Zwischen Anspruch und Wirklichkeit - Internationale Perspektiven vor der Weltklimakonferenz in Durban - Bibliothek der Friedrich ...
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PERSPEKTIVE Zwischen Anspruch und Wirklichkeit Internationale Perspektiven vor der Weltklimakonferenz in Durban NINA NETZER UND JUDITH GOUVERNEUR (HRSG.) November 2011 n Angesichts des 2012 bevorstehenden Auslaufens der ersten Kyoto-Verpflichtungs- periode und der bescheidenen Ergebnisse der Klimakonferenz in Cancún im letzten Jahr stehen die Verhandlungspartner beim anstehenden Weltklimagipfel in Durban unter sehr großem Druck, die Klimaverhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Da die Verabschiedung eines völkerrechtlich verbindlichen Abkommens im Rahmen des UNFCCC kaum realistisch ist, muss das Minimalziel in einer zweiten Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls bestehen. n Eine der zentralen Konfliktlinien bildet sich nach wie vor in einer grundlegenden Vertrauenskrise zwischen Industrie- und Entwicklungsländern ab. Eine Annäherung in den Verhandlungen wird nur möglich sein, wenn einerseits Schwellenländer wie Brasilien, China, Indien, Mexiko oder Südafrika als Vermittler auftreten und die Be- reitschaft zeigen, ihrem wirtschaftlichen und politischen Gewicht angemessene Ver- pflichtungen einzugehen. Andererseits müssen die Industrieländer sowohl finanziell als auch hinsichtlich ihrer Bereitschaft für verbindliche und angemessene Reduk- tionsziele in Vorleistung treten. n Die vorliegende Publikation soll einen Überblick über Positionen zentraler Verhand- lungsstaaten und deren Hintergründe bieten. Die Beiträge analysieren die bisherige Rolle der Akteure Brasilien, China, der EU, Indien, Lateinamerika, Mexiko, Südafrika und den USA bei den Klimaverhandlungen und geben eine Ausblick auf deren Posi- tionierung in Durban.
NINA NETZER UND JUDITH GOUVERNEUR (HRSG.) | ZWISCHEN ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT Inhalt Zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Erwartungen an den Weltklimagipfel in Durban. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Nina Netzer und Judith Gouverneur Länderperspektive: Brasilien* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Julianna Malerba Länderperspektive: China*. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 David Maleki Regionale Perspektive: Die Europäische Union* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Matthias Duwe Länderperspektive: Indien*. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Meeta Keswani Mehra Regionale Perspektive: Lateinamerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Claudia Detsch Länderperspektive: Mexiko* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Andrés Ávila Akerberg Länderperspektive: Südafrika* . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Garth le Pere Länderperspektive: Die Vereinigten Staaten*. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Alexander Ochs * Diese Beiträge wurden aus dem Englischen übersetzt. 1
NINA NETZER UND JUDITH GOUVERNEUR (HRSG.) | ZWISCHEN ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT Zwischen Anspruch und Wirklichkeit – Erwartungen an den Weltklimagipfel in Durban Nina Netzer und Judith Gouverneur * Einleitung keine internationale Vereinbarung mehr existiert – sollte es nicht bald gelingen, sich auf einen Kompromiss zu Die Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen haben einigen. in den letzten Jahren zwar kleinere Erfolge in Teilberei- chen erzielt, ein wirklicher Durchbruch konnte jedoch Wie schwierig es ist, zu einem Übereinkommen zu ge- nicht erreicht werden. Dies steht in drastischem Wider- langen, musste die Staatengemeinschaft 2009 in Kopen- spruch zur international weitestgehend anerkannten hagen schmerzhaft erfahren: anstelle eines international Tatsache, dass der fortschreitende Klimawandel eine verbindlichen Abkommens kam mit dem »Kopenhagen der drängendsten Herausforderungen der heutigen Zeit Akkord« lediglich eine freiwillige Absichtserklärung von darstellt. Nicht zuletzt seit den alarmierenden Analysen 131 Staaten zustande. Auch der Klimagipfel in Cancún des Weltklimarats IPCC ist zudem klar, dass es einen konnte trotz Verhandlungserfolgen in einigen Teilberei- enormen zeitlichen Handlungsdruck gibt. Dieser wis- chen die Frage nach einem umfassenden rechtlich bin- senschaftliche Erkenntnisgewinn wird außerdem durch denden Klimaschutzregime nach 2012 nicht lösen. Ob in die praktische Erfahrung verstärkt, dass die Folgen des Durban ein internationales Abkommen vereinbart wer- Klimawandels bereits in vielen Ländern und Regionen den kann, wird ein entscheidender Gradmesser für die deutlich zu spüren sind: Vor allem in Entwicklungslän- Ernsthaftigkeit der Klimaschutzbemühungen der globa- dern ist eine Zunahme extremer Wetterereignisse wie len Gemeinschaft sein. Hurrikane, Stürme, extreme Niederschläge und Über- flutungen zu beobachten. Dadurch wird nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung in vielen Ländern gefährdet, Von Cancún nach Durban sondern auch das Risiko für Umweltmigration und Kon- flikte erhöht. Ein wichtiger Erfolg des Weltklimagipfels in Cancún war, dass die bisher nur als freiwillige Selbstverpflich- Um unter einer international übereinstimmend als kri- tung im Kopenhagen Akkord festgehaltene 2°-Grenze tisch beurteilten Temperaturerhöhung von 2 Grad Cel- als Maßstab für die von der Staatengemeinschaft ange- sius zu bleiben 1 und so gefährliche Auswirkungen der strebten Klimaschutzaktivitäten in einem UN-Konsens globalen Erwärmung zu vermeiden, wurde international verankert wurde. Die dadurch nach dem Debakel in das Ziel vereinbart, die globalen Treibhausgasemissio- Kopenhagen vollzogene Rückkehr in den UN-Prozess nen bis 2050 um mindestens 80 Prozent im Vergleich und damit in ein Forum, das es ermöglicht, unter gleich- zu 1990 zu senken. Trotz der Einsicht, dass dringendes berechtigter Beteiligung aller weiter zu verhandeln, ist Handeln notwendig ist, ist es jedoch bisher nicht ge- vor allem auch aus diplomatischer Sicht bedeutend. Aus lungen, ein internationales Abkommen zu beschließen, klimapolitischer Sicht dagegen erscheint der Erfolg ein welches verbindliche Emissionsreduktionsziele festlegt. wenig gedämpft, da der Beschluss der 2°-Marke in- Der Zeitdruck, unter dem in Durban verhandelt werden nerhalb der UN-Klimarahmenkonvention nicht zuletzt muss, wird außerdem dadurch erhöht, dass 2012 das dadurch ermöglicht wurde, dass man erneut zentrale 1997 vereinbarte Kyoto-Protokoll ausläuft und damit Entscheidungen verschoben hat. So wird im Rahmen der COP 17 / CMP 7-Verhandlungen in Durban konkre- * Nina Netzer ist Referentin für Internationale Energie- und Klimapolitik tisiert werden müssen, welches globale Reduktionsziel im Referat Globale Politik und Entwicklung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Judith Gouverneur hat Politikwissenschaft, Soziologie und Deutsch als sich die Staatengemeinschaft für 2050 setzt. Zum an- Fremdsprache an der Universität Trier studiert. deren bleibt festzulegen, wann der Scheitelpunkt des 1. Viele Experten beurteilen bereits das Zwei-Grad-Ziel als sehr proble- globalen Emissionsanstiegs erreicht sein soll – eine Fra- matisch, da dieses u. a. die Existenz kleinerer Inselstaaten bedroht, und setzen sich für ein 1,5-Grad-Ziel ein. ge, deren Beantwortung kaum noch Aufschub erlaubt, 3
