01I20 Digitalisierung mit vollem Schub - Sechs Projekte - sechs Gesichter
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01I20 Digitalisierung mit vollem Schub Sechs Projekte – sechs Gesichter INNOVATION INNOVATION AVIATION Masse wäre Smart Factory in der Im Dreamliner Klasse – synthetische Luftfahrt: Komplizierter, zum Südseetraum – Kraftstoffe aber lohnend Air Tahiti Nui
3 Contents Die digitale Transformation managen. Falk Hinderberger ist Digital Transformation Manager bei der MTU Aero Engines. Er verknüpft die analoge Welt mit der digitalen. Effizienz steigern mit Multiphysiksimulationen. Fritz Hoffmeister entwickelt ein Multiphysik-Simulationsmodell, um ein kompliziertes Verfahren zur elektrochemischen Fertigung von Triebwerks schaufeln erstmals komplett digital abbilden zu können. Meterlange Mathematik-Funktionen. Dr. Urška Zore programmiert den MTU-Triebwerksentwicklern jene 3D-Tools, die sie für das Design von noch sparsameren und noch leiseren Triebwerken benötigen. Werkzeugverschleiß vorhersagen. Pere Massanés Padró arbeitet an einem Simulationsmodell, mit dem sich Werkzeugverschleiß en detail prognostizieren lässt. Data Scientist für die Luftfahrt von Morgen. Er wertet aus, entschlüsselt, verknüpft. Datenwissenschaftler Dr. Oliver Arnold managt die Schnittstelle zwischen Informations- technologie und Fertigungstechnologie. Interdisziplinäres Koordinatensystem. Dr. Anna Wawrzinek arbeitet an einer gemeinsamen Software für die unterschiedlichen Disziplinen der Triebwerksentwicklung. Den ganzen Artikel „Digitalisierung mit vollem Schub“ lesen Sie auf den Seiten 6 – 19.
Contents 4 COVER STORY INNOVATION INNOVATION Digitalisierung mit Masse wäre klasse Zukunft im Anflug vollem Schub Die MTU fliegt bei der Digitalisierung Mit Power-to-Liquid- und Sun-to-Liquid- Mehr als 100 Unternehmen weltweit nicht nur am Puls der Zeit – mit innova Kraftstoffen kann die Luftfahrt ihre arbeiten aktuell an Flugtaxis. Die Konzep tiven Ansätzen und neuen Anwendungen ambitionierten Klimaziele erreichen. te unterscheiden sich in den geplanten gestaltet sie den Wandel ganz konkret Um aber möglichst schnell auf relevante Einsatzszenarien und ihren technischen mit. Sechs Projekte, die schon weit Produktionsmengen zu kommen, muss Details erheblich. Der AEROREPORT fortgeschritten sind. der Infrastrukturaufbau am besten noch stellt exemplarisch sechs verschiedene heute beginnen. Ansätze vor. Seite 6 Seite 20 Seite 28 CONTENTS COVER STORY AVIATION 6 Digitalisierung mit vollem Schub Mit innovativen 40 Mit 300 km/h auf Konfrontationskurs Vogelschlag – Ansätzen ist die MTU bei der Digitalisierung ganz Strategien gegen den Crash vorne mit dabei 44 Im Dreamliner zum Südsee-Traum 118 Inseln mitten im endlosen Südpazifik, das ist Französisch-Polynesien INNOVATION 50 Fliegen mit Stil JetBlue Airways treibt die Preise nach 20 Masse wäre klasse Nahezu CO2-neutral: Kerosin aus unten, bietet Kunden dennoch viele Annehmlichkeiten erneuerbarer Energie 54 Anflüge dichter staffeln Vor Landebahnen installierte 24 „Wir beschleunigen Innovationen“ Im „Inno Lab“ sucht Platten lassen gefährliche Wirbelschleppen von voraus- die MTU nach Trends und generiert Ideen fliegenden Flugzeugen deutlich schneller zerfallen 28 Zukunft im Anflug Flugtaxis: Welche unterschiedlichen Konzepte sind im Anflug? 36 Im Hürdenlauf zur Smart Factory Smart Factory in der Luftfahrt: Komplizierter, aber lohnend
5 Contents iN INNOVATION AVIATION PEOPLE Im Hürdenlauf zur Im Dreamliner zum Talente beflügeln Smart Factory Südsee-Traum Die Smart Factory verspricht höhere Ohne Luftverkehr wäre das Leben für Immer noch sind Frauen in Deutschland Stückzahlen bei steigender Qualität und Touristen und Einwohner in Franzö in den naturwissenschaftlich-techni sinkenden Kosten. Die Luftfahrtbranche sisch-Polynesien undenkbar. Mit der schen Studiengängen verhältnismäßig muss aber zusätzliche Hürden auf dem Boeing 787-9 hat die Fluggesellschaft unterrepräsentiert. Es ist Zeit, das zu Weg zur intelligenten Produktion neh Air Tahiti Nui das perfekte Flugzeug für ändern, meint Dr. Mihaela Sorina Seitz, men. MTU Aero Engines zeigt, dass sich die langen Strecken im Südpazifik. Leiterin Advanced Materials, bei der der Aufwand lohnt. MTU Aero Engines. Seite 36 Seite 44 Seite 58 PEOPLE 58 Talente beflügeln Ein Gespräch mit Dr. Mihaela Sorina Seitz über die Förderung von MINT-Studentinnen GOOD TO KNOW 62 Leises Landen Das DLR erprobt neue leise Anflugverfahren 64 Starke Combo Im Januar flog die neue Boeing 777X-9 mit ihren GE9X-Triebwerken das erste Mal 65 Kostenlose Abo-Bestellung AEROREPORT Printausgabe zweimal pro Jahr zu Ihnen auf den Schreibtisch www.aeroreport.de 65 Impressum und Bildnachweis Alle Beiträge aus der Print-Ausgabe finden Sie ebenfalls online unter: www.aeroreport.de – auch im passenden Format für Ihr Smartphone oder Tablet. Informative Videos, Fotogalerien, zoombare Bilder und andere interaktive Specials warten dort auf Sie.
