Weltzeit - Das ganze Bild begreifen Medien. Freiheit. Werte - DW

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Weltzeit - Das ganze Bild begreifen Medien. Freiheit. Werte - DW
weltzeit
  Das Magazin der Deutschen Welle   Ausgabe 2 | 2016

Das ganze Bild begreifen
Medien. Freiheit. Werte.
Weltzeit - Das ganze Bild begreifen Medien. Freiheit. Werte - DW
9.9. – 9.10.2016

                           »REVOLUTIONEN«

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Tickets +49(0) 228 - 50 20 13 13
Weltzeit - Das ganze Bild begreifen Medien. Freiheit. Werte - DW
Editorial

                                                                                                                                        ©© DW/M. Müller
        Digital. Ein Wort entscheidet über    ­ resse haben. Wir möchten demokratische
                                              P                                             60 Jahren schon einige technische und or­
die Zukunft. In unserem Alltag werden im­     Entwicklungsprozesse unterstützen. Das        ganisatorische Veränderungsprozesse mit
mer mehr Abläufe und sogar weitreichende      kann zukünftig nur Erfolg haben, wenn es      Bravour begleitet hat.
Entscheidungsprozesse digital gesteuert,      digital geschieht. Dazu bedarf es weiterer       Wohin zukünftige Medien-Revolutionen
ohne dass wir noch darüber nachdenken.        Investitionen in neue Verbreitungswege.       auch führen mögen, unsere Nutzer können
Für ein internationales Medienhaus wie die                                                  sich auf die DW verlassen. Journalistisch.
Deutsche Welle ist das Nachdenken über die                                                  Unabhängig. Digital.
digitale Zukunft jedoch Pflicht.                »Think digital«:                               Um Werte und Ideen, um Aufklärung und
   Die rasanten Veränderungen in der Nut­
zung von Kommunikationstechnik durch             eine Einladung                             Glaubwürdigkeit der Medien im digitalen
                                                                                            Zeitalter geht es auch in dieser ­Weltzeit. Ich
unsere weltweiten Zielgruppen, die wir
mit unseren redaktionellen Angeboten er­
                                               zur Diskussion um                            wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

reichen möchten, erfordern auch von uns
schnelles Umdenken und neue Lösungen.
                                                Werte und Ideen                             Ihr Peter Limbourg,
                                                                                            Intendant
   Zwar erreichen wir weiterhin eine wach­
sende Zahl von Menschen mit unseren              Aus der für Medienhäuser einst revoluti­
linearen Fernsehkanälen. Aber auch vom        onären Ansage „online first“ ist inzwischen
Trend zur mobilen Nutzung profitieren wir     „think digital“ geworden. Das darf man
schon spürbar. In Asien, Afrika und dem       nicht als Einschränkung verstehen, sondern
Nahen Osten ist das Smartphone für im­        als Einladung, an der internationalen Dis­
mer mehr, vor allem junge Menschen die        kussion um Werte und Ideen maßgeblich
einzige Verbindung, die sie täglich nutzen.   beteiligt zu sein.
Der Löwenanteil des privaten Informations­       Die Weiterentwicklung unserer Arbeits­
austauschs – und auch des Nachrichtenkon­     abläufe werden die Redaktionen und die
sums – erfolgt weltweit zunehmend mobil.      Technik der DW vereint ebenso gut meis­
   Die DW bietet journalistisch fundierte     tern wie alle vorherigen technischen Ver­
Informationen für die Welt und gezielt        änderungen auch. Das ist eine der Stärken
in den Ländern an, die keine eigene freie     der Deutschen Welle, die in nunmehr über

                                                                                                                       Deutsche Welle              3
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menschen begegnen

                                                                                                                  ©© DW/L. Jandel

    Yoani Sánchez             kommt perfekt vorbereitet     Anreise für Gäste aus ganz Lateinamerika einfacher.
    ins TV-Studio – zur Aufzeichnung des neuen DW-Talk-     Ausgestrahlt wird die wöchentliche Sendung im spa-
    formats, das ihren Namen trägt. Untertitel: „La voz     nischsprachigen Kanal der DW.
    de tus derechos“ (Stimme deiner Rechte). „Wir öffnen
    ein Fenster, wo die Tür geschlossen ist“, so Sánchez.   Sánchez, couragierte Chefredakteurin der Online-
    Die kubanische Bürgerrechtlerin und Bloggerin, vor      Zeitung 14ymedio.com, zog es 2004 nach Zwischen-
    einigen Jahren vom Time Magazine zu den hundert         station in Zürich zurück nach Hause, der Familie
    einflussreichsten Menschen gewählt, diskutiert mit      wegen. 2007 startete die Literaturwissenschaftlerin
    Lateinamerikanern über Themen wie „Migration“           das Blog „Generation Y“, für das sie im Jahr darauf
    oder „Megaprojekte und ihre Folgen für die Umwelt“.     den Online-Award The Bobs der DW erhielt. Mitte
    Redakteurin Cristina Gleinig schätzt Sánchez als        Juni kommt Yoani Sánchez nach Bonn – zum Global
    „sachliche und faire Streiterin“. Produziert wird in    Media Forum, wo sie auch eine Ausgabe ihrer Talk-
    Panama – die zentrale geografische Lage macht die       sendung produziert.

4   Weltzeit 2 | 2016
Weltzeit - Das ganze Bild begreifen Medien. Freiheit. Werte - DW
Inhalt
menschen begegnen                              20 Seismographen des Wandels
                                               Arabische Medien und die Medienkultur
6    Michel Friedman
Der Interviewprofi                             22 Mit „Helden“-Geschichten ins Netz
                                               Kampf gegen die Medienstrategie des IS
6   Ahmed Al-Basheer
Der mutige Satiriker                           ZEICHEN SETZEN

7    Hanadi Qawasmi                            24 The Bobs – Gewinner 2016
Jerusalem als Leidenschaft                     Netz-Projekte mit Vorbildcharakter

7    Lesetipp                                  25 Freedom of Speech Award 2016
Ute Schaeffer: Einfach nur weg                 DW ehrt Hürriyet-Chefredakteur
                                          10   Sedat Ergin
8    Gado
Die Karikatur als Delikatesse                  HEIMAT ERLEBEN

AKTUELLES ERFAHREN                             26 Deutschlandbild
                                               In Sorge um einen Freund
9   Lindenstraße auf Arabisch                  Irina Schirokova aus Russland
Neues im arabischen Kanal für Europa
                                               Publikum einbeziehen
9   Shababtalk auf Tour
Auch in Amman und Doha populär                 28 DW als Medienpartner
                                               „Deutsche Fußball Botschafter 2016“
TITELTHEMA
                                               28 Votum der DW-Nutzer
10   Digitales Zeitalter der Aufklärung        „Bundesligaspieler der Saison“
Transparenz als Antwort auf Propaganda
Ein Gastbeitrag von Wolfgang Ischinger         28 Service auf dw.com
                                          25
                                               Die Fußball-EM in Frankreich
13 „Putin isoliert Russland“
Nemzowa.Interview gestartet                    POSITION BEZIEHEN

13 Getwitter                                   29 Seda Serdar
                                               Die Türkei taumelt und die EU schaut zu
14 Zweibahnstraße Integration
Vielfalt und Widersprüchlichkeit zeigen        WELT ANSCHAUEN
Ein Gastbeitrag von Omid Nouripour
                                               30 „Wir sind hier geduldet“
16 „Unsere Werte nach vorn bringen“            Im Porträt: Juri Rescheto,
Im Gespräch mit den Medienpolitikern           Leiter Studio Moskau
Marco Wanderwitz und Martin Dörmann

18 Vom „Luxus“ der Wahrhaftigkeit
Wandel der Medien – Wandel der Werte?
                                          30

                                                                            Deutsche Welle   5
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Menschen begegnen

Michel Friedman: Der Interviewprofi
Die Messlatte hing hoch: Tim Sebastian hat dem DW-Interview­                       „Ein Profi, der sich durch seinen Fragestil für dieses heraus­
format Conflict Zone seinen unverwechselbaren Stempel auf-                ragende politische Interviewformat der DW qualifiziert“, befand
gedrückt. Jetzt moderiert auch Michel Friedman die Sendung,               Intendant Peter Limbourg bei der Vorstellung Friedmans. Er sei un­
in der international hochrangige Gäste schon mal „gegrillt“               konventionell und verfüge über rhetorische Brillanz. „Wenn es um
werden – wie Grünen-Chef Cem Özdemir attestierte.                         investigative Interviews geht, gibt es in Deutschland keinen Besse­
                                                                          ren“, so Limbourg.
                                                                              Die Gespräche im englischsprachigen Fernsehprogramm der
©© DW

                                                                          DW mit politischen Entscheidungsträgern sind konfrontativ und
                                                                          lösen international viel Aufmerksamkeit aus. Der Stil der Interviews
                                                                          ist hartnäckig, kompromisslos, unbequem. Conflict Zone ist knall­
                                                                          hartes Ringen um Positionen und Wahrhaftigkeit. Die Moderatoren
                                                                          hinterfragen unnachgiebig das Handeln der Gesprächspartner.
                                                                              Michel Friedman sieht in seiner neuen Aufgabe eine journa­
                                                                          listische Verantwortung. „Man muss Politik international begrei­
                                                                          fen. Alles hängt mit allem zusammen. Diese Zusammenhänge dar­
                                                                          zulegen und kritisch zu hinterfragen ist eine wunderbare Aufgabe.“
                                                                          Er wolle, dass Zuschauer – ob in Kairo, New York oder Berlin – einen
                                                                          Zugang zum Thema und dem Gesprächspartner bekommen.
                                                                              Friedmans erste Herausforderung in der Conflict Zone war der
                                                                          polnische Außenminister Witold Waszczykowski. Als Mitglied der
                                                                          nationalkonservativen Regierungspartei PiS geriet der Minister ei­
                                                                          nige Male in Erklärungsnot – ob zum Thema Europa, Flüchtlinge
                                                                          oder zur Lage der Pressefreiheit in seinem Land. 

