Welche Rolle können Commons in Transformationsprozessen zu Nachhaltigkeit spielen?
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Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH Impulse zur WachstumsWende Welche Rolle können Commons in Transformationsprozessen zu Nachhaltigkeit spielen? Von Uta v. Winterfeld, Adelheid Biesecker, Christine Katz und Benjamin Best Impulse für die politische Debatte 12 6 Wuppertal, Juli 2012
Herausgeber: Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH Döppersberg 19 42103 Wuppertal www.wupperinst.org Autor_innen: Uta von Winterfeld Adelheid Biesecker Christine Katz Benjamin Best Unter Mitarbeit von Claudia v. Braunmühl Kontakt: E-Mail: uta.winterfeld@wupperinst.org E-Mail: benjamin.best@wupperinst.org Disclaimer: Unter dem gemeinsamen Obertitel „Impulse zur WachstumsWende“ ver- öffentlicht das Wuppertal Institut Thesen und Forschungsergebnisse mit Bezug zur aktuellen Wachstumsdebatte. Wuppertal, im Juli 2012
Inhalt Zusammenfassung 5 Abstract 6 1 Zur Bedeutung von Commons in Transformationsprozessen zu Nachhaltigkeit 7 2 Zur Commons Debatte 10 2.1 Begriffliches 10 2.2 Fazit 15 2.3 Politische Rationalität 16 2.3.1 Abwehr 16 2.3.2 Neuer Horizont und neuer Referenzrahmen 17 3 Commons als Kritik an und Abwehr von vorherrschenden Logiken 19 3.1 Vom Recht auf Gemeingüter – oder: Zur vorherrschenden Logik des Privateigentums 19 3.1.1 Die Natur hat die Menschen so ungesellig gemacht 20 3.1.2 Gott gab die Vollmacht, sich die Erde anzueignen 21 3.2 Verwertungslogik, enge ökonomische Rationalität und homo oeconomicus 22 3.3 Fazit: Abwehr gegen die Zerstörung von natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen mithilfe von Commons 25 4 Das Beispiel Wald im Spannungsfeld von Eigentum, Nutzung und Schutz 26 4.1 Politischer Hintergrund 26 4.2 Eigentumsverhältnisse, politische Gestaltung und Mitverantwortlichkeit 27 4.2.1 Nutzungsrechtliche Ausgestaltung des Waldes 28 4.2.2 Zur Rolle des Staates 28 4.2.3 Bewertung nicht monetarisierbarer Leistungen 30 4.3 Fazit 30 5 Ein neuer Referenzrahmen: Commons, Commoning und Commoners 32 5.1 Menschen und Netzwerke im Spannungsfeld von „lokal“ und „global“ – oder: Wie Commons konstruiert werden 32 5.1.1 Commons als Horizont und neuer Referenzrahmen 34 5.1.2 Vom „shareholder value“ zum „citizen value“ 34 5.2 Commons in der Praxis: Elemente eines neuen Referenzrahmens 35 5.2.1 Urban Gardening: Eigentum und Gemeinschaftseigentum 36 5.2.2 „NeuLand“ in Köln 37 5.2.3 Energieautonome Regionen 37 5.2.4 Windenergie in Bürger_innenhand 38 5.2.5 Wohnen und Versorgen im Alter: 39 5.3 Fazit 40 6 Schluss: Recht auf Commons und Qualität des Öffentlichen 42 Literatur 46
Uta von Winterfeld, Adelheid Biesecker, Christine Katz und Benjamin Best Welche Rolle können Commons in Transformationsprozessen zu Nachhaltigkeit spielen? Zusammenfassung Die Debatten und die sozialen Bewegungen zu Commons spielen im Spannungsfeld der Abwehr aktueller Enteignungen und der Entwicklung neuer Perspektiven. Den Commons wohnt eine ihnen eigene Kraft neben Markt und Staat und eine eigene Transformations- kraft hin zu mehr Nachhaltigkeit inne. Sie stellen als „Abwehr“ ein kritisches Korrektiv vor- herrschender neoliberaler ökonomischer Rationalität und Praxen dar. Sie weisen als „neuer Referenzrahmen“ auf zukünftige Wege jenseits von Staat und Markt hin. Sicher stellen sie nicht die eine einzige große Lösung dar. Eine mit „Commons“ verbundene zentrale Heraus- forderung liegt jedoch darin, dass sie auf das verweisen, was dem Begriff „Transformation“ innewohnt: Eine Umformung moderner Gesellschaften, die ihren Kern – ihre Gestalt und ihre Struktur – betrifft. Bis heute werden „bürgerliche“ Gesellschaften zentral durch ihre Eigentumsverfassung bestimmt. Doch bis morgen und im Kontext der großen Transforma- tion müsste eben diese Eigentumsverfassung neu geschrieben werden. Nicht in dem Sinne, dass nun alles Gemeineigentum ist und dass mit dieser Eigentumsform alle Probleme gelöst werden könnten. Sondern in dem Sinne, dass Eigentumsbildung anhand nachhaltiger Krite- rien und vielfältig erfolgt. Doch kommt mit alten und neuen Ideen von Gemeinschaft und Gemeinbesitz und kommt mit den Commons nicht automatisch das „Gute“ und Richtige in die Welt. Vielmehr bleibt zu fragen, welche Bedingungen und Regeln, welche Möglichkeitsräume und Rechte erfor- derlich sind, damit Commons ihr demokratisches Nachhaltigkeits-Potenzial entfalten kön- nen. Eine zentrale Bedingung hierfür ist, das Wachstums- und Schrumpfungsverhältnis von privatem und öffentlichem Raum umzukehren. Commons bedürfen einer starken demokra- tischen Öffentlichkeit und eines qualitativ hochwertigen öffentlichen Raumes. Das Paper stellt zunächst die unterschiedlichen Commonsbegriffe vor und zeigt die den Debatten innewohnenden politischen Rationalitätsmuster auf. Weiter wird von der Ideen- geschichte vorherrschender politischer und ökonomischer Logiken erzählt und wird darge- legt, weshalb und inwiefern diese Logiken Commons zerstören. Die Ambivalenz öffentlichen und privaten Eigentums wird am Beispiel Wald aufgezeigt. Schließlich werden Theorie und Praxis von Commons, Commoning und Commoners skizziert.
Abstract Which part do commons play in transformation processes towards sustainability? Debates about commons and their social movements take place between the conflicting priorities of resistance of current dispossession and the development of new perspectives. Commons have their own power besides the market (sector) and the government and an own driving force of transformation towards more sustainability. As “resistance” factor they represent a critical corrective of predominant, neoliberal-economical rationality and prac- tices and are a “new frame of reference” featuring future developments beyond the gov- ernment and the market (sector). Surely they do not illustrate the one and only solution. A central challenge related to “commons” is that it refers to what is meant by the term “trans- formation”: A remodelling of recent societies that affects their core, shape and structure. By today, “civil” societies are centrally shaped by their property constitutions. But until tomor- row and in the context of a great transformation, the constitution of property needs to be rewritten. Not in the sense that from now on everything belongs to public property and that this form of property is able to solve all problems, but in the sense that the acquisition of property takes place diversely and by following sustainable criteria. As a matter of fact, even with old and new ideas of society and public property and by means of commons, things in our world will not automatically become “good” and “right”. Instead it has to be asked what kinds of conditions and policies, which windows of opportunities and which rights are necessary to ensure that commons are able to develop a democratic sustainability potential. A crucial condition here is to turn around the relation of growth and negative growth of private and public space. Commons require a strong democratic public and a qualitatively valuable public space. This paper firstly introduces the different terms of commons and indicates the immanent political rationality patterns of the debates. Furthermore the intellectual history of predomi- nantly political and economical logics is told and it is presented why and how these logics destroy commons. Ambivalence of public and private property is demonstrated using for- ests as an example. Finally the theory and practice of commons, communing and common- ers is outlined.
