Welche Rolle können Commons in Transformationsprozessen zu Nachhaltigkeit spielen?

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Welche Rolle können Commons in Transformationsprozessen zu Nachhaltigkeit spielen?
Wuppertal Institut
                                                                               für Klima, Umwelt, Energie
                                                                               GmbH

Impulse zur WachstumsWende

                             Welche Rolle können Commons
                             in Transformationsprozessen zu
                             Nachhaltigkeit spielen?
                             Von Uta v. Winterfeld, Adelheid Biesecker,
                             Christine Katz und Benjamin Best

                             Impulse für die politische Debatte           12

                                                                           6          Wuppertal, Juli 2012
Herausgeber:
Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
Döppersberg 19
42103 Wuppertal
www.wupperinst.org

Autor_innen:
Uta von Winterfeld
Adelheid Biesecker
Christine Katz
Benjamin Best
Unter Mitarbeit von Claudia v. Braunmühl

Kontakt:
E-Mail: uta.winterfeld@wupperinst.org
E-Mail: benjamin.best@wupperinst.org

Disclaimer:
Unter dem gemeinsamen Obertitel „Impulse zur WachstumsWende“ ver-
öffentlicht das Wuppertal Institut Thesen und Forschungsergebnisse mit
Bezug zur aktuellen Wachstumsdebatte.

Wuppertal, im Juli 2012
Inhalt

Zusammenfassung                                                                   5
Abstract                                                                          6
1 Zur Bedeutung von Commons in Transformationsprozessen
  zu Nachhaltigkeit                                                               7
2 Zur Commons Debatte                                                            10
  2.1 Begriffliches                                                              10
  2.2 Fazit                                                                      15
  2.3 Politische Rationalität                                                    16
      2.3.1 Abwehr                                                               16
      2.3.2 Neuer Horizont und neuer Referenzrahmen                              17
3 Commons als Kritik an und Abwehr von vorherrschenden Logiken                   19
  3.1 Vom Recht auf Gemeingüter – oder: Zur vorherrschenden Logik des
      Privateigentums                                                            19
      3.1.1 Die Natur hat die Menschen so ungesellig gemacht                     20
      3.1.2 Gott gab die Vollmacht, sich die Erde anzueignen                     21
  3.2 Verwertungslogik, enge ökonomische Rationalität und homo oeconomicus       22
  3.3 Fazit: Abwehr gegen die Zerstörung von natürlichen und sozialen
      Lebensgrundlagen mithilfe von Commons                                      25
4 Das Beispiel Wald im Spannungsfeld von Eigentum, Nutzung und Schutz            26
  4.1 Politischer Hintergrund                                                    26
   4.2 Eigentumsverhältnisse, politische Gestaltung und Mitverantwortlichkeit    27
       4.2.1 Nutzungsrechtliche Ausgestaltung des Waldes                         28
       4.2.2 Zur Rolle des Staates                                               28
       4.2.3 Bewertung nicht monetarisierbarer Leistungen                        30
   4.3 Fazit                                                                     30
5 Ein neuer Referenzrahmen: Commons, Commoning und Commoners                     32
  5.1 Menschen und Netzwerke im Spannungsfeld von „lokal“ und „global“ – oder:
      Wie Commons konstruiert werden                                             32
      5.1.1 Commons als Horizont und neuer Referenzrahmen                        34
      5.1.2 Vom „shareholder value“ zum „citizen value“                          34
  5.2 Commons in der Praxis: Elemente eines neuen Referenzrahmens                35
      5.2.1 Urban Gardening: Eigentum und Gemeinschaftseigentum                  36
      5.2.2 „NeuLand“ in Köln                                                    37
      5.2.3 Energieautonome Regionen                                             37
      5.2.4 Windenergie in Bürger_innenhand                                      38
      5.2.5 Wohnen und Versorgen im Alter:                                       39
  5.3 Fazit                                                                      40
6 Schluss: Recht auf Commons und Qualität des Öffentlichen                       42
Literatur                                                                        46
Uta von Winterfeld, Adelheid Biesecker, Christine Katz und Benjamin Best

Welche Rolle können Commons in
Transformationsprozessen zu Nachhaltigkeit
spielen?

    Zusammenfassung

    Die Debatten und die sozialen Bewegungen zu Commons spielen im Spannungsfeld der
    Abwehr aktueller Enteignungen und der Entwicklung neuer Perspektiven. Den Commons
    wohnt eine ihnen eigene Kraft neben Markt und Staat und eine eigene Transformations-
    kraft hin zu mehr Nachhaltigkeit inne. Sie stellen als „Abwehr“ ein kritisches Korrektiv vor-
    herrschender neoliberaler ökonomischer Rationalität und Praxen dar. Sie weisen als „neuer
    Referenzrahmen“ auf zukünftige Wege jenseits von Staat und Markt hin. Sicher stellen sie
    nicht die eine einzige große Lösung dar. Eine mit „Commons“ verbundene zentrale Heraus-
    forderung liegt jedoch darin, dass sie auf das verweisen, was dem Begriff „Transformation“
    innewohnt: Eine Umformung moderner Gesellschaften, die ihren Kern – ihre Gestalt und
    ihre Struktur – betrifft. Bis heute werden „bürgerliche“ Gesellschaften zentral durch ihre
    Eigentumsverfassung bestimmt. Doch bis morgen und im Kontext der großen Transforma-
    tion müsste eben diese Eigentumsverfassung neu geschrieben werden. Nicht in dem Sinne,
    dass nun alles Gemeineigentum ist und dass mit dieser Eigentumsform alle Probleme gelöst
    werden könnten. Sondern in dem Sinne, dass Eigentumsbildung anhand nachhaltiger Krite-
    rien und vielfältig erfolgt.

    Doch kommt mit alten und neuen Ideen von Gemeinschaft und Gemeinbesitz und kommt
    mit den Commons nicht automatisch das „Gute“ und Richtige in die Welt. Vielmehr bleibt
    zu fragen, welche Bedingungen und Regeln, welche Möglichkeitsräume und Rechte erfor-
    derlich sind, damit Commons ihr demokratisches Nachhaltigkeits-Potenzial entfalten kön-
    nen. Eine zentrale Bedingung hierfür ist, das Wachstums- und Schrumpfungsverhältnis von
    privatem und öffentlichem Raum umzukehren. Commons bedürfen einer starken demokra-
    tischen Öffentlichkeit und eines qualitativ hochwertigen öffentlichen Raumes.

    Das Paper stellt zunächst die unterschiedlichen Commonsbegriffe vor und zeigt die den
    Debatten innewohnenden politischen Rationalitätsmuster auf. Weiter wird von der Ideen-
    geschichte vorherrschender politischer und ökonomischer Logiken erzählt und wird darge-
    legt, weshalb und inwiefern diese Logiken Commons zerstören. Die Ambivalenz öffentlichen
    und privaten Eigentums wird am Beispiel Wald aufgezeigt. Schließlich werden Theorie und
    Praxis von Commons, Commoning und Commoners skizziert.
Abstract

Which part do commons play in transformation processes towards sustainability?

Debates about commons and their social movements take place between the conflicting
priorities of resistance of current dispossession and the development of new perspectives.
Commons have their own power besides the market (sector) and the government and an
own driving force of transformation towards more sustainability. As “resistance” factor they
represent a critical corrective of predominant, neoliberal-economical rationality and prac-
tices and are a “new frame of reference” featuring future developments beyond the gov-
ernment and the market (sector). Surely they do not illustrate the one and only solution. A
central challenge related to “commons” is that it refers to what is meant by the term “trans-
formation”: A remodelling of recent societies that affects their core, shape and structure. By
today, “civil” societies are centrally shaped by their property constitutions. But until tomor-
row and in the context of a great transformation, the constitution of property needs to be
rewritten. Not in the sense that from now on everything belongs to public property and that
this form of property is able to solve all problems, but in the sense that the acquisition of
property takes place diversely and by following sustainable criteria.

As a matter of fact, even with old and new ideas of society and public property and by means
of commons, things in our world will not automatically become “good” and “right”. Instead
it has to be asked what kinds of conditions and policies, which windows of opportunities
and which rights are necessary to ensure that commons are able to develop a democratic
sustainability potential. A crucial condition here is to turn around the relation of growth and
negative growth of private and public space. Commons require a strong democratic public
and a qualitatively valuable public space.