Cover Story 6 MTU ENG INE EXPER TS (V.L.N .R.) P ER E MA SSA NÉS PADRÓ / Projektingenieur Prozessauslegung Fertigung DR. OLIVER ARNOLD / Data Scientist DR . A NNA WAWRZINEK / Digital Transformation Managerin F R ITZ H OF F MEI S T ER / Projektingenieur Simulation Fertigungsprozesse FA L K H INDERBERG ER / Digital Transformation Manager DR. URŠ KA ZORE / IT-Planerin
7 Cover Story Digitalisierung mit vollem Schub Neue Anwendungen, neue Technologien und neue Chancen. Die Digitalisierung ändert das Triebwerksgeschäft grundlegend. Dies sind die Gesichter, die den Wandel möglich machen. Autor: Thorsten Rienth Manchmal sind es die einfachen Bilder, die komplexe Zusammen auf breiter Front ausrollen. Digitale Modelle bilden kostspielige hänge auf den Punkt bringen. „Auch in Zukunft werden wir in reale und zeitintensive Versuchsträger zusehends am Computer nach. Flugzeuge steigen, die von realen Triebwerken angetrieben wer Vernetzte Kunden- und Lieferantendaten entschärfen potenzielle den“, sagt Dr. Pamela Herget-Wehlitz, die Verantwortliche für den Störungen in der Lieferkette – lange bevor es für die ausgeklügel IT-Bereich der MTU Aero Engines. „Aber die Entwicklung und Pro te Fertigungslogistik kritisch wird. duktion verlagert sich immer mehr in die digitale Welt.“ Und die Managerin schiebt gleich nach, was das Bildnis konkret bedeutet: Der Ansatz setzt sich im administrativen Bereich ausdrücklich „Die Digitalisierung wird unsere Geschäftswelt nicht überflüssig fort und zwar weit über die Ablösung von Papiereinsatz durch machen. Aber sie wird sich schneller und effizienter drehen.“ elektronische Workflows hinaus. Robotic Process Automation flankiert die Standardabläufe. Das neue E-Learning-System stellt Bereits im Jahr 2016 hatte die MTU die entscheidenden Weichen Lernprogramme fürs Selbststudium bereit und unterstützt Blen gestellt und ihr „Digital Transformation Program“ in der Breite ded Learning im Arbeitseinsatz. verankert. Zielsetzung war nicht weniger, als das gesamte Unter nehmen durchgehend zu digitalisieren. Dreieinhalb Jahre später „Wichtig ist der Mut, bisherige Prozesse kritisch auf den Prüf treibt die MTU rund 300 Einzelprojekte voran. Einem Reißver stand zu stellen“, sagt Herget-Wehlitz. Das gelte allerdings auch schluss gleich fügen sich Bedarfe und Lösungen ineinander. für die zukünftigen Tools selbst. Selbstzweck sei die Digitalisie rung schließlich nicht. „Im Mittelpunkt steht immer echter Mehr Die Perspektive ist eine mindestens fachbereichs-, ja oft sogar wert, der uns und unsere Produkte messbar voranbringt.“ eine standortübergreifende: Lieferungen absichern, Bestände minimieren und Produktfortschritte darstellen – dabei Daten Sechs Projektportraits zeigen auf den folgenden Seiten, wie die analysen, selbstlernende Algorithmen und Künstliche Intelligenz ser Mehrwert ganz konkret aussieht:
Cover Story 8 ENGINE EX P ER T: Falk Hinderberger Digital Transformation Manager Die digitale Trans- Seit Herbst 2018 treibt er bei der MTU Aero Engines die digitale Transformation im Zivilgeschäft voran. „Wir wollen Arbeitsabläu formation managen. fe verbessern, mehr aus vorhandenen Daten lernen und neue IT-Technologien evaluieren und einführen“. Eines der Projekte, in die Hinderberger aktuell involviert ist: Die Ersatzteilbedarfe prä Falk Hinderberger ist Digital Transformation ziser vorauszusagen. Manager bei der MTU Aero Engines. Dies ist einmal relevant, weil die oftmals komplexen und aus Er verknüpft die analoge Welt mit der digitalen. High-End-Materialien bestehenden Triebwerkskomponenten schnell dem Wert eines Mittelklassewagens entsprechen. Sie binden folglich in Form des Lagerbestands einiges an Kapital. Zum anderen sind die Beschaffungsketten derartiger Komponen ten mit bis zu 18 Monaten sehr lang. Einen rein computerbasierten Algorithmus für die Bedarfe der Zukunft zu entwickeln, hält Hinderberger auf absehbare Zeit für Von Henry Ford, dem Mann, der die industrielle Produktion des unwahrscheinlich. „Sie sind von zahlreichen Faktoren abhängig, Automobils revolutionierte, ist der Satz überliefert: „Wenn ich die ein Ersatzteilbedarfsplaner stets bewerten muss: Von Wet die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: ter- und Umwelteinflüssen, der Nutzungszeit seit der letzten schnellere Pferde.“ Heute steht die Industrie vor einem ähnlich Triebwerksüberholung, von Trends in Flugbewegungen der Airline einschneidenden Wandel, wie zu Fords Zeiten. Nur geht es dies Flotten und vom Ölpreis.“ Wie würde sich sein Fallen auf die Nut mal nicht mehr ums Fließband, sondern um die digitale Transfor zungsdauern bestehender Flotten auswirken? Womöglich lohnt mation von Geschäftsprozessen. Ein gänzlich neues Berufsbild es sich für Airlines, ältere Flugzeuge mit einem etwas höheren ist dadurch entstanden. Auf Falk Hinderbergers Visitenkarte Treibstoffverbrauch doch länger als geplant zu betreiben? Was steht: Digital Transformation Manager. würde das für die Ersatzteilbedarfe bedeuten? Der 32-Jährige ist Digital Transformation Manager bei der MTU „Mit dem Einsatz von moderner Datenanalyse und Big-Data-Tech Aero Engines. „Wir sind dabei, die analoge Welt mit der digita nologien, die vor 10, 15 Jahren noch nicht produktiv eingesetzt len zu verknüpfen.“ Etwas konkreter formuliert: „Es geht darum, wurden, können wir die Kollegen aus der Ersatzteilbedarfspla Digitalisierungspotenziale zu identifizieren, Fachbereiche und IT nung zunehmend mit aus Daten gewonnen Erkenntnissen un zusammenzubringen und schließlich mit einem End-to-End Fokus terstützen und somit Entscheidungen transparenter gestalten“, in Lösungen mit echtem Mehrwert zu überführen.“ erklärt Hinderberger. „Der Fachbereich gibt den Prozess und die Parameter vor – wir überführen sie dann in Anforderungen an ein Hinderberger hatte International Business in Aalen und Reutlin bestenfalls existierendes IT-Tool.“ gen studiert, dabei Auslandsstationen in Mexiko, Thailand und Russland eingelegt. Dann wechselte er in eine Unternehmensbe Wie ein großes Puzzle sollen so Daten und Recherchen zusam ratung, wo er oft in Digitalisierungsprojekte im Automotive-Be mengeführt werden, um sich Schritt für Schritt dem Ziel zu nä reich eingebunden war – sein Fokus hier: Digitalstrategien entwi hern: einer proaktiven und digital unterstützten Ersatzteilplanung ckeln und digitale Geschäftsmodelle gestalten. mit optimierten Lagerbeständen.
