Was hilft uns in unsicheren Zeiten? - Themenschwerpunkt - Zeitschrift für Betreuung und Pfl ege - connexia

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Was hilft uns in unsicheren Zeiten? - Themenschwerpunkt - Zeitschrift für Betreuung und Pfl ege - connexia
Zeitschrift
für Betreuung
und Pflege

                                  Themenschwerpunkt

                Was hilft uns in
                unsicheren Zeiten?
                2 | 2021 22. Jahrgang
Was hilft uns in unsicheren Zeiten? - Themenschwerpunkt - Zeitschrift für Betreuung und Pfl ege - connexia
Inhaltsverzeichnis

Editorial | 3
Was hilft uns in unsicheren Zeiten? | 4
Aktion Demenz und gerontopsychiatrische Projekte | 5
Mit der Unsicherheit Freundschaft schließen | 6
Der Verlust meiner Freunde war schlimmer | 9
Alltags-Rituale | 11
Veranstaltungen | 12
Bewegt sich der Körper – bewegt sich der Geist | 15
Von der Kunst, mit mir selbst befreundet zu sein | 16
Schreiben hat für mich heilende Wirkung | 18
„Da sein“ als Angelpunkt | 20
„Bewusst gemacht“ – Zum Leben erwecken | 22
Impressum und Vorschau | 23
Was hilft uns in unsicheren Zeiten? - Themenschwerpunkt - Zeitschrift für Betreuung und Pfl ege - connexia
Liebe Leserin,
lieber Leser!
Bis vor einem Jahr dachten wir, dass alles mehr
oder weniger vorhersehbar ist. Wir planten einen
Urlaub, fixierten einen Termin oder freuten uns
auf ein Treffen im Freundeskreis. Meist kam
nichts dazwischen und alles lief wie am Schnür-
chen. Und seit März 2020 ist alles anders: Alles
erscheint ungewiss, wir haben keine Ahnung,
wie die Zukunft aussehen wird.

Wie können wir lernen, ein positives Verhältnis
zur Unsicherheit aufzubauen? Dr.in Natalie
Knapp fordert uns in ihrem Text auf, mit der
Unsicherheit Freundschaft zu schließen und
gibt uns eine Anleitung dafür. Melanie Wolfers
lenkt mit ihrem Beitrag unsere Aufmerksamkeit
auf uns selbst und gibt uns einen Einblick, wie
wertvoll es ist, mit sich selbst befreundet zu sein.

Was hilft Ihnen in unsicheren Zeiten? Wir freuen
uns über Ihre Zuschriften per E-Mail oder per
Post und wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen.

Herzlich,
Ihr „daSein“ Redaktionsteam

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Was hilft uns              in unsicheren Zeiten?

       Das Jahr 2020 war in vielerlei Hinsicht             Die Ansprüche und Aufgaben im Pflege- und
       „außergewöhnlich“ und wird uns allen in             Betreuungsbereich steigen stetig an
       Erinnerung bleiben. Die Corona-Pandemie,            Im Fokus der Verantwortlichen steht daher seit ge-
       die Anfang des Jahres in dieser Form wohl           raumer Zeit die Frage der Personalressourcen. Wir
       kaum jemand für denkmöglich gehalten                brauchen jetzt und in Zukunft entsprechende Per-
       hätte, hat den Menschen, der Gesellschaft           sonalressourcen, die für die Betreuung und Pflege
       und auch der Politik „Grenzen aufgezeigt“.          von Menschen zuhause, in Tagesbetreuungen und
       Sie hat die Realität und Existenz von               in Pflegeheimen zur Verfügung stehen. Es ist ein
       Schwachpunkten schmerzlich offengelegt,             „Mix“ an Arbeitskräften mit unterschiedlichen
       die von den Verantwortlichen, jedenfalls            Qualifizierungen, von MOHI-Mitarbeitenden über
       bisher, teilweise „hingenommen“ wurden.             Heimhilfen, Pflegefach-, Pflegeassistentinnen und
                                                           -assistenten und diplomierten Pflegefachkräften.
    Wir, die im sozialen Bereich tätig sind, spüren
    die Folgen von Corona in besonderer Weise.             Hier sind langfristige Modelle gefragt, die jun-
    Wenn in den Medien von Vereinsamung, sozi-             gen Menschen Pflegeberufe attraktiver machen
    alem Rückzug und von psychischen Problemen             (Ausbildung, gerechte Entlohnung, …). Modelle,
    der Menschen berichtet wird, sind wir es, die          die diese Tätigkeiten zu dem machen, was sie
    das in unserer täglichen Arbeit spüren und             tatsächlich sind – erfüllende Berufe mit besten
    erleben.                                               Zukunftschancen. Vor allem sind auch Bemü-
                                                           hungen gefragt, jungen Frauen fixe Anstellungen
    Was den Betroffenen in diesen Zeiten hilft, ist        bieten zu können – besonders im Bereich der
    schon mal die „pure Anwesenheit“ von Pflege-           Mobilen Hilfsdienste. Allein die demografische
    und Betreuungspersonal, sei es vom Mobilen             Entwicklung der Gesellschaft zeigt die Dringlich-
    Hilfsdienst, vom Krankenpflegeverein, vom              keit solcher Konzepte. Mit der Strategie „ambu-
    gerontopsychiatrischen Dienst, vom Case-Ma-            lant vor stationär“ ist die Landespolitik jedenfalls
    nagement, in der Tagesbetreuung oder auch in           auf dem richtigen Weg. Ein Weg, an dessen An-
    den Pflegeheimen. Das Wissen, dass da jemand           fang wir erst stehen. Besondere Bedeutung hat
    ist, der zuhören und unterstützen kann, bringt         zweifelsohne auch ein funktionierendes Netzwerk
    vielen Menschen Hoffnung und Zuversicht in             von Hilfsorganisationen, das vor Ort Situationen
    ihren oft tristen Alltag. Wir sind da, wenn die        aufmerksam und sensibel beobachten kann. Wir
    Familie aufgrund der aktuellen Situation nicht         haben das Privileg in einem Land zu leben, in
    mehr da sein kann.                                     dem strukturell gute Voraussetzungen geschaffen
                                                           wurden, dass Menschen (besonders) in diesen
    Von uns ist ein hohes Maß an Empathie gefor-           Zeiten „aufgefangen“ werden können.
    dert – das Vermögen, im richtigen Augenblick
    die richtigen Worte zu finden, oder manchmal           Nicht zuletzt ist aber auch ehrliche „Wertschät-
    vielleicht auch nur zuzuhören. Das Lächeln im          zung“ für all jene unverzichtbar, die in diesen
    Gesicht unserer Klientinnen und Klienten gibt          Berufen täglich ihr Bestes geben. Diese Wert-
    uns dann wieder Kraft und Energie für die täg-         schätzung soll oder darf aber nicht nur auf
    lichen Herausforderungen.                              „nette Worte“ beschränkt bleiben.

                                Siegfried Hämmerle
                                Mobiler Hilfsdienst, Sozialdienste Lustenau gem. GmbH
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Vorzeigemodelle
für ganz Österreich
   Bundesminister Rudolf Anschober besuchte Anfang an bemüht, Begegnungsmöglichkeiten
   bei einem virtuellen Pflegedialog Vorarlberg zu schaffen – etwa mit den Musikkurieren mit
                                                         Gartenkonzerten oder einem Bewegungsangebot
Bei seiner Pflegedialog-Tour durch die Bundes-           während der Sommermonate.“ Nun gibt es ein
länder machte Bundesminister Rudolf Anschober            neues Angebot: Seit Dezember bietet das Café 96
nun auch in Vorarlberg halt, Corona-bedingt              einen virtuellen Raum für Austausch und humor-
fand der Besuch virtuell statt. Landesrätin Ka-          volle Begegnung von Menschen mit Demenz.
tharina Wiesflecker präsentierte gemeinsam mit           Jeden Mittwoch um 15 Uhr treffen sich Menschen
Martin Hebenstreit (Geschäftsführer connexia)            mit Demenz auf einer Online-Plattform, das Pro-
und Projektleiterin Daniela Egger die Aktion             gramm reicht von Daumenyoga bis zur Lesung
Demenz sowie weitere innovative Projekte in der          kleiner Texte. Anmeldung per E-Mail an:
gerontopsychiatrischen Versorgung.                       info@aktion-demenz.at

„Es ist sehr erfreulich, dass in Vorarlberg Projekte     Ein weiteres wichtiges Angebot sind die Orien-
entwickelt worden sind, die für ganz Österreich          tierungsgespräche Demenz. „Besonders für die
interessant sein können“, so die Landesrätin. Die        pflegenden Angehörigen ist es wichtig, kurz-
Aktion Demenz engagiert sich auf vielfältige Art         fristig und unbürokratisch Antworten auf jene
und Weise dafür, dass über die Krankheit öffent-         Fragen zu erhalten, die für die eigene Situation
lich geredet wird. Dies sei ein wesentlicher Schritt     gerade drängend sind – und ein Besuch zu Hause
für ein breites Verständnis für die unterschied-         bringt oft sehr schnell Klarheit über die nächsten
lichen Verläufe und Stadien der Erkrankung, die          Schritte“, begrüßt die Landesrätin diese unkom-
noch vorhandenen Ressourcen und die Bedeutung            plizierte Art der Beratung. Für diese kostenlosen
sozialen Zusammenhalts, so Wiesflecker weiter.           Beratungsgespräche stehen Expertinnen und
Inzwischen gibt es bereits 44 Modellgemeinden            Experten zur Verfügung, die Gespräche finden
der Aktion Demenz, damit können über 60 Pro-             in der häuslichen Umgebung, telefonisch oder als
zent der Bevölkerung erreicht werden.                    Online-Beratung statt.

