigungsindustrie 2022 5
NEWS AI FUSION – 29. UND 30. SEPTEMBER IN STUTTGART IDS IMAGING DEVELOPMENT SYSTEMS Die KI-Szene trifft sich Mit der AI Fusion hat die Messe Stuttgart ein neues Busi- Mehrere neuro- ness-Event kreiert. Es soll ein Forum für die internationale nale Netze auf ein KI-Szene werden, um die Vernetzung über die Grenzen der bestehenden Communities hinweg zu fördern. Am 29. und Bild anwenden 30. September 2022 treffen sich internationale Vertreter aus Nutzern des Embedded-Vision-Systems IDS NXT Ocean stehen Bild: IDS Forschung, Start-ups, KMU, Großunternehmen und Gesell- neue Features zur Verfügung. Dazu gehören Multi-ROI („Regi- schaft auf dem Stuttgarter Messegelände. Geschäftsführer on Of Interest“) für KI-basierte Objektdetektion sowie die Mög- Roland Bleinroth erklärt: „Die AI Fusion ist nicht nur unse- lichkeit, per Vision App verschiedene neuronale Netze für ver- re erste Veranstaltung, die sich ausschließlich dem Thema schiedene ROIs in einem Bild zu nutzen. Dazu kommen Binning, Künstliche Intelligenz widmet, sondern setzt mit ihrem Fes- Linescan-Mode sowie Performance- und Konfigurations-Ver- tivalcharakter auch neue Akzente für Veranstaltungen auf besserungen. Neukunden können außerdem frei wählen, ob unserem Gelände.“ Dabei handelt es sich um eine Kombi- sie die zugehörige Trainingssoftware wie bisher von IDS ange- nation aus Ausstellung und Konferenz. Im dreigeteilten boten auf AWS oder per Microsoft Azure Cloud nutzen wollen. Konferenzbereich treffen sich KI-Experten, um Erfolge aus Der Funktions- und Leistungsumfang sowie die Bedienung der Wissenschaft und Wirtschaft, sowie gesellschaftspolitische Trainingssoftware ist bei beiden Hostern dieselbe. Statt eine ei- Fragen zum Thema KI zu diskutieren. Parallel zum KI-Event gene Entwicklungsumgebung einzurichten, können Anwender veranstaltet das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tou- direkt mit dem Trainieren des eigenen neuronalen Netzes begin- rismus Baden-Württemberg den Start-up BW Summit und nen – das soll selbst ohne Vorkenntnisse in Deep Learning oder bringt zusätzlich die Gründerszene aufs Stuttgarter Messe- Kameraprogrammierung funktionieren. Das Trainieren umfasst gelände. Zahlreiche Side Events und kreative Formate wie drei wesentliche Schritte: Beispielbilder hochladen, die Bilder Workshops, Kunstprojekte, Matchmaking und ein Hacka- labeln und anschließend das vollautomatische Training starten. thon runden die Veranstaltung ab. Der AI-Fusion-Campus Das erzeugte Netz ist für den Einsatz mit den IDS-NXT-Industrie- soll Hochschul-Flair beitragen: Hier präsentieren sich neben kameras optimiert. Wie das Tool funktioniert, davon können sich Mentorprogrammen auch Hochschulen mit Live-Vorlesun- Interessierte selbst ein Bild machen: IDS gewährt zur Online-KI- gen oder Vorstellungen von Studierendenprojekten. Trainingssoftware einen kostenlosen Probemonat. DATAIKU HOCHSCHULE LANDSHUT Neuer KI-Strategie-Berater Künstliche Intelligenz studieren Dataiku, Anbieter einer Enterprise-AI-Plattform, erweitert sein Team um Dr.-Ing. Sebastian Werner. Er soll als AI Evangelist ab Die Fakultät Informatik der Hochschule Landshut bietet sofort Kunden bei Themen wie Strategieentwicklung rund um zum Wintersemester 2021/22 den Studiengang Künstliche Künstliche Intelligenz beraten. Mit Fokus auf Zukunftsthemen Intelligenz an. Was erwartet die 40 Erstsemester in diesem wie „Responsible AI” oder „Digital Maturity” übernehme er dabei Bachelorstudiengang und in welchen Berufsbildern sind eine Schlüsselrolle, um die Digitale Transformatio erfolgreich vo- Absolventinnen und Absolventen besonders gefragt? Ziel ranzutreiben. Nach der Promotion im Chemieingenieurwesen an des Studiengangs sei es, Studierende in die Lage zu ver- der FAU Erlangen-Nürnberg mit Fokus auf Modellierung und Post- setzen, aktuelle Forschungsergebnisse aus dem Bereich Doc an der University of California, Berkeley hatte er seit 2014 ver- der Künstlichen Intelligenz zu verstehen, einzuordnen schiedene Führungspositionen im Clariant Konzern begleitet. Zu- und selbst zu implementieren. Dabei liegt der Fokus auf letzt war er Chief Technology Officer und einem soliden Fundament aus Informatik und Mathema- Geschäftsführer bei der Navigance GmbH, tik, ergänzt um praxisbezogene Data Science- und KI-Mo- wo er die Produkt- und Technologieent- dule. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Teilbereich des wicklung sowie den Aufbau der Ausgrün- maschinellen Lernens. Darüber hinaus bringen die Dozie- dung auf über zwanzig Mitarbeiter verant- renden den Studierenden auch ethische Aspekte der KI so- wortete. Basierend auf seiner Erfahrung im wie die Nachhaltigkeit von KI-Lösungen näher. Nach dem Bereich Modellierung, Data Science und erfolgreichen Studienabschluss stehen den Absolventin- Industrie 4.0 ist Dr. Werner regelmäßiger nen und Absolventen eine Vielzahl an Berufsfeldern offen. Sprecher und Moderator Konferenzen. Im Etwa Software Engineer oder Data Scientist. Weitere Ein- „Mein Ziel ist es, die Chancen Vorstand des Arbeitskreises Big Data und satzgebiete sind Computer Vision / Deep Learning Engi- im Megatrend ‚Nachhaltigkeit‘ Advanced Analytics des Bitkom e.V. und als neer, Natural Language Processing Specialist und Machi- mittels KI sichtbar zu platzie- Mitglied der German Data Science Society ne Learning Architect. Es bietet sich außerdem an, nach ren und gleichzeitig den verant- e.V., sowie im Programmteam des BigData. dem Bachelorstudium einen Master anzuschließen. An der wortungsvollen Umgang mit ai Summit der Bitkom- und der „Everyday Hochschule Landshut reicht das Angebot von Informatik der KI auf dem Weg von Vision zu Realität aufzuzeigen.”, AI“-Konferenzen von Dataiku bringt er sei- (M.Sc.) über Wirtschaftsinformatik (M.Sc.) bis zu Applied Dr. Sebastian Werner, Dataiku ne Expertise zu den Anwendern. Research in Engineering Sciences (M.Sc.). 6 KI in der Fertigungsindustrie 2022 www.digital-manufacturing-magazin.de