        Zusammenhänge aufzeigen: Michel Friedman                            dw.com/conflictzone
                                                                            twitter.com/dw_conflictzone

Ahmed Al-Basheer: Der Mutige
„Man braucht Mut, um bestimmte Themen              ­ erfolgten mehr als 100.000 Fans im Inter­
                                                   v

                                                                                                                                             ©© DW/J. Röhl
so anzupacken, wie wir es tun“, sagt der           net. Al-Basheer: „Ich freue mich sehr, ein
irakische Satiriker Ahmed Al-Basheer. Seit         Gesicht im DW-Programm zu sein. Die Deut­
April strahlt die Deutsche Welle die in der        sche Welle steht für Glaubwürdigkeit und
­arabischen Welt populäre gesellschafts­           Meinungsfreiheit – im Gegensatz zu vielen
 kritische Al-Basheer Show aus.                    arabischen Sendern.“
                                                       Die persönliche Geschichte des C
                                                                                      ­ omedian
        Kein Fernsehkanal wollte die Show          Al-Basheer ist tragisch: Sein Vater wurde
übernehmen, das Format war zuvor aus­              in Irak von der Terrormiliz Al-Kaida, sein
schließlich im Internet abrufbar. Jetzt ist es     Bruder von schiitischen Milizen ermordet.
im arabischen Programm der DW zu sehen             Nachdem er selbst in Haft gewesen war, ver­
und beim jordanischen Partnersender Al             ließ Al-Basheer das Land. Im jordanischen
Sumaria. Mut war auch seitens der Sender           Exil produzieren der 31-Jährige und sein
gefragt.                                           Team aus Irakern verschiedener Glaubens­
    Al-Basheer greift die Stimmung der             richtungen und Ethnien seit 2014 die eigen­
irakischen Bevölkerung auf und prangert            finanzierte Show. Als Studio dient eine Woh­
Missstände in Gesellschaft und Politik an.         nung in Amman. „Wir sind wie eine Familie
Regelmäßig nimmt er Ministerpräsident              und ein Abbild der irakischen Gesellschaft“,
Al-Abadi und andere Mächtige in der Region         sagt Al-Basheer.
ins Visier. Nicht minder trifft es die Terror­         Der Wunsch des Satirikers, die bissige
miliz IS, selbsternannte Dschihadisten und         Show in Bagdad aufzuzeichnen, wird sich
religiöse Eiferer.                                 vorerst nicht erfüllen. Weil den Machern in
    Die TV-Premiere der Show stieß auf             ihrem Heimatland Haftstrafen drohen, ist
großes Medienecho im Sendegebiet. Die              eine Rückkehr derzeit ausgeschlossen.
Pressekonferenz in der jordanischen Haupt­                                                           Satire gegen Terror: Ahmed Al-Basheer
stadt Amman, wo die Sendung entsteht,               dw.com/p/1HbUK

6        Weltzeit 2 | 2016
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Hanadi Qawasmi: Jerusalem als Leidenschaft
Seit wenigen Wochen ist Hanadi ­Qawasmi
Chefredakteurin von Qudscom (Euer
Jerusalem). Die DW Akademie stand Pate
bei der Gründung des palästinensischen
Onlineportals.

        Qudscom ist ein „Graswurzel-Projekt“.
Ein Team von jungen Bürgerjournalisten –

                                                                                                                                                  ©© A. Kohn
zumeist Studierende – gestaltet das Portal.
2015 wurde es von der Jugendorganisation             „Hier ist alles Politik“: Hanadi Q
                                                                                      ­ awasmi (Mitte)
PalVision in Kooperation mit der DW Aka­
demie gegründet. „Qudscom berichtet über
das Leben der Jugendlichen in Jerusalem,          befassen. „Während der zweiten Intifada im         gibt sie ihr Wissen an das Team weiter. Qa­
über Soziales, Kultur, Familie, nicht nur         Jahr 2000, ich war 14, begann ich, mich für        wasmi: „Ich habe die Erfahrung und das
über Politik“, erläutert Rami Naser Eddin,        den Konflikt zu interessieren“, erzählt sie.       journalistische Handwerkszeug, sie ha­
Direktor von PalVision.                           „Jeden Tag habe ich die Zeitung gelesen, die       ben Enthusiasmus und Ideen. Das ist eine
   „Hier ist alles Politik“, meint aber Chefre­   mein Vater mitbrachte. Schließlich wollte ich      gute Mischung.“ Das ist wichtig, wenn man
dakteurin Qawasmi, sie ist eng verbunden          selbst Journalistin werden.“                       ­Jerusalem aus vielen Perspektiven beleuch­
mit ihrer Heimat. „Jerusalem ist meine Lei­          Nach dem Studium arbeitete sie in der            ten will.
denschaft. Ich bin hier geboren, habe hier        Unternehmenskommunikation, dann als
studiert.“ Wer in dieser geteilten Stadt auf­     Freie Journalistin – unter anderem für eine            dw-akademie.com
wächst, muss sich zwangsläufig mit Politik        katarische Zeitung. Und nun, als 29-Jährige,

  lesetipp                                                                                                                 Ute Schaeffer

   Über das Ankommen                                                         sie sind verunsichert, wissen nicht,
                                                                             wie es weitergeht. Das macht die Mi­
   und den Neuanfang                                                         schung des Buches aus – und seinen
                                                                             Wert.
   An einem Freitag steigt Lina in Kabul in das Flugzeug. Das Ziel:              Die Autorin ordnet das Persönliche        EINFACH
   Frankfurt am Main. Es ist ihre erste Reise allein. Sie ist 16. Doch es    in ergänzenden Abschnitten ein. Die           NUR WEG
   kommt anders, schlechte Wetterverhältnisse sorgen für eine Flug­          Gründe für die Flucht werden dadurch          Die Flucht der Kinder
   planänderung. Die Maschine werde in München landen, gibt der              klarer, plastischer. Die Fakten sprechen                          _
   Pilot durch. Angst. Verwirrung. „Ist München auch Deutschland?“,          für sich. Der „Bundesfachverband un­
                                                                                                                                              premium

   fragt Lina ihren Sitznachbarn. Ja. Erleichterung – Hauptsache             begleitete minderjährige Flüchtlinge“
   Deutschland. Heute, acht Jahre nach ihrer illegalen Ankunft, lebt         schätzt die Zahl der asylsuchenden Kinder und Jugendlichen hier­
   sie immer noch in München, studiert Physik und gibt ehrenamt­             zulande auf mehr als 60.000. Sie alle in die deutsche Gesellschaft
   lich Sprachunterricht für Neuankömmlinge. Eine Geschichte über            zu integrieren – eine Herkulesaufgabe. Doch „wir müssen dafür
   bürokratische Hürden, hilfsbereite Wegbegleiter und den starken           sorgen, dass diese jungen Menschen die Angst verlieren“, sagte
   Willen eines Mädchens dazuzugehören.                                      Peter Altmaier, Kanzleramtschef und Flüchtlingskoordinator, bei
      Lina ist eine von zwölf Protagonisten im Buch „Einfach nur             der Buchvorstellung in Berlin am 16. März. Die deutsche Politik
   weg – Die Flucht der Kinder“, das die DW in Zusammenarbeit mit            habe eine Verantwortung, sie nicht allein zu lassen.
   dem Malteser Hilfswerk veröffentlicht hat. Wer kommt zu uns,                  „Man kann so viel aus dem Menschen machen, man darf
   was erwarten die Menschen von uns? Mit diesen Fragen im Ge­               nicht die Tür zumachen, vor allem nicht vor jungen Leuten“,
   päck besucht Autorin Ute Schaeffer, stellvertretende Direktorin           sagt Lina. Jugendliche seien wie ein leeres Buch. „Sie sind das,
   der DW Akademie, die Jugendlichen, die in allen Ecken Deutsch­            was du in dieses Buch schreibst. Sie werden das, was du aus ih­
   lands leben. Sie erzählen ihre Geschichten von damals und ihre            nen machst. Warum diese Chance nicht nutzen? Es wäre dumm,
   Hoffnungen für morgen.                                                    wenn Deutschland sie verpassen würde“, so Linas Fazit. Sie selbst
      Die akribischen Beschreibungen geben einen tiefen Einblick in          ist das beste Beispiel.
   die Gespräche zwischen Protagonisten und Autorin. Wir sind mit­
   tendrin, wenn Ali aus Sierra Leone, Mohammed aus Syrien, Hassan           Rayna Breuer
   aus Iran, Sami und Safi aus Afghanistan ihre Geschichten erzählen.
   Wir begegnen den Jugendlichen hautnah: Einige sind stark und              Ute Schaeffer: Einfach nur weg – Die Flucht der Kinder
   entschlossen, ihren Weg in Deutschland zu gehen. Andere zögern,           260 Seiten – dtv – ISBN 978-3-423-26119-7

