01I20 Digitalisierung mit vollem Schub - Sechs Projekte - sechs Gesichter

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01I20 Digitalisierung mit vollem Schub - Sechs Projekte - sechs Gesichter
01I20

Digitalisierung mit vollem Schub
                        Sechs Projekte – sechs Gesichter

INNOVATION                   INNOVATION                    AVIATION

Masse wäre                   Smart Factory in der          Im Dreamliner
Klasse – synthetische        Luftfahrt: Komplizierter,     zum Südseetraum –
Kraftstoffe                  aber lohnend                  Air Tahiti Nui
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3   Contents

                       Die digitale Transformation managen.
         Falk Hinderberger ist Digital Transformation ­Manager bei der
     MTU Aero Engines. Er verknüpft die analoge Welt mit der digitalen.

          Effizienz steigern mit Multi­physiksimu­lationen.
  Fritz Hoffmeister entwickelt ein Multi­physik-Simu­lations­modell, um ein
kompliziertes Verfahren zur elektro­chemischen Fertigung von Triebwerks­
                 schaufeln erstmals komplett digital abbilden zu können.

                        Meterlange Mathe­matik-Funktionen.
      Dr. Urška Zore programmiert den MTU-Triebwerks­entwicklern jene
       3D-Tools, die sie für das Design von noch sparsameren und noch
                                         leiseren Triebwerken benötigen.

                            Werkzeug­ver­schleiß vorhersagen.
              Pere Massanés Padró arbeitet an einem Simu­lations­modell,
         mit dem sich Werkzeug­ver­schleiß en detail prognosti­zieren lässt.

               Data Scientist für die Luft­fahrt von Morgen.
            Er wertet aus, entschlüsselt, verknüpft. Daten­wissen­schaftler
       Dr. Oliver Arnold managt die Schnitt­stelle zwischen Informations­-
                                  tech­nologie und Fertigungstechnologie.

                      Interdisziplinäres Koordinatensystem.
            Dr. Anna Wawrzinek arbeitet an einer gemeinsamen Software
        für die unterschiedlichen Disziplinen der Triebwerksentwicklung.

                                                                               Den ganzen Artikel „Digitalisierung mit
                                                                               vollem Schub“ lesen Sie auf den Seiten 6 – 19.
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Contents    4

  COVER STORY                                INNOVATION                                  INNOVATION

   Digitalisierung mit                       Masse wäre klasse                           Zukunft im Anflug
  ­vollem Schub

  Die MTU fliegt bei der Digitalisierung      Mit Power-to-Liquid- und Sun-to-­Liquid-   Mehr als 100 Unternehmen weltweit
  nicht nur am Puls der Zeit – mit innova­   Kraftstoffen kann die Luftfahrt ihre        arbeiten aktuell an Flugtaxis. Die Konzep­
  tiven Ansätzen und neuen Anwendungen       ­ambitionierten Klimaziele erreichen.       te unterscheiden sich in den geplanten
  gestaltet sie den Wandel ganz konkret       Um aber möglichst schnell auf relevante    Einsatzszenarien und ihren technischen
  mit. Sechs Projekte, die schon weit         Produktionsmengen zu kommen, muss          Details erheblich. Der AEROREPORT
  fortgeschritten sind.                       der Infrastrukturaufbau am besten noch     stellt exemplarisch sechs verschiedene
                                              heute beginnen.                            Ansätze vor.

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  CONTENTS

  COVER STORY                                                        AVIATION
  6	Digitalisierung mit vollem Schub Mit innovativen                40	Mit 300 km/h auf Konfrontationskurs Vogelschlag –
     Ansätzen ist die MTU bei der Digitalisierung ganz                   Strategien gegen den Crash
     vorne mit dabei                                                 44	Im Dreamliner zum Südsee-Traum 118 Inseln mitten im
                                                                         endlosen Südpazifik, das ist Französisch-Polynesien
  INNOVATION                                                         50	Fliegen mit Stil JetBlue Airways treibt die Preise nach
  20	Masse wäre klasse Nahezu CO2-neutral: Kerosin aus                  unten, bietet Kunden dennoch viele Annehmlichkeiten
      erneuerbarer Energie                                           54	Anflüge dichter staffeln Vor Landebahnen installierte
  24	„Wir beschleunigen Innovationen“ Im „Inno Lab“ sucht               Platten lassen gefährliche Wirbelschleppen von voraus-
      die MTU nach Trends und generiert Ideen                            fliegenden Flugzeugen deutlich schneller zerfallen
  28	Zukunft im Anflug Flugtaxis: Welche unterschiedlichen
      Konzepte sind im Anflug?
  36	Im Hürdenlauf zur Smart Factory Smart Factory in der
      Luftfahrt: Komplizierter, aber lohnend
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5    Contents