ANZEIGE Intelligente Lagerhaltung Automotive-Spezialist Suer setzt auf KI-Technologie von Asseco Kurze Lieferzeiten und hohe Flexibilität bei individuellen Kundenwünschen – die Marktanforderungen haben sich gewandelt, auch im Automotive- Bereich. Um künftige Herausforderungen erfolgreich zu meistern, setzt die Suer Nutzfahrzeugtechnik GmbH & Co. KG auf intelligente ERP-Technologie von Asseco Solutions. W er Auswahl wünscht, ist bei Am 1. Mai 2018 nahm die Suer goldrichtig: Der Ferti- Lösung ihren Produktivbe- ger und Großhändler aus trieb auf. Zu Beginn stand dem nordrhein-westfälischen vor allem die Abbildung der Wermelskirchen offeriert seinen Kunden Bereiche durch APplus im mehr als 20.000 Sortimentsartikel und ist Zentrum, für die die Altlö- Kugelkipplager von Suer im Einsatz. zudem auf die Produktion individueller sung keine Unterstützung Komponenten spezialisiert. Seit Ende der geboten hatte. So war in der Vergangen- die optimalen Kennzahlen generiert und 1990er Jahre setzte Suer auf eine Spezial- heit etwa eine umfassendere Produk- in Form eines Ampelsystems angezeigt, lösung für den Stahlhandel. Im Laufe der tionsplanung nicht möglich gewesen. beispielsweise zu Meldebeständen oder Zeit war diese jedoch nicht mehr in der Mit APplus wird der Fertigungsbereich einzuplanenden Wiederbeschaffungs- Lage, die Anforderungen und Abläufe des heute unter anderem durch zahlreiche zeiten. Per Kopfdruck lassen sich die Unternehmens vollständig abzudecken. Funktionen für Planung und Kalkulation Vorschläge der KI als neue Lagerpara- unterstützt. Mithilfe der APplus-Plan meter übernehmen. Moderne ERP-Lösung sorgt tafel etwa sind die Mitarbeiter in der für Transparenz in der Fertigung Lage, verfügbare und eingeplante Fer- Ausweitung geplant Aus diesem Grund begann Suer mit der tigungskapazitäten unmittelbar auf ei- Bisher nutzt Suer die Technologie für ein- Suche nach einer integrierten, modernen nen Blick zu erkennen. zelne Warengruppen. „Bereits hier kann ERP-Lösung. Letztendlich fiel die Wahl im man jedoch erkennen, dass Lagerver- Oktober 2015 auf APplus. Die Asseco- Intelligente Funktionen fügbarkeiten und Bestände durch die Lösung konnte unter anderem durch ihre für die Lagerhaltung Technologie deutlich optimiert werden“, Zukunftsfähigkeit überzeugen: Sie besaß Auch die Lagerhaltung wurde in der Ver- betont Head of IT Jan Feldmann. „Da die das Potenzial für künftige Erweiterungen gangenheit basierend auf manuellen Be- Kosten der globalen Beschaffung stark und ermöglichte dank ihrer Web-basie- rechnungen in Excel-Dokumenten aktu- gestiegen sind, profitieren wir sehr da- rung zudem eine einfache Anbindung alisiert – für ein Lagervolumen wie das von, dass wir etwa Wiederbeschaffungs- von Mitarbeitern im Außendienst. von Suer ein enormer Aufwand. Seit März zeiten schnell und flexibel anpassen kön- 2021 unterstützt Asseco mithilfe innova- nen. Wir planen daher, die Funktionalität tiver KI diesen Prozess. Sie untersucht Schritt für Schritt auf unseren gesamten die historischen Daten zu Verbräuchen, Lagerbestand auszuweiten.“ Aufträgen und Einkäufen und korreliert diese mit aktuellen und geplanten Auf- Asseco Solutions AG trägen. Dabei werden auch saisonale Faktoren in die Analyse miteinbezogen: So werden etwa Schleppergewichte, die Suer für den landwirtschaftlichen Ein- satz verkauft, in den Monaten vor der Ernte stärker nachgefragt als im restli- Amalienbadstraße 41C, D-76227 Karlsruhe chen Jahr. Auch Transportkosten lassen TEL.: +49 (0)7 21 / 9 14 32-9 00 sich berücksichtigen. E-MAIL: de.info@assecosol.com All diese Einflüsse kann man nach Be- Die Produkte von Suer kommen in der darf gewichten. Im Zuge eines Optimie- www.applus-erp.de Automotive-Branche zum Einsatz. Bilder: Suer rungslaufs werden in Sekundenschnelle www.digital-manufacturing-magazin.de KI in der Fertigungsindustrie 2022 7
TITELSTORY: GANZHEITLICHER ANSATZ FÜR DIE KI-EINFÜHRUNG Von der automatisierten zur autonomen Fertigung Die KI-Einführung in der Fertigung scheitert oft beim Übergang vom Proof of Concept in den Regelbetrieb. Vermeiden lässt sich das nur mit einem Ansatz, der das gesamte Spektrum von kaufmännischen, technischen und organisatorischen Abhängigkeiten berücksichtigt. VON MATTHIAS ROESE E in Betrieb bietet die Fertigung von kundenspezifischen Metallteilen und -gehäusen an. Das Werk verfügt über thermische Schneidmaschinen, Stanzen, Pressen und Schweißanlagen. Das Lager und die Fertigungsstatio- nen sind mittels regelbasierter Automatisierung zu einem rei- bungslos ineinandergreifenden Prozess verkettet. Diese Automatisierung wird für das Unternehmen aber zu- nehmend zum Problem, denn in den letzten Jahren sind die Losgrößen kontinuierlich kleiner geworden. Jedes neue zu fer- tigende Teil erfordert ein neues Einfahren der Anlagen, für je- den einzelnen Prozessschritt müssen Parameter bestimmt und getestet werden. Die Gesamtanlageneffektivität sinkt. Es waren solche Szenarien, die die Initiatoren des Industrie-4.0- Konzepts im Sinne hatten. Sie formulierten das Leitbild ei- ner sich selbst steuernden und sich selbst konfigurierenden Produktion, die im Idealfall auch bei Losgröße 1 die Effektivi- tät einer Massenproduktion hat. Damit wurde die künstliche Intelligenz (KI) de facto zum Treiber der vierten industriellen Revolution erklärt. Unterschätzte