Wirtschaftsreport Januar 2020 - Titelthema: Frauen in Führungspositionen - IHK-Siegen
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Wirtschaftsreport Jan 20 1 Editorial Mit mehr Mut und mehr Tempo ins neue Jahr! Wie wird uns das Jahr 2019 in Erinnerung bleiben? Vielleicht im Wesentlichen nie zuvor. Zugleich pendelte sich die Arbeitslosenquote im IHK-Bezirk nahe als ein Jahr, in dem über lange Zeit hinweg „gültige“ Erkenntnisse und Gewiss- bei unglaublichen 4 % ein. Die Unternehmen haben verstanden: Wer sich heiten in Frage gestellt wurden. Ein Jahr also, in dem die Unsicherheit wuchs heute leichtfertig von Personal trennt, könnte dies im nächsten Aufschwung und in dem man sehr häufig erkennen konnte, dass wir nicht alleine auf der schnell bereuen. Positiv auch, dass in der Regionalpolitik Fortschritte erzielt Welt sind. Die internationalen Konflikte nahmen zu. Die Politik im permanen- wurden. Gemeinsam mit den Kommunen gelang es, Suchräume für weitere ten Krisenmodus. Ein Gipfel jagte den anderen. Ein weiterhin unberechenbarer Gewerbeflächen zu entwickeln. Diese fließen in den neuen Regionalplan ein, Führer der westlichen Welt. Ein Brexit-Theater, das keine noch so absurde damit unsere Firmen auch zukünftig über Perspektiven verfügen. Die allerdings Episode ausließ. Autokratisch herrschende Potentaten in politisch wie wirt- sind auch bitter nötig, wenn sich fehlende Flächen nicht zum Flaschenhals der schaftlich bedeutenden Staaten, die international um Aufmerksamkeit buhl- weiteren wirtschaftlichen Entwicklung auswachsen sollen. Gut zudem, dass ten, dabei jedoch im Inland keine Skrupel kannten. Gescheiterte Gespräche mit auch bei Glasfaser, Breitband, Straßen und Brücken Fortschritte zu verzeich- Nordkorea, das Verhältnis zum Iran äußerst problematisch, der Ukraine-Kon- nen waren. All das kann auf der Habenseite der Region verbucht werden. flikt nicht gelöst, halb Südamerika ein Pulverfass. Und mittendrin eine Bundes- republik Deutschland, in der sich das politische System fundamental ändert. Nach wie vor gibt es jedoch viel zu tun. Der beste Regionalplan nutzt nichts, Der Ton wird rauer, die bisherigen Volksparteien erodieren und die Kräfte an wenn er nicht durch tatkräftige Kommunalpolitik in Baurecht übersetzt wird. den Rändern erstarken. Die Regierungsbildung in Bund und Ländern dürfte in Die attraktivsten Lehrstellen helfen nicht, wenn junge Menschen durch ihre den kommenden Jahren schwieriger werden. Zumal man 2019 junge Leute auf Eltern zu stark auf ein Studium fixiert werden. Die besten Planungen nutzen den Straßen erlebte, deren Forderungen auf eine Politik trafen, die sich schein- nichts, wenn man für den Neubau eines Kreisels insgesamt 18 Jahre benötigt bar gerne von ihnen treiben ließ. Das erschwert den gesellschaftlichen Konsens (wie in Wilnsdorf geschehen). Es dauert eben an vielen Ecken und Enden zu zusätzlich. Genauso wie die sich auflösenden gesellschaftlichen Milieus. lang, auch weil in Bund und Land der Mut zu kreativen Lösungen fehlt und es zugleich an Geschwindigkeit mangelt. Beim Umbau des Steuersystems, bei der Dessen ungeachtet geht es, alles in allem gesehen, den allermeisten Menschen Entlastung von Arbeitnehmern und Unternehmen, im Planungsrecht, beim in Deutschland besser als je zuvor. Für weite Teile unserer Gesellschaft ist der Durchforsten eines überbordenden Sozialstaats. Wohlstand selbstverständlich geworden. Dies jedoch kann auch ermüdend wirken. Vielleicht nahmen 2019 deshalb viele Menschen nur ungläubig zur Wir benötigen auch mehr Mut auf internationalem Parkett. Mehr Geld für Kenntnis, dass sich die deutsche Wirtschaft wegen ihrer Einbindung in die Bildung in der Dritten Welt, um das Bevölkerungswachstum zumindest abzu- internationale Arbeitsteilung vergleichsweise verletzlich zeigte. Dies gilt auch schwächen. Mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung, um den Hunger für die heimischen Unternehmen. Erstmals seit Jahren sank der Industrieum- weltweit besser bekämpfen zu können. Mehr Geld in internationale Auffors- satz, wenn auch nur leicht. Immer noch deutlich über 17 Mrd. € wurden in tungsprogramme. All das wäre zielführender als der Vorstellung nachzujagen, Wittgenstein, Olpe und Siegen erwirtschaftet, 46 % hiervon im Ausland. Zehn- den weltweiten Klimaänderungen müsse vor allem mit milliardenschweren tausende Arbeitsplätze in Siegen, Wittgenstein und Olpe hängen direkt oder Umverteilungsprogrammen begegnet werden. Gerade in der Klima- und Um- indirekt von einem florierenden Export ab. Dass der auf international verläss- weltpolitik sollte die Politik doch bestrebt sein, möglichst hohe Grenzerträge liche Rahmenbedingungen angewiesen ist, versteht sich von selbst. Durch- öffentlicher Investitionen sicherzustellen. Man kann jeden Euro eben nur ein- greifende Besserungen sind zum Jahreswechsel nicht in Sicht. Das internatio- mal ausgeben. Mehr Vernunft in der politischen Debatte ist daher vonnöten. nale Umfeld bleibt für unsere exportgetriebenen Unternehmen unberechenbar. Würden die Sachargumente im gesellschaftlichen Diskurs wieder die Oberhand gewinnen, stiege zugleich die Zuversicht. Bleibt jedoch die Hysterie das zent- Dennoch gab es auch viel Positives zu berichten: Wir eilten in der Beschäfti- rale Momentum, dürfte 2020 ein noch schwierigeres Jahr werden; auch für gung von einem Rekord zum nächsten. Mit über 179.000 Menschen war der die heimische Wirtschaft. Hoffen wir, dass sich der Kopf gegenüber dem Bauch Stand an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Heimat so hoch wie durchsetzt. ! In diesem Sinne grüßen Sie herzlich Felix G. Hensel Klaus Gräbener Präsident Hauptgeschäftsführer
2 Jan 20 Wirtschaftsreport Inhaltsverzeichnis Titelthema 4 Frauen in Führungspositionen: Ein Gewinn für Unternehmen Die gesellschaftliche Akzeptanz von Frauen in Führungspositionen ist eine Errungenschaft, an der couragierte Unternehmerinnen wie Käte Ahlmann großen Anteil hatten. Heute spielen weibliche Führungskräfte eine immer größere Rolle … Titelseite: Foto: Carsten Schmale 33 KRAH Elektronische Bauelemente GmbH 40 SMD Sanierung „Wir finden immer 44 Landhaus Wildfein Tradition und Zukunft Freude am Widerstand Lösungen“ vereint Impressum Der WIRTSCHAFTSREPORT ist das offizielle Organ der IHK Siegen Herausgeber Layout und wird den kammerzugehörigen Unternehmen im Rahmen Industrie- und Handelskammer Siegen, Manfred Jung, Christian Reeh ihrer beitragspflichtigen Mitgliedschaft ohne besonderes Be- Hauptgeschäftsstelle, Druck, Anzeigen und Verlag zugsentgelt geliefert. Im freien Verkauf jährlich EURO 25,20 Postfach 10 04 51, 57069 Siegen, Vorländer GmbH & Co. KG + Porto und MwSt. Einzelheft EURO 2,10 + Porto und MwSt. Koblenzer Straße 121, 57072 Siegen Buch- und Offsetdruckerei · Verlag · Werbeagentur Bestellung nur durch den Verlag. Telefon 0271 3302-0, Telefax 0271 3302-400 Obergraben 39, 57072 Siegen E-Mail: si@siegen.ihk.de, Internet: http://www.ihk-siegen.de Telefon 0271 5940-0 Erscheinungsweise: jeweils am 1. jedes Monats. Druckauflage: 22 467 Exemplare Geschäftsstelle Olpe, Postfach 14 46, 57444 Olpe, Anzeigenannahme: Günter Chojetzki Quartal 3/2019 In der Trift 11, 57462 Olpe, Telefon 02761 9 44 50, Telefon 0271 5940-338 A 4791 Telefax 02761 9445-40, E-Mail: oe@siegen.ihk.de Telefax 0271 5940-373 Namentlich gekennzeichnete Artikel geben die Meinung E-Mail: wirtschaftsreport@vorlaender.de Redaktion: Boris Edelmann: 0271 3302-319, des Verfassers, nicht unbedingt die Meinung der IHK Siegen Patrick Kohlberger: 0271 3302-317, Zustellung wieder. Nachdruck mit Genehmigung des Herausgebers und Ann-Kristin Spies: 0271 3302-318 Für Fragen, die die Zustellung betreffen, wenden Sie sich Quellenangabe sowie fotomechanische Vervielfältigung für E-Mail: presse@siegen.ihk.de bitte an zustellung@siegen.ihk.de oder 0271 3302-273. innerbetrieblichen Bedarf gestattet. Für unverlangt eingesand- te Manuskripte und Fotos wird keine Gewähr übernommen. Mitarbeiter dieser Ausgabe: Der WIRTSCHAFTSREPORT ist keine auf Erwerb ausgerichtete Dr. Jeanne Boerkey, Katja Sponholz, Christian Schwermer, Veröffentlichung. Brigitte Wambsganß, Monika Werthebach Zurzeit gültige Anzeigenpreisliste Nr. 59