Über die uner wünschten Folgen der er wünschten Energieef fizienz 7 1 Zur Bedeutung von Commons darüber erzielt werden muss, dass sie als Gemein- in Transformationsprozessen zu gut gemeinwirtschaftlichen Regelungsformen Nachhaltigkeit unterliegen sollen. Damit treten Kooperation anstelle von Konkurrenz, Gemeinwohl anstelle von individuellem Vorteil und Aushandlung Nachhaltigkeit ist immer noch eher Anspruch anstelle von Kauf in den Vordergrund. Commons als Wirklichkeit, eher Leitbild als allgemeine scheinen sich aufgrund dieser Qualitäten für gesellschaftliche Praxis. Daher sei ein „Gesell- einen solchen demokratischen Suchprozess zu schaftsvertrag für eine Große Transformation“ eignen. Daher fragen wir: erforderlich, so der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltverände- • Welche Rolle können Commons in Transfor- rung (WBGU) in seinem Hauptgutachten von mationsprozessen zu Nachhaltigkeit spie- 2011. Der Vertrag zielt darauf ab, die natür- len? lichen Lebensgrundlagen zu erhalten. Er sieht vor, die Zivilgesellschaft besser zu beteiligen. • Welche Bedingungen/Regeln/Möglichkeits- Der Gesellschaftsvertrag soll globale Reichweite räume/Rechte sind erforderlich, damit Com- haben. Angesichts ungleicher Verteilung müsse mons ihr demokratisches Nachhaltigkeits- er Fairness, Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich Potenzial entfalten können? berücksichtigen. Die drei zentralen Transforma- tionsfelder sind dem WBGU zufolge Energie, • Wie ist der Suchprozess nach neuen Wegen Urbanisierung und Landnutzung (WBGU 2011). in Kooperation mit und jenseits von Markt und Staat einzuschätzen? Commons kommen im Gutachten des WBGU nicht direkt vor, wohl aber wird im Kontext poli- Dabei ist Nachhaltigkeit für uns kein Endzu- tischer Instrumente zur Steuerung der Transfor- stand einer Entwicklung. Vielmehr bezeichnet mation das „Angebot öffentlicher Güter“ thema- Nachhaltige Entwicklung „einen offenen, dyna- tisiert (ebenda, S. 197 f.). Der Begriff wird nicht mischen und immer wieder zu gestaltenden eigens definiert, sondern beispielhaft anhand Prozess; sie beschreibt … die Qualität eines Ent- von „Ökosystemleistungen“, „Technische und wicklungsprozesses, der seine eigenen natür- soziale Infrastrukturen“ und „Umweltgüter“ lichen und sozialen Voraussetzungen aufrecht- ausgeführt. Für das Angebot öffentlicher Güter erhält und ständig erneuert“. (Becker; Jahn 2006, sind dem WBGU zufolge hoheitliche Planung S. 238) (Umwelt-, Raum-, Stadt- und Infrastruktur- planung) und integriertes Management (von Eine weitere Entfaltung des Commons-Begriffs Flächen, Energie- und Stoffströmen) von großer erfolgt in Kapitel 2. Hier stellen wir auch poli- Bedeutung. tische Anliegen und Rationalitätsmuster einer Commonsdebatte vor, die einen Suchprozess Der WBGU sieht als zentralen Akteur den „gestal- nach neuen Wegen innerhalb und auch jenseits tenden Staat“. Seine Aufgaben sind: der Monolithen Markt und Staat darstellt. Prioritäten setzen für den Transformationspro- Ob von Allmende (im mittelhochdeutschen zess, der Wirtschaft Handlungsoptionen für auch al(ge)meinde), von Commons oder von Nachhaltigkeit bieten und die Bürger_innen Gemeingütern gesprochen und geschrieben partizipieren lassen bzw. die Partizipationsmög- wird, stets wird in diesen Bezeichnungen etwas lichkeiten ausbauen. Im Factsheet Nr. 1/2011 des angerührt, das neuzeitlichen Rationalitätsmus- WBGU wird die Transformation als „demokra- tern nicht entspricht. Denn in der „klassischen tischer Suchprozess“ bezeichnet (WBGU 2011a). Vertragstheorie“ kommen keine Gemeinschaf- Hier knüpfen wir an. Denn „Commons“ bezeich- ten vor, sondern nur Individuen, die ihre Selbst- nen eine Kategorie von Gütern, über die im gesell- bestimmungsrechte an eine Zentralgewalt schaftlichen Aushandlungsprozess Einverständnis abgeben. Gesellschaftlicher Wohlstand und Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
8 U t a v. W i n t e r f e l d • A d e l h e i d B i e s e c k e r • C h r i s t i n e K a t z • B e n j a m i n B e s t Fortschritt werden mit Privat-, nicht mit Gemein- Dem WBGU zufolge erfordert Transformation als besitz assoziiert. Und was „zählt“ sind allein die gesellschaftlicher Suchprozess mehr und nicht Verwertungsmöglichkeiten einer als Ressource weniger Demokratie (WBGU 2011, S. 55). Unter gedachten Natur, sind allein Arbeiten, die Natur der Überschrift „Neue Staatlichkeit im Mehr- in Privatbesitz verwandeln. In Kapitel 3 setzen ebenensystem“ werden sowohl Global Govern- wir uns ideen- und theoriegeschichtlich kritisch ance (ebenda, S. 236 f.) als auch „Transformative mit diesen Rationalitätsmustern auseinander. Governance“ in den drei Transformationsfeldern (ebenda, S. 241 f.) erörtert. Die Frage aber, ob Doch kommt mit alten und neuen Ideen von Governance mehr Demokratie bedeutet, ist Gemeinschaft und Gemeinbesitz und kommt mit umstritten. So interpretiert Birgit Sauer Govern- den Commons nicht automatisch das „Gute“ und ance als neuartige Form der Artikulation sozia- Richtige in die Welt. Wie vielschichtig und ambi- ler Macht- und auch Geschlechterverhältnisse valent die Geschichte ist, zeigen wir in Kapitel 4 (Sauer 2011, S. 127). anhand der Gestaltungshoheit und der Verwer- tungslogik im Bereich der (Wald)Naturressour- Ähnliches kann für Commons zumindest nicht cen. Denn Privateigentum kann sowohl einen ausgeschlossen werden. Denn einerseits impli- Schutz vor zerstörerischen Verwertungsinteres- ziert aktive Teilhabe als Grundprinzip von sen darstellen als auch umgekehrt ein Naturgut Gemeinschaftsgütern die Übernahme von indi- diesen Interessen zuführen und ausliefern. vidueller Verantwortung. Dass jedoch weder Partizipation machtfrei abläuft noch die Mög- Neben die materielle Dimension von Commons lichkeiten, sich (selbst-)verantwortlich einzu- (natürliche Ressourcen wie Wasser, Wald, Erd- bringen, für alle gleichermaßen bestehen, ist atmosphäre) tritt die soziale (z.B. Care1). Ohne andererseits lange bekannt. Sollen damit tat- die Bindung an konkret handelnde Menschen in sächlich Empowerment und eine Demokrati- bestimmten sozialen Umgebungen ist die Idee sierung einhergehen, wäre die Kenntnis der für der Gemeingüter nicht denkbar (Helfrich; Stein eine größtmögliche und gerechte Beteiligung 2011, S. 11). Deshalb handelt unser fünftes Kapi- erforderlichen Voraussetzungen unabdingbar. tel von „Commoners“ und „Commoning“ und Inwiefern der Staat dabei eine regulierende oder zeigt an praktischen Beispielen, wie und unter moderierende Funktion übernehmen könnte welchen Bedingungen dieses „Commoning“ (oder