NINA NETZER UND JUDITH GOUVERNEUR (HRSG.) | ZWISCHEN ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT da jede Verzögerung der notwendigen Trendwende zu men der COP-Verhandlungen 2010 weitere große Pakete Kostensteigerungen führt und das Erreichen des 2°-Ziels zum Schutz des Regenwaldes und zur Technologieko- gefährdet. operation verabschiedet werden. Darüber hinaus haben sich die Industrieländer – wenn auch bisher ohne zeit- Aus klimapolitischer Sicht positiv zu bewerten ist jedoch, liche Vorgabe – verpflichtet, »Low Carbon Development dass die von den Kyoto-Industriestaaten und den USA in Plans« einzureichen. Auch die Schwellen- und Entwick- Kopenhagen festgelegten freiwilligen Emissions-Reduk- lungsländer werden dazu ermutigt, entsprechende Pläne tionszielen im UN-Prozess festgeschrieben wurden, wo- vorzulegen um zu zeigen, welche Gesetzesvorhaben durch sich der Handlungsdruck auf die nationalen Regie- und Aktivitäten es auf nationaler Ebene bereits gibt und rungen erhöht. Zusätzlich wurde in beiden Abschlussdoku- wo internationale Unterstützung benötigt wird. Außer- menten der COP 16 / CMP 6-Verhandlungen festgehalten, dem wurde die internationale Transparenz der Klima- dass alle Staaten ihre bis 2020 vereinbarten freiwilligen schutzaktivitäten gestärkt, indem entsprechende Maß- Reduktionsziele nachbessern sollen, um die 2°-Grenze ein- nahmen zwar national gemessen und verifiziert werden, zuhalten. Inwieweit die nachgebesserten Ziele hinreichend dies aber anhand von im Rahmen der Konvention verein- sind, soll zwischen 2013 und 2015 in einem Review-Pro- barten Richtlinien geschehen muss. zess im Rahmen der Konventionsverhandlungen überprüft werden. Auf Druck der Gruppe der kleinen Inselstaaten Mit Blick auf den kommenden Weltklimagipfel in Dur- (Alliance of Small Island States, AOSIS) hin soll außerdem ban lässt sich festhalten, dass in Cancún zwar in den am bis 2015 die Forderung überprüft werden, das Tempera- ehesten zustimmungsfähigen Bereichen Waldschutz, Fi- turziel auf 1,5° C zu verstärken. Die Modalitäten dieses nanzhilfen für Anpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen Überprüfungsprozesses festzulegen wird eine weitere in Entwicklungsländern und Technologietransfer gute wichtige Aufgabe des bevorstehenden Klimagipfels sein. Ergebnisse erzielt werden konnten, zentrale Punkte aber offen blieben. Neben der Definition eines globalen Reduk- Hinsichtlich der Frage der langfristigen Finanzierung tionsziels, der Bestimmung des Emissions-Peak und der notwendiger Klimaschutzmaßnahmen wurde in Cancún schwierigen Frage der Langfristfinanzierung wird eine der die Einrichtung eines »Green Climate Fund« beschlos- größten Herausforderungen für die Verhandlungen in Dur- sen. Ein aus 25 Entwicklungs- und 15 Industrieländern ban sein, angesichts der unterschiedlichen Interessenlagen bestehendes Komitee arbeitet seit April 2011 an der zentraler Akteure eine Einigung hinsichtlich der rechtlichen Ausarbeitung des Fonds und wird seine Ergebnisse in Form des angestrebten Abkommens zu erreichen. Ein völ- Durban zur Abstimmung stellen. Bisher stehen jedoch kerrechtlich verbindliches Abkommen müsste ausreichend auch hier wichtige Entscheidungen aus. So muss in Dur- flexibel gestaltet sein, im Sinne der gemeinsamen, aber ban geklärt werden, aus welchen Quellen die von den unterschiedlichen Verantwortlichkeiten (engl. Common Industrieländern zugesagten 100 Mrd. Dollar jährlich ab But Differentiated Responsibilities, CBDR) unterschiedliche dem Jahr 2020 zur Finanzierung von Minderungs- und Ansprüche an die Vertragspartner zu formulieren. Abge- Anpassungsmaßnahmen in Entwicklungs- und Schwel- sehen von freiwilligen Ansätzen wie dem Kopenhagen lenländern stammen sollen und wie sich die Gelder auf Akkord gibt es zwei Optionen im UN-Rahmen: Die erste die beiden Bereiche Anpassung und Minderung auftei- Möglichkeit bestünde in einer zweiten Verpflichtungspe- len werden. Denn während mit dem »Cancún Adapta- riode des Kyoto-Protokolls, was jedoch bedeuten würde, tion Framework« und der Einrichtung eines Komitees dass die USA als einziges Industrieland, welches das Proto- im Bereich Anpassung durchaus Fortschritte gemacht koll nicht ratifiziert hat oder Länder wie China, die zu den wurden, wird die Wirksamkeit des Rahmenwerks ent- Nicht-Annex-B-Staaten des Protokolls gehören und damit scheidend davon abhängen, ob entsprechende Gelder keine Reduktionsverpflichtungen eingehen müssen, nicht zur Verfügung stehen. Offen ist außerdem, inwieweit miteinbezogen wären, obwohl sie für den Großteil der Abgaben im internationalen Flug- und Schiffsverkehr Emissionen weltweit verantwortlich sind. Viele Beobachter im Sinne des Verursacherprinzips mit in die Finanzierung sehen jedoch in dieser Möglichkeit den Vorteil, dass der von Klimamaßnahmen einbezogen werden können. UN-Prozess weitergeführt würde. Die zweite Möglichkeit wäre ein neues Abkommen im Rahmen der UNFCCC und Neben der Einrichtung des »Green Climate Fund« und ihren 164 Vertragsstaaten, welches auch die USA oder Chi- des »Cancún Adaptation Framework« konnten im Rah- na einschließen würde und damit zwar wünschenswerter, 4
NINA NETZER UND JUDITH GOUVERNEUR (HRSG.) | ZWISCHEN ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT aber auch sehr viel unrealistischer zu erreichen ist. Ob die wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind die Industriestaa- gegenwärtige Strategie eines parallelen Verhandlungspro- ten nun verpflichtet, ihre Emissionen drastisch zu redu- zesses aufgeht, wird sich wohl spätestens in Durban zeigen: zieren und gleichzeitig Entwicklungsländer bei eigenen diese sieht so aus, dass die Industriestaaten mit Ausnahme Klimaschutzbemühungen durch Finanzierung und den der USA die zweite Verpflichtungsperiode des Kyoto-Pro- Auf- und Ausbau von Kapazitäten zu unterstützen. Wäh- tokolls weiter verhandeln, um eine Vertragslücke nach dem rend international Einigkeit darüber besteht, dass das in Auslaufen der ersten Verpflichtungsperiode (2012) zu ver- der Klimarahmenkonvention vereinbarte Prinzip der ge- meiden. Gleichzeitig wird die Möglichkeit offen gelassen, meinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten die im Rahmen des Kyoto-Protokolls festgeschriebenen als finanzielle Verpflichtung der Industrieländer ausgelegt Verhandlungsergebnisse in einem größeren gemeinsamen werden kann, wird um die Frage gerungen, wie »Ver- Rahmenabkommen, an dem