Wirtschaftsreport Jan 20 3 IHK online » Die Titelgeschichte, alle Berichte sowie gekürzte Pressemeldungen finden Sie zusätzlich zur Printausgabe nun auch online unter www.ihk-siegen.de. Dazu geben Sie bitte die dem Text beigefügte ID in das Suchfeld unserer Website ein. « » 4 Titelthema 10 | Nachrichten » 62 Jubiläen/Bücher 26 | Berichte » 10 Blitzumfrage zum 5G-Ausbau 62 | Börsen » 26 Handwerk und Interior » 13 Bundesbeste Azubis » 62 Recyclingbörse » 30 Zwei Studenten » 18 Masterplan A45 » 63 Unternehmensnachfolgebörse und eine große Vision » 47 IHK-Vollversammlung » 64 Handels- und » 33 Freude am Widerstand » 48 „Kunst und Wirtschaft“ Genossenschaftsregister » 36 Für mehr Identität in Siegen » 54 Touristiker-Konzept » 72 Veranstaltungskalender » 40 „Wir finden immer Lösungen“ » 44 Tradition und Zukunft vereint 0/59#171 #31 /83*4* (*46,#-&1/8' ! +-&8*99#'"*#1 /83*4 ./)145' ! $4)5&4/8' /83*4* +174"*2 M!: 3F-#8)>'F#>9B% 'G#>)B O!> 3!) FB N#> L!)QH 1BD)+)9:)B+J OA N#>) N+)) OK-# 6F>:B)> 'G> O!>:
4 Jan 20 Wirtschaftsreport Frauen in Führungspositionen Ein Gewinn für Unternehmen Längst vorbei sind die Zeiten, in denen Unternehmertum als ein vorrangig männliches Privileg galt. Die Politik fordert und fördert die Chancengleichheit für Frauen in Führungspositionen. Auch in der Region finden sich immer mehr weibliche Kräfte in den Chefetagen – ob als Gründerin, durch beruflichen Aufstieg oder als Nachfolgerin in traditionsreichen Familienbetrieben. Text: Monika Werthebach | Fotos: Carsten Schmale (4), Werkfotos (3)
» Wirtschaftsreport Jan 20 5 Die gesellschaftliche Akzeptanz von Frauen in Führungsposi- tionen ist eine Errungenschaft vergangener Jahrzehnte, an der couragierte Unternehmerinnen wie Käte Ahlmann großen Anteil hatten. Die Stahlfabrikantin gründete 1954 gemein- sam mit 30 Gleichgesinnten ein Netzwerk speziell für Frauen in der Wirtschaft. Unter dem Namen „Vereinigung von Unter- nehmerinnen“ gewann der Zusammenschluss rasch Mitglie- der und entwickelte sich innerhalb weniger Jahre zu einem etablierten und international vernetzten Wirtschaftsverband, der heute als Verband deutscher Unternehmerinnen (VDU) agiert. Auch zuvor hatte es bereits erfolgreiche Geschäftsfrauen ge- geben. Doch diese markierten aufgrund vorherrschender ge- sellschaftlicher Rahmenbedingungen eher Einzelfälle. Ein prominentes Beispiel ist Margarete Steiff. Als an den Roll- stuhl gefesselte Frau setzte sie sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gegen alle Widerstände durch und legte den Für Grundstein für ein Unternehmen, das bis heute einen aus- Dieter gezeichneten Ruf genießt. Die von ihr erfundenen Teddybären Pfau sind haben mehrere Generationen von Kindern begleitet. Heutzu- die „Zeitspuren“ tage haben es Frauen einfacher als damals. Dennoch sind sie eine echte Herzens- in den Führungsriegen weiterhin deutlich unterrepräsentiert. angelegenheit. An mangelndem Know-how kann es kaum liegen, denn keine Generation zuvor hatte leichteren Zugang zu Bildung. Dem- zufolge sind Frauen so gut qualifiziert wie nie zuvor. Sich beruflich zu verwirklichen und dabei Beruf und Familie zu vereinbaren, ist für viele Normalität. Zudem haben schon die Mütter und Großmütter der heute 20- bis 30-Jährigen einen Beruf ausgeübt. Sie halten folglich ihre Töchter zu einer qua- lifizierten Ausbildung an. Auch die Rahmenbedingungen sind für die Frauen der heutigen Generationen besser als noch vor Die Mitarbeiterinnen einigen Dekaden. Längst ist es selbstverständlich, sich von der Reinhold Damm in den Familienbetrieb einheiratete. Solange die Kinder klein einer Ärztin behandeln zu lassen, sich von einer Rechtsan- Galvanik GmbH & waren, half sie stundenweise im Büro aus, hatte aber nur wältin beraten und vertreten zu lassen oder an der Universi- Co. KG können bei wenig Einblick in das operative Tagesgeschäft, das ihr Mann tät die Vorlesung einer Professorin zu besuchen. Zu keiner Bedarf auch beherzt und dessen Vater führten. anderen Zeit hat es mehr Unterstützung und Förderprogram- anpacken. me für Frauen gegeben. Mit gezielten Initiativen für Gründe- Die Situation änderte sich schlagartig, als ihr Mann im Jahr rinnen und der Unterstützung weiblichen Unternehmergeis- 2005 völlig unerwartet verstarb. Von heute auf morgen tes folgt auch das Bundeswirtschaftsministerium dem Leitbild musste sie über die Geschicke des Unternehmens entschei- der Sozialen Marktwirtschaft, das soziale Gerechtigkeit als den. Die beiden Töchter waren damals gerade einmal acht Grundstein für die Teilhabe aller am Wohlstand begreift. Zu- und elf Jahre alt und brauchten ihre Zuwendung mehr als dem hat sich das Frauenbild der meisten Männer – und damit zuvor. Unterstützung erhielt Daniela Damm von ihrem der Partner, Mitarbeiter oder Kollegen – zum Positiven ge- Schwiegervater, der sie ermutigte, in die Geschäftsführung wendet. einzusteigen. Er wies sie in die wichtigsten Vorgänge ein. Viel Zeit blieb ihm dafür allerdings nicht, denn bereits ein Jahr In vielen traditionellen Familienbetrieben ist es inzwischen später erlag er einer schweren Erkrankung. Auf sich allein selbstverständlich, die Töchter oder Schwiegertöchter für gestellt, führte die Geschäftsfrau den Betrieb weiter, bis eine Nachfolge in der Geschäftsleitung vorzubereiten. Als 2010 ein durch Kurzschluss ausgelöster Großbrand die ge- Unternehmerinnen schaffen und erhalten Frauen Arbeitsplät- samte Produktion vernichtete. „An diesem Punkt habe ich ze und übernehmen Verantwortung. Hätte sich beispielswei- tatsächlich gezweifelt, ob ich weitermachen soll“, erinnert se Daniela Damm nicht dazu entschlossen, das Familienun- sich Daniela Damm. Es sei ohnehin schwierig genug gewe- ternehmen Reinhold Damm Galvanik GmbH & Co. KG in sen, Betrieb und Familie unter einen Hut zu bringen. Die Attendorn trotz herber Schicksalsschläge weiterzuführen, Unternehmerin spürte jedoch eine große Verantwortung für wäre ihr nicht nur die eigene Existenzgrundlage abhanden- die Mitarbeiter, die ihr in den schwierigen Jahren zuvor gekommen. Sie hätte auch die langjährigen Mitarbeiter ent- loyal zur Seite gestanden hatten. „Ich konnte die Leute doch lassen müssen. Die gelernte Werkzeugmacherin hatte ur- nicht einfach auf die Straße setzen“, erklärt sie rückblickend. sprünglich keine Karriere als Unternehmerin im Sinn, als sie Nach monatelanger Bauzeit lief die Produktion wieder an.
