Wohnungslosigkeit in Regensburg

Die Seite wird erstellt Günter Mann
 
WEITER LESEN
Wohnungslosigkeit in Regensburg
Wohnungslosigkeit
in Regensburg
Texte von Studierenden der Sozialen Arbeit
Projektseminar Sommersemester 2018
Wohnungslosigkeit in Regensburg
Wohnungslosigkeit in Regensburg
Vorwort

W
         ohnungslosigkeit in Regensburg? Gibt es die? Und wenn
         ja, wie zeigt sie sich? Wer sind die Betroffenen und wie
         wird ihnen geholfen?
Diese Fragen waren Gegenstand eines Projektseminars, das im
Sommersemester 2018 an der Fakultät Angewan­dte Sozial- und
Gesundheitswissenschaften der Ostbayerischen Technischen
Hoch­schule Regensburg (OTH) stattgefunden hat. Ziel war, dass
die Studierenden selbstständig Forschungsfragen entwickeln und
diese im Rahmen von kleineren Untersuchungen beantworten.
Die Ergebnisse sind nun in dieser Broschüre zusammengefasst.
Sie beschäftigen sich mit den von Wohnungslosigkeit Betroffenen
und mit ihrer Sicht auf ihr Leben, das sich oft auf der Straße ab-
spielt. Auch das Hilfsangebot in Regensburg wurde recherchiert
und wird in Form eines Adressverzeichnisses mit Wegbeschrei-
bungen hier abgedruckt.
Weitere Forschungsergebnisse beschäftigen sich mit der Wahr-
nehmung wohnungsloser Menschen durch die Stadtgesellschaft,
der gesundheitlichen Situation der Betroffenen und mit dem kom-
munalpolitischen Umgang mit Wohnungslosigkeit in Regensburg.
Abgerundet werden diese Untersuchungsergebnisse durch die
Zusammenfassung einer Bachelorarbeit, die abschließend einen
Überblick zur Thematik gibt. Es sind ausschließlich Beiträge von
Studierenden veröffentlicht, die nicht nur die Texte geschrieben,
sondern sie auch redigiert und graphisch gestaltet haben. Wir
hoffen, den Leserinnen und Lesern das Thema „Wohnungslosig-
keit in Regensburg“ durch diese Broschüre näher zu bringen.

Prof. Dr. Gabriele Scheffler
Wohnungslosigkeit in Regensburg
Waschbecken in der Notunterkunft Taunusstraße
Foto: Amt für Soziales der Stadt Regensburg
Wohnungslosigkeit in Regensburg
Inhalt

  (Über-) Lebensstrategien Wohnungsloser      6
SANDRA TISCHNER/STEFANIE LANGNER

  Wohnungslose Frauen                        12
BIANCA WEIßMANN

 Interview mit einer Betroffenen             14
KRISTINA MÜLLER

  Junge Menschen ohne Wohnung                16
STEFANIE KOCH, ANJA BARTENSCHLAGER,
VERONIKA RAINER

 Die Albertstraße                            19
KONSTANTIN SCHMID

  Die SEEWOLF-Studie:                        21
Seelische Erkrankungsrate in Einrichtungen
der Wohnungslosenhilfe im Großraum München
LUISA-MARIA NEUMANN

 Sozialer Wohnungsbau                        25
MILENA WITTMANN

  Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus      27
in Regensburg von 2010 bis heute
TOBIAS MEHRBREY

  Wohnungslosigkeit in Regensburg –          34
Ergebnisse einer Befragung von Experten
und Betroffenen
KATHARINA PFAFF

  Hilfsangebote nicht nur für
wohnungslose Menschen in Regensburg          38
DIANA SCHREINER
Wohnungslosigkeit in Regensburg
6    WOHNUNGSLOSIGKEIT IN REGENSBURG

(Über-) Lebensstrategien
Wohnungsloser
SANDRA TISCHNER/STEFANIE LANGNER

I
   m Rahmen des Projektes „Wohnungs-        schrift). Er hat selbst viele Jahre auf
   losigkeit in Regensburg“ haben wir In-   der Straße gelebt und war jahrelang
   terviews mit Betroffenen und ehemalig    alkoholabhängig. Obwohl er vor eini-
   Betroffenen verschiedener Altersgrup-    gen Jahren selbst schwer an Multipler
pen geführt, die wir im Umfeld des Ver-     Sklerose (MS) erkrankte, unterstützt
eins „Soziale Initiativen“ kennengelernt    er Obdachlose in Regensburg.
haben. Ihre Lebensgeschichten, Einstel-
lungen und Meinungen zu den Schwer-         Andy W. wuchs in behüteten Familienver-
punkten Werdegang, aktuelle Wohnsi-         hältnissen auf. Nach einer gescheiterten
tuation, Lebensunterhalt, Wohnungsnot       Ehe entschied er sich zu reisen und als
in Regensburg, zur Verfügung stehende       Straßenmusiker und -künstler zu leben.
Hilfsangebote in Regensburg, Beziehun-      Irgendwann landete er in Regensburg,
gen und Reaktionen aus dem Umfeld,          wo er ein Tagescafé für bedürftige Men-
Freizeitgestaltung und Wünschen bzw.        schen eröffnen wollte. Ein MS-bedingter
Zukunftsplänen werden hier anhand von       Zusammenbruch, der starke Bewegungs-
Zitaten der Betroffenen wiedergegeben.      einschränkungen in Armen und Beinen
                                            nach sich zog, verhinderte dies jedoch.
                                            Stattdessen war er ab diesem Zeitpunkt
Andy W.                                     auf einen Elektrorollstuhl angewiesen.
                                            „Das waren zwei Überlegungen, entwe-
Andy W. ist der Sprecher des Projektes      der du nimmst deinen Elektrorollstuhl
„Sofa“ der Sozialen Initiativen sowie       und fährst in die Donau und ersäufst
des Donaustrudels (Obdachlosenzeit-         oder du kannst wieder laufen. Ich hab
Wohnungslosigkeit in Regensburg
7

gesagt: ‚Ich probier mal, ob‘s mit dem     nüchtern sein. Er muss auch nicht nicht-
Laufen wieder klappt.‘“                    intoxiiert sein, aber er muss ansprechbar
Und seine Entschlossenheit gab ihm         sein und keine Aggressionen haben und
Recht. Heute kann er wieder ohne Krü-      wenn er Sachen dabeihat, kann er seinen
cken oder andere Hilfsmittel gehen.        Krams einfach wegsperren.“

Lebensunterhalt                            Beziehungen und Reaktionen
„Ich bin frühberentet, weil MS geht ja     aus dem Umfeld
nicht weg. Zum Geld verdienen verkauf‘     Er meint, dass Obdachlose oftmals durch
ich Donaustrudl.“                          Unverständnis und finanzielle Probleme
Seine Lebensmittel erhält er überwiegend   von ihrem ehemaligen familiären und
von der Tafel und anderen Spenden.         Freundesumfeld isoliert leben.
                                           „Nach Liebe, Wärme und Geborgenheit
Wohnungsnot in Regensburg                  tut sich eigentlich jeder sehnen. Wobei
„Es herrscht klare Wohnungsnot und         gerade, wenn du in einer Obdachlosen-
Hauptursache dafür ist die Vernachlässi-   situation bist, das Gefühl von Einsamkeit
gung des sozialen Wohnungsbaus inner-      manchmal noch viel größer ist. Du fühlst
halb der letzten Monate, wo nur auf Ka-    dich manchmal einfach verlassen von al-
pital und Eigentumswohnungen gesetzt       len.“
wurde.“
Im gesamten Stadtgebiet Regensburg sei     Freizeitgestaltung
sozialer Wohnraum verloren gegangen,       Da die Obdachlosigkeit oft mit weiteren
der genutzt hätte werden können, so der    Problematiken gekoppelt ist, bleiben
Sofa-Sprecher.                             Andy W. zufolge auch bei bestehendem
                                           Angebot, Aktivitäten zur Freizeitgestal-
Bewertung der Hilfsangebote                tung auf der Strecke:
Allerdings ist er der Meinung, dass in     „Es gibt schon Dinge, aber die andere Sei-
Bezug auf Lebensmittelversorgung und       te ist halt, dass wenn du mitten im Dro-
Unterstützung in Regensburg relativ viel   gen- oder Alkoholkampf drinsteckst, dann
geboten ist. Die Notunterkunft in der      hast du oft nicht die Zeit, dich um sowas
Taunusstraße empfindet er jedoch als       zu kümmern. Junken [Heroin konsumie-
nutzlos, da sie in seinen Augen nur für    ren] ist ein Fulltime-Job.“
einen ganz geringen Personenkreis passt    Nichtsdestotrotz erwähnt er lobenswert
und andere Gruppen dabei vernachlässigt    beispielsweise den Stadtpass, der den er-
werden. Das nur in der kalten Jahreszeit   mäßigten Eintritt in viele städtische Ein-
geöffnete Kälteschutzhaus in der Wöhrd-    richtungen ermöglicht. Für größereUn-
straße hingegen wird von ihm deutlich      ternehmungen empfiehlt er das Projekt
positiver bewertet:                        „KulTür“, über das man auch freien Eintritt
„Derjenige, der kommt, muss der Mut-       zu bestimmten Veranstaltungen, wie zum
tersprache mächtig sein. Er muss nicht     Beispiel Theaterkarten, erhalten kann.
Wohnungslosigkeit in Regensburg
8     WOHNUNGSLOSIGKEIT IN REGENSBURG

        Nach Liebe, Wärme und Geborgenheit tut
      sich eigentlich jeder sehnen. Wobei gerade,
      wenn du in einer Obdachlosensituation bist,
      das Gefühl von Einsamkeit manchmal noch
      viel größer ist. Du fühlst dich manchmal
      einfach verlassen von allen.

