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Heft 4 / 2015 Das Magazin der Medizinischen Dienste der Krankenversicherung Vorbeugen ist besser als heilen: Das »Gesetz zur Stärkung der Gesundheits- förderung und der Prävention«
ak tuell Ja, wo sind sie nur? Bald werde ich wieder, wie in jedem Jahr, meine Aktuell Schneebrille für den Winterurlaub suchen müs- Die gute Frage Leben ohne Tod 1 Die politische Kolumne Wenn sich ein Bild ergibt … 32 sen: in der Garage und im Keller, hinten im Wand- schrank und auf dem Dachboden. Dabei werde ich auch gleich Ausschau halten nach meinem Impf- Titelthema pass. Oder wissen Sie, wo Ihrer liegt? Der könnte Vorbeugen ist besser als heilen 5 Krankenkassen erhöhen Ausgaben für 2016 wichtig werden, zum Beispiel, wenn an der Prävention um zehn Prozent 7 Schule Ihrer Kinder die Masern ausbrechen oder Interview mit Gernot Kiefer Alle müssen sich beteiligen 8 Sie sich bei einer medizinischen Einrichtung be- mdk forum Heft 4/2015 Interview mit Dr. Christina Sellke Begutachtung werben. Der Impfpass spielt eine wichtige Rolle von Vorsorgemaßnahmen 9 Prävention und Gesundheitsförderung im »Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförde- bei Arbeitslosen 10 rung und der Prävention«. Primärprävention in der Praxis 11 Patientenschulungen: Geprüft und Es waren etliche Anläufe nötig, bis der Bundes- für gut befunden? 13 tag im Sommer das Präventionsgesetz (PrävG) ver- Eine Wandtafel mit Gesundheitswirkung 14 Betriebliches Gesundheitsmanagement in den MDK abschiedet hat, höchste Zeit angesichts der stei- Von Augengesundheit bis Fahrtraining 16 genden Zahl chronischer Erkrankungen und einer immer älter werdenden Gesellschaft. Der Schwer- punkt des Heftes liegt auf dem neuen Gesetz und Wissen & Standpunkte Mangelhafte Implantate Tausende geschädigte dem Präventionsbericht, den Krankenkassen und Patienten – und was hat sich getan? 17 MDS gemeinsam veröffentlicht haben. Altern in Vielfalt Die Pflegepräferenzen der Einwanderungsgesellschaft 19 Die »Gute Frage« beschäftigt sich in diesem Heft mit der (Un-)Sterblichkeit, im Weitblick geht es u. a. um ein Modellprojekt zum Einkaufen mit Gesundheit & Pflege Demenzpatienten und die Frage, ob wir joggend Hoffnung vieler gelähmter Menschen Ein Roboteranzug mit Zauberkräften? 21 unsere überflüssigen Pfunde wieder loswerden Einkaufen trotz Alzheimer 23 können – ein bunter Reigen vieler Themen! Ich Ein historischer Exkurs Die Chiropraktik von 1895 bis heute 25 wünsche viel Vergnügen beim Lesen. Jetzt muss ich aber endlich die Schneebrille finden … Weitblick Ihr Ulf Sengebusch Gesundes Leben Die Seescheide und das Läuferhirn 27 Psychische Belastungen von Flüchtlingen Auf der Flucht leidet auch die Seele 29 Wichtig ist ein sicherer Ort 30
die gute frage mdk forum Heft 4/2015 1 Er ist leise, zunächst unbemerkt, aber dennoch unaufhaltsam, der Alterungsprozess des mensch lichen Körpers. Doch welche Prozesse laufen genau im Körper ab? Und sind sie wirklich unauf haltsam? MDK forum sprach darüber mit Prof. Dr. Björn Schumacher, dem geschäftsführenden Direktor des Exzellenzcluster CECAD Forschungszentrums an der Universität Köln und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Alternsforschung. Es ist eine faszinierende Frage, die jeden von uns genauso viel gegessen, aber man nimmt weniger Kalorien betrifft: Warum altern wir? zu sich und altert langsamer. Das funktioniert bei einfachen Organismen wie der Bäckerhefe oder dem Fadenwurm, bei Die moderne Altersforschung begann vor zweieinhalb der Taufliege und auch bei Maus und Ratte. Ob es bei Men- Jahrzehnten mit der Entdeckung von Genen, die das Altern schen funktioniert, wissen wir noch nicht ganz genau. Das bestimmen, und zwar beim Fadenwurm: Man hat festge- Problem beim Menschen ist, dass jeder unterschiedlich ist. stellt, dass es Würmer gab, die eine Veränderung in einem Generell kann man sicherlich sagen: Weniger zu essen ist gut einzigen Gen hatten und dann doppelt so lange lebten wie für viele Menschen und vor allem für Fettleibige empfehlens- andere Würmer. In genau dem gleichen Gen hat man vor wert. Allerdings müssen wir dabei ganz genau aufpassen, einigen Jahren Veränderung bei besonders alten Menschen, dass man es nicht übertreibt: Zu wenig Nahrung zu sich den 100-Jährigen, gefunden. Es gibt also Gene, die das Altern zu nehmen kann zu Mangelernährung führen und das ist beeinflussen, gleichgültig ob beim einfachen Fadenwurm noch viel gefährlicher. Inzwischen haben wir die Mechanis- oder bei einem hochkomplexen menschlichen Organismus, men besser verstanden, die zu den positiven Effekten der und das war eine ganz wichtige Erkenntnis. kalorischen Restriktion führen. Jetzt müssen wir versuchen, Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die sehr schnell ganz gezielt daran anzusetzen und diese Mechanismen zu altern. Kinder, die an dieser Krankheit namens Progerie lei- triggern, anstatt das Altern nur über so etwas Komplexes wie den, sehen schon bald aus wie Greise. Diese Patienten haben die Nahrung steuern zu wollen. Veränderungen in Genen, die für die Reparatur unseres Erb- materials zuständig sind. Jede Zelle unseres Körpers trägt Nach den Fortschritten der Molekularbiologie die Erbinformation, die ihr sagt, was sie zu tun hat. Dieses träumen immer mehr Mediziner davon, Erbmaterial, bestehend aus der DNA, wird permanent von den Alterungsprozess aufzuhalten, damit uns Umweltfaktoren oder Faktoren aus unserem Stoffwechsel alterstypische Erkrankungen erspart bleiben. beschädigt und muss immer wieder repariert werden. Das Sind diese Hoffnungen realistisch? funktioniert normalerweise ganz gut, nur bei Progerie- Patienten nicht. Deswegen häufen sich die Erbgutschäden, Es ist nicht unvorstellbar, dass es wirklich funktioniert. die sich über unser gesamtes Leben langsam ansammeln, Wir haben ja heute das Problem, dass das Altern unweiger- bei diesen Menschen schon sehr schnell an. lich mit Krankheit verbunden ist: Mit zunehmendem Alter Aufgrund der Erkenntnis, dass es Gene gibt, die das steigt das Risiko für Herz-Kreislauf- oder chronische Nieren Altern beeinflussen, lassen sich Ziele festmachen, an denen erkrankungen, Demenz, Alzheimer, Parkinson oder Krebs. Wir wir den Alterungsprozess therapeutisch steuern können. müssen also an der gemeinsamen Wurzel dieser Krankhei- Erste Beobachtungen hierzu gab es in den 1920er Jahren bei ten ansetzen, und das ist das Altern selbst. In der Tat gibt Ratten, denen man weniger Kalorien gefüttert hatte. Diese es schon gute Beispiele dafür, dass man das Risiko alters Ratten haben daraufhin länger gelebt als andere. Dieses Phä- bedingter Erkrankungen durch Interventionen massiv ver- nomen nennt man kalorische Restriktion: Es wird im Prinzip ringern kann. So kann ein gesunder Lebensstil mit regel