In Vorarlberg sind derzeit etwa 6.000 Menschen           Interessiert war der Minister auch am Angebot
mit einer demenziellen Entwicklung diagnosti-            der „Ambulanten gerontopsychiatrischen Pflege“
ziert, die Prognosen gehen bis zum Jahr 2050             in Kooperation mit den örtlichen Krankenpflege-
von einer Verdreifachung aus. Die meisten Men-           vereinen, das ab Ende 2021 in allen Vorarlberger
schen mit einer kognitiven Veränderung werden            Gemeinden zur Verfügung stehen wird. Und auch
zu Hause von Angehörigen betreut und gepflegt.           die „Weiterentwicklung der gerontopsychiatri-
Um die pflegenden Angehörigen zu entlasten,              schen Kompetenz in der stationären Langzeit-
gibt es mittlerweile fünf Tagesbetreuungen mit           pflege“ wird kontinuierlich vorangetrieben. Das
Schwerpunkt für Menschen mit kognitiver                  Projekt bietet Qualifizierungen für Betreuungs-
Beeinträchtigung. „Die Pandemie stellt gerade            und Pflegepersonen. Bundesminister Anschober
für Demenzkranke und ihre Angehörigen zusätz-            zeigte sich beeindruckt und versicherte, diese
lich eine große Belastung dar“, so Landesrätin           Erfahrungen in den anstehenden Reformprozess
Wiesflecker. „Die Aktion Demenz war schon von            einfließen zu lassen.

                                    Landesrätin Katharina Wiesflecker

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Mit der Unsicherheit
    Freundschaft schließen
       Noah hatte keine Ahnung, ob er mit                     und vieles mehr. Das alles gehört zur äußeren
       seiner Arche durchkommen würde, aber                   Unsicherheit, zur Ungewissheit des Lebens.
       er hatte trotzdem den Mut, die Zukunft
       aller Lebewesen auf sein Schiff zu laden.              Die zweite Komponente der Unsicherheit
       Für eine solche Handlung hatten die                    ist unsere emotionale Reaktion auf solche
       Griechen ein eigenes Wort, sie nannten                 Ereignisse:
       es „archein“, anfangen. Man beginnt                    Wir fühlen uns schutzlos, ausgeliefert, unvorberei-
       mit einem wichtigen Vorhaben ohne zu                   tet. Dieses Gefühl ist unangenehm. Aber es über-
       wissen, ob man alle aufziehenden Stürme                fällt uns nicht, um uns zu ärgern, sondern ver-
       durchsegeln und alle widerständigen                    mittelt uns eine wichtige Botschaft. Die Botschaft
       Eisberge umschiffen wird.                              der Unsicherheit lautet: Du kennst dich mit dieser
                                                              Situation nicht aus, du weißt nicht wie es geht,
    Das anfangende Handeln bleibt daher jenen                 denn hier passiert gerade etwas Unerwartetes,
    vorbehalten, die den Mut haben, ins Ungewisse             vielleicht sogar etwas ganz Neues. Wer sich un-
    zu segeln und jenen, die keine Wahl haben.                sicher fühlt, hat also emotional bereits begriffen,
    Was dabei hilft, ist ein positives Verhältnis             dass die Aufgabe, die vor ihm liegt, mit Routine
    zur Unsicherheit. Man muss darauf vertrauen,              nicht zu bewältigen ist.
    gemeinsam mit anderen eine wünschenswerte
    Zukunft gestalten zu können. Gemeinhin gehen              Emotionen geben uns immer auch einen Hand-
    wir davon aus, es sei unprofessionell, sich unsi-         lungsimpuls. Der Handlungsimpuls der Unsicher-
    cher zu fühlen. Aber ich möchte Sie gerne vom             heit ist unklar und zögerlich. Weil diese uns ja
    Gegenteil überzeugen. Denn ich behaupte: Wer              mitteilt, dass wir uns nicht auskennen und keine
    sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht ab              Routine haben, verlangsamt sie unser Handeln.
    und zu unsicher fühlt, ist eine Dilettantin oder          Der Weg entsteht erst, indem wir ihn gehen. Es
    ein Dilettant.                                            geht also darum, ganz vorsichtig einen Schritt
                                                              vor den anderen zu setzen. Etwas auszuprobieren
    Und zwar aus folgendem Grund:                             und immer wieder zu schauen, ob der Boden
    Die Unsicherheit hat immer zwei Komponenten –             noch trägt. Zwischenergebnisse auszuwerten.
    erstens die äußere Unsicherheit:                          Wenn nötig auch wieder einen Schritt zurück-
    Das ist die Offenheit und die Unberechenbarkeit           zugehen. Die Botschaft der Unsicherheit ist
    der Welt, d.h. die einfache Tatsache, dass wir gar        eine andere als die der Angst. Die Angst ist ein
    nicht wissen können, wie sich alles entwickeln            ganz basales Gefühl, das an Instinktreaktionen
    wird. Das erleben wir in letzter Zeit sehr häufig         gekoppelt ist. Es war ursprünglich dafür da,
    nach Naturkatastrophen, Terroranschlägen oder             unser Überleben zu sichern.
    politischen Umbrüchen. Und in diesem Jahr ganz
    besonders durch den Ausbruch einer Pandemie.              In der Angst stehen uns daher nur drei Hand-
    Aber es gibt natürlich auch auf der persönlichen          lungsmöglichkeiten offen: wir können angrei-
    Ebene Ereignisse, die wir nicht vorhersehen               fen, weglaufen oder uns totstellen. Und zwar
    können, und die unser Leben auf den Kopf                  möglichst schnell. Die Angst beschleunigt und
    stellen. Todesfälle, Krankheiten, Trennungen              begrenzt unseren Handlungsspielraum, sie lässt

                                  Dr.in Natalie Knapp, Philosophin, Autorin

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unser Blickfeld eng werden. Im Zustand der
Angst kann es passieren, dass jemand monate-
lang seine Briefe nicht mehr öffnet, weil er
seine Rechnungen nicht bezahlen kann, obwohl
es sinnvoller wäre, zur Schuldenberatung zu
gehen. Die Unsicherheit hingegen wird gerade
deshalb als unangenehm erlebt, weil sie uns
zwingt, Neues zu entwickeln. Könnten wir diesen
unangenehmen Zustand aus der Welt schaffen,
verlören wir gleichzeitig einige der kostbarsten
Fähigkeiten, die wir besitzen.

Die Fähigkeit, Hoffnung zu haben ...
Könnte man die Unsicherheit aus der Welt schaf-
fen, würde man uns damit auch die Hoffnung
rauben. Denn um alles vorausplanen zu können
und damit immer vorbereitet und auf der sicheren
Seite zu sein, müsste man die Zukunft kennen.
Doch wenn die Zukunft feststünde, liefe das Leben
wie ein mechanisches Uhrwerk ab. Nichts Uner-
wartetes könnte dazwischenkommen, aber es gäbe
auch nichts mehr, worauf wir hoffen dürften. Wir
wären dieser festgelegten Zukunft ausgeliefert.