This paper firstly introduces the different terms of commons and indicates the immanent
political rationality patterns of the debates. Furthermore the intellectual history of predomi-
nantly political and economical logics is told and it is presented why and how these logics
destroy commons. Ambivalence of public and private property is demonstrated using for-
ests as an example. Finally the theory and practice of commons, communing and common-
ers is outlined.
Über die uner wünschten Folgen der er wünschten Energieef fizienz                                        7

1 Zur Bedeutung von Commons                               darüber erzielt werden muss, dass sie als Gemein-
in Transformationsprozessen zu                            gut gemeinwirtschaftlichen Regelungsformen
Nachhaltigkeit                                            unterliegen sollen. Damit treten Kooperation
                                                          anstelle von Konkurrenz, Gemeinwohl anstelle
                                                          von individuellem Vorteil und Aushandlung
Nachhaltigkeit ist immer noch eher Anspruch
                                                          anstelle von Kauf in den Vordergrund. Commons
als Wirklichkeit, eher Leitbild als allgemeine
                                                          scheinen sich aufgrund dieser Qualitäten für
gesellschaftliche Praxis. Daher sei ein „Gesell-
                                                          einen solchen demokratischen Suchprozess zu
schaftsvertrag für eine Große Transformation“
                                                          eignen. Daher fragen wir:
erforderlich, so der Wissenschaftliche Beirat
der Bundesregierung Globale Umweltverände-                •   Welche Rolle können Commons in Transfor-
rung (WBGU) in seinem Hauptgutachten von                      mationsprozessen zu Nachhaltigkeit spie-
2011. Der Vertrag zielt darauf ab, die natür-                 len?
lichen Lebensgrundlagen zu erhalten. Er sieht
vor, die Zivilgesellschaft besser zu beteiligen.          •   Welche Bedingungen/Regeln/Möglichkeits-
Der Gesellschaftsvertrag soll globale Reichweite              räume/Rechte sind erforderlich, damit Com-
haben. Angesichts ungleicher Verteilung müsse                 mons ihr demokratisches Nachhaltigkeits-
er Fairness, Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich             Potenzial entfalten können?
berücksichtigen. Die drei zentralen Transforma-
tionsfelder sind dem WBGU zufolge Energie,                •   Wie ist der Suchprozess nach neuen Wegen
Urbanisierung und Landnutzung (WBGU 2011).                    in Kooperation mit und jenseits von Markt
                                                              und Staat einzuschätzen?
Commons kommen im Gutachten des WBGU
nicht direkt vor, wohl aber wird im Kontext poli-         Dabei ist Nachhaltigkeit für uns kein Endzu-
tischer Instrumente zur Steuerung der Transfor-           stand einer Entwicklung. Vielmehr bezeichnet
mation das „Angebot öffentlicher Güter“ thema-            Nachhaltige Entwicklung „einen offenen, dyna-
tisiert (ebenda, S. 197 f.). Der Begriff wird nicht       mischen und immer wieder zu gestaltenden
eigens definiert, sondern beispielhaft anhand             Prozess; sie beschreibt … die Qualität eines Ent-
von „Ökosystemleistungen“, „Technische und                wicklungsprozesses, der seine eigenen natür-
soziale Infrastrukturen“ und „Umweltgüter“                lichen und sozialen Voraussetzungen aufrecht-
ausgeführt. Für das Angebot öffentlicher Güter            erhält und ständig erneuert“. (Becker; Jahn 2006,
sind dem WBGU zufolge hoheitliche Planung                 S. 238)
(Umwelt-, Raum-, Stadt- und Infrastruktur-
planung) und integriertes Management (von                 Eine weitere Entfaltung des Commons-Begriffs
Flächen, Energie- und Stoffströmen) von großer            erfolgt in Kapitel 2. Hier stellen wir auch poli-
Bedeutung.                                                tische Anliegen und Rationalitätsmuster einer
                                                          Commonsdebatte vor, die einen Suchprozess
Der WBGU sieht als zentralen Akteur den „gestal-          nach neuen Wegen innerhalb und auch jenseits
tenden Staat“. Seine Aufgaben sind:                       der Monolithen Markt und Staat darstellt.

Prioritäten setzen für den Transformationspro-            Ob von Allmende (im mittelhochdeutschen
zess, der Wirtschaft Handlungsoptionen für                auch al(ge)meinde), von Commons oder von
Nachhaltigkeit bieten und die Bürger_innen                Gemeingütern gesprochen und geschrieben
partizipieren lassen bzw. die Partizipationsmög-          wird, stets wird in diesen Bezeichnungen etwas
lichkeiten ausbauen. Im Factsheet Nr. 1/2011 des          angerührt, das neuzeitlichen Rationalitätsmus-
WBGU wird die Transformation als „demokra-                tern nicht entspricht. Denn in der „klassischen
tischer Suchprozess“ bezeichnet (WBGU 2011a).             Vertragstheorie“ kommen keine Gemeinschaf-
Hier knüpfen wir an. Denn „Commons“ bezeich-              ten vor, sondern nur Individuen, die ihre Selbst-
nen eine Kategorie von Gütern, über die im gesell-        bestimmungsrechte an eine Zentralgewalt
schaftlichen Aushandlungsprozess Einverständnis           abgeben. Gesellschaftlicher Wohlstand und

Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
8                                            U t a v. W i n t e r f e l d • A d e l h e i d B i e s e c k e r • C h r i s t i n e K a t z • B e n j a m i n B e s t

Fortschritt werden mit Privat-, nicht mit Gemein-                        Dem WBGU zufolge erfordert Transformation als
besitz assoziiert. Und was „zählt“ sind allein die                       gesellschaftlicher Suchprozess mehr und nicht
Verwertungsmöglichkeiten einer als Ressource                             weniger Demokratie (WBGU 2011, S. 55). Unter
gedachten Natur, sind allein Arbeiten, die Natur                         der Überschrift „Neue Staatlichkeit im Mehr-
in Privatbesitz verwandeln. In Kapitel 3 setzen                          ebenensystem“ werden sowohl Global Govern-
wir uns ideen- und theoriegeschichtlich kritisch                         ance (ebenda, S. 236 f.) als auch „Transformative
mit diesen Rationalitätsmustern auseinander.                             Governance“ in den drei Transformationsfeldern
                                                                         (ebenda, S. 241 f.) erörtert. Die Frage aber, ob
Doch kommt mit alten und neuen Ideen von                                 Governance mehr Demokratie bedeutet, ist
Gemeinschaft und Gemeinbesitz und kommt mit                              umstritten. So interpretiert Birgit Sauer Govern-
den Commons nicht automatisch das „Gute“ und                             ance als neuartige Form der Artikulation sozia-
Richtige in die Welt. Wie vielschichtig und ambi-                        ler Macht- und auch Geschlechterverhältnisse
valent die Geschichte ist, zeigen wir in Kapitel 4                       (Sauer 2011, S. 127).
anhand der Gestaltungshoheit und der Verwer-
tungslogik im Bereich der (Wald)Naturressour-                            Ähnliches kann für Commons zumindest nicht
cen. Denn Privateigentum kann sowohl einen                               ausgeschlossen werden. Denn einerseits impli-
Schutz vor zerstörerischen Verwertungsinteres-                           ziert aktive Teilhabe als Grundprinzip von
sen darstellen als auch umgekehrt ein Naturgut                           Gemeinschaftsgütern die Übernahme von indi-
diesen Interessen zuführen und ausliefern.                               vidueller Verantwortung. Dass jedoch weder
                                                                         Partizipation machtfrei abläuft noch die Mög-
Neben die materielle Dimension von Commons                               lichkeiten, sich (selbst-)verantwortlich einzu-
(natürliche Ressourcen wie Wasser, Wald, Erd-                            bringen, für alle gleichermaßen bestehen, ist
atmosphäre) tritt die soziale (z.B. Care1). Ohne                         andererseits lange bekannt. Sollen damit tat-
die Bindung an konkret handelnde Menschen in                             sächlich Empowerment und eine Demokrati-
bestimmten sozialen Umgebungen ist die Idee                              sierung einhergehen, wäre die Kenntnis der für
der Gemeingüter nicht denkbar (Helfrich; Stein                           eine größtmögliche und gerechte Beteiligung
2011, S. 11). Deshalb handelt unser fünftes Kapi-                        erforderlichen Voraussetzungen unabdingbar.
tel von „Commoners“ und „Commoning“ und                                  Inwiefern der Staat dabei eine regulierende oder
zeigt an praktischen Beispielen, wie und unter                           moderierende Funktion übernehmen könnte
welchen Bedingungen dieses „Commoning“                                   (oder sollte), ist nicht eindeutig.
gelingen kann.
                                                                         Bezweifelt wird generell, ob dem ordnungspoli-
Schließlich fragen wir in unserem Schlusskapitel                         tisch steuernden Staat per se eine positiv regu-
nach dem Staat und umreißen Anforderungen                                lierende und problemlösende Rolle zukommen
an Qualitäten des Öffentlichen. Welche Rechte                            kann. Ulrich Brand schlägt vor, eine herrschafts-
kann der Staat zugunsten von Commons ver-                                kritische gegenüber einer ordnungswissen-
geben und welche Möglichkeitsräume kann                                  schaftlichen Sichtweise zu stärken (Brand 2011,
er schaffen? Zugleich sind es nicht nur die                              S. 259). Eine solche Kritik sollte darauf bestehen,
Debatten und Praxen, welche die Bedeutung                                dass das (direkt und indirekt) Ausgeschlossene,
von Commons in Transformationsprozessen                                  das nicht Benannte eine Rolle spielt (ebenda,
zu Nachhaltigkeit ausmachen. Sondern junge                               S. 264).
soziale Bewegungen und Massenproteste zei-
gen, dass viele Menschen eine andere Qualität                            Nun werden Commons derzeit eher häufig als
öffentlicher Güter und Dienstleistungen fordern                          selten benannt. Doch ihre Ambivalenz, ihr kriti-
– und dass sie sich von den etablierten Parteien                         sches wie auch begrenztes und begrenzendes
nicht (mehr) vertreten fühlen.                                           Potenzial für nachhaltige Transformationspro-
                                                                         zesse ist noch wenig ausgeleuchtet. Auch stel-
                                                                         len sie unserer Auffassung nach keinen garan-
1   Vgl. zu dieser Auffassung auch Scherhorn 2010, S. 130,               tierten Schutzschild gegenüber herrschaftlichen
    FN 1                                                                 Zugriffen dar. Denn es sind neue Einhegungen