auch die Schwellenländer so- antwortlichkeiten« und »Fähigkeiten« definiert werden wie die USA teilnehmen, festzuschreiben. sollen. Denn versteht man Verantwortung über die his- torische Dimension hinaus als Verpflichtung zukünftigen Generationen gegenüber stellt sich die Frage, inwieweit Klimaschutz und Gerechtigkeit auch Entwicklungs- und vor allem Schwellenländer wie China und Brasilien an der Finanzierung von Klimaschutz Die Verhandlungen im Bereich des internationalen Klima- beteiligt werden sollen. Hinzu kommt, dass Industrie- schutzes gestalten sich nicht zuletzt auch darum so staaten bis heute ihre Emissionen nicht in dem Umfang schwierig, weil sie nicht losgelöst von dem Problem einer reduzieren, der notwendig wäre, und sie außerdem den als zutiefst ungerecht empfundenen Weltordnung be- Großteil ihrer international eingegangen Finanzierungs- trachtet werden können. Im besten Falle verleiht die Tat- verpflichtungen nicht eingehalten haben. Dadurch hat sache, dass der Klimawandel als grenzüberschreitendes sich die Vertrauenskrise zwischen Entwicklungs- und Umweltproblem der Staatengemeinschaft die Frage der Industrieländern in den letzten Jahren immer mehr ver- historischen Verantwortung und den daraus erwachsen- schärft, was die Aussichten auf ein internationales Ab- den Verpflichtungen so schonungslos vor Augen führt kommen, das die Interessen aller Akteure berücksichtigt, dazu, der so dringenden Debatte um eine gerechte Ord- deutlich schmälert. Die Bereitschaft einzelner Staaten, nung der Welt neuen Schwung zu verleihen. Im schlech- Zugeständnisse bei den Verhandlungen zu machen und testen Falle allerdings haben die Klimaschutzverhandlun- eigene Verpflichtungen ein zu gehen, hängt somit stark gen an dieser Last zu schwer zu tragen. Die Frage der davon ab, ob aus Sicht der Betroffenen gerechte Lösun- Gerechtigkeit wird im Bereich der Klimapolitik besonders gen für diese offenen Fragen gefunden werden können. greifbar, da die Staaten, die am wenigsten zur Entste- hung des Klimawandels beigetragen haben, am stärks- ten von dessen Folgen betroffen sind. Industrieländer, Ziel der Publikation die jahrzehntelang auf Basis endlicher Ressourcen und fossiler Brennstoffe gewirtschaftet haben, tragen die Aus dem für die globale Klimapolitik charakteristischen historische Verantwortung für die globale Erwärmung. komplexen Gebilde aus internationalen Gerechtigkeits- Dies wird deutlich, wenn man sowohl die gesamten CO2- fragen, zeitlichem Handlungsdruck und widerstreiten- Emissionen als auch die Pro-Kopf-Emissionen betrachtet: den nationalen Interessen nicht nur in klimapolitischen Industrieländer (UNFCCC Annex-I-Staaten), die nur 20 Fragen selbst, sondern auch in anderen, davon betrof- Prozent der Weltbevölkerung ausmachen, sind für 46,4 fenen Politikbereichen resultiert ein sehr schwieriger Prozent der gesamten weltweiten Treibhausgasemis- Verhandlungsprozess. Auch der Klimagipfel in Durban sionen verantwortlich. Entwicklungsländer hingegen, in wird vor der Herausforderung stehen, aus der Vielfalt na- welchen 80 Prozent der Weltbevölkerung leben, verursa- tionaler Interessen Ergebnisse zu formen, die die Grund- chen lediglich 53,6 Prozent der weltweiten Emissionen.2 lage einer ambitionierten und entschlossenen, gerecht Aufgrund dieser historischen Verantwortung sowie ihrer gestalteten globalen Klimaschutzpolitik bilden können. 2. Rogner, H.-H. et al. (2007): Introduction. Climate Change 2007: Miti- Die vorliegende Publikation soll einen Überblick über gation. Contribution of Working Group III to the Fourth Assessment Positionen zentraler Verhandlungsstaaten und deren Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge: Cambridge University Press. Hintergründe bieten. Dabei soll es zum Einen um die 5
NINA NETZER UND JUDITH GOUVERNEUR (HRSG.) | ZWISCHEN ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT bisherigen Positionen des jeweiligen Landes in den Kli- maverhandlungen und einen Ausblick auf eine mögliche Positionierung in Durban gehen, zum anderen werden internationale und nationale Faktoren analysiert, wel- che die Verhandlungspositionen beeinflussen. Ziel ist es, einen Dialog zwischen Nord und Süd sowie auf unter- schiedlichen Ebenen in Politik, Wissenschaft, Zivilgesell- schaft und Industrie anzuregen und das Verständnis für die gegenseitigen Interessen und Positionen zu stärken. Dies soll nicht nur zeigen, welche Fallstricke die Vielzahl an divergierenden nationalen und internationalen Inte- ressen auf dem Weg zu einem Klimaabkommen bieten, sondern auch gemeinsame Anknüpfungspunkte und Bündnispotentiale in den verschiedenen Teilbereichen offenlegen. 6
NINA NETZER UND JUDITH GOUVERNEUR (HRSG.) | ZWISCHEN ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT Länderperspektive: Brasilien Julianna Malerba * 1. Zusammenfassung: Die historische keiten der Länder gibt – sowohl jener, deren Industria- Entwicklung der Rolle Brasiliens im Rahmen lisierungsprozess bereits vor mehr als hundert Jahren der internationalen Klimaverhandlungen begonnen hat, als auch solcher, deren industrielle Ent- wicklung erst später einsetzte. Nach Angaben aus dem Jahre 2005 1 gilt Brasilien der- zeit als viertgrößter Emittent von Treibhausgasen (THG). Auf der Grundlage dieser Prämisse und unter Verweis Seine Emissionen machen sechs Prozent der gesamten auf sein Recht auf Entwicklung als Voraussetzung für Emissionen weltweit aus. Für ein Land mit einem im die Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage globalen Vergleich durchschnittlichen Einkommen (BIP des Landes, hat sich Brasilien immer geweigert, jeglicher pro Kopf) ist Brasiliens THG-Produktionsmuster sehr un- verpflichtender Emissionsgrenze für die Nicht-Annex-I- gewöhnlich. So stammt die Hälfte der Emissionen des Staaten3 des Kyoto-Protokolls zuzustimmen. Das Land Landes aus Entwaldung, wohingegen der brasilianische befürwortete ferner den finanziellen und technolo- Energiesektor im Vergleich zu anderen Ländern einen gischen Transfer durch Annex-I-Staaten zur Umsetzung relativ geringen Anteil an der Gesamtsumme der Emis- von Klimaschutzmaßnahmen in anderen Ländern. Dies sionen ausmacht.2 gilt insbesondere für die Schwellenländer, die – sollten die aktuellen Wachstumsmuster und -raten anhalten – Dieses Emissionsprofil Brasiliens – neben seiner Situation bald einen großen Anteil der weltweiten Emissionen zu als Schwellenland mit einer boomenden Wirtschaft und verantworten haben werden. der Bedeutung des Amazonas für den globalen Kohlen- stoffkreislauf – definiert weitgehend die Standpunkte, Sein besonderes Emissionsprofil, das es als Schwellen- die Brasilien im Bereich der internationalen Verhandlun- land mit geringen Emissionen aus dem Energiesektor gen zum Klimawandel vertreten hat. und aus dem Verbrauch an fossilen Brennstoffen kenn- zeichnet, gestattet es Brasilien, als einer der führenden Seit dem Beginn der Verhandlungen propagierte Brasi- Vertreter