Die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen ...        Die Fähigkeit, schöpferisch zu sein ...
Nur weil die Zukunft ungewiss ist, haben wir        Die Unsicherheit ist der Ausgangszustand für
die Möglichkeit uns einzumischen, uns zu ent-       jeden schöpferischen Akt und jede neue Ent-
scheiden, mitzumischen und etwas zu verän-          wicklung. Nicht zu wissen wie es geht, ist die
dern. Wir sind in unseren Entscheidungen nie        Voraussetzung dafür, dass etwas Neues entsteht.
vollkommen frei, weil wir in eine Zeit und eine     Denn wüssten wir schon wie es geht, wäre unser
Gesellschaftsform hineingeboren werden, die         Handeln nichts weiter als Routine und Rezept
unsere Freiheit einschränkt. Aber wir können        und nichts Neues könnte daraus hervorgehen.
neue Entscheidungen treffen und scheinbar fest-     Die dazugehörige Unsicherheit ist kein Mangel-
gefügte Zustände Schritt für Schritt verändern.     zustand, sie ist in der Evolution vorgesehen, um
Das Unterzeichnen der UN Behindertenrechts-         Entwicklung zu ermöglichen.
konvention ist ein wunderbares Beispiel für
einen großen geistigen Schritt, dem Milliarden      Die Fähigkeit, lebendig zu sein ...
praktischer Alltagsschritte folgen müssen, um       Die Natur hat jedem Lebewesen zwei Fähigkeiten
eines Tages zu einer stabilen Lebensgrundlage       mitgegeben. Jedes Lebewesen ist in der Lage,
für viele Menschen zu werden. Doch jeder ein-       seine Form zu erhalten, sie zu verteidigen und
zelne dieser mühevollen Schritte hilft dabei, ei-   gegebenenfalls wiederherzustellen, wenn sie ange-
nen neuen Weg für die Menschheit zu bahnen.         griffen wurde.

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Was hilft uns in unsicheren Zeiten? - Themenschwerpunkt - Zeitschrift für Betreuung und Pfl ege - connexia
Es kann Zellen erneuern, Heilungsprozesse
    anstoßen und sich regenerieren. Denn die Form
    eines jeden Lebewesens hat für die Natur einen
    Wert, weil sie einzigartig ist.

    Um unsere jeweils einzigartige Form verteidigen
    zu können, haben wir noch eine zweite Fähigkeit
    bekommen. Während wir äußerlich wiedererkenn-
    bar bleiben, verwandeln wir uns kontinuierlich.
    Wir nehmen beispielsweise ständig Sauerstoff aus
    der Umgebung auf und geben Kohlenstoff ab. Wir
    füttern unsere Form mit fremdem Material. Wir
    verwandeln fremdes Material in eigenes und eige-
    nes Material in fremdes, um überhaupt wir selbst
    bleiben zu können. Bewahren und Verwandeln            wir überlebensfähig sind und mit der wir uns
    gehören für jedes Lebewesen zusammen. Stabili-        nach einer gewissen Zeit und mit etwas Glück
    tät entsteht bei Lebewesen durch die dynamische       und Anpassungsvermögen auch einverstanden
    Instabilität von Verwandlungsprozessen. Des-          erklären können.
    halb gibt es für jedes Lebewesen auch Sicherheit
    (Stabilität) und Unsicherheit (Instabilität) nur im   Wie machen wir das?
    Doppelpack. Die Grundspannung zwischen diesen         Die Ergebnisse der Resilienzforschung lassen sich
    beiden Polen liefert die Energie, die wir brauchen,   nicht so verallgemeinern, dass man Rezepte dar-
    um lebendig zu sein.                                  aus ableiten könnte. Weil wir alle so einzigartig
                                                          und verschieden sind, nutzen wir auch dafür un-
    Die Fähigkeit zu wachsen und                          terschiedliche Fähigkeiten. Zentral ist allerdings
    uns zu erneuern ...                                   fast immer die Fähigkeit, stabile Beziehungen zu
    Wir besitzen von Natur aus ein ausgefeiltes Sys-      führen. Dazu gehören Fähigkeiten wie Kommu-
    tem, das uns dabei unterstützt, die Grundspan-        nikation, Zuhören, Wertschätzung, Einfühlungs-
    nung des Lebens auszuhalten, daran zu wachsen         vermögen, Frustrationstoleranz und vieles mehr.
    und uns kreativ zu verwandeln. Wir nennen es          Denn diese Beziehungsfähigkeiten stellen sicher,
    „Immunsystem“. Genau genommen haben wir               dass wir uns in Krisenzeiten auf die Kraft der
    sogar drei verschiedene Immunsysteme, ein bio-        Gemeinschaft verlassen können. Unsere größte
    logisches, ein psychologisches und ein geistiges.     Stärke besteht darin, uns gegenseitig unterstüt-
    Der psychologische Fachbegriff für die Fähigkeit,     zen zu können und nicht allein zu sein. Wer mit
    unsere Identität zu verteidigen, heißt Resilienz.     diesen Fähigkeiten und an diesen Fähigkeiten
    Das ist ein Begriff aus der Materialphysik. Er        arbeitet, unterstützt nicht nur einzelne Menschen
    bezeichnet die Fähigkeit eines Materials in sei-      in Krisensituationen und sorgt für eigene Krisen
    ne Form zurückzufinden, wenn es durch äußere          vor, sondern stärkt die Resilienz unserer Gesell-
    Einflüsse strapaziert wurde. Resilienz ist daher      schaft und hilft uns allen dabei, mit der Unsi-
    unsere Fähigkeit wieder zu unserer Form zurück-       cherheit Freundschaft zu schließen.
    zufinden, nachdem wir strapaziert wurden. Wir
    finden nicht immer zu einer exakt identischen         http://anders-denken-lernen.de
    Form zurück, aber häufig zu einer Form, mit der       Buchtipp: Der unendliche Augenblick

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Der Verlust meiner Freunde
war schlimmer                                           Interview mit John Ross, Modedesigner,
                                                        an Demenz erkrankt

    John Ross (65) ist weit herumgekommen                   Würdest du bitte etwas über Lewy Body
    in seinem Leben – von Glasgow aus er-                   Demenz erzählen? Ich weiß, das ist nicht
    oberte er als junger Designer die Welt der              leicht ... beeinträchtigt sie auch dein
    Schauspieler, Popstars und Künstler. Schon              Kurzzeitgedächtnis? Ja, mein Kurzzeitgedächt-
    in jungen Jahren wurde er Chefdesigner,                 nis wird immer schlechter. Aber die schlimmsten
    verantwortlich für 110 Filialen einer Mo-               Symptome sind die Halluzinationen. Die habe
    defirma, er lebte in London, Paris, Tel Aviv,            ich immer noch, aber wir haben das jetzt medi-
    Frankfurt, Bombay und Amsterdam. Er                     kamentös einigermaßen im Griff. Zu Beginn der
    kehrte 2014 zurück nach Schottland, wo                  Diagnose dauerten sie bis zu 16 Stunden täglich
    ihm bald danach sowohl Parkinson als auch               und sie waren wirklich nicht schön. Ich hatte
    Lewy Body Demenz diagnostiziert wurde.                  schreckliche Halluzinationen. Manchmal funktio-
                                                            nieren die Medikamente nicht, dann sind sie wie-
Im Interview mit Susan Rendell erzählt er sehr              der da. Aber auch in guten Zeiten habe ich drei
offen darüber, wie sehr sich sein Leben seither             bis vier Mal in der Woche Halluzinationen, ganz
verändert hat. Susan arbeitete bis zur Covid-19             wegbekommen kann ich sie nicht.
Krise als „link worker“ für Alzheimer Scotland und
war seit seiner Diagnose ständig in Kontakt mit             Weißt du, welche Medikamente helfen? Ich
ihm. Sie begleitet ihn und viele andere im Rahmen           nehme viele, unterschiedliche. Auch ein homöo-
ihrer Tätigkeit durch die Hürden des Alltags.               pathisches Mittel ist dabei, es heißt tarantula
                                                            hispanica – das Venon der Spinne hilft gegen die
Bist du bereit für unser Interview, John?                   Halluzinationen. Das Problem ist, dass ich die
Sicher. Ich war ziemlich erfolgreich in meinem              Parkinson-Medikamente nicht nehmen kann, weil
Arbeitsleben, war auf der ganzen Welt unterwegs             sie die Hallus verstärken.
und arbeitete für Stars aus der Film- und Musik-
branche. Ich war andauernd beschäftigt und ziem-            Wie gehst du damit um? Zu Beginn der Dia-
lich gefragt. Jetzt sitze ich fest. Das ist frustrierend.
                                                 gnose reagierte ich wie alle – schockiert, verwirrt
                                                 und depressiv. Die Diagnose war sehr schwer zu
Du lebst alleine in einer betreuten Wohnung,     akzeptieren für mich. Aber ich wollte nicht sein
welche Art von Unterstützung bekommst du?        wie andere Menschen mit dieser Diagnose, ich
Ja, ich bekomme ein ganzes Unterstützungspaket, wollte nicht ängstlich und depressiv bleiben. Ich
das gut funktioniert. Ich kann wegen der Parkin- war überzeugt davon, einen anderen Umgang
son Erkrankung weder kochen noch einkaufen,      mit dieser Krankheit finden zu können und setzte
ich kann mich nicht selbst waschen und nicht     dem Krankheitsverlauf ein konsequentes positives
anziehen. Meine Bewegungsmöglichkeiten sind      Denken hinzu. Es war eine Überlebensstrategie
sehr stark eingeschränkt, seit etwa sechs Mona-  für mich, die für einige Jahre wirklich gut funk-
ten brauche ich jede Art von Unterstützung. Bald tioniert hat. Inzwischen nehmen die Symptome
werde ich einen persönlichen Assistenten brau-   leider überhand und es gelingt mir immer weni-
chen, weil mein Körper sehr rasch abbaut. Ich    ger, positiv zu bleiben. Aber ich versuche meinen
kann nicht einmal mehr eine Flasche öffnen.      klaren Kopf zu behalten und meine Gedanken