                                                                                                  Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
We l c h e R o l l e k ö n n e n C o m m o n s i n Tr a n s f o r m a t i o n s p r o z e s s e n z u N a c h h a l t i g ke i t s p i e l e n?   9

repressiv verordneter Gemeinwesenarbeit im                                                        verschiedene Vorschläge. Für unseren Zusam-
workfare-orientierten Sozialstaat ebenso denk-                                                    menhang ist wichtig, dass es sich dabei vielfach
bar wie bürgerschaftlich initiierte und kommu-                                                    um die Verwandlung von Privatem in Öffent-
nalpolitisch unterstützte gemeinwirtschaftliche                                                   liches handelt: So hört der Lohnvertrag auf, ein
Ansätze.                                                                                          Privatvertrag zu sein, und der Boden wird größ-
                                                                                                  tenteils dem Privateigentum entzogen. „Das
Dem WBGU zufolge stellt die anstehende „Große                                                     Wesen des Eigentums erfährt natürlich als Folge
Transformation“ zur klimaverträglichen Gesell-                                                    dieser Maßnahmen eine tiefgreifende Verände-
schaft eine historisch einmalige Herausforde-                                                     rung …“ schreibt Polanyi weiter (ebenda, S. 333).
rung dar. Bisherige große Transformationen der
Menschheit seien weitgehend ungesteuerte                                                          Wir wissen heute, dass die Aufgabe, die der WBGU
Ergebnisse evolutionären Wandels gewesen.                                                         als neue „Große Transformation“ bezeichnet –
Nun aber gehe es darum, einen umfassenden                                                         die Transformation hin zu einer nachhaltigen
Umbau aus Einsicht, Umsicht und Voraussicht                                                       Gesellschaft – durch die von Polanyi beschrie-
voranzutreiben (WBGU 2011, S. 5).                                                                 bene Wirkung der (scheinbar) autonomen Mark-
                                                                                                  tökonomie hervorgerufen wurde: Diese Art der
Der Begriff „Große Transformation“ stammt von                                                     Marktwirtschaft zerstört die Lebensgrundlagen
Karl Polanyi (vgl. Polanyi 1978). Er bezeichnet                                                   der Gesellschaft statt sie zu erhalten, wie es das
den Prozess der Herausbildung eines schein-                                                       Konzept der nachhaltigen Entwicklung fordert.
bar in sich selbst funktionierenden Systems,                                                      Es kommt daher darauf an, mit der jetzt ange-
der Marktwirtschaft. Deren Entstehungsprozess                                                     strebten gesteuerten „Großen Transformation“
sieht Polanyi als „Entbettung“ an: Der entste-                                                    der Entbettung entgegenzuarbeiten.
hende Markt löst sich aus seinem sozialen und
seinem natürlichen Bett. Das Kritische daran                                                      Welche Rolle können Commons dabei spielen?
beschreibt Polanyi wie folgt:                                                                     Sie werden weder von Polanyi noch vom WBGU
                                                                                                  genannt. Aber Polanyi hat mit seinem Hinweis
„Wir vertreten die These, daß die Idee eines selbstre-                                            auf die tiefgreifende Veränderung des Eigen-
gulierenden Marktes eine krasse Utopie bedeutet.                                                  tums bei der Überwindung der zerstörerischen
Eine solche Institution konnte über längere Zeit-                                                 Marktwirtschaft eine Spur gelegt, der wir fol-
räume nicht bestehen, ohne die menschliche und                                                    gen: Denn mit Commons ist die Frage nach
natürliche Substanz der Gesellschaft zu vernichten;                                               dem Eigentum aufgeworfen – und damit nach
sie hätte den Menschen physisch zerstört und seine                                                einer Institution, die in der spezifischen Form
Umwelt in eine Wildnis verwandelt. Die Gesell-                                                    des Privateigentums die Gestalt und die Struktur
schaft ergriff zwangsläufig Maßnahmen zum                                                         moderner Gesellschaften bisher wesentlich aus-
eigenen Schutz, aber all diese Maßnahmen beein-                                                   macht. Und der WGBU hat mit der Qualifizierung
trächtigten die selbstregulierende Funktion des                                                   der anstehenden Transformation als „demokra-
Marktes… Dieses Dilemma zwang die Entwicklung                                                     tischer Suchprozess“ und der Betonung der Not-
des Marktsystems in eine bestimmte Richtung und                                                   wendigkeit der Partizipation der Bürgerinnen
zerrüttete schließlich die darauf beruhende Gesell-                                               und Bürger die Akteur_innen dieses Suchpro-
schaftsstruktur.“ (Polanyi 1978/1944, S. 9/20).                                                   zesses benannt: Es sind alle, die sich beteiligen
                                                                                                  wollen. Für die Entwicklung des unbekannten
Polanyis Idee einer Gegenbewegung ist die                                                         Neuen werden alle gebraucht – auch und gerade
„Umstellung auf eine nicht auf dem Markt be-                                                      die Commoners.
ruhende Industriegesellschaft“ (ebenda, S. 331).
Das bedeutet: „Das Marktsystem wird nicht mehr
selbstregulierend sein, nicht einmal im Prinzip,
da es Arbeit, Boden und Geld nicht mehr umfas-
sen wird“ (ebenda, S. 332). Denn diese drei Fak-
toren gelte es aus dem Markt herauszunehmen.
Wie das geschehen sollte, dazu macht Polanyi

Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
10                                     U t a v. W i n t e r f e l d • A d e l h e i d B i e s e c k e r • C h r i s t i n e K a t z • B e n j a m i n B e s t