Herausforderungen der KI-Einführung Etliche Jahre und tausende Presseartikel und Analystenreports später ist die Situation allerdings ernüchternd. Laut einer Umfrage von YouGov und Hewlett Packard Enterprise (HPE) sagen 85 Prozent der Vorstände und Geschäftsführer in Deutschland, Österreich und der Schweiz, dass IN VIELEN FÄLLEN in ihrem Unternehmen keine KI- UNTERSCHÄTZEN FERTI- Methodiken zum Einsatz kom- GUNGSUNTERNEHMEN men. Ausschlaggebend für den geringen KI-Nutzungsgrad ist, DIE SYSTEMATISCHEN dass viele KI-Projekte nicht über HERAUSFORDERUNGEN eine Testphase, den so genann- DER KI-EINFÜHRUNG. ten Proof of Concept (PoC), hin- auskommen. Die Ursache dafür liegt tiefer als in der fehlenden KI-Expertise oder im fehlenden Budget – in vielen Fällen unterschätzen Fertigungsunterneh- men die systematischen Herausforderungen der KI-Einführung. Die Art und Weise, wie die PoCs aufgesetzt werden, ist da- für nur ein Symptom. Sie finden in der Regel in einer geschütz- ten Umgebung statt. Der Fokus liegt auf der Anwendung und dem Trainieren der KI-Modelle – aber es wird die Notwendig- keit vernachlässigt, die KI-Lösung in die bereits bestehen- de Informations- und Fertigungstechnologie und deren Pro- zesse einzubinden, etwa in das Lebenszyklus-Management von Anwendungen, die Security, betriebliche Planungs- und 8 KI in der Fertigungsindustrie 2022 www.digital-manufacturing-magazin.de
TITELSTORY: GANZHEITLICHER ANSATZ FÜR DIE KI-EINFÜHRUNG Steuerungsprozesse und die Betriebs fest. Das weitere Vorgehen folgt dann umzuwandeln. Diese sollen in der Lage sicherheit. Damit lässt sich weder die dem in Abbildung 1 dargestellten Kreis- sein, gleichzeitig verschiedene Aufträge technische Machbarkeit seriös belegen, lauf-Prozess. zu bearbeiten, und die Konfiguration soll noch kann man damit einen soliden Busi- selbstständig und im Idealfall ohne Test- ness Case kalkulieren. Data lauf geschehen. Build prep Ganzheitlicher Ansatz Auftrag für die KI-Einführung Monitor Train Daten-Plattform KI-Algorithmen Die Einführung von KI in der Fertigung Automatisiertes Lager Design (CAD) Material kann nur in einem ganzheitlichen Ansatz Abmessungen erfolgreich sein. Der PoC ist dabei nur die Deploy Spitze des Eisbergs – einer der letzten Schritte in einer logischen Folge von Ent- Abbildung 1: Kreislauf-Prozess einer Verfahren KI-Anwendung. Parameter scheidungen und Projekten: Aus Strate Schneiden Sensordaten gien leiten sich Initiativen ab, die sich mittels technischer, organisatorischer Technologie – Daten von den Anwendun- Prüfen und kultureller Transformations-Aktivitä- gen entkoppeln: Die zuvor beschriebe- ten umsetzen lassen. nen Prozesse finden in IT- und Ferti- Verfahren Parameter Umformen gungs-Umgebungen statt, die in vielen Sensordaten DIE EINFÜHRUNG VON KI IN DER FERTI- Unternehmen hochgradig fragmentiert Prüfen sind. Eine solche Umgebung versetzt der GUNG KANN NUR IN EINEM GANZHEIT- KI-Einführung spätestens nach dem PoC Verfahren LICHEN ANSATZ ERFOLGREICH SEIN. den Todesstoß. Die Grundlage für die Lö- Schweißen Parameter Sensordaten sung dieses Problems ist die Einführung Dafür hat HPE eine spezifische Methode einer datenzentrischen Architektur. Im Endkontrolle entwickelt, die unter anderem die fol- Kern entkoppelt sie die Daten von den genden Aspekte umfasst (eine ausführli- sie erzeugenden Applikationen, indem Abbildung 2: Flexible, autonome Abläufe in der Metallverarbeitung. che Beschreibung findet sich unter www. sie über eine zentrale Datendrehschei- Bilder: Hewlett Packard Enterprise hpe.com/de/info/manufacturing): be (Data Hub) kanalisiert werden. Jede Applikation fungiert als „Produzent“ von Dazu hat der Betrieb zunächst für ausge- ertschöpfung – Nutzen- und Kostenana- W Daten für den Data Hub, jede Abfrage ist wählte Verarbeitungsschritte präskriptive lyse: Die Wertschöpfung beim Einsatz „Konsument“ des umfassenden, verteil- Verfahren eingeführt, das heißt Hand- von KI entsteht durch Informationen, ten Datenbestands. lungsempfehlungen etwa für die Parame- Erkenntnisse und daraus abgeleitete terwahl auf der Grundlage von maschinel- (autonome) Handlungen und Prozes- Kompetenzen – interdisziplinäre Zusam- lem Lernen. Die Empfehlungen werden se. Die Wertschöpfungsanalyse bewer- menarbeit: KI-PoCs sind in vielen Fällen noch nicht autonom umgesetzt, sondern tet einerseits den Nutzen der mithilfe zu eindimensional aufgesetzt, weil sie zunächst von einem Fertigungsmitarbei- von KI gewonnenen Informationen; an- von Data Scientists ausgeführt werden, ter geprüft. In einem nächsten Schritt soll derseits ermittelt sie den Aufwand für die zwar viel von Daten und Modellen das System nun zu autonomem Handeln die Datenaufbereitung sowie Prozess-, verstehen, aber weniger von System- befähigt werden. So sollen beispielsweise Technologie- und Personalkosten. Das architekturen und IT-Prozessen – und die Ergebnisse der Qualitätsprüfung, falls Ergebnis ist der Business Case. schon gar nichts von den Abläufen in notwendig, eine dynamische, selbststän- einer Fabrik. Eine erfolgreiche KI-Einfüh- dige und anlagenübergreifende Justie- rozess – Entwicklung und Einführung P rung erfordert eine richtige Mischung rung der Parameter auslösen. der KI-Anwendung: Kommt die Wert- aus Kompetenzen aus verschiedenen Wie für die meisten anderen Unter- schöpfungsanalyse zu einem positiven Fachbereichen. nehmen ist es für diesen Betrieb noch Ergebnis, beginnt die Entwicklung und ein weiter Weg bis zur Realisierung ei- Einführung der KI-Anwendung. Diese Kontinuierlicher Übergang ner vollständig autonomen Fertigung – sollte einer DevOps-Philosophie folgen, von Automation zu Autonomie