die gute frage 2 mäßigem Sport und einer gesunden, ausgewogenen Ernäh- Dazu brauchen wir Investitionen in die biologische Alterns- rung das Herzinfarktrisiko deutlich verringern. Die positive forschung. Allerdings steht dem die mangelnde Innovations- Nachricht lautet also: Ja, im Prinzip kann es funktionieren, freude der Pharmaindustrie entgegen – die lieber bereits das Risiko altersbedingter Erkrankungen zu reduzieren. vorhandene Wirkstoffe neu verpackt und minimal verbessert, statt ein ganz neues Medikament zu entwickeln, was risiko- Geht es dabei denn um eine Verlängerung der reich und kostspielig ist. Aber die Medizin der Zukunft kann Lebenszeit auf »Biegen und Brechen«? es nicht mehr sein, Therapien für eine Krankheit nach der anderen finden. Zwar ist das natürlich bisher Brot und But- Es geht sicherlich nicht darum, die gesamte Lebensdauer ter der Pharmaindustrie. Aber es muss zukünftig präventiv immer weiter nach hinten zu schieben. Eine Verlängerung behandelt werden. Wer das in der Pharmaindustrie am besten der Lebenszeit ohne Verlängerung der Gesundheitsspanne erkennt, der wird dann auch die Nase vorn haben. Es ist ja beschwört das Horrorszenario einer morbiden Gesellschaft durchaus so, dass wir das Altern nicht nur durch den Lebens- herauf. Schließlich erkrankt ja trotz unserer hohen Lebens- stil beeinflussen können, sondern oft auch eine medikamen- erwartung jeder zweite über 85-Jährige an einer Demenz. töse Behandlung nötig ist, wie beispielsweise das Senken von mdk forum Heft 4/2015 Wenn man nur Lebensjahre anfügen würde, hätte man ver- hohem Blutdruck. Bluthochdruck ist ein enormer Risiko mutlich nur die Leidensspanne, die Krankheitsspanne ver- faktor, nicht nur für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sondern längert. Worum es wirklich geht, ist die Gesundheitsspanne auch für verschiedene Arten von Demenz. Wer das erkennt zu verlängern, also Leben in die Jahre zu bringen und nicht und wer da präventive Therapien entwickelt, der hat durch- nur Jahre an das Leben anzufügen. Wenn es uns gelingt, durch aus seine Zukunft. entsprechende Prävention das Einsetzen altersbedingter Erkrankungen zu verzögern oder zu verhindern, würde sich Daran arbeiten Sie im CECAD Exzellenzcluster mit ebendiese individuelle Gesundheitsspanne verlängern. Nur mehr als 400 Wissenschaftlerinnen und so können wir verhindern, dass die alternde Gesellschaft Wissenschaftlern. Was tun Sie dort genau? zu einer alterskranken Gesellschaft wird. Das ist das Ziel der medizinischen Umsetzung der Altersforschung. Wir stehen ganz am Anfang, das Altern zu verstehen. Es ist sehr komplex, weil es eben nicht nur einen Zelltyp, nicht Was können wir tun, solange es die ewige Jugend nur ein Organ oder ein Gewebe betrifft, sondern den gesam- noch nicht »auf Rezept« gibt? ten Körper des Menschen. Was wir vor allem brauchen, ist Grundlagenforschung, ein noch viel besseres Verständnis der Mechanismen des Alterns. Die moderne Altersforschung ist erst 25 Jahre alt, also eine noch recht junge Disziplin. Und Prof. Dr. Björn Schumacher wir brauchen viel mehr fundamentale Einsichten, bevor wir wirklich zu den notwendigen präventiven Therapien kom- men können. In unserem interdisziplinären Forschungszentrum for- schen Biologen und Mediziner der Kölner Uniklinik deshalb gemeinsam an den verschiedensten Bereichen, die wichtig für das Altern sind. Bei mir steht zum Beispiel die Erkran- kung im Mittelpunkt, die Menschen sehr schnell altern lässt. Da versuchen wir wirklich zu verstehen, wie ein ganzer Kör- per auf solche molekularen Fehlfunktionen in der Reparatur des Erbguts reagiert. Andere Gruppen arbeiten daran, Ent- zündungsreaktionen im Alter zu verstehen oder daran, wie die Kraftwerke der Zellen, die Mitochondrien, auch Schäden produzieren können, die den Alterungsprozess beeinflussen. Das ist eben wichtig in der Altersforschung: Es gibt nicht nur einen Prozess, der entscheidend ist. Sondern wir müssen die gesamte Bandbreite verstehen, müssen verstehen, wie diese verschiedenen Prozesse, die da ablaufen, miteinander ver- bunden sind. Daran arbeiten wir in unserem Forschungs zentrum. Die Fragen stellte Dr. Martina Koesterke
3 Praxisseiten Pflege: G-BA schließt Arthroskopie Leitlinien für Nierenkrebs und Fachangebot des BMG zur des Kniegelenks bei Gonarthrose Speiseröhrenkrebs veröffentlicht Pflegereform aus Leistungskatalog aus Das Leitlinienprogramm Onkologie hat Das Bundesministerium für Gesundheit Bestimmte arthroskopische Verfahren zur im September erstmals S3-Leitlinien zum hat ein neues Fachangebot herausgegeben, Behandlung einer Arthrose des Kniegelenks Nierenzellkrebs und Speiseröhrenkrebs mit dem es über die Neuerungen in der (Gonarthrose) können zukünftig nicht vorgelegt. Die S3-Leitlinie zur Diagnostik Pflege informiert. Es richtet sich an alle, die mehr zulasten der gesetzlichen Kranken und Therapie des Nierenzellkarzinoms sich vor allem beruflich mit Pflege beschäf versicherung erbracht werden. Dies hat der entstand unter der Federführung der tigen. Neben dem praktischen Sammel Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) ordner Praxisseiten Pflege wird das Fach- am 27. November einstimmig beschlossen. und der Deutschen Gesellschaft für angebot online ergänzt. Der Ausschluss gilt für die vertragsärztliche Hämatologie und Medizinische Onkologie mdk forum Heft 4/2015 Unter www.praxisseiten-pflege.de stehen Versorgung und die Krankenhausbehand (DGHO); sie soll einheitliche medizinische die Praxisseiten Pflege als PDF-Datei oder als lung. Zu den vom G-BA geprüften Verfahren Standards für die Diagnose, Therapie und E-Book für verschiedene Reader bereit. Was zählen die Gelenkspülung, die Abtragung Nachsorge des Nierenzellkarzinoms in die Neuerungen durch die Pflege der Gelenkschleimhaut, die Knorpelglättung Abhängigkeit von Histologie und Tumor stärkungsgesetze konkret bedeuten, wird in und die Meniskusentfernung. Die Basis stadium schaffen. Die S3-Leitlinie zur fünf Videos erklärt. Darüber hinaus bietet bildete ein Bericht des IQWiG, in dem Diagnostik und Therapie von Speiseröhren die Website ein E-Learning- Studienergebnisse der höchsten Evidenzstufe krebs entstand unter der Federführung Programm, um das eigene Wissen zu testen, berücksichtigt wurden. Der GKV-Spitzen der Deutschen Gesellschaft für Gastro sowie Präsentationsfolien und Moderations verband hatte 