9 Cover Story „Wir wollen Arbeits- abläufe verbessern, mehr aus vorhandenen Daten lernen und neue IT-Technologien evalu- ieren und einführen.“ Falk Hinderberger, Digital Transformation Manager bei der MTU Aero Engines
Cover Story 10 „Wir entwickeln ein Simulationsmodell, das chemische Reaktionen, Wärmeübertragung, Mehrphasenfluid- strömung und das elektrische Feld vereint.“ Fritz Hoffmeister, Projektingenieur Simulation Fertigungsprozesse bei der MTU Aero Engines
11 Cover Story ENG INE EXPER T: Fritz Hoffmeister Projektingenieur Simulation Fertigungsprozesse Effizienz steigern Notgedrungen, denn andere Möglichkeiten gab es bisher nicht. Der Aufwand der Erprobung sei enorm: Versuch vorbereiten, ihn mit Multiphysik- durchführen, das Bauteil vermessen. Ein, zwei Parameter ändern. Alles wieder von vorne – und bei jedem neuen Bauteil von neu simulationen. em. Natürlich helfen die bereits gesammelten Erfahrungen die sen Prozess zu beschleunigen. Fritz Hoffmeister, gerade 29 Jahre alt geworden, sucht nach einer Abkürzung. „Was, wenn wir all Fritz Hoffmeister entwickelt ein Multiphysik- die Wechselwirkungen simulieren könnten, mit Genauigkeiten im Simulationsmodell, um ein kompliziertes Verfahren zur Mikrometerbereich?“ elektrochemischen Fertigung von Triebwerksschaufeln Multiphysiksimulation lautet der Ansatz, über den Hoffmeisters erstmals komplett digital abbilden zu können. Weg führt. „Wir entwickeln ein Simulationsmodell, das chemi sche Reaktionen, Wärmeübertragung, Mehrphasenfluidströmung und das elektrische Feld vereint.“ Im Kern geht es darum, über den simulierten Stromfluss den exakten Metallabtrag und da Der Bildschirm zeigt zwei Metallstücke. Links ein kleines rundes, mit das exakte geometrische Endresultat berechnen zu können. rechts ein größeres längliches. Wie in einem Wespennest schwir „Vereinfacht gesagt: Wir schicken die Geometrie eines neuen ren zwischen ihnen kleine Punkte hin und her. Einige nehmen den Bauteils in einen Superrechner und führen die Iterationen virtu kürzesten Weg, andere einen großen Umweg, zum Beispiel vom ell durch. Zweidimensional bekommen wir das schon ganz gut oberen Ende des länglichen Metallstücks zur hinteren Seite des hin. Für eine industrielle Anwendung ist allerdings besonders kleinen runden. Die schwirrenden Punkte entsprechen gelade die dreidimensionale Betrachtung entscheidend. Daran arbeiten nen Ionen in einem elektrischen Feld. wir auf Hochtouren. Mittlerweile lässt sich auch der 3D-Abtrag berechnen, wobei wir hier noch nicht alle der zuvor genannten Wie kleine Shuttles auf Atomgröße tragen sie Metall von einem physikalischen Phänomene implementiert haben. Werkstück ab. Für das Werkzeug – die Kathode – ist dieses elek trochemische Abtragen nahezu verschleißfrei. Bei den hochfes Zuerst hatte Hoffmeister den Maschinenbau-Bachelor gemacht ten Materialien von Triebwerksschaufeln ermöglicht es eine völlig und für den Master of Science dann den Studiengang „Techni neue Herangehensweise. Würde das Metall spanend abgetragen, sche Berechnung und Simulation“ an der Hochschule München wäre der Werkzeugverschleiß derart enorm, dass der gesamte daraufgesetzt. Nebenher arbeitete er bereits bei einem Unter Vorgang unwirtschaftlich würde. nehmen im Automobilsektor. Dort berechnete er Car-Crashsimu lationen sowie Multiphysik-Airbagsimulationen. Zur MTU kam er Electrochemical Machining nennt die Fachwelt das Verfahren, über seine Masterarbeit: „Numerische Simulation der 3D-Elek kurz: ECM. Doch welche Arbeitsspannung bringt bei welchem trolytströmung sowie der vollgekoppelten 2D-Multiphysik beim Vorschub die besten geometrischen Ergebnisse? Wie hängt die ECM-Verfahren“. Stromdichte mit dem entstehenden Wasserstoffgas und der Oberflächenqualität zusammen? Und überhaupt: Wie wirkt sich Dass der Titel genau dem entspricht, was Hoffmeister heute bei eigentlich der Druck der Elektrolytströmung auf all das aus? „Bis der MTU macht, ist kein Zufall. Als er mit der Masterarbeit auf die lang musste man dies mit einem Try-and-Error-Ansatz erproben“, sprichwörtliche Zielgeraden einbog, bekam er ein Übernahmean erklärt Fritz Hoffmeister. gebot – und unterschrieb.