allerdings stellt es durch die beschriebe- bei der Fertigungs-, KI- und IT-Exper- Die gute Nachricht ist, dass es einen kon- ne ganzheitliche Vorgehensweise sicher, ten zusammenarbeiten (im KI-Kontext tinuierlichen Übergang von der Automa- dass es auf diesem Weg tatsächlich Fort- spricht man von MLOps und DataOps). tion zur Autonomie gibt. Das zeigt das schritte macht. RT Damit lässt sich sicherstellen, dass die Beispiel des zu Beginn genannten Metall- Integration in die IT- und Fertigungs- verarbeiters. Der Betrieb hat begonnen, Prozesse von Anfang an berücksichtigt seine regelbasierte Automatisierung MATTHIAS ROESE wird. Das KI-Lösungs-Design legt als durch KI-Methoden zu ergänzen und die ist Global Account erstes die zu verwendende KI-Methode, serielle Kopplung der Verarbeitungssta- Director bei Hewlett die zu verwendende Software sowie die tionen allmählich in ein System von fle- Packard Enterprise. Trainingsdaten und deren Aufbereitung xibel ansteuerbaren Arbeitsstationen www.digital-manufacturing-magazin.de KI in der Fertigungsindustrie 2022 9
EXPERTENUMFRAGE: KÜNSTLICHE INTELLIGENZ IN DER FERTIGUNGSINDUSTRIE Mit KI zur smarten Fabrik Systeme, die auf künstlicher Intelligenz basieren, sind schon heute in der Lage, viele Aufgaben schneller und zuverlässiger zu erledigen als der Mensch. KI ist deshalb einer der wichtigsten Motoren für die digitale Transfor- mation und eine wichtige Schlüsseltechnologie für die Smart Factory. Wie weit KI in der industriellen Praxis bereits vorgedrungen ist, erläutern Ihnen 16 KI-Experten. VON RAINER TRUMMER FRAGEN AN DIE EXPERTEN: einem Partner auf den Weg zu machen. Dann gibt es für An- wender keinen Grund mehr, vor dem Einsatz von KI zurück- 1 K I-Anwendungen für den industriellen Einsatz sind häufig noch ein zuschrecken. Ich bin fest davon überzeugt, dass es sich lohnt, Forschungsthema und werden hauptsächlich in Demonstratoren und sich möglichst früh mit KI zu beschäftigen und im Rahmen von KI-Laboren gezeigt. Wie weit sind industrielle KI-Anwendungen bereits ersten praktischen Projekten – also hands-on – Erfahrungen zu in die Praxis vorgestoßen? sammeln. Nur so bekommt man ein Gefühl für die Sache, kann 2 B itte nennen Sie uns ein Beispiel für einen erfolgreichen KI-Einsatz in die Potenziale und Grenzen einschätzen und die Technologie der Fertigungsindustrie! im nächsten Schritt gewinnbringend einsetzen. Je früher man anfängt, desto früher kommt man zu diesem profitablen Punkt. 3 as sollten mittelständische Fertigungsunternehmen beachten, wenn W Je länger man wartet, desto mehr gerät man ins Hintertreffen. sie sich mit dem Thema KI beschäftigen wollen oder den Einsatz von KI-Lösungen planen? Christian Leopoldseder Managing Director Austria Dr.-Ing. Darko Katić bei Asseco Solutions Senior Teamleiter Künstliche Intelligenz bei ArtiMinds Robotics 1. Aus meiner Sicht befinden wir uns gerade an einem Punkt, an dem der erste KI-Hype in eine geerdetere Sicht- 1. KI-Anwendungen sind in der Industrie punktuell vorhan- den; der breite Einsatz ist jedoch noch nicht zu sehen. Das liegt meist nicht an den Algorithmen selbst, sondern an der Peri weise der Technologie übergeht. Während viele Mittelständler bislang skeptisch waren, liefern heute immer mehr reale Kun- denprojekte konkrete Erfahrungswerte, was wiederum das In- pherie: Oft fehlt die IT-Infrastruktur, um fortschrittliche Anwen- teresse anderer Unternehmen weckt. Es gilt jedoch, realistische dungen zu unterstützen. Wo und wie werden die Daten vorgehal- Einsatzmöglichkeiten aufzuzeigen und sowohl über das Poten- ten und Ergebnisse maschinen- und echtzeitnah zur Verfügung zial als auch über Grenzen der Technologie aufzuklären. Nur so gestellt? Wie lassen sich Know-how schützen und NDAs einhal- können wir sicherstellen, dass wir die Kunden auf dem Weg in ten, ohne den notwendigen Fluss der Daten zu behindern? Wie die intelligente Zukunft wirklich mitnehmen. können die Verfahren (und Updates) zertifiziert und freigegeben werden, was kann man tun, wenn es Probleme gibt? Das alles sind Fragen, die man vor einer breiten Adaption klären muss. 2. Ein schönes Beispiel ist die Springer Maschinenfabrik, bei der KI zur Prozessautomatisierung genutzt wird. Dazu hat unser KI-Algorithmus zunächst die konkreten Abläufe 2. ArtiMinds selbst betreibt erfolgreich Algorithmen zur Teachpunkt-Optimierung (TPO), das heißt, Optimierung von Anfahrpunkten in der Industrierobotik zur Minimierung von Springer analysiert und den Mitarbeitern in der täglichen Arbeit quasi über die Schulter geschaut. Auf Basis dieser Daten war die KI dann in der Lage, die Prozesse zu identifizieren, die in der Zykluszeiten bei hoher Chargenvarianz. Auch Verfahren zur der Regel immer gleich ablaufen und eigentlich kein mensch- bildbasierten Qualitätsprüfung sind im Einsatz. liches Eingreifen erfordern – etwa Routinebestellungen. Knapp 30 Prozent aller Bestellvorgänge konnten so automatisiert wer- 3. Gerade wenn man keine Kompetenz im Haus hat und schnell vorankommen möchte, ist es wichtig, sich mit den, wodurch die Mitarbeiter freie Kapazitäten für wertschöp- fende Aufgaben gewinnen. 10 KI in der Fertigungsindustrie 2022 www.digital-manufacturing-magazin.de