                                                                                                                                 Deutsche Welle          7
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Menschen begegnen

Gado: Die Karikatur als Delikatesse

                                                                                                                                          ©© DW/M. Müller
Am 3. Mai, dem Tag der Pressefreiheit, erhielt er in Genf den
„Cartooning for Peace Prize 2016“: Der in Ostafrika populäre
­Karikaturist Godfrey Mwampembwa, genannt Gado, zeichnet
 seit einigen Wochen auch für die DW.

        Regelmäßig erscheinen politische Karikaturen des keni­
anischen Künstlers im Kisuaheli-Angebot der DW. „Die Deutsche
Welle gibt mir die Chance, ein noch breiteres Publikum zu errei­
chen“, sagt Gado, Jahrgang 1969. Der renommierte Künstler hat
bereits für zahlreiche Publikationen in Afrika, Nordamerika und
Europa gearbeitet. Insbesondere war er rund 20 Jahre für die Nation        Gruß aus der Satire-Küche: Gado zu Gast bei der DW
Media Group, eines der größten Medienunternehmen in Ostafrika,
als politischer Karikaturist tätig. Dort hatte man ihm jedoch kürz­
lich die Verlängerung seines Vertrags verweigert …                      Said Michael aus Tansania ­zusammen – der dort soeben zum
   Gleichwohl sieht Gado Fortschritte, was die Situation von Kari­      „Cartoonisten des Jahres“ gekürt wurde. „Gerade Karikaturen regen
katuristen in Ostafrika betrifft. „Es gibt mehr Pressefreiheit. Diese   unsere Nutzer dazu an, über die politischen Verhältnisse in ihrem
Verbesserungen müssen wir unbedingt verteidigen“, sagte er im           Land kontrovers zu diskutieren“, so Schmidt. Die Facebook-Seite der
DW-Interview. „Politiker werden immer versuchen, Medien mund­           DW auf Kisuaheli zählt mehr als eine halbe Million Fans.
tot zu machen.“ Die Frage sei, wie man damit umgehe. Gado: „Der            In Gado hat die DW nun einen preisgekrönten Künstler hinzuge­
Satiriker muss dem Herrscher zeigen, dass er nackt ist. Das ist so      wonnen: 1999 wurde er in Kenia als „Karikaturist des Jahres“ gekürt,
delikat, wie es klingt.“                                                zweimal erhielt er den Kenya Human Rights Commission Award,
   „Politische Karikaturen kommen bei unserem überwiegend jun­          2011 den Award der Ford Foundation für visionäres Engagement
gen Publikum gut an“, weiß Andrea Schmidt, Leiterin der Kisuaheli-      und 2014 kam er auf die Liste der einflussreichsten Personen Afrikas.
Redaktion. „Sie sind für uns eine sehr wirksame Ausdrucksform,          Nun kommt der Cartooning for Peace Prize 2016 hinzu.
wenn wir etwa Demokratiedefizite in den Ländern Ostafrikas the­
matisieren.“ Die Redaktion arbeitet bereits mit dem Karikaturisten       dw.com/kiswahili

#FollowMe!                                      ging es auch in der dritten Folge von Follow    Videos zeigen Menschen hinter den Hash­
                                                the Hashtag, der Webvideo-Reihe der DW.         tags und werden speziell für Facebook, Twi­
                                                Das Video wurde 2,7 Millionen Mal aufge­        tter und ­Youtube ­produziert – in diversen
        Menschen versammeln sich im Sozi­       rufen, 25.000 Mal geteilt. Die Social-­Media-   Sprachen. Follow the Hashtag ergänzt
alen Netz hinter einem Hashtag. Manchmal,       Redaktion landete mit #UnfairAndLovely          die bisherigen Social-Media-Aktivitäten
um gemeinsam die Aufmerksamkeit auf ein         einen viralen Hit.                              der DW, darunter Bloggerschalten in den
gesellschaftlich oder politisch relevantes         Bei Follow the Hashtag sollen die Nut­       TV-Nachrichten.
Thema zu lenken. #OscarsSoWhite oder            zer mitdiskutieren. 1.500 Kommentare gab
#AfghanistanNeedsYou sind zwei Beispiele.       es zur Folge #UnfairAndLovely. Das neue         Youtube-Playlist:
   Auch #UnfairAndLovely. Dahinter steht        DW-Format greift – in diversen Sprachen           bit.ly/1ND0tPm
eine Kampagne gegen den Schönheitswahn          – Trend-Themen im Sozialen Netz auf, die
mit heller Haut – etwa in Indien. Darum         über den Tag hinaus relevant bleiben. Die

8   Weltzeit 2 | 2016
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aktuelles erfahren

Lindenstraße für Deutschland-Versteher
Seit April stellen ARD und ZDF weitere Sendungen für das ara-

                                                                                                                                             ©© dpa - Fotoreport
bische TV-Programm bereit, das die DW temporär in Europa über
Astra 1M verbreitet. Auf dem Kanal ist auch die „Lindenstraße“
zu sehen – mit arabischen Untertiteln.

        Zum Angebot zählen darüber hinaus arabisch synchronisier­
te Fassungen der „ZDF Reportage“, von „ZDFzoom“ (Ein Jahr Alma­
nya), „37°“ (Araber im Allgäu), „TerraX“ und die „Deutschland-­Saga“.
Das Programm umfasst zudem Sendungen für Kinder, darunter die
ARD-Produktionen „Rübezahl“ und „Die Sendung mit der Maus“.
Inzwischen gibt es auch „Wissen macht Ah!“ – auf Arabisch.
   DW-Programmdirektorin Gerda Meuer würdigte die gute Zusam­
menarbeit: „WDR, NDR, SWR, KiKA und weitere Landesrundfunkan­
stalten tragen mit ihren Sendungen, die wir ins arabische Programm         Auf Arabisch serviert: die Lindenstraße auf DW
übernehmen, wirksam zur Integration von Flüchtlingen bei.“ Die DW
ergänzt das Programmschema von DW (Arabia 2) für Europa um eine
TV-Adaption ihrer Deutschkurse für Jugendliche und Erwachsene.          Der Satellitenbetreiber SES stellt die Kapazitäten für ein Jahr kosten­
   Seit Dezember 2015 können auch Zuschauer in Europa das arabi­        los zur Verfügung. Das Programmangebot wird unter anderem in
sche TV-Programm der DW über den Satelliten Astra 1M e  ­ mpfangen.     Flüchtlingsunterkünften genutzt.