sollte), ist nicht eindeutig. gelingen kann. Bezweifelt wird generell, ob dem ordnungspoli- Schließlich fragen wir in unserem Schlusskapitel tisch steuernden Staat per se eine positiv regu- nach dem Staat und umreißen Anforderungen lierende und problemlösende Rolle zukommen an Qualitäten des Öffentlichen. Welche Rechte kann. Ulrich Brand schlägt vor, eine herrschafts- kann der Staat zugunsten von Commons ver- kritische gegenüber einer ordnungswissen- geben und welche Möglichkeitsräume kann schaftlichen Sichtweise zu stärken (Brand 2011, er schaffen? Zugleich sind es nicht nur die S. 259). Eine solche Kritik sollte darauf bestehen, Debatten und Praxen, welche die Bedeutung dass das (direkt und indirekt) Ausgeschlossene, von Commons in Transformationsprozessen das nicht Benannte eine Rolle spielt (ebenda, zu Nachhaltigkeit ausmachen. Sondern junge S. 264). soziale Bewegungen und Massenproteste zei- gen, dass viele Menschen eine andere Qualität Nun werden Commons derzeit eher häufig als öffentlicher Güter und Dienstleistungen fordern selten benannt. Doch ihre Ambivalenz, ihr kriti- – und dass sie sich von den etablierten Parteien sches wie auch begrenztes und begrenzendes nicht (mehr) vertreten fühlen. Potenzial für nachhaltige Transformationspro- zesse ist noch wenig ausgeleuchtet. Auch stel- len sie unserer Auffassung nach keinen garan- 1 Vgl. zu dieser Auffassung auch Scherhorn 2010, S. 130, tierten Schutzschild gegenüber herrschaftlichen FN 1 Zugriffen dar. Denn es sind neue Einhegungen Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
We l c h e R o l l e k ö n n e n C o m m o n s i n Tr a n s f o r m a t i o n s p r o z e s s e n z u N a c h h a l t i g ke i t s p i e l e n? 9 repressiv verordneter Gemeinwesenarbeit im verschiedene Vorschläge. Für unseren Zusam- workfare-orientierten Sozialstaat ebenso denk- menhang ist wichtig, dass es sich dabei vielfach bar wie bürgerschaftlich initiierte und kommu- um die Verwandlung von Privatem in Öffent- nalpolitisch unterstützte gemeinwirtschaftliche liches handelt: So hört der Lohnvertrag auf, ein Ansätze. Privatvertrag zu sein, und der Boden wird größ- tenteils dem Privateigentum entzogen. „Das Dem WBGU zufolge stellt die anstehende „Große Wesen des Eigentums erfährt natürlich als Folge Transformation“ zur klimaverträglichen Gesell- dieser Maßnahmen eine tiefgreifende Verände- schaft eine historisch einmalige Herausforde- rung …“ schreibt Polanyi weiter (ebenda, S. 333). rung dar. Bisherige große Transformationen der Menschheit seien weitgehend ungesteuerte Wir wissen heute, dass die Aufgabe, die der WBGU Ergebnisse evolutionären Wandels gewesen. als neue „Große Transformation“ bezeichnet – Nun aber gehe es darum, einen umfassenden die Transformation hin zu einer nachhaltigen Umbau aus Einsicht, Umsicht und Voraussicht Gesellschaft – durch die von Polanyi beschrie- voranzutreiben (WBGU 2011, S. 5). bene Wirkung der (scheinbar) autonomen Mark- tökonomie hervorgerufen wurde: Diese Art der Der Begriff „Große Transformation“ stammt von Marktwirtschaft zerstört die Lebensgrundlagen Karl Polanyi (vgl. Polanyi 1978). Er bezeichnet der Gesellschaft statt sie zu erhalten, wie es das den Prozess der Herausbildung eines schein- Konzept der nachhaltigen Entwicklung fordert. bar in sich selbst funktionierenden Systems, Es kommt daher darauf an, mit der jetzt ange- der Marktwirtschaft. Deren Entstehungsprozess strebten gesteuerten „Großen Transformation“ sieht Polanyi als „Entbettung“ an: Der entste- der Entbettung entgegenzuarbeiten. hende Markt löst sich aus seinem sozialen und seinem natürlichen Bett. Das Kritische daran Welche Rolle können Commons dabei spielen? beschreibt Polanyi wie folgt: Sie werden weder von Polanyi noch vom WBGU genannt. Aber Polanyi hat mit seinem Hinweis „Wir vertreten die These, daß die Idee eines selbstre- auf die tiefgreifende Veränderung des Eigen- gulierenden Marktes eine krasse Utopie bedeutet. tums bei der Überwindung der zerstörerischen Eine solche Institution konnte über längere Zeit- Marktwirtschaft eine Spur gelegt, der wir fol- räume nicht bestehen, ohne die menschliche und gen: Denn mit Commons ist die Frage nach natürliche Substanz der Gesellschaft zu vernichten; dem Eigentum aufgeworfen – und damit nach sie hätte den Menschen physisch zerstört und seine einer Institution, die in der spezifischen Form Umwelt in eine Wildnis verwandelt. Die Gesell- des Privateigentums die Gestalt und die Struktur schaft ergriff zwangsläufig Maßnahmen zum moderner Gesellschaften bisher wesentlich aus- eigenen Schutz, aber all diese Maßnahmen beein- macht. Und der WGBU hat mit der Qualifizierung trächtigten die selbstregulierende Funktion des der anstehenden Transformation als „demokra- Marktes… Dieses Dilemma zwang die Entwicklung tischer Suchprozess“ und der Betonung der Not- des Marktsystems in eine bestimmte Richtung und wendigkeit der Partizipation der Bürgerinnen zerrüttete schließlich die darauf beruhende Gesell- und Bürger die Akteur_innen dieses Suchpro- schaftsstruktur.“ (Polanyi 1978/1944, S. 9/20). zesses benannt: Es sind alle, die sich beteiligen wollen. Für die Entwicklung des unbekannten Polanyis Idee einer Gegenbewegung ist die Neuen werden alle gebraucht – auch und gerade „Umstellung auf eine nicht auf dem Markt be- die Commoners. ruhende Industriegesellschaft“ (ebenda, S. 331). Das bedeutet: „Das Marktsystem wird nicht mehr selbstregulierend sein, nicht einmal im Prinzip, da es Arbeit, Boden und Geld nicht mehr umfas- sen wird“ (ebenda, S. 332). Denn diese drei Fak- toren gelte es aus dem Markt herauszunehmen. Wie das geschehen sollte, dazu macht Polanyi Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