EXPERTENUMFRAGE: KÜNSTLICHE INTELLIGENZ IN DER FERTIGUNGSINDUSTRIE Bild: zhu difeng/AdobeStock 3. Da gibt es aus meiner Sicht eine klare Antwort: Sorgen Sie beizeiten für saubere Datenbestände! Die Funktionsweise von KI beruht darauf, in großen Datenmengen Korrelationen zu rithmus ist schwierig und erfordert Expertenwissen. Neuronale Netze können diesen Aufwand erheblich reduzieren. Ein weite- res KI-Anwendungsgebiet ist die vorausschauende Instandhal- identifizieren. Sind jedoch zum Beispiel Wareneingänge oder Be- tung, sodass man im Vorhinein weiß, wann die Lebensdauer ei- stellungen nicht einheitlich oder vollständig verbucht, wird die ner bestimmten Produktionsmaschine endet. KI bestehende Zusammenhänge nicht erkennen können oder zu falschen Schlussfolgerungen kommen. Selbst die beste KI ist im- mer nur so gut wie die Datensätze, mit denen sie gefüttert wird. 2. Die Firma Trumpf verkauft das KI-basierte Assistenzsystem „Sorting Guide“, das gemeinsam mit uns entwickelt wurde und Mitarbeiter beim Absortieren von lasergeschnittenen Blech- bauteilen unterstützt. Die KI-Lösung erkennt den Entnahmevor- gang und gibt dem Werker Informationen für die Intralogistik. So Dr. Gunar Ernis stellt es zusammengehörende Blechteile in verschiedenen Far- Leiter des Geschäftsfeldes „Industrial Analytics“ ben übersichtlich dar, zum Beispiel anhand des Auftrags, des Kun- am Fraunhofer IAIS den oder des folgenden Bearbeitungsschritts. Die Lösung ersetzt Begleitpapiere, spart Zeit und hilft, Fehler zu vermeiden. 1. Die Aussage zu Demonstratoren und KI-Laboren stimmt, wenn man den gesamten Produktionsprozess betrach- tet. Dieser ist häufig sehr komplex, und eine große Herausfor- 3. Wir haben eine dreistellige Zahl vielfältigster KI-Projekte mit Unternehmen durchgeführt. Basierend darauf habe ich vier Empfehlungen. Erstens sollte man zunächst an einzel- derung besteht zum Beispiel in der KI-unterstützten Steue- nen Prozessschritten arbeiten, um erste Kenntnisse, Einsichten rung des gesamten Prozesses. Geht es um die Unterstützung und Vertrauen in KI zu schaffen. Zweitens sollten früh nützliche menschlicher Entscheidungen, so sieht es anders aus. Solche Anwendungsfälle identifiziert werden. Kurze Entwicklungszyk- gezielt eingesetzten Systeme, die nur einen kleinen Teil des len helfen, schnell voranzukommen und einen ersten Prototyp Produktionsprozesses betreffen, finden sich schon häufiger zu erhalten. Drittens sollten Unternehmen auf den Mehrwert und länger in der Praxis. achten, der über den Projekterfolg entscheidet. Und viertens sollten alle Mitarbeiter ‚mitgenommen‘ und von den Vorteilen 2. Ein Anwendungsfall, der bereits seit zirka fünf Jahren in der Praxis verwendet wird, ist die automatische Erken- nung von Fertigungsfehlern anhand von Bildern. Im konkreten überzeugt werden, um Akzeptanz zu schaffen. Beispiel geht es um die Erkennung von Lötbrücken bei der Pro- duktion von elektronischen Leiterplatinen. Basierend auf Rönt- Prof. Dr. Roman Dumitrescu genaufnahmen der Platinen lassen sich Fehler automatisiert er- Geschäftsführer Strategie, FuE kennen, was die manuelle Qualitätsprüfung unterstützen kann. it’s OWL Clustermanagement 3. Mittelständische Unternehmen, die KI nutzen wollen, soll- ten zunächst ihr eigenes geschäftliches Umfeld sondieren und herausfinden, wie die eigene Branche mit Daten umgeht und 1. Das hängt ganz vom Anwendungsfall und der Branche ab. Es gibt tatsächlich bereits zahlreiche KI-Lösungen am welche Technologien und Fähigkeiten bereits etabliert sind. Dann Markt, die faktisch schon Standard sind, zum Beispiel Bildver- muss eine Entscheidung getroffen werden, ob man sich etwas arbeitungssysteme. Dank KI lassen sich mittlerweile automa- abschauen kann oder ob man vielleicht sogar eine Führungsrol- tisch Fehler in bestimmten Fertigungsprozessen durch Indus le übernehmen möchte. Die Entscheidung, KI oder andere daten- triekamerasysteme erkennen. Das ist keine Rocket Science mehr. getriebene Verfahren zur Unterstützung der Prozesse im Betrieb Aber: KI ganzheitlich, zum Beispiel für eine komplette Fabrik, zu einzusetzen, sollte auf hoher Ebene im Unternehmen verankert erschließen, das ist eine ganz andere Geschichte. So arbeiten sein. Wenn KI kein Bestandteil der Unternehmensstrategie ist, wir unter anderem mit den Firmen Claas und Schmitz Cargo- führt dies häufig zu hohen Investitionen bei sehr bescheidenem bull in unserem Projekt Datenfabrik.NRW daran, die Daten über Erfolg. Insbesondere der Übergang von Proof of Concepts in den die gesamte Wertschöpfungskette mit Hilfe von KI-Ansätzen Produktivbetrieb ist eine Sollbruchstelle für viele Unternehmen. durchgängig und nutzbringend einzusetzen. Die gemeinsame Arbeit von Forschungsinstituten und Industrieunternehmen ist sicherlich der Schlüssel, um KI-Ansätze in die Praxis zu bringen. Prof. Dr.-Ing. Marco Huber Leiter der Abteilung Bild- und Signalverarbeitung sowie des Zentrums für Cyber Cognitive Intelli- 2. Wir beschäftigen uns in vielen Projekten mit der Zustands- überwachung von Maschinen und Anlagen mittels KI. Vie- le dieser Ansätze finden mit der Zeit auch den Weg in den Pro- gence (CCI) am Fraunhofer IPA duktivbetrieb der Unternehmen oder deren Kunden. So lässt sich beispielsweise der optimale Betriebspunkt von Industrie-Separa- 1. Die Praxisreife hängt sehr vom Einsatzgebiet ab. Die gro- ßen Durchbrüche gelingen derzeit in der Bildverarbeitung toren bei unserem Partner GEA dank KI-Algorithmus einstellen. und Computer Vision, zum Beispiel für die Qualitätskontrolle. Die Entwicklung eines guten bildbasierten Qualitätskontroll-Algo- 3. Ohne die richtige Expertise ist es natürlich schwierig, maßgeschneiderte KI-Lösungen in die eigene Ferti- www.digital-manufacturing-magazin.de KI in der Fertigungsindustrie 2022 11