Tom*, 37                                    Bewertung der Hilfsangebote
                                            „Zurzeit ganz schlimm. Weil‘s keine so
„Ich hab Häuser besetzt. Davor bin ich      richtigen Institutionen mehr gibt. So An-
meiner Arbeit noch nachgegangen.“           laufstellen oder so. Gibt keine Lösung,
So beschreibt Tom seinen Werdegang in       du bist auf dich selbst gestellt im Endef-
Kurzfassung. Er lebt schon sehr lange auf   fekt. Jeder sagt zwar Hilfen sind da, aber
der Straße und gibt seine Erfahrungen       wennste mal Hilfe brauchst, ‚Geh weg!’“
gerne an Neulinge, die sich noch nicht      Tom findet vor allem die zur Verfügung
so gut auskennen, weiter. Auf Grund ei-     stehenden Schlafmöglichkeiten nicht
ner Hepatitis-Infektion konnte er seinem    ausreichend. Das Frühstück beim Sofa-
Lieblingsberuf Metzger nicht länger nach-   Treff nimmt er aber gerne an.
gehen.                                      „Also wenn ich was verändern könnte,
                                            würd ich in Hinsicht auf die Obdachlosig-
Lebensunterhalt                             keit versuchen irgendwie Schlafplätze zu
Tom sagt, dass er dem Staat nicht auf der   schaffen. Ich bin ja nebenbei noch bei ein
Tasche liegen möchte und finanziert sich    „Recht auf Stadt“ und die (...) Leerstän-
deshalb durch den Verkauf der Obdach-       de, die was wir haben in Regensburg, da
losenzeitschrift Donaustrudl, die Mitar-    kann man echt was draus machen.“
beit bei kleineren Projekten sowie durch    Auch Tom hält das Kälteschutzhaus in
Schnorren mit seinen Punkerkollegen.        der Wöhrdstraße für eine gute Anlauf-
„Also ich sag jetzt mal so 80 Euro am Tag   stelle. Jedoch bemängelt er, dass diese
haben oder nicht haben, ist ein Unter-      nur während der Wintermonate zur Ver-
schied! Unnötige Ratschläge, schlechte      fügung steht.
Witze, das kommt immer gut.“                „Wir haben etzt über‘n Winter die Wärme-
                                            schutzstelle gehabt, die war nicht schlecht.
                                            Gibt‘s auch gute Rückmeldungen.“
* Name von der Redaktion geändert.
Wohnungslosigkeit in Regensburg
Freizeitgestaltung                           gleich mit Drogen angefangt.“
„Überall wo ich hingeh sagen se ‚Tom,        Der Handel mit Betäubungsmitteln
haberdere!’, weil ich einfach ein Lustiger   brachte ihn schließlich ins Gefängnis,
bin.“                                        in welchem er auch substituiert wurde.
„Goas [Tanzevent] geh ich gern, weil ich     Dies sieht er als Chance für einen Neu-
find die Leute cool. Gibt‘s kein Stress.     start in ein drogenfreies Leben. Da er
Was ich gern machen würde, wär öfters        nach seiner Haftentlassung Schwierig-
mal ins Westbad gehen. Aber kann ich         keiten hatte, in Regensburg eine Woh-
ja nicht.“                                   nung zu finden, kam er zunächst bei sei-
Leider kann er, da er kein ALG II bezieht,   ner Mutter in Deggendorf unter.
auch nicht den Stadtpass beantragen,         „Ich bin hierhergekommen und wollte
welcher ihm Eintrittsermäßigungen zum        eigentlich gleich wieder nach Regens-
Beispiel ins Westbad ermöglichen würde.      burg ziehen. Da wäre ich auf der Straße
                                             gestanden, wenn ich meine Mutter nicht
Zukunftspläne                                gehabt hätte.“
Für seine Zukunft wünscht er sich, wie-      Klaus meint, dass es gerade für Haftent-
der in seinem Lieblingsberuf Metzger ar-     lassene sehr schwierig sei, in Regens-
beiten zu können und eine eigene Woh-        burg eine Wohnung zu finden. Seinen
nung zu haben.                               Lebensunterhalt bestreitet Klaus mo-
„Ich würd alles machen, was ich krieg.       mentan von Hartz IV, wünscht sich aber
Ich bin mir für nix zu schade. Ich kanns     wieder ein geregeltes Arbeitsverhältnis.
mir nicht aussuchen zurzeit.“
                                             Bewertung der Hilfsangebote
                                             Mit dem Hilfsangebot in Regensburg ist
Klaus*, 32                                   Klaus noch wenig vertraut, allerdings ist
                                             er der Meinung, dass es im Vergleich zu
Klaus ist wegen Drogenhandels bereits        anderen Städten wie Nürnberg oder Am-
mehrmals inhaftiert gewesen. Seit De-        berg, wenig Unterstützung für Haftent-
zember 2017 ist er wieder entlassen          lassene gibt.
und mittlerweile wird er auch substitu-      „Ich find in Regensburg gibt es nicht
iert, d.h. bekommt einen Ersatzstoff für     wirklich was, wo so Straffällige hingehen
Heroin, wie z.B. Methadon. Seit kurzem       können. Da gibt‘s halt nur sowas vom
lebt er wieder in Regensburg, wo er auch     Kontakt e.V. Da können aber nur zwei
seine Freundin kennengelernt hat.            Leute einziehen, aber sonst irgendwie
Auf Grund privater und schulischer Pro-      nichts Neues.“
bleme kam er bereits sehr früh mit Dro-      Seiner Meinung nach wird das Kälte-
gen in Kontakt.                              schutzhaus gerade von Menschen mit
„Ich bin in der 7. Klasse von der Schu-      multiplen Substanzgebrauch sehr positiv
le geflogen und habe zu meiner Oma           angenommen:
ziehen müssen, und da habe ich dann          „Viele, die wo ich kenn, haben im Winter
Wohnungslosigkeit in Regensburg
10    WOHNUNGSLOSIGKEIT IN REGENSBURG

halt auch in der Kälteschutzeinrichtung     Andi, 21
gepennt. Ja und jetzt wissen sie halt
auch nicht wohin.“                          Andi ist noch nicht so lange auf der Stra-
                                            ße. Durch wiederkehrende Streitigkeiten
Beziehungen und Reaktionen                  und Problemen mit seiner Mutter, ent-
aus dem Umfeld                              schied er sich von zu Hause wegzugehen.
„Ich hab eigentlich nur Bekannte, die wo    „Ich hab bis zu meinem 18. Lebensjahr
auch aus dem gleichen Ding sind. Ich        fest daheim gewohnt und dann eigentlich
hab eigentlich überhaupt keine norma-       von Freund zu Freund.“
len Freunde. Ich hab ein oder zwei, die     Gerne würde er in eine günstige Woh-
überhaupt nicht [abhängig] sind, und        nung ins Stadtzentrum ziehen, die er
die kommen eigentlich ganz gut damit        über verschiedene Facebook-Gruppen zu
klar.“                                      finden versucht.
Obwohl Klaus betont, sich von der ak-       „Ich schau zurzeit, dass ich in ‘ne Face-
tiven Drogenszene weitestgehend fern-       book-Gruppe reinkomme und beim Rewe
zuhalten, stammen die meisten seiner        am Dachau-Platz, weil die haben 1-Zim-
Freunde aus diesem Kontext.                 mer-Wohnungen. Die vermieten sie kalt
                                            für dreihundertirgendwas Euro und das
Freizeitgestaltung                          würd mir das Amt auch zahlen.“
„Zurzeit mache ich eigentlich gar nichts,   Andi braucht nur geringe finanzielle Mit-
so. Ich bin aber jetzt so weit, dass ich    tel, um seinen Lebensunterhalt zu be-
nicht mehr mit den ganzen Junkies von       streiten. Das nötige Geld für seine Unter-
früher abhänge.“                            nehmungen bekommt er, nach eigener
                                            Aussage, immer irgendwie zusammen.
Wünsche und Zukunftspläne                   „Wenn ich so draußen unterwegs bin,
Seine Zukunftswünsche ähneln denen          brauch ich eigentlich recht wenig Geld.
von anderen jungen Männern seines Al-       Hab zwischendrin mal den Donaustrudl
ters.                                       verkauft, das hat mir auch wieder n
„Eigentlich ne Familie und substi blei-     paar Euro eingebracht. Ich hab mich
ben. Und wenns halt gelingt, ne Arbeit.     auch schon zu den Leuten zum Schnor-
Etzert möchte ich erst mal in den nächs-    ren hingesetzt. Ich kann ja die Leute an-
ten paar Monaten meine Wohnung ha-          sprechen.“
ben und die gescheit einrichten.“
Um seine Ziele zu verwirklichen, möch-      Wohnungsnot in Regensburg
te er am liebsten eine Ausbildung zum       Andi nimmt es sichtlich mit, davon zu
Kfz-Mechatroniker absolvieren und sei-      erzählen, dass es in Regensburg so vie-
nen Führerschein wiedererlangen, wozu       le Obdachlose gibt. Er findet, dass in
er sich der dazu erforderlichen medi­       der Wohnungspolitik einiges verkehrt
zinisch-psychologischen Untersuchung        läuft und Veränderungen dringend nötig
unterziehen muss                            wären.
11