Shababtalk: „Das ist großartig“
                                                                                                  Manche Familien erlauben es Frauen nicht,
                                                                                          ©© DW

                                                                                                  überhaupt in der Öffentlichkeit zu stehen.“
                                                                                                  Maryam Ali, eine junge Frau im Publikum,
                                                                                                  machte sich Luft. Ein Experte für Perso­
                                                                                                  nalentwicklung hatte auf dem Podium be­
                                                                                                  hauptet, Frauen seien eben erst später aktiv
                                                                                                  geworden, etwa in der Politik. „Deshalb be­
                                                                                                  nötigen sie noch eine Weile, um den Vor­
                                                                                                  sprung der Männer aufzuholen.“
                                                                                                      Shababtalk, das junge Format im ara­
                                                                                                  bischen TV-Programm der DW, ist im Sen­
                                                                                                  degebiet zwischen Oman und Marokko
                                                                                                  populär. Jede Folge erreicht ein Millionen­
                                                                                                  publikum und löst Kontroversen aus. Denn
                                                                                                  das Team um Jaafar Abdul Karim gibt der Ju­
                                                                                                  gend eine Stimme – bei Themen, die in ara­
                                                                                                  bischen Gesellschaften unbequem, heikel,
   Wer sich in Shababtalk zu Wort meldet, hat Mut: Moderator                                      tabu sind. Wer sich in Shababtalk zu Wort
   Jaafar Abdul Karim mit Gesprächspartnerin in Doha                                              meldet, hat Mut und schätzt die Authentizi­
                                                                                                  tät des Formats – ob es um Gleichberechti­
                                                                                                  gung oder Homosexualität, Arbeitslosigkeit
Das beim Publikum beliebte DW-Format Shababtalk wurde erneut als beste ­                          oder politische Teilhabe geht.
arabische Jugend-Talkshow ausgezeichnet. In Amman erhielt die Sendung den                             Das wurde auch bei der Aufzeichnung
Al Haitham Arab Media Award. Die jordanische Hauptstadt war zugleich erste                        in Doha deutlich. „Wir hätten schon Mühe,
Station der ­Shababtalk-Tour 2016.                                                                auch nur einen Gast aufzutreiben, der auch
                                                                                                  nur eine Minute spricht, und hier disku­
        Die Produktionen mit Partnersen­        Moderator Jaafar Abdul Karim noch nach            tieren gleich vier auf dem Podium, das ist
dern vor Ort machten deutlich, dass die         Ägypten, Algerien, in die Palästinensischen       großartig“, sagte der katarische TV-Journa­
DW-Sendung „die jungen Menschen in den          Gebiete, die Vereinigten Arabischen Emirate       list Khalifa Remehy. Ein Kompliment für die
arabischen Ländern erreicht und ihre The­       und nach Irak. Die jüngste Ausgabe kam aus        Macher von Shababtalk. Zumal es in Doha
men trifft“, so Haitham Youssef, Vorsitzen­     Doha, Katar.                                      auch um mögliche Korruption und die Ar­
der des Arab Media Council, der den Preis          „Traditionen halten Frauen noch immer          beitsbedingungen von Migranten beim Sta­
vergibt. Die Tour 2016 führt das Team um        zurück, beispielsweise im Medienbereich.          dionbau für die Fußball-WM 2022 ging. 

                                                                                                                            Deutsche Welle                 9
Weltzeit - Das ganze Bild begreifen Medien. Freiheit. Werte - DW
Titelthema

     Im digitalen Zeitalter
     der Aufklärung
     Propaganda, Lügen, Desinformation: Wenn im Zeitalter der hybriden
     Kriegsführung – etwa im Ukraine-Konflikt – die Wahrheit stirbt, muss
     der Westen möglichst viel ­objektive Aufklärung betreiben. Aber wie?
     Ein Gastbeitrag von ­Botschafter Wolfgang ­Ischinger, Vorsitzender der
     Münchner Sicherheitskonferenz (MSC), und Oliver Rolofs, Pressesprecher
     und Leiter der Kommunikation der MSC.

10   Weltzeit 2 | 2016
E        in deutsch-russisches Mädchen       der westlichen Presse – im Jargon rechts­

©© Reuters/E. Braun
                                 verschwindet im Januar in Ber­      populistischer Kreise „Lügenpresse“ – hat
                                 lin und taucht nach 30 Stunden      gleichzeitig einen neuen Tiefstand erreicht.
                      wieder auf. Sie behauptet, drei „südlän­       Wem kann man überhaupt noch trauen?,
                      disch“ aussehende Männer hätten sie ent­       fragen besorgte Bürger. Ein aktuelles Bei­
                      führt und vergewaltigt. Kurze Zeit später      spiel ist die von tiefem Misstrauen geprägte
                      läuft Lisas Geschichte auf allen Kanälen im    TTIP-Debatte.
                      russischen Fernsehen. Deutschland habe
                      die Kontrolle über die Einwanderung und
                      Flüchtlingspolitik verloren und versuche
                      jetzt sogar, ein Verbrechen zu vertuschen,
                                                                          »Die westliche
                      heißt es da. Sogar der russische Außenmi­
                      nister Sergej Lawrow breitet die Geschichte
                                                                           ­Reaktion auf
                      in einer Pressekonferenz aus.                      Des­information
                          Worüber nicht berichtet wird, ist, kurz
                      darauf, die Aufklärung des viel banaleren               zielt auf
                      tatsächlichen Sachverhalts: die Notlüge
                      eines pubertierenden Mädchens, das sich             Transparenz.«
                      bei ihrem Freund versteckt, um dem Ä  ­ rger
                      im Elternhaus über schlechte Schulleistun­
                      gen zu entgehen. Aber wen interessiert            Eine überzeugende Antwort auf solche
                      da noch die Wahrheit, im zweiten Jahr der      Formen entstellender Desinformation hat
                      Ukraine-­ Krise? Ziemlich schamlos wurde       der Westen bisher noch nicht gefunden.
                      versucht, aus der erfundenen Geschichte        In dem vergifteten Klima, unter dem die
                      Kapital zu schlagen, um Klischees zu bedie­    Ost-West-Beziehungen seit der illegalen An­
                      nen und die hier lebenden Russlanddeut­        nexion der Krim leiden, ist das eine besorg­
                      schen gegen die Flüchtlings- und Sanktions­    niserregende Entwicklung. Aus gegensätz­
                      politik der Bundesregierung aufzubringen.      lichen Narrativen zwischen Ost und West
                          Noch schlimmer als solche Verfälschun­     verwischen sich Fakt und Fiktion, erwach­
                      gen objektiver Sachverhalte erscheinen         sen Hass, Misstrauen und Abschottung –
                      freilich Zensur und Maßregelungen kri­         das Gegenteil dessen, was zur Überwindung
                      tisch berichtender Journalisten bis hin zu     der aktuellen West-Ost-Krise sinnvoll und
                      Gefängnisstrafen – ein Fakt, der sich kei­     notwendig wäre.
                      neswegs nur auf Russland beschränkt, wie          Was muss also geschehen? Was könnten
                      man dem jüngsten Press Freedom Index           Elemente einer Strategie sein, Propaganda
                      entnehmen kann. Und die Glaubwürdigkeit        und Fehlinformationen die Grundlage zu

                         Botschafter Wolfgang Ischinger
                                                                  ist seit 2008 Vorsitzender der Münchner
                         ©© Kuhlmann

                                                                  Sicherheitskonferenz (MSC). Ischingers
                                                                  diplomatische Karriere begann 1973 im
                                                                  Sekretariat der Vereinten Nationen in
                                                                  New York. Er war unter anderem Deut­
                                                                  scher Botschafter in Washington (2001
                                                                  bis 2006) und anschließend in London.
                                                                  2007 vertrat er die EU in den Troika-Ver­
                                                                  handlungen über den Status des Koso­
                                                                  vo. Als Leiter der Politischen Abteilung
                                                                  im Auswärtigen Amt hatte er 1995 die
                                                                  deutschen Delegationen bei den Bosnien-­
                                                                  Friedensverhandlungen in Dayton/Ohio
                                                                  geleitet, ebenso bei den NATO-Russ­land-
                                                                  Verhandlungen 1996/1997 und in der
                         Kosovo-Krise 1998/1999. 2014 war Ischinger Vertreter des Chairman-in-Office der
                         OSZE in der Ukraine. 2015 hat er den Vorsitz einer von der OSZE etablierten Kom­
                         mission übernommen, die Vorschläge zur Stärkung der europäischen Sicherheit
                         ­erarbeitet hat.

                                                                                               Deutsche Welle   11
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                                                                                                                    »Wir brauchen
                                                                                                                  mehr, nicht weniger
                                                                                                                     Austausch.«
                                                                                                                     Die bilateralen und multilateralen gesell­
                                                                                                                  schaftlichen Beziehungen, die auf der grenz­
                                                                                                                  überschreitenden Zusammenarbeit etwa in
                                                                                                                  den Bereichen Kultur, Medien, Sport, Wissen­
                                                                                                                  schaft beruhen, dürfen nicht verkümmern!