2010 einen Antrag auf enterologie, Verdauungs- und Stoffwechsel karten, die für die eigene Arbeit genutzt Bewertung der Arthroskopie bei Gonarthrose krankheiten (DGVS) und soll die Versorgung werden können. gestellt. Hintergrund war die hohe Zahl der beim Speiseröhrenkrebs verbessern. Arthroskopien in Deutschland und wissen Bei S3-Leitlinien handelt es sich um Implantatpass seit schaftliche Studienergebnisse, die keinen Leitlinien mit der höchsten methodischen 1. Oktober verpflichtend Nutzen für diese Methode sahen. Qualität. Weitere Informationen unter: Seit dem 1. Oktober 2015 müssen Gesund www.leitlinienprogramm-onkologie.de heitseinrichtungen, die medizinische Internetportal zur Implantate einsetzen, den Patienten einen Versorgungsqualität von Langfristiges Konzept Implantatpass in Papierform aushändigen. Frühchen gestartet für Cochrane-Zentrum Dies gilt nach der geänderten Medizin Am 1. Dezember hat die Internetplattform Nach Angaben des Informationsdienstes produkte-Betreiberverordnung (§10) für: www.perinatalzentren.org fristgerecht »heute im Bundestag« strebt die Bundes alle aktiven Implantate (mit einer eigenen ihren Regelbetrieb aufgenommen. Die regierung für das deutsche Cochrane-Zent Energiequelle ausgestattet, beispielsweise Website enthält die Ergebnisdaten aller rum in Freiburg ab 2017 eine institutionelle Herzschrittmacher), für Herzklappen, deutschen Perinatalzentren, damit Förderung an. Ziel sei, so Gesundheits nicht resorbierbare Gefäßprothesen und Interessierte sich über die Versorgung von minister Gröhe im September im Gesund -stützen, Gelenkersatzimplantate für Hüfte sehr kleinen Frühgeborenen informieren heitsausschuss, eine langfristige, nach oder Knie, für Wirbelkörperersatzsysteme können. Sehr kleine Frühgeborene sind haltige Sicherung der Einrichtung. Für 2016 und Bandscheibenprothesen sowie Brust- Kinder, die mit einem Gewicht von weniger solle es nochmals bei der projektbezogenen implantate. Der Pass muss den vollständigen als 1500 g geboren werden. Sie sollen in Förderung bleiben. Gröhe sagte, die Namen des Patienten, Bezeichnung, Art spezialisierten Krankenhäusern geboren Arbeit der Wissenschaftler sei unzweifelhaft und Typ sowie Loscode oder Seriennummer und versorgt werden. Diese Perinatalzentren wichtig als Beitrag zur Stärkung der evidenz- des Medizinproduktes, Hersteller, Datum sind auf die besonderen Bedürfnisse dieser basierten Medizin. Eine nachhaltige der Implantation und den Namen der Kinder ausgerichtet. Förderung sei daher wünschenswert. Ohne verantwortlichen Person und Einrichtung, Die Qualität der Versorgung wird durch Details zu nennen, sagte der Minister, die die Implantation durchgeführt haben, das Überleben, das Überleben ohne schwere es sei »keine totale Strukturveränderung« beinhalten. Erkrankung sowie über die klinische Erfah geplant. Vielmehr laufe es auf eine rung des Behandlungsteams abgebildet. Verfestigung der bestehenden Strukturen Ende 2014 hatte der Gemeinsame Bundes in Freiburg hinaus. ausschuss die Richtlinie zur Qualitätssiche rung der Versorgung Früh- und Reifgeborener geändert. Dadurch wurden die Perinatal zentren verpflichtet, ihre Ergebnisse ab dem 1. Dezember 2015 im Internet zu veröffent lichen.
pr ävention 5 Vorbeugen ist besser als heilen mdk forum Heft 4/2015 Wenn Krankheiten gar nicht erst auftreten, erspart das den Menschen unnötiges Leid und dem Gesundheitssystem vermeidbare Ausgaben. Dennoch bedurfte es mehrerer Anläufe, bis das Thema Prävention endlich eine eigenständige gesetzliche Basis erhielt. Am 18. Juni 2015 hat der Bundestag das »Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention« verab schiedet, das die Gesundheitsförderung in jedem Lebensalter und in allen Lebensbereichen verankern soll. Was lange währt, wird endlich Gesetz: Seit Oktober Mit vereinten Kräften 2004, als sich die damalige rot-grüne Bundesregierung mit den Ländern bereits auf erste Eckpunkte für ein Präventions- Damit das gelingt, soll die Zusammenarbeit der verschie- gesetz verständigt hatte, verliefen insgesamt drei Gesetz denen Akteure beim Auf- und Ausbau gesundheitsförder gebungsanläufe im Sande, bevor schließlich am 25. Juli 2015 licher Strukturen intensiviert werden. In einer Nationalen das »Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und Präventionskonferenz sollen sich die Sozialversicherungs- der Prävention« (PrävG) in wesentlichen Teilen in Kraft trat. träger mit Bund, Ländern, Kommunen, der Bundesagentur Angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung – mit sin- für Arbeit und den Sozialpartnern auf gemeinsame Ziele und kenden Geburtenraten, steigender Lebenserwartung, einer ein gemeinsames Vorgehen verständigen. Die erste Aufgabe stetigen Zunahme chronischer Erkrankungen und einer im- dieser Institution, die sich am 25. Oktober in Berlin als Arbeits- mer umfassenderen Flexibilisierung der Arbeitswelt – kommt gemeinschaft der gesetzlichen Spitzenorganisationen von der Prävention aus Sicht des Gesetzgebers ein erheblicher Kranken-, Unfall-, Renten- und Pflegeversicherung konsti Stellenwert zu. Dem soll das Präventionsgesetz Rechnung tuiert hat, besteht darin, eine nationale Präventionsstrategie tragen, indem es »ein neues Bewusstsein und eine Achtsam- zu entwickeln. Schon zum Jahresende 2015 sollen bundes- keit für Gesundheit« fördert. Dabei geht es nicht allein dar- einheitliche, trägerübergreifende Rahmenempfehlungen für um, Krankheiten zu verhüten. Die Gesundheit der Menschen die lebensweltbezogene Prävention und Gesundheitsförde- soll darüber hinaus aktiv gefördert werden. Das PrävG zielt rung vorliegen. Im Jahr 2019 wird die Nationale Präventions- daher ausdrücklich darauf ab, Menschen aller Altersgruppen konferenz erstmals einen trägerübergreifenden Präventions in ihren täglichen Lebenszusammenhängen dabei zu unter- bericht vorlegen, der über den Stand der Gesundheitsför stützen, gesundheitsförderliche Lebensweisen zu entwickeln derung in Deutschland informiert und Empfehlungen zur und im Alltag umzusetzen. »Es geht Gesunde Lebens- zum einen darum, die Risikofaktoren weise und gesunde für die Entstehung lebensstilbedingter Verhältnisse Krankheiten wie ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, chronischer Stress, Rauchen und übermäßiger Alkoholkonsum nachhaltig zu reduzieren und gesundheitliche Ressourcen zu stärken«, so das Bundesgesundheitsministerium in einer Erklärung. »Zum anderen geht es darum, die Verhältnisse, in denen wir leben, lernen und arbeiten, so zu gestalten, dass sie die Gesundheit unterstützen.«