dieser Positionen aufzutreten. So meldete es lien eine Prämisse, die nunmehr zum Grundsatz des Kli- sich oft im Namen der G 77+China zu Wort und fungierte maregimes im Rahmen der internationalen Verhandlun- als Brücke im Dialog zwischen dieser Gruppe und der gen geworden ist. Dieses Prinzip besteht darin, dass es Europäischen Union und den Vereinigten Staaten, die auf Grund der unterschiedlichen absoluten Emissionen die Festlegung verbindlicher Ziele für die Nicht-Annex-I- gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortlich- Länder befürworten. Mein Dank gilt Maureen Santos für ihre Anmerkungen zur ersten Version Ein aussagekräftiges Beispiel für seine Rolle als Vermitt- dieses Berichts. ler war die Verabschiedung des zweigleisigen Verhand- * Julianna Malerba hat einen Master-Abschluss in Stadt- und Regional- planung des Instituts für Stadt- und Regionalplanung (IPPUR) der Föde- lungsansatzes (d. h. ein paralleler Verhandlungsprozess ralen Universität von Rio de Janeiro (UFRJ). Sie war Exekutivsekretärin des brasilianischen Netzwerkes für Umweltgerechtigkeit und koordiniert über künftige Minderungsverpflichtungen unter dem derzeit das Zentrum für Umweltgerechtigkeit der brasilianischen Organi- Kyoto-Protokoll einerseits und über Minderungsbeiträge sation für Soziales und Bildung FASE. aller Staaten im Rahmen der Konvention andererseits 4), 1. Datenquelle für Emissionen zu Landnutzungsänderungen: Hough (2008); Datenquelle für Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brenn- stoffe: Boden, Marland und Andres (2009). 3. Bei den Annex-I-Staaten handelt es sich um die Länder, die im Rahmen der Konvention Verpflichtungen zu Emissionsreduzierungen eingegan- 2. Zweite nationale Mitteilung der brasilianischen Regierung, eingereicht gen sind, im Wesentlichen handelt es sich dabei um die OECD-Länder. 2010 im Rahmen der COP 16. Nationale Mitteilungen sind ein Instru- ment der Nationalen Politik zum Klimawandel (National Policy on Clima- 4. Hinsichtlich des Kyoto-Protokolls geht es um die Festlegung neuer ver- te Change) und müssen der Rahmenkonvention der Vereinten Nationen pflichtender Emissionsreduktionsziele für Industrieländer, die Vertrags- über Klimaänderungen (UNFCCC) vorgelegt werden. Eine der Leitlinien parteien im Rahmen des Kyoto-Protokolls sind; parallel werden unter dieser Politik sind die Verpflichtungen, die Brasilien mit der UNFCCC, der UNFCCC Verhandlungen im Hinblick auf eine verstärkte Umsetzung dem Kyoto-Protokoll sowie anderen relevanten Dokumenten zum Klima- der Klimakonvention geführt, wozu auch Ziele für Industrieländer ge- wandel nach Gesetz Nr. 12.187 vom 29. Dezember 2009 verpflichtend hören, die keine Vertragsparteien im Rahmen des Kyoto-Protokolls sind eingegangen ist. (damals Australien und die Vereinigten Staaten, zur Zeit jedoch nur die 7
NINA NETZER UND JUDITH GOUVERNEUR (HRSG.) | ZWISCHEN ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT den Brasilien seit der COP 11 (Montreal) verteidigt hatte In dem Bestreben, die Festlegung freiwilliger Ziele reali- und der 2007 bei der COP 13 (Bali) festgeschrieben wur- sierbar zu machen, gründete Brasilien im Jahre 2008 de. Dieser Ansatz bewegte die Vereinigten Staaten zur den Amazonas-Fonds. Der Vorschlag zielt darauf ab, Teilnahme an formellen Verhandlungen über die Zukunft zunächst auf internationaler Ebene, jedoch nicht in des Übereinkommens und bezog sie ein in Diskussionen Zusammen hang mit dem Kohlenstoff-Markt und der zu Minderungsverpflichtungen, die vergleichbar sind Kohlenstoff-Verrechnung, Mittel zur Förderung der Er- mit jenen, die andere entwickelte Länder eingegan- haltung Amazoniens zu generieren. Diese Gelder sollen gen sind. Darüber hinaus hauchte diese Strategie den der Finanzierung von Projekten zur Bewahrung der Na- Entwicklungsländern neues politisches Leben hinsicht- tur, der Bekämpfung der Entwaldung sowie der Erhal- lich ihrer Verpflichtungen zu Minderungsmaßnahmen tung und nachhaltigen Nutzung der Wälder in dieser ein und ließ Brasilien innerhalb des internationalen Sys- Zone zugute kommen. tems als ein Land erscheinen, das dem Ergebnis der Ver- handlungen verpflichtet ist und das erfolgreich den Lauf Der Amazonas-Fonds war weltweit das erste Instru- der Verhandlungen zu beeinflussen vermag. ment, das versuchte, internationale Ressourcen auf der Grundlage quantifizierter Emissionsbegrenzungen zu Auf der anderen Seite spielte Brasiliens hohe Entwal- mobilisieren. Der Ansatz des Fonds steht im Gegen- dungsrate, vor allem im Amazonasgebiet, eine Rolle bei satz zu Vorschlägen, die auf Konventionsebene ge- seiner Positionierung. So wehrte sich Brasilien dagegen, macht wurden und werden, wie z. B. der Vereinbarung den Wald zum Gegenstand der internationalen Regulie- zur Verringerung der Emissionen aus Entwaldung und rung im Rahmen des Verhandlungsprozesses machen zu Waldschädigung (REDD+). Dieser sieht einen Marktan- lassen. Dies geschah aus Angst, Brasilien könnte in einem satz vor, der den Verkauf von durch Waldschutz gene- Post-Kyoto-Abkommen Gegenstand verbindlicher Re- rierten Gutschriften an Länder erlaubt, die ver pflich duktionsziele werden. Bis 2009 veranlasste diese Sorge tende Emissionsminderungsziele haben. Die Regierung brasilianische Unterhändler dazu, sich der Aufnahme verteidigte ihre Position damit, dass REDD nur als ein von Mechanismen zur Reduzierung der THG-Emissionen freiwilliger Mechanismus zur Finanzierung von Projekten aus vermeidbarer Entwaldung in die Konvention entge- zum Schutz und zur Erhaltung der Wälder, vergleichbar genzustellen. dem Amazonas-Fonds, funktio nieren könne. Brasilien argumentierte, dass der REDD als ein Marktinstrument Brasiliens Verhandlungsführer sind sich sowohl der Last Annex-I-Staaten nicht in die Lage versetzen werde, ihre bewusst, die die Abholzung des Amazonaswaldes für das Emissionen beträchtlich zu senken. Land in den internationalen Verhandlungen darstellt, als auch des Trends der progressiv ansteigenden Emissionen Am Vorabend der COP 15 kam diese Position jedoch auf infolge des Wirtschaftswachstums, das das Land derzeit den Prüfstand. Grund dafür war eine intensive Lobby- erfährt. Letzteres könnte Brasilien dazu veranlassen, ver- arbeit der Regierungen der Amazonas-Anrainerstaaten, bindliche Ziele in einer Post-Kyoto-Periode einzugehen. begründet durch die Hoffnung, aus dem Waldschutz Vor diesem Hintergrund bekräftigt Brasilien, dass die könne sich ein lukratives Geschäft entwickeln (Fatheuer Bekämpfung des Klimawandels weltweite Anstren- 2011). In Kopenhagen fand der REDD-Ansatz Eingang in gungen voraussetzt und dass sich die Nicht-Annex-I- den Text als ein Klimaschutzmechanismus zur Emissions Länder freiwillige Maßnahmen und Minderungsziele – begrenzung, der von den Ländern im Rahmen ihrer Klima- mit finanzieller und technologischer Unterstützung von schutzbemühungen angewendet werden sollte. Seiten der Annex-I-Staaten – auferlegen