                                        Das Interview führte Susan Rendell

                                                                                                               9
Was hilft uns in unsicheren Zeiten? - Themenschwerpunkt - Zeitschrift für Betreuung und Pfl ege - connexia
zu ordnen, während alles sehr verwirrend ist.        Was ist dir noch wichtig, John?
 Man weiß, dass etwas gravierend falsch läuft im      Eines der schlimmsten Dinge ist, dass ich bei
 Körper. Ich schaue mir eine Netflix-Serie an und     einem Umzug alles verloren habe – alle Fotos,
 weiß am nächsten Morgen nicht mehr, was ich          alle Videos, die gesamte Dokumentation meiner
 sah, ich weiß nicht mehr wie man zählt, wie man      Arbeit. Das war ein Umzug von Thailand nach
 Geld zählt. Das ist wie ein Nebel über dem Den-      London, alles war weg und ich tröstete mich
 ken, du weißt, etwas läuft schief, aber du weißt     damit, dass ich mir sagte: Du hast immer noch all
 nicht genau was.                                     die Erinnerungen daran. Und dann wurde bei mir
                                                      Demenz diagnostiziert. Damit sind mir auch die
 Hast du noch Freunde von früher, die den             Erinnerungen gestohlen worden, so fühlt es sich an.
 Kontakt mit dir halten? Nur einen, der lebt
 in Holland. Fast alle Freunde haben mich fallen      Du hast das Gefühl, dass dir Dinge gestohlen
 lassen, sobald sie von meiner Diagnose erfahren      werden, wegen der Fotos? Denkst du, Fotos
 haben. All die Leute von denen ich dachte, sie       sind besonders wichtig für Menschen mit
 wären meine besten Freunde, haben mich inner-        Demenz? Das ist sehr wichtig. Ich empfehle so-
 halb von sechs Wochen verlassen. Sogar meine         gar dringend, sich eine Playlist mit Lieblingsmusik
 eigene Familie.                                      und ein Erinnerungsbuch zusammenzustellen. Das
                                                      alles kann sehr beruhigend und tröstend wirken.
 Oh, nein. Meine Tochter erklärte mir, dass ich
 keine Unterstützung von ihr erwarten könne. Sie      Und diese Musik hilft dir, an Erinnerungen
 habe drei Geschäfte zu halten und keine Zeit für     zu kommen? Ja, daran sind Erinnerungen
 kranke Menschen. »Und erwarte nicht, dass du         geknüpft und sie beruhigt mich. Du hast nach
 deinen Enkel zu sehen bekommst, ich werde ihn        alternativen Therapien gefragt, darunter war
 nicht mit einem kranken Menschen zusammen            eine Musiktherapie. Ich hätte nie gedacht, wie
 bringen«, das waren ihre Worte.                      wichtig das sein kann – ich dachte, es wäre Zeit-
                                                      verschwendung. Zu meiner Überraschung kann
 Das ist sehr hart. Das war vor sechs Jahren          bestimmte Musik sogar den Tremor verbessern.
 und seither habe ich niemanden aus meiner
 Familie mehr gesehen.                                Den Tremor an der rechten Hand? Ja genau.

 Wie traurig. Das muss schmerzhaft sein.              Und mit Musik … mit der richtigen Musik …
 Meine Freunde und Familie zu verlieren hat mich      geht der Tremor weg.
 mehr getroffen als die Diagnose. Es hat mich
 erschüttert. Selbst Leute, denen ich sehr geholfen   Dann ist Musik wirklich wichtig.       Und das
 habe früher, mit denen ich schöne Momente            Erinnerungsbuch bringt Erinnerungen zurück.
 geteilt habe – alle sind verschwunden.               Also, wenn man die Diagnose bekommt, sollte
                                                      man keine Zeit verlieren. Du solltest die Menschen
 Vielleicht ist das der Grund, weshalb du be-         dazu ermutigen, sich wichtige Erinnerungen zu
 reit bist, so offen über alles zu reden? Weil du     bewahren.
 Menschen mit der Diagnose und ihrem Umfeld
 helfen willst? Ja, das hoffe ich. Ich wünschte,      Das werde ich, danke für das Interview, John.
 ein Interview wie dieses könnte die ablehnende       Sehr gerne – mir ist es wichtig, dass die Menschen
 Haltung von Freunden und Verwandten verändern.       erfahren, was Menschen mit Demenz brauchen.
 Das ist so wichtig.                                  Ich denke, wir können viel verbessern.

10
Alltags-Rituale
   Rituale sind aus dem menschlichen Mitein-
   ander nicht wegzudenken. Sie werden in
   unterschiedlichen sozialen Zusammenhängen
   und verschiedensten Kulturen praktiziert.
   Sie vermitteln Halt und Orientierung, unter-
   stützen bei der Bewältigung schwieriger
   Situationen, in der Entscheidungsfindung
   und im täglichen Miteinander.

Der symbolischen Auseinandersetzung mit den
Grundfragen des Lebens kommt in unterschiedli-
chen Lebensabschnitten eine jeweils eigene Bedeu-
tung zu, denn sie erleichtern das Durchhalten in
krisengebeutelten Zeiten. In der Religion haben     • Nennen Sie morgens beim Blick in den Spiegel
Rituale eine besondere Bedeutung und werden wie-      vier Dinge, für die Sie dankbar sind (Gesund-
derkehrend gefeiert. Sie sind über das Jahr verteilte heit, die Partnerin, der Partner, ein Dach über
freudige Anlässe, um gemeinsam Feste zu feiern.       dem Kopf).
                                                    • Nehmen Sie sich einmal täglich bewusst etwas
Rituale werden zu Fixpunkten                          Zeit für eine persönliche Kraftquelle – ein Ge-
Mit zunehmendem Lebensalter dienen Rituale der        bet, eine Meditation, körperliche Bewegung,
Einhaltung zeitlicher Abläufe und menschlicher        ein Kreuzworträtsel, die Lieblingsmusik etc.
Begegnungen. Tageszeitliche, wöchentliche und       • Nehmen Sie die Mahlzeiten nicht nebenbei ein.
jahreszeitliche Rituale, lebenszyklische und ereig-   Richten Sie sich einen Platz zum Essen mit Blu-
nisbezogene Rituale gewinnen an Bedeutung und         men, Kerzen – je nach Jahreszeit oder Ereignis
Sinnhaftigkeit, werden zu Fixpunkten und dienen       wie Geburtstag, Namenstag, Hochzeitstag. Neh-
als Stütze. Ein geplanter Tagesablauf und wieder-     men Sie Platz und genießen Sie Ihre Mahlzeit.
kehrende Verrichtungen helfen uns im Alltag und • Gönnen Sie sich regelmäßig eine kleine Pause
geben eine zeitliche Orientierung.                    – den Wolken zusehen oder einfach „Löcher in
• Überlegen Sie zu Beginn der Woche, was Sie          die Luft“ starren!
   in den kommenden Tagen vorhaben. Schreiben • Verabschieden Sie sich vom Tag. Erstellen Sie
   Sie Ihre Vorhaben auf.                             gedanklich eine Liste mit dem Wichtigsten, das
                                                      Sie heute erlebt haben. Es war ein guter Tag
Wenn wir alltägliche Handlungen nicht nur             und freuen Sie sich auf den kommenden.
„nebenher“ verrichten, sondern bewusst erleben,
nennen wir dies Achtsamkeit. Mit Achtsamkeit        Die Inhalte der ALT.JUNG.SEIN. Kurse mobilisieren
gelingt es uns, mehr Wertschätzung in unser         Körper, Geist und Seele und sind für viele Teil-
Leben zu bringen und jedem Tag besondere            nehmende ein fixer Bestandteil in der Wochen-
Momente zu bescheren. Viele unserer nebenbei        planung. Sie verbinden auf humorvolle und
verrichteten Tätigkeiten lassen sich ganz einfach wirksame Weise Gedächtnistraining, Psychomo-
in ein wundervolles Alltagsritual einbetten.        torik und Bewegungstraining.