pr ävention 6 Weiterentwicklung formuliert. Weitere sollen im Vier-Jahres- fährdeten Gruppen oder mit hohem Präventionsbedarf gezielt Rhythmus folgen. Das Präventionsgesetz bezieht ausdrück- individuell passende Angebote vermitteln. Auch Betriebsärzte lich die private Krankenversicherung mit ein: Auch sie kann können künftig solche Präventionsempfehlungen ausspre- einen Sitz in der Nationalen Präventionskonferenz erhalten – chen, dürfen Schutzimpfungen durchführen und mit Kranken- unter der Voraussetzung, dass sie sich in angemessenem Um kassen Verträge über die Durchführung von Gesundheits- fang an der Finanzierung von Präventionsprogrammen und Check-ups schließen. Bei Maßnahmen zur betrieblichen -projekten im Sinne der Rahmenempfehlungen beteiligt. Gesundheitsförderung, die laut Präventionsgesetz insbesonde- re in kleinen und mittleren Betrieben gestärkt und ausgebaut Mehr Geld für mehr Leistungen werden sollen, sollen sie künftig stets als Berater hinzugezogen werden. Das Präventionsgesetz sieht eine Reihe von Leistungsaus- weitungen vor. Um diese zu finanzieren, wird der gesetzliche Schwerpunktthema Impfung Richtwert der Krankenkassen für die Ausgaben zur Primär- prävention ab 2016 auf sieben Euro je Versicherten erhöht Das Präventionsgesetz etabliert zwar keine Impfpflicht, mdk forum Heft 4/2015 und damit mehr als verdoppelt. Die Mehrausgaben für die fördert aber nachdrücklich die Impfprävention: So soll künf- Krankenkassen belaufen sich Schätzungen zufolge auf etwa tig bei Routine-Gesundheitsuntersuchungen in allen Alters- 250 bis 300 Millionen Euro pro Jahr. Die Pflegekassen, die gruppen der Impfschutz überprüft werden. Wer sein Kind durch das neue Gesetz erstmals auch in die Präventionspflicht in einer Kita anmelden möchte, muss einen Nachweis über genommen werden, müssen ab 2016 jährlich € 0,30 pro Ver- eine ärztliche Impfberatung vorlegen. Treten in einer Schule sichertem für gesundheitsfördernde Angebote in voll- und oder Kita Masern auf, kann nicht geimpften Kindern der teilstationären Pflegeeinrichtungen aufwenden – etwa für Besuch vorübergehend untersagt werden. Medizinische Ein- Sturzprophylaxe oder Bewegungskurse. Zusammen werden richtungen dürfen das Bestehen eines erforderlichen Impf- Kranken- und Pflegekassen künftig mehr als 500 Millionen und Immunschutzes zur Einstellungsvoraussetzung machen. Krankenkassen können ihren Versicher- ten Bonus-Leistungen für Impfungen Ohne Impfpass und Impfauffrischungen gewähren. Bis- keine Kita lang durften, nun sollen Krankenkassen laut PrävG gesundheitsbewusstes Verhalten mit einem Bonus belohnen – dies gilt jedoch nur für Präventionsmaßnahmen, die bestimmte, vom GKV-Spitzenverband festgelegte Qua litätskriterien erfüllen. Im Vorfeld umstritten In der öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags hatten im April 2015 zahlreiche Sachver ständige den Gesetzentwurf der Bundesregierung kritisiert. Zentrale Kritikpunkte waren die mangelnde finanzielle Beteili- gung von Ländern, Kommunen und privaten Krankenver sicherern und der Umstand, dass die Krankenkassen der Euro pro Jahr für Gesundheitsförderung und Prävention auf- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung künftig bringen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Gesundheits- jährlich Millionenbeträge zur Unterstützung von Präven förderung in den Lebenswelten wie Kita, Schule, Kommu- tionsmaßnahmen zahlen sollen. nen, Betriebe und Pflegeeinrichtungen: In diese Bereiche sollen künftig insgesamt mindestens rund 300 Millionen Eu- ro jährlich fließen. Auch die Selbsthilfe erhält ab 2016 rund 30 Millionen Euro zusätzlich. Ärzte spielen wichtige Rolle Der Kanon der Gesundheits- und Früherkennungsunter- suchungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene wird erweitert. Auch sollen Ärztinnen und Ärzte nach dem Willen des Gesetzgebers künftig stärker als bisher auf individuelle Belastungen und Risikofaktoren, die die Entstehung von Krankheiten begünstigen könnten, achten. Neu ist auch die Möglichkeit einer Präventionsempfehlung in Form einer ärztlichen Bescheinigung, die die Krankenkassen bei ihrer Dr. Silke Heller-Jung hat in Entscheidung über entsprechende Anträge berücksichtigen Frechen bei Köln ein Redaktionsbüro müssen. Damit können Ärzte Menschen aus besonders ge- für Gesundheitsthemen. redaktion@heller-jung.de
pr ävention 7 Krankenkassen erhöhen Ausgaben für Prävention um zehn Prozent mdk forum Heft 4/2015 Im vergangenen Jahr haben die gesetzlichen Krankenkassen ihr Engagement für die Gesund heitsförderung und Primärprävention deutlich gesteigert: 293 Millionen Euro gaben sie dafür aus und damit 10% mehr als im Vorjahr. Das geht aus dem aktuellen Präventionsbericht vor, der von GKV-Spitzenverband und MDS herausgegeben wird. Die gesetzliche Krankenversicherung ist seit Jahren haben. Arbeitslose Menschen können durch die Verzahnung der größte Förderer von Prävention in Deutschland. »Das von Arbeitsförderungsmaßnahmen mit Präventions- und Ge Präventionsgesetz setzt nun weitere Impulse zur Stärkung sundheitsförderungsangeboten gut erreicht werden – dies der Gesundheitsförderung. Die Krankenkassen werden vor zeigte die seit 2014 laufende modellhafte Zusammenarbeit diesem Hintergrund ihre Anstrengungen weiter verstärken. von Krankenkassen und Jobcentern. Wichtig ist, dass andere verantwortliche Träger etwa in den An den individuellen Kursangeboten der Krankenkassen Bereichen Bildung, Arbeitsmarkt, Verkehr und Umwelt die haben 1,7 Millionen Menschen im Jahr 2014 teilgenommen – Bemühungen der gesetzlichen Krankenversicherung unter- das entspricht einer Steigerung von 16%. Im Mittelpunkt stützen. Dann werden die Maßnahmen der Kassen einen noch standen Kurse zur Bewegungsförderung und zur Stressbe- höheren Mehrwert für die Menschen haben«, sagt Gernot wältigung. Mit rund 193 Millionen Euro förderten die Kran- Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes. kenkassen diese Individualkurse. Das sind 6% mehr als im Besonders viel haben die Krankenkassen mit knapp Vorjahr. 