2 Zur Commons Debatte                                              Öffentliche Güter (public goods)
                                                                   Die moderne ökonomische Theorie handelt vor
Commons werden heute – mithilfe unterschied-                       allem von privaten Gütern. Aber schon Adam
licher Begriffe – auf verschiedenen Ebenen, in                     Smith spricht von „öffentliche(n) Werke(n) und
verschiedenen Diskursen und in verschiede-                         Anstalten …“ (Smith 1973 [1776], Bd. 2, S. 364),
nen Disziplinen diskutiert. Im Folgenden wird                      die zu wenig Profit abwerfen, um privat betrie-
zunächst versucht, aus dieser Vielfalt die am                      ben zu werden, und deren Errichtung und Unter-
häufigsten verwendeten Begriffe herauszufiltern                    haltung daher die Aufgabe des Staates sei. Spä-
(2.1), um so das Feld zu beschreiben, in dem sich                  ter – in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts – wird
unser Suchprozess nach Commons-bezogener                           dieses Problem in der sog. Spieltheorie bearbei-
demokratischer Transformationskraft hin zu                         tet. In deren „Vorzeigespiel“ – dem „Gefangenen-
Nachhaltigkeit bewegt. Sodann wird dieses Feld                     Dilemma“ – lässt sich zeigen, dass, wenn alle
mithilfe der Frage nach der politischen Ratio-                     Beteiligten nur nach ihrem eigenen Nutzen-
nalität, die die Commoners und die Prozesse des                    maximum streben (wenn sie also als homines
Commoning leitet, strukturiert (2.2). Geht es nur                  oeconomici gedacht werden und nicht mitein-
um Abwehr oder scheint hier auch ein neuer                         ander kooperieren), die Erstellung öffentlicher
Horizont – der Horizont einer nachhaltigen                         Güter blockiert wird (auch als „Marktversagen“
Gesellschaft – auf?                                                bezeichnet). Sollen solche Güter dennoch privat
                                                                   hergestellt werden (was in dieser Debatte ange-
                                                                   strebt wird), so muss der Staat derart Anreize
2.1 Begriffliches                                                  setzen, dass diese Erstellung den Nutzenmaxi-
                                                                   mierungskalkülen der Individuen entspricht.
Mindestens sechs unterschiedliche Begriffe
                                                                   Öffentliche Güter sind hier somit Güter, deren
schwirren durch die Debatte, z. T. relativ klar
                                                                   Herstellung in öffentlicher Verantwortung liegt.
gegeneinander abgegrenzt, z. T. in mehr oder
                                                                   Heute werden sie formal über die Kriterien der
weniger reflektierter Substituierung gebraucht,
                                                                   Nicht-Ausschließbarkeit (die Nutzung durch
z. T. im Verhältnis von Ober- und Unterbegrif-
                                                                   ein Individuum schließt andere nicht von der
fen. Für unseren Zweck – die Beschreibung des
                                                                   Nutzung aus) und der Nicht-Rivalität (die Nut-
Raumes für unseren Suchprozess – genügt es
                                                                   zungsansprüche kollidieren nicht miteinander)
zunächst, ihren diskursiven Gebrauch zu skizzie-
                                                                   definiert.
ren.
                                                                   Die experimentelle Spieltheorie hat nun gezeigt,
In der deutschsprachigen Debatte ist die Rede
                                                                   dass viele Menschen kooperationsbereit sind.
von:
                                                                   Das Menschenbild kommt somit in die Diskus-
•    Öffentlichen Gütern (public goods)                            sion hinein. Es entwickelt sich die sog. koope-
•    Gemeingütern (common goods)                                   rative Spieltheorie, an der auch Elinor Ostrom
•    Gemeinschaftsgütern (commons)                                 anknüpft (s. weiter unten). Hieraus entwickeln
•    common pool resources (der Begriff wurde                      sich Vorschläge für die Gestaltung von Institu-
     von Elinor Ostrom und ihren Mitarbei-                         tionen (Handlungsregeln und -rechte), die die
     ter_innen als engl. Ausdruck für Allmende                     kooperierenden Beteiligten in die Lage ver-
     geprägt; es gibt keine eingeführte deutsche                   setzen, gemeinsam ein optimales Ergebnis zu
     Übersetzung. Helfrich/Stein und Ostrom/                       erzielen – hier: das öffentliche Gut zu erstellen
     Helfrich sprechen manchmal von „Gemein-                       und zu betreiben. Die Beispiele, die hier ange-
     ressourcen“ (Helfrich; Stein 2011, S. 11;                     führt werden, gehören meist in den Bereich der
     Ostrom 2011, S. 9))                                           öffentlichen Infrastruktur (Laternen, Straßen
•    Allmende (commons)                                            z. B.).
•    Commons-based peer production (der Be-
     griff stammt von Yochai Berkler (vgl. Berkler                 In den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts
     2005). Es gibt keine in der Debatte verwen-                   hat Arthur Pigou dieses Marktversagen auf die
     dete deutsche Übersetzung).                                   Umwelt bezogen: Umweltprobleme entstehen

                                                                                            Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
We l c h e R o l l e k ö n n e n C o m m o n s i n Tr a n s f o r m a t i o n s p r o z e s s e n z u N a c h h a l t i g ke i t s p i e l e n?        11

aufgrund von negativen externen Effekten der                                                      fest, wer stellt sie in welchem Modus bereit, wer
privaten Produktion, welche über eine Umwelt-                                                     trägt die Kosten, wie sieht es mit gerechter Ver-
steuer internalisiert werden sollten (vgl. Pigou                                                  teilung bzw. gerechtem Zugang aus?
1962/1920). William Kapp hat in den 50er Jahren
ebenfalls „Die sozialen Kosten der Marktwirt-                                                     Öffentliche Güter sind somit allgemein dadurch
schaft“ angeprangert (vgl. Kapp 1988/1950) und                                                    gekennzeichnet, dass es einer politischen Ent-
die Bedeutung kulturspezifischer Institutionen                                                    scheidung darüber bedarf, dass eine Leistung
gerade auch für den Umgang mit der Umwelt                                                         für das gesellschaftliche Miteinander sehr wich-
hervorgehoben. Der Lösung des Problems der                                                        tig ist und dass diese Leistung in marktförmigen
öffentlichen Güter über den Markt werden somit                                                    Prozessen nicht oder nur unzureichend bereit-
Lösungen sowohl über den Staat als auch über                                                      gestellt wird.2 Wenn diese politische Entschei-
Institutionen (soziale Normen, öffentliche Infra-                                                 dung auf einem in gesellschaftlichen Aushand-
strukturen, Rechte z. B.) entgegen gestellt.                                                      lungsprozessen gefundenen Einverständnis
                                                                                                  sowohl über die Güter selbst als auch über die
In die internationale Debatte ist der Begriff von                                                 Regelungsformen beruht, handelt es sich um
Inge Kaul et al., UNDP, im Kontext entwicklungs-                                                  Commons.
politischer Erwägungen eingeführt worden (vgl.
Kaul 1999 und 2003). Das geschah im Wesent-                                                       Gemeingüter (common goods)
lichen unter dem Aspekt der Finanzierbarkeit                                                      Bei Gemeingütern handelt es sich um vorbe-
marktförmig schwerlich bereitzustellender infra-                                                  findliche Naturgegebenheiten, deren Schutz
struktureller Leistungen und begrenzter staat-                                                    und Nutzung unter dem Aspekt von Erhalt und
licher Finanzkapazität. Das Zauberwort PPP                                                        Gerechtigkeit regelungsbedürftig ist. Hier ist
(Public Private Partnership), das 2002 in den bei-                                                durchaus eine Rivalität des Konsums gegeben.
den Konferenzen zu Umwelt in Johannesburg                                                         Als Beispiele werden materielle (z. B. Atmo-
und zu Entwicklungsfinanzierung in Monterrey                                                      sphäre, Wasser, Wald, Saatgut, Land, Biodiver-
eine zentrale Rolle spielte, steht hier handlungs-                                                sität, Energie) und immaterielle (z. B. Wissen,
politisch im Vordergrund. Die Agenda wurde                                                        Software, Kultur) Ressourcen genannt. Sie kön-
und wird von den Regierungen der Entwick-                                                         nen vorbefindlich sein, aber auch das Ergebnis
lungsländer mit Argwohn beäugt, da sie in ihr                                                     kollektiver Anstrengungen. Ihr Nutzen vollzieht
einen Schritt zur Reduzierung von Leistungen                                                      sich in unterschiedlichen Zusammenhängen,
der Entwicklungshilfe vermuten.                                                                   die von lokaler bis zu globaler Ebene reichen
                                                                                                  können. Auf jeden Fall gibt es Regelungsbedarf
Kaul et al. verbinden die Einführung der Begriff-                                                 hinsichtlich des Erhalts der Materialität der Res-
lichkeit mit Anstrengungen, die Strategie mit                                                     sourcen und gerecht organisierter gesellschaft-
einer begrifflichen Systematik zu unterlegen.                                                     licher Verfügbarkeit.
In der sind öffentliche Güter als gesellschaft-
lich herzustellende Güter und wie oben ange-                                                      Silke Helfrich (vgl. Helfrich; Heinrich Böll Stiftung
geben definiert. Da sie in reiner Form faktisch                                                   2009, Helfrich et al. 2010, Helfrich; Stein 2011)
kaum vorkommen, wird mit einer Bandbreite                                                         zählt drei Merkmale auf, die sie Bausteine des
von unreinen öffentlichen Gütern argumentiert.                                                    Konzepts nennt:
Global können öffentliche Güter dann genannt
werden, wenn ihr Bedarf auf je mehr als eine
Ländergruppe, Bevölkerungsgruppe und Gene-                                                        2    Aus entwicklungsethischer Perspektive wird
ration zutrifft. Sie unterliegen einer normativen                                                      diese Definition als zu instrumentell und zu leicht
Rahmung hinsichtlich der Öffentlichkeit des                                                            integrierbar in das neoliberale Paradigma kriti-
Konsums, des demokratischen Charakters der                                                             siert. Deneulin;Townsend (2006) z. B. schlagen ein
                                                                                                       Konzept vor, das von intrinsisch gemeinschaft-
Entscheidungsprozesse und der gerechten Ver-
                                                                                                       lichen Gütern ausgeht, die nur gemeinschaftlich
teilung. Es sind also Fragen zu lösen und zu regeln                                                    hergestellt und gelebt werden können und eng
wie: Wer legt den genauen Bedarf an Gütern in                                                          mit einer quasi kommunitaristischen Lesart von
einem demokratischen Entscheidungsprozess                                                              Gemeinwohl verknüpft sind.

Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
12                                    U t a v. W i n t e r f e l d • A d e l h e i d B i e s e c k e r • C h r i s t i n e K a t z • B e n j a m i n B e s t

•    Der materielle Aspekt bezieht sich auf die                   tere „müssen so entwickelt werden, dass sie die
     Ressource selbst (die Verwendung des                         Menschen befähigen, diese Herausforderung
     Begriffs Ressource wird ob seines Nutzen-                    (die naturgegebenen Gemeingüter sorgsam zu
     Bias mancherorts kritisiert).                                bewirtschaften, d. Verf.) friedlich und produk-
                                                                  tiv zu bewältigen.“ (Scherhorn 2010, S. 129) Als
•    Der soziale Aspekt bezieht sich auf die Men-                 Beispiele werden im Text Bildung und Beschäfti-
     schen und deren Umgang mit der Ressource;                    gung genannt.
     es ist von „Bezugsgemeinschaften“ die Rede.
                                                                  Im Gegensatz zu den öffentlichen Gütern wer-
•    Der regulative Aspekt bezieht sich auf das                   den Gemeingüter von den beteiligten Bürge-
     gemeinsame Verständnis, die Regeln, Nor-                     rinnen und Bürgern getragen. „Gemeingüter
     men, die den Umgang leiten.                                  bedürfen vor allem mündiger Bürger. In einer
                                                                  Kultur der Gemeingüter leben heißt, das Leben
Die Bindung der Ressource an Bezugsgemein-                        in die eigene Hand nehmen.“ (Helfrich et al.
schaften spielt hier eine wesentliche Rolle – „die                2010, S. 9) Und: „Gemeingüter sind nicht, sie wer-
Macht des Wörtchens ‚unser’“ (Helfrich; Haas                      den gemacht.“ (Helfrich in Ostrom 2011, S. 11)
2009, S. 256) – und wird mit Mit-Besitz, Mit-Ver-
antwortung, Mit-Nutzerbeziehung umrissen.                         Gemeinschaftsgüter (commons)
Konzeptionell wird das in dem Begriff der Rela-                   Häufig, z. T. auch bei Helfrich und in Texten
tionalität gefasst, der den normativen Aspekt mit                 der Heinrich-Böll-Stiftung, werden die Begriffe
einschließt und auf bestimmten Prinzipien auf-                    Gemeingut und Gemeinschaftsgut austausch-
ruht, wie dem der Dezentralität und der Koope-                    bar gebraucht. Wenn man nicht überhaupt auf
ration. Entscheidungen müssen auf der Basis                       den Begriff Gemeinschaftsgut verzichtet, lässt
von Subsidiarität, Kooperation, Partizipation                     sich u. E. eine Unterscheidung an der spezi-
und Deliberation (Aushandlung) gefällt werden.                    fischen Relationalität des Gutes festmachen. Da,
Mit anderen Worten: Die normative Rahmung                         wo eine spezifische Ressource unmittelbar ver-
betont gerechten Zugang bzw. gerecht geteil-                      bunden ist mit lokalen Lebensweisen (z. B. in Art.
ten Nutzen, Verantwortung für den Erhalt der                      8 der Biodiversitätskonvention (CBD)), kann man
Ressource und in allen Phasen demokratische                       von Gemeinschaftsgut sprechen. Mit genau die-
Entscheidungsfindung.                                             ser inhaltlichen Begriffsfüllung treten Helfrich/
                                                                  Haas an manchen Stellen jedoch an den Begriff
Auch in der ökonomischen Debatte taucht dieser                    Gemeingut heran, was auch dafür spricht, den
Begriff immer öfter auf. Scherhorn z. B. versteht                 Begriff Gemeinschaftsgut nicht weiter zu ver-
ihn als Oberbegriff : „Als Gemeingüter werden                     wenden.
hier die natürlichen und sozialen Ressourcen
verstanden, die bei verständiger Betrachtung                      Hinzu kommt, dass der Begriff Gemeinschafts-
die globalen, nationalen und regionalen com-                      gut vom Max-Planck-Institut zur Erforschung
mon pool resources bilden sollen (Helfrich 2009),                 der Gemeinschaftsgüter in ökonomisierender
tatsächlich aber überwiegend unmanaged com-                       Weise als Hauptbegriff verwendet wird. Gemein-
mons (Hardin 1993) sind. Denn gleich, ob in                       schaftsgüter werden als Oberbegriff verstanden,
privatem oder staatlichen Eigentum gehalten                       der öffentliche Güter, Netzwerkgüter, Club-
oder als freie Güter behandelt, sie werden bis-                   güter, Statusgüter und common pool resources
her nicht so bewirtschaftet, wie es nötig wäre,                   umfasst (vgl. Bleischwitz 2005, S. 12). Als Unter-
damit die Tragfähigkeit der Erde nicht überfor-                   scheidungskriterien dienen unterschiedliche
dert wird.“ (Scherhorn 2010, S. 130, FN 1) In die-                Grade von (Nicht-)Ausschließbarkeit des Zu-
ser Lesart umfasst der Begriff Gemeingüter also                   gangs und (Nicht-)Rivalität in der Nutzung.
managed und unmanaged commons. Scher-                             Dieses Institut stützt sich stark auf die Neue
horn bezieht den Begriff Gemeingut in diesem                      Institutionenökonomik und versteht somit Insti-
Text sowohl auf die naturgegebenen als auch                       tutionen als Regeln, die Transaktionskosten sen-
auf die sozial gestalteten Gemeingüter. Letz-                     ken. Folgerichtig schreibt Bleischwitz, der sich

                                                                                           Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
We l c h e R o l l e k ö n n e n C o m m o n s i n Tr a n s f o r m a t i o n s p r o z e s s e n z u N a c h h a l t i g ke i t s p i e l e n?         13