sollten. Aufgrund der gemeinsamen Interessen hat sich Brasilien Vereinigten Staaten) sowie Emissionsminderungsmaßnahmen für Ent- wicklungsländer durch finanzielle und technologische Unterstützung in für die Bildung einer informellen Verhandlungsgruppe einer messbaren, berichtsfähigen und überprüfbaren Art. Dieser zwei- eingesetzt, bestehend aus Brasilien, Südafrika, Indien gleisige Verhandlungsprozess fand im Rahmen zweier Arbeitsgruppen statt: in der Ad-hoc-Arbeitsgruppe für langfristige Zusammenarbeit zu und China (BASIC). Ziel der Gründung war, durch ein ge- den neuen Verpflichtungen der Industrieländer im Rahmen des Kyoto- meinsames Auftreten als Block die Anliegen der Länder Protokolls (AWG-KP) und der Ad-hoc-Arbeitsgruppe für langfristige Zu- sammenarbeit zur Umsetzung von Maßnahmen im Rahmen des Über- in den Verhandlungen besser vertreten zu können. Dabei einkommens (AWG-LCA). Brasilien wurde 2008 zum Vorsitzenden der geht es vor allem um Technologietransfer, Finanzierung, AWG-LCA gewählt und hat derzeit den Vorsitz für die AWG-KP inne. Siehe Machado (o. J.). das Erreichen einer zweiten Verpflichtungsperiode unter 8
NINA NETZER UND JUDITH GOUVERNEUR (HRSG.) | ZWISCHEN ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT dem Kyoto-Protokoll sowie um die Aufrechterhaltung der kündigte Nationale Politik zum Klimawandel festschreibt Reduktionsziele für die Länder, die historisch die Haupt- und das auf fünf sektoralen Plänen basiert.6 Brasilien verantwortung für die THG-Emissionen tragen. Gemein- präsentierte darüber hinaus eine Reihe von Maßnah- sam als Block auftretend verteidigen diese Länder vehe- men, die darauf hindeuteten, dass innenpolitisch Fort ment freiwillige Verpflichtungen für Entwicklungsländer schritte in der Bekämpfung des Klimawandels gemacht in Form von national angepassten Emissionsminderungs- wurden. Erwähnenswert sind die systematischen Kür- maßnahmen (nationally appropriate mitigation actions, zungen in der Abholzung des Amazonaswaldes, deren NAMA). Sie treten weiterhin dafür ein, dass solche Ver- prozentualer Anteil zu diesem Zeitpunkt der geringste pflichtungen berichtsfähig und überprüfbar sein sollten. seit 21 Jahren war.7 Mit diesen Ergebnissen und einer proaktiven Einstellung 2. Rückblick: Brasilien und die in Bezug auf die Festschreibung von Klimaschutzzielen Klimakonferenz von Cancún kam Brasilien eine wichtige Rolle im Umgang mit dem umstrittensten Punkt der COP 16 zu – der Festlegung Die wachsende innenpolitische Bedeutung des Klima- auf eine zweite Verpflichtungsperiode im Sinne des schutzes fand ab 2009 Eingang in das Bewusstsein der Kyoto-Protokolls. Die meisten der Länder, die auf die brasilianischen Öffentlichkeit. Am Vorabend der COP 15 in Einhaltung der unterzeichneten Bedingungen pochten, Kopenhagen kündigte die brasilianische Regierung einen waren Entwicklungsländer wie Brasilien. Das andere Ex- scheinbar ehrgeizigen nationalen Emissionsminderungs trem vertraten die Annex-I-Staaten, die argumentierten, plan an, der später als eine freiwillige Selbstverpflichtung dass das Protokoll weder die USA noch die Schwellen- im Rahmen des Übereinkommens übernommen wurde länder umfasst und es daher keine geeignete Grundlage und in die National Policy on Climate Change (Nationale sei, wirksame globale Maßnahmen zu erreichen. Politik zum Klimawandel) integriert wurde. Diese wurde im Dezember 2009 in der brasilianischen Gesetzgebung 5 Obwohl es in Kopenhagen nicht möglich war, ein ver- verankert. Darin legte Brasilien als Reduktionsziel fest, bindliches Abkommen zu erzielen, gelang es, auf der dass die Emissionen 36,1 bis 38,9 Prozent unter den für Grundlage dessen weiter zu machen, was bereits bei das Jahr 2020 vorhergesagten Werten liegen sollten. der COP 15 vereinbart worden war. Die in Kopenhagen bekannt gegebenen Minderungszusagen fast aller Län- Im Rahmen der COP 16 im Jahr 2010 wurden diese Ziele der wurden in den Text der Konvention aufgenommen, in absoluten Zahlen konkretisiert und mit einer Grenze wenn auch mit vielen Ungenauigkeiten und Unsicher von 3.236 Gigatonnen Kohlenstoffäquivalenten für Bra- heiten. Immerhin gab es Fortschritte in der Schaffung siliens Emissionen im Jahre 2020 beziffert. Brasilien setzte einiger Mechanismen und Leitlinien: Der Green Climate damit einen neuen Maßstab für die Welt. Denn auch Fund wurde ins Leben gerufen und es wurde ein Register wenn diese Verpflichtung auf Prognosen zur Entwick- zur Speicherung von Informationen über NAMAs einge- lung der Emissionen nach dem business-as-usual-Szena- richtet, das den Zugang zu internationaler Unterstüt- rio basieren – und sich, anders als die von den Annex-I- zung erleichtern sollte; darüber hinaus wurde ein Anpas- Ländern eingegangenen Verpflichtungen, nicht als ver- 6. Diese sind: Aktionsplan zur rechtlichen Prävention und Kontrolle der Ent- bindliches Ziel auf das Ausgangsjahr 1990 beziehen – so waldung (Legal Amazon Deforestation Prevention and Control); Aktions- hat Brasilien damit doch sein Ansehen in der Klimadebatte plan Brasilianische Savannen (Cerrado) zur Prävention und Kontrolle der Entwaldung; sektorale Pläne für die Landwirtschaft und Viehzucht und auf internationaler Ebene gesteigert, weil es das erste der sektorale Plan zur Substitution von Kohle aus Entwaldung durch Land war, das seine Emissionskurve in einem Szenario Kohle aus angepflanzten Wäldern im Hinblick auf ihren Einsatz in Stahl- werken. der langsam fortschreitenden internationalen Verhand 7. Unter den angekündigten Maßnahmen sind folgende hervorzuheben: lungen zur Reduzierung der Emissionen formalisiert hat. a) die Regelung des Klimafonds, der ein Anfangsbudget von 226 Mio. südafrikanischen Rand haben und ab 2011 für Mitigationsmaßnahmen eingesetzt werden sollte, b) die Richtlinien für die ersten fünf sektoralen Auch im Rahmen der COP 16 in Cancún kündigte die Pläne der Klimapolitik zur Emissionsminderung und zur Anpassung, ein- Regierung ein Dekret an, das sich auf die Regelung des schließlich Maßnahmen zur Schaffung von Anreizen für eine kohlenstoff- arme Landwirtschaft und c) die Unterbreitung der zweiten nationalen Gesetzes bezog, das die bereits in Kopenhagen ange- Mitteilung des Landes im Rahmen der Klimarahmenkonvention, die das zweite Emissionsinventar Brasiliens enthielt, das eine genaue Übersicht über die brasilianischen Emissionen lieferte und somit einer effizienteren 5. Gesetz Nr. 12.187/2009. Überwachung der selbst auferlegten Ziele diente. 9