68 Millionen Euro 2014 in die Förderung der betrieblichen »Die Daten der Kassen, die seit 2002 in die jährlichen Prä- Gesundheitsförderung investiert. Das ist im Vergleich zum ventionsberichte eingehen, sind wichtig, um das Präventions- Vorjahr ein Anstieg um 24%. Rund 1,2 Millionen Beschäftigte geschehen aufzuarbeiten und sichtbar zu machen. Die Aus- konnten mit den Maßnahmen in rund 11 000 Betrieben er- wertungen zeigen, dass das Engagement reicht werden. Über ein Drittel dieser Aktivitäten fanden im der Kassen bei der Gesundheitsförderung 68 Millionen Euro verarbeitenden Gewerbe statt, gefolgt von 18% im Gesund- ihrer Versicherten stetig zugenommen für die betriebliche heits- und Sozialwesen. hat, diese wichtige Aufgabe also einen Gesundheit Von großer Bedeutung für die Prävention sind auch Maß- immer größeren Stellenwert in der ge- nahmen in Kindergärten, Schulen, Wohngebieten und Stadt- setzlichen Krankenversicherung bekommt«, fasst Dr. Peter teilen – sogenannten Settings. Hier können Menschen mit Pick, Geschäftsführer des MDS, die Ergebnisse zusammen. unterschiedlicher Herkunft und verschiedenem sozialen Den Präventionsbericht 2015 und den dazugehörigen Status erreicht werden. Die Krankenkassen leisten damit einen Tabellenband gibt es unter www.mds-ev.de und www.gkv- Beitrag, um sozial bedingte Ungleichheiten bei den Chancen spitzenverband.de im Internet. zur Gesundheitserhaltung zu verringern. In 23 000 solcher Settings haben die Kassen 2014 gesundheitsfördernde Aktivi- täten unterstützt und dabei 2,2 Millionen Menschen erreicht. Sie machten sich mit rund 32 Millionen Euro in diesem Be- reich stark und steigerten damit hier die Ausgaben im Ver- gleich zu 2013 um 7%. Im Präventionsbericht wurde zudem in diesem Jahr »Prävention und Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen« als Schwerpunktthema gesetzt. Arbeitslose sind eine wichtige Michaela Gehms Zielgruppe, weil sie in vielen Fällen einen schlechteren Ge- ist Pressesprecherin des MDS. sundheitszustand und mehr gesundheitliche Beschwerden m.gehms@mds-ev.de
pr ävention 8 Interview mit Gernot Kiefer, Vorstand des gkv-Spitzenverbandes Alle müssen sich beteiligen mdk forum Heft 4/2015 Prävention funktioniert, wenn alle Akteure an einem Strang ziehen. mdk forum sprach mit dem Vorstand des gkv-sv über das Präventionsgesetz, dessen Verbindlichkeit und deren Grenzen. forum Wie bewertet der GKV-SV das Prä litisch verkehrt und bedeutet schlicht eine Gesundheitsförderung Verantwortlichen eine ventionsgesetz? Zweckentfremdung von Beitragsgeldern. wichtige Plattform für wechselseitige Infor Gernot Kiefer Wir unterstützen den forum Künftig sollen auch pflegebedürf mation und trägerübergreifende Zusammen Grundgedanken des Gesetzes, das Zusammen tige Menschen im Heim Zugang zu Präventi arbeit bietet. wirken aller Präventions-Träger durch gemein onsangeboten haben. Welche Angebote sind Als Arbeitsgemeinschaft der gesetzlichen same Ziele, Handlungsfelder und Qualitäts vorstellbar und wie bereiten sich die Pflege Spitzenorganisationen von Kranken-, Unfall-, maßstäbe zu stärken und Transparenz über kassen darauf vor? Renten- und Pflegeversicherung erarbeitet das Leistungsgeschehen zu schaffen. Damit Kiefer Dass die Prävention für Bewohne die NPK eine nationale Präventionsstrategie, werden Aspekte aufgegriffen, die von der ge rinnen und Bewohner von Pflegeheimen zu die sich vor allem an den zurzeit in der Abstim setzlichen Krankenversicherung zum Teil auch künftig stärker in den Fokus rückt, begrüßen mung befindlichen trägerübergreifenden Bun schon jetzt auf freiwilliger Basis umgesetzt wir ausdrücklich. Die besondere Herausforde desrahmenempfehlungen festmacht. Alle vier wurden, etwa durch entsprechende Koopera rung bei der Umsetzung liegt darin, entspre Jahre wird es zudem einen NPK-Präventions tionsvereinbarungen mit anderen Trägern wie chende Präventionsleistungen von den genu bericht geben, der erstmals 2019 erscheint. der gesetzlichen Unfallversicherung oder den inen Bestandteilen professioneller Pflege klar Wir halten es für außerordentlich wichtig, dass jährlich erscheinenden Präventionsbericht der abzugrenzen. Denn: Leistungen in Form von in diesem Bericht neben den Trägern auch alle GKV. Beratung und Anleitung von Pflegebedürftigen anderen verantwortlichen Partner, die in der Die gesetzliche Verankerung dieses An bzw. ihren Angehörigen sowie der Durchfüh NPK beratend mitwirken, ihre Präventions- und satzes stellt nun eine sinnvolle und notwen rung prophylaktischer Maßnahmen sind gemäß Gesundheitsförderungsleistungen transparent dige Verbindlichkeit her – die allerdings ihre §5 SGB XI bereits Bestandteil pflegerischen machen. Denn im Präventionsbereich ent Grenzen bei der Finanzierung findet. Das Prä Handelns in allen Versorgungssituationen. steht ein Mehrwert für die Menschen vor allen ventionsgesetz verpflichtet alleine die GKV als Bei den neuen Leistungen wollen wir uns Dingen dann, wenn das konkrete Engagement bereits schon jetzt größten Ausgabenträger am Gesundheitsförderungsprozess nach dem der Krankenkassen auf eine aktive, auch finan im Bereich der Prävention und Gesundheits Setting-Ansatz orientieren. Hier bestehen viele zielle Beteiligung der anderen Verantwortlichen förderung und die soziale Pflegeversicherung Erfahrungen aus anderen Lebenswelten. Wir trifft. zu Mehrleistungen. Diese Konzentration kon werden als Spitzenverband der Pflegekassen terkariert nicht nur den gesamtgesellschaft einen entsprechenden Leitfaden in Analogie lichen Anspruch des Gesetzes, sie ist auch zum GKV-Leitfaden Prävention erarbeiten. Er nicht zielführend. Denn wesentliche Ansatz gänzend sollen mit wissenschaftlicher Unter Gernot Kiefer punkte für die Förderung von Gesundheit in stützung Kriterien für die Prävention in rele Lebenswelten liegen außerhalb des Gesund vanten Handlungsfeldern entwickelt werden. heitssystems – als Stichworte seien hier nur Beispiele sind die Ernährung, die körperliche Bildung, Arbeitsmarktpolitik, Verkehr und Um Aktivität oder die Stärkung kognitiver Ressour welt genannt. cen von Pflegeheim-Bewohnerinnen und -Be- Absolut kritisch zu sehen ist zudem die im wohnern. Gesetz festgelegte Verpflichtung zur Beauf forum Welche Bedeutung hat die neu tragung der Bundeszentrale für gesundheitliche geschaffene Nationale Präventionskonferenz? Aufklärung: Hier soll eine Bundesbehörde als Kiefer Mit der Nationalen Präventions Subdienstleister der Kassen mit Beitragsgeldern konferenz (NPK) wird ein Abstimmungs- und der gesetzlichen Krankenversicherung finan Kooperationsgremium geschaffen, das für die ziert werden. Das ist und bleibt ordnungspo in Deutschland wesentlich für Prävention und