10 U t a v. W i n t e r f e l d • A d e l h e i d B i e s e c k e r • C h r i s t i n e K a t z • B e n j a m i n B e s t 2 Zur Commons Debatte Öffentliche Güter (public goods) Die moderne ökonomische Theorie handelt vor Commons werden heute – mithilfe unterschied- allem von privaten Gütern. Aber schon Adam licher Begriffe – auf verschiedenen Ebenen, in Smith spricht von „öffentliche(n) Werke(n) und verschiedenen Diskursen und in verschiede- Anstalten …“ (Smith 1973 [1776], Bd. 2, S. 364), nen Disziplinen diskutiert. Im Folgenden wird die zu wenig Profit abwerfen, um privat betrie- zunächst versucht, aus dieser Vielfalt die am ben zu werden, und deren Errichtung und Unter- häufigsten verwendeten Begriffe herauszufiltern haltung daher die Aufgabe des Staates sei. Spä- (2.1), um so das Feld zu beschreiben, in dem sich ter – in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts – wird unser Suchprozess nach Commons-bezogener dieses Problem in der sog. Spieltheorie bearbei- demokratischer Transformationskraft hin zu tet. In deren „Vorzeigespiel“ – dem „Gefangenen- Nachhaltigkeit bewegt. Sodann wird dieses Feld Dilemma“ – lässt sich zeigen, dass, wenn alle mithilfe der Frage nach der politischen Ratio- Beteiligten nur nach ihrem eigenen Nutzen- nalität, die die Commoners und die Prozesse des maximum streben (wenn sie also als homines Commoning leitet, strukturiert (2.2). Geht es nur oeconomici gedacht werden und nicht mitein- um Abwehr oder scheint hier auch ein neuer ander kooperieren), die Erstellung öffentlicher Horizont – der Horizont einer nachhaltigen Güter blockiert wird (auch als „Marktversagen“ Gesellschaft – auf? bezeichnet). Sollen solche Güter dennoch privat hergestellt werden (was in dieser Debatte ange- strebt wird), so muss der Staat derart Anreize 2.1 Begriffliches setzen, dass diese Erstellung den Nutzenmaxi- mierungskalkülen der Individuen entspricht. Mindestens sechs unterschiedliche Begriffe Öffentliche Güter sind hier somit Güter, deren schwirren durch die Debatte, z. T. relativ klar Herstellung in öffentlicher Verantwortung liegt. gegeneinander abgegrenzt, z. T. in mehr oder Heute werden sie formal über die Kriterien der weniger reflektierter Substituierung gebraucht, Nicht-Ausschließbarkeit (die Nutzung durch z. T. im Verhältnis von Ober- und Unterbegrif- ein Individuum schließt andere nicht von der fen. Für unseren Zweck – die Beschreibung des Nutzung aus) und der Nicht-Rivalität (die Nut- Raumes für unseren Suchprozess – genügt es zungsansprüche kollidieren nicht miteinander) zunächst, ihren diskursiven Gebrauch zu skizzie- definiert. ren. Die experimentelle Spieltheorie hat nun gezeigt, In der deutschsprachigen Debatte ist die Rede dass viele Menschen kooperationsbereit sind. von: Das Menschenbild kommt somit in die Diskus- • Öffentlichen Gütern (public goods) sion hinein. Es entwickelt sich die sog. koope- • Gemeingütern (common goods) rative Spieltheorie, an der auch Elinor Ostrom • Gemeinschaftsgütern (commons) anknüpft (s. weiter unten). Hieraus entwickeln • common pool resources (der Begriff wurde sich Vorschläge für die Gestaltung von Institu- von Elinor Ostrom und ihren Mitarbei- tionen (Handlungsregeln und -rechte), die die ter_innen als engl. Ausdruck für Allmende kooperierenden Beteiligten in die Lage ver- geprägt; es gibt keine eingeführte deutsche setzen, gemeinsam ein optimales Ergebnis zu Übersetzung. Helfrich/Stein und Ostrom/ erzielen – hier: das öffentliche Gut zu erstellen Helfrich sprechen manchmal von „Gemein- und zu betreiben. Die Beispiele, die hier ange- ressourcen“ (Helfrich; Stein 2011, S. 11; führt werden, gehören meist in den Bereich der Ostrom 2011, S. 9)) öffentlichen Infrastruktur (Laternen, Straßen • Allmende (commons) z. B.). • Commons-based peer production (der Be- griff stammt von Yochai Berkler (vgl. Berkler In den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts 2005). Es gibt keine in der Debatte verwen- hat Arthur Pigou dieses Marktversagen auf die dete deutsche Übersetzung). Umwelt bezogen: Umweltprobleme entstehen Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
We l c h e R o l l e k ö n n e n C o m m o n s i n Tr a n s f o r m a t i o n s p r o z e s s e n z u N a c h h a l t i g ke i t s p i e l e n? 11 aufgrund von negativen externen Effekten der fest, wer stellt sie in welchem Modus bereit, wer privaten Produktion, welche über eine Umwelt- trägt die Kosten, wie sieht es mit gerechter Ver- steuer internalisiert werden sollten (vgl. Pigou teilung bzw. gerechtem Zugang aus? 1962/1920). William Kapp hat in den 50er Jahren ebenfalls „Die sozialen Kosten der Marktwirt- Öffentliche Güter sind somit allgemein dadurch schaft“ angeprangert (vgl. Kapp 1988/1950) und gekennzeichnet, dass es einer politischen Ent- die Bedeutung kulturspezifischer Institutionen scheidung darüber bedarf, dass eine Leistung gerade auch für den Umgang mit der Umwelt für das gesellschaftliche Miteinander sehr wich- hervorgehoben. Der Lösung des Problems der tig ist und dass diese Leistung in marktförmigen öffentlichen Güter über den Markt werden somit Prozessen nicht oder nur unzureichend bereit- Lösungen sowohl über den Staat als auch über gestellt wird.2 Wenn diese politische Entschei- Institutionen (soziale Normen, öffentliche Infra- dung auf einem in gesellschaftlichen Aushand- strukturen, Rechte z. B.) entgegen gestellt. lungsprozessen gefundenen Einverständnis sowohl über die Güter selbst als auch über die In die internationale Debatte ist der Begriff von Regelungsformen beruht, handelt es sich um Inge Kaul et al., UNDP, im Kontext entwicklungs- Commons. politischer Erwägungen eingeführt worden (vgl. Kaul 1999 und 2003). Das geschah im Wesent- Gemeingüter (common goods) lichen unter dem Aspekt der Finanzierbarkeit Bei Gemeingütern handelt es sich um vorbe- marktförmig schwerlich bereitzustellender infra- findliche Naturgegebenheiten, deren Schutz struktureller Leistungen und begrenzter staat- und Nutzung unter dem Aspekt von Erhalt und licher Finanzkapazität. Das Zauberwort PPP Gerechtigkeit regelungsbedürftig ist. Hier ist (Public Private Partnership), das 2002 in den bei- durchaus eine Rivalität des Konsums gegeben. den Konferenzen zu Umwelt in Johannesburg Als Beispiele werden materielle (z. B. Atmo- und zu Entwicklungsfinanzierung in Monterrey sphäre, Wasser, Wald, Saatgut, Land, Biodiver- eine zentrale Rolle spielte, steht hier handlungs- sität, Energie) und immaterielle (z. B. Wissen, politisch im Vordergrund. Die Agenda wurde Software, Kultur) Ressourcen genannt. Sie kön- und wird von den Regierungen der Entwick- nen vorbefindlich sein, aber auch das Ergebnis lungsländer mit Argwohn beäugt, da sie in ihr kollektiver Anstrengungen. Ihr Nutzen vollzieht einen Schritt zur Reduzierung von Leistungen sich in unterschiedlichen Zusammenhängen, der Entwicklungshilfe vermuten. die von lokaler bis zu globaler Ebene reichen können. Auf jeden Fall gibt es Regelungsbedarf Kaul et al. verbinden die Einführung der Begriff- hinsichtlich des Erhalts der Materialität der Res- lichkeit mit Anstrengungen, die Strategie mit sourcen und gerecht organisierter gesellschaft- einer begrifflichen Systematik zu unterlegen. licher Verfügbarkeit. In der sind öffentliche Güter als gesellschaft- lich herzustellende Güter und wie oben ange- Silke Helfrich (vgl. Helfrich; Heinrich Böll Stiftung geben definiert. Da sie in reiner Form faktisch 2009, Helfrich et al. 2010, Helfrich; Stein 2011) kaum vorkommen, wird