                                                                                                                  Antagonismen überwinden
                                                                                                                  Schließlich gilt: Die in der Mediendekla­
                                                                                                                  ration der UNESCO von 1978 formulierten

                                                                                         ©© picture alliance/AA
                                                                                                                  Aufgaben der Medien, zur Stärkung des Frie­
                                                                                                                  dens und der internationalen Verständigung
                                                                                                                  beizutragen, die Menschenrechte zu fördern
     Versöhnliche Töne, Begegnungen und Deeskalation sind gefragt:                                                sowie Rassismus, Apartheid und Kriegs­
     der Straßenmusiker Davide Martello aus Deutschland in Kiew                                                   hetze zu bekämpfen, sind aktueller denn je.
                                                                                                                  Medien und Journalisten sind gefordert, die
                                                                                                                  Wirklichkeit gerade jetzt, im digitalen Zeit­
                                                                                                                  alter, auf Fakten basierend wahrheitsgetreu
entziehen und das Verhältnis zwischen           investigativen Journalismus und der kri­                          abzubilden. Wenn alle diesen Grundsatz
­Moskau und dem Westen wieder zu ver­           tischen politischen Bildung.                                      beherzigen, kann der Antagonismus in den
 bessern?                                          Drittens: Die Ukraine-Krise hat die Aus­                       Ost-West-Beziehungen vielleicht allmählich
    Erstens: Wir brauchen eine Verständigung    tauschmöglichkeiten zwischen Russland                             wieder überwunden werden.
 über Maßnahmen einer medialen Deeskala­        und dem Westen reduziert. Wir brauchen                               Natürlich gilt: It takes two to tango. Mehr
 tion mit dem Ziel, Propaganda zugunsten        aber genau das Gegenteil, um erfolgreich ge­                      als mit gutem Beispiel vorangehen können
 objektiverer Berichterstattung einzudäm­       gensteuern zu können: mehr, nicht weniger                         wir nicht. Aber es wäre nicht das erste Mal,
 men. Hierfür erscheint die Einrichtung ei­     Stipendien für russische Studenten in der                         dass sich die Werte der Freiheit, der Tole­
 ner von beiden Seiten zu besetzenden, regie­   EU; mehr, nicht weniger Jugendaustausch;                          ranz, des Rechtsstaats und der Menschen­
 rungsunabhängigen Kommis­sion sinnvoll,        mehr, nicht weniger wissenschaftlich-aka­                         würde schließlich durchsetzen. 
 die als neutraler „Ombudsman“ fungiert,        demischen Austausch! Mehr, nicht weniger
 um einer weiteren Vergiftung des Klimas bei    Touristen und Urlauber in beide Richtungen!                         securityconference.de
 der Aufklärung konkreter Fälle entgegenzu­
 wirken. Dabei muss klar sein: Die westliche
 Reaktion auf Desinformation und unter­
 schiedliche Narrative zielt auf Transparenz,
 auf freie Berichterstattung und auf eine Ab­                                                                     „Für die besten
 sage an jegliche Form von Zensur.
                                                                                                                  Ideen kämpfen“
Medienkompetenz stärken
                                                                                                                  Die weißrussische Literatur-Nobelpreis­
Zweitens: In der offenen Gesellschaft sollte                                                                      trägerin Swetlana Alexijewitsch hat bei
die Medienkompetenz gestärkt werden,                                                                              einem Besuch der DW in Bonn dazu
also brauchen wir mehr Aufklärungsmaß­                                                                            aufgerufen, „im 21. Jahrhundert für die
nahmen für den kritischen Umgang mit                                                                              besten Ideen zu kämpfen, statt Kriege zu
Informationen und Quellen. So k    ­önnen                                                                         führen“. Alexijewitsch kritisierte die Poli­
am besten mediale und gesellschaftliche                                                                           tik des russischen Präsidenten Wladimir
Resilienzen gebildet werden. Gute Beispiele                                                                       Putin. Es sei naiv zu glauben, Demokra­
sind die ukrainische Webseite Stop­    fake.                                                                      tie würde sich von selbst ergeben, „weil
org, das russische Projekt Noodleremover.                                                                         wir auf den Straßen Freiheit! Freiheit! ru­
news sowie der „Disinformation Review“                                                                            fen“. Die Autorin kündigte beim Besuch
                                                                                         ©© DW/M. Müller

des Europäischen Auswärtigen Dienstes,                                                                            im DW-Studio auch zwei neue Buchpro­
um Falschmeldungen und Propaganda an                                                                              jekte an: „eines über die Liebe und eines
konkreten Beispielen zu entlarven. Ergänzt                                                                        über das Altern“.
werden könnten solche Maßnahmen durch
eine umfassende Förderung des freien

12    Weltzeit 2 | 2016
Nemzowa.Interview:
Getwitter                                                „Putin isoliert Russland“
                                                         Die DW hat eine neue wöchentliche Talk-Sendung im russischen
 Mit Musik gegen den Terror – Aeham Ahmad, der           TV-Angebot gestartet: Die Journalistin Zhanna Nemzowa, Tochter
 syrische Pianist aus den Ruinen von Damaskus,           des ermordeten russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow,
 spielt beim @DW_GMF             bit.ly/1s4Pqdh         spricht mit Persönlichkeiten aus Politik und Kultur. Zum Auftakt
                                                         mit Boris Akunin.

 #Pressefreiheit ist ein universelles Menschenrecht.
                                                                 Die Gäste haben einen engen Bezug zu Russland, beschäf­
 Weltweit ist die Lage dramatisch: Intendant Peter
                                                         tigen sich intensiv mit Politik, Gesellschaft und den Menschen in
 Limbourg auf @zeitonline            bit.ly/1T9MxEb
                                                         dem riesigen Land. Wie beispielsweise der prominente russische
                                                         Schriftsteller und Putin-Kritiker Boris Akunin, Gesprächspartner
 #Medienfreiheit weltweit: Interaktiver Überblick        von Zhanna Nemzowa in der ersten Ausgabe der neuen Sendung,
 im „Media Freedom Navigator“ der DW Akademie            die am 10. Mai auf dw.com/nemtsova online ging.
 akademie.dw.com/navigator

                                                                                                                           ©© DW
                                                            Kritische Fragen an kritische Stimmen:
 #Luegenpresse: Wer glaubt heute noch den Jour­             DW-Moderatorin Zhanna Nemzowa
 nalisten? Fünf Folgerungen, fünf Thesen von „Spie­
 gel“-Chefredakteur @Brinkbaeumer bit.ly/1Wsx0zR

 Soziale Medien: Je schriller, desto like: Wir schlit­
 tern in die Schreispirale – @saschalobo über Empö­
 rungshysterie                        bit.ly/1VUv1Ef

 #Snapchat – Hype oder Hoffnung? Taugt die App
 auch für journalistische Inhalte? @gutjahr hat’s
 ausprobiert                      bit.ly/1WsxtC6
                                                            Der seit 2014 in London lebende Autor, dessen realer Name
                                                         Grigori Tschchartischwili lautet, zeigte sich „fest davon überzeugt,
 #HomelessMedia: Ist die Homepage wirklich tot?          dass die aktuellen politischen Machthaber mein Heimatland in den
 Antworten sucht ein multimediales Scrollytel­           Untergang führen. Deswegen betrachte ich sie als meine Feinde.“
 ling-Magazin                   bit.ly/1s11hJk          Und deshalb lebe er im Exil.
                                                            „In Russland hat sich alles verändert nach den Ereignissen in der
                                                         Ukraine im Jahr 2014“, so Akunin in Nemzowa.Interview. „Putin
 #Interaktionen: Diese deutschen Medien haben die
                                                         hat eine Entscheidung getroffen, die man nicht rückgängig machen
 erfolgreichsten Facebook-Seiten. Den Sieger ver­
                                                         kann. Für Russlands Position in der Welt bedeutet das eine zuneh­
 kündet @martinhoffmann            bit.ly/1sh4Mfa
                                                         mende Isolation des Landes, und in Russland bedeutet das für ihn
                                                         Regieren auf Lebenszeit.“
 Gutes #Storytelling: Wie #SteveJobs und Elon Musk          Er halte Putin nicht für korrupt – so hatte Akunin in früheren
 von #Tesla ihre Reden vorbereiten, erklärt Miriam       Interviews geurteilt. Im DW-Interview sagte er jetzt: „Putin durch­
 Ruppbit.ly/1TcOBrT                                     läuft eine Evolution. Man braucht eine krankhafte Gier, um Milli­
                                                         arden zu ‚schlucken‘. Korruption bedeutet aber nicht ausschließlich
                                                         Diebstahl. Korruption ist der Verfall eines Staatssystems auf unter­
 Ein Schlagwort macht Karriere: Was ist das #In­
                                                         schiedliche Art und Weise. Wenn man seinen Freunden Privilegien
 ternetderDinge? Im #IoT kommuniziert alles mit
                                                         gewährt, ist das Korruption. Wenn man Personen deckt, mit denen
 allem. Ohne Menschen            bit.ly/1qg1qaC
                                                         man sympathisiert, damit sie nicht für ihre Verbrechen zur Ver­
                                                         antwortung gezogen werden, ist das Korruption. Wenn man einen
 Hassrede: Über den Umgang mit #HateSpeech und           Schattenhaushalt führt, ist das Korruption.“
 Debattenkultur im Internet: die Broschüre „Geh             Zhanna Nemzowa, 32, ist seit August 2015 Reporterin in der Rus­
 sterben!“                       bit.ly/1OpvsyP         sisch-Redaktion der DW in Bonn. Ihre journalistische Laufbahn be­
                                                         gann die Wirtschaftswissenschaftlerin beim russischen TV-Sender
                                                         RBC, wo sie Sendungen moderierte und Vertreter aus Wirtschaft
                                                         und Politik interviewte. Einige Monate nach der Ermordung ihres
                                                         Vaters im Februar 2015 sah Nemzowa ihre Sicherheit in Russland
                                                         gefährdet und zog nach Deutschland. 