                                     Doris Bauer-Böckle
                                     DSA, Projektleitung ALT.JUNG.SEIN.
                                                                                                        11
Veranstaltungen

 Di 13. April 2021                                                    Di 20. April 2021
 Das Leben ist nicht immer schön                                      Sterbefall – was nun?
 Sepp Gröfler | 19 Uhr | Lebensraum Vorderland,                       Mitarbeitende der Stadt Dornbirn und des
 Rautenastraße 44, Röthis | Freier Eintritt |                         Bestattungsunternehmens Oberhauser | 18.30 Uhr |
 Anmeldung: claudia.wagner@vorderlandhus.at                           Freier Eintritt | Anmeldung: Amt der Stadt
 oder T +43 (0)5522 43661-15 | Veranstalter:                          Dornbirn, Soziales, Pflege und Senioren:
 connexia                                                             soziales@dornbirn.at | Ort: Treffpunkt an der
                                                                      Ach | Veranstalter: Bildungshaus Batschuns
 Mi 14. April 2021
 Reihe für pflegende An- und Zugehörige                               Di 20. April 2021
 Demenz – eine Herausforderung                                        Sterben und Trauer Raum und Zeit geben
 Mag.a Michaela Mayrhofer | 13.30 bis 17 Uhr |                        Rainer Lasser | 18.30 Uhr | Rathaus Bludenz,
 Kurs: 15 Euro inkl. Kaffee und Kuchen | Anmel-                       Werdenbergerstraße 42 | Freier Eintritt |
 dung, Ort und Veranstalter: Bildungshaus Batschuns                   Anmeldung: gesundheit@bludenz.at oder
                                                                      T +43 (0)5552 63621-243 | Veranstalter: connexia
 Mo 19. April 2021
 Ganz Mensch sein bis zuletzt – der Weg des                           Mi 21. April 2021
 Abschiednehmens                                                      Mit Resilienz erfolgreich durchs Leben
 Melitta Walser | 18 Uhr | Seniorenheim Wolfurt,                      Christian Singer | 19.30 Uhr | Häuser der Gene-
 Gartenstraße 1 | Freiwillige Spende | Anmel-                         rationen, Schulgasse 5, Götzis | Freier Eintritt |
 dung: anita.spiegel@sozialdienste-wolfurt.at                         Anmeldung: buero@zaemmaleaba.goetzis.at oder
 oder T +43 (0)5574 71326 | Veranstalter:                             T +43 (0)5523 64050-419 | Veranstalter: connexia
 connexia

       Im Rahmen der aktuellen COVID-19 Hygiene- und Schutzmaß-           Wir bitten Sie, die ausgewiesenen COVID-19 Hygiene- und
       nahmen weisen wir Sie darauf hin, dass es zu Veranstaltungs-       Schutzmaßnahmen laut aktueller Verordnung einzuhalten.
       änderungen und -absagen kommen kann. Entsprechende                 Danke für Ihr Verständnis.
12     Informationen erhalten Sie beim jeweiligen Veranstalter.
Di 27. April 2021                                      der Wallfahrtskirche St. Arbogast mit Claudia
5 leichte Strategien, um schwierige                    Christa, Flöte, Klaus Christa, Viola, Alexander
Probleme zu lösen                                      Swete, Gitarre | 18.15 Uhr Musikalischer Aus-
Clemens Maria Mohr | 20 Uhr | Dorfsaal Mellau,         klang im Bildungshaus | Es ist auch möglich, nur
Platz 292 | Eintritt: 5 Euro | Anmeldung:              am Konzert teilzunehmen | Kosten: 19 Euro für
anneliese.natter@sozialzentrum-bmr.at oder             das Konzert (plus Speisen und Getränke) | An-
M +43 (0)664 1864500 | Veranstalter: connexia          meldung, Veranstalter: Bildungshaus St. Arbogast

Mi 5. Mai 2021                                         Di 25. Mai 2021
Seelische Gesundheit im Alter                          Schlaganfall – Zeit ist Hirn
Dr. Albert Lingg | 18.30 Uhr | Im Schützengar-         Prim. Dr. Philipp Werner | 19 Uhr | Mittelschule
ten, Lustenaus Treffpunkt für Gesundheit und           Thüringen, St. Anna Straße 4 | Eintritt: Euro 5 |
Soziales, Schützengartenstraße 8 | Freier Eintritt |   Anmeldung: office@sozialsprengel-bludenz.at
Anmeldung: soziales@lustenau.at oder                   oder T +43 (0)5552 22031 | Veranstalter: connexia
T +43 (0)5577 8181-3005 | Veranstalter: connexia
                                                       Mi 26. Mai 2021
Di 11. Mai 2021                                        Heute brech‘ ich auf | Biographie Lesung
Reihe für pflegende An- und Zugehörige                 Ingeborg Berta Hofbauer | 19.30 bis 21 Uhr |
Hüt tua i eppas für mi!                                Freier Eintritt | Anmeldung, Ort und Veranstalter:
Christiane Huber-Hackspiel, MSc | 13.30 bis            Bildungshaus Batschuns
17 Uhr | Kurs: 15 Euro inkl. Kaffee und Kuchen |
Anmeldung, Ort und Veranstalter: Bildungshaus          Mi 26. Mai 2021
Batschuns                                              Reihe für pflegende An- und Zugehörige
                                                       Basiswissen für die Pflege daheim
Mo 17. Mai 2021                                        Beate Weber, DGKPin | 13.30 bis 17 Uhr | Kurs:
Parkinson                                              15 Euro inkl. Kaffee und Kuchen | Anmeldung,
Dr. Benjamin Matosevic | 19 Uhr | Rathaus              Ort und Veranstalter: Bildungshaus Batschuns
Lauterach, Hofsteigstraße 2a | Eintritt: 5 Euro |
Anmeldung: annette.king@lauterach.at oder              Do 27. Mai 2021
T +43 (0)5574 680216 | Veranstalter: connexia          Heute brech` ich auf | Biographie und Wandern
                                                       Ingeborg Berta Hofbauer | 9.00 bis 17 Uhr |
Mi 19. Mai 2021                                        Freier Eintritt | Anmeldung, Ort und Veranstalter:
Schwindel - Ursachen und Therapiemöglichkeiten         Bildungshaus Batschuns
Dr. René Summesberger | 19.30 Uhr | Betreu-
bares Wohnen, Mehrzwecksaal, Im Brühl 3,               So 6. Juni 2021
Mäder | Freier Eintritt | Anmeldung:                   „Spazieren mit Wiener Blond“
buero@zaemmaleaba.goetzis.at oder                      15.30 Uhr Musikalischer Spaziergang durch die
T +43 (0)5523 64050-419, | Veranstalter: connexia      Örflaschlucht | 17 Uhr Konzert von und mit
                                                       Wiener Blond in der Wallfahrtskirche St. Arbo-
So 23. Mai 2021                                        gast | 18.15 Uhr Musikalischer Ausklang im
„Tausendgrün - so sagt die Zeit“                       Bildungshaus | Es ist auch möglich, nur am
15.30 Uhr Musikalischer Spaziergang durch die          Konzert teilzunehmen | Kosten: 19 Euro für das
Örflaschlucht – begleitet von Gotthard Bilgeri         Konzert (plus Speisen und Getränke) | Anmel-
und Mathias Lang, Gitarre | 17 Uhr Konzert in          dung, Veranstalter: Bildungshaus St. Arbogast