Cover Story 12 ENGINE EX P ER T: Dr. Urška Zore IT-Planerin Meterlange Mathe denkbaren dreidimensionalen Formen mathematisch abbilden zu können. matik-Funktionen Zur MTU war die 31-Jährige nach dem Mathematikstudium in Ljubljana in Slowenien und der Promotion in Linz in Österreich Dr. Urška Zore programmiert den MTU-Triebwerks gekommen. Eigentlich nur im Rahmen eines EU-Forschungspro entwicklern jene 3D-Tools, die sie für das jekts. Aber am Ende erhielt sie das Angebot zu bleiben. Design von noch sparsameren und noch leiseren Ein Großteil von Zores Tätigkeit läuft im Hintergrund ab. Doch bei Triebwerken benötigen. der Entwicklung von Triebwerksteilen oder -modulen ist dieser Hintergrund unverzichtbar: „Es geht darum, die Entwickler mit den bestmöglichen 3D-Tools auszustatten, damit sie Triebwerke bestmöglich entwickeln können“, beschreibt sie die Aufgabe. „Die Kollegen sagen uns, was sie brauchen – und wir überle Die COBRA beißt nicht, aber sie will gefüttert werden. Mit ma gen uns, mit welcher Mathematik wir ihre Anforderungen erfül thematischen und geometrischen Methoden, mit Funktionen, len können. Und dann erzeugen wir gemeinsam zukunftsfähige die sich, ausgeschrieben auf einer Tafel, über Meter erstrecken Lösungen.“ Die Sache ist hochkomplex, praktisch alle Fachdis können. Gefüllt mit Variablen setzen sich auf den Bildschirmen ziplinen sind in die Abläufe integriert und in ihrer spezifischen von Triebwerksentwicklern dreidimensionale Objekte zusam Weise für das Tool relevant. men, zum Beispiel Triebwerksschaufeln. Die meterlange Funktion definiert hochaufgelöst jeden Punkt des Objekts in einem drei Deshalb passt das Bild mit der Schlange auch an dieser Stel dimensionalen Raum. le. Die COBRA-Software ist nichts Statisches, sie bewegt sich. „Zusammen mit meinen Kollegen programmiere ich neue digitale COBRA steht für COnsistent Blade Representations for Aircraft Werkzeuge, integriere sie in COBRA und kümmere mich um den engines, dahinter steckt eine MTU-eigene Software zur Geome Support“, erzählt die IT-Planerin. Die Güte der digitalen Modelle triegenerierung von Triebwerksbauteilen. Um sie dreht sich in ist dabei zentral – einmal von den neuen digitalen Werkzeugen Dr. Urška Zores Berufsalltag das Allermeiste. zum gefertigten Bauteil. Ein andermal vom gescannten gefertig ten Bauteil zurück in die digitale 3D-Darstellung. Die COBRA-Software stellt mit ein Rückgrat der MTU-Triebwerks auslegung dar, das lässt sich ohne Übertreibung so sagen. Denn Bei alldem ist stets auch das sprichwörtliche große Ganze im die Feinheiten, die in modernen Triebwerken über ein zusätz Blick. „Je höher unsere geometrische Kompetenz liegt, desto liches Plus an Effizienz und Lebensdauer entscheiden, werden schneller können unsere Entwickler die neuen Designs erzeu – ganz besonders in der Aerodynamik und Strukturmechanik – gen.“ Sie wiederum bedeuten am Ende Triebwerke, die Flugzeu immer detaillierter. ge noch sparsamer, noch emissionsärmer und noch leiser in die Luft heben. Und bei alldem habe sie auch viel gelernt, erzählt „Je höher dabei unsere geometrische Kompetenz ist, desto die Mathematikerin mit einem Augenzwinkern: „Ich spreche jetzt schneller können wir neue und über den Branchenstandard nicht nur Slowenisch, Englisch, Deutsch und ein paar Program hinausgehende Designs entwickeln“, erklärt Zore. Und geome miersprachen – sondern lerne auch die Sprache der Ingenieure trische Kompetenz bedeutet: Möglichst alle in einem Triebwerk zu sprechen.“
13 Cover Story „Es geht darum, die Entwickler mit den best- möglichen 3D-Tools auszustatten, damit sie Triebwerke bestmöglich entwickeln können.“ Dr. Urška Zore, IT-Planerin bei der MTU Aero Engines
Cover Story 14 „Mit einer minimalen Anzahl von experimentellen Tests werden wir bei angemessener Genauigkeit vorhersagen können, wie der Werkzeugverschleiß auf verschiedene Prozessbedingungen reagiert.“ Pere Massanés Padró, Projektingenieur Prozessauslegung Fertigung bei der bei der MTU Aero Engines
15 Cover Story ENG INE EXPER T: Pere Massanés Padró Projektingenieur Prozessauslegung Fertigung Digitalisierung Die Folgen sind keinesfalls zu verachten: Wo sich die Form der Schneidfläche durch den Verschleiß verändert, geschieht dies macht’s möglich: auch an der Kontur des Werkstücks. Oberflächenintegrität und Prozessstabilität leiden darunter. Ließe sich der Verschleiß des Werkzeugverschleiß Werkzeugs vorausberechnen, könnten ihn die Fertigungsinge nieure während des Prozesses exakt ausgleichen. Indem sie etwa vorhersagen. Schnittgeschwindigkeit, Werkzeugeinstellwinkel und Vorschub entsprechend nachjustieren. Gerade in der Luftfahrtindustrie, wo die Produktionskosten durch die Bearbeitung von Superlegie Pere Massanés Padró arbeitet an einem rungen auf Nickel oder Titan hoch sind, steckt in verlässlichen Simulationsmodell, mit dem sich Werkzeug- Vorhersagen einiges an Potenzial. verschleiß en detail prognostizieren lässt. Mit 18 hatte er sich an der Universitat Politècnica de Catalunya in Barcelona für Maschinenbau eingeschrieben. Mit 22 setzte er das Werkstofftechnik-Masterstudium darauf. „Dass ich mein Berufs- leben im Ausland verbringen möchte, dafür habe ich mich sehr früh entschieden. Dort sind die Berufsmöglichkeiten in meinem Bereich attraktiver.“ Der Plan ging auf: Übers Internet sah er die Industrielles Try-and-Error – klingt nach einem Stilmittel aus Zei Masterandenstelle in der MTU-Zerspansimulation. Nach fünf Mo ten, in denen Digitalisierung höchstens in Form von Zukunftsmu naten als Masterand erhielt er eine feste Stelle als Ingenieur in der sik zu hören war. „In manchen Fällen ist diese Vorgehensweise Abteilung. „So konnte ich an meinem Thema weiterarbeiten.