pr ävention 9 Interview mit Dr. Christina Sellke, Gutachterin und Dozentin für die mdk-Gemeinschaft, mdk Hessen Begutachtung von Vorsorgemaßnahmen mdk forum Heft 4/2015 Versicherte haben nicht nur Anspruch auf Leistungen, wenn sie krank sind. Dem Schutz vor Ausbruch oder Verschlimmerung von Krankheiten dient eine Vielzahl von Vorsorge- und Reha bilitationsmaßnahmen. Auf Antrag der Krankenkasse gehen MDK-Gutachter der Frage nach, welche davon im konkreten Einzelfall zu empfehlen sind. forum Was gibt es für Präventionsmaß Vorsorge- oder Rehabilitationsleistung im um eine Maßnahme schon mitmachen zu nahmen und was sollen sie bewirken? Einzelfall erforderlich ist: Der Patient muss können? Dr. Christina Sellke Wir unterscheiden nicht nur medizinisch, sondern beispielswei forum Eine zunehmende Bedeutung ge Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention. se auch psychologisch und bewegungsthera winnt die geriatrische Rehabilitation. Worum Primärprävention heißt: Es liegen zwar Risi peutisch versorgt werden. geht es dabei? kofaktoren vor, aber der Versicherte ist nicht forum Worauf kommt es bei der Begut Sellke Angesichts der demografischen krank – seine Gesundheit soll gefördert und achtung an? Entwicklung wird es immer wichtiger, die Krankheiten verhindert werden. Im zweiten Sellke Die Gutachter müssen die Frage Selbstständigkeit der alternden Menschen zu Fall liegt bereits eine Erkrankung vor – Ziel ist, stellung der Krankenkasse beantworten. Sie erhalten, Pflegebedürftigkeit zu verhindern das Fortschreiten der Krankheit zu vermeiden sind sich dabei stets ihrer ärztlichen Unab oder deren Fortschreiten zumindest zu ver oder zu verzögern. Und im dritten Fall geht es hängigkeit bewusst. Die Anträge auf Vorsor langsamen. Geriatrische Patienten sind meis um Leistungen zur medizinischen Rehabilita ge- und Rehabilitationsleistungen werden tens älter als 70 Jahre und haben eine Vielzahl tion: Der Versicherte ist nicht nur vorüberge sachlich beurteilt. Die Gutachter überprüfen, an Erkrankungen und Schädigungen. Sie kön hend krank – er ist durch die Erkrankung in ob die Indikationskriterien im Einzelfall gege nen immobil sein, an Depressionen, Inkonti seiner Aktivität und möglicherweise auch in ben sind: Maßgeblich ist hier, dass ambulan nenz, Sinnesbeeinträchtigungen und chroni seiner Teilhabe erheblich beeinträchtigt. Ziel te Behandlungsmaßnahmen durch den Ver schen Schmerzen leiden. All dies kann ihre dieser Maßnahmen ist, die größtmögliche Le tragsarzt nicht mehr ausreichend sind, sondern selbstständige Lebensführung in eigener bensqualität wiederherzustellen. eine komplexe Behandlung durch verschie Häuslichkeit erheblich beeinträchtigen. Bei forum In welchen Fällen begutachtet der dene Berufsgruppen erforderlich ist. Ist die der geriatrischen Rehabilitation geht es dar MDK? Vorsorgebedürftigkeit gegeben – sind tatsäch um, manchmal auch kleinste Fähigkeiten für Sellke Der MDK wird vor allem dann be lich Risikofaktoren vorhanden, die zu einer den Alltag zu stärken und zu erhalten: sei es auftragt, wenn es um die Frage der medizini Gesundheitsgefährdung führen können? Ist der Transfer vom Bett in den Rollstuhl, das An- schen Notwendigkeit von Vorsorge- und Re die Rehabilitationsbedürftigkeit gegeben – und Ausziehen, das Essen und Trinken bis hin habilitationsmaßnahmen geht. Damit sind liegt eine nicht nur vorübergehende Beein zum Toilettengang und zur Körperpflege. Leistungen gemeint, die geeignet sind, den trächtigung vor? Passen Maßnahme und Ziel Ausbruch einer Krankheit oder die Verschlim zusammen? Und ist der Versicherte fit genug, Die Fragen stellte Michaela Gehms merung von Krankheitsfolgen zu verhindern. Sehr oft geht es um ambulante oder stationä re Vorsorge bei orthopädischen Erkrankungen oder bei chronischen Atemwegserkrankun gen. Es kann sich auch um Maßnahmen han deln, die Erschöpfung vorbeugen können, wenn Versicherte durch familiäre Probleme oder die Pflege von Angehörigen stark belas tet sind. Voraussetzung für die Empfehlung des MDK ist, dass der komplexe Ansatz einer
pr ävention 10 Prävention und Gesundheitsförderung bei Arbeitslosen mdk forum Heft 4/2015 Sie haben keine Arbeit, kein Selbstvertrauen und sind knapp bei Kasse. Da bleibt die Gesund heit schnell auf der Strecke. Sind anhaltend arbeitslose Menschen erst einmal gesundheitlich eingeschränkt, wird der berufliche Wiedereinstieg schwieriger. Deshalb bieten Krankenkassen gemeinsam mit Jobcentern gezielt Gesundheitsförderungsprogramme für Erwerbslose an. Ziel ist es, den gesundheitlichen Risiken, die mit einer Die Präventionsmaßnahmen der Krankenkassen konzen Arbeitslosigkeit verbunden sind, vorzubeugen und die Men- trierten sich deshalb auf die beiden evaluierten Programme schen darin zu unterstützen, ihre Gesundheit und Erwerbs- »Und keiner kann’s glauben – Stressfaktor Arbeitslosigkeit« fähigkeit zu erhalten beziehungsweise zu verbessern. In die- und »AktivA – Aktive Bewältigung von Arbeitslosigkeit«. Dieses sem Zusammenhang wollen die Bundesagentur für Arbeit Angebot konnte durch z. B. Workshops, Gesundheitszirkel (BA) und die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) die oder Gesundheitstage für die Zielgruppe/n bedarfsbezogen Maßnahmen der Arbeitsförderung (BA) mit Gesundheitsför- ergänzt werden. Im Sinne einer nachhaltigen Wirkung sollten derung und Prävention (GKV) verbinden. Das ist auch des- Gelegenheiten geschaffen werden, damit die Interessierten halb eine besondere Herausforderung, da auf diese Weise auch im Anschluss an die Maßnahmen leichter gesundheits- verpflichtende Maßnahmen mit Angeboten verknüpft wer- förderlich aktiv bleiben. den, die ausschließlich freiwillig genutzt werden können. Die Evaluation umfasst die Zusammenarbeit von Jobcen- tern und Krankenkassen und weiteren Partnern, die erworbe- Alles eine Frage des Zugangs? nen gesundheitsbezogenen Beratungskompetenzen der Job- center-Fachkräfte und die Bewertung der verhaltensbezogenen Ob und wie das funktionieren kann, wurde in einem Präventionsmaßnahmen durch Teilnehmerinnen und Teil- Modellprojekt untersucht. Die Erwerbslosen wurden auf drei nehmer. Hierzu zählen u. a. Gesundheitsverhalten, gesund- Wegen an die Angebote der Krankenkassen herangeführt: heitsbezogene Lebensqualität, persönliche Leistungs- und 1. Vermittlungsfachkräfte bzw. Fallmanager im Jobcenter spra- Beschäftigungsfähigkeit. chen die Erwerbslosen an. 2. Der berufspsychologische Service bzw. der ärztliche Dienst der BA unterbreiteten ein modulares Ein Schritt in die richtige Richtung Angebot. 3. Bei einem Qualifizierungs- oder Beschäftigungs- träger wurden Präventions- und Gesundheitsförderungsmaß- Mit dem Präventionsgesetz wird die Möglichkeit einer nahmen der Krankenkassen mit einer Arbeitsförderungsmaß e ngen Zusammenarbeit von BA und kommunalen Grund nahme verzahnt. Bei jedem dieser Wege wurden Mitarbeiter sicherungsträgern mit den Krankenkassen in der lebens- und Mitarbeiterinnen des Jobcenters für die individuellen weltbezogenen Prävention und Gesundheitsförderung auch Gesundheitsgespräche vorab nach dem Ansatz des »moti auf bereits gesundheitlich belastete Personen ausgeweitet, vational interviewing« geschult. Die Projektsteuerung erfolgte um deren berufliche Eingliederungschancen zu verbessern. an jedem Standort gemeinschaftlich durch das Jobcenter Diese Ausweitung entspricht sowohl dem aus der Studienlage und die Krankenkassen, die die für die GKV entstehenden zu entnehmenden Bedarf als auch den ersten Erkenntnissen Maßnahmekosten nach Marktanteil umlegten. aus der Erprobung, die unter den neuen Rahmenbedingungen Im Mittelpunkt dieses Ansatzes steht die Stärkung psy- erweitert werden soll. chosozialer Kompetenzen. Die Kursteilnehmer sollen lernen, besser mit den Belastungen der Arbeitslosigkeit umzugehen, Karin Schreiner-Kürten, Abteilung sich gesund zu halten und das eigene Leben wieder aktiv zu Gesundheit Referat Leistungsrecht / gestalten. Rehabilitation / Prävention / Selbsthilfe beim GKV-Spitzenverband. karin.schreiner- kuerten@gkv-spitzenverband.de