„Sie bauen dann auch immer wieder neue     Obwohl die Problemlagen der Befrag-
Häuser und die sind dann alle so teuer,    ten unterschiedlich waren, ließ sich je-
dass sie sich keiner leisten kann. Dann    doch übereinstimmend zeigen, dass der
stehen sie wieder Monate lang leer…oder    Wunsch nach einer eigenen Wohnung bei
es gibt ja so viele leerstehende Häuser,   allen eine sehr hohe Priorität hat. Eine
wenn sie die einfach renovieren würden     Wohnung als sichere Basis für weitere
anstatt gleich neue Häuser zu bauen.“      Aktivitäten, als Rückzugsort, oft als Vor-
                                           aussetzung, um eine Anstellung in ein Ar-
Bewertung der Hilfsangebote                beitsverhältnis zu erhalten, als Raum für
Das Hilfsangebot in Regensburg findet      eigenen kreativen Ausdruck. Diese Auf-
er insgesamt recht gut. Zum Beispiel       zählung ließe sich noch um einige Punk-
nimmt er regelmäßig an den Frühstücks-     te erweitern und macht auf diese Weise
treffen von Streetworker Ben Peter sowie   deutlich, wie wichtig die Deckung die-
von „Sofa“ teil. Besonders gerne ist er    ses Grundbedürfnisses ist. Aus diesem
aber im DrugStop.                          Grund lohnt es sich auch, auf verschiede-
„In der Wechselwelt [Umsonstladen] sel-    nen Ebenen und mit verschieden Mitteln
ber schau ich durch wegen Klamotten.       immer wieder darauf hinzuweisen, um so
Im DrugStop bin ich auch so unter der      vielleicht Schritt für Schritt eine Verbesse-
Woche und Mittagessen kostet da ja bloß    rung der aktuellen Lage für bezahlbaren
nen Euro und Kaffee gibt‘s den ganzen      Wohnraum zu erreichen.
Tag umsonst und die Leute sind auch
super freundlich.“

Beziehungen und Freizeitgestaltung
„Im Bayerischen Wald war ich vor kur-
zem. Da hab ich einen kennengelernt,
auch beim Feiern gehen. Der hat ne
eigene Drechsel-Werkstatt. Da haben
wir schon Schalen gedrechselt ausm
Nussbaum.“
Andi hat einen großen Freundeskreis,
den er hauptsächlich beim Weggehen
kennengelernt hat. Er fotografiert in
seiner Freizeit leidenschaftlich gerne
Naturobjekte, welche er dann teilweise
digital verfremdet oder zu Collagen zu-
sammenfügt. Unterstützung erhält er
dabei von DrugStop, wo ihm auch sei-
ne erste Ausstellung im Kontaktladen
ermöglicht wurde.
12    WOHNUNGSLOSIGKEIT IN REGENSBURG

 Wohnungslose Frauen
 BIANCA WEIßMANN

B
        eim Thema „Wohnungslosigkeit“        Während Männer auch mal die Jahninsel
        und „Obdachlosigkeit“ denkt man      als Schlafplatz nutzen, versuchen woh-
        wahrscheinlich an männliche Be-      nungslose Frauen häufig eine privatere
        troffene. Frauen kommen einem        Unterkunft zu finden. Neben spezifische-
 zunächst nicht in den Sinn, obwohl sie      ren Angeboten wie den Frauenhäusern,
 von fehlendem Wohnraum und dem Le-          können sie auch beispielsweise in der
 ben auf der Straße ebenso betroffen sind.   Obdachlosenunterkunft in Regensburg
 Doch weshalb ist dies so?                   eine Bleibe auf Zeit bekommen. Dennoch
 Hintergrund ist die Form der Wohnungs-      lassen sie sich aus Not auch auf das Un-
 losigkeit. Frauen bemühen sich, ihre Not-   terkommen bei Zweckbekanntschaften
 lagen so gut es geht zu verbergen und       oder Zweckpartnern ein, trotz der damit
 die entstandene Wohnungslosigkeit ver-      verbundenen Risiken wie sexuelle Aus-
 deckt zu leben. Familie, Freunde, Bekann-   beutung, Nötigungen, Gewalt oder Ab-
 te kommen als vorübergehender Unter-        hängigkeitsverhältnissen, um so lange
 schlupf häufig in Frage.                    wie möglich gesellschaftlich und institu-
                                             tionell unauffällig zu bleiben sowie eine
                                             Stigmatisierung und Etikettierung zu ver-
                                             meiden.
 Beziehungen sind                            Neben typischen Ausgangsituationen
eine wichtige Funktion                       wie Kündigung und Zwangsräumung der
                                             Wohnung, Schulden, Verlust des Arbeits-
der Überlebenshilfe für                      platzes, Haftstrafen und anderen Schick-
Frauen auf der Straße.                       salsschlägen wie der Tod einer naheste-
                                             henden Person, sind Gewalterfahrungen
                                             ein spezifischer Grund, der Frauen in die
 Um zu diesem Thema nähere, fachkun-         Wohnungslosigkeit führen kann. Charak-
 dige Informationen einzuholen, erklärte     teristisch dabei sei, laut dem Streetwor-
 sich Ben Peter, der Streetworker der Ca-    ker, dass sich die Frau meist in der Rolle
 ritas in Regensburg bereit, ein Interview   sieht, die Familie zusammenhalten zu
 zu geben. Seine wichtigsten Aussagen        müssen und sich aufgrund dessen erst
 werden hier wiedergegeben:                  spät entscheidet wegzugehen, obwohl
 „Beziehungen sind eine wichtige Funktion    ihr bereits mehrfach Gewalt widerfahren
 der Überlebenshilfe für Frauen auf der      ist. Auch der Verlust eines Kindes durch
 Straße.“                                    das Eingreifen des Jugendamtes kann die
13

    Mutter in die Wohnungslosigkeit führen. der Streetworker Ben Peter.
    „Der tägliche Kampf und der permanente  Wie müsste ein Angebot aussehen, das
    Stress, einen Schlafplatz zu finden und auch auf der Straße lebende Frauen an-
    seinen Lebensunterhalt zu finanzieren,  spricht? Zuerst liegt die Priorität darin,
    zuzusehen, dass man nicht beraubt oder  jemandem ein Dach über den Kopf zu
    verprügelt wird, führt dazu, dass man zugeben. Dadurch schafft man die Voraus-
    Substanzen greift und bei andauerndem   setzung für eine Arbeit und damit neue
    Konsum in die Abhängigkeit rutscht“, so Perspektiven. Es ist wichtig, etwas anzu-
                                                    bieten, wie beispielsweise erste
                                                    Hilfe in Form von ärztlicher Be-
                                                    handlung und eine Möglichkeit,
                                                    der Körperhygiene nachzugehen.
                                                    „Anfangs muss man vor allem
                                                    Vertrauen schaffen, da manche
                                                    so isoliert leben, dass sie erstmal
                                                    genügend Zeit brauchen, um den
                                                    Kontakt anzunehmen. Sie müs-
                                                    sen wie Menschen behandelt wer-
                                                    den“, so Ben Peter.
                                                    Wenn man davon ausgeht, dass
                                                    ein psychisches oder ein Sucht-
                                                    problem vorliegt, ist es wichtig,
                                                    das Angebot so niedrigschwellig
                                                    und fürsorglich wie möglich zu
                                                    gestalten. Dabei fängt die Arbeit
                                                    bereits in den Notunterkünften
                                                    an. Betroffene sollten nicht hin-
                                                    kommen um dort nur zu über-
                                                    nachten, sondern ankommen,
                                                    sich wohlfühlen und die Möglich-
                                                    keit erhalten, sich mehr zu öff-
                                                    nen. Darauf aufbauend sollte die
                                                    Klientin passende Unterstützung
                                                    und Vermittlung erhalten. Man
                                                    muss die Personen motivieren
                                                    und benötigt genügend Personal
                                                    und eine angemessene Finanzie-
                                                    rung der Stadt, um entsprechende
  Frauenzimmer Notunterkunft Taunusstraße           Hilfe anbieten zu können.
Foto: Amt für Soziales der Stadt Regensburg
14      WOHNUNGSLOSIGKEIT IN REGENSBURG