mit einer Bandbreite zählt drei Merkmale auf, die sie Bausteine des von unreinen öffentlichen Gütern argumentiert. Konzepts nennt: Global können öffentliche Güter dann genannt werden, wenn ihr Bedarf auf je mehr als eine Ländergruppe, Bevölkerungsgruppe und Gene- 2 Aus entwicklungsethischer Perspektive wird ration zutrifft. Sie unterliegen einer normativen diese Definition als zu instrumentell und zu leicht Rahmung hinsichtlich der Öffentlichkeit des integrierbar in das neoliberale Paradigma kriti- Konsums, des demokratischen Charakters der siert. Deneulin;Townsend (2006) z. B. schlagen ein Konzept vor, das von intrinsisch gemeinschaft- Entscheidungsprozesse und der gerechten Ver- lichen Gütern ausgeht, die nur gemeinschaftlich teilung. Es sind also Fragen zu lösen und zu regeln hergestellt und gelebt werden können und eng wie: Wer legt den genauen Bedarf an Gütern in mit einer quasi kommunitaristischen Lesart von einem demokratischen Entscheidungsprozess Gemeinwohl verknüpft sind. Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
12 U t a v. W i n t e r f e l d • A d e l h e i d B i e s e c k e r • C h r i s t i n e K a t z • B e n j a m i n B e s t • Der materielle Aspekt bezieht sich auf die tere „müssen so entwickelt werden, dass sie die Ressource selbst (die Verwendung des Menschen befähigen, diese Herausforderung Begriffs Ressource wird ob seines Nutzen- (die naturgegebenen Gemeingüter sorgsam zu Bias mancherorts kritisiert). bewirtschaften, d. Verf.) friedlich und produk- tiv zu bewältigen.“ (Scherhorn 2010, S. 129) Als • Der soziale Aspekt bezieht sich auf die Men- Beispiele werden im Text Bildung und Beschäfti- schen und deren Umgang mit der Ressource; gung genannt. es ist von „Bezugsgemeinschaften“ die Rede. Im Gegensatz zu den öffentlichen Gütern wer- • Der regulative Aspekt bezieht sich auf das den Gemeingüter von den beteiligten Bürge- gemeinsame Verständnis, die Regeln, Nor- rinnen und Bürgern getragen. „Gemeingüter men, die den Umgang leiten. bedürfen vor allem mündiger Bürger. In einer Kultur der Gemeingüter leben heißt, das Leben Die Bindung der Ressource an Bezugsgemein- in die eigene Hand nehmen.“ (Helfrich et al. schaften spielt hier eine wesentliche Rolle – „die 2010, S. 9) Und: „Gemeingüter sind nicht, sie wer- Macht des Wörtchens ‚unser’“ (Helfrich; Haas den gemacht.“ (Helfrich in Ostrom 2011, S. 11) 2009, S. 256) – und wird mit Mit-Besitz, Mit-Ver- antwortung, Mit-Nutzerbeziehung umrissen. Gemeinschaftsgüter (commons) Konzeptionell wird das in dem Begriff der Rela- Häufig, z. T. auch bei Helfrich und in Texten tionalität gefasst, der den normativen Aspekt mit der Heinrich-Böll-Stiftung, werden die Begriffe einschließt und auf bestimmten Prinzipien auf- Gemeingut und Gemeinschaftsgut austausch- ruht, wie dem der Dezentralität und der Koope- bar gebraucht. Wenn man nicht überhaupt auf ration. Entscheidungen müssen auf der Basis den Begriff Gemeinschaftsgut verzichtet, lässt von Subsidiarität, Kooperation, Partizipation sich u. E. eine Unterscheidung an der spezi- und Deliberation (Aushandlung) gefällt werden. fischen Relationalität des Gutes festmachen. Da, Mit anderen Worten: Die normative Rahmung wo eine spezifische Ressource unmittelbar ver- betont gerechten Zugang bzw. gerecht geteil- bunden ist mit lokalen Lebensweisen (z. B. in Art. ten Nutzen, Verantwortung für den Erhalt der 8 der Biodiversitätskonvention (CBD)), kann man Ressource und in allen Phasen demokratische von Gemeinschaftsgut sprechen. Mit genau die- Entscheidungsfindung. ser inhaltlichen Begriffsfüllung treten Helfrich/ Haas an manchen Stellen jedoch an den Begriff Auch in der ökonomischen Debatte taucht dieser Gemeingut heran, was auch dafür spricht, den Begriff immer öfter auf. Scherhorn z. B. versteht Begriff Gemeinschaftsgut nicht weiter zu ver- ihn als Oberbegriff : „Als Gemeingüter werden wenden. hier die natürlichen und sozialen Ressourcen verstanden, die bei verständiger Betrachtung Hinzu kommt, dass der Begriff Gemeinschafts- die globalen, nationalen und regionalen com- gut vom Max-Planck-Institut zur Erforschung mon pool resources bilden sollen (Helfrich 2009), der Gemeinschaftsgüter in ökonomisierender tatsächlich aber überwiegend unmanaged com- Weise als Hauptbegriff verwendet wird. Gemein- mons (Hardin 1993) sind. Denn gleich, ob in schaftsgüter werden als Oberbegriff verstanden, privatem oder staatlichen Eigentum gehalten der öffentliche Güter, Netzwerkgüter, Club- oder als freie Güter behandelt, sie werden bis- güter, Statusgüter und common pool resources her nicht so bewirtschaftet, wie es nötig wäre, umfasst (vgl. Bleischwitz 2005, S. 12). Als Unter- damit die Tragfähigkeit der Erde nicht überfor- scheidungskriterien dienen unterschiedliche dert wird.“ (Scherhorn 2010, S. 130, FN 1) In die- Grade von (Nicht-)Ausschließbarkeit des Zu- ser Lesart umfasst der Begriff Gemeingüter also gangs und (Nicht-)Rivalität in der Nutzung. managed und unmanaged commons. Scher- Dieses Institut stützt sich stark auf die Neue horn bezieht den Begriff Gemeingut in diesem Institutionenökonomik und versteht somit Insti- Text sowohl auf die naturgegebenen als auch tutionen als Regeln, die Transaktionskosten sen- auf die sozial gestalteten Gemeingüter. Letz- ken. Folgerichtig schreibt Bleischwitz, der sich Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
We l c h e R o l l e k ö n n e n C o m m o n s i n Tr a n s f o r m a t i o n s p r o z e s s e n z u N a c h h a l t i g ke i t s p i e l e n? 13 auf dieses Institut bezieht: „Insgesamt sind es die Common Pool Resources (Gemeinressourcen3) Kosten und nicht die Eigenschaften von Gütern, Common Pool Resources definieren Elinor die für die Erstellung von Gemeinschaftsgütern Ostrom und ihre Mitarbeiter_innen als Teil eines wesentlich sind.“ (Bleischwitz 2005, S. 15) sowohl natürliche (Grundwasser, Atmosphäre) wie Menschen gemachte (Bewässerungs- Den Begriff Gemeinschaften lehnen viele ab; systeme, Internet) Ressourcen umfassenden dies nicht zuletzt mit Blick auf die CBD. Diese Ressourcensystems, das zwei Charakteristika schreibt die Rechtstitel an Ressourcen den aufweist: (1) Exklusive Nutzung ist möglich, Nationalstaaten zu, überlässt die Rechtsdurch- verursacht aber erhebliche Kosten und (2) die setzung also dem Beziehungsfeld nationale Ausbeutung der Ressource durch einen Nut- Regierung - lokale Gemeinschaften. Auf der zer schränkt notwendigerweise die Nutzungs- anderen Seite machen die lokalen Gemeinschaf- möglichkeiten anderer ein. Kurzfristige und ten ihre Ansprüche in Form von aus der Lokali- langfristige Interessen können folglich in Kon- tät heraus begründeten Eigentumsrechten fest flikt miteinander geraten und müssen durch und bewegen sich damit, scheint uns, in der die effektive Regelung der Zugangsrechte und prekären Zufälligkeit von Grenzziehungen und Erhaltspflichten im Gleichgewicht gehalten wer- verhandelbaren Eigentumstiteln des modernen den. (vgl. Ostrom 1990 und 2011) Dabei geht Staatensystems. es Ostrom um „die Entwicklung einer empirisch gestützten Theorie kollektiven Handelns, die Nach Helfrich und Ostrom, deren common pool auf Selbstorganisation und Selbstverwaltung resources (s. unten) begrifflich den Gemein- beruht.