pr ävention 11 Primärprävention in der Praxis mdk forum Heft 4/2015 Impfungen zählen zu den primären Präventionsmaßnahmen und können helfen, Infektions krankheiten zu verhindern. Sie schützen jedoch nicht nur den Einzelnen, sondern können auch eine weitere Ausbreitung impfpräventabler Krankheiten eindämmen. Deshalb fordert das Präven tionsgesetz, den Impfschutz zukünftig im Rahmen der Routinegesundheitsuntersuchungen zu überprüfen. Das Beispiel der HPV-Impfung verdeutlicht, was dies für die Praxis bedeuten kann. Seit einigen Jahren gibt es eine Impfung gegen die Infek- genen Typen, sogenannte High-Risk- oder HR-Typen, können tion mit humanen Papillomviren (HPV). Die Impfung kann im Falle einer persistierenden Infektion zur Entwicklung von dazu beitragen, die Verbreitung von Feigwarzen zu verhin- Läsionen und Neoplasien und letztlich zu HPV-bedingten dern sowie die Rate von Gebärmutterhalskrebs bzw. krebs- genitalen, analen oder oropharyngealen Karzinomen führen. verdächtigen Zellveränderungen bei Mädchen und Frauen Dabei sind allein die HR-Typen 16 und 18 bei weltweit 70% zu senken. aller Frauen mit Zervixkarzinomen nach- zuweisen. Neben der Bedeutung der HPV- Höchste Prävalenz Auswirkungen einer HPV-Infektion Typen bei der Entstehung des Zervix bei 20-jährigen karzinoms wurde in den letzten Jahren Frauen Humane Papillomviren, von denen mittlerweile über zunehmend auch der Einfluss von kuta- zweihundert verschiedene Genotypen nachgewiesen werden nen HR-Typen auf die Entwicklung von weiteren Karzinomen, konnten, können das Epithel von Haut (kutane Typen) und beispielsweise dem Plattenepithelkarzinomen (Squamous- Schleimhaut (mukosale Typen) infizieren. Einige dieser (mu- cell carcinoma, SCC) diskutiert. Neben den HR-Typen gibt kosalen) Typen werden von der Internationalen Agentur für es eine Vielzahl an sogenannten Low-Risk- oder LR-Typen, Krebsforschung (International Agency for Research on Cancer, welche zwar als nicht onkogen gelten, jedoch u. a. Haut- sowie IARC) als krebserregend (onkogen) eingestuft. Diese onko Genitalwarzen verursachen können. Eine Klassifizierung von HR- und LR-Typen ist jedoch vor allem bei seltenen HPV- Typen nicht immer eindeutig. Gefährdet sind vor allem junge Frauen Anfang 20 HPV ist einer der am häufigsten verbreiteten sexuell über- tragbaren Infektionserreger. Häufig findet eine erste Infekti- on bereits kurz nach Beginn der sexuellen Aktivität statt. Je nach HPV-Typ unterscheidet sich die Prävalenz nach Ge- schlecht und Altersgruppen, wobei die höchste Prävalenz bei jungen Frauen im Alter von Anfang 20 zu liegen scheint. Im Rahmen eines HPV-Screenings bei 800 20- bis 25-jährigen Frauen in Deutschland konnte beispielsweise bei 38% der Frauen irgendein HPV-Typ identifiziert werden; darunter handelte es sich bei 22,5% um die HR-Typen 16 und 18. Seit 2006 stehen Impfstoffe gegen bestimmte HPV-Typen zur Verfügung. Die aktuell verfügbaren Impfstoffe, Gardasil
pr ävention 12 und Cerverix, wirken gegen die zwei HR-Typen 16 und 18. Impfung ist nur dann gegeben, wenn die Impfung vor dem Gardasil schützt zusätzlich gegen die LR-Typen 6 und 11, wel- ersten Kontakt mit HP-Viren, das heißt vor dem ersten Sexual che vorrangig für die Entwicklung von Feigwarzen (Kondy kontakt, durchgeführt wird. In einer vor kurzem veröffent- lomen) verantwortlich gemacht werden. Sowohl Gardasil lichten Untersuchung wurden jedoch 58% der weiblichen als auch Cerverix gelten als sicher und gut verträglich. Teilnehmer der Altersgruppe 20–21 Jahre erst nach Beginn Schwerwiegende Nebenwirkungen, welche kausal mit den der sexuellen Aktivität gegen HPV geimpft. Zusätzlich lagen HPV-Impfstoffen zusammenhängen, wurden bisher nicht neben neuen Daten zur Wirkdauer des Impfstoffs auch Ana- beobachtet. Die Wirksamkeit der beiden verfügbaren HPV- lysen der KV-Abrechnungsdaten vor, welche zeigen, dass die Impfstoffe wurde in einer Vielzahl von Studien untersucht. Impfquoten in Deutschland auch sechs Jahre nach der Auf- Es zeigte sich, dass die Impfung zu 83% vor einer frischen In- nahme der HPV-Impfung in den Impfkalender bei < 40% la- fektion mit HR-Typen 16 und 18 und zu 90% vor persistieren- gen. Über die Vorsorgeuntersuchungen (U11 und J1) besteht den HPV 16 und 18-Infektionen schützt. Die Impfung schütz- zudem ein besserer Zugang zur Unterbreitung eines Impf angebots. Das Vorverlegen des empfohlenen Impfzeitpunkts sollte somit sowohl Impfquoten als auch ein zeitgerechtes mdk forum Heft 4/2015 Impfen fördern. Auch für Jungen empfehlenswert? Für Jungen und Männer ist nur der Impfstoff Gardasil für eine Immunisierung gegen HPV zugelassen. Eine Impfung für Jungen wird weltweit bisher nur in wenigen Ländern empfohlen, darunter USA und Kanada, und – im Rahmen von schulbasierten Impfprogrammen – auch in Österreich und Australien. Eine Impfung für Jungen und Männer wird momentan von der STIKO nicht empfohlen. Die Bedeutung der HPV-Impfung von Mädchen konnte für das Gesundheitssystem in Deutschland im Rahmen von mathematischen Modellierungen und gesundheitsökonomi- schen Evaluationen aufgezeigt werden. In Annahme einer Fortführung der Screeningprogramme und einer HPV-Impf quote bei Mädchen von ca. 50% können über einen Zeitraum te zusätzlich zu 98% vor durch HPV 16 oder 18 bedingte von hundert Jahren schätzungsweise 37% aller Zervixkarzi- Krebsvorstufen (sogenannte CIN 2+ Läsionen). Auch sieben nome in Deutschland verhindert wer- Jahre nach erfolgter Grundimmunisierung waren Mädchen den. Es ist davon auszugehen, dass eine stiko empfiehlt bzw. Frauen noch zu einem hohen Anteil gegen neu auftre- Steigerung