NINA NETZER UND JUDITH GOUVERNEUR (HRSG.) | ZWISCHEN ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT sungskomitee einschließlich eines Arbeitsprogramm für schaft zusammen mit dem Bereich Abfall in Städten und dieses Komitee gegründet. Der REDD+-Mechanismus ländlichen Gebieten die Emissionen aus Brandrodungen erhielt im Rahmen des Cancún-Abkommens eine Struk- übertreffen würden. tur, Richtlinien, Sicherheitsklauseln und wichtige Durch- führungsbestimmungen. Obgleich Brasiliens Emissionen von 2005 bis 2010 als Folge der Maßnahmen zur Kontrolle der Entwaldung Im Hinblick auf die brasilianischen Standpunkte zur und aufgrund der Auswirkungen der internationalen Finanzierung sowie dem Transfer von Ressourcen und Finanzkrise auf die brasilianische Wirtschaft tatsächlich Technologien stellt die Schaffung der oben genannten zurückgingen, begannen die Emissionen im Jahr 2010 Mechanismen einen großen Schritt in die gewünschte wieder anzusteigen. Dieses Mal waren die prozentua- Richtung dar, selbst wenn der Verhandlungsprozess als len Zuwächse nicht mehr auf die Abholzung zurückzu solcher gezeigt hat, wie komplex und schleppend die führen, sondern auf das beträchtliche Wachstum in Umsetzung globaler Mechanismen sein kann. Das posi- anderen Sektoren der Wirtschaft. Im Jahr 2005 mach- tive Image des Landes auf der internationalen Ebene ten die Emissionen aus Entwaldung und Landnutzungs- blieb bestehen und wurde sogar ver bessert. Damit änderungen 60,6 Prozent der Gesamtemissionen aus. wuchs es in diesem Prozess zunehmend in eine Füh- Der Anteil der Landwirtschaft betrug 18,9 Prozent, des rungsrolle unter den G77-Ländern hinein und gewann Energiesektors 15 Prozent, der Industrie 3,4 Prozent mehr Einfluss in multilateralen Beziehungen. und der Abfälle 1,9 Prozent; 2010 schlug die Entwal- dung mit 35 Prozent zu Buche, der Energiesektor mit 32 Allerdings kann das Szenario für Durban, wo über eine Prozent, die Landwirtschaft mit 25 Prozent, die Indus- zweite Kyoto-Verpflichtungsperiode entschieden wird, trie mit 5 Prozent und Abfall mit 3 Prozent (Viola und deutlich weniger positiv aussehen. Progressive Verände- Franchini 2011: 15). rungen im Hinblick auf Brasiliens Emissionsprofil und Un- klarheiten bezüglich seiner staatlichen Klimapolitik stel- Die zweite brasilianische Mitteilung, die im Rahmen der len Herausforderungen für Brasilien dar, denen es sich COP 16 vorgelegt wurde und die Daten bis zum Jahre – will es seine Führungsrolle beim Aufbau einer neuen 2005 präsentierte, spiegelte diesen Trend jedoch nicht Architektur innerhalb der Gestaltung der globalen ord wieder. Darüber hinaus waren die freiwilligen Ziele, die nungspolitischen Klimarahmenbedingungen behalten – Brasilien in Cancún präsentierte, weitaus weniger mutig, stellen muss. als sie vielleicht zunächst erschienen. Abgesehen davon, dass sich die Reduktionen auf erwartete zukünftige Emissionen in einem business-as-usual-Szenario bezo- 3. Vor Durban gen, war das Bezugsjahr für die Reduzierung der Emis- sionen (2005) ein absolutes Spitzenjahr hinsichtlich der Bereits im Jahr 2009, als eine Gruppe von Forschern der Abholzungsrate im Amazonasgebiet.9 Die meisten der Universität von São Paulo die brasilianischen Treibhaus- Ziele gingen Hand in Hand mit einem Abwärtstrend, der gasemissionen von 1994 und 2005 untersuchte, wurde ohnehin bereits im Gange war. In gewisser Weise hatte deutlich, dass sich Brasiliens Emissionsprofil im Umbruch Brasilien etwas versprochen, das bereits getan war. befand.8 Emissionen aus der Entwaldung waren in die- sem Zeitraum um acht Prozent gestiegen, während der Somit verschleiern freiwillige Ziele letztendlich die Tat- Emissionsanstieg aus Energie, Landwirtschaft und Vieh- sache, dass Brasiliens Emissionen im Vergleich zu den zucht, Industrieprozessen und Abfall sogar 41 Prozent Emissionen des Jahres 1990, dem Basisjahr für die obli- betrug. Obwohl die Entwaldung noch immer die Haupt- gatorischen Verpflichtungen der Annex-I-Staaten, deut- ursache von Treibhausgasen war, zeigten die Daten, lich angestiegen sind. 10 dass bei einem Anhalten dieses Trends die industriellen Prozesse sowie die Prozesse aus Land- und Viehwirt- 9. Governo apresenta inventário de emissões de gases de efeito estufa, Noticias Socioambientais, 27.10.2010; http://www.socioambiental.org/ nsa/detalhe?id=3198 (aufgerufen am 20.10.2011). 8. Rumo a Copenhague: o que esperar da posição brasileira, A Tribuna 10. 1990 betrugen die Gesamtemissionen aus Landwirtschaft, der pro- Campineira, 4.11.2009; http://www.tribunacampineira.com.br/brasil/ duzierenden Industrie, Energie und Abfallbehandlung etwas mehr als 1279-rumo-a-copenhague-o-que-esperar-da-posicao-brasileira (aufge- 500 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente. Für 2008 wurde ein rufen am 20.10.2011). Wert von fast einer Milliarde Tonnen berechnet (ebd.). 10
NINA NETZER UND JUDITH GOUVERNEUR (HRSG.) | ZWISCHEN ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT Nach Angaben der Energy Research Company wird der einer nationalen Politik voranzutreiben, die Maßnahmen Energiebedarf Brasiliens zwischen 2010 und 2020 durch- zur Kontrolle der Emissionen aus unterschiedlichsten schnittlich um 4,8 Prozent im Jahr ansteigen, sofern Bra- Sektoren festschreibt. So gründete Brasilien (zusätzlich siliens BIP entsprechend den Prognosen eine jährliche zum Amazonas-Fonds) einen neuen Klima-Fonds, den Wachstumsrate von 5 Prozent pro Jahr aufweisen wird. National Climate Change Fund, der Mittel für Maßnah- Dies würde implizieren, dass rund 3.500 MW jährlich men zur Abschwächung des Klimawandels und zur An- in das Energienetz eingespeist werden, was mehr als passung an die Klimaänderungen bereitstellen sollte. 5.000 MW installierter Leistungskapazität entspricht. Im Vergleich beträgt die installierte Leistungskapazität des Trotz dieser Anstrengungen gibt es noch viele Unsicher- Madeira-River-Komplexes durchschnittlich 6.500 MW. heiten bezüglich der Umsetzung der National Policy on Offensichtlich wird Brasilien also nicht in der Lage sein, Climate Change und der sektoralen Pläne Brasiliens. die benötigte Menge an Energie allein aus Wasserkraft- werken ins Netz einzuspeisen. Obwohl Wasserkraftwerke Die jüngsten Daten zur Entwaldung zeigen, dass der Pro- als saubere Energiequelle gelten, gibt es Belege dafür, zess der einfachen Steuerung der Entwaldung beendet dass sie ebenfalls Treibhausgasemissionen verursachen ist: nach Angaben des Umweltministeriums ist die Ent- (Fearnside 2011). Unter Berücksichtigung der wachsen- waldung zwischen August 2010 und April 2011 in den den Nachfrage und in Anbetracht von wahrscheinlichen neun Staaten, die den »Legal Amazon« bilden, im Ver- Verzögerungen im Bau der geplanten Wasserkraftwerke gleich zum Vorjahr um 27 Prozent fortgeschritten (Viola gehen Analysten davon aus, dass die Anzahl an ther- und Franchini 2011: 23). Dieser Trend verstärkt sich noch mi schen Kraft werken deutlich zunehmen wird. Diese durch die Anpassung des brasilianischen Forstgesetzes werden in der Regel mit Gas, Öl oder Kohle betrieben an die veränderten Umstände. Diese Änderung wurde und verursachen folglich hohe CO2-Emissionen.11 bereits vom Nationalkongress verabschiedet und liegt nun dem Senat zur Debatte vor. Inhalt der Gesetzesvor- In diesem Zusammenhang sollte betont werden, dass lage ist eine Schwächung der Überwachungsaktivitäten die Ölindustrie