                                                                                                            13
Di 8. Juni 2021                                       Regelmäßige Veranstaltungen
 Finanzierung von häuslicher Pflege
 und Heimaufenthalt                                    Gesprächsgruppen für betreuende
 Manfred Lackner | 19 Uhr | Sozialzentrum Bürs,        und pflegende Angehörige
 Judavollastraße 3a | Eintritt: 5 Euro | Anmel-        Die Gesprächsgruppen finden an mehreren Orten
 dung: office@sozialsprengel-bludenz.at oder           Vorarlbergs statt. Nähere Informationen finden
 T +43 (0)5552 22031 | Veranstalter: connexia          Sie auf der Homepage: www.bildungshaus-
                                                       batschuns.at oder unter T +43 (0)5522 44290-23
 Di 8. Juni 2021
 Resilienz – das Geheimnis innerer Stärke              Demenz – TANDEM
 Dr.in Elisabeth Gaus | 18.30 Uhr | Im Schützen-       Begleitung und Beratung für Angehörige und
 garten, Lustenaus Treffpunkt für Gesundheit und       Zugehörige. Wir bieten Demenz-TANDEM-
 Soziales, Schützengartenstraße 8, Lustenau | Freier   Gespräche in der Nähe des Wohnortes an.
 Eintritt | Anmeldung: soziales@lustenau.at oder       Die Termine finden zum individuell gewählten
 T +43 (0)5577 8181-3005 | Veranstalter: connexia      Zeitpunkt statt und sind kostenlos.
                                                       Information: Christiane Massimo, DGKPin,
 Mi 9. Juni 2021                                       M +43 (0)664 3813047, E christiane.massimo@
 Reihe für pflegende An- und Zugehörige                bhba.at, Veranstalter: Bildungshaus Batschuns
 Unterstützungs- und Entlastungsangebote
 für die Pflege daheim                                  Trauercafés
 Angelika Hämmerle, Erika Ritter, Christiane           Hospiz Vorarlberg berät und begleitet Trauernde.
 Massimo | 13.30 bis 17 Uhr | Kurs: 15 Euro            Trauercafés finden regelmäßig in Lochau, Dorn-
 inkl. Kaffee und Kuchen | Anmeldung, Ort              birn, Rankweil und Krumbach statt – in Bludenz
 und Veranstalter: Bildungshaus Batschuns              werden Einzelbegleitungen angeboten. Zusätzlich
                                                       bieten unsere Hospizteams in den Regionen
 Di 15. Juni 2021                                      individuelle Beratung und Begleitung für
 Reihe für pflegende An- und Zugehörige                Trauernde an. Information und Veranstalter:
 Bewegen statt Heben – bleib aktiv!                    Hospiz Vorarlberg
 Edith Bechter, DGKPin | 13.30 bis 17 Uhr |
 Kurs: 15 Euro inkl. Kaffee und Kuchen |
 Anmeldung, Ort und Veranstalter: Bildungshaus         Veranstalter | Kontaktdaten
 Batschuns                                             Bildungshaus Batschuns
                                                       6835 Zwischenwasser, Kapf 1
 Do 17. Juni 2021                                      T +43 (0)5522 44290, www.bildungshaus-batschuns.at
 „Wenn das Sprechen schwerfällt“ –                     Bildungshaus St. Arbogast
 wie bleibe ich mit Schwerkranken,                     6840 Götzis, Montfortstraße 88
 Sterbenden im Gespräch?                               T +43 (0)5523 62501, www.arbogast.at
 Melitta Walser | 19 Uhr | Walserhaus, Ifensaal |      connexia – Gesellschaft für
 Walserstraße 264, Hirschegg | Freiwillige             Gesundheit und Pflege
 Spende | keine Anmeldung erforderlich |               6900 Bregenz, Quellenstraße 16
 Veranstalter: connexia                                T +43 (0)5574 48787-0, www.connexia.at

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Bewegt sich der Körper –              bewegt sich der Geist

Frau Winter, Sie sind nun 83 Jahre alt und             Warum ist es aus Ihrer Sicht wichtig,
sehen sehr vital aus, was ist Ihr Geheimnis?           sich zu bewegen?
Ich muss arbeiten können – das brauche ich. Ich        Bewegung ist einfach gesund! Eigentlich ist es
war schon mit 21 Jahren verheiratet und habe           ein Muss! Es ist schön, sich draußen in der Natur
drei Kinder großgezogen. Neben der Familie             zu bewegen, das hält den Körper und den Geist fit!
arbeitete ich noch in einem Gasthaus und half
beim Servieren. Ich habe schon viel Kreatives in       Was würden Sie anderen Menschen empfehlen,
meinem Leben gemacht. Unter anderem arbeitete          um gesund zu bleiben?
ich mit Ton und ließ aus Draht verschiedene            Sich immer wieder etwas vornehmen: mit Freun-
dekorative Dinge entstehen. Am liebsten ist mir        den einen Kaffee trinken gehen, Ausflüge ma-
jedoch immer noch die „Kalligraphie“. Ich fertige      chen, sich auszutauschen und sich auch mal
Geburtstags- und Beileidskarten und schreibe           etwas Gutes gönnen. Gute Gedanken sind auch
Sprüche und Zitate in meine Bücher. Das ent-           wichtig, denn das Gehirn ernährt sich von dem,
spannt mich sehr – da finde ich zu mir. Wichtig        was man ihm füttert.
ist es, glaube ich auch, dass ich lachen und mich
selber gut leiden kann.                                Was bewegt Sie?
                                                       Die „Corona“ Zeit fühlt sich für mich komisch
Was tun Sie, um gesund und beweglich                   an. Auf einmal darf man sich nicht mehr berüh-
zu bleiben?                                            ren. Man muss Abstand halten. Alles wird abge-
Früher ging ich viel in die Berge und auch öfters      sagt, auch meine Gymnastikgruppen. Das alles ist
tanzen. Jetzt ist der Garten meine große Leiden-       sehr eindrücklich aber auch bedrückend für mich.
schaft. Ich halte mich den ganzen Sommer lang
draußen auf. Manche Leute sagen, ich habe einen        Woraus können Sie Kraft schöpfen?
Vogel, dass ich so viel Zeit dort verbringe. Darauf    Ich höre gerne klassische Musik. Ich und mein
antworte ich immer, dass ich ein „ganzes Nest Vö-      Mann gehen gerne zu verschiedenen Konzerten.
gel“ habe, denn es macht mir große Freude, im Gar-     Es ist schön, zusammen etwas zu unternehmen,
ten zu arbeiten und dabei ein Liedchen zu singen.      das uns beiden Freude macht. Auch im Wald
                                                       Pilze sammeln zählt zu unseren Hobbys. Dabei
Sie bieten mit viel Elan Gymnastik für ältere          kann ich auch sehr gut abschalten. Es freut mich
Menschen an, was motiviert Sie dazu?                   auch, die Früchte meiner Arbeit im Garten zu
Ich hatte mit vierzig Jahren einen Bandscheiben-       ernten, Marmelade einzukochen oder Gemüse
vorfall. Danach erfuhr ich bei einem Reha-             einzuwecken. Ich setze auch gerne aus verschie-
bilitationsaufenthalt, wie wichtig es ist, sich        denen gesunden Kräutern „Schnäpsle“ an. Mein
regelmäßig zu bewegen. In Graz absolvierte ich         „Frauenschnäpsle“ ist allerorts berühmt, den ver-
dann den Lehr- und Fit-Wart für Erwachsene,            schenke ich gerne an Verwandte und Bekannte.
später dann auch noch den Lehrgang „Fit für
Senioren“. Jede Woche betreue ich zwei Gruppen         Was möchten Sie zum Schluss noch sagen?
mit insgesamt ungefähr 50 Leuten. Wir sind wie         Da fällt mir ein Spruch ein, der mir sehr gefällt:
eine große Familie und haben auch immer sehr           „Gott achtet mich, wenn ich arbeite. Aber er liebt
viel Spaß miteinander.                                 mich, wenn ich singe.“

                                   Das Gespräch führte Christiane Massimo
                                   Bildungshaus Batschuns
                                                                                                            15
Von der Kunst, mit mir selbst
 befreundet zu sein
                                                           gilt: Sie selbst sind die Person, an die Sie lebens-
                                                           lang gebunden sind. Von morgens bis abends,
                                                           vom ersten bis zum letzten Atemzug verbringen
                                                           Sie in Ihrer eigenen Gesellschaft.

                                                           Angesichts dieser Tatsache läge es nahe anzu-
                                                           nehmen, dass wir Menschen ein großes Interesse
                                                           daran haben, die Beziehung mit uns selbst zu
                                                           pflegen – und zwar in einer Art und Weise, dass
                                                           wir gut mit uns klarkommen. Doch das Gegenteil
                                                           scheint der Fall zu sein: Viele Menschen bringen
                                                           der Beziehung mit sich selbst wenig Aufmerksam-
                                                           keit entgegen. Wollen möglicherweise gar nicht so
                                                           genau wissen, wie es ihnen wirklich geht – etwa,
                                                           wenn sie in fahrlässiger Weise die Signale ihres
                                                           Körpers ignorieren, der nach Erholung lechzt
                                                           anstatt pausenlos funktionieren zu müssen. Die
                                                           Kunst, mit sich selbst Freundschaft zu schließen,
                                                           gehört wesentlich zu einem gelingenden Leben!
     „Du hast null Freunde!“ In großen Lettern             Wir tun uns selbst und den Menschen, mit denen
     blinkte mir diese Nachricht entgegen, als             wir zu tun haben, einen großen Gefallen, wenn
     ich aus beruflichen Gründen eine Face-                 wir diese Kunst pflegen. Was hilft, Freundschaft
     book-Seite eröffnete. Keine erfreuliche               mit sich selbst zu schließen? Ein wichtiges Ele-
     Ansage! Doch glücklicherweise schloss                 ment sind – wie in jeder zwischenmenschlichen
     sich die Ermutigung an: „Wir helfen dir,              Freundschaft - Wohlwollen und Interesse.
     Freunde zu finden.“ Ich bin auf dieses
     Angebot ebenso wenig eingegangen wie                  Ein regelmäßiger Check-in bei sich selbst
     ich der Null-Freunde-Aussage Glauben                  Eine zwischenmenschliche Freundschaft lebt vom
     geschenkt habe. Doch ich wurde nach-                  echten, wohlwollenden Interesse aneinander. Mit
     denklich: „Melanie, du weißt um Freunde               einem Freund oder einer Freundin will ich ge-
     an deiner Seite, auf die du bauen kannst,             meinsam Zeit verbringen. Umgekehrt beginnt ei-
     und die sich auf dich verlassen können.               ne Freundschaft zu bröckeln, wenn 1000 andere
     Doch wie sieht es im Umgang mit dir                   Dinge wichtiger erscheinen als ein gemeinsamer
     selbst aus: Wie kommst du mit dir selbst              Abend. Fehlendes Engagement und Desinteresse
     klar? Bist du – im Großen und Ganzen – mit            untergraben eine vertrauensvolle Beziehung, bis
     dir und deiner Geschichte befreundet?“                sie dann irgendwann wie ein Kartenhaus in sich
                                                           zusammenbricht.