6 Jan 20 Wirtschaftsreport Bei Damm Galvanik hat sich im Verlauf der letzten Jahre einiges getan. Glücklicherweise hielten auch die meisten Kunden Damm Auch in der Wittgensteiner Baumwoll-Weberei Hugo Grie- Galvanik die Treue. Seither sitzt die Geschäftsführerin fest senbeck GmbH & Co. KG in Bad Laasphe lenkten sowohl in im Sattel. Sie findet bei den zumeist männlichen Geschäfts- der Vergangenheit als auch gegenwärtig Frauen die Geschi- partnern Anerkennung. Das war allerdings nicht immer so: cke. „Durch familiäre Schicksalsschläge hat das Unternehmen „Als Frau musste ich mir die Akzeptanz hart erarbeiten, in- mehrere Wechsel von männlicher und weiblicher Führung dem ich mich beispielsweise auf Verhandlungen immer ext- erlebt“, berichtet die derzeitige Geschäftsführerin Katja Grie- rem akribisch vorbereitet habe – stets mit dem Anspruch, senbeck. Ihr Urgroßvater sei früh verstorben und auch ihr dem Gegenüber einen Schritt voraus zu sein. Mit diesem Vater verunglückte als relativ junger Mann. „Daher waren Vorsprung und meinem inzwischen detaillierten technischen immer die Frauen gefordert.“ Schon früh war ihr klar, dass sie Wissen überrasche ich die meisten Männer und kann umso unternehmerisch tätig sein wollte. Nach einem Ingenieur- besser punkten.“ studium führte sie die Firma viele Jahre lang zusammen mit ihrer Mutter. Heute teilt sie sich in vierter Generation die Bei den derzeit 15 Mitarbeitern hat sich die Geschäftsfrau Verantwortung mit ihrem jüngeren Bruder Hugo Philipp Grie- vor allem durch ihre zupackende Art großen Kredit erworben, senbeck. Er kümmert sich um den operativen Betrieb und sie denn sie ist sich nicht zu schade, den „Blaumann“ anzuzie- betreut das Personalwesen sowie den kaufmännischen Be- hen und in der Produktion anzupacken, wenn dies erforder- reich. Strategische Konzepte erarbeiten beide gemeinsam. lich ist. Auch bei privaten Sorgen der Beschäftigten hat sie „Die Blickwinkel auf eine Sache sind doch oft aus männlicher ein offenes Ohr: „Ich habe ein gutes Gespür für Stimmungen und weiblicher Sicht sehr verschieden. In einem kleinen Fa- und hake umgehend nach, wenn mir Veränderungen auf- milienunternehmen ist die Kombination aus Fakten und In- fallen. Schließlich möchte ich, dass sich jeder in der Firma tuition häufig der Schlüssel für zielführende Entscheidun- wohlfühlt.“ Ohne ihr Team laufe gar nichts. Daher sei es ihr gen“, beschreibt die Geschäftsführerin. wichtig, allen Mitarbeitern mit demselben Respekt zu be- gegnen, den sie umgekehrt auch ihr gegenüber erwarte. Hil- Auch im Betrieb setzt die erfahrene Unternehmerin auf eine fe erhält Daniela Damm inzwischen von ihren beiden Töch- bunte Mischung aus weiblichen und männlichen, jungen und tern, die als dritte Generation in den Fachbetrieb für älteren Mitarbeitern. „Frauen erhöhen die Meinungsvielfalt. Trommelverzinken eingetreten sind. Zusammen bilden die Sie setzen auf Teams und ein gutes Miteinander – oft auch Frauen ein gut eingespieltes und harmonisches Trio. Stefanie über Bereiche und Ebenen hinweg – und prägen dadurch ent- Damm ist gelernte Industriekauffrau und Betriebswirtin. Seit scheidend die Unternehmenskultur“, bekräftigt sie. Dies för- 2012 kümmert sie sich als Prokuristin um die kaufmänni- dere den Erfolg des Betriebes und den Zusammenhalt, den schen Belange des Betriebs. Ihre Schwester Jana hat sich auch die langjährige Betriebszugehörigkeit der Mitarbeiter nach einer ersten Ausbildung in einer völlig anderen Branche dokumentiere. Aufgrund der familiären Unternehmensfüh- dazu entschlossen, eine technische Lehre als Galvaniseurin rung nimmt Katja Griesenbeck ganz selbstverständlich am zu absolvieren. Geplant ist, dass sie zukünftig die Betriebs- Leben ihrer Angestellten teil: „Man sieht sich oft und hat leitung übernimmt und sich die Geschäftsführung mit ihrer persönlichen Kontakt. Ein wertschätzendes Miteinander ist Schwester teilt. mir wichtig.“ Die weicheren Komponenten erlangten einen
Wirtschaftsreport Jan 20 7 immer höheren Stellenwert in der Unternehmensführung. In diesem Punkt sehe sie einen klaren Vorteil von Frauen in der Führungsverantwortung. Nach Möglichkeit möchte sie den Mitarbeitern flexible Ar- beitszeitmodelle anbieten, denn die Vereinbarkeit von Fami- lie und Unternehmertum ist auch für die Geschäftsführerin selbst nicht immer einfach: „Den Ausgleich zu finden, ist eine meiner größten Herausforderungen. Das bedingt klare Gren- zen und ein gutes Zeitmanagement. Für mich steht allerdings die Familie immer an erster Stelle. Das gestehe ich auch mei- nen Mitarbeitern zu.“ Eine weitere Erkenntnis wirkt sich auf Katja Griesenbecks Führungsstil aus: „Mein Erfolgsrezept ist die Freude am Job. Ich arbeite gerne – und das treibt mich an, auch in schwierigen Zeiten durchzuhalten und nach Lö- sungen zu suchen.“ Daher will sie ihre Mitarbeiter vor allem mit guten Arbeitsbedingungen motivieren. Besonders die junge Generation sei nicht mehr ausschließlich auf den mo- netären Verdienst fokussiert, sondern lege Wert auf eine Katja Griesenbeck sinnstiftende, eigenverantwortliche Aufgabe und auf persön- Business und Management: The business case for change“ setzt in ihrem liche Lebensqualität. „Auf diese veränderten Gegebenheiten der Internationalen Arbeitsorganisation (englisch: Interna- Betrieb die Tradition stellen wir uns ein.“ tional Labour Organization, ILO). Die ILO ist eine Sonderor- erfolgreicher Frauen ganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf und da- in der Führung fort. Frauen in Führungspositionen bringen viele persönliche, so- mit beauftragt, soziale Gerechtigkeit sowie Menschen- und ziale und methodische Kompetenzen mit, die es braucht, um Arbeitsrechte zu fördern. Die Kernaussage dieser Studie, an aktuellen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und in der der mehr als 12.000 Unternehmen aus 70 Ländern partizi- Struktur moderner Unternehmen gerecht zu werden. Ein hö- pierten, lautet: Unternehmen, die in Führungspositionen auf herer Anteil von Frauen in den oberen Hierarchieebenen ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis setzen, sind pro- kann Betriebe erfolgreicher machen und sogar den Gewinn fitabler. steigern. Das belegen die Ergebnisse einer großen interna- tionalen Studie des Peterson Instituts for International Eco- Mehr als 57 % der befragten Firmen bestätigten, dass sich nomics. Die Verantwortlichen fanden 2016 heraus, dass ein der Geschäftsauftritt verbessert, wenn Frauen nicht mehr um 30 % höherer Frauenanteil in der Chefetage mit einem unterrepräsentiert sind. Fast zwei Drittel der Betriebe, die um 15 % erhöhten Netto-Umsatz einhergeht. Wirken sich über ein aktives Monitoring-System für Geschlechtervielfalt Die familiengeführte also mehr weibliche Führungskräfte auf den finanziellen Er- in Führungspositionen verfügen, konnten ihre Gewinne um 5 Baumwollweberei folg aus? Diese These bestätigt die neue Studie „Women in bis 20 % steigern. Die Mehrheit der Unternehmen erzielte steht für Vertrauen und Zuverlässigkeit.