“ aber noch immer ohne Alternative, zum Beispiel beim Werkzeug verschleiß“, erklärt Maschinenbauer Pere Massanés Padró. Der Das Problem mit der Vorhersagbarkeit von Werkzeugverschleiß experimentelle Aufwand, um akzeptable Prozessbedingungen zu will der 26-Jährige mit einem hybriden Ansatz lösen. Dahinter bestimmen, die die Verschleißgrenzen nicht überschreiten, sei steckt die Kombination aus analytischen, empirischen, expe enorm. „Deshalb kann die Entwicklung des Verschleißes eines rimentellen und numerischen Herangehensweisen zu einem Werkzeugs nur durch realitätsnahe und aufwändige Tests im Se einzigen großen Simulationsmodell. Massanés Padró will die rienalltag beherrscht werden.“ Zusammenhänge zwischen Prozessparameter (wie Schnittge schwindigkeit, Vorschub, Schnitttiefe, Werkzeuggeometrie) und Denn Werkzeugverschleiß verläuft nicht gleichmäßig. Erst ist er die Werkstoffbeanspruchungen (wie Temperaturen, Spannungen degressiv, dann ein bisschen linear, schließlich progressiv. Na und Dehnungen) analytisch beschreiben, um die Entwicklung des türlich ist alles auch abhängig von Material und Schnittgeschwin Werkzeugverschleißes vorherzusagen. digkeit. Die Sache ist so komplex, dass selbst heute noch keine Modelle existieren, mit denen sich Werkzeugverschleiß modellba Natürlich bleibt auch das ein komplexes Konstrukt. „Aber eines, siert in die Werkzeug- und Fertigungsprozessauslegung einbrin das sich digital darstellen ließe“, sagt Massanés Padró – und das gen ließe. Nicht einmal die Finite-Elemente-Methode, die bei der Try-and-Error drastisch reduziert. „Mit einer minimalen Anzahl Lösung von physikalischen Problemen in ingenieurswissenschaft von experimentellen Tests werden wir bei angemessener Genau lichen Berechnungen normalerweise die Methode der Wahl ist, igkeit vorhersagen können, wie der Werkzeugverschleiß auf ver genügt beim Werkzeugverschleiß den industriellen Anwendungen. schiedene Prozessbedingungen reagiert.“
Cover Story 16 ENGINE EX P ER T: Dr. Oliver Arnold Data Scientist Data Scientist für die kalischen Grundlagenforschung mitgearbeitet. Bei der MTU will er Algorithmen schaffen, die wertvolle Daten über das extrem Luftfahrt von Morgen. komplexe Blisk-Fertigungsverfahren bündelt. „Vereinfacht gesagt: Wir schauen uns Maschinendaten an, die Er wertet aus, entschlüsselt, verknüpft. Daten- bei einer Blisk-Zerspanung anfallen“, erklärt Arnold. „In ihnen wissenschaftler Dr. Oliver Arnold managt die versuchen wir Muster und Abhängigkeiten zu erkennen, die sich Schnittstelle zwischen Informationstechnologie womöglich erst Fertigungsschritte später negativ in der Bauteil qualität niederschlagen.“ Mit belastbar extrahierten Trends wür und Fertigungstechnologie. den den Fertigungsingenieuren fundierte Entscheidungsgrundla gen zur Verfügung gestellt. Um früher zu reagieren, um Prozesse zu verbessern und um Kosten zu sparen. Nichts geht im Triebwerksgeschäft über Bauteilqualität. Bei einer Das Ziel klingt leichter, als der Weg dorthin in Wirklichkeit ist. Wie Blisk zum Beispiel, einem integral aus Scheibe und Schaufeln ge gelingt es, aus den unzähligen Maschinendaten die tatsächlich fertigten Hochtechnologie-Bauteil, kann schon das Hundertstel relevanten Informationen zu extrahieren? In welcher Frequenz eines Millimeters entscheidend sein. Im schlimmsten Fall bleibt werden sie passenderweise abgegriff en? Welche Datengüte ist vom gesamten Bauteil nur noch der Materialwert übrig. Wirklich für welche Kausalitäten nötig? Und welche zusätzliche Sensorik sicher sind sich die Fertigungsingenieure bislang erst, wenn die könnte dazu in Zukunft einmal dringend nötig werden – und sollte Blisk aus der Schlusskontrolle kommt, wenn der stundenlange deshalb schon jetzt ins Lastenheft der zur Beschaffung anste Spanprozess schon lange zu Ende ist. henden neuen Maschinen aufgenommen werden? „Wir sind noch relativ am Anfang“, sagt Arnold. „Aber wir tasten uns Schritt für Was, wenn sich kritische Abweichungen schon viel früher detek Schritt an die Antworten heran.“ tieren ließen? Zum Beispiel, um noch während des Fertigungs prozesses auf eine sich abzeichnende Toleranzabweichung re Die Entwicklung dieses komplett datengetriebenen Prozessver agieren zu können. Eine aufwendige und kostspielige Nacharbeit ständnisses ist noch eine sehr junge Wissenschaft. Die Techni wäre wohl verhindert. sche Universität München (TUM) war etwa eine der ersten Uni versitäten überhaupt, die im Jahr 2015 einen Masterstudiengang Daten, die Fertigungsmaschinen während ihrer Arbeit erstellen, in Data Science gestartet hat. Vier Jahre später schon ist das abrufen oder verarbeiten, könnten für die Lösung entscheidend Berufsfeld aus keiner Hightech-Industrie mehr wegzudenken. sein. Doch die Informationsmenge ist enorm. Um sie nutzen zu können, braucht es jemanden, der Relevantes von Irrelevantem „Das Spannende ist für mich ganz klar der interdisziplinäre An trennt. Der auswertet, entschlüsselt, verknüpft. satz“, sagt Arnold. „Ich allein kann ohne die Kollegen aus der Fer tigung die Daten nicht verstehen. Die Kollegen aus der Fertigung So jemand ist für die Blisk-Fertigung der MTU Aero Engines bringen das Prozesswissen mit. Wir überführen es – zusammen Dr. Oliver Arnold. Vor etwa zwei Jahren war der heute 35-jährige mit den Daten – in ein Modell.“ Wenn man so will, ist Arnold ein Physiker und Datenwissenschaftler vom CERN, der Europäischen Dolmetscher: An der Schnittstelle zwischen Informationstechno Organisation für Kernforschung, nach München gewechselt. Im logie und Fertigungsstrategie unterstützt er durch seine Analy Kanton Genf hatte er an Hochenergieexperimenten in der physi sen die Entscheidungsfindung.