                                                          dw.com/nemtsova |      dw.com/russian

                                                                                                          Deutsche Welle     13
Titelthema

Zweibahnstraße Integration

                                                                                                                                          ©© picture alliance/dpa
     Ihnen die Hand ausstrecken und erwarten, dass sie das auch tun:
     Willkommensessen mit Flüchtlingen in Köln

Flucht und Migration gab es
schon immer in Deutschland.
Vieles haben wir aus dieser
                                                   D        as Deutschland des Jahres 2016
                                                            ist wohl die offenste und vielfäl­
                                                            tigste deutsche Gesellschaft, die
                                                jemals mit einer größeren Einwanderungs­
                                                                                                    Vorangetrieben wurde das gegenseitige
                                                                                                 Verständnis dort, wo man ohne ideolo­
                                                                                                 gische Scheuklappen an Lösungen gear­
                                                                                                 beitet hat. Die Grundlage dafür ist es, auf­
Geschichte gelernt über das                     welle konfrontiert war.                          einander zuzugehen und sich zuzuhören.
Zusammenleben und die Inte­                        Unsere Erfolge auf dem Weg zu einer of­       So sind wir zum Beispiel dahin gekommen,
                                                fenen Gesellschaft sind Stationen in einem       dass wir einerseits die Sprachkurs-Angebote
gration. Dennoch macht jede                     langen Prozess der Integration auf den ver­      für Migrantinnen und Migranten deutlich
dieser Begegnungen eine neue                    schiedensten Ebenen – vom Kampf für Frau­
Konstellation aus, abhängig                     enrechte bis hin zu dem um ein modernes
davon, wer ankommt und wie                      Staatsbürgerschaftsrecht. Dieser Prozess ist        »Offenheit und
                                                noch lange nicht zu einem Ende gekommen.
die aufnehmende Gesellschaft                       Die beiden vielleicht wichtigsten Erkennt­     Pragmatismus sind
beschaffen ist. Ein ­Gastbeitrag
von Omid Nouripour,
                                                nisse daraus: Offenheit und Pragmatismus
                                                sind Schlüsselfaktoren für den Erfolg. Inte­       Schlüsselfaktoren
­Bündnis 90/Die Grünen.
                                                gration erfolgte in Deutschland jahrelang
                                                vor allem gegen die Politik. Deutschland sei        für den Erfolg.«
                                                kein Einwanderungsland, befand die eine
                                                Seite, deswegen gebe es auch keine Notwen­
                                                digkeit, auf Einwanderer zuzugehen, ihnen        ausgebaut und die Einbürgerung erleichtert
                                                Angebote zu machen. Aktivere Bemühungen          haben – andererseits ein gewisses Niveau
                                                zur Integration bedürfe es gar nicht, meinten    an deutschen Sprachkenntnissen nun Vo­
                                                einige auf der anderen Seite, denn ein buntes    raussetzung zum Beispiel für die Erlangung
                                                Nebeneinander sei schon ausreichend.             eines deutschen Passes ist.

14    Weltzeit 2 | 2016
»Medien müssen

                                                                                                                                                          ©© picture alliance/dpa
    Vielfalt und
Widersprüchlichkeit
sichtbar machen.«

    Auf diesem Weg müssen wir weiterge­
hen. Deutschland muss sich den Neuan­
kömmlingen offen zeigen. Es muss die Viel­
falt seiner Gesellschaft sichtbar machen und
etwas über die individuellen Geschichten
der Menschen lernen, die hier ankommen.
Dabei sind wir in der ersten Bringschuld:
Denn die Menschen in Deutschland leben
in Sicherheit und relativem Wohlstand. Die                   Migrantinnen und Migranten als Vorbilder für Neuankömmlinge: Der syrische
meisten derjenigen hingegen, die zu uns                      ­Lehrer Khaled Mohammad unterrichtet syrische Kinder in Bremen
kommen, sind Opfer von Krieg und Verfol­
gung. Dennoch müssen wir ihnen mit dem
gebotenen Respekt vermitteln, dass wir uns
auch von ihnen Offenheit wünschen, dass         zu machen. Dazu gehört es im Hinblick auf      in unseren Medien mit größerer Selbstver­
wir versuchen, ihnen die Hand auszustre­        die Integration der Neuankömmlinge, die        ständlichkeit eine Berichterstattung über in­
cken, und erwarten, dass sie das auch tun.      Multikulturalität unseres Landes zu reprä­     ternationale Politik, wie dies beispielsweise
    Gerade weil das Deutschland des Jahres      sentieren. Migrantinnen und Migranten          in der BBC wesentlich ausgeprägter der Fall
2016 aber eine offene und in vieler Hinsicht    müssen als Akteure unserer Gesellschaft        ist als bei den deutschen öffentlich-rechtli­
auch widersprüchliche Gesellschaft ist, ver­    sichtbar werden, um Identifikationsmög­        chen Inlandssendern.
laufen die Grenzen nicht mehr so klar zwi­      lichkeiten und Vorbildfiguren für Neuan­           Mitunter fällt es Menschen, die aus Not­
schen „denen“ und „uns“. Ein Mensch, der        kömmlinge sein zu können.                      lagen nach Deutschland gekommen sind,
vom eritreischen Regime verfolgt wurde,            Es geht aber auch darum, die Gründe         schwer, über Krieg und Unterdrückung zu
hat vielleicht eine ähnlich traumatische Er­    deutlich zu machen, weshalb viele Menschen     berichten. Die Medien können sie dabei
fahrung gemacht wie ein Stasi-­Opfer vor 40     nach Deutschland kommen. Wir brauchen         ­unterstützen. 
Jahren oder eine iranische Oppositionelle,
die vor 30 Jahren nach Deutschland gekom­
men ist. Eine irakische und eine deutsche
Frauenrechtlerin verfolgen ähnliche poli­         Omid Nouripour
tische Ziele und kämpfen gegen ein Frau­
enbild, das AfD und konservative irakische        ist seit 2006 für Bündnis 90/Die Grünen
                                                                                                                                     ©© Stefan Kaminski

Flüchtlinge gemeinsam haben dürften. (Nur         im Deutschen Bundestag, zuvor war
zur Erinnerung: Frauen dürfen in Deutsch­         er als selbstständiger Berater tätig. Der
land erst seit 1962 ein eigenes Bankkonto         40-Jährige stammt aus Teheran, kam im
eröffnen, bis 1977 konnte der Ehemann für         Alter von 13 Jahren nach Deutschland.
die Ehefrau entscheiden, ob und wo sie ar­        2002 bis 2006 war er im Bundesvor­
beiten durfte, und bis 1997 war die Verge­        stand von Bündnis 90/Die Grünen. Von
waltigung in einer Ehe nicht strafbar.)           2002 bis 2009 war er Sprecher der Bun­
    Diese Vielfalt der Perspektiven macht die     desarbeitsgemeinschaft Migration und
Lage nicht einfacher. Aber sie ermöglicht,        Flucht. Nouripour ist Mitglied im Aus­
anders als eine Konstellation aus zwei ver­       wärtigen Ausschuss und im Ausschuss
härteten Fronten, ein Gespräch.                   für Menschenrechte und humanitäre
    Die Medien sind eines der wichtigsten         Hilfe sowie stellvertretendes Mitglied im
Foren für ein solches Gespräch. Es liegt in       Unterausschuss Auswärtige Kultur- und
ihrer Verantwortung, die Vielfalt und Wi­         Bildungspolitik.
dersprüchlichkeit unserer Debatte sichtbar

                                                                                                                         Deutsche Welle                            15
Titelthema

Fragen von Michaela Küfner, DW-Redakteurin und -Moderatorin

     „Unsere Werte
     nach vorn bringen“

                                                                                                                                               Fotos: © DW/S. Heuer
     „Es sollte jedem klar sein, wie wichtig ein Auslandssender ist“:
     (v. l.) Marco Wanderwitz, Michaela Küfner und Martin Dörmann

Welche Werte sollten freie Medien im internationalen Wett­bewerb
insbesondere vermitteln? Eine Frage, mit der sich auch die medien­
politischen Sprecher der Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag
beschäftigen. Ein Gespräch mit Marco Wanderwitz, CDU/CSU, und
Martin Dörmann, SPD.