                                                                               iN

INNOVATION                                AVIATION                                   PEOPLE

Im Hürdenlauf zur                         Im Dreamliner zum                          Talente beflügeln
Smart Factory                             Südsee-Traum

Die Smart Factory verspricht höhere       Ohne Luftverkehr wäre das Leben für        Immer noch sind Frauen in Deutschland
Stückzahlen bei steigender Qualität und   Touristen und Einwohner in Franzö­         in den naturwissenschaftlich-techni­
sinkenden Kosten. Die Luftfahrtbranche    sisch-Polynesien undenkbar. Mit der        schen Studiengängen verhältnismäßig
muss aber zusätzliche Hürden auf dem      Boeing 787-9 hat die Fluggesellschaft      unterrepräsentiert. Es ist Zeit, das zu
Weg zur intelligenten Produktion neh­     Air Tahiti Nui das perfekte Flugzeug für   ändern, meint Dr. Mihaela Sorina Seitz,
men. MTU Aero Engines zeigt, dass sich    die langen Strecken im Südpazifik.         Leiterin Advanced Materials, bei der
der Aufwand lohnt.                                                                   MTU Aero Engines.

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PEOPLE
58	Talente beflügeln Ein Gespräch mit Dr. Mihaela Sorina
    Seitz über die Förderung von MINT-Studentinnen

GOOD TO KNOW
62	Leises Landen Das DLR erprobt neue leise
    Anflugverfahren
64	Starke Combo Im Januar flog die neue Boeing 777X-9
    mit ihren GE9X-Triebwerken das erste Mal
65	Kostenlose Abo-Bestellung AEROREPORT Printausgabe
    zweimal pro Jahr zu Ihnen auf den Schreibtisch
                                                                                     www.aeroreport.de
65 Impressum und Bildnachweis                                                        Alle Beiträge aus der Print-Ausgabe
                                                                                     finden Sie ebenfalls online unter:
                                                                                     www.aeroreport.de – auch im passenden
                                                                                     Format für Ihr Smartphone oder Tablet.
                                                                                     Informative Videos, Fotogalerien, zoombare
                                                                                     Bilder und andere interaktive Specials
                                                                                     warten dort auf Sie.
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Cover Story   6

                                   MTU ENG INE EXPER TS (V.L.N .R.)

                  P ER E MA SSA NÉS PADRÓ / Projektingenieur Prozessauslegung Fertigung

                                  DR. OLIVER ARNOLD / Data Scientist

                       DR . A NNA WAWRZINEK / Digital Transformation Managerin

                   F R ITZ H OF F MEI S T ER / Projektingenieur Simulation Fertigungsprozesse

                         FA L K H INDERBERG ER / Digital Transformation Manager

                                      DR. URŠ KA ZORE / IT-Planerin
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7   Cover Story

          Digitalisierung
         mit vollem Schub
        Neue Anwendungen, neue Technologien und neue Chancen.
      Die Digitalisierung ändert das Triebwerksgeschäft grundlegend.
         Dies sind die Gesichter, die den Wandel möglich machen.
                                                       Autor: Thorsten Rienth

Manchmal sind es die einfachen Bilder, die komplexe Zusammen­       auf breiter Front ausrollen. Digitale Modelle bilden kostspielige
hänge auf den Punkt bringen. „Auch in Zukunft werden wir in reale   und zeitintensive Versuchsträger zusehends am Computer nach.
Flugzeuge steigen, die von realen Triebwerken angetrieben wer­      Vernetzte Kunden- und Lieferantendaten entschärfen potenzielle
den“, sagt Dr. Pamela Herget-Wehlitz, die Verantwortliche für den   Störungen in der Lieferkette – lange bevor es für die ausgeklügel­
IT-Bereich der MTU Aero Engines. „Aber die Entwicklung und Pro­     te Fertigungslogistik kritisch wird.
duktion verlagert sich immer mehr in die digitale Welt.“ Und die
Managerin schiebt gleich nach, was das Bildnis konkret bedeutet:    Der Ansatz setzt sich im administrativen Bereich ausdrücklich
„Die Digitalisierung wird unsere Geschäftswelt nicht überflüssig    fort und zwar weit über die Ablösung von Papiereinsatz durch
machen. Aber sie wird sich schneller und effizienter drehen.“       elektronische Workflows hinaus. Robotic Process Automation
                                                                    flankiert die Standardabläufe. Das neue E-Learning-System stellt
Bereits im Jahr 2016 hatte die MTU die entscheidenden Weichen       Lernprogramme fürs Selbststudium bereit und unterstützt Blen­
gestellt und ihr „Digital Transformation Program“ in der Breite     ded Learning im Arbeitseinsatz.
verankert. Zielsetzung war nicht weniger, als das gesamte Unter­
nehmen durchgehend zu digitalisieren. Dreieinhalb Jahre später      „Wichtig ist der Mut, bisherige Prozesse kritisch auf den Prüf­
treibt die MTU rund 300 Einzelprojekte voran. Einem Reißver­        stand zu stellen“, sagt Herget-Wehlitz. Das gelte allerdings auch
schluss gleich fügen sich Bedarfe und Lösungen ineinander.          für die zukünftigen Tools selbst. Selbstzweck sei die Digitalisie­
                                                                    rung schließlich nicht. „Im Mittelpunkt steht immer echter Mehr­
Die Perspektive ist eine mindestens fachbereichs-, ja oft sogar     wert, der uns und unsere Produkte messbar voranbringt.“
eine standortübergreifende: Lieferungen absichern, Bestände
minimieren und Produktfortschritte darstellen – dabei Daten­        Sechs Projektportraits zeigen auf den folgenden Seiten, wie die­
analysen, selbstlernende Algorithmen und Künstliche Intelligenz     ser Mehrwert ganz konkret aussieht:
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Cover Story    8