17 Cover Story „Ich allein kann ohne die Kollegen aus der Fertigung die Daten nicht verstehen. Die Kollegen aus der Fertigung bringen das Prozesswissen mit. Wir überführen es – zusammen mit den Daten – in ein Modell.“ Dr. Oliver Arnold, Data Scientist bei der MTU Aero Engines
Cover Story 18 „Ich arbeite daran, die unterschiedlichen Methoden in eine Art übergreifendes Koordinatensystem zu übersetzen.“ Dr. Anna Wawrzinek, Digital Transformation Managerin bei der MTU Aero Engines
19 Cover Story ENG INE EXPER T: Dr. Anna Wawrzinek Digital Transformation Managerin Interdisziplinäres MTU Aero Engines auflösen möchte: „Ich arbeite daran, die unterschiedlichen Methoden in eine Art übergreifendes Koor Koordinatensystem. dinatensystem zu übersetzen.“ Die Folge wäre eine effizientere und schnellere Triebwerks- und Triebwerksbauteilentwicklung – schließlich entfiele die Zeit fürs Umrechnen zwischen den ver Dr. Anna Wawrzinek arbeitet an einer gemeinsamen schiedenen Koordinatensystemen. Software für die unterschiedlichen Disziplinen der Triebwerksentwicklung. Nach dem Abitur war die Polin zum Mathematik-Studium an die Freie Universität Berlin gegangen. Ihre Promotion schrieb sie über Es ist ein wahrlich großer Bogen, den Dr. Anna Wawrzinek da mit eine noch junge Forschungsrichtung namens Isogeometrische dem Verweis auf den Entwurf des deutschen Grundgesetzes schlägt. Analyse und deren Transformation in Industrieanwendungen. „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Mathematiker versuchen bei der Isogeometrischen Analyse, die Staates willen.“ Mit der digitalen Transformation verhalte es sich geometrische Beschreibung von Design- und Analysemodell zu ähnlich. „Die ist kein Selbstzweck, sondern soll die Kollegen dabei vereinigen, indem sie sogenannte NURBS (Non-Uniform Rational unterstützen, den Fokus aufs Wesentliche zu legen.“ Zum Beispiel B-Splines) als gemeinsame Basis für die Formbeschreibung ein auf die Entwicklung von neuen Luftverkehrsantrieben. führen. Dies bietet sich an, weil NURBS bereits den Standard bei den meisten CAD-Systemen (Computer Aided Design) darstellen. Aus bis zu 30.000 Einzelteilen fügt sich ein Triebwerk je nach Mo dell zusammen. Im Zusammenspiel entsteht ein komplexes Sys Im Grunde beruht die Notwendigkeit einer umfassenden Lösung auf tem aus Aktion, Reaktion und wechselseitigen Einflüssen. Kaum einer historischen Entwicklung. Als Computer in den 1960er Jahren weniger komplex ist die Art und Weise, wie Triebwerke entwickelt langsam Einzug in die Industrie erhielten, hätte sich das digitale werden – nämlich in einem austarierten Zusammenspiel aus Kon Handwerkszeug entlang der Disziplingrenzen auseinander entwi struktion, Aerodynamik und Strukturmechanik. ckelt: „Die Designer arbeiteten mit glatten Oberflächen weiter, was ja auch nahe liegt. Aber die Analytiker mussten mit feineren dreidi Mittlerweile ist die technologische Entwicklung so weit fortge mensionalen Elementen, wie Punktewolken oder Dreiecke arbeiten, schritten, dass spürbare Verbesserungen nur noch unter Be um die Bauteile digital weiterverarbeiten zu können.“ trachtung des gesamten Triebwerks möglich sind, zumindest, wenn die Wirtschaftlichkeit gegeben sein soll. Doch die einzelnen Langfristig betrachtet ist das gemeinsame MTU-Entwicklungs- Disziplinen, die ihre (Weiter-)Entwicklungen bislang meist separat Koordinatensystem für Konstruktion, Aerodynamik und Struk betrachteten, haben über die Jahre eigene digitale Entwicklungs turmechanik dennoch eher ein Zwischenziel. Der nächste Schritt systeme aufgebaut. „Vereinfacht könnte man sagen: Sie arbeiten wäre eine verlustfreie Vernetzung und Integration der bestehen mit unterschiedlichen Koordinatensystemen“, erklärt Wawrzinek. den Systeme für alle wesentlich an einem Triebwerk beteiligten Partner. „Dann könnte man auch softwareseitig das abbilden, An dieser Stelle beginnt eine Problematik, die die 33-Jährige was mit der immer stärkeren Gesamtbetrachtung des Triebwerks als eine von rund 20 Digital Transformation Managern bei der auf Entwicklungsebene ohnehin der Trend ist.“ Fragen, Wünsche, Anregungen? Hier erreichen Sie die Redaktion: aeroreport@mtu.de Autor: Thorsten Rienth schreibt als freier Journalist für den AEROREPORT. Seine technikjournalistischen Schwerpunkte liegen neben der Luft- und Mehr zum Thema: www.aeroreport.de Raumfahrtbranche im Bahnverkehr und dem Transportwesen.
Innovation 20 Sun-to-liquid-Verfahren (StL) _____ Eine Sun-to-liquid-Anlage produziert Kerosin aus Sonnenlicht, Wasser und CO2. Das funktioniert schon heute in der Praxis: In Madrid wurde am IMDEA Energy Institute eine einzigartige Solaranlage errichtet und über vier Jahre ausgiebig getestet. Das Projekt wurde aus dem Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union finanziert und vom Schweizerischen Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation unterstützt.
21 Innovation Masse wäre klasse Mit Power-to-Liquid- und Sun-to-Liquid-Kraftstoffen kann die Luftfahrt ihre ambitionierten Klimaziele erreichen – wenn man schnell auf relevante Produktionsmengen kommt. Autor: Denis Dilba Seit den 1960er-Jahren bis heute konnten effizientere Flugtrieb logie der Luftfahrt am Münchner Forschungsinstitut Bau werke, verbesserte Aerodynamik und neue leichtere Werkstoffe haus Luftfahrt. Damit meint er zwei bestimmte Varianten der den Treibstoffverbrauch und damit auch die CO2-Emissionen von „Sustainable Aviation Fuels“ (SAF): die sogenannten Power- Flugzeugen fast halbieren. An diesen Aufgaben wird auch weiter to-Liquids (PtL) und Sun-to-Liquids (StL). Auch die Luftfahrt hin gearbeitet, um den Treibstoffverbrauch zu senken. Da aber branche hat das längst erkannt und testet bereits seit mehr der globale Luftverkehr aller Voraussicht nach auch in Zukunft als zehn Jahren solche SAFs, die nicht mehr aus fossilem Erd weiter um etwa fünf Prozent pro Jahr wächst, reichen sie nicht öl produziert werden. Lange Zeit galten Biokraftstoffe als Fa aus, um den Anstieg der CO2-Emissionen zu stoppen – geschwei vorit, nun zeichnet sich aber immer klarer ab, dass sie keine ge denn, ihn zu verringern. nachhaltige Versorgung der globalen Flugzeugflotte leisten können. Der Anbau von Energiepflanzen bräuchte viel zu große Kraftstoffe aus erneuerbarem Strom und Sonnenlicht Flächen. Der große Vorteil der SAFs ist, dass diese sogenann „Ein großes Potenzial, die Klimaziele in der Luftfahrt errei te „Drop-in“-Kraftstoffe sind – also keinerlei technische An chen zu können, bieten daher synthetische Kraftstoffe“, sagt passungen im Flugzeug, am Triebwerk und bei der Flughafen Dr. Andreas Sizmann, Leiter Zukunftstechnologien und Öko infrastruktur fordern.