8 Jan 20 Wirtschaftsreport Nina Patisson prägt ihr Unternehmen durch kreative Ideen und Mut zur Veränderung. Zuwächse von 10 bis 15 %. Deutlich mehr als die Hälfte der Unternehmen“, betont Patisson. Obwohl – oder gerade weil Firmen gab an, eine Verbesserung bei der Akquise und Unter- die beiden sehr unterschiedlich denken, ergänzen sie sich sehr nehmensbindung von Fachkräften zu verzeichnen. Gut 54 % gut. Durch konstruktive Diskussionen entwickeln sie sich ste- berichteten über firmeninterne Fortschritte in puncto Krea- tig weiter. „Gemeinsam decken wir viel mehr Aspekte einer tivität, Innovation und unternehmerischer Offenheit. Zu- guten Geschäftsleitung ab, als ich es allein könnte. Beispiels- gleich wurde die Außenwirkung der Betriebe positiver. Knapp weise bin ich eher risikofreudig und höre auch mal auf mein 37 % der Befragten gehen zudem davon aus, die Bedürfnisse Bauchgefühl, während Jan zumeist strukturiert vorgeht. In ihrer Kunden besser einschätzen zu können. „Wir sind zwar wichtigen Entscheidungen finden wir so immer einen guten von einem positiven Zusammenhang zwischen Geschlechter- Konsens.“ vielfalt und unternehmerischem Erfolg ausgegangen. Die vor- liegenden Ergebnisse übertreffen diese Erwartungen jedoch Ihr Urgroßvater Albrecht Bäumer hat Nina Patisson ein gro- deutlich“, bilanziert Deborah France-Massin, Direktorin des ßes Erbe hinterlassen. „Die Verantwortung ist immer in mei- ILO-Büros für Arbeitgeberfragen. nem Bewusstsein. Es hat sich von Anfang an richtig ange- fühlt, für das Familienunternehmen zu arbeiten“, bekräftigt Die Resultate solcher Studien bestätigen den Kurs, den Nina sie. Seit eine Frau auf dem Chefsessel im Hause Bäumer sitzt, Patisson, Geschäftsführerin der Albrecht Bäumer GmbH & hat sich der Fokus auf die Arbeitgeberattraktivität verändert. Co. KG in Freudenberg, eingeschlagen hat. Das Familienun- „Mein Ziel ist, dass wir zu einem der besten Arbeitgeber in ternehmen ist seit 73 Jahren führender Hersteller von Spe- der Region werden. In Zukunft wird es einen verstärkten Kon- zialmaschinen und Anlagen für die Schaumstoffindustrie. kurrenzkampf um qualifizierte Arbeitnehmer geben, auf den Erstmals steht nun eine Frau an der Spitze. Es war immer der wir die Firma vorbereiten.“ Patisson hat eine junge, innova- Wunsch des Vaters, dass sie in den Betrieb einsteigt. Nach tive Führungsmannschaft für den Traditionsbetrieb zusam- dem International-Business-Studium zog es sie zunächst mengestellt und die Hierarchien flacher gestaltet. Sie gesteht nach Paris, wo sie ihre interkulturelle Kompetenz sowie die den Führungskräften weitreichende Entscheidungskompe- Liebe zu anderen Ländern und fremden Sprachen in ein welt- tenzen zu. Darüber hinaus forciert sie eine wertebasierte weit tätiges Unternehmen einbringen konnte. Erst einige Zeit Unternehmensführung: „Unser Erfolg ist von der Leistung, später erkannte sie, dass sie im Familienbetrieb genau das den Fähigkeiten, der Gesundheit, der Einsatzbereitschaft und Umfeld vorfindet, das sie begeistert – innovative Produkte der Zufriedenheit unserer Mitarbeiter abhängig.“ Daher ar- und internationaler Kundenstamm inbegriffen. 2011 stieg sie beiten die Verantwortlichen an verbesserten Prozessen sowie schließlich als Marketingleiterin in das Familienunternehmen an der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Geschäfts- ein. Zwei Jahre später übernahm sie als Nachfolgerin ihres führung bietet flexible Arbeitszeiten, Homeoffice für Pendler Vaters Helmut Kritzler die Geschäftsführung. Zur Verstärkung sowie Lösungen für Mütter und pflegende Angehörige. Dar- holte sie ihren Schwager Jan Henrik Leisse an Bord. „Diese über hinaus weist die Albrecht Bäumer GmbH & Co. KG eine Kombination ist aus meiner Sicht die beste Lösung für unser hohe Ausbildungsquote auf und offeriert Auslandsaufenthal-
Wirtschaftsreport Jan 20 9 te in der Tochterfirma in Amerika. Nina Patisson ist über- nicht daran, dass Frauen keine größeren Firmen führen zeugt: „Wir sind zwar in einer Nischenbranche, aber sehr können oder wollen. Ursächlich ist vielmehr, dass deutlich innovativ unterwegs. Deshalb gehe ich gerne auch mal den mehr Frauen eine Selbstständigkeit in Teilzeit ausüben. Denn unkonventionellen Weg. Es bringt Wettbewerbsvorteile, bei trotz allen beruflichen Ehrgeizes wünschen sich viele Frauen bestimmten Themen der Vorreiter zu sein.“ nach wie vor Familie und Kinder. Um beidem gerecht zu werden, braucht es Unterstützung seitens der Familie oder So verschieden der Werdegang von beruflich erfolgreichen eines guten Netzwerks. Wer als Frau ebenso erfolgreich wie Frauen ist, so sehr ähnelt sich meist ihre Grundhaltung – Männer in vergleichbaren Positionen sein und die eigenen nämlich die Bereitschaft, Herausforderungen anzunehmen beruflichen Pläne verwirklichen möchte, muss für seine und zu meistern, Ziele konsequent zu verfolgen und dafür Bedürfnisse eintreten und das unmittelbare Umfeld mobili- viele Stunden Arbeitszeit zu investieren. „Nichtstun und Still- sieren. stand sind eine Strafe für mich“, bekennt auch Nina Patisson. Die oft thematisierte Frauenpower bestehe aus einem hohen Das wirtschaftliche Argument für mehr Frauen in Führungs- Maß an Eigenverantwortung, Mut und einem klaren Bekennt- ebenen sorgt jedenfalls dafür, dass vermehrt Maßnahmen nis zu den eigenen Visionen. und Unternehmensstrategien gestärkt werden, die die Ver- einbarkeit von Beruf und Familie für beide Geschlechter för- Statistisch betrachtet sind frauengeführte Betriebe im dern. Arbeitgeberorganisationen und -verbände sind im Hin- Durchschnitt immer noch kleiner als von Männern geleitete blick auf die Erarbeitung wirksamer Strategien besonders Unternehmen. Weniger als ein Drittel der von der ILO be- gefragt. Immer mehr Unternehmer erkennen eine angemes- fragten Unternehmen hat einen Frauenanteil von mehr als sene Frauenquote als ein fundamentales Ziel an. Denn mit 30 % in der Vorstandsetage erreicht. Mehr als 78 % haben den Frauen steigt der Gewinn. ! männliche Geschäftsführer, wobei ihre weiblichen Pendants eher in kleineren Betrieben zu finden sind. Das liegt aber Diesen Bericht finden Sie auch unter www.ihk-siegen.de, Seiten-ID 3200. Helmut Hofmann, Arbeitgeberverbände Siegen-Wittgenstein Tradierte Rollenbilder noch weiter überwinden Der Mann geht arbeiten, die Frau kümmert Das ist auch die Politik der Arbeitgeberver- sich um den Haushalt und die Kindererzie- bände Siegen-Wittgenstein. Deshalb betei- hung. Dieses tradierte Rollenbild hat über ligen sie sich an Projekten zur Förderung der Jahrhunderte unsere Gesellschaft