      Was sind für Sie die Werte, die unsere             Wo sehen Sie in Ihrer politischen A
                                                                                           ­ rbeit   als Machtinstrument missbraucht wird. Da
Gesellschaft prägen, und welchen Span-              den Punkt erreicht, an dem der Verweis auf       müssen wir aufpassen, dass nicht auf Jahr­
nungen sind diese ausgesetzt?                       kulturelle Unterschiede nicht mehr reicht,       zehnte hinaus ein gesamter Raum sich von
Martin Dörmann: Freiheit, Gerechtigkeit             sondern bestimmte Werte vertreten wer-           der internationalen Zusammenarbeit ein
und Solidarität sind unsere zentralen Wer­          den müssen?                                      Stück weit verabschiedet. Es wird schwie­
te, die vor allem international zunehmend           Marco Wanderwitz: Wo die Grenze über­            riger, universelle Werte zu leben, die wir
unter Druck sind. In den letzten Jahren se­         schritten ist, wo es ums Eingemachte geht:       dennoch immer wieder einfordern müssen.
hen wir in vielen Ländern Osteuropas einen          Wenn nicht mehr frei und unzensiert be­
Trend zu autokratischen Regierungen. Auch           richtet werden kann. Das kann man nicht              Welche Rolle kommt den Medien in
in Westeuropa sind nationale und popu­              mehr unter kulturellen Unterschieden fas­        diesem Spannungsfeld zu?
listische Bewegungen auf dem Vormarsch.             sen, da geht es an den harten Wertekern.         Wanderwitz: Wir spüren täglich in Deutsch­
Und der arabische Raum droht für lange                                                               land und international das Spannungsver­
Zeit ein Pulverfass zu bleiben. Die Hoffnung             Herr Dörmann, wie wägen Sie als Po-         hältnis, in dem Freiheit und Sicherheit zuei­
auf eine weiter fortschreitende europäische         litiker ab? Wie vehement muss man be-            nander stehen. Der Großteil der Menschen
Einigung und eine friedliche Entwicklung            stimmte Werte vertreten – etwa in der ara-       weltweit lebt nicht in einer freiheitlichen
der Welt hat also einen schweren Dämpfer            bischen Welt?                                    Demokratie, wie wir sie kennen. Das ist die
erhalten. Das führt letztlich auch bei uns zu       Dörmann: Wir sehen gerade in vielen ara­         Herausforderung für Medien. Aktuell se­
einer Verunsicherung der Menschen.                  bischen Ländern, dass Religion zunehmend         hen wir etwa, wie in der Türkei Druck auf

16    Weltzeit 2 | 2016
J­ournalisten ausgeübt wird – ein perma­              Inwieweit spielt Ihrer Ansicht nach        auch große Zielgruppe. Das eröffnet der DW
 nentes Spannungsfeld, in dem Sie als Jour­      sprachliche Vielfalt eine Rolle, um diese       eine Menge neuer Möglichkeiten. Dass man
 nalisten arbeiten und das wir als Politiker     Grundwerte zu vermitteln?                       in einem Konzert mitspielt, wo man wahrge­
 auch auf dem Tisch haben.                       Dörmann: Für die DW ist diese Vielfalt eine     nommen wird, dass man fester Bestandteil
 Dörmann: Wenn es freie Medien gibt, gibt        große Stärke, sie ist in 30 Sprachen global     der internationalen Medienlandschaft ist.
 es auch eine plurale Meinungsbildung,           präsent. Dass sie gerade in afrikanischen
 dann kommen wir einer positiven gesell­         Ländern in Regionalsprachen sendet, sorgt            Sie sind offensichtlich beide überzeugt,
 schaftlichen Entwicklung schon sehr nah.        dort für hohe Relevanz und Resonanz. Die        dass die DW eine wichtige Rolle spielt. Auf
 In ­diesem Zusammenhang ist gerade un­          BBC hat gerade eine Aufstockung ihres Etats     welche Punkte und Werte verweisen Sie
 ser Impetus, die DW als eines der unabhän­      erlebt – um 85 Millionen Pfund jährlich. Sie    vorrangig, um in Politik und Gesellschaft
 gigen Medien weltweit zu stärken. Auch          nutzen das Plus vor allem, um die Sprachen­     Mitstreiter zu gewinnen?
 mit Blick auf Sender im i­nternationalen        vielfalt zu stärken.                            Dörmann: Ich würde erst einmal feststel­
 Wettbewerb, die nicht die journalistische                                                       len, dass wir in den vergangenen Jahren
 Unabhängigkeit hochhalten, sondern zum               Was wünschen Sie sich für die DW in        eine ­positive Entwicklung gesehen haben,
 Ins­trument der­ jenigen werden, die die        der internationalen Konkurrenzsituation?        was die Akzeptanz der DW in der Politik an­
 Macht haben.                                    Wanderwitz: Die Sprachenvielfalt ist ein        geht. Das ist keine Selbstverständlichkeit.
                                                 wichtiges Pfund der DW, mit dem man wu­         Wir haben es in dieser großen Koalition
     Wie sehen Sie die Rolle der DW in die-      chern kann. Aber ich glaube auch, dass es gut   geschafft, die DW auch finanziell auf eine
sem globalen Mediengefüge?                       und richtig war, das englischsprachige An­      solide Grundlage zu stellen. Denn wann,
Wanderwitz: Ich glaube, dass es eine der         gebot auszubauen. Insbesondere mit dem          wenn nicht jetzt, sollte jedem klar sein, wie
Aufgaben der DW ist, insbesondere in             Fokus auf Entscheider – gerade in S
                                                                                   ­ chwellen-   wichtig globale Kommunika­     tion und wie
­Ländern ohne freie Medien, Stimme der           und Entwicklungsländern eine wichtige,          wichtig ein Auslandssender ist. Ein Sender,

   »Es ist eine der
 ­Aufgaben der DW,
Stimme der Freiheit
      zu sein.«
Freiheit zu sein. Es gibt zwei Arten von
Wettbewerbern: solche, die – wie die DW
– für eine unabhängige Berichterstattung
stehen, beispielsweise die BBC. Andere
sind staatliche Propagandasender, ob es
das russische Auslandsfernsehen ist, das
iranische oder das chinesische. Diese Sen­
der sind in jedem Fall nicht frei und unab­
hängig. Demgegenüber ist das Alleinstel­
lungsmerkmal der DW relativ klar.
Dörmann: Kommunikation wird immer
bedeutender für die Politik, weil sie die           Martin Dörmann                               Marco Wanderwitz
Stimmungslage von Menschen stark be­
einflusst – positiv wie negativ. Das ist der        Jahrgang 1962, kommt aus Westfalen. Der      Jahrgang 1975, stammt aus Chemnitz
Grund, warum Länder wie Russland und                SPD-Politiker ist seit 2002 Mitglied des     und ist seit 2002 Abgeordneter im Deut­
China mit englischsprachigen Programmen             Deutschen Bundestages. Er ist Obmann         schen Bundestag. Der studierte Jurist ist
global präsent sind. Sie wollen gezielt die         im Ausschuss für Kultur und Medien und       seit 2014 Medien- und kulturpolitischer
Meinungsbildung in anderen Ländern be­              stellvertretendes Mitglied im Ausschuss      Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfrak­
einflussen, natürlich in die Richtung, wie es       Digitale Agenda. Von 1997 bis 2007 war er    tion. Er ist Mitglied im Ausschuss für
die jeweiligen Machthaber wollen. Der Mar­          stellvertretender Vorsitzender der Kölner    Kultur und Medien sowie unter anderem
kenkern der DW ist im Gegensatz dazu die            SPD. Von 1992 bis 1998 war er als wissen­    stellvertretendes Mitglied im Ausschuss
journalistische Unabhängigkeit. Die DW ist          schaftlicher Mitarbeiter unter anderem       Digitale Agenda. Marco Wanderwitz ist
kein Regierungssender, sie berichtet umfas­         für die Bundestagsvizepräsidentinnen         der DW auch als Mitglied im Rundfunkrat
send, kritisch begleitend. Seriosität ist eine      Renate Schmidt und Anke Fuchs tätig.         verbunden.
Stärke der DW, die man noch mehr nach
vorn stellen sollte.