der Energiesektor ist, der auch infolge zur Abholzung sowie der Strafbarkeit entsprechender erheblicher staatlicher Unterstützung das größte Wachs- Handlungen. Dadurch wird es noch schwieriger z. B. das tum erfahren hat, seitdem die Entdeckung von Ölreser- Ziel zu erreichen, die Entwaldung im Amazonasgebiet ven unter der Salzschicht bekannt gegeben wurde. Die um 80 Prozent zu verringern. derzeitige Förderung von 2,5 Millionen Barrel Öl pro Tag wird bis zum Ende dieses Jahrzehnts voraussichtlich auf Der Verkehr in Brasilien ist immer noch stark von Au- 6 Millionen Barrel 12 gesteigert werden. Dieser deutliche tobahnen dominiert. Erst vor kurzem wurde der sekto- Anstieg bedingt eine intensive Energienutzung in der rale Verkehrsplan diskutiert. Ohne die Unterstützung gesamten Produktions- und Verwertungskette. Folglich der einschlägigen Akteure, die eine strukturelle Verän- wird der Sektor aller Voraussicht nach eine immer größ- derung in der Verkehrspolitik erzwingen könnten, wer- ere Rolle für die Entstehung der Treibhausgase in Brasi den Fortschritte jedoch lange auf sich warten lassen. lien spielen. Sowohl die jüngste Entscheidung der Regierung, zur Eindämmung des Inflationsdrucks den Benzinpreis an- Angesichts dieser Erkenntnisse über die zukünftige Ent- zupassen, als auch der in den letzten Jahren gemachte wicklung und der Verunsicherung, die damit in Bezug Vorstoß, durch eine Reduzierung der Steuer auf indus- auf Brasiliens Beharren auf einer Nichtumsetzung ver- triell hergestellte Produkte (IPI) 13 eine Aufstockung der bindlicher Ziele seitens der Schwellenländer einherging, nationalen Pkw-Flotte zu bewirken – Maßnahmen, die versuchte Brasilien, seine Nationale Klimapolitik (Na- den Absatz ankurbeln und die Auswirkungen der welt- tional Policy on Climate Change) durch die Einführung weiten Krise abschwächen sollten – zeigen jedoch, wie unwahrscheinlich die Ausarbeitung und Umsetzung ei- 11. Brasil dependerá cada vez mais das termelétricas, Brasil Economico, nes erfolgreichen Transportplans gegenwärtig ist. 19.7.2011; http://www.brasileconomico.com.br/noticias/brasil-dependera- cada-vez-mais-das-termeletricas_104463.html (aufgerufen am 20.10.2011). 12. Petrobras pode se tornar a maior produtora de petróleo listada em 13. Sob IPI reduzido, vendas no varejo cresceram 30 % em maio, G1, bolsa, Veja, 3.6.2011; http://veja.abril.com.br/noticia/economia/petrobras- 25.6.2009; http://g1.globo.com/Noticias/Economia_Negocios/0,,MUL pode-se-tornar-a-maior-produtora-de-petroleo-do-mundo-em-10-anos 1207759-9356,00-SOB+IPI+REDUZIDO+VENDAS+NO+VAREJO+CRESCE (aufgerufen am 20.10.2011). RAM+EM+MAIO.html (aufgerufen am 20.10.2011). 11
NINA NETZER UND JUDITH GOUVERNEUR (HRSG.) | ZWISCHEN ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT Auf der anderen Seite gibt es einige positive Anzeichen ten kann. Die brasilianische Regierung sieht ein, dass für wesentliche Veränderungen im Vergleich zu früheren alle Emissionen verursachenden Wirtschaftssektoren Perioden, so zum Beispiel die dem Katastrophenschutz- einbezogen werden müssen. Zusammen mit Vertretern plan und den Maßnahmen zur Anpassung an Erschei- dieser Sektoren möchte Brasilien im Hinblick auf eine er- nungen des Klimawandels eingeräumte Priorität. folgreiche Strategie in den internationalen Verhandlun- gen Anpassungsmaßnahmen ausarbeiten. Obwohl Brasilien auf internationaler Ebene signalisiert hatte, es werde die Aufnahme des REDD+-Vorschlags Die gegenläufigen Entwicklungen im eigenen Land in das internationalen Abkommen unterstützen, stößt könnten jedoch die führende Rolle, die sich Brasilien im der Gesetzesentwurf zu den nationalen Regelungen des Bereich der Verhandlungen aufgebaut hat, schwächen. Mechanismus auf Widerstände seitens des Außenminis Grund dafür sind Veränderungen infolge interner Span- teriums. Dieses argumentiert, man solle sich auf natio- nungen in Brasiliens Bündnisblock, die in den Verhand- naler Ebene nicht festlegen, solange keine Verständi- lungen aufgetreten sind. Der Standpunkt, den Brasilien gung auf internationaler Ebene erfolgt sei. Das Umwelt- – untermauert durch nationale Maßnahmen wie die ministerium hingegen argumentiert, das Land müsse Verringerung der Entwaldungsrate und die Festlegung eine führende Rolle in der Festlegung des Geltungsbe- freiwilliger Maßnahmen und Ziele – zuvor auf internatio- reichs des besagten Mechanismus spielen. naler Ebene vertreten hatte, stand im Kontrast zu den konservativen Argumenten Chinas und Indiens. Diese Trotz der Unklarheiten und Widersprüche auf innenpoli- verwiesen auf die fortwährenden Spannungen, die im tischer Ebene hält Brasilien – wie bei einem Treffen der Rahmen der politischen Bündnisse, denen Brasilien an- BASIC-Gruppe zur Ausarbeitung eines gemeinsamen gehört, während der COPs zutage getreten waren. Standpunktes für Durban im August 2011 in Brasilien Gleichzeitig haben diese Spannungen Brasilien jedoch dargelegt – an seinem Führungsanspruch gegenüber den auch in die Lage versetzt, zwischen den Anliegen der Nicht-Annex-I-Ländern, vor allem den G-77+China, fest. aufstrebenden Mächte und den Positionen der Annex-I- Staaten zu vermitteln. 4. Ausblick: Brasilien und die Angesichts des Vorstoßes der »ländlichen« Sektoren, Klimakonferenz in Durban denen es gelungen war, die Anpassungen im Forest Code dem Nationalkongress vorzulegen, und in Anbetracht Angesichts der internationalen Situation deutet einiges da- des deutlich gestiegenen Anteils des Energiesektors an rauf hin, dass die Chancen für die Zustimmung zu einem den Gesamtemissionen Brasiliens – einer Entwicklung, neuen, umfassenden und verbindlichen Post-Kyoto-Vertrag der der Staat keine angemessene Reaktion entgegenzu- gering sind, solange die USA intern kein Gesetz ratifizieren, setzen vermochte – wird es nun viel schwerer werden, das die US-Industrie zur Quantifizierung ihrer Emissions- den Diskurs über das historische Recht Brasiliens auf minderungen verpflichtet. Sicher ist, dass Brasilien seinen Wirtschaftswachstum, den Brasilien in den Verhandlun- in Cancún eingenommenen Standpunkt beibehalten wird. gen angestimmt hatte, fortzusetzen. Dies könnte sich Dieser war gekennzeichnet durch seine Bemühungen, die negativ auf die brasilianische Position im Hinblick auf die Anerkennung einer zweiten Periode mit weiteren Ver- angestrebte Beibehaltung der freiwilligen Ziele für die pflichtungen für die Zeit nach Kyoto und die Festlegung Volkswirtschaften der G-77+China auswirken. Brasilien, von quantifizierten Emissionsreduktionszielen für die An- das als wichtiger Vermittler im Verhandlungsprozess der nex-I-Staaten sicherzustellen. Ein weiteres Anliegen des Konvention nach Durban kommt, wird wohl aufgrund Landes ist, die Verhandlungen über die Ressourcen zur der angreifbaren Standpunkte, die es im Gepäck hat Finanzierung der Minderungs- und Anpassungsmaßnah- – also angesichts der Ungewissheiten, die sich in den men in den Ländern, die in der Konvention als Entwick- internen Schwierigkeiten des Landes manifestieren, die lungsländer definiert wurden, wieder aufzunehmen. eingegangenen Verpflichtungen zur Eindämmung des Klimawandels einzuhalten – dazu beitragen, dass die Seit dem Gipfel von Kopenhagen weiß Brasilien, dass Wahrscheinlichkeit für eine Pattsituation bei der Verab- es seinen Standpunkt nur in Zusammenhang mit den schiedung einer neuen Phase der Post-Kyoto-Verpflich- Maßnahmen zur Verringerung der Entwaldung vertre- tungen zunimmt. 12