geprägt. Familienfreundlichkeit, bieten Unterstüt- Es innerhalb weniger Jahrzehnte aufzubre- zung bei der Personalentwicklung und chen, ist eine der großen Errungenschaften schaffen mit flexibleren Tarifverträgen eben des 20. Jahrhunderts. Dazu haben viele einen diese Rahmenbedingungen für mehr Chan- Beitrag geleistet, nicht zuletzt die Frauen cengerechtigkeit. Das vor Jahren gemein- selbst. Aber es bleibt noch viel zu tun, um zu sam mit der IG Metall ausgehandelte Ent- wahrer Gleichberechtigung zu kommen. Das geltrahmenabkommen (ERA) für die hat nicht nur biologische Gründe. Nach wie Metall- und Elektroindustrie hat nicht nur vor sind weite Bereiche unserer Wirtschaft der Unterscheidung von Arbeitern und An- und Gesellschaft eher männlich dominiert. gestellten ein Ende bereitet. Es hat auch für Stellt sich also die Frage: Könnte beispiels- klare Eingruppierungskriterien gesorgt, bei weise eine Frauenquote, wie sie von der denen das Geschlecht keine Rolle spielt. Ge- Politik gefordert wird, daran etwas nachhal- rade die zukunftsträchtigen MINT-Berufe tig ändern? Ich denke das nicht. Eine Quote bieten qualifizierten Frauen heute gute Auf- schafft keine gleichen Chancen, sie verhin- stiegsmöglichkeiten. Leider wirken aber im- Helmut Hofmann freut sich über den Erfolg von Frauen dert sie vielmehr. Eine Quote schafft keine mer noch in vielen Familien die tradierten in Führungspositionen. Veränderung im Denken und Handeln, sie Berufsvorstellungen für junge Frauen nach bremst es eher. Was also kann helfen? Am ehesten sind es die Rahmen- und verhindern vielfach eine entsprechende Karriere. Auch daran gilt bedingungen, die Entwicklungschancen und Aufstiegsmöglichkeiten es zu arbeiten. Man muss Aufklärung leisten, und das schon in der möglich machen können, für Frauen wie für Männer. Eine qualifizierte Schule. Ausbildung, eine familienfreundliche Grundeinstellung von Wirtschaft und Gesellschaft, flexible Kinderbetreuungsmöglichkeiten ebenso wie Junge Frauen haben heute viel mehr Möglichkeiten, sich beruflich zu flexible Arbeitsbedingungen. Alles das sind Faktoren, die es Frauen entwickeln, als das noch ihren Großmüttern vergönnt war. Diese Chan- letztlich ermöglichen, sich beruflich zu entwickeln und in Führungs- cen sollten sie nutzen. Ihnen stehen immer mehr Wege offen. Und die positionen aufzusteigen. Und immer mehr Unternehmen haben inzwi- Männer sollten keine Angst davor haben, dass die Frauen ihnen den schen erkannt, dass es sinnvoll ist, in diese Bereiche zu investieren. Rang ablaufen.
10 Jan 20 Wirtschaftsreport IHK-Blitzumfrage bei 702 Unternehmen zum 5G-Ausbau: Sorgen vor Sicherheitslücken und großer Ärger über Funklöcher Mehr als drei Viertel der heimischen Unterneh- durch die Wirtschaft. „Nicht wenige Unterneh- meldungen lassen auf den Grund hierfür schlie- men (76 %) halten den Ausbau der neuen Mo- men empfanden unsere Fragen zu 5G angesichts ßen: „Offenbar sind die technischen Zusammen- bilfunktechnologie 5G für bedeutend, um die der zahlreichen bestehenden Mobilfunklöcher hänge derart komplex, dass viele Firmen sich Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandor- geradezu als Hohn. Die Aussagen lassen an nicht in der Lage sehen, eine objektive und be- tes Deutschland zu sichern. Die mit Abstand Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Aus gründete Bewertung in diesem sehr speziellen meisten Betriebe (68 %) sehen den größten Sicht etlicher Unternehmen befindet sich der Themenfeld vorzunehmen“, erklärt Stephan Hä- Nutzen der 5G-Technologie darin, dass das mo- ländliche Raum in Sachen Netzabdeckung in der ger, Statistikexperte der IHK Siegen. bile Internet leistungsfähiger wird. Aber auch informationstechnischen Steinzeit“, verdeut- die Beschleunigung von Arbeits- und Produkti- licht IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener. Die Diskussion über 5G wurde in den vergan- onsprozessen (48 %) und die Vernetzung von Entsprechend deutlich fallen einige Rückmel- genen Monaten durch die Frage dominiert, ob Menschen und Geräten (41 %) werden als wich- dungen aus: „Wir befassen uns mal wieder mit chinesische Netzausrüster aus den genannten tige Mehrwerte gesehen. Das zeigen die Ergeb- Träumen, statt eine dringend benötigte Grund- Sicherheitsbedenken beim 5G-Ausbau ausge- nisse einer Blitzumfrage der Industrie- und versorgung zu gewährleisten. Es kann nicht sein, schlossen werden sollen oder nicht. Zwar wird Handelskammer Siegen (IHK), an der sich 702 dass Telefongespräche auf dem Weg von Olpe diese Frage von einer Mehrheit (51 %) der Betriebe aus den Kreisen Siegen-Wittgenstein nach Dortmund oder im Ruhrgebiet ständig Unternehmen bejaht, während lediglich 29 % und Olpe beteiligten. IHK-Präsident Felix G. durch Funklöcher unterbrochen werden“, laute- der Auffassung sind, chinesische Unternehmen Hensel: „Die große Beteiligung der Betriebe ver- te die Antwort eines Unternehmers. Ein anderer sollten nicht ausgeschlossen werden. Allerdings deutlicht, welchen Stellenwert das Thema in den meinte: „Deutschland ist bereits jetzt abge- ist ein relativ hoher Anteil der Befragten, näm- Top-Etagen der heimischen Wirtschaft mittler- schlagen und vielen anderen Nationen unterle- lich ein Fünftel (20 %), bei diesem Thema offen- weile einnimmt. Hier geht es nicht um Zukunfts- gen. Die verbreiteten Funklöcher sind ärgerlich bar unentschlossen. Vielen Betrieben fiel offen- musik, sondern um eine technologische Ent- und lästig!“ bar auch hier eine Beurteilung sehr schwer. wicklung, bei der Deutschland nach Auffassung Klaus Gräbener: „Einerseits begründet das tiefe sehr vieler in der Wirtschaft den Anschluss nicht Der Grund für die Verärgerung spiegelt sich auch Misstrauen gegenüber der chinesischen Politik verlieren darf.“ Die Rückmeldungen zeigten, in den Umfragewerten wider: Mehr als 43 % der offenbar sehr häufig die Sorge, in eine einseiti- dass die Wirtschaft große Hoffnungen auf den Unternehmen bewerten die Mobilfunkabde- ge Abhängigkeit zu geraten. Andererseits neuen Mobilfunkstandard setze. Schnell wach- ckung in der Region als „schlecht“ oder „sehr herrscht zugleich die Überzeugung, dass gerade sende Datenmengen und immer anspruchsvol- schlecht“. Gerade einmal 20 % halten die Ab- die stark exportabhängigen deutschen Unter- lere Anwendungen machten den raschen Aus- deckung für „sehr gut“ oder „gut“. Mit einiger nehmen an offenen Marktzugängen ein vitales bau wünschenswert. Außerdem wird ein Sorge betrachten die heimischen Unternehmen Interesse haben. Wer nach China liefern will, gravierender Vorteil von 5G darin gesehen, dass mögliche Sicherheitsrisiken im Bereich der Spio- zugleich aber chinesische Firmen vom deut- er neue disruptive Technologien ermöglicht. Fe- nage und der Sabotage. 