EXPERTENUMFRAGE: KÜNSTLICHE INTELLIGENZ IN DER FERTIGUNGSINDUSTRIE FRAGEN AN DIE EXPERTEN: gung oder in das eigene Pro- zeiten, zum Bespiel in der Bilderkennung. Von daher macht der duktportfolio zu integrieren. Einsatz von KI im Mittelstand auf jedem Fall Sinn. Denn inte 1 KI-Anwendungen für den indus- Gerade kleinere Unterneh- grierte KI kann schon heute Prozesse optimieren, Qualität stei- triellen Einsatz sind häufig noch men verfügen nicht über Data gern und Ausschuss vermeiden. ein Forschungsthema und werden Scientists, die sich um diese hauptsächlich in Demonstratoren Entwicklung kümmern kön- und KI-Laboren gezeigt. Wie weit nen. Hier heißt der Schlüssel sind industrielle KI-Anwendungen bereits in die Praxis vorgestoßen? zum Erfolg Kooperation. In un- Dr. Bernd Bachmann serem Technologienetzwerk Advisor Big Data & AI 2 Bitte nennen Sie uns ein Beispiel für it’s OWL spielt daher der Tech- bei Hewlett Packard Enterprise einen erfolgreichen KI-Einsatz in der nologietransfer zu KMU eine Fertigungsindustrie! wichtige Rolle. In der Mehrzahl 3 Was sollten mittelständische Fertigungsunternehmen beachten, von unseren Transferprojekten geht es um den Einsatz von KI- Lösungen in der Produktion. 1. Die Kernfrage dahinter lautet: Warum schaffen es KI-Pro- jekte oft nicht bis zum industriellen Einsatz? Je nach Stu- die sind das zwischen 60 bis 80 Prozent. Es liegt nicht an der feh- wenn sie sich mit dem Thema KI beschäftigen wollen oder den Einsatz Durch die enge Zusammenar- lenden Reife der Technologie, sondern an Rahmenbedingungen, von KI-Lösungen planen? beit von Experten aus der Fer- die oft nicht ausreichend berücksichtigt werden. Dazu gehören tigung mit KI-Expertinnen und zum Beispiel fehlendes gegenseitiges Verständnis zwischen Ge- -Experten aus der Forschung können so passgenaue Lösungen schäftsbereich und IT-Abteilung, fehlende Skalierbarkeit der PoC- entwickelt und Know-how aufgebaut werden. Umgebungen für den Regelbetrieb, fehlende MLOps-Prozesse usw. Nur die Berücksichtigung aller dieser Aspekte führt zum echten Einsatz von KI in produktiven Systemen. Thomas Lantermann Senior Consultant Digitalization, FA Industrial Automation Systems 2. Viele unserer Kunden in der fertigenden Industrie nutzen KI-basierte Videoanalysen, um ihren Qualitätssicherungs- prozess zu automatisieren. Dabei werden anhand von Referenz- bei Mitsubishi Electric bildern falsche Konfigurationen, Schäden usw. erkannt. Bei hoher Variantenvielfalt setzten wir dabei disaggregiertes Bildmaterial 1. KI ist weiter verbreitet, als man denkt. Denn sie befin- det sich schon in den unterschiedlichsten Automatisie- rungsapplikationen. Mitsubishi Electric hat seine konzern- ein, das je Produkt anhand der jeweiligen Stückliste zu einem in- dividuellen Referenzbild zusammengesetzt wird. Dadurch lässt sich die Trainingszeit der KI-Modelle signifikant reduzieren. eigene KI-Technologie Maisart in viele seiner Komponenten integriert. Das bietet dem Kunden schnelle Optimierungs- möglichkeiten. Zwei Beispiele hierfür sind die vorbeugende Wartung und Optimierung bei unseren Robotern und Fre- 3. Im Endeffekt geht es für das Unternehmen darum, Wert aus Daten zu generieren. KI ist dabei nur ein Baustein. Ebenso wichtig sind andere Aspekte: Hat mein Unternehmen quenzumrichtern, aber auch die Prozessanalyse durch unsere eine Datenstrategie? Haben wir die notwendigen Kenntnisse? Real Time Data Analyzer-Software. Das Schöne daran ist: Man Binde ich auch Daten von Kunden und Lieferanten ein? Verwal- muss kein Datenanalytiker sein, um eine schnelle Optimie- te ich die Daten nach einem einheitlichen Konzept? Auch für rung zu erreichen, denn dies erledigen die vortrainierten Sys- ein mittelständisches Unternehmen gilt, dass nur Investitionen teme der K I-Maisart-Lösung. über all diese Bereiche zu einem optimalen Ergebnis führen. Ein guter Startpunkt für ein solches ganzheitliches Vorgehen ist das 2. Bei der Produktion von Spritzgussteilen kommt es häu- fig zu Verlaufspuren. Diese stellen keine Qualitätsmän- gel dar, Kunden werten dies aber häufig so. Daher werden sol- Online-Self-Assessment, das wir speziell dafür entwickelt haben. che Teile ausgemustert. Wenn man sie in der Produktion jedoch schon weiterverarbeitet hat, kann dieses Aussortieren sehr Prof. Dr. Eduard Kromer teuer werden. Durch den Einsatz von Maisart lässt sich schon Professor für Künstliche Intelligenz an der Hochschule Landshut, beim Spritzen des Bauteils durch Echtzeitdaten-Auswertung Fakultät Informatik der Fehler erkennen und das Teil aussortieren. Dadurch wird teure Nacharbeit vermieden, und das Bauteil kann erneut zum Spritzgießen benutzt werden. Durch einfachen Einsatz von KI lässt sich hier viel Geld sparen. 1. Die breite Einführung von KI in Unternehmen ist ein kom- plexer Prozess. Sie erfordert Zeit, Kapital und einen syste- matischen Ansatz, wenn sie dauerhaft erfolgreich sein soll. Gleich- 3. Ein Tipp: Erst einmal klein anfangen. Denn es besteht die Gefahr, sich in den Tiefen neuronaler Netzwerke der KI zu verstricken. Es existieren integrierte, vorgefertigte KI-Lösungen wohl sind spezielle industrielle KI-Anwendungen bereits in der Praxis angekommen und werden in der Produktion genutzt, was Unternehmen wie BMW, Siemens oder Bosch eindrucksvoll bewei- für die Automatisierung, die dem Kunden mit wenig Aufwand sen. BMW und Bosch zählen zum Lenkungsausschuss der Open und Hintergrundwissen in kürzester Zeit einen Return of Invest- Manufacturing Plattform und wollen damit die Digitalisierung im ment bescheren. Vorgeschulte KI reduziert Inbetriebnahme Fertigungsbereich mit einer offenen Plattform vorantreiben. 12 KI in der Fertigungsindustrie 2022 www.digital-manufacturing-magazin.de