NINA NETZER UND JUDITH GOUVERNEUR (HRSG.) | ZWISCHEN ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT Literatur Boden, T. A. / Marland, G. / Andres, R. J. (2009): Global, Regional, and National Fossil-Fuel CO2 Emissions. Carbon Dioxide Information Analysis Center, Oak Ridge National Laboratory, U.S. Department of Energy, Oak Ridge, Tenn., USA., doi 10.3334/CDIAC/00001. Apud IPAM. ABC do Cli- ma; available at: http://www.ipam.org.br/abc/mudancas (aufgerufen am 20.10.2011). Fatheuer, T. (2011): Mudanças Climáticas e Florestas Tropicais: novos conceitos e velhos desafios. Revista Proposta, n. 122. Rio de Janeiro: FASE. Fearnside, P. (2011): Hidrelétricas amazônicas como emissoras de gases de feito estufa. Revista Proposta. Justiça Climática. Ano 35 n. 122. Houghton, R. A. (2008): Carbon Flux to the Atmosphere from Land-Use Changes: 1850 2005, in: TRENDS: A Compendium of Data on Global Change. Machado, L. A. F. (o. J.): Copenhague e a Luta contra a Mudança do Clima; available at: http://interessenacional.uol.com.br/artigos-integra. asp?cd_artigo=60 (aufgerufen am 20.10.2011). Moreira, H. M. (2004): A atuação do Brasil no regime internacional de Mu- danças Climáticas de 1995 a 2004; available at: http://www.brasa.org/_si- temason/files/l6Ppra/Moreira%20Helena.doc (aufgerufen am 20.10.2011). Santos, M. (o. J.): Mudanças Climáticas: impactos e políticas no Brasil. Revista Proposta. Justiça Climática. Ano 35 n. 122. Viola, E. / Franchini, M. (2011): A mudança climática em 2011: gover- nança global estagnada e o novo perfil do Brasil. Textos Cindis, Nr. 25 (Juli). 13
NINA NETZER UND JUDITH GOUVERNEUR (HRSG.) | ZWISCHEN ANSPRUCH UND WIRKLICHKEIT Länderperspektive: China David Maleki * 1. Zusammenfassung 2. Rückblick: China und die Klimakonferenz von Cancún Chinas Haltung zum Klimaschutz erscheint manchem Betrachter widersprüchlich. Es ist der größte CO2-Emit- Nie zuvor wurde Chinas Einfluss in den Klimaverhand- tent und wurde daher mehrfach als das einflussreichste lungen so deutlich sichtbar wie 2009 bei der UN-Klima- Land in Bezug auf die Klimapolitik bezeichnet, wäh- konferenz in Kopenhagen. Die hohen Erwartungen an rend es sich andererseits an einigen der am stärksten ein wegweisendes Klimaabkommen, die dem Gipfel vom Klimawandel betroffenen Länder ausrichtet. China vorauseilten, in Verbindung mit einem beispiellosen investiert massiv in saubere Energien und hat sich mit Medieninteresse rückten China nach dem Scheitern der der Einrichtung eines landesweiten Hochgeschwindig- Verhandlungen ins Zentrum der öffentlichen Aufmerk- keitsbahnnetzes an die Spitze innovativer Transport samkeit. Viele Beobachter sahen China als den Haupt- technologie katapultiert. Es betont jedoch immer wieder schuldigen, der die Verhandlun gen durch eine frag- die angebliche Unvereinbarkeit von Emissionssenkungen würdige Verhandlungstaktik und eine kompromisslose und dem Anspruch, seinen Bürgern einen Weg aus der Haltung in Kernfragen wie den Emissionszielen sowie Armut zu ermöglichen, und weigert sich, einem ambitio- dem Messen, Berichten und Überprüfen von Treibhaus- nierten, rechtlich verbindlichen Klima-Abkommen beizu gas-Emissionen (measuring, reporting and verifying, treten. MRV) in eine Sackgasse ge führt hatte. Der deutsche Umweltminister Norbert Röttgen sprach von »chine- Was auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint, lässt sischer Verhinderungsmacht«.1 Doch selbst unter denen, sich vor dem Hintergrund der komplizierten Lage erklä- die diese Ansicht teilten, gingen die Meinungen dar- ren, in der sich China in Bezug auf die internationalen über, ob der Ausgang ein Erfolg für China sei oder nicht, Klimaverhandlungen befindet. Wie in vielen anderen Be- auseinander. Während einige das Land als klaren Sieger reichen führen auch hier Chinas innenpolitische, soziale aus dem Gipfel hervorgehen sahen, der seine Macht un- und wirtschaftliche Extreme in Kombination mit seiner ter Beweis gestellt und nennenswerte Zugeständnisse Größe zu einer komplexen Konstellation von schwer mit- von seiner Seite verhindert hatte, betonten andere vor einander zu vereinbarenden Interessen. Diese Komplexi- allem sein Scheitern in dem offensichtlichen Bestreben, tät steht in Kontrast zu dem scheinbar simplizistischen sich als verantwortlichen und konstruktiven Führer in den Ansatz, den China in den Klimaverhandlungen bislang globalen Anstrengungen zur Bekämpfung des Klima- verfolgt hat. Die Haltung des Landes ist durch ein Behar- wandels darzustellen. Anstatt als Brückenbauer zwi- ren auf der vereinfachenden Unterscheidung zwischen schen den entwickelten Ländern und den Entwicklungs- den Industrieländern auf der einen und den Entwick ländern gesehen zu werden, fand sich China selbst in die lungsländern auf der anderen Seite charakterisiert. In Rolle des Sündenbocks wieder, der vor den wichtigsten den Verhandlungen führt diese Einstellung zu einer Po- Verhandlungspartnern das Gesicht verlor. Auch wenn larisierung, die es China erlaubt, sich trotz seiner hohen China den Kopenhagen Akkord zu Hause als Ergebnis Emissionen als Fürsprecher der Opfer des Klimawandels seiner erfolgreichen Führung darstellte, war der Gipfel zu positionieren. China ist der Auffassung, die Industrie- eine traumatische Erfahrung. länder sollten auf Grund ihrer historischen Emissionen Die in dieser Veröffentlichung geäußerten Ansichten sind die des Verfas- sowie ihrer wirtschaftlichen Kapazitäten die Hauptlast sers und spiegeln nicht unbedingt den Standpunkt der Weltbank wider. der Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels tra- David Maleki ist als Consultant für die Weltbank im Bereich Klimawandel gen und die Entwicklungsländer beim Klimaschutz ent- und erneuerbare Energien tätig. Vor dieser Tätigkeit arbeitete er in Peking für Camco, ein global tätiges Beratungsunternehmen und Entwickler von sprechend unterstützen. Diese sehr enge Auslegung des Emissionsreduktionsprojekten. Prinzips der »gemeinsamen, aber differenzierten Ver- 1. Die USA können nicht führen. Interview mit dem deutschen Umwelt minister Norbert Röttgen, in: Spiegel Online (28.12.2009), abrufbar unter: antwortung« hat Chinas Verhandlungsposition bislang http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-68425654.html (letzter Zugriff am dominiert und wird dies wohl auch bis auf Weiteres tun. 09.11.2011). 15
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