41 % der Betriebe sind schen Markt fernhält, geht Risiken ein, die ihm lix G. Hensel: „Wer hier schläft, entzieht sich der Meinung, dass sich diese Risiken durch den zumindest bewusst sein sollten.“ In den Ant- selbst die Grundlage für Innovationen.“ Ausbau des Mobilfunkstandards 5G erhöhen worten werde vereinzelt auch auf zurücklie- werden. 34 % sehen diese Gefahr nicht. Auf- gende Spionagetätigkeiten oder Datenmiss- Auffällig sind in diesem Zusammenhang die Be- fällig: Ein Viertel der befragten Unternehmen brauch von Unternehmen aus anderen Ländern wertungen des bestehenden Mobilfunknetzes ließ diese Frage unbeantwortet. Einige Rück- verwiesen, was einen Ausschluss allein nach Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Halten Sie den 5G-Netzausbau für bedeutend, um Mobilfunkabdeckung in der Region? die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu sichern? 1,71% 2,28% 10,40% 8,40% 18,09% 13,96% 34,62% 34,90% 75,64% Die Mobilfunkabdeckung ist sehr gut. Die Mobilfunkabdeckung ist gut. Die Mobilfunkabdeckung ist ausreichend. Die Mobilfunkabdeckung ist schlecht. Ja Nein Keine Antwort Die Mobilfunkabdeckung ist sehr schlecht. Keine Antwort
Wirtschaftsreport Jan 20 11 Nationalität wenig zielführend erscheinen las- se. Dennoch mache es nachdenklich, dass über Worinsehen Worin Sieden sehenSie den größten größten Nutzen Nutzen der der5G-Technologie? 5G-Technologie? die Hälfte der antwortenden Unternehmen den Ausschluss chinesischer Unternehmen beim Die 5G-Technologie wird Arbeits- und Produktionskosten 7,55% verringern. 5G-Ausbau favorisiere. Klaus Gräbener: „Die Befürchtungen sind evident. Sollte sich die Die 5G-Technologie wird Arbeits- und Produktionsprozesse 47,72% Bundesregierung dennoch dafür entscheiden, beschleunigen. die Ausschreibungen auch für chinesische An- bieter zu öffnen, müssen die Sicherheitsanfor- Die 5G-Technologie wird zur Energieeinsparung beitragen. 2,42% derungen so hoch wie irgend möglich gesetzt werden, um den erheblichen Vorbehalten in der Durch die 5G-Technologie wird die Vernetzung von 40,60% Wirtschaft Rechnung zu tragen.“ Wie schwierig Menschen und Geräten verbessert. sich dies im Detail gestalten dürfte, habe Bun- Die 5G-Technologie macht das mobile Internet deskanzlerin Angela Merkel bei einer Rede vor leistungsfähiger. 67,81% der Vollversammlung des DIHK in Berlin ver- deutlicht. greifen können. Hier sind in erster Linie die Poli- leisten, damit das Feld nicht einer überhitzten Die IHK Siegen fragte auch nach möglichen Aus- tik und die Fachleute aus Telekommunikations- öffentlichen Diskussion in den einschlägigen wirkungen eines Ausschlusses chinesischer unternehmen gefordert, Aufklärungsarbeit zu Talk-Shows überlassen wird.“ ! Netzausrüster. 30 % der befragten heimischen Betriebe erwarten demnach, dass ein solcher Ausschluss den 5G-Ausbau verteuern wird. Fast Welche Welche Auswirkungenerwarten Auswirkungen erwarten Sie Sie im im Falle Falle eines einesAusschlusses Ausschlusses ebenso viele (28 %) gehen davon aus, dass sich chinesischer Netzausrüster? chinesischer Netzausrüster? der Netzausbau hierdurch verzögern würde. Ein Fünftel der Befragten (20 %) ist der Auffassung, Ein Ausschluss chinesischer Netzausrüster wird keine 19,66% Auswirkungen haben. ein Ausschluss werde sich nicht auswirken. Auch bei dieser Frage gibt es einen hohen Anteil an Ein Ausschluss chinesischer Netzausrüster wird den Unternehmen, die keine Antwort gaben (23 %). Netzausbau verteuern. 29,91% Felix G. Hensel: „Die Umfrage zeigt, dass das Vertrauen der Wirtschaft in einen zeitnahen Ein Ausschluss chinesischer Netzausrüster wird zu einer 5G-Ausbau angesichts des Schweizer Käses an Verzögerung des Netzausbaus führen. 27,78% Mobilfunklöchern gelinde gesagt ‚ausbaufähig‘ ist. Hier steht Resignation vor Hoffnung. Hinzu Keine Antwort 22,65% kommt, dass auch in der Wirtschaft das Thema 5G von Sicherheitsbedenken überschattet wird, die viele in den Unternehmen allerdings nicht Stimmen Sie der folgenden Aussage zu? Durch den In der öffentlichen und politischen Diskussion wird Mobilfunkstandard 5G werden sich die Sicher- mitunter gefordert, chinesische Netzausrüster (Zulie- heitsrisiken (z.B. Spionage und Sabotage) erhöhen. ferer) aus Sicherheitsgründen beim 5G-Netzausbau auszuschließen. Stimmen Sie dieser Forderung zu? 20,23% 24,93% 40,74% 50,85% 28,92% 34,33% Ja Nein Keine Antwort Ja Nein Keine Antwort
12 Jan 20 Wirtschaftsreport „Es einfach durchziehen!“ Unternehmensnachfolge im Blickpunkt Einen konsequent eingeleiteten Einstieg in die Führungsrolle hat Ronny Stöcker hinter sich. Der 38-Jährige fungiert als angestellter Ge- schäftsführer der Gräbener Pressensysteme GmbH & Co. KG in Netphen. Bevor er die Ver- antwortung in dieser Position übernahm, war er bereits mehrere Jahre lang als Serviceleiter für den Betrieb tätig. Der Schritt „vom Kollegen zum Chef“ sei positiv verlaufen, da er sowohl mit den Beschäftigten als auch mit der kom- Carsten Schmale pletten Struktur der Firma und den Kundenbe- ziehungen bestens vertraut gewesen sei. Dies habe es ihm auch leichter gemacht, mehr auf Tauschten sich über Unternehmensnachfolge aus: (v.l.) Sibylle Haßler (IHK Siegen), die Referenten Ronny die Eigenverantwortung der Mitarbeiter zu set- Stöcker, Annedore Cronrath, Martin Achatzi, Tim Holzhauer, Rudolf Grüneberg und IHK-Geschäftsführer Hans- zen. Eine wichtige Bereicherung des eigenen Peter Langer. Horizonts sieht Ronny Stöcker überdies in einer aktiven Beteiligung an der Arbeit der Wirt- „Wenn man viel Herzblut hat und von seiner die er im Zuge der Übergabe an seinen Sohn schaftsjunioren Südwestfalen, deren Vorsitzen- Idee überzeugt ist, sollte man es einfach durch- Peter Achatzi gesammelt hat. Die Führungsver- der er zeitweise war. ziehen!