Interview mit einer Betroffenen
KRISTINA MÜLLER

A
          n einem Dienstag im Mai stellte     Freund untergekommen, es kam jedoch
          uns Streetworker Ben Peter eine     zur Trennung. Derzeit wohnt sie bei ei-
          Frau vor, die derzeit wohnungs-     nem Bekannten. Das Zusammenwohnen
          los ist und sich häufig im Be-      funktioniert gut, Lisa versucht im Haus-
reich der Albertstraße aufhält. Wir führten   halt mitzuhelfen so gut sie kann.
das Interview im Bereich der Grünfläche       „Aber ich weiß, er will mehr von mir als
zwischen den Bushaltestellen Albertstra-      nur Freundschaft. Das belastet mich sehr.“
ße und dem Bahnhofsgelände. Wir setz-
ten uns mit ihr ein bisschen abseits der      Lisa ist auf Wohnungssuche. Von Vermie-
anderen auf den Boden der Grünfläche.         tern bekommt sie jedoch nur Absagen,
Sie hatte ihren Hund dabei und erzählte       sobald diese erfahren, dass sie Geld vom
uns von sich.                                 Jobcenter bezieht. Die Wohnungssuche
                                              wird durch ihren Hund erschwert. Er ist
Wohnungssituation                             für sie von großer Bedeutung, jedoch für
Lisa* hat viele Jahre in einer Wohnung        die Vermieter ein weiterer Hinderungs-
gelebt. Dann musste sie wegen meh-            grund für die Zusage einer Wohnung.
rerer kleiner Delikte in Haft. Sie spricht    „Ohne meinen Hund würde ich keinen
davon, ein paar Dinge geklaut zu haben.       Sinn mehr sehen weiter zu machen.“
Ihre Wohnung wurde vor Haftantritt, ver-      Hilfe erhält Lisa vom Streetworker, denn
mutlich wegen Mietschulden, zwangs-           er begleitet sie bei Behördengängen und
geräumt. Nach der Haft ist sie bei ihrem      bei Wohnungsbesichtigungen. Insgesamt
                                              fühlt sie sich jedoch bei der Wohnungs-
* Name von der Redaktion geändert.            suche im Stich gelassen.
15

„Ich weiß nicht, wohin ich mich noch wen-
den soll, um Hilfe zu bekommen.“                   Irgendwann wurde mir
Ein Unterkommen in der Notunterkunft
in der Taunusstraße kommt für sie nicht
                                                  Heroin angeboten. Es
in Frage. Zu streng seien die Regeln vor          gefiel mir auf Anhieb.
Ort in Bezug auf Alkohol und ihren Hund.
Lisa hat Angst davor, erneut inhaftiert zu
werden, unter Tränen sagt sie:                 „Ich hatte in Haft mehrmals eine Überdo-
„Die Haft hat mein Leben kaputt gemacht,       sis. Fast hätte ich das nicht überlebt.“
mich kaputt gemacht.“                          Erst bei der Entlassung hat man sie wie-
                                               der in das Methadonprogramm aufge-
Finanzielle Situation                          nommen. Derzeit konsumiert sie seit
Derzeit bezieht Lisa Arbeitslosengeld II.      mehreren Monaten keine weiteren illega-
Sie sagt, sie hat nicht mehr als ein paar      len Substanzen.
Jahre in ihrem Leben arbeiten können. Sie
bekommt auch keine Jobvorschläge, weil         Albertstraße
sie durch ihre Suchterkrankung nicht ar-       Jeden Morgen holt Lisa den Ersatzstoff vom
beitsfähig ist. Nach der Haft bekam Lisa fi-   Arzt, kauft sich Alkohol und geht dann zur
nanzielle Unterstützung von Kontakt e.V.,      Albertstraße. Dort herrscht jedoch auf den
einem Verein zur Wiedereingliederung           Grünflächen zwischen Bahnhof und Halte-
von Menschen nach einem Strafvollzug.          stelle Albertstraße ein Alkoholverbot.
„Manchmal schäme ich mich dafür, Geld          „Die Polizei kontrolliert täglich, das kostet
zu bekommen ohne dafür zu arbeiten.            dann so 25 Euro, wenn man dagegen ver-
Manche Rentner bekommen weniger Geld           stößt.“
als ich und haben ihr ganzes Leben lang          Auch während des Interviews kamen
gearbeitet.“                                   mehrere Polizisten in den Bereich, um
                                               die anwesenden Personen zu kontrollie-
Sucht                                          ren. Die Kontrolle verlief problemlos. Lisa
Bereits früh hat Lisa angefangen mit ih-       trifft sich dort, weil sie keinen anderen
ren Freunden verschiedene Drogen zu            Platz hat, um sich mit ihren Bekannten
konsumieren.                                   zu treffen. Vor allem im Winter oder bei
„Irgendwann wurde mir Heroin angebo-           schlechtem Wetter weiß sie nicht, wohin
ten. Es gefiel mir auf Anhieb.“                sie gehen soll. Zu sich in die Wohnung
Seit einigen Jahren bekommt sie vom Arzt       mitnehmen wolle sie die anderen nie,
den Ersatzstoff Methadon. Während der          denn man vertraut sich nicht. Fast alle
Haft wurde die Vergabe des Ersatzstoffes       ihre Bekannten sind drogenabhängig,
jedoch nicht weitergeführt. Sie dosierte       dazu kommt noch Alkohol.
sich kurz vor Haftantritt von Methadon ab      „Es kommt schon vor, dass man von den
und konsumierte während der Haftstrafe         anderen beklaut wird, wahre Freund-
wieder Heroin.                                 schaften gibt es hier nicht.“
16      WOHNUNGSLOSIGKEIT IN REGENSBURG

Junge Menschen ohne Wohnung
STEFANIE KOCH, ANJA BARTENSCHLAGER, VERONIKA RAINER

D
         ie Schwierigkeiten bei der Woh-        Hans
         nungssuche betreffen auch jun-         ist 30, hat einen Job in Aussicht als An-
         ge Menschen, die sich noch in          gestellter bei der Stadt Regensburg und
         Ausbildung bzw. Studium befin-         wohnt derzeit in Augsburg bei einem
den oder gerade den ersten Schritt in ein       Freund. Dort hat er ein eigenes Zimmer
eigenständiges Berufsleben wagen wol-           und zahlt einen Teil der Miete mit. Nach
len. Um die Problemlagen dieser Perso-          Regensburg ist er fast zwei Stunden mit
nengruppe zu beleuchten, haben wir fünf         dem Auto unterwegs. Er ist genervt von
junge Menschen in unterschiedlichen Si-         der Wohnungssuche und fühlt sich unge-
tuationen befragt, die von der aktuellen        recht behandelt. Bis jetzt ist er mit Hil-
Wohnungssituation in Regensburg be-             fe von verschiedenen Portalen wie dem
troffen waren oder es immer noch sind.          Wohnungsamt, Immowelt, Immobilien-
                                                scout und anderen seit sieben Monaten
Peter*                                          auf der Suche nach einer Wohnung. Bei
ist 20 und studiert Bauingenieurwesen           seinem skurrilsten Angebot bekam er
im 4. Semester. Er hat sich von einer           einen Mietvertrag von 15 Seiten, der die
Unterkunft in München aus auf die Suche         Kernsanierung auf Kosten des Mieters be-
nach einer Wohnung begeben. Sein Weg            inhaltete.
zur Hochschule war somit ca. eineinhalb
Stunden Autofahrt von Regensburg ent-           Tim
fernt. Während der Wohnungssuche fühl-          ist 27 und beginnt in eineinhalb Monaten
te er sich durchweg gestresst, aber er          eine Ausbildung zum CNC- Programmie-
hatte auch Glück. Zwischenzeitlich ist er       rer in Regensburg. Während der Woh-
bei mehreren Freunden untergekommen             nungssuche wohnte er noch bei seinen
und in einem Hostel. Nach eineinhalb            Eltern im Cham, ungefähr eine Stunde
Monaten fand er schließlich eine Wohn-          Autofahrt von Regensburg entfernt. Er
gemeinschaft, in der er sich wohlfühlt.         ist seit fünf Monaten auf der Suche nach
Seine Suche verlief über die Internetseite      einer Wohnung. Übergangsweise ist er
WG-gesucht. Er empfand es als Fehler,           für ein paar Monate in der Wohnung ei-
nur auf einer Plattform zu suchen. Zu Be-       nes Freundes untergekommen, als die-
ginn der Wohnungssuche wollte er gern           ser zeitweise nicht dort wohnte. Da Tim
in einer Wohnung in der Innenstadt leben.       lediglich einen Platz zum Wohnen sucht,
Dieses Suchkriterium musste er jedoch           reicht ihm ein Zimmer mit einer niedrigen
verwerfen und schließlich auch nach Woh-        Miete. Im Verlauf der Suche musste er sei-
nungen außerhalb des Zentrums suchen.           ne preisliche Vorstellung jedoch überden-