auf dieses Institut bezieht: „Insgesamt sind es die                                               Common Pool Resources (Gemeinressourcen3)
Kosten und nicht die Eigenschaften von Gütern,                                                    Common Pool Resources definieren Elinor
die für die Erstellung von Gemeinschaftsgütern                                                    Ostrom und ihre Mitarbeiter_innen als Teil eines
wesentlich sind.“ (Bleischwitz 2005, S. 15)                                                       sowohl natürliche (Grundwasser, Atmosphäre)
                                                                                                  wie Menschen gemachte (Bewässerungs-
Den Begriff Gemeinschaften lehnen viele ab;                                                       systeme, Internet) Ressourcen umfassenden
dies nicht zuletzt mit Blick auf die CBD. Diese                                                   Ressourcensystems, das zwei Charakteristika
schreibt die Rechtstitel an Ressourcen den                                                        aufweist: (1) Exklusive Nutzung ist möglich,
Nationalstaaten zu, überlässt die Rechtsdurch-                                                    verursacht aber erhebliche Kosten und (2) die
setzung also dem Beziehungsfeld nationale                                                         Ausbeutung der Ressource durch einen Nut-
Regierung - lokale Gemeinschaften. Auf der                                                        zer schränkt notwendigerweise die Nutzungs-
anderen Seite machen die lokalen Gemeinschaf-                                                     möglichkeiten anderer ein. Kurzfristige und
ten ihre Ansprüche in Form von aus der Lokali-                                                    langfristige Interessen können folglich in Kon-
tät heraus begründeten Eigentumsrechten fest                                                      flikt miteinander geraten und müssen durch
und bewegen sich damit, scheint uns, in der                                                       die effektive Regelung der Zugangsrechte und
prekären Zufälligkeit von Grenzziehungen und                                                      Erhaltspflichten im Gleichgewicht gehalten wer-
verhandelbaren Eigentumstiteln des modernen                                                       den. (vgl. Ostrom 1990 und 2011) Dabei geht
Staatensystems.                                                                                   es Ostrom um „die Entwicklung einer empirisch
                                                                                                  gestützten Theorie kollektiven Handelns, die
Nach Helfrich und Ostrom, deren common pool                                                       auf Selbstorganisation und Selbstverwaltung
resources (s. unten) begrifflich den Gemein-                                                      beruht.“ (Ostrom 2011, S. 22) Damit das gelingt,
schaftsgütern recht nahe stehen, sind in diesem                                                   sind Institutionen (Handlungsregeln) nötig, die
Konzept Regelungen als autonome Kontrolle                                                         nur gemeinsam mit den Nutzerinnen und Nut-
lokaler Lebenszusammenhänge jenseits von                                                          zern entwickelt werden können.
Markt und Staat zu denken. Die Ressource, das
Wissen über den optimalen Umgang mit ihr,                                                         Definition und Argumentation sind irgendwo
dessen soziale Regelung und die lokale Lebens-                                                    zwischen Gemeingütern und Gemeinschafts-
weise mit ihren Traditionen und Wertbestän-                                                       gütern angesiedelt. In dem von Helfrich heraus-
den sind also integral miteinander verwoben.                                                      gegebenen Buch von Ostrom unter dem Titel
Mit Prospektion und Patentierung, access and                                                      „Was mehr wird, wenn wir teilen“ wird jedoch
benefit-Regelungen (CBD) ziehen somit gesell-                                                     eine Gegenüberstellung gemacht: „Wie soll
schaftliche Mechanismen ein, die in keiner Weise                                                  man sie nennen, die Common-Pool-Resources
der Logik und den Regelungen lokaler Gemein-                                                      im Unterschied zu den Commons? Am Ende ent-
schaften unterliegen.                                                                             schieden wir uns für Gemeinressourcen… einer-
                                                                                                  seits und Gemeingüter andererseits.“ (Helfrich
Gegen diese Argumentation wird ins Feld                                                           in Ostrom 2011, S. 9) Ostrom sucht bewusst
geführt (z. B. Liepitz 2009), dass sie zur Roman-                                                 nach Regelungen weder beim Markt noch beim
tisierung und Petrifizierung lokaler Gemein-                                                      Staat. Sie sieht aber durchaus, dass die von den
schaften neige und Machtstrukturen wie auch                                                       Commoners getroffenen Regelungen oft der
instrumentell erfundene Traditionen negiere.                                                      Bestätigung (und Sanktionierung) durch den
Modernen Maßstäben entnommene Kriterien                                                           Staat bedürfen. Dieser schafft sozusagen den
von Menschenrechten und Demokratie müssen,                                                        Möglichkeitsraum für die commoners. Der Aus-
so die Argumentation, Ansprüche auch an die                                                       handlungsprozess geht jedoch im Allgemeinen
lokalen Gemeinschaften stellen dürfen.                                                            von den unmittelbar Beteiligten aus, zumindest
                                                                                                  müssen sie mit den Regelungsformen einver-
                                                                                                  standen sein.

                                                                                                  3    Diese Übersetzung bieten Helfrich und Ostrom selbst
                                                                                                       an. Vgl. Helfrich in Ostrom 2011, S. 9

Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
14                                    U t a v. W i n t e r f e l d • A d e l h e i d B i e s e c k e r • C h r i s t i n e K a t z • B e n j a m i n B e s t

Aus der Fülle der lokalen Regelungssysteme                        dehnte diese Erklärung auf viele andere Berei-
werden bei Ostrom acht Design-Prinzipien                          che der Umweltzerstörung aus.
oder Best Practice Prinzipien für den Umgang
mit Common Pool Resources abgeleitet, die für                     Die Zerstörung der Allmende wurde von vielen
höhere Ebenen bis hin zur globalen anwendbar                      als Tatsache anerkannt – nicht jedoch die von
sein können (vgl. Ostrom 2011, S. 85 ff.) Wichtig                 Hardin entwickelte Interpretation. Einige Kritiker
ist ihr, dass es keine allgemeingültigen Regeln                   (vgl. z. B. Scherhorn 1998a) führen sie eher auf
gibt, sondern dass es jeweils um komplexe                         die Einhegungen und damit auf die Verwand-
adaptive Systeme geht, die Lernprozesse bein-                     lung von Gemeineigentum in Privateigentum
halten (ebenda, S. 46). Dabei ist ein Hauptprinzip                zurück. Die enteigneten Bauern hatten somit
das der Kooperation: „Wir alle müssen verstehen,                  keine andere Möglichkeit mehr, als die Allmende
dass jeder Einzelne an der permanenten Gestal-                    zu überweiden. Als Hauptkritik hat sich jedoch
tung eines regelbasierten Gemeinwesens teilhat.                   das Argument durchgesetzt, Hardin habe gar
Die Bürgerinnen und Bürger müssen die Kunst des                   nicht über die Allmende nachgedacht, die ja
sich „Zusammentuns“ erlernen. Wenn dies nicht                     eine historische Form der Common Pool Resour-
gelingt, dann waren alle Forschung und alles theo-                ces darstellte und auf Gemeinschaftseigentum
retische Bemühen umsonst.“ (ebenda, S. 84)                        und Regeln beruhte, sondern über Open Access
                                                                  Resources, über ein Niemandsland, zu dem jeder
Das Konzept der Common Pool Resources ist                         ungeregelten und unkontrollierten Zugang
stark an ein Nachhaltigkeitsethos geknüpft. Es                    hatte (vgl. z. B. Feeny et al. 1990, Ostrom et al.
ist nicht mit bestimmten Eigentumsformen ver-                     2002, Scherhorn 1998, Shiva 2002). Hardin selbst
bunden. Vielmehr sind diese Gegenstand von                        hat dieses Argument später anerkannt und
spezifischen, der Natur der Ressource und deren                   seine Untersuchung als „Tragik der unverwalte-
Nutzung optimal entgegenkommenden Rege-                           ten Gemeingüter“ bezeichnet (vgl. Ostrom 2011,
lungen.                                                           S. 112 (Glossar)).

Allmende                                                          Trotz dieses Fehlers hat Hardin mit dazu beigetra-
Die Allmende hingegen geht begrifflich a                          gen, die Frage der Bedeutung von Commons auf
priori von Gemeinschaftseigentum aus. In                          die Forschungsagenda zu setzen. Und auch die
jüngerer Zeit wird der aus vorindustriellen                       Frage des Eigentums rückte in den Mittelpunkt
Landwirtschaftspraktiken stammende Begriff                        des Forschungsinteresses. „Die Beschäftigung
vornehmlich auf Wissensbestände und IT-Res-                       mit umweltschonenden kollektiven Aktionen
sourcen bezogen (im Feudalismus war es nach                       enthält daher Sprengstoff für die Auffassung
heutigen Begriffen eher Gemeinschaftsbesitz,                      vom Eigentum“, schreibt Scherhorn (Scherhorn
weil das „Obereigentum“ dem Grundherrn, letzt-                    1998, S. 204). Und weiter heißt es: Das Eigen-
lich dem König, zustand).                                         tum muß offenbar „in eine Ordnung eingebettet
                                                                  sein, in der Menschen Verantwortung füreinan-
Die Allmende kam durch den 1968 von dem                           der und für die natürliche Mitwelt tragen“, und
Biologen Garrett Hardin verfassten Text mit                       sein Gebrauch muß „im Rahmen dieser Ordnung
dem Titel „The tragedy of the commons“ neu                        legitimiert sein“ (S. 133 f.). (Scherhorn zitiert hier
in die Diskussion. Seine These lautete, dass                      Meyer-Abich 1996).
die Überweidung und damit die Zerstörung
der Allmende, der im Mittelalter gemeinsam                        Commons-based Peer Production
genutzten Weide oder des gemeinsam genutz-                        Seit Beginn des Jahrtausends entsteht eine
ten Waldes, auf den Eigennutz der Beteiligten                     neue globale Commons-Bewegung (vgl. http://
zurückzuführen war, auf den homo oecono-                          commonsblog.wordpress.com und Kapitel 5).
micus also. Gemäß Hardin wurde die bis dahin                      Erstes Beispiel dafür war die Herstellung und
geltende Gemeinwohlorientierung ersetzt                           Nutzung von Linux, jüngere Beispiele sind die
durch die Orientierung auf den eigenen Vorteil,                   Stadtgärtenbewegung oder die Bewegung des
wodurch die Allmende zerstört wurde. Hardin                       Selbermachens. Yochai Berkler hat dafür den