 selbst bin die Person, mit der ich die längste Zeit       Was bedeutet dies nun analog für die Beziehung
 meines Lebens zusammenlebe. Und auch für Sie              mit sich selbst? Es braucht zuallererst ein wa-

                               Melanie Wolfers, Theologin, Seelsorgerin und Autorin
                               Foto: ©Robert Maybach
16
ches Interesse an der eigenen Person. Vielleicht     einem wollen, verstummen: äußere Ansprüche
denken sich manche: „Was soll denn daran be-         und innere To-do-Listen, die Stimme des Ehrgei-
sonders sein? Jeder und jede ist sich selbst der     zes und die Angst, nicht zu genügen. In der Stille
oder die Nächste und schaut auf sich.“ Doch sich     lässt sich erleben: „Ich kann einfach da sein, oh-
selbst mehr kennenlernen zu wollen ist alles         ne etwas leisten oder machen zu müssen. Nichts
andere als selbstverständlich! Den umtriebigen       und niemand will etwas von mir – nicht einmal
Alltag so zu gestalten, dass wir immer wieder        ich selbst.“
neu den Kontakt mit uns suchen, verdankt sich
einer bewussten Lebenskultur. Zwar seufzen viele     In dem Maß, in dem wir – immer wieder neu –
sehnsüchtig: „Hätte ich doch mehr Zeit für           den „inneren Raum der Stille“ aufsuchen, werden
mich!“, doch häufig setzen sie ihren Wunsch          wir bei uns selbst ankommen. Ich persönlich erle-
nicht in die Tat um. Karl Valentin bringt es         be dies auch als ein spirituelles Geschehen: Denn
launig auf den Punkt: „Morgen gehe ich mich          wenn ich näher zu mir selbst finde, erahne ich
besuchen. Hoffentlich bin ich zu Hause!“             zugleich einen umfassenderen Grund, der mich
                                                     und alles von innen herträgt. Und umgekehrt: Je
Wie entschlossen jemand ist, in Tuchfühlung mit      mehr ich in Berührung komme mit dem göttlichen
sich selbst zu kommen, erweist sich darin, ob er     Geheimnis, umso mehr komme ich in Kontakt mit
oder sie sich tatsächlich Zeit und Aufmerksam-       mir selbst. Bernhard von Clairvaux bringt diesen
keit schenkt. Ein kleiner Realitätscheck: Pflege     inneren Zusammenhang auf den Punkt: Geh
ich eine Kultur des Rückzugs und der Selbstrefle-    deinem Gott entgegen bis zu dir selbst.
xion? Schenke ich den verschiedenen Stimmen
in mir Gehör: der Sprache des Körpers und der        Hier und jetzt
Gefühle, der Träume und Ängste? Lausche ich          Jeder Tag bietet viele Gelegenheiten, freund-
auf die substanziellen Fragen, die auftauchen,       schaftsfähiger zu werden – auch im Umgang
wenn ich mit mir allein bin? – Fragen, in denen      mit sich. Das Gute ist: Um sich mit sich selbst
es um die eigene Person geht und die auch ein        anzufreunden, braucht man nur wenig. Eigent-
beunruhigendes Potenzial in sich tragen.             lich brauchen wir nur uns selbst. Wo auch
                                                     immer wir uns gerade befinden, genau dort
Wer regelmäßig das Gespräch mit sich selbst          können wir anfangen!
sucht, der öffnet die Tür zu einem Leben in
Freundschaft mit sich. Denn es braucht den           Factbox
Rückzug in die Stille, um Wesentliches von           Melanie Wolfers ist Theologin, Seelsorgerin und
Unwesentlichem zu unterscheiden. Um das eige-        eine der bekanntesten christlichen Autorinnen
ne Leben zu führen. Wenn Sie Ihre Motivation         im deutschsprachigen Bereich. 2004 trat sie in
stärken wollen, Stille und Selbstreflexion zu kul-   den Orden der Salvatorianerinnen ein. Sie leitet
tivieren, kann es hilfreich sein, sich an Stunden    IMpulsLEBEN, ein Projekt für junge Erwachsene,
erfüllten Schweigens zu erinnern, zum Beispiel       ist gefragte Rednerin und Bestsellerautorin.
an den Spaziergang allein durch die Natur.
                                                     Buchtipp
Was passiert, wenn Schweigen zur Stille wird?        Melanie Wolfers, Freunde fürs Leben.
Was passiert, wenn nichts passiert? Wenn Schwei-     Von der Kunst, mit sich selbst befreundet zu sein
gen zur Stille wird? Stille hat eine beruhigende     adeo-Verlag, 7. Auflage 2020
und heilende Kraft. Die Stimmen, die etwas von       www.melaniewolfers.at

                                                                                                          17
Schreiben hat für mich
     heilende Wirkung                                       Interview mit Herbert Fessler

                                                    Sie haben diesen Text im ersten Lockdown
                                                    geschrieben, wie sehen Sie das Jahr 2020
                                                    im Rückblick, was hat Sie am meisten
                                                    verunsichert?
     Reichende Hände                                Eingesperrt habe ich mich gefühlt, völlig abge-
                                                    schnitten von der Welt. Im November 2020
                                                    erkrankte ich an Corona – da war ich dann
     Danke für die Fürsorge, Pflege, Betreuung.
                                                    natürlich in Quarantäne. Zum Glück hatte
     Danke für die Versorgung mit Medikamenten.     ich keine Symptome. In dieser Zeit war die
     Danke für den Einkauf.                         Reinigungskraft die einzige Person, die ich
     Danke, dass es so selbstlose Menschen gibt.    zu Gesicht bekam. Ich fühlte mich so unglaub-
                                                    lich einsam und hatte Angst, zu verblöden.
     Denn es ist nicht so einfach,
     nicht das Haus zu verlassen.                   Was hat Ihnen in dieser Zeit geholfen?
     Eigentlich die Selbstständigkeit aufzugeben.   Das Schreiben war und ist für mich ganz wichtig.
                                                    Das fordert mich und es ist eine schöne, erfüllende
     Keine Besuche empfangen.
                                                    Beschäftigung. Ich schreibe Geschichten und
     Aber lieber solidarisch zu sein                Gedichte. Ein großes Glück ist, dass mich meine
     und an die Schwächeren denken.                 MOHI Betreuerin, Frau Rani, jetzt wieder zweimal
     Aber die Gefährlichkeit des                    die Woche besuchen kommen darf. Sie stammt aus
                                                    Pakistan und ich freue mich auf unsere Gesprä-
     erkannten Virus Corona zwingt                  che und die gemeinsamen Spaziergänge. Kontakte
     weltweit zu besonderen Maßnahmen.              „nach außen“ zu haben, ist einfach eine riesengro-
     Vielleicht hat auch diese Krise                ße Bereicherung und hilft mir sehr, die Situation
                                                    auszuhalten. Im Lockdown hielten wir regelmäßig
     etwas Gutes, vielleicht beginnen
                                                    über WhatsApp Kontakt. Um meine grauen Zellen
     wir zu denken.                                 anzustrengen, suchte ich jeden Tag ein passendes
     Was haben wir alles verbrochen,                Zitat heraus und schickte es ihr. Wir telefonierten
                                                    auch regelmäßig. Das hielt mich über Wasser.
     an unserer Welt, unserer Natur.
     Wir sollten Besserung geloben.                 Die Möglichkeiten, mit der Familie, den
     Nachdenken, was wir unseren                    Verwandten und Freunden Kontakt zu halten,
     Kindern hinterlassen.                          sind sehr eingeschränkt. Wie kommen Sie
                                                    mit dieser Situation zurecht?
                                                    Ich telefoniere oft, mit meinem Bruder in Ham-
     Herbert Fessler, 2020
                                                    burg spreche ich einmal die Woche, auch mit
                                                    ehemaligen Nachbarn und Freunden halte ich
                                                    telefonisch Kontakt.