* Sämtliche Namen in diesem Beitrag geändert.
17

                                         dauschjohann@ya...
                                         Posteingang

     Sie haben eine neue Nachricht.
                    von Herr Patrick Flierl

    Sehr geehrte/r Interessent/in,
    herzlichen Dank für Ihre e-Mail und Ihr
    Interesse an diesem schönen 1-Zimmer-
                                                               Universität. Für die Suche be-
    Apartment in Regensburg.
    Da wir innerhalb weniger Tage über 150
                                                               nutzte sie verschiedene In-
    Bewerbungen für diese Wohnung bekommen                     ternetseiten, Facebook-Grup-
    haben, konnten wir leider nicht alle zu einem              pen, sowie Aushänge in der
    Besichtigungstermin einladen und deshalb                   Universität. Da die Miete für
    mussten wir eine gewisse Vorauswahl mit den                Sophie jedoch zu teuer ist,
    von Ihnen angegebenen Daten treffen.                       begibt sie sich derzeit wieder
    Leider muss ich Ihnen nun mitteilen, dass wir              auf Wohnungssuche. Auch
    einen passenden Bewerber für diese Wohnung
                                                               sie musste ihre preislichen
    gefunden haben.
                                                               Vorstellungen während der
    Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Glück und
                                                               Wohnungssuche überdenken
    Erfolg bei der Wohnungssuche und hoffe, dass
                                                               und Angebote über ihrem
    Sie bald eine passende Wohnung finden.
    Mit freundlichem Gruß                                      Budget in Betracht ziehen.
    Patrik Flierl
                                                               Sara
                                                                ist 21 und studiert Soziale
                                                                Arbeit im 3. Semester. Wäh-
                                                                rend der Wohnungssuche lag
                                                                ihre Unterkunft in der Nähe
ken und auch Wohnungen über seinem                  von Memmingen im Allgäu, ca. zweiein-
Budget in Betracht ziehen. Sein skurrils-           halb Stunden Autofahrt von Regensburg
tes Angebot kam von einem Mann, der                 entfernt. Auch sie hat Schwierigkeiten
ihm eindeutige sexuelle Handlungen als              damit, sich in Regensburg wohl zu füh-
Gegenleistung vorschlug.                            len. Zwischenzeitlich hat sie zunächst
                                                    bei einer Klassenkameradin übernachtet,
Sophie                                              dann einen Monat zur Zwischenmiete in
ist 21 und studiert Jura im 2. Se­mes­ter           einer WG und schließlich bei einer Mit-
und wohnte in München, ca. eineinhalb               studentin auf der Couch im deren Wohn-
Stunden Autofahrt von Regensburg ent-               zimmer. Sie war viereinhalb Monate auf
fernt. Sie fühlt sich nicht wohl in Re-             Wohnungssuche mit Hilfe der Internet-
gensburg und kann die vielen neuen                  seite „WG-gesucht“ und verschiedenen
Eindrücke durch den Stress der Woh-                 Bekannten und hat schließlich eine WG
nungssuche nicht verarbeiten. Schließ-              gefunden. Auch sie ist jedoch wieder auf
lich fand sie nach dreieinhalb Monaten              Wohnungssuche, da sie mit der aktuel-
eine Wohngemeinschaft in der Nähe der               len Wohngemeinschaft unzufrieden ist.
18     WOHNUNGSLOSIGKEIT IN REGENSBURG

 Dauer der Wohnungssuche                  Anzahl
                                          der besichtigten Wohnungen
     Peter 1,5 Monate
     Hans: bisher 7 Monate                 Peter: 10
     Tim: bisher 5 Monate                  Hans: 15
     Sophie: 3,5 Monate                    Tim: keine Angabe
     Sara: 4,5 Monate                      Sophie: 7 – 8 Wohnungen,
                                           20 WG-Zimmer
                                           Sara: 6

 Gefühle
 während der Wohnungssuche
                                          Veränderung der Suchkriterien
     Peter: Stress, Glück
     Hans: genervt                         Peter: Außerhalb des Zentrum
     Tim: keine Angaben                    Hans: höhere Miete
     Sophie: Unwohlsein und Stress         Tim: keine Angabe
     Sara: fühlt sich meist als Gast       Sophie: höhere Miete
                                           Sara: keine Veränderung

 Unterkunft
 während der Wohnungssuche                Aktuelle Wohnsituation

     Peter: Hostel, Eltern eines Freun-    Peter: 3er WG im Kasernenviertel
     des, WG eines Freundes                Hans: Augsburg bei einem Freund
     Hans: in einer anderen Stadt          Tim: Cham bei Eltern
     Tim: halbes Jahr bei einem Freund     Sophie: 2er WG in Uninähe
     Sophie: keine Angabe                  Sara: WG in Kumpfmühl
     Sara: WG-Zimmer einer Freundin,
     eigenes WG- Zimmer, Schlafcouch
     in einem Wohnzimmer
                                          Tipps bei der Wohnungssuche

                                           Peter: Abheben von der Masse
 Pendelzeit mit dem Auto                   beim Vorstellen
 (eine Strecke)                            Hans: keine Angaben
                                           Tim: außergewöhnlich sein
     Peter: 1,5 Std. (nähe MUC)            Sophie: Dranbleiben, im Bekann-
     Hans: 1,75 Std. (Augsburg)            tenkreis umhören, früher mit der
     Tim: 1 Std. (Cham)                    Suche beginnen
     Sophie: 1,5 Std. (MUC)                Sara: Freunden Bescheid geben,
     Sara: 2,5 Std. (nähe Memmingen)       nicht verrückt machen lassen
19

Die Albertstraße
KONSTANTIN SCHMID

D
        ie Albertstraße gilt für viele Be-   Hierzu gab es vier Antwortmöglichkei-
        wohner*innen der Stadt Regens-       ten: gar nicht, weniger, mehr oder
        burg als sozialer Brennpunkt,          sehr.
        da sich dort häufig obdachlose
und drogenabhängige Menschen aufhal-         Die Antworten zeigen, dass sich der
ten. Um herauszufinden, wie das Areal        Großteil der Passanten in der Albertstra-
um die Albertstraße von Passant*innen        ße weniger bzw. gar nicht wohl fühlt.
wahrgenommen wird, wurden dort tags-
über zu unterschiedlichen Tageszeiten        Auch die Abfrage zu verschiedenen Tages-
insgesamt 50 Personen befragt.               zeit zeigt, dass diese Einschätzung über
                                             den gesamten Tag gegeben ist, wobei sich
Die erste Frage lautete: Wie wohl fühlen     zumindest vormittags eine etwas größere
Sie sich in der Albertstraße?                Gruppe der Befragten dort wohl fühlt.

                               Antworten insgesamt

                                    sehr
                                     8%          gar nicht
                                                   18%

                        mehr
                        20%

                                       weniger
                                        54%
20        WOHNUNGSLOSIGKEIT IN REGENSBURG

                                                      grund verunsichert.
Es wurde auch gefragt, durch was oder                 Auch hier wird nochmals deutlich, dass
wen sich die Passanten in der Albert-                 das Gefühl der Sicherheit vormittags und
straße verunsichert fühlen.                           mittags am stärksten ausgeprägt ist.
                                                      Abends nimmt das Gefühl der Sicherheit
Zu dieser Frage gab es folgende Antwort-              deutlich ab. Dann fühlen sich die meisten
möglichkeiten:                                        Befragten durch Bettler und obdachlose
  Unübersichtlichkeit der Anlage                      Menschen verunsichert.
  Polizeipräsenz
  Bettler                                             Hier stellt sich die Frage, ob sich abends
  Obdachlose Menschen                                 mehr obdachlose und bettelnde Men-
  Menschen mit Migrationshintergrund                  schen im Areal um die Albertstraße auf-
  Ich fühle mich durch nichts verun­                  halten als zu anderen Tageszeiten. Ein
  sichert.                                            anderer Grund für dieses Ergebnis könn-
Hier war es möglich, mehrere Antworten                te aber auch sein, dass abends die Wahr-
anzugeben.                                            nehmung der Passanten eine andere ist.
                                                      Um hier Klarheit zu gewinnen, müsste
Hier wird deutlich, dass sich über die                man allerdings untersuchen, wie viele
Hälfte der Befragten durch Bettler und ob-            obdachlose und bettelnde Menschen sich
dachlose Menschen verunsichert fühlen.                tatsächlich in der Albertstraße aufhalten.
Zudem fühlen sich 50 % der Befragten                  Dies konnte im Rahmen dieser Projekt-
durch Menschen mit Migrationshinter-                  arbeit nicht geleistet werden.