                                                                                           Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
We l c h e R o l l e k ö n n e n C o m m o n s i n Tr a n s f o r m a t i o n s p r o z e s s e n z u N a c h h a l t i g ke i t s p i e l e n?       15

Namen „commons-based peer production“                                                             2.2 Fazit
gefunden (vgl. Berkler 2005 und 2006). Commons
                                                                                                  Das Aufspannen dieses Begriffsraumes um das
werden hier verstanden als „autonome Pro-
                                                                                                  Thema Commons mündet in keiner eigenen Defi-
duktionsform“: „Die Commons als autonome
                                                                                                  nition, sondern bietet Anhaltspunkte für unse-
Produktionsform getragen von Gleichgesinnten
                                                                                                  ren Suchprozess. An dieser Stelle können wir das
(Peers) sind das Herz einer neuen Gesellschaft.“
                                                                                                  einleitend genannte allgemeine Verständnis zu
(http://commonsblog.wordpress.com, Stichwort:
                                                                                                  Commons als einer Kategorie von Gütern, über die
commons based economy)
                                                                                                  im gesellschaftlichen Aushandlungsprozess Ein-
                                                                                                  verständnis darüber erzielt werden muss, dass sie
Friederike Habermann, die als Ökonomin sowohl
                                                                                                  als Gemeingut gemeinwirtschaftlichen Regelungs-
über diese neue Bewegung arbeitet als auch in
                                                                                                  formen unterliegen sollen konkretisieren. Hierzu
ihr lebt, charakterisiert den Umgang mit einem
                                                                                                  passen staatlich in top down-Prozessen erstellte
Gut, der dieses zum Commons werden lässt, fol-
                                                                                                  öffentliche Güter ebensowenig wie ein ökono-
gendermaßen (vgl. Habermann 2009, 2010 und
                                                                                                  misierender Begriff der Gemeinschaftsgüter. Der
2011):
                                                                                                  Begriff der Gemeingüter – evtl. gepaart mit dem
                                                                                                  der Gemeinressourcen – kommt unserem Com-
•     Besitz statt Eigentum
                                                                                                  mons-Verständnis am nächsten und umfasst
•     Teile, was du kannst
                                                                                                  auch den Begriff der Allmende. Schließlich teilen
•     eitragen statt tauschen
                                                                                                  wir mit Commons als autonomer Produktions-
•     Freiwilligkeit/ Freie Kooperation
                                                                                                  form in der commons-based peer production
                                                                                                  das Experimentelle, Offene, Basisdemokratische.
Eine auf Commons basierende Ökonomie produ-
                                                                                                  In unserem Verständnis von Commons sind
ziert für die direkte Nutzung, nicht für den Markt.
                                                                                                  diese nicht nur „jenseits von Markt und Staat“
Es ist eine Ökonomie des Tuns, in der Verantwor-
                                                                                                  angesiedelt, sondern sind auch in Kooperation
tung für wichtig gehalten wird. Insgesamt wird
                                                                                                  mit Markt und Staat gestaltbar.
hier eine Ökonomie der gerechten Beteiligung
und Teilhabe entworfen – Habermann spricht
                                                                                                  Dieser Abschnitt soll vor allem dazu dienen, das
daher vom „Doing economy“ (Habermann 2011,
                                                                                                  auf Commons bezogene Potenzial demokra-
S. 19). Sie müsste, genau genommen, in ihrer
                                                                                                  tischer Transformationskraft hin zu Nachhaltig-
Sprache vom „Doing ecommony“ sprechen. In
                                                                                                  keit sichtbar zu machen und die schon bestehen-
ihrem Buch „Halbinseln gegen den Strom“ (2009)
                                                                                                  den „Halbinseln gegen den Strom“ (Habermann
führt Habermann viele Beispiele für diese neue
                                                                                                  2010, S. 55) aufzuspüren. Es sind „Räume eines
Ökonomie an. Dabei meint sie mit dem Begriff
                                                                                                  anderen Lebens und Wirtschaftens“ (ebenda),
Halbinseln „Räume, in denen Menschen sich
                                                                                                  von denen ausgehend nachhaltige Entwick-
ein Stück weit eine andere Wirklichkeit erschaf-
                                                                                                  lungsprozesse gestärkt werden können. Es sind
fen und ausprobieren, wohin es gehen könnte
                                                                                                  Prozesse, deren Qualität, wie es oben hieß, darin
… Denn neue Denk- und Handlungshorizonte
                                                                                                  besteht, die ihnen eigenen natürlichen und sozi-
entstehen nur im Zusammenspiel von verän-
                                                                                                  alen Voraussetzungen aufrecht zu erhalten und
dertem materiell-ökonomischen Alltag und sich
                                                                                                  ständig zu erneuern. Dies gerade gelingt nicht
verändernden Identitäten …“ (Habermann 2011,
                                                                                                  im herkömmlichen Wirtschaftsmodell, das viele
S. 19/20). Dieses Experimentelle, Prozesshafte
                                                                                                  dieser natürlichen und sozialen Voraussetzun-
ist das Besondere, das diese junge Commons-
                                                                                                  gen als „Reproduktives“ ausgrenzt. Ob und wie
Bewegung ausmacht. Von daher wehrt sie sich
                                                                                                  ihr Erhalt und ihre Erneuerung als „reproduktive“4
gegen Regelungen von außen, von oben. Die
                                                                                                  Commons gelingen kann, ist somit eine Frage,
einzigen Regelungsformen sind die genann-
                                                                                                  die in unseren drei Leitfragen enthalten ist.
ten Prinzipien – wer diese akzeptiert, kann mit-
machen.
                                                                                                  4    Die transformative Bedeutung „reproduktiver“
                                                                                                       Commons wurde von Meike Spitzner während des
                                                                                                       Commons-Workshops am Wuppertal Institut am
                                                                                                       31.10.2011 hervorgehoben.

Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
16                                            U t a v. W i n t e r f e l d • A d e l h e i d B i e s e c k e r • C h r i s t i n e K a t z • B e n j a m i n B e s t