EXPERTENUMFRAGE: KÜNSTLICHE INTELLIGENZ IN DER FERTIGUNGSINDUSTRIE 2. Ein gutes Beispiel dafür ist die automatisierte optische Inspektion bei der Fertigung, zum Beispiel bei BMW. 3. Mittelständische Fertigungsunternehmen sollten beim Thema KI erst einmal klein anfangen, die ersten Schrit- te damit machen und von dort aus wachsen. Man muss nicht Bernhard Falkner CTO von Industrie Informatik plötzlich und überstürzt alle bestehenden Prozesse umwerfen und auf KI umstellen. Man sollte Optimierungspotenziale in seinen Produktionsprozessen identifizieren und dann heraus- finden, ob KI eine adäquate Lösung darstellen kann, um diese Potenziale zu nutzen. Wenn die dafür nötige Expertise nicht be- 1. Künstliche Intelligenz ist eine DER Schlüsseltechnologien auf dem Weg zur Smart Factory. Kontinuierlich hält sie Einzug in den verschiedensten Bereichen der Fertigungswelt. reits im Unternehmen existiert, eignen sich Hochschulen her- Auch wir haben uns dem Thema in Form verschiedener For- vorragend als Partner, um diese ersten Schritte zu gehen. Man schungsprojekte angenähert. Mittlerweile verfügen wir auch kann mit der Hochschule Landshut und dem KI-Innovations über marktreife Lösungen. labor oder über Abschlussarbeiten erste Einblicke in das Poten- zial von KI-Anwendungen im eigenen Unternehmen gewinnen. Weiterhin planen wir ein KI-Kompetenzzentrum zur Vernet- zung der KI-Kompetenzen an der Hochschule und als zentralen 2. Eines dieser Einsatzfelder ist die Fertigungsfeinplanung, die in ihrer Komplexität sehr stark von KI profitieren kann. Ziel und Nutzen der künstlichen Intelligenz ist es, die Fertigungs- Anlaufpunkt für die Beratung im Bereich der künstlichen Intel- feinplanung technologisch gestützt, wie einen intelligenten Pla- ligenz. Industriepartner können es gerne nutzen. Mit unserem ner, selbstlernend agieren zu lassen. Wir beschäftigen uns seit 30 KI-Studiengang sorgen wir zudem für qualifizierten Nachwuchs Jahren mit der Fertigungsfeinplanung und sehen darin eine ech- im KI-Bereich, der dringend benötigt wird. te Revolution in der Produktionsplanung. Die neuen Technolo- gien sollten allerdings nicht als Ersatz für Planungspersonal ge- sehen werden, sondern den Mitarbeitern die Arbeit erleichtern und dabei die Effizienz signifikant erhöhen. Christian Köllner 3. Bereichsleiter und Director Man muss sich nicht immer intensiv mit dem Thema KI SAP Manufacturing-Projekte bei IGZ beschäftigen, um sie auch für sich nutzen zu können. Mit einer Out-of-the-box Predictive-Analytics-Lösung ermögli- chen wir unseren Usern beispielsweise rasch und effizient den 1. Das stimmt. Viele KI-Anwendungen entstehen initial in einer Laborumgebung und werden dann als Proof of Concept im realen Anwendungsfall ausgeprägt und verfeinert. Blick in die Glaskugel ihrer Fertigung. Damit lässt sich der Auf- wand für Datenaufbereitung drastisch reduzieren. So wird auch klein- und mittelständischen Unternehmen der Zugang zu Wir haben bei unseren eigenen Forschungen jedoch schnell er- KI-Lösungen ermöglicht. Zuverlässige Prognosen zu Ausschüs- kannt, dass erst Erfahrungen und Inputs aus der realen Ferti- sen, Arbeitsplatzstörungen, Qualitätsstatus, usw. sind Ergebnis- gungsindustrie den Einsatz wirklich nutzbringend machen. Ge- se, die damit ohne tiefes Fachwissen im Bereich KI erreicht wer- nerell ist man jetzt schon einen Schritt weiter: KI-Algorithmen den können. Und wenn nötig, kann man diese Lösungen auch werden bereits mit Erfolg in der Praxis eingesetzt. erweitern und individuell anpassen. 2. Ein gutes Beispiel dafür ist IDA2, das schon mit Erfolg in der Industrie zum Einsatz kommt: Dabei handelt es sich um ein bildverarbeitendes, selbstlernendes Werkerassistenz- Prof. Dr.-Ing. Gisela Lanza system, welches mittels KI-Techniken Prüfverfahren mit einer Leiterin des wbk Instituts für Produktionstechnik Muster- und Anomalie-Erkennung ermöglicht. Diese Erken- am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) nungslogik kann mit einem Editor einfach angepasst und ein- gelernt werden. Neben dem Werkstückzustand werden dabei auch Bewegungen und Materialentnahmen ausgewertet. Da- bei handelt es sich um eine IGZ-Neuentwicklung in Form eines modularen, einfach konfigurierbaren Systems, das sich direkt in 1. Die Integration von KI-Anwendungen in Prozesse und Produktionsumgebungen erfordert viele Daten, ein um- fassendes spezifisches Prozess- und Produktionswissen sowie SAP einbinden lässt. fortgeschrittene Kenntnisse über KI-Algorithmen. Deshalb set- zen zunächst Demonstratoren oder Reallabore, wie etwa die glo- 3. Für mittelständische Fertigungsunternehmen besteht die größte Herausforderung bei KI darin, gezielt die benötig- te Datenbasis zu erfassen und nicht anstelle dessen ein unkon bale Lernfabrik am wbk Institut für Produktionstechnik des KIT, zunehmend komplexere KI-Anwendungen ein. Diese bilden den Kern für die breite industrielle Anwendung, indem Wissen kre- trollierbares‚Datengrab‘ zu schaffen. Um die KI-Anwendung hand- iert, A lgorithmen entwickelt und durch Schulungen sowie aus- lebar und nachvollziehbar zu halten, ist es sinnvoll, mit einem gebildete Ingenieure der Zukunft eine gezielte Verbreitung er- kleineren und nicht zu komplizierten Anwendungsfall zu starten. wirkt wird. Ein weiteres Nadelöhr besteht in den heterogenen Dafür empfehle ich, einzelne dedizierte Use-Cases auszuwählen, Daten. In der Praxis findet sich eine zunehmende Anzahl an ehe man eine überfrachtete Gesamtanforderung definiert. KI-Anwendungen im Bereich von Zustandsanalysen, Qualitäts- www.digital-manufacturing-magazin.de KI in der Fertigungsindustrie 2022 13