der Impfquoten entsprechend seit 2007 die Impfung tende HPV-16- oder -18-Infektionen geschützt. Mittlerweile mehr Krebsfälle verhindern würde. An- für Mädchen sind auch erste Studien zur Entwicklung der Impfeffektivität dere Industrieländer wie beispielsweise nach Einführung von Impfprogrammen veröffentlicht worden, England und Australien erreichen mit Schulimpfprogram- in denen eine deutliche Reduzierung der Vakzin-relevanten men deutlich höhere Impfquoten. In Deutschland sollten HPV-Typen sowie eine Reduzierung der dadurch bedingten daher Aktivitäten intensiviert werden, die den Nutzen der Genitalwarzen aufgezeigt wurden. Impfung der Ärzteschaft wie auch Mädchen und Eltern besser Seit Frühjahr 2015 ist in den USA ein neuer HPV-Impfstoff vermitteln. Zusätzlich sollte die Jugendvorsorgeuntersuchung zugelassen, welcher zusätzlich zu den in Gardasil enthaltenen J1 besser (z. B. durch Einladungsschreiben) beworben und 4 HPV-Typen auch die HR-HPV-Typen 31, 33, 45, 52 und 58 entsprechend auch für die Unterbreitung eines Impfangebots umfasst. Mit dem neuen Impfstoff werden somit HPV-Typen genutzt werden. abgedeckt, welche für ca. 90% (statt bisher 70%) aller Gebär- mutterhalskrebse verantwortlich gemacht werden. Auch in Europa ist der Impfstoff (Gardasil 9) bereits von der Europäi- schen Zulassungsbehörde (EMA) zugelassen und wird ver- mutlich im Laufe des Jahres 2016 auf dem deutschen Markt verfügbar sein. In Deutschland wird von der Ständigen Impfkommission (STIKO) seit 2007 eine HPV-Impfung für Mädchen empfohlen. Zur Erlangung eines optimalen Impfschutzes sind in Abhän- gigkeit des Impfalters zwei oder drei Impfstoffdosen not- wendig. Primäres Ziel der Impfung ist eine Reduzierung der durch das Zervixkarzinom verursachten Krankheitslast in Deutschland. 2014 wurde das empfohlene Impfalter von 12– Anna Loenenbach MA, MSc (Epidemiology), 17 auf 9–14 Jahre heruntergesetzt. Diese Änderung hatte Abt. für Infektionsepidemiologie mehrere Hintergründe: Eine zuverlässige Wirksamkeit der Fachgebiet 33 (Impfprävention) am Robert-Koch-Institut in Berlin. LoenenbachA@rki.de
pr ävention 13 Patientenschulungen: Geprüft und für gut befunden? mdk forum Heft 4/2015 Als primäre Prävention richten sie sich an gesunde Menschen, als sekundäre Prävention an chronisch Kranke, damit sich deren Krankheit nicht verschlimmert. Der Begriff »Schulung« bedeutet dabei immer ein strukturiertes und zielorientiertes Vorgehen. In den Nationalen Versorgungsleitlinien zu Diabetes ffekte der Schulung auch tatsächlich im weiteren Verlauf E mellitus und Asthma bronchiale werden Patientenschulun- eintreten. Nur so kann zeitnah ein vielversprechendes Schu- gen mit hohem Evidenzgrad ausdrücklich empfohlen, auch lungsprogramm mit dem Vorbehalt einer nachfolgenden Prü- wegen der günstigen Kosten-Nutzen-Relation. Sie gehören fung an den Start gebracht werden. mittlerweile zu den ambulanten Behandlungsbestandteilen Ein solches Qualitätssicherungsinstrument ist die Adi von Disease-Management-Programmen. Außerdem werden positas-Patienten-Verlaufsdokumentation (APV). Seit 2000 Patientenschulungen stationär im Krankenhaus, z. B. bei Erst entwickelt die Universität Ulm im Auftrag der »Arbeitsgemein- diagnose eines Diabetes mellitus, oder im rehabilitativen Set schaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter« diese Doku- ting durchgeführt. Es gibt bereits Schulungen für Menschen mentation, die auch von der Bundeszentrale für gesundheit- mit atopischer Dermatitis, Brustkrebs, Epilepsie, arterieller liche Aufklärung unterstützt wird. Adipositasrelevante Daten Hypertonie, rheumatischen Erkrankungen, Kopfschmerzen, der verschiedenen bundesweit angebotenen Patientenschu- ADHS und seit einiger Zeit zunehmend für Personen mit Adi- lungsprogramme können so erfasst und ausgewertet werden positas. Strukturierte Lehr- und Lern-Materialien vermitteln und ermöglichen einen direkten Vergleich ambulanter und den Patienten krankheits- und behandlungsbezogene Kom- stationärer Programme. Eines der Ergebnisse bestätigt eine petenzen. Neben indikationsbezogenem Fachwissen sind Binsenweisheit: Schulungskonzepte, die im Vorfeld eine hohe Kenntnisse der Pädagogik bzw. Didaktik sowie Lern- und Ver- Motivation als Voraussetzung zur Aufnahme in das Schulungs- haltenspsychologie – abgestimmt auf die Zielgruppe – unver- programm fordern, zeigen bessere Ergebnisse als Programme zichtbar. ohne Berücksichtigung der Motivation. Der MDK prüft auch Die Aufgabe des MDK ist es, Patientenschulungen als Mittel schlüssige Ein- und Ausschlusskriterien für die Aufnahme in der Sekundärprävention auf genau diese Dinge hin zu über- ein Schulungsprogramm. prüfen. Dabei gelten neben den gesetzlichen Vorgaben die Im sgb V ist festgelegt, dass die Krankenkasse wirksame »Gemeinsamen Empfehlungen vom GKV-Spitzenverband« und effiziente Patientenschulungen für chronisch Kranke (i. d. F. vom 21. 4. 15), die die Voraussetzungen für die indivi- erbringen kann. Das Angebot richtet sich somit an Menschen duelle Inanspruchnahme und die qualitative Weiterentwick- mit bestehenden chronischen Krankheiten, ist also eine lung von Patientenschulungen für chronisch Kranke regeln. Maßnahme der Sekundärprävention. Zusätzlich orientieren sich die Gutachter MDK-intern an den Bei der Frage, ob die individuellen Voraussetzungen für Standards für die Konzeptbegutachtung von Patientenschu- eine Patientenschulung bei einem Patienten vorliegen oder lungsmaßnahmen der Sozialmedizinischen Expertengruppe ob überhaupt eine »chronische Krankheit« besteht, kann (SEG 1) der MDK Gemeinschaft. sich die Krankenkasse vom MDK beraten lassen. Im Bereich Bei einer solchen Konzeptprüfung bewertet der MDK der Primärprävention sind Patientenschulungen bisher nicht neue Konzepte oder Anbieter, die bereits geprüfte Konzepte in größerem Umfang etabliert, da der vom Gesetzesgeber an einem anderen Ort durchführen möchten. Dabei steht die geforderte »Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Un- Bewertung der Wirksamkeit und Effizienz des Schulungspro- gleichheit von Gesundheitschancen« nur begrenzt erreicht gramms im Vordergrund. Wenn ein langfristiger Wirksam- werden kann. keitsnachweis noch nicht erfolgt ist, liegt der Fokus auf einer Begleitevaluation und der Erfassung der Ergebnisqualität. Dr. Thomas Bode, MDK Westfalen-Lippe. Die Bewertung dieser beiden Aspekte soll einen Hinweis dar- Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, auf geben, ob die von den Anbietern erwarteten positiven Sozialmedizin. TBode@mdk-wl.de
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