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Ich nutze auch das Internet zur Recherche,           Wir meinen immer noch, dass wir gleich weiter-
lese interessante Sachen nach, beschaffe mir         leben und Ressourcen vergeuden können, wir
Informationen über Aktuelles, z.B. die neuen         verprassen alles und denken nicht daran, dass
Verordnungen oder bestelle Sachen im Internet.       Generationen nach uns auch noch leben möch-
WhatsApp finde ich auch eine gute Möglichkeit        ten – wir sind so egoistisch und verschließen
zu kommunizieren.                                    die Augen vor der Realität. Ich sehe Corona als
                                                     eine Art Strafe – wir nutzen alles aus und leben
Strukturieren, planen Sie bewusst                    auf Kosten der Natur. Müssen wir wirklich alles
Ihren Tagesablauf?                                   haben? Müssen wir so viel wegschmeißen?
Am Morgen gehe ich zum Frühstück, dann neh-
me ich meine Medikamente, danach lege ich mich       Was war für Sie die wichtigste Erfahrung?
manchmal noch einmal hin, dann arbeite ich am     Die Medizin macht es möglich, dass wir immer
PC, lese die Zeitung oder schreibe Geschichten    älter werden. Das hat nicht nur Vorteile. Ich
und Gedichte und freue mich natürlich auf Nach-   kann zum Beispiel nur noch mit Hilfe des Rol-
mittage, an denen mich Frau Rani besucht.         lators gehen und kann ganz vieles nicht mehr
                                                  machen. Die Tabletten halten mich sozusagen
Schreiben Sie erst seit Corona Geschichten        am Leben. Ich bin der Meinung, dass zum
und Gedichte?                                     Leben auch das Sterben gehört. Ich frage mich
Nein, ich habe immer schon gerne Texte ge-        in diesem Zusammenhang, warum wir Alten
schrieben: Reiseberichte z.B. über die unzähligen zuerst geimpft werden – warum werden nicht
Reisen, die ich gemeinsam mit meiner Frau unter- die systemrelevanten Personen bevorzugt?
nommen habe. Nach dem Tod meiner Frau habe
ich angefangen Tagebuch zu schreiben, später      Wenn Sie sich vorstellen, eine Fee kommt
dann Geschichten und Gedichte. Früher verfasste zu Ihnen und erfüllt Ihnen drei Wünsche.
ich ab und zu einen Text für den Falter, da ich   Welche wären das?
auch politisch tätig war. Jetzt bringe ich meine  • Mein erster Wunsch wäre, dass sich mein
Gedanken zur aktuellen Situation im Allgemeinen      Gesundheitszustand nicht allzu verschlimmert
und hier im Betreuten Wohnen auf Papier. Zum         und dass mir ein wenig schmerzhafter Tod
Beispiel habe ich auch einmal eine Geschichte für    beschieden ist.
eine Dame geschrieben, die keinen Stock als Geh- • Als Zweites würde ich mir wünschen, dass
hilfe annehmen wollte. Dank meiner Geschichte        die Pandemie bald endet und das soziale Leben
akzeptiert sie nun diese Hilfe. Das Schreiben hat    wieder seinen Fortgang nimmt, vor allem, dass
für mich quasi eine heilende Wirkung.                sich die Wirtschaft erholt.
                                                  • Auch würde ich mir wünschen, dass die
Was glauben Sie, sollten wir aus den Erfah-          Menschheit draufkommt, dass man den
rungen des vergangenen Jahres lernen?                Kontinent nicht maßlos ausplündern kann.
Ich bin der Meinung, dass die Menschheit leider      Wenn alles verbraucht ist, können wir nicht
nicht in der Lage sein wird, aus dieser Situation    einfach aus dem Kofferraum einen neuen
langfristig zu lernen.                               intakten Kontinent herausholen.

                                 Das Gespräch führte Claudia Längle, connexia

                                                                                                        19
„Da sein“ als Angelpunkt
       eines guten Lebens in unsicheren Verhältnissen

     Unsichere Verhältnisse – eine kleine                   zwischenzeitlich alle Lebensbereiche erfasst, zu
     historische Vergewisserung                             einem Kontrollverlust und zur Dominanz des
                                                            „Fremden“ führt. Es ist die Sorge, aufgrund der
     Wenn in der Zeit vor Corona die Rede auf               Schwächung des identitätsstiftend Verbindenden
     das Thema „Unsicherheit“ kam, dann be-                 in unserer Gesellschaft die Zugehörigkeit zu ver-
     durfte es meist noch eines kleinen Exkur-              lieren und letztlich zu vereinsamen, usw.
     ses, um dieses Thema als bedeutsames exis-
     tenzielles und gesellschaftliches Thema zu             Corona hat nun gleichsam die Spitze dieses Eis-
     erschließen. Darauf kann man nach einem                bergs unsicherer Verhältnisse ins Bild gerückt.
     Jahr Corona-Pandemie verzichten. Um aber               Jede und jeder steht unter dem verunsichernden
     nicht der trügerischen Erwartung zu erlie-             Eindruck, wie durch das Virus Menschenleben
     gen, dass mit Corona auch die Unsicherheit             dahingerafft werden, wie selbst ein so leistungs-
     wieder aus unserem Leben verschwinden                  fähiges Gesundheitssystem wie das österreichi-
     werde, sei doch zumindest angemerkt, dass              sche an die Grenze der Überforderung gerät, wie
     wir es beim Thema Unsicherheit mit einem               plötzlich Menschen auf therapeutische, soziale
     Charakteristikum unserer zeitgeschichtli-              und finanzielle Hilfe angewiesen sind, die das
     chen Epoche zu tun haben, das als prägen-              für sich nie für möglich gehalten hätten, wie un-
     des Moment der Lebensverhältnisse schon                planbar das Leben im Geflecht der globalen Ab-
     lange da ist und auch bleiben wird.                    hängigkeiten geworden ist.

                                                            Gegen die Unsicherheit leben –
 gegnet zu Beginn der Neuzeit in Martin Luthers             der Preis ist zu hoch
 Frage „Wie finde ich einen gnädigen Gott?“, in             Wo die Unsicherheit in den Lebensbedingungen,
 der sich die existenzielle Verunsicherung des              denen ein Mensch ausgesetzt ist, zu einer für ihn
 Menschen ausspricht, der aus der mittelalterli-            ausweglos erscheinenden inneren Verunsiche-
 chen Ordnung des Lebens herausgefallen ist. Die            rung und Überforderung führt, lauert die Gefahr,
 Erfahrung dieser Unsicherheit ist dann in der              in die Radikalisierung abzugleiten. Es ist dies
 weiteren Entwicklung engstens verwoben mit                 letztlich eine Form, sich der Verunsicherung zu
 den großen Errungenschaften der Neuzeit – der              entziehen. Der Peis der intellektuellen, emotiona-
 Selbstbestimmung, der Freiheit, den Gestal-                len und sozialen Abspaltung ist allerdings hoch.
 tungsfreiräumen für das individuelle autonome              Komplexe Zusammenhänge werden unzulässig
 Subjekt. In den vergangenen Jahrzehnten haben              vereinfacht, abweichende Meinungen nicht mehr
 mächtige Veränderungen die Unsicherheit zu                 toleriert, es gibt kein Empathieempfinden mehr
 einem zunehmend dominanten Faktor im gesell-               für die anderen, Kompromisse werden ebenso ab-
 schaftlichen Klima unserer Zeit werden lassen:             gelehnt wie Kontakte über die eigene Gruppe der
 Es ist zum Beispiel die Sorge, den ökologischen,           Gleichgesinnten hinaus. Die diversen Verschwö-
 sozialen und wirtschaftlichen Krisen nicht ge-             rungstheorien im Zusammenhang mit Corona
 wachsen zu sein, letztlich zu den Verliererinnen           veranschaulichen diesen Mechanismus, zeigen
 und Verlierern zu zählen und sozial abzustei-              aber auch dessen Preis auf. Der Versuch, ein
 gen. Es ist die Sorge, dass die Pluralisierung, die        Leben gegen die Unsicherheit zu führen, führt

                               Dr. Walter Schmolly
                               Direktor der Caritas Vorarlberg
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