                                                                                                                           Deutsche Welle    17
Titelthema

                                                                     Text MIODRAG SORIC
                                                                     Studioleiter Washington

der auf journalistische Unabhängigkeit setzt.
So bringen wir nicht nur die Außendarstel­
lung Deutschlands, sondern vor allem auch
unsere Werte nach vorn. Deshalb werbe ich
in vielen Gesprächen mit vielen Kollegen
                                                 Vom „Luxus“ der
aus vielen Ausschüssen dafür, dass wir in der
nächsten Wahlperiode nicht nur eine Stabili­
sierung der DW und eine auskömmliche Fi­
                                                 Wahrhaftigkeit
nanzierung der Aufgabenplanung brauchen.
Es sollte sogar noch darum gehen, den Etat
so zu steigern, dass wir international konkur­   Medien und Mediennutzung unterliegen
renzfähiger werden. Wir sehen, dass die Bud­     einem rasanten Wandel. Journalisten müssen
gets anderer Sender wachsen, jetzt gerade
deutlich bei der BBC.
                                                 Schritt halten, neue Wege gehen, neue Tools
Wanderwitz: Auch mein Eindruck ist, dass         beherrschen, auf neuen Plattformen publizie­
wir in den letzten Jahren durchaus ein Stück     ren. Geht das einher mit einem Wertewandel
weitergekommen sind. Viele Kolleginnen
und Kollegen im Bundestag meinen aber of­
                                                 in den Medien? Einem Wandel des journa­
fenbar immer noch, dass es Kernkompetenz         listischen Selbstverständnisses?

 »Die Sprachenviel-                                      Sommer 2025 – Sie wachen auf und wundern sich: Ihre
                                                 iSchlappen vor dem Bett sind nicht vorgewärmt, der Kaffee in der

falt ist ein wichtiges                           Küche ist ebenso kalt wie die Heizung, die Batterie Ihres Google-VW
                                                 in der Garage leer und auf dem Bildschirm im Bad kein Update der
   Pfund der DW.«                                Weltnachrichten. Was ist passiert? Vor dem Schlafengehen hat das
                                                 Touchpad auf dem Nachttisch Ihren Fingerabdruck nicht erkannt.
                                                 Folglich erhielt der Hausrechner keinen Befehl, den Morgen „wie
                                                 immer“ zu gestalten.
des deutschen Auslandsrundfunks sein                Im Ernst: Niemand kann die Zukunft der Medien voraussagen,
sollte, ein deutschsprachiges Programm           auch nicht ein Korrespondent im Land der unbegrenzten (Vorstel­
in die Welt zu senden. Natürlich muss die        lungs-)Möglichkeiten. Für die kommenden Jahre gilt:
DW nicht nur die deutsche Sicht im Pro­             Die Konvergenz der Medien nimmt weiter zu. Vom Auto bis
gramm haben, sie muss auch Bausteine in          zum Telefon – alles wird miteinander vernetzt sein.
deutscher Sprache haben, schon weil es im           Die Medienvielfalt wird noch größer. Schon jetzt gibt es weit
DW-Gesetz explizit so angelegt ist.              über eine Million Apps. Mit der Qual der Wahl wächst die Sehnsucht
   Aber wir müssen dabei die Fakten im           nach Orientierung. Ältere Menschen können es als Belastung emp­
Blick haben, dass ein deutschsprachiges Pro­     finden, immer vernetzt sein zu müssen; für Millennials (Generati­
gramm der DW in der Welt kaum mehr nach­         on Y) gilt: „Ich werde ge-liked, also bin ich.“
gefragt wird. Deutsche können sich auch im          Die Segregation hält Einzug in die Medienwelt – das wird ein
Ausland auf mobilen Endgeräten die aus der       weiterer Trend sein. Bestimmte Medien können sich nur noch
Heimat gewohnten Sender anschauen, ob            Wohlhabende leisten. Wer Topspiele im Sport live sehen oder Ein­
ARD, ZDF oder Private.                           schätzungen von Börsenexperten als einer der Ersten erfahren
   Vielleicht führen wir diese Debatte ja ir­    möchte, muss dafür in Zukunft viel zahlen.
gendwann nicht mehr, sondern sprechen
darüber, was wir aus dem Auftrag der DW          Soziale Aspekte beachten
machen, wie viel uns das wert ist, wie viel
wir dafür im Haushalt auf die Beine stellen      Nimmt somit die soziale Ungerechtigkeit zu? Ja und Nein. Ja, wenn
können.                                          es um den Zugang zu exklusiver Information geht. Ja, um Spielfilme
                                                 oder Serien ohne Werbung als Erste sehen zu können. Nein, denn
    Welche drei Attribute beschreiben die        nunmehr werden Milliarden von Menschen über das Internet Zu­
DW, wie sie Ihrer Ansicht nach sein sollte?      gang zu einer Informationswelt haben.
Wanderwitz: dynamisch, objektiv, Stimme             Eine weitere Erkenntnis: Die mobile Nutzung nimmt deutlich zu.
der Demokratie.                                  2017 werden rund 2,8 Milliarden Menschen weltweit das mobile Inter­
Dörmann: journalistisch unabhängig, kom­         net nutzen, 2019 werden es 3,3 Milliarden sein. Sechs von zehn jungen
petent, nah an den Menschen.                    US-Amerikanern verfolgen das politische Geschehen i­ nzwischen über
                                                 Facebook. Keines meiner drei Kinder (16, 21 und 26 Jahre) schaut Fern­

18   Weltzeit 2 | 2016
Die Segregation hält Einzug in die Medienwelt: Vieles
                                                                                     wird künftig nicht mehr für alle zugänglich sein

                                                                                                                                             ©© picture alliance/Photo Alto/M. Mohr
sehen – sie wollen sich aber zu jeder Zeit informieren können, in der   Sorgfalt vor Schnelligkeit setzen
Regel über das Handy. Lineares Fernsehen überlassen sie den Gruftis.
Das Durchschnittsalter der Zuschauer von CNN oder Fox-News liegt        Jede Journalistin, jeder Journalist muss sich selbst fragen, inwieweit
über 60, nicht anders bei ZDF und ARD. Stirbt also das lineare Fern­    sie oder er dem wachsenden Druck des Publikums und des Marktes
sehen? Nicht so schnell, wie viele glauben. Denn die TV-Sender sind     nachgibt. Bei der Deutschen Welle gönnen wir uns – und den welt­
auch auf den digitalen Plattformen unterwegs.                           weiten Nutzern und Zuschauern – den „Luxus“, Wahrhaftigkeit und
   Kurzum, die Medienwelt verändert sich rasant. Bringt das auch        Sorgfalt vor Schnelligkeit zu stellen. Unsere Marke ist stark, weil
einen Wertewandel für uns Journalisten mit sich? Ich glaube nicht.

Moralische Maßstäbe wahren                                                     »Unsere Marke ist stark,
Glaubwürdigkeit ist immer noch das, was mein journalistisches                    weil ­glaubwürdig.«
Selbstverständnis ausmacht. Ob bei einem TV-Beitrag oder einem
Onlinebericht, ob auf Twitter, Facebook oder beim Vloggen – meine
moralischen Maßstäbe ändern sich nicht. So fühle ich mich stets der     glaubwürdig. Wir bieten Orientierung in einer grenzenlosen digi­
Wahrhaftigkeit verpflichtet, respektiere die Würde des Menschen, bin    talen Welt. Unsere Korrespondenten sind „nah dran an den Men­
korrekt und akribisch bei der Recherche, befolge die Gesetze des Lan­   schen“. Sie informieren nicht nur, sie ordnen ein. Wir müssen kei­
des, in dem ich lebe, respektiere die Intimsphäre meines Nächsten,      ner Partei nach dem Mund reden. Meinungsvielfalt ist bei der DW
wahre Vertraulichkeit gegenüber meinen Quellen und habe beim For­       gefragt. Nachricht und Kommentar werden sauber getrennt.
mulieren im Hinterkopf: Das kann ich als deutscher Journalist sagen,        Wobei auch hier – wir reden über Werte – jeder Journalist gut
jenes nicht.                                                            beraten ist, sich stets in Demut zu üben. Oder wie es Goethe formu­
    Klar: Die Erwartungshaltung des Publikums hat sich verändert.       lierte: Die Wurzel aller Sittlichkeit ist die Selbstbeherrschung.
Vor allem will es mitreden und mitgestalten. Das Internet als Rück­         Die Medienwelt wird sich weiter verändern. Unsere Werte sollten
kanal macht es möglich. Von uns Journalisten erwarten sie immer         es nicht. 
öfter Berichterstattung in Echtzeit. Wir sollen gleichzeitig präzi­
se und hintergründig sein. Wir Journalisten müssen Geschichten           facebook.com/miodrag.soric
­anders erzählen als früher: über Onlinetexte und kurze Videos, über     twitter.com/miodragsoric
 Bildergalerien und Tweets – gleichzeitig. Wobei wir alle wissen: Top    bit.ly/youtube-soric
 Storys bei den etablierten Medien sind keineswegs immer Top Storys
 in den Sozialen Netzen. Dort poppen Geschichten binnen weniger
 Stunden auf und verschwinden sehr oft ebenso schnell wieder.

                                                                                                                           Deutsche Welle                   19
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