                                          Antworten insgesamt

60

50

40

30

20
                                              27           27             25
10
            16
                               5                                                          7
 0
     Unübersichtlichkeit Polizeipräsenz     Bettler     Obdachlose   Menschen mit   Ich fühle mich
        der Anlage                                       Menschen     Migrations-    durch nichts
                                                                      hintergrund    verunsichert
21

Die SEEWOLF-Studie:
Seelische Erkrankungsrate
in Einrichtungen der Wohnungs­
losenhilfe im Großraum München
LUISA-MARIA NEUMANN

Was wurde untersucht?                       mit der aktuellen Wohnsituation in den

D
          ie SEEWOLF-Studie untersuch-      Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe in
          te den psychischen und kör-       München.
          perlichen Gesundheitszustand      Durch die SEEWOLF-Studie sollte auf den
          von wohnungslosen Personen,       Unterstützungsbedarf wohnungsloser
die sich im Erhebungszeitraum 2010          Men­schen aufmerksam gemacht werden.
bis 2012 in den Einrichtungen der Woh-      Es sollte herausgefunden werden, inwie-
nungslosenhilfe in München aufgehalten      weit die aktuelle Versorgung den Bedürf-
haben.                                      nissen der Wohnungslosen gerecht wird
Die Studie untersuchte Häufigkeit, Art      und welche Änderungen des Hilfesystems
und Ausmaß psychischer und körper-          angestrebt werden sollten, um diese für
licher Erkrankungen sowie die kognitive     wohnungslose und obdachlose Personen
Leistungsfähigkeit der Wohnungslosen.       zu verbessern.
Neben einer körperlichen und einer psy-
chologischen Untersuchung gaben die Be-     Wer wurde untersucht?
fragten Auskunft über ihre Herkunft, Fa-    Insgesamt haben 232 Personen aus ver-
milie, schulische und berufliche Bildung,   schiedenen Einrichtungs- bzw. Unter-
Ursachen und Verlauf der Wohnungslo-        bringungsarten (Betreute WGs, nied-
sigkeit, Krankheits- und Behandlungsvor-    rigschwellige Hilfen, Notunterkünfte,
geschichte sowie über die Zufriedenheit     Langzeithilfen, Reintegration, Hilfen nach
22       WOHNUNGSLOSIGKEIT IN REGENSBURG

SGB XII) an der Untersuchung teilgenom-                    überwiegen und höhere Abschlüsse eher
men. Von den 232 untersuchten Perso-                       selten vorkommen. Auch von Bildungs-
nen waren 48 weiblich und 184 männlich.                    abbrüchen sind wohnungslose Menschen
80 % der befragten Personen waren so-                      überdurchschnittlich häufig betroffen.
mit Männer. Das durchschnittliche Alter                    Der größte Teil (52 %) der Befragten lebte
lag bei 48 Jahren. Der deutliche geringe                   zum Zeitpunkt der Befragung von Sozial-
Frauenanteil unter Wohnungslosen liegt                     hilfe (SGB XII) oder befand sich bereits in
unter anderem daran, dass Frauen in                        Rente (18 %). Die restlichen Personen wa-
Zeiten von Not leichter bei Angehörigen,                   ren entweder arbeitssuchend (6,5 %) oder
Freunden oder Bekannten Unterschlupf                       arbeits- bzw. erwerbsunfähig (12 %). Nur
finden können.                                             ca. 12 % gaben an, aktuell erwerbstätig
                                                           zu sein oder sich noch in Ausbildung
                                                           bzw. im Studium zu befinden.
Die wichtigsten Ergebnisse:
                                                           Ursachen für Wohnungslosigkeit
Schulische Bildung und Arbeitssituation                    Die Befragten selbst gaben Geldman-
Wenn man die Ergebnisse der SEE-                           gel als die häufigste Ursache ihrer Woh-
WOLF-Studie mit der deutschen Allge-                       nungslosigkeit an, gefolgt von Trennung
meinbevölkerung vergleicht, zeigt sich,                    bzw. Tod eines Mitwohnenden sowie
dass in der Gruppe der Wohnungslosen                       eigener körperlicher oder psychischer Er-
die gering qualifizierten Schulabschlüsse                  krankung. Bei weniger als 10 % wurden

                                          Berufliche Situation

                      Berentet

               Erwerbsunfähig

               Arbeitssuchend
                                                                                              Männer
                Arbeitsunfähig
                                                                                              Frauen
                                                                                              Gesamt
Sozialhilfeempfänger (SGB XII)

          Ausbildung/Studium

                  Erwerbstätig

                                 0        20          40      60       80     100      120

Quelle: Jahn et al. 2016, S. 91; eigene Darstellung
23

                             Ursachen für die Wohnungslosigkeit
                                           Männer       Frauen           Gesamt

                                                                         12
                                            Sonstiges            5
                                                                              17
                                                                 4
Koppelung der Unterkun ft an verlorener Arbeitsstelle    0
                                                                 4
                                                                         11
                                                 Haft    0
                                                                         11
                                                                          14
                                    Wohnortwechsel           2
                                                                              16
                                                                                        28
                                           Krankheit                 9
                                                                                             37
                                                                              16
                        Kündigung durch Vermietung               4
                                                                                   20
                                                                                        28
                   Trennung/Tod v on Mitwohnenden                        12
                                                                                              40
                                                                                                   54
                                         Geldmangel                      11
                                                                                                        65

Quelle: Jahn et al. 2016, S. 107; eigene Darstellung

Kündigungen des Vermieters, Wohnort-                         schon an behandlungsbedürftigen psy-
wechsel, Koppelung der Unterkunft an                         chischen Beschwerden gelitten habe, ant-
die verlorene Arbeitsstelle sowie Haftan-                    worteten 86 % der Untersuchten mit „Ja“.
tritt als Grund für den Verlust der Unter-                   57 % aller Befragten gaben an bereits in
kunft genannt.                                               psychiatrischer Behandlung gewesen zu
                                                             sein, d.h. 30 % wurden trotz entsprechen-
                                                             der Beschwerden nicht therapeutisch be-
Krankheitsvorgeschichte                                      handelt.
Mehr als die Hälfte der Befragten wiesen
behandlungsbedürftige psychische Stö-                        Psychische Erkrankungen
rungen bereits vor der Wohnungslosig-                        Die SEEWOLF-Studie belegt, dass woh-
keit auf.                                                    nungslose Menschen häufig unter deut-
Während der Befragung gaben ca. 42 %                         lichen gesundheitlichen Beeinträchtigun-
an, schon in der Kindheit bzw. als Jugend-                   gen leiden. Bei 93 % wurde bereits einmal
licher psychisch auffällig gewesen zu                        im Leben eine psychische Erkrankung
sein. Zudem berichteten 13 % sich bereits                    diagnostiziert. Im letzten Monat vor der
als Kinder oder Jugendliche in psychiat-                     Befragung war dies bei 74 % der Fall. Dies
rischer Behandlung befunden zu haben.                        bedeutet einen hohen Betreuungs- und
Auf die Frage, wer im bisherigen Leben                       Behandlungsbedarf der Betroffenen und
24       WOHNUNGSLOSIGKEIT IN REGENSBURG

                                             Körperliche Erkrankungen
                                                      Gesamt       Frauen        Männer

       174
                  148

                                                                           64
                        51                                                           53
                                  38    39                                                                           43
                                                 32                                                                           34
             26                                          20
                             13                                    15           11         8 2 6      14       13         9
                                             7                 5                                           1

                                                                                                          e…

                                                                                                                       en
                                                            s

                                                                                            e
                              it
         m

                                          k

                                                                                 n
                                                         tu

                                                                                              s

                                                                                                       ar
                                                                               ge
                                         uc
                           ke
                u

                                                                                           lo

                                                                                                                     ng
                                                           li
             ns

                                                                                                    gb
                                             r

                                                                             un
                        ig

                                                                                            ku
                                                        el
                                          td

                                                                                                                      ku
                            b
          ko

                                                                                                       a
                                                                           nk
                                                       m

                                                                                          er
                                       lu
                         ei

                                                                                                   rtr

                                                                                                                    an
      ti n

                                                    es

                                                                                         b
                     ttl

                                      B

                                                                        ra

                                                                                                 be

                                                                                                                     r
                                                                                      Tu
                                   er

                                                  et
                   Fe
   ko

                                                                                                                  rk
                                                                     k

                                                                                              ll ü
                                                                  er
                                                ab
                                 h

                                                                                                               re
Ni

                              Ho

                                                                en
                                              Di

                                                                                                             be
                                                                                                  e
                                                                                               xu
                                                              ng

                                                                                                           Le
                                                                                            Se
                                                          Lu

Quelle: Jahn et al. 2016, S. 205 ff.; eigene Darstellung

stellt die Wohnungslosenhilfe vor eine                                   Fazit
große Herausforderung. Eine weitere                                      Die SEEWOLF-Studie hat gezeigt, dass im
Herausforderung besteht in der Sucht-                                    Vergleich zur Allgemeinbevölkerung bei
mittelabhängigkeit vieler wohnungslo-                                    der Gruppe der wohnungslosen Personen
sen Personen (v.a. Alkohol). Ca. 43 % der                                weitaus häufiger psychische und körper-
Befragten gaben an, dass sie im letzten                                  liche Beeinträchtigungen bzw. Erkrankun-
Monat suchtmittelabhängig waren, 73 %                                    gen vorliegen. Deshalb besteht die Auf-
waren dies jemals in ihrem Leben.                                        gabe, das Hilfesystem im Interesse der
                                                                         betroffenen Personen, besonders im Be-
Körperliche Erkrankungen                                                 reich der Diagnostik und im Umgang mit
Die SEEWOLF-Studie zeigt, dass körper-                                   psychischen Erkrankungen und Suchtmit-
liche Erkrankungen bei wohnungslosen                                     telerkrankungen, stetig zu verbessern,
Menschen sehr häufig sind. Bei der Unter-                                um diese Personen angemessen zu be-
suchung gaben fast zwei Drittel der Teil-                                handeln und zu fördern.
nehmerInnen mindestens eine gesund-
heitliche Beeinträchtigung an. Bei ca. 41 %                              Quelle:
                                                                         Thomas Jahn, Josef Bäuml, Monika Brönner, Barbara
wurde ein dringender Behandlungsbedarf                                   Baur, Gabriele Pitschel-Walz (Hrsg.): Die SEEWOLF-Stu-
festgestellt.                                                            die (2016), Lambertus Verlag, Freiburg
25