“ (Ostrom 2011, S. 22) Damit das gelingt, schaftsgütern recht nahe stehen, sind in diesem sind Institutionen (Handlungsregeln) nötig, die Konzept Regelungen als autonome Kontrolle nur gemeinsam mit den Nutzerinnen und Nut- lokaler Lebenszusammenhänge jenseits von zern entwickelt werden können. Markt und Staat zu denken. Die Ressource, das Wissen über den optimalen Umgang mit ihr, Definition und Argumentation sind irgendwo dessen soziale Regelung und die lokale Lebens- zwischen Gemeingütern und Gemeinschafts- weise mit ihren Traditionen und Wertbestän- gütern angesiedelt. In dem von Helfrich heraus- den sind also integral miteinander verwoben. gegebenen Buch von Ostrom unter dem Titel Mit Prospektion und Patentierung, access and „Was mehr wird, wenn wir teilen“ wird jedoch benefit-Regelungen (CBD) ziehen somit gesell- eine Gegenüberstellung gemacht: „Wie soll schaftliche Mechanismen ein, die in keiner Weise man sie nennen, die Common-Pool-Resources der Logik und den Regelungen lokaler Gemein- im Unterschied zu den Commons? Am Ende ent- schaften unterliegen. schieden wir uns für Gemeinressourcen… einer- seits und Gemeingüter andererseits.“ (Helfrich Gegen diese Argumentation wird ins Feld in Ostrom 2011, S. 9) Ostrom sucht bewusst geführt (z. B. Liepitz 2009), dass sie zur Roman- nach Regelungen weder beim Markt noch beim tisierung und Petrifizierung lokaler Gemein- Staat. Sie sieht aber durchaus, dass die von den schaften neige und Machtstrukturen wie auch Commoners getroffenen Regelungen oft der instrumentell erfundene Traditionen negiere. Bestätigung (und Sanktionierung) durch den Modernen Maßstäben entnommene Kriterien Staat bedürfen. Dieser schafft sozusagen den von Menschenrechten und Demokratie müssen, Möglichkeitsraum für die commoners. Der Aus- so die Argumentation, Ansprüche auch an die handlungsprozess geht jedoch im Allgemeinen lokalen Gemeinschaften stellen dürfen. von den unmittelbar Beteiligten aus, zumindest müssen sie mit den Regelungsformen einver- standen sein. 3 Diese Übersetzung bieten Helfrich und Ostrom selbst an. Vgl. Helfrich in Ostrom 2011, S. 9 Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
14 U t a v. W i n t e r f e l d • A d e l h e i d B i e s e c k e r • C h r i s t i n e K a t z • B e n j a m i n B e s t Aus der Fülle der lokalen Regelungssysteme dehnte diese Erklärung auf viele andere Berei- werden bei Ostrom acht Design-Prinzipien che der Umweltzerstörung aus. oder Best Practice Prinzipien für den Umgang mit Common Pool Resources abgeleitet, die für Die Zerstörung der Allmende wurde von vielen höhere Ebenen bis hin zur globalen anwendbar als Tatsache anerkannt – nicht jedoch die von sein können (vgl. Ostrom 2011, S. 85 ff.) Wichtig Hardin entwickelte Interpretation. Einige Kritiker ist ihr, dass es keine allgemeingültigen Regeln (vgl. z. B. Scherhorn 1998a) führen sie eher auf gibt, sondern dass es jeweils um komplexe die Einhegungen und damit auf die Verwand- adaptive Systeme geht, die Lernprozesse bein- lung von Gemeineigentum in Privateigentum halten (ebenda, S. 46). Dabei ist ein Hauptprinzip zurück. Die enteigneten Bauern hatten somit das der Kooperation: „Wir alle müssen verstehen, keine andere Möglichkeit mehr, als die Allmende dass jeder Einzelne an der permanenten Gestal- zu überweiden. Als Hauptkritik hat sich jedoch tung eines regelbasierten Gemeinwesens teilhat. das Argument durchgesetzt, Hardin habe gar Die Bürgerinnen und Bürger müssen die Kunst des nicht über die Allmende nachgedacht, die ja sich „Zusammentuns“ erlernen. Wenn dies nicht eine historische Form der Common Pool Resour- gelingt, dann waren alle Forschung und alles theo- ces darstellte und auf Gemeinschaftseigentum retische Bemühen umsonst.“ (ebenda, S. 84) und Regeln beruhte, sondern über Open Access Resources, über ein Niemandsland, zu dem jeder Das Konzept der Common Pool Resources ist ungeregelten und unkontrollierten Zugang stark an ein Nachhaltigkeitsethos geknüpft. Es hatte (vgl. z. B. Feeny et al. 1990, Ostrom et al. ist nicht mit bestimmten Eigentumsformen ver- 2002, Scherhorn 1998, Shiva 2002). Hardin selbst bunden. Vielmehr sind diese Gegenstand von hat dieses Argument später anerkannt und spezifischen, der Natur der Ressource und deren seine Untersuchung als „Tragik der unverwalte- Nutzung optimal entgegenkommenden Rege- ten Gemeingüter“ bezeichnet (vgl. Ostrom 2011, lungen. S. 112 (Glossar)). Allmende Trotz dieses Fehlers hat Hardin mit dazu beigetra- Die Allmende hingegen geht begrifflich a gen, die Frage der Bedeutung von Commons auf priori von Gemeinschaftseigentum aus. In die Forschungsagenda zu setzen. Und auch die jüngerer Zeit wird der aus vorindustriellen Frage des Eigentums rückte in den Mittelpunkt Landwirtschaftspraktiken stammende Begriff des Forschungsinteresses. „Die Beschäftigung vornehmlich auf Wissensbestände und IT-Res- mit umweltschonenden kollektiven Aktionen sourcen bezogen (im Feudalismus war es nach enthält daher Sprengstoff für die Auffassung heutigen Begriffen eher Gemeinschaftsbesitz, vom Eigentum“, schreibt Scherhorn (Scherhorn weil das „Obereigentum“ dem Grundherrn, letzt- 1998, S. 204). Und weiter heißt es: Das Eigen- lich dem König, zustand). tum muß offenbar „in eine Ordnung eingebettet sein, in der Menschen Verantwortung füreinan- Die Allmende kam durch den 1968 von dem der und für die natürliche Mitwelt tragen“, und Biologen Garrett Hardin verfassten Text mit sein Gebrauch muß „im Rahmen dieser Ordnung dem Titel „The tragedy of the commons“ neu legitimiert sein“ (S. 133 f.). (Scherhorn zitiert hier in die Diskussion. Seine These lautete, dass Meyer-Abich 1996). die Überweidung und damit die Zerstörung der Allmende, der im Mittelalter gemeinsam Commons-based Peer Production genutzten Weide oder des gemeinsam genutz- Seit Beginn des Jahrtausends entsteht eine ten Waldes, auf den Eigennutz der Beteiligten neue globale Commons-Bewegung (vgl. http:// zurückzuführen war, auf den homo oecono- commonsblog.wordpress.com und Kapitel 5). micus also. Gemäß Hardin wurde die bis dahin Erstes Beispiel dafür war die Herstellung und geltende Gemeinwohlorientierung ersetzt Nutzung von Linux, jüngere Beispiele sind die durch die Orientierung auf den eigenen Vorteil, Stadtgärtenbewegung oder die Bewegung des wodurch die Allmende zerstört wurde. Hardin Selbermachens. Yochai Berkler hat dafür den Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