                              ENGINE EX P ER T:

                              Falk Hinderberger
                   Digital Transformation Manager

    Die digitale Trans-                                                 Seit Herbst 2018 treibt er bei der MTU Aero Engines die digitale
                                                                        Transformation im Zivilgeschäft voran. „Wir wollen Arbeitsabläu­

    formation managen.                                                  fe verbessern, mehr aus vorhandenen Daten lernen und neue
                                                                        IT-Technologien evaluieren und einführen“. Eines der Projekte, in
                                                                        die Hinderberger aktuell involviert ist: Die Ersatzteilbedarfe prä­
    Falk Hinderberger ist Digital Transformation                        ziser vorauszusagen.
    ­Manager bei der MTU Aero Engines.
                                                                        Dies ist einmal relevant, weil die oftmals komplexen und aus
     Er verknüpft die analoge Welt mit der digitalen.
                                                                        High-End-Materialien bestehenden Triebwerkskomponenten
                                                                        schnell dem Wert eines Mittelklassewagens entsprechen. Sie
                                                                        binden folglich in Form des Lagerbestands einiges an Kapital.
                                                                        Zum anderen sind die Beschaffungsketten derartiger Komponen­
                                                                        ten mit bis zu 18 Monaten sehr lang.

                                                                        Einen rein computerbasierten Algorithmus für die Bedarfe der
                                                                        Zukunft zu entwickeln, hält Hinderberger auf absehbare Zeit für
    Von Henry Ford, dem Mann, der die industrielle Produktion des       unwahrscheinlich. „Sie sind von zahlreichen Faktoren abhängig,
    Automobils revolutionierte, ist der Satz überliefert: „Wenn ich     die ein Ersatzteilbedarfsplaner stets bewerten muss: Von Wet­
    die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt:      ter- und Umwelteinflüssen, der Nutzungszeit seit der letzten
    schnellere Pferde.“ Heute steht die Industrie vor einem ähnlich     Triebwerksüberholung, von Trends in Flugbewegungen der Airline
    einschneidenden Wandel, wie zu Fords Zeiten. Nur geht es dies­      Flotten und vom Ölpreis.“ Wie würde sich sein Fallen auf die Nut­
    mal nicht mehr ums Fließband, sondern um die digitale Transfor­     zungsdauern bestehender Flotten auswirken? Womöglich lohnt
    mation von Geschäftsprozessen. Ein gänzlich neues Berufsbild        es sich für Airlines, ältere Flugzeuge mit einem etwas höheren
    ist dadurch entstanden. Auf Falk Hinderbergers Visitenkarte         Treibstoffverbrauch doch länger als geplant zu betreiben? Was
    steht: Digital Transformation Manager.                              würde das für die Ersatzteilbedarfe bedeuten?

    Der 32-Jährige ist Digital Transformation Manager bei der MTU       „Mit dem Einsatz von moderner Datenanalyse und Big-Data-Tech­
    Aero Engines. „Wir sind dabei, die analoge Welt mit der digita­     nologien, die vor 10, 15 Jahren noch nicht produktiv eingesetzt
    len zu verknüpfen.“ Etwas konkreter formuliert: „Es geht darum,     wurden, können wir die Kollegen aus der Ersatzteilbedarfspla­
    Digitalisierungspotenziale zu identifizieren, Fachbereiche und IT   nung zunehmend mit aus Daten gewonnen Erkenntnissen un­
    zusammenzubringen und schließlich mit einem End-to-End Fokus        terstützen und somit Entscheidungen transparenter gestalten“,
    in Lösungen mit echtem Mehrwert zu überführen.“                     erklärt Hinderberger. „Der Fachbereich gibt den Prozess und die
                                                                        Parameter vor – wir überführen sie dann in Anforderungen an ein
    Hinderberger hatte International Business in Aalen und Reutlin­     bestenfalls