EXPERTENUMFRAGE: KÜNSTLICHE INTELLIGENZ IN DER FERTIGUNGSINDUSTRIE FRAGEN AN DIE EXPERTEN: auswertungen und Vorhersa- barkeit. Erfolgskritisch war dabei, neben dem gezielten Einsatz gen. Häufig jedoch bleiben die von KI/ML, auch das Verfahrens-Know-how der Anlagenexper- 1 KI-Anwendungen für den indus- Daten separiert und große Po- ten des Maschinenbauers sowie der Endanwender. triellen Einsatz sind häufig noch tenziale einer gesamtheitlichen ein Forschungsthema und werden hauptsächlich in Demonstratoren und KI-Laboren gezeigt. Wie weit sind Datenlandschaft ungenutzt. 3. Im Rahmen der Digitalisierung gibt es eine Vielfalt an neu- en Themen, für deren Bewältigung besonders im Mittel- industrielle KI-Anwendungen bereits in die Praxis vorgestoßen? 2. KI lässt sich beispiels- weise zur erfolgreichen kamerabasierten Identifikation stand nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung stehen. Jedes einzelne Thema ist zu bewerten und nach Bedarf umzusetzen – von Cloud über Cyber Security bis KI/ML. Eine Möglichkeit ist die 2 Bitte nennen Sie uns ein Beispiel für von Objekten einsetzen. So Umsetzung im eigenen Team mit No-code-/Low-code-Tools, die einen erfolgreichen KI-Einsatz in der kann man Produkte verfolgen eine schnelle Einarbeitung und Implementierung durch die ei- Fertigungsindustrie! oder die Abnutzung an kriti- genen Fachexperten ermöglichen. Die Alternative sind externe 3 Was sollten mittelständische schen Bauteilen, wie am Ku- Partner mit fundiertem Know-how und Erfahrung, bei denen der Fertigungsunternehmen beachten, gelgewindetrieb einer Mehr- konkrete Bedarf zu den jeweiligen Themen zielgerichtet abgeru- wenn sie sich mit dem Thema KI achsmaschine, bestimmen. fen werden kann. Wichtig ist in jedem Fall, den eigenen Master- beschäftigen wollen oder den Einsatz Darüber hinaus lassen sich Aus- plan in der Hand zu halten und die Umsetzung mit Augenmaß so von KI-Lösungen planen? lastung und Durchlaufzeiten in über die Zeit steuern zu können. einer Werkstattfertigung intel- ligent optimieren – wie im Forschungsprojekt ProData. Auch im Produktentstehungsprozess kann KI verwendet werden, um Pro- duktdesignvorschläge vor dem Hintergrund des eigenen Maschi- Dr. Matthias Loskyll nenparks zu ermöglichen – etwa im Projekt AIAx. Director Autonomous Factory and Industrial AI bei Siemens Factory Automation 3. Zentral ist es, Daten und Industrie-4.0-Lösungen struktu- riert zu vernetzen, damit keine Insellösungen entstehen. Durch Einbindung von Experten, die sowohl die Sprache der Pro- duktion als auch KI verstehen, entstehen nachhaltigere, effizien- tere Lösungen. 1. KI findet bereits in vielen Bereichen der Industrie An- wendung und wächst stetig weiter. Im Bereich Automo- tive wird zum Beispiel mit KI die Qualität von Schweißpunkten geprüft und damit der manuelle Testaufwand reduziert. In der Lebensmittelproduktion wiederum profitiert man von auto- matischer Erkennung und Klassifizierung von Teiglingen oder Dr.-Ing. Rolf Sohrmann Fleischbestandteilen. Auch in der Elektronikbranche hilft KI, um Business Development Manager unter anderem Leiterplatten auf vollständige Bestückung zu Industrial Analytics & IoT bei Weidmüller überprüfen und dadurch eine manuelle Prüfung und Nachbear- beitung einzusparen. Für viele Unternehmen ist es jedoch noch eine große Herausforderung, um vom Konzeptnachweis zum 1. Die Digitalisierung als Ganzes in der Industrie voranzu- treiben, ist ein Kraftakt. Dabei ergänzen KI/ML die beste- kontinuierlichen Betrieb von KI-Anwendungen zu kommen. henden Automatisierungslösungen durch neue, bisher nicht zu erzielende Erkenntnisse und sind somit ein wichtiger Baustein. Einige Unternehmen sind dabei schon auf einem guten Weg; 2. Ein erfolgreicher Einsatz von KI zeigt sich beispielsweise in der Elektronikfertigung. Hier reduziert sich der manu- elle Aufwand bei der Sichtprüfung von Platinen mittels KI und in der Breite benötigt es allerdings noch Zeit, um diese Heraus- Edge um bis zu 90 Prozent. Dies wird durch eine KI-Analyse des forderung in Summe zu meistern. Der Aufwand liegt sowohl gesamten Wertschöpfungsflusses ermöglicht. Damit lässt sich bei der Hardware, beispielsweise für Datenakquise und Kom- sicherstellen, dass Leiterplatten, die bei der automatischen munikation, als auch bei der Software. Das sind evolutionäre Sichtprüfung Auffälligkeiten gezeigt haben, nur dann manu- Schritte, die sich sicher noch über dieses Jahrzehnt entwickeln ell untersucht werden, wenn tatsächlich ein Fehler vorliegen werden. Unterstützend wirkt dabei, dass sich zunehmend stan- könnte. Das spart wertvolle Ressourcen und erhöht gleichzeitig dardisierte ML-Modellformate und Schnittstellen im Markt ent- den Anlagendurchsatz. wickeln, die eine effizientere Integration der heterogenen Sys- teme ermöglichen. 3. Wichtig ist zunächst zu spezifizieren, welches Ziel mit dem KI-Einsatz verfolgt wird. Entscheidend ist ein me- 2. Ein gutes Beispiel kommt von einem Maschinenbauer mit einer Anwendung in der Verbindungstechnik, dem Rührreibschweißen. Um die Qualität dieser Schweißnähte thodisches Zusammenspiel von KI- und Fertigungsexperten entlang des gesamten KI-Lebenszyklus. Denn industrielle KI muss robust, verlässlich und vertrauenswürdig sein. Siemens sicherzustellen, werden die in dem Prozess wirkenden Kräfte bietet hierfür passende Softwareprodukte und Services an. und Momente mittels gezielter Datenanalyse und zuvor auf Re- Zudem arbeiten wir mit einem Netzwerk an Partnern, brin- ferenzdaten trainierten ML-Modellen kontinuierlich überwacht. gen die nötige KI-Expertise und das Domainwissen mit. Dabei Zudem geben sich durch die durchgeführte Datenauswertun- setzen wir auf eine robuste und zuverlässige Hardware- und gen konkrete Hinweise zur voraussichtlichen Anlagenverfüg- KI-Modellüberwachung, um KI industrietauglich zu machen. 14 KI in der Fertigungsindustrie 2022 www.digital-manufacturing-magazin.de
Sie können auch lesen