“ Gefragt nach ihrem wichtigsten Rat an antwortung 2018 im Alter von 55 Jahren ab- Menschen, die ein Geschäft übernehmen wol- getreten zu haben, war eine bewusste Ent- Rechtsanwalt und Notar Tim Holzhauer (Dr. len, appelliert Annedore Cronrath an den Mut scheidung, die der erfahrene Unternehmer aus Schön – Rechtsanwälte und Notare, Siegen) der möglichen Nachfolger. Seit Juli ist die ge- voller Überzeugung jederzeit wieder treffen präsentierte schließlich rechtliche Grundlagen, bürtige Siegenerin Inhaberin des Feinkostge- würde: „Ich habe das Geschäft selbst gegrün- die bei einer Firmenübergabe relevant sind. In schäftes „Gut & Gerne“. Viele Jahre lang war sie det und 28 Jahre geleitet. Mir war nicht von diesem Kontext empfahl er, zunächst einen voll- zuvor als selbstständige Handelsvertreterin in Anfang an klar, dass mein Sohn den Betrieb ständigen Plan und persönliche Ziele festzule- ganz Deutschland unterwegs. Nach 30 Jahren übernehmen würde. Aber dann hat er über lan- gen. Darüber hinaus sei es wichtig, sich früh- sollte damit Schluss sein. Für sie stand schon ge Zeit im Laden geholfen, eine Ausbildung zeitig Berater unterschiedlicher Metiers – etwa länger fest, dass sie sich dann beruflich noch zum Fotografen gemacht und immer mehr auch in puncto Steuern – an den Tisch zu holen. einmal grundlegend verändern würde. „Ich habe wichtige Aufgaben übernommen. Irgendwann So gelinge es, etwaige Hürden zu identifizieren mich entschlossen, ab sofort lieber hinter der war dann einfach die Zeit reif“, blickt er zurück. und gezielt an Lösungen zu arbeiten, um nicht Theke als im Stau zu stehen!“ Der Übergabeprozess selbst inklusive intensiver in Probleme zu geraten. Einarbeitung sei reibungslos und fließend ver- Die Industrie- und Handelskammer Siegen (IHK) laufen. Das Thema Unternehmensnachfolge betreffe hatte mehrere Unternehmerpersönlichkeiten zu derart viele Betriebe, dass es sich auf den ge- ihrer Veranstaltung „Unternehmensnachfolge Neue Akzente gesetzt hat auch Thomas Uebach, samten Wirtschaftsstandort auswirke, verdeut- zielgerichtet planen“ im Bernhard-Weiss-Saal Inhaber des Küche & Co Studios in Siegen. Er ist lichte IHK-Geschäftsführer Hans-Peter Langer, eingeladen, um „hautnah“ und offen von ihren seit Jahrzehnten in der Branche aktiv und hat der die Veranstaltung moderierte. Bundesweit Erfahrungen mit diesem sensiblen Thema zu be- vor fast zwei Jahren den Weg in die Selbststän- würden in den kommenden fünf Jahren rund richten. Das unternehmerische Wagnis einzu- digkeit gefunden. An die knapp 40 Zuhörer in 850.000 Inhaber mittelständischer Unterneh- gehen und sich voll auf diese Aufgabe einzu- der Veranstaltung richtete er zunächst einen men ihre Tätigkeit aufgeben. Etwa 500.000 da- lassen, sei eine enorme Herausforderung wichtigen Appell: „Wenn Sie einen solchen Ent- von wollten ihre Firma an einen Nachfolger gewesen, räumte Cronrath ein. Schließlich be- schluss treffen, müssen Sie sich darüber be- übergeben. Unterstützung biete die IHK unter deute ein solcher Schritt große Veränderungen. wusst sein, dass Ihre Existenz ab sofort von Ih- anderem mit ihrem Mentorenprogramm. Einer Am grundlegenden strategischen Konzept ihres nen selbst abhängt.“ Er habe dies jedoch nicht der Mentoren ist seit einigen Jahren Rudolf Grü- Vorgängers für das Traditionsgeschäft hat sie als Druck, sondern als Ausdruck unternehmeri- neberg, der veranschaulichte, wie die ehrenamt- bewusst nicht viel verändert. Dennoch trägt der scher Freiheit und persönlicher Entfaltung emp- lichen Helfer ihre Expertise konkret zur Verfü- Laden nun zunehmend auch ihre eigene Hand- funden. Im beruflichen Alltag habe es ihm ge- gung stellen: „Im Laufe eines Betriebszyklus schrift. holfen, dass er in den ersten Monaten noch auf stößt man immer wieder an Grenzen. In solchen die tatkräftige Unterstützung seiner Vorgänger Momenten kann es Gold wert sein, Unterstüt- Martin Achatzi vom Canon Shop aus Bad Laas- zurückgreifen konnte. Uebach kommt aus der zung von außen zu erhalten.“ Die Mentoren phe konnte die Nachfolge dagegen familien- Küchenbranche, hatte hier im Vorfeld über Jah- haben ihre Schwerpunkte in unterschiedlichsten intern regeln. Welche Vorteile dies hat? „Un- re wertvolle Erfahrungen gesammelt. „Ohne Themenfeldern. Ihr im Einzelfall jeweils tempo- zählige“, antwortet der Wittgensteiner. Er diesen Hintergrund hätte ich das Wagnis nicht rär begrenzter Einsatz dient dem Wissenstrans- berichtete von seinen persönlichen Eindrücken, eingehen können.“ fer auf Augenhöhe. !
Wirtschaftsreport Jan 20 13 Bundesbeste IHK-Azubis Johannes Lütticke ausgezeichnet Eine große Auszeichnung erhielt Johannes Lütti- cke von der Gebr. Kemper GmbH & Co. KG aus Olpe. Er schloss die Ausbildung zum Verfahrens- mechaniker in der Hütten- und Halbzeugindust- rie, Fachrichtung Nichteisenmetall-Umformung, mit 97 % ab und zählt damit zu den bundesbes- ten IHK-Azubis. Gemeinsam mit seinem Ausbilder Patrick Halbe reiste er zur Ehrungsveranstaltung nach Berlin. Zu den ersten Gratulanten zählte IHK-Geschäftsführer Klaus Fenster. Eric Schweit- zer, Präsident des Deutschen Industrie- und Han- delskammertages (DIHK), und Bundesbildungs- ministerin Anja Karliczek überreichten 206 Preisträgern Pokale und Urkunden. Schweitzer IHK Siegen sprach den jungen Menschen seine Anerkennung dafür aus, dass sie in ihren Abschlussprüfungen bei knapp 300.000 Prüfungsteilnehmern die Johannes Lütticke, der Bundesbeste der Region, mit Ausbilder Patrick Halbe (r.) und IHK-Geschäftsführer höchsten Punktzahlen in ihren Berufen Klaus Fenster (l.) bei der Ehrung in Berlin. erreicht hatten. Er dankte in seiner Rede der Bildungsministerin für die hervorragende Zu- die sich die IHK-Organisation freue, betonte der brauche. An der Preisverleihung nahmen rund sammenarbeit bei der Modernisierung des Be- DIHK-Präsident. Anja Karliczek hob in ihrer Fest- 1000 Gäste teil – neben Angehörigen der Besten rufsbildungsgesetzes im zurückliegenden Jahr. rede hervor, dass die ausgezeichneten Azubis auch Vertreter der Ausbildungsbetriebe, Berufs- Dieses bringe unter anderem Erleichterungen der Nachwuchs an Fach- und Führungskräften schullehrer, Bundestagsabgeordnete sowie Ver- für die Prüfer in der beruflichen Bildung, über seien, den die deutsche Wirtschaft dringend treter der Industrie- und Handelskammern. ! Hochbau Tiefbau Leitungsbau Schlüsselfertigbau Projektentwicklung Immobilien Wir stellen Weichen für gute Qualität. Berge-Bau GmbH & Co. KG Leimstruther Weg 7 - 9 | 57339 Erndtebrück | Fon 0 27 53 - 59 49 - 0 Fax 0 27 53 - 59 49 39 | mail info@berge-bau.de | www.berge-bau.de