Innovation 22 „Ein großes Potenzial, die Klimaziele in der Luftfahrt erreichen zu können, bieten daher synthetische Kraftstoffe“ Dr. Andreas Sizmann Leiter Zukunftstechnologien und Ökologie der Luftfahrt am Münchner Forschungsinstitut Bauhaus Luftfahrt Um sie herzustellen, werden Wasser und CO2 mit erneuerbarem schwerpunkt „Alternative Kraftstoffe“ leitet. Möglich machen soll Strom (PtL) oder konzentriertem Sonnenlicht (StL) zunächst in das die Direct Air Capture Technologie. Das Schweizer Startup Wasserstoff und Kohlenmonoxid umgewandelt – sogenanntes Climeworks beispielsweise setzt hierfür große Filter ein, an de Synthesegas. Im PtL-Verfahren wird dazu zum einen Wasser per nen das CO2 anhaftet. Die Technik muss aber noch effizienter Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Zum anderen und vor allem deutlich kostengünstiger werden. reduziert die sogenannte Reverse Wasser-Gas-Shift-Reaktion Kohlendioxid zu Kohlenmonoxid. „Bei der StL-Methode entsteht „Die Luftfahrtbranche benötigt heute rund 300 Millionen Ton das Synthesegas durch eine thermochemische Redoxreaktion“, nen Treibstoff pro Jahr und die Zahl wird steigen – da werden sagt Sizmann, der das EU-geförderte Projekt SUN-to-LIQUID ko gewaltige Mengen CO2 gebraucht“, sagt Batteiger. Die MTU Aero ordiniert. „Grob gesagt, erhitzt man dabei mit konzentriertem Engines unterstützt, auch in Kooperation mit anderen Branchen Sonnenlicht ein Metalloxid und entzieht ihm einen Teil des Sau vertretern, die Einführung dieser Kraftstoffe in den Markt. „Die erstoffs. Dann reduziert man die Temperatur und das Oxid holt PtL-Technologie ist technisch beherrscht und bereit zur Skalie sich den Sauerstoff vom Wasser und Kohlendioxid, wodurch Was rung – das muss unserer Ansicht nach jetzt geschehen“, sagt serstoff und Kohlenmonoxid gebildet werden.“ MTU-Experte Fabian Donus aus dem Innovationsmanagement. Denn noch gibt es weltweit keine Handvoll größerer Anlagen, Das Power-to-Liquid-Verfahren ist bereit was den PtL-Kraftstoff erheblich teurer macht als fossiles Kero zur Skalierung sin. Sizmann plädiert daher ebenso für eine schnelle Skalierung, Aus dem Synthesegas entstehen dann sowohl beim Power-to-Li auch beim StL-Verfahren. „Da benötigen wir zwar noch For quid- als auch beim Sun-to-Liquid-Verfahren über die etablierte schungsarbeit, um den Prozess effizienter zu machen. Diesen Fischer-Tropsch-Synthese langkettige Kohlenwasserstoffe. Raf Schritt können wir aber parallel zum Aufbau einer Anlage im Me finerie-Prozesse veredeln sie dann zu Kerosin – das Flugzeuge gawattbereich gehen.“ normal tanken können. „Da die PtL- und StL-Kraftstoffe bei der Verbrennung genauso wie fossiles Kerosin CO2-Emissionen ver Der Luftfahrtsektor könnte weitgehend CO2-neutral ursachen, sind sie nur dann nachhaltig, wenn das CO2 für ihre werden Produktion aus der Atmosphäre stammt“, sagt Sizmanns Kollege Alle heute zugelassenen Herstellrouten von SAFs verlangen Dr. Valentin Batteiger, der am Bauhaus Luftfahrt den Forschungs eine Beimischung von mindestens 50 Prozent fossilen Kerosins. WIE AUS WASSER UND KOHLENSTOFFDIOXID KEROSIN WIRD Power-to-liquid (PtL): AUSGANGSPRODUKT HERSTELLUNGSPROZESS ENDPRODUKT Erneuerbare Energie + Wasser + CO2 Erneuerbare Energien = Kerosin Wasser Wasserstoff H2 Kerosin H2O Zerlegung in Sauerstoff Synthese und Fraktionierung Power-to-liquid-Verfahren (PtL) und Wasserstoff (Fischer-Tropsch-Anlage) Das Power-to-Liquid-Verfahren ist (Elektrolyse) zukunftsweisend: Dabei wird Wasser- stoff mit erneuerbarer Energie erzeugt, CO2 CO Kohlenstoffdioxid CO2 mit Kohlenstoffdioxid zu Kohlenwas- (extrahiert aus serstoffen synthetisiert und zu einem der Luft) Zerlegung in Flüssigkraftstoff aufbereitet. Kohlenstoffmonoxid
23 Innovation Grüner tanken _____ Synthetische Kraftstoffe müssen in der Luftfahrt möglichst bald zur Verfügung stehen, um die selbst gesetzten Ziele der Branche zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes zu erreichen. „Herstellrouten, die keine Beimischung mehr benötigen, werden strom wäre zwar platzsparender, dafür sinke aber die Akzeptanz aber bereits untersucht. Umfangreich eingesetzt, würden SAFs für die Windräder. die CO2-Bilanz der Luftfahrtbranche sofort spürbar verbessern“, so Donus. MTU verfolge auch weiterhin die Entwicklung der Aufgrund der vergleichsweise geringen Transportkosten für flüs StL-Technologie, sagt Donus. „Aktuell scheint PtL aber einen sige Kraftstoffe ist eine Produktion großer Mengen synthetischer Schritt voraus zu sein.“ Ohne Subventionen sei der Aufbau einer Kraftstoffe vor allem in Regionen sinnvoll in denen viel Wind oder PtL-Industrie allerdings nicht zu stemmen, so Donus. Sizmann Sonne vorhanden ist. Rund ein Prozent der Wüstenfläche würden und Batteiger sehen das auch so. „Wie schnell wir die Techno ausreichen, um den weltweiten Bedarf der Luftfahrt mit synthe logien ausrollen können, hängt vom politischen Willen und von tischen Kraftstoffen zu decken, so Batteiger. Mit etwa 300.000 der Entwicklung der Kosten für den Einsatz von Erdöl ab. Eine Quadratkilometern wäre das Gebiet fast so groß wie Deutsch Sun-to-Liquid-Anlage würde auf 38 Quadratkilometern Fläche land. „Für Biokraftstoff würde man mindestens die zehnfache rund 300.000 Liter synthetisches Kerosin pro Tag produzieren – Fläche brauchen – auf landwirtschaftlich nutzbaren Böden“, so knapp eine Airbus-A380-Tankfüllung. Die PtL-Technologie mit So Batteiger. „PtL und StL sind daher trotz aller Herausforderungen larstrom brauche in etwa die gleiche Fläche, so Batteiger. Wind unsere besten Optionen, Fliegen CO2-neutral zu gestalten“. ZUSAMMENARBEIT BEI SYNTHETISCHEN KRAFTSTOFFEN MTU Aero Engines beteiligt sich an der Forschung zu SAFs über CO2-Minderungsziele der Luftverkehrswirtschaft zu erreichen. die Mitgliedschaften bei dem Forschungsinstitut Bauhaus Luft- Dazu kooperiert die aireg mit verschiedenen wissenschaftlichen fahrt aus München und der aireg (Aviation Initiative for Rene- Instituten in Deutschland, unter anderem dem Karlsruhe Insti- wable Energy in Germany e.V.) mit Sitz in Berlin. Die gemein- tut of Technology (KIT), dem FZ Jülich und dem DLR oder der nützige Initiative, in der die MTU den Arbeitskreis Kraftstoffnut- Technischen Universität Hamburg. Diese Forschungseinrichtun- zung leitet, setzt sich für die Verfügbarkeit und Verwendung von gen sind ebenso wie weitere Unternehmen und auch das Bau- erneuerbaren Energien in der Luftfahrt ein, um die ehrgeizigen haus Luftfahrt Mitglieder in der aireg. Fragen, Wünsche, Anregungen? Hier erreichen Sie die Redaktion: aeroreport@mtu.de Autor: Denis Dilba studierte Mechatronik, besuchte die Deutsche Journa- listenschule und gründete das digitale Wissenschaftsmagazin Substanz. Mehr zum Thema: www.aeroreport.de Er schreibt über verschiedenste Themen aus Technik und Wissenschaft.