Sozialer Wohnungsbau
MILENA WITTMANN

D
          er Wohnungsmarkt wird von                 ren, welches wiederum durch die Gebur-
          marktwirtschaftlichen Faktoren,           tenrate und Migration beeinflusst wird.
          aber auch von politischen Ent-            Außerdem zieht es immer mehr Men-
          scheidungen und gesellschaftli-           schen auf der Suche nach Arbeit in grö-
chen Rahmenbedingungen bestimmt. Zu-                ßere Städte und deren Einzugsgebiete,
nächst lässt sich festhalten, dass in vielen        was zu steigenden Preisen geführt hat.
Regionen die Nachfrage nach Wohnraum                Zudem führt steigende Lebensqualität
das Angebot übersteigt, was zu enormen              und Wohlstand dazu, dass die Wohnflä-
Preissteigerungen geführt hat. Laut Stu-            che pro Kopf steigt, wodurch mehr Wohn-
dien besteht in Deutschland momentan                raum nötig ist.1
ein Defizit von einer Million Wohnungen,
welches besonders in Städten spürbar ist.                     Neben gesellschaftlichen Veränderungen
                                                                               haben auch politische
                                                                               Entscheidungen       zu
   Abbildung 1: Genehmigte und fertiggestellte Wohnungen von 1993 bis 2016
                 sowie die Entwicklung des Wohnungsdefizitsseit 2010           der aktuellen Situation
                                                                               beigetragen. Nachdem
       1.000 Wohnungen
  1000                                                                         der Immobilienmarkt
   900                                                                         lange Zeit entspannt
                                               Genehmigungen
   800                                         Fertigstellungen                war, geriet das Thema
                                               Wohnungsdef izit
   700
                                                                               mehr und mehr aus
   600
                                                                               dem Blick. Deutsch-
                                                                               landweit wurde durch
   500
                                                                               den Verkauf von kom-
   400
                                                                               munalem      Baugrund
   300
                                                                               die Kontrolle über die
   200
                                                                               Stadtentwicklung aus
   100
                                                                               der Hand gegeben und
     0
         1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016
                                                                               so die Grundstücks-
                                                                               spekulationen      vor-
 Quelle: Pestel-Institut e.V./Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V.,  angetrieben.    Zudem
 2018, S. 2
                                                                               wurde 1988 die Ge-
                                                                               meinnützigkeit inner-
Die steigende Nachfrage nach Wohnraum halb des Wohnungssektors abgeschafft,
lässt sich zum einen durch das Bevölke-
rungswachstum der letzten Jahre erklä- 1  Vgl. Dömer u.a., 2016, S. 12-15
26       WOHNUNGSLOSIGKEIT IN REGENSBURG

                    Abbildung 13: Entwicklung des Bestandes an Sozialmietwohnungen

                                    Mio. Sozialmietwohnungen
                                5

                                                                 Rückgang seit 2002: knapp 50 %

                                4
                                                         früheres Bundesgebiet
                                                         Deutschland
                                3

                                2

                                1

                                0
                                     1987         2002          2007   2008      2009   2010   2011   2012   2013   2014   2015   2016

                    Quellen: Statistisches Bundesamt; Bundestagsdrucksache 18/13054

                 Quelle: Pestel-Institut e.V./Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V.,
                 2018, S. 16

wodurch dieser zunehmend privatisiert                                   zialwohnungen nur an Wohnungssuchen-
wurde. Außerdem wurde durch die Föde-                                   de mit einem Wohnberechtigungsschein
ralismusreform, die 2006 in Kraft trat, die                             vermietet werden.
Verantwortung über die Wohnungsbau-                                     In den vergangenen Jahren kam es zu
politik an Länder und Kommunen über-                                    einem großen Rückgang von Sozialwoh-
tragen. Dadurch verlor das Thema Woh-                                   nungen, da neben einem geringen Neu-
nungsbau weiter an Aufmerksamkeit.2                                     bau bestehende Sozialwohnungen aus
                                                                        der Bindung herausgefallen sind. Laut
Jedoch ist das Thema seit einigen Jahren                                einer Studie des Pestel-Instituts sind ak-
wieder zunehmend relevant. Zur Verbes-                                  tuell noch 1,5 Millionen Sozialwohnun-
serung der Wohnraumversorgung wurden                                    gen vorhanden, während es 1980 noch 4
verschiedene Förderinstrumente einge-                                   Millionen waren.
führt. Zunächst wird unterschieden zwi-
                                                                        Literatur:
schen Subjektförderung, also der finan-                                 Dömer, Klaus/Drexler, Hans/Schultz-Granberg, 2016,
ziellen Unterstützung von Mieter*innen                                  Bezahlbar. Gut. Wohnen: Strategien für erschwing-
                                                                        lichen Wohnraum, Berlin: Jovis
(Wohngeld), und der Objektförderung,
                                                                        Kleefisch-Jobst, Ursula/Köddermann, Peter/Jung,
bei der die staatliche Förderung in Wohn-                               Karen (Hrsg.), 2017, Alle wollen wohnen: Gerecht.
immobilien fließt. Indem Bauherren also                                 Sozial. Bezahlbar, Berlin: Jovis
                                                                        Pestel-Institut e.V./Arbeitsgemeinschaft für zeit-
Subventionen erhalten, verpflichten sie
                                                                        gemäßes Bauen e.V., 2018, Das Baujahr 2018 im
sich, bestimmte Auflagen zu erfüllen.                                   Fakten-Check, Hannover, online unter:
Neben einer Mietpreisbindung dürfen So-                                 https://www.impulse-fuer-den-wohnungsbau.de/
                                                                        fileadmin/images/Wohnungsbautag/2018/Das_Bau-
2  vgl. Kleefisch-Jobst u.a. 2017: 16 f.                                jahr_2018_im_Fakten-Check_20180214.pdf
27

Entwicklung des sozialen
Wohnungsbaus in Regensburg
von 2010 bis heute
TOBIAS MEHRBREY

2010

A
         usgangspunkt für die folgende            „Im Ergebnis führt diese Regelung bei ei-
         Analyse der Wohnbaupolitik in            nem Gesamtinvestitionsvolumen für 150
         Regensburg ist eine Beschluss-           WE à 90 m² in einer guten Wohnlage zu
         vorlage des Stadtrates vom               einem Ablösebetrag von 23 WE x 24.300
18.5.20101. Hier wird beschrieben, dass           € = 558.900 € [entspricht in diesem Bei-
ein Rückgang des sozialen Wohnungs-               spiel 15 %]. In einer mittleren Wohnlage
baus spürbar sei und dass in Regensburg           ergäbe sich folgendes Ergebnis: 23 WE x
der Bestand der gebundenen Wohnungen              10.800 € = 248.400 €.“ (Beschlussvorla-
seit 1990 von 9.747 auf 5.761 im Jahr             ge, S. 7)
2008 schrumpfte.
                                                  Da 2010 der durchschnittliche Preis je
Die am 10.5.2010 vorgenommenen Än-                Quadratmeter bei ca. 2.700,- € lag2, war
derungen im Regensburger Modell Woh-              eine Wohnung mit 90 Quadratmetern
nen II, das seit dem 6. März 2007 in Kraft        durchschnittlich 243.00,- € wert. Bei be-
ist, bedeuten, dass die geförderten Woh-          reits drei von 23 verkauften Wohnungen
nungen nicht mehr in einer bestimmten             konnte der Ablösebetrag erwirtschaf-
Anzahl gebaut werden müssen, sondern              tet werden. Die anderen 20 Wohnungen
an 15 % der Fläche des Bebauungsplanes            stünden dann ohne Preisbindung zur Ka-
gemessen werden. Damit sollte gewähr-             pitalbildung zur Verfügung.
leistet werden, dass genügend Wohn-               In der Beschlussvorlage des Stadtrats wird
raum zur Verfügung gestellt wird.                 weiter beschrieben, dass die geförderten
Bei Bruttobebauungsflächen von 4.500              Wohnungen einkommensorientiert (EOF)
bis 15.500 qm kann sich der Bauträger             gefördert werden, um die Interessen der
jedoch weiterhin durch eine Ablöse von            Investoren zu wahren. Das bedeutet, dass
der Baupflicht für geförderten Wohnbau            klassische Sozialwohnungen nicht mehr
befreien.                                         gebaut werden.
1 Beschlussvorlage, Amt für Stadtentwicklung,     2 Immobilienreport der Sparkasse 2015, S.45, online
Planungs- und Baureferentin Schimpfermann, Ver-   verfügbar: https://www.sparkasse-regensburg.de/
besserung der Wohnraumversorgung einkommens-      content/dam/myif/spk-regensburg/work/dokumen-
schwacher Haushalte, VO/09/5098/66                te/pdf/allgemein/Immobilienreport.pdf
28      WOHNUNGSLOSIGKEIT IN REGENSBURG

     FÖRDERUNGSMODELLE

     Objektförderung (klassische Sozialwohnungen)
     Die Objektförderung bedeutet, dass Investoren ein staatliches Darlehen be-
     antragen können, um ihr Bauvorhaben zu finanzieren. Als Gegenleistung
     werden Wohnungen zu niedrigen Preisen an Bedarfshaushalte (Haushalte mit
     niedrigen Einkommen) vermietet. Hierzu wird der Wohnberechtigungsschein
     benötigt.