Welches Begriffsverständnis wann passend ist,                             Wesentlichen von zwei Impulsen geprägt sind:
hängt von der je konkreten Fragestellung ab.                              von Abwehr einerseits und von der Suche nach
Einflussfaktoren sind die Skalierung (global                              einem neuen Horizont, einem neuen Referenz-
oder lokal z. B.) und der Kontext sowie die Frage,                        rahmen für die anderen Wege, die nicht auf
ob es sich um ein materielles Gut handelt, das                            Markt oder Staat beschränkt sind, andererseits.
gemeinsam hergestellt bzw. genutzt wird, oder                             Dabei haben wir bezüglich beider Impulse
ob es um soziale Prozesse geht, wie z. B. die                             unterschiedliche Akzente gefunden, je nach-
Ausgestaltung von Sorge-Beziehungen (Care).                               dem, ob es um Debatten und Entwicklungen im
Denn auch diese sind als Commons gestaltbar.                              globalen Norden oder im globalen Süden geht.
Und entscheidend für die jeweilige Verwendung
der Begriffe ist das eigene Erkenntnisinteresse.                          2.3.1 Abwehr
In der hier vorgelegten Untersuchung ist dieses                           Im Norden richtet sich die Abwehr vor allem
vor allem auf das demokratische Transformati-                             gegen die wachsende Ökonomisierung und
onspotenzial von Commons für den Weg hin zu                               Restrukturierung des politischen Raumes
Nachhaltigkeit gerichtet. „Gemeingut“, „Gemein-                           zugunsten einer Privatwirtschaft, die sich, wie die
ressource“, „Allmende“, „commons als autonome                             jüngste Finanzkrise vorführte, zunehmend eige-
Produktionsform“ (und auch „öffentliches Gut“,                            nen Risiken entziehen und auf die Dienste des
wenn es basisdemokratisch ausgehandelt ist)                               Staatsapparates und seines Zugangs zu Steuer-
– all diese Begriffe können demokratisches                                mitteln verlassen kann. Markt- und Staatsver-
Potenzial enthalten, alle durch sie abgebildeten                          sagen führen im Verein mit den als hochdring-
Prozesse können Transformationspotenzial für                              lich bezeichneten, aber offenbar ungelösten
Nachhaltigkeit entfalten. Es ist aber auch das                            Problemen und eklatanten Ungerechtigkeiten
Gegenteil denkbar – Commons sind nicht per se                             der Problemmanagementstrategien zu einer
ein Allheilmittel gegen Zerstörungen von Natur                            erheblichen Glaubwürdigkeitslücke. Mit dem
und Sozialem. So kann z. B. Energieautonomie                              dagegen gesetzten Begriff Commons ist zugleich
(vgl. Kapitel 5.2.3) durch einen kommunalen                               eine Öffentlichkeit und demokratische Entschei-
Verständigungsprozess aller Beteiligter auch auf                          dungsfindung – mit erhofften egalitären Ergeb-
der Basis von Energiepflanzen-Monokulturen                                nissen – postuliert, die bei Privatisierung und
erzielt werden – ein Konzept, das für den Vor-                            Public Private Partnership verloren geht. Denn
teil der Commoners Naturzerstörung und damit                              hier findet die Wahrung privatwirtschaftlicher
auch Verschlechterung der Lebensbedingun-                                 Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse integrale
gen anderer Menschen in Kauf nimmt. Anders                                Aufnahme in den öffentlichen Aufgabenkata-
ausgedrückt: Hier würden Kosten externalisiert                            log und verengt den Raum staatlicher Rechen-
– genau so, wie es die moderne Marktökonomie                              schaftspflicht gegenüber seinen Bürger_innen.
tut5. Es kommt also auf die je konkreten Bedin-
gungen an – und auf alle Beteiligten: auf ihre                            Im Süden mit seiner asymmetrischen Einbin-
Werte, ihre gemeinsamen Regeln, ihre Möglich-                             dung in globale Strukturen entstehen lebens-
keitsräume, ihre Rechte.                                                  bedrohliche Schäden durch Übernutzung der
                                                                          natürlichen Lebensgrundlagen. Hier wehren
                                                                          sich lokale, oft indigene Gemeinschaften gegen
2.3 Politische Rationalität                                               das Einfallstor der einer kapitalistischen Verwer-
                                                                          tungslogik unterliegenden Patentierung leben-
In der eben geleisteten Arbeit an den Begriffen
                                                                          der Organismen und reklamieren eine gemein-
schien schon ein Ergebnis unserer Auswertung
                                                                          schaftliche Treuhänderschaft. Das ist besonders
der verschiedenen Diskurse auf – die Einsicht,
                                                                          relevant, wo technische Innovationen selbst die
dass sowohl die Commons-Debatte als auch
                                                                          zerstörende Einhegung enthalten, wie z. B. bei
die verschiedenen Commons-Bewegungen im
                                                                          der Terminator-Technologie im Bereich der Saat-
                                                                          gut-Produktion.
5    Vgl. zu den Kriterien für nachhaltige Erneuerbare
     Energien Biesecker; Hofmeister, Seidl 2011

                                                                                                   Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
We l c h e R o l l e k ö n n e n C o m m o n s i n Tr a n s f o r m a t i o n s p r o z e s s e n z u N a c h h a l t i g ke i t s p i e l e n?   17

Eine andere Abwehr richtet sich gegen die als                                                     der Postwachstumsdiskussion und ihrer Suche
Übergriff erlebten Ansprüche nationaler und                                                       nach einer neuen generativen Logik wie auch zu
regionaler Regierungen im Rahmen z. B. der                                                        den Debatten um Global Governance.
Biodiversitätskonvention (CBD) oder auch des
Clean Development Mechanism (CDM). Durch                                                          Aus der Perspektive des Südens zielt der Begriff
sie droht lokalen Bevölkerungsgruppen der Ver-                                                    Commons in kritischer Absicht direkt auf den
lust des Anrechts auf Kontrolle und Nutzung                                                       kapitalistischen Eigentumsbegriff. Ihm werden
bio-kultureller Ressourcen, zu denen auch ihr                                                     Differenzierungen entgegengesetzt, die von
Wissen zählt. Hier steht die Definition von Com-                                                  kollektivem Eigentum mit temporär verteilten
mons gegen Warenförmigkeit und Profit sowie                                                       Nutzungsrechten bis hin zu Besitz als berech-
gegen die Entwurzelung und Entbettung aus                                                         tigter, auch längerfristiger Nutzung ohne Aus-
lokalen Lebenszusammenhängen.                                                                     schlussrechte reichen und allesamt dauerhafte
                                                                                                  Eigentumstitel an Naturressourcen mit völlig
Im Süden wie im Norden geht mit dieser Abwehr                                                     individuellem Dispositionsrecht verbieten. In
der Widerstand gegen die Privatisierung öffent-                                                   jedem Fall geht es um die Bewahrung bzw. den
licher Dienstleistungen und Infrastruktur einher.                                                 Wiedergewinn der von fernen Regierungen und
So haben in Cochabamba (Bolivien), in Kapstadt                                                    noch ferneren multinationalen Unternehmen
und in Berlin Bürgerinnen und Bürger „ihr“ Was-                                                   bedrohten Kontrolle über lokale Lebenszusam-
ser zurück gefordert.                                                                             menhänge. Diese Debatten und Bewegungen
                                                                                                  sind somit Teil einer Suche nach Alternativen zu
2.3.2 Neuer Horizont und neuer                                                                    einer Modernisierung vom Typus nachholender
Referenzrahmen                                                                                    Entwicklung. Als solche schließen sie auch For-
Über die reine Abwehr und den Appell an ein                                                       derungen nach Wiedergutmachung am Raub
entsprechendes Legitimationsgefüge hinaus                                                         von Gemeingütern ein; so wird z. B. der unent-
enthält die Gemeingüterdebatte im Norden                                                          geltliche Zugang zu Genbanken oder zu den
auch und zunehmend deutlich die Dimension                                                         Schätzen Botanischer Gärten gefordert.
eines neuen Referenzrahmens, der einen Hori-
zont aufzeichnet, in dem es andere Wege als                                                       Auch hier steht der Begriff Commons sowohl für
die der Markt- oder Staatsfixierung gibt – Wege                                                   eine Alternative jenseits von Markt und Staat als
jenseits von Markt und Staat, aber auch Wege in                                                   auch für neue Kooperationsformen mit ihnen.
Kooperation mit beiden Sphären. Von hier aus                                                      Alain Liepitz z. B. warnt an die Adresse des
können die Belange von Nachhaltigkeit, sozia-                                                     Südens gerichtet vor der Überforderung einer
ler Gerechtigkeit und Demokratie noch einmal                                                      völligen Herauslösung aus Markt und Staat und
ganz anders durchbuchstabiert und -dekli-                                                         rät zu Mischformen (vgl. Liepitz 2009).
niert werden. Hier wird nach einem Begriff von
Politik gesucht, der weitgehend ohne ex-post-                                                     Das Aufspannen des Commons-Themas zwi-
Reparaturen auskommt, weil er a priori ökolo-                                                     schen Abwehr und neuem Referenzrahmen
gischen und sozialen Normen gerecht wird. In                                                      beruht auf vielen Debatten und Bewegungen
der Debatte wird die Chance zu einer diskursi-                                                    rund um diesen Begriff. Auch in diesen zeigt
ven Neuordnung von Politik, Ökonomie, Ökolo-                                                      sich: Die Begriffe werden unscharf verwendet
gie und Sozialem gesehen, die den Menschen                                                        und differieren je nach Kontext und politischer
nicht als individuellen homo oeconomicus ent-                                                     Absicht. Deutlich wird aber auch: Unter dem
wirft (siehe auch Abschnitt 3). Vielmehr wird                                                     Dach dieser uneinheitlichen Begrifflichkeiten
der Mensch als mit der Natur interagierendes a                                                    lässt sich eine Neuvermessung gesellschaftli-
priori soziales Wesen, zu dessen Sehnsüchten es                                                   cher Naturverhältnisse und politischer Struktu-
gehört, seine Mit-Menschlichkeit und Mit-Natür-                                                   rierung sehr gut ansiedeln. In den um Begriffs-
lichkeit friedens- und generationentauglich zu                                                    klärung bemühten Diskussionen wird immer
gestalten. Hier ergeben sich Schnittstellen mit                                                   wieder darauf hingewiesen, dass es sich um ein

Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH
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