We l c h e R o l l e k ö n n e n C o m m o n s i n Tr a n s f o r m a t i o n s p r o z e s s e n z u N a c h h a l t i g ke i t s p i e l e n? 15 Namen „commons-based peer production“ 2.2 Fazit gefunden (vgl. Berkler 2005 und 2006). Commons Das Aufspannen dieses Begriffsraumes um das werden hier verstanden als „autonome Pro- Thema Commons mündet in keiner eigenen Defi- duktionsform“: „Die Commons als autonome nition, sondern bietet Anhaltspunkte für unse- Produktionsform getragen von Gleichgesinnten ren Suchprozess. An dieser Stelle können wir das (Peers) sind das Herz einer neuen Gesellschaft.“ einleitend genannte allgemeine Verständnis zu (http://commonsblog.wordpress.com, Stichwort: Commons als einer Kategorie von Gütern, über die commons based economy) im gesellschaftlichen Aushandlungsprozess Ein- verständnis darüber erzielt werden muss, dass sie Friederike Habermann, die als Ökonomin sowohl als Gemeingut gemeinwirtschaftlichen Regelungs- über diese neue Bewegung arbeitet als auch in formen unterliegen sollen konkretisieren. Hierzu ihr lebt, charakterisiert den Umgang mit einem passen staatlich in top down-Prozessen erstellte Gut, der dieses zum Commons werden lässt, fol- öffentliche Güter ebensowenig wie ein ökono- gendermaßen (vgl. Habermann 2009, 2010 und misierender Begriff der Gemeinschaftsgüter. Der 2011): Begriff der Gemeingüter – evtl. gepaart mit dem der Gemeinressourcen – kommt unserem Com- • Besitz statt Eigentum mons-Verständnis am nächsten und umfasst • Teile, was du kannst auch den Begriff der Allmende. Schließlich teilen • eitragen statt tauschen wir mit Commons als autonomer Produktions- • Freiwilligkeit/ Freie Kooperation form in der commons-based peer production das Experimentelle, Offene, Basisdemokratische. Eine auf Commons basierende Ökonomie produ- In unserem Verständnis von Commons sind ziert für die direkte Nutzung, nicht für den Markt. diese nicht nur „jenseits von Markt und Staat“ Es ist eine Ökonomie des Tuns, in der Verantwor- angesiedelt, sondern sind auch in Kooperation tung für wichtig gehalten wird. Insgesamt wird mit Markt und Staat gestaltbar. hier eine Ökonomie der gerechten Beteiligung und Teilhabe entworfen – Habermann spricht Dieser Abschnitt soll vor allem dazu dienen, das daher vom „Doing economy“ (Habermann 2011, auf Commons bezogene Potenzial demokra- S. 19). Sie müsste, genau genommen, in ihrer tischer Transformationskraft hin zu Nachhaltig- Sprache vom „Doing ecommony“ sprechen. In keit sichtbar zu machen und die schon bestehen- ihrem Buch „Halbinseln gegen den Strom“ (2009) den „Halbinseln gegen den Strom“ (Habermann führt Habermann viele Beispiele für diese neue 2010, S. 55) aufzuspüren. Es sind „Räume eines Ökonomie an. Dabei meint sie mit dem Begriff anderen Lebens und Wirtschaftens“ (ebenda), Halbinseln „Räume, in denen Menschen sich von denen ausgehend nachhaltige Entwick- ein Stück weit eine andere Wirklichkeit erschaf- lungsprozesse gestärkt werden können. Es sind fen und ausprobieren, wohin es gehen könnte Prozesse, deren Qualität, wie es oben hieß, darin … Denn neue Denk- und Handlungshorizonte besteht, die ihnen eigenen natürlichen und sozi- entstehen nur im Zusammenspiel von verän- alen Voraussetzungen aufrecht zu erhalten und dertem materiell-ökonomischen Alltag und sich ständig zu erneuern. Dies gerade gelingt nicht verändernden Identitäten …“ (Habermann 2011, im herkömmlichen Wirtschaftsmodell, das viele S. 19/20). Dieses Experimentelle, Prozesshafte dieser natürlichen und sozialen Voraussetzun- ist das Besondere, das diese junge Commons- gen als „Reproduktives“ ausgrenzt. Ob und wie Bewegung ausmacht. Von daher wehrt sie sich ihr Erhalt und ihre Erneuerung als „reproduktive“4 gegen Regelungen von außen, von oben. Die Commons gelingen kann, ist somit eine Frage, einzigen Regelungsformen sind die genann- die in unseren drei Leitfragen enthalten ist. ten Prinzipien – wer diese akzeptiert, kann mit- machen. 4 Die transformative Bedeutung „reproduktiver“ Commons wurde von Meike Spitzner während des Commons-Workshops am Wuppertal Institut am 31.10.2011 hervorgehoben. Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
16 U t a v. W i n t e r f e l d • A d e l h e i d B i e s e c k e r • C h r i s t i n e K a t z • B e n j a m i n B e s t Welches Begriffsverständnis wann passend ist, Wesentlichen von zwei Impulsen geprägt sind: hängt von der je konkreten Fragestellung ab. von Abwehr einerseits und von der Suche nach Einflussfaktoren sind die Skalierung (global einem neuen Horizont, einem neuen Referenz- oder lokal z. B.) und der Kontext sowie die Frage, rahmen für die anderen Wege, die nicht auf ob es sich um ein materielles Gut handelt, das Markt oder Staat beschränkt sind, andererseits. gemeinsam hergestellt bzw. genutzt wird, oder Dabei haben wir bezüglich beider Impulse ob es um soziale Prozesse geht, wie z. B. die unterschiedliche Akzente gefunden, je nach- Ausgestaltung von Sorge-Beziehungen (Care). dem, ob es um Debatten und Entwicklungen im Denn auch diese sind als Commons gestaltbar. globalen Norden oder im globalen Süden geht. Und entscheidend für die jeweilige Verwendung der Begriffe ist das eigene Erkenntnisinteresse. 2.3.1 Abwehr In der hier vorgelegten Untersuchung ist dieses Im Norden richtet sich die Abwehr vor allem vor allem auf das demokratische Transformati- gegen die wachsende Ökonomisierung und onspotenzial von Commons für den Weg hin zu Restrukturierung des politischen Raumes Nachhaltigkeit gerichtet. „Gemeingut“, „Gemein- zugunsten einer Privatwirtschaft, die sich, wie die ressource“, „Allmende“, „commons als autonome jüngste Finanzkrise vorführte, zunehmend eige- Produktionsform“ (und auch „öffentliches Gut“, nen Risiken entziehen und auf die Dienste des wenn es basisdemokratisch ausgehandelt ist) Staatsapparates und seines Zugangs zu Steuer- – all diese Begriffe können demokratisches mitteln verlassen kann. Markt- und Staatsver- Potenzial enthalten, alle durch sie abgebildeten sagen führen im Verein mit den als hochdring- Prozesse können Transformationspotenzial für lich bezeichneten, aber offenbar ungelösten Nachhaltigkeit entfalten. Es ist aber auch das Problemen und eklatanten Ungerechtigkeiten Gegenteil denkbar – Commons sind nicht per se der Problemmanagementstrategien zu einer ein Allheilmittel gegen Zerstörungen von Natur erheblichen Glaubwürdigkeitslücke. Mit dem und Sozialem. So kann z. B. Energieautonomie dagegen gesetzten Begriff Commons ist zugleich (vgl. Kapitel 5.2.3) durch einen kommunalen eine Öffentlichkeit und demokratische Entschei- Verständigungsprozess aller Beteiligter auch auf dungsfindung – mit erhofften egalitären Ergeb- der Basis von Energiepflanzen-Monokulturen nissen – postuliert, die bei Privatisierung und erzielt werden – ein Konzept, das für den Vor- Public Private Partnership verloren geht. Denn teil der Commoners Naturzerstörung und damit hier findet die Wahrung privatwirtschaftlicher auch Verschlechterung der Lebensbedingun- Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse integrale gen anderer Menschen in Kauf nimmt. Anders Aufnahme in den öffentlichen Aufgabenkata- ausgedrückt: Hier würden Kosten externalisiert log und verengt den Raum staatlicher Rechen- – genau so, wie es die moderne Marktökonomie schaftspflicht gegenüber seinen Bürger_innen. tut5. Es kommt also auf die je konkreten Bedin- gungen an – und auf alle Beteiligten: auf ihre Im Süden mit seiner asymmetrischen Einbin- Werte, ihre gemeinsamen Regeln, ihre Möglich- dung in globale Strukturen entstehen lebens- keitsräume, ihre Rechte. bedrohliche Schäden durch Übernutzung der natürlichen Lebensgrundlagen. Hier wehren sich lokale, oft indigene Gemeinschaften gegen 2.3 Politische Rationalität das Einfallstor der einer kapitalistischen Verwer- tungslogik unterliegenden Patentierung leben- In der eben geleisteten Arbeit an den Begriffen der Organismen und reklamieren eine gemein- schien schon ein Ergebnis unserer Auswertung schaftliche Treuhänderschaft. Das ist besonders der verschiedenen Diskurse auf – die Einsicht, relevant, wo technische Innovationen selbst die dass sowohl die Commons-Debatte als auch zerstörende Einhegung enthalten, wie z. B. bei die verschiedenen Commons-Bewegungen im der Terminator-Technologie im Bereich der Saat- gut-Produktion. 5 Vgl. zu den Kriterien für nachhaltige Erneuerbare Energien Biesecker; Hofmeister, Seidl 2011 Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
We l c h e R o l l e k ö n n e n C o m m o n s i n Tr a n s f o r m a t i o n s p r o z e s s e n z u N a c h h a l t i g ke i t s p i e l e n? 17 Eine andere Abwehr richtet sich gegen die als der Postwachstumsdiskussion und ihrer Suche Übergriff erlebten Ansprüche nationaler und nach einer neuen generativen Logik wie auch zu regionaler Regierungen im Rahmen z. B. der den Debatten um Global Governance. Biodiversitätskonvention (CBD) oder auch des Clean Development Mechanism (CDM). Durch Aus der Perspektive des Südens zielt der Begriff sie droht lokalen Bevölkerungsgruppen der Ver- Commons in kritischer Absicht direkt auf den lust des Anrechts auf Kontrolle und Nutzung kapitalistischen Eigentumsbegriff. Ihm werden bio-kultureller Ressourcen, zu denen auch ihr Differenzierungen entgegengesetzt, die von Wissen zählt. Hier steht die Definition von Com- kollektivem Eigentum mit temporär verteilten mons gegen Warenförmigkeit und Profit sowie Nutzungsrechten bis hin zu Besitz als berech- gegen die Entwurzelung und Entbettung aus tigter, auch längerfristiger Nutzung ohne Aus- lokalen Lebenszusammenhängen. schlussrechte reichen und allesamt dauerhafte Eigentumstitel an Naturressourcen mit völlig Im Süden wie im Norden geht mit dieser Abwehr individuellem Dispositionsrecht verbieten. In der Widerstand gegen die Privatisierung öffent- jedem Fall geht es um die Bewahrung bzw. den licher Dienstleistungen und Infrastruktur einher. Wiedergewinn der von fernen Regierungen und So haben in Cochabamba (Bolivien), in Kapstadt noch ferneren multinationalen Unternehmen und in Berlin Bürgerinnen und Bürger „ihr“ Was- bedrohten Kontrolle über lokale Lebenszusam- ser zurück gefordert. menhänge. Diese Debatten und Bewegungen sind somit Teil einer Suche nach Alternativen zu 2.3.2 Neuer Horizont und neuer einer Modernisierung vom Typus nachholender Referenzrahmen Entwicklung. Als solche schließen sie auch For- Über die reine Abwehr und den Appell an ein derungen nach Wiedergutmachung am Raub entsprechendes Legitimationsgefüge hinaus von Gemeingütern ein; so wird z. B. der unent- enthält die Gemeingüterdebatte im Norden geltliche Zugang zu Genbanken oder zu den auch und zunehmend deutlich die Dimension Schätzen Botanischer Gärten gefordert. eines neuen Referenzrahmens, der einen Hori- zont aufzeichnet, in dem es andere Wege als Auch hier steht der Begriff Commons sowohl für die der Markt- oder Staatsfixierung gibt – Wege eine Alternative jenseits von Markt und Staat als jenseits von Markt und Staat, aber auch Wege in auch für neue Kooperationsformen mit ihnen. Kooperation mit beiden Sphären. Von hier aus Alain Liepitz z. B. warnt an die Adresse des können die Belange von Nachhaltigkeit, sozia- Südens gerichtet vor der Überforderung einer ler Gerechtigkeit und Demokratie noch einmal völligen Herauslösung aus Markt und Staat und ganz anders durchbuchstabiert und -dekli- rät zu Mischformen (vgl. Liepitz 2009). niert werden. Hier wird nach einem Begriff von Politik gesucht, der weitgehend ohne ex-post- Das Aufspannen des Commons-Themas zwi- Reparaturen auskommt, weil er a priori ökolo- schen Abwehr und neuem Referenzrahmen gischen und sozialen Normen gerecht wird. In beruht auf vielen Debatten und Bewegungen der Debatte wird die Chance zu einer diskursi- rund um diesen Begriff. Auch in diesen zeigt ven Neuordnung von Politik, Ökonomie, Ökolo- sich: Die Begriffe werden unscharf verwendet gie und Sozialem gesehen, die den Menschen und differieren je nach Kontext und politischer nicht als individuellen homo oeconomicus ent- Absicht. Deutlich wird aber auch: Unter dem wirft (siehe auch Abschnitt 3). Vielmehr wird Dach dieser uneinheitlichen Begrifflichkeiten der Mensch als mit der Natur interagierendes a lässt sich eine Neuvermessung gesellschaftli- priori soziales Wesen, zu dessen Sehnsüchten es cher Naturverhältnisse und politischer Struktu- gehört, seine Mit-Menschlichkeit und Mit-Natür- rierung sehr gut ansiedeln. In den um Begriffs- lichkeit friedens- und generationentauglich zu klärung bemühten Diskussionen wird immer gestalten. Hier ergeben sich Schnittstellen mit wieder darauf hingewiesen, dass es sich um ein Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
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