     Subjektförderung
     Je nach Einkommen können Mieter bei der Kommune Zuschüsse zur Miete
     beantragen (Wohngeld).

     Einkommensorientierte Förderung (EOF)
     Bauträger werden für die EOF-geförderten Wohnungen mit günstigen Darle-
     hen unterstützt, müssen sich aber bei diesen Wohnungen an die ortsübliche
     Durchschnittsmiete binden. Dazu werden die Mieter je nach Einkommen in
     Stufen eingeteilt. Die Finanzierungen werden aus staatlichen Mitteln ermög-
     licht und von den Bezirken vergeben3. Die Einkommensstufen sind von den
     jeweiligen Kommunen abhängig.
     Die EOF-Wohnungen werden in drei Stufen eingeteilt. Stufe I und II entspre-
     chen etwa einem Einkommen, das zum Bezug einer Sozialwohnung berech-
     tigt, Einkommensstufe III wäre mit einem Wohngeldzuschuss vergleichbar.4

2011
Im Jahr 2011 wurde der „Bericht zur so-                burg veröffentlicht, auf den im Folgenden
zialen Lage 2011“5 von der Stadt Regens-               Bezug genommen wird. Der Bericht be-
                                                       schäftigt sich mit der sozialen Teilhabe
3 Die aktuellste Stufeneinordnung vom 1. Mai 2018      und Gerechtigkeit der gesamten Regens-
ist unter folgendem Direktlink zu finden: https://     burger Bevölkerung. Hier soll hauptsäch-
www.regensburg.de/fm/121/zwischenbericht-wohn-
                                                       lich auf die Wohn- und Einkommensver-
bauoffensive.pdf (S.6)
                                                       hältnisse eingegangen werden. Das zur
4 Genauere und weiterführende Informationen zur
Berechnung: https://www.regierung.oberbayern.
                                                       Verfügung stehende Einkommen der
bayern.de/imperia/md/content/regob/internet/doku-      Regensburger*innen steht im direkten
mente/bereich3/staedtebaufoerderung/wohnenfoer-        Zusammenhang mit den Mietpreisen der
dernfinanzieren/a._infoblatt_eof.pdf 
                                                       Stadt. Wie viel Geld hat die Bevölkerung
5 Bericht der sozialen Lage 2011 – Regensburg plant    denn zur Verfügung, um den benötigten
& baut; Herausgeber: Planungs- & Baureferat, Amt für
Stadtentwicklung; Verantwortlich: Anton Sedlmeier;     Wohnraum zu finanzieren? Das Ergebnis
Jahr: Juni 2011 	                                      bezieht sich auf den Zeitraum von 1998
29

bis 2004: Die unteren Einkommensklas-             Die Änderungen beinhalten im Wesent-
sen nehmen immer mehr zu, das heißt               lichen, dass bei einer Bruttogrundfläche
immer mehr Menschen verdienen weni-               ab 4.500 qm der geförderte Wohnbau
ger Geld. Im Gegensatz dazu steht 1-2             nicht mehr 15 %, sondern 20 % betragen
% der Menschen in der oberen Einkom-              muss. Ebenso ist kein Freikauf mehr von
mensklasse 15 % des gesamterwirtschaf-            dieser Pflicht möglich. Bereits genehmig-
teten Geldes zur Verfügung. Deshalb               te Bauprojekte fallen nicht unter diese Re-
ließen sich durchaus zukünftige prekäre           gelung, auch wenn der Baubeginn noch
Einkommensverhältnisse ableiten, so der           nicht stattgefunden hat.
Bericht (S. 32).
Der Bericht analysiert, dass sich durch           2015
den wirtschaftlichen Aufschwung im Ge-            Am 28.10.2015 wurden aufgrund eines
genzug die Wohnsituation verschlechtert.          Vortrages7 neue Zahlen zusammenge-
Durch den Zuzug nach Regensburg wur-              fasst und veröffentlicht. Es wurde gra-
de der Wohnraum knapper und die Preise            phisch festgehalten, dass der Bestand des
stiegen an (S. 39). Besonders stark davon         öffentlich geförderten Wohnbaus rückläu-
betroffen sind junge Familien. Regens-            fig ist, aber der Bedarf unverändert hoch
burg hat eine für Bayern vergleichsweise          ist. Ebenso ist die Bevölkerung der Stadt
sehr hohe Empfängerzahl von Wohngeld,             seit 1987 kontinuierlich gewachsen.
was ebenfalls ein Hinweis auf häufige
niedrige Einkommen der Bevölkerung ist.           Interessant sind die großen Bauprojekte
Weiter wird detailliert beschrieben, wie          in Regensburg, insbesondere wenn man
sich der Bestand der geförderten Woh-             den Beschluss von 2012 heranzieht, der
nungen entwickelt und dass deren Zahl             20 % geförderten Wohnbau vorschreibt:
rückläufig ist. Zwar wird auf den Be-               Marina Quartier, 400 Wohneinheiten,
schluss von 2010 verwiesen, dass 15 %               Baubeginn 2013, kein geförderter
der Neubauten dem geförderten Wohn-                 Wohnbau
raum zu Gute fallen, aber es wird nicht             Candis I, 515 Wohneinheiten, Baube-
erwähnt, dass es sich dabei um eine be-             ginn 2013, 15 % geförderter Wohnbau
stimmte Größe des Bauprojektes handeln              Nibelungenkaserne, 800 Wohneinhei-
muss und dass sich die Investoren von               ten, Baubeginn 2013, 20 % geförderter
dieser Pflicht „freikaufen“ können.                 Wohnbau
                                                    Dörnberg-Viertel, 1.200 Wohneinhei-
2012                                                ten, Baubeginn 2016, 15 % geförderter
Am „Bericht zur sozialen Lage 2011“ lässt           Wohnbau
sich erkennen, dass die Stadt Regensburg
Handlungsbedarf sieht. Deshalb wurde              Lediglich die Nibelungenkaserne erfüllt
am 4.12.2012 ein neuer Beschluss ge-              demnach die 20 %-Regelung, die Ende
fasst6:
                                                  7 Aktuelle und zukünftige städtebauliche Entwick-
6 Beschlussvorlage, Amt für Stadtentwicklung,     lungen in Regensburg, 28.10.2015 Urban Netz-
Planungs- und Baureferentin Schimpfermann, Woh-   werktagung Regensburg, Christine Schimpfermann,
nungsbauförderung in Regensburg, VO/12/8369/66    Planungs- und Baureferentin
30      WOHNUNGSLOSIGKEIT IN REGENSBURG

        Planungs- und Baureferat

        Rückgang des öffentlich geförderten Wohnungs-
        bestandes bei gleichbleibend hoher Nachfrage

Abbildung 1: Rückgang des öffentlich geförderten Wohnungsbestandes bei gleichbleibend hoher Nachfrage6 / 21
Quelle: Aktuelle und zukünftige städtebauliche Entwicklungen in Regensburg, Vortrag: 28.10.2015 „Urban
Netzwerktagung Regensburg“; Planungs- und Baureferat, Christine Schimpfermann, Folie 6

2012 festgelegt wurde. Daher müssen                    geeignet sind, wie es sich mit den Bau-
die Bebauungspläne der anderen Bebau-                  vorschriften vereinen lässt, welche In-
ungen allesamt zuvor genehmigt worden                  vestoren in Frage kommen und welche
sein, auch wenn erst zu einem deutlich                 Möglichkeiten bestehen um den Verwal-
späteren Zeitpunkt der Bau begonnen                    tungsprozess kurz zu halten.
wurde.
                                                       2017
2016                                                   Am 7.3.2017 gab es einen Zwischenbe-
Seit Anfang 2016 gibt es in Regensburg                 richt zu dieser Offensive9, die folgen der-
die Wohnbauoffensive8. Das Ziel dieses                 maßen vorgehen will:
Projektes ist, dass so schnell wie möglich             Phase 1: Prüfung von über 45 in Frage
kostengünstiger Wohnraum geschaffen                    kommende Flächen
wird. Dabei soll geprüft werden, welche
Bodenflächen für eine schnelle Bebauung                9 Beschlussvorlage, Amt für Stadtentwicklung,
                                                       Planungs- und Baureferentin Schimpfermann,
8 https://www.regensburg.de/leben/wohnen-u-bau-        Zwischenbericht zur Wohnbauoffensive Regensburg,
en/wohnbauoffensive                                    VO/17/12796/66
Sie können auch lesen