14 Jan 20 Wirtschaftsreport Mehr Tempo beim Ausbau von Infrastruktur Ministergespräch zu beschleunigten Gerichtsverfahren Wie lassen sich Gerichtsverfahren effektiv be- Nationale Normenkontrollrat unterstützt die Idee. darauf hin, dass in NRW mehr Geld und Personal schleunigen, um zu verhindern, dass der Ausbau Allerdings müssten die Oberverwaltungsgerichte für Planungsleistungen eingesetzt würden. Der von Verkehrswegen, Stromtrassen und anderen dann auch personell entsprechend ausgestattet Verkehrsminister plädierte für gesetzliche Stich- Infrastrukturprojekten unnötig verzögert wird und sein. Ansonsten drohten neue Verzögerungen, er- tagsregelungen; damit müssten Planungen wäh- Jahre vergehen, bis eine rechtskräftige Entschei- klärte Dr. Rainer Holtschneider, der dem Normen- rend des laufenden Genehmigungsverfahrens dung vorliegt? Rund 40 Fachleute tauschten sich kontrollrat seit 2016 angehört. Viel versprechen nicht mehr ständig den neuesten fachlichen Er- hierzu mit Landesverkehrsminister Hendrik Wüst sich die Fachleute auch davon, spezielle Wirt- kenntnissen und Gesetzesänderungen angepasst und Landesjustizminister Peter Biesenbach beim schafts- und Planungsspruchkörper einzurichten, werden. Mit seinem Amtskollegen war er sich da- ersten „Stadttorgespräch“ in Düsseldorf über Lö- die eine gewisse Expertise gewährleisten und zu rin einig, dass gezielte zeitliche Verzögerungen sungsansätze aus. Das Ziel: Verfahrensabläufe schnelleren Ergebnissen in Verfahren zur Plange- durch Kläger weitgehend vermieden werden durch eine klarere Struktur und Konzentration nehmigung beitragen könnten. Biesenbach befür- müssten. Bei der Information der Öffentlichkeit optimieren. Auf Initiative des NRW-Justizministe- wortet auch die Einführung eines „konzentrierten habe sich der Einsatz von Visualisierungen mit- riums diskutiert der Bund derzeit Änderungen an Verfahrens“. Dabei könnte zur besseren Struktu- hilfe von Computeranimationen bewährt. Dies der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Dabei rierung in einem frühen ersten Erörterungstermin helfe, den Menschen Ängste zu nehmen, und baue gehe es nicht um eine grundlegende Reform, son- der weitere „Fahrplan“ für das Verfahren festge- interessengeleiteten Gerüchten vor. Hans-Peter dern um punktuelle Innovationen, die praktisch legt werden. Dieses Gespräch könnte unmittelbar Langer, IHK-Geschäftsbereichsleiter für Infra- eine große Wirkung entfalten würden, betont nach Klageeingang ohne vorherigen Austausch struktur und Standortpolitik, plädiert dafür, die Biesenbach. Angestrebt wird demnach die erstin- von Schriftsätzen geführt werden. Ein weiterer, Öffentlichkeits- und Umweltprüfung in einem stanzliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsge- bereits praktizierter Weg ist der verstärkte Einsatz Hauptsacheverfahren durchzuführen. Dort könn- richte (OVG) in bestimmten Planfeststellungsver- von Maßnahmengsetzen: Dabei lässt der Deut- ten alle Beteiligten die berechtigten Interessen fahren. Schon heute sind die OVG bei bestimmten sche Bundestag zentrale, systemrelevante Ver- vortragen und diskutieren. In den nachfolgenden Projekten unmittelbar zuständig, etwa beim Aus- kehrsinfrastrukturprojekte direkt durch projekt- Verfahrensstufen könne dann hierauf verwiesen bau von Bundesfernstraßen. Diese erstinstanzliche bezogene Maßnahmengesetze zu. Auch wenn es werden. „Bislang sieht jede Planungsstufe eine Zuständigkeit soll künftig ausgeweitet werden. sich hierbei um einen streng maßnahmenbezoge- eigene Öffentlichkeitsbeteiligung und Umwelt- Konkret könnte dies nach Einschätzung des NRW- nen Weg handelt, waren sich die Teilnehmer des prüfung vor. Das bringt keine qualitative Verbes- Justizministeriums eine durchschnittliche Zeiter- Gesprächs darin einig, dass das Instrument häufi- serung, sondern schafft bei Bürgern und Verbän- sparnis von eineinhalb Jahren bringen. Auch der ger eingesetzt werden sollte. Hendrik Wüst wies den eher Verwirrung und kostet wertvolle Zeit.“ ! Kommentar: Hans-Peter Langer Schluss mit maximaler Verzögerung! Man kann es kaum noch hören: Hätten die frastrukturprojekt die politische vor verfassungs- oder europa- Chinesen doch bloß ihren neuen Hauptstadt- Rückendeckung entziehen. Genau rechtlichen Problemen warnen. flughafen nicht so schnell gebaut! Der schlep- diese „Zweckentfremdung“ gerichtli- Dies bedarf einer rechtlichen Prü- pende Bau von Infrastruktur in Deutschland cher Verfahren soll künftig ausgeschlossen fung. Stattdessen aber wird der Ansatz wirkt umso beschämender. Dabei hat es viele werden. Deshalb sah der ursprüngliche Entwurf aus Sorge um die Verärgerung von Umwelt- Gründe, weshalb im Land der Dichter und In- eines neuen Gesetzes zur Beschleunigung von lobbyisten „weggedealt“. Mehr „Nebeltep- genieure nicht schnell genug gebaut wird. Planungs- und Genehmigungsverfahren aus pich“ als Mut äußert sich hierin. Wer mehr Einer davon sind Gerichtsverfahren, die sich dem Bundesverkehrsministerium eine soge- Tempo beim Ausbau von Infrastruktur machen über mehrere Instanzen und Jahre, wenn nicht nannte „Präklusionsklausel“ vor: Sie nimmt Um- will, der sollte auch bereit sein, nicht alles als Jahrzehnte, hinziehen. Man muss sich nichts weltverbänden die Möglichkeiten, zu einem gegeben hinzunehmen, sondern den beste- vormachen: In manchen Fällen, nicht in allen, späten Zeitpunkt Belange gegen Projekte gel- henden Gesetzesrahmen kritisch zu hinterfra- sind die komplizierten Verfahren für klagende tend zu machen, auf die sie schon vorher im Ver- gen. Das schließt auch ein, gegebenenfalls Verbände ein willkommenes Instrument, tak- waltungsverfahren hinweisen konnten. Das wür- europarechtliche Rahmenbedingungen bis hin tisch auf Zeit zu spielen. Ziel ist dabei nicht, de aus Sicht von Experten sehr effektiv dazu zur „Aarhus-Konvention“ neu anzufassen. dem Gericht zu einer sachgerechten Beurtei- beitragen, die Dauer von Großprojekten um Dieses vor mehr als 20 Jahren von der Wirt- lung bei der Frage eines Neu- oder Ausbaus mehrere Jahre zu verkürzen. Davon will die Bun- schaftskommission für Europa unterzeichnete von Infrastruktur zu verhelfen, sondern das desregierung aber aktuell nichts mehr wissen: Übereinkommen macht bestimmte Vorgaben Verfahren maximal zu verzögern. Im Zweifels- Im überarbeiteten Entwurf fehlt die Präklusions- zur Öffentlichkeitsbeteiligung sowie zur Ge- fall so lange, bis neue Fakten geschaffen wer- klausel, die, auch wenn das niemand so aus- währung des Zugangs zu Informationen und den, die eine Umsetzung des Infrastrukturvor- drücklich bestätigen möchte, ziemlich offen- zu Gerichten bei Umweltbelangen. In jedem habens zusätzlich erschweren oder gar sichtlich einem faulen Handel mit dem Fall ist der Bundesrat, der sich mit dem Be- unmöglich machen. Das können neue gesetz- Bundesumweltministerium zum Opfer fiel. Si- schleunigungsgesetz auseinandersetzen wird, liche Vorgaben ebenso sein wie neue Regie- cher: Anders als bei der Instanzenverkürzung mehr als gut beraten, neu über die Präklusion rungskonstellationen, die dem geplanten In- gibt es zur Präklusionsklausel auch Stimmen, die nachzudenken.
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