Innovation 24 „Wir beschleunigen Innovationen“ Dr. Carsten Subel, Leiter des Inno Lab bei der MTU, über die globale Suche nach Technologie-Trends und die Bedeutung einer Unternehmenskultur, in der Innovationen gedeihen. Autor: Thorsten Rienth Herr Subel, die MTU ist weltweit bekannt für ihre Richtet sich das Inno Lab eher an interne oder an fortschrittliche Triebwerkstechnologie. Wozu be externe Kunden? nötigt sie ein eigenständiges Inno Lab? Subel: Wir richten unser Augenmerk stark nach innen. Wir Dr. Carsten Subel: Die MTU ist ein kreatives und innovatives sind kein Dienstleister, der externe Kunden ansprechen möch- Unternehmen. Unsere Entwicklungsingenieure testen seit Jahr- te. Wir sorgen dafür, dass neue Themen bei der MTU angenom- zehnten die Grenzen der Ingenieurswissenschaften aus und men werden. Grundsätzlich verfolgt das Inno Lab drei Ziele: verfügen über ein exzellentes Netzwerk mit Hochschulen und Wir suchen nach Trends. Wir generieren Ideen. Und wir för- Forschungseinrichtungen. Das Inno Lab steht nicht im Wettbe- dern eine Unternehmenskultur, in der Innovationen gedeihen. werb zu unseren Entwicklungsabteilungen. Es erweitert unsere Innovationsfähigkeiten und hat Prozesse, Produktverbesserun- Ideen lassen sich generieren? gen, neue Services und Geschäftsmodelle im Blick. Es ist ein zweites Gleis, auf dem wir Ideen intern beschleunigen können. Subel: Auf sehr vielfältige Weise sogar! Ideen können beispiels- Einer unserer Slogans lautet: „New ideas quickly prototyped“ weise zu jeder Zeit von jeder Kollegin und jedem Kollegen bei – wir entwickeln Ideen schnell zu Prototypen. Allerdings geht der MTU zu uns getragen werden. Vor einigen Wochen hat es uns nicht nur um Ideen, sondern um Innovationen. Zu einer das Inno Lab zu einem „Call for Ideas“ aufgerufen. Viele Innovation wird eine Idee erst, wenn sie vom Kunden angenom- MTU-Mitarbeiter haben Ideen eingereicht und in sogenannten men wird und sich durchsetzt. Mit den Prototypen können wir Pitches persönlich für sie geworben. Die Bandbreite an Vorschlä- gut prüfen, ob eine reale Nachfrage für ein neues Produkt oder gen war enorm. Sie reichten von konkreten Produktentwürfen eine Idee besteht. Geschwindigkeit ist unser Wettbewerbsvor- wie einem bionischen Wärmetauscher über ein neues Licht- teil. konzept, das die Gesundheit der Mitarbeiter fördert, bis hin zu
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Innovation 26 Dr. Carsten Subel ______ Der Leiter des Inno Lab bei der MTU ist fasziniert davon, neue Ideen schnell zu Proto- typen zu entwickeln. Nur so lässt sich herausfinden, ob überhaupt eine reale Nach- frage für ein neues Produkt oder eine Idee besteht. „Im Inno Lab identifizieren wir zunächst eine Technologie mit Potenzial, dann machen wir konkrete Anwendungsfelder für sie bei der MTU aus.“ Dr. Carsten Subel, Leiter des Inno Lab bei der MTU Aero Engines verbesserten Kommunikationsabläufen, die auf der Interaktion nun zusammenführen können. Das Thema war also geradezu über digitale Plattformen basieren. Ideen können sich auch erst prädestiniert, um vom Inno Lab als Innovationsbeschleuniger aus der Vielzahl von Einzelgesprächen ergeben. So ist uns in gefördert zu werden. vergangenen Monaten aufgefallen, dass es ein Thema gibt, mit dem sich Kollegen aus den unterschiedlichsten Unterneh Künstliche Intelligenz ist zweifellos eines der mensbereichen bereits beschäftigen, weil sie großes Potenzial spannendsten Themen der Gegenwart. Sie ha in ihm erkennen: „Machine Vision“, das „maschinelle Sehen“. ben erwähnt, dass Sie im Inno Lab nach globalen Trends scouten. Warum ist das wichtig? Worum handelt es sich dabei? Subel: Beim Scouting geht es zunächst einmal darum, dass Subel: Darunter versteht man die computergestützte Lösung wir aufmerksam sind und keine Technologien verschlafen, die von Aufgaben, die sich an den Fähigkeiten des Menschen orien- anderswo bereits erfolgreich eingesetzt werden. Zusätzlich tiert, zu sehen – und dann zu handeln. Vereinfacht gesprochen versuchen wir frühzeitig zu erkennen, wenn sich neue Trends handelt es sich um Kamera-Computer-Systeme, die Abweichun- am technologischen Horizont abzeichnen. Hierfür zapfen wir gen in Materialien erkennen oder Bauteile nach einer Demon- neue Quellen an. Wir recherchieren zum Beispiel, ob es in tage automatisch erfassen. Es ist ein Teilgebiet der Künstlichen jüngster Zeit in einem Bereich eine auffällig hohe Zahl neuer Intelligenz. Wir haben erkannt: Bei der MTU gibt es reihen- Patentanmeldungen gegeben hat. Wir schauen uns auch an, an weise Anwendungsmöglichkeiten für Machine Vision. Und es welchen Themen Start-Ups arbeiten. Oder wir werten im Inter- gibt einige an der Technologie interessierte Kollegen, die wir net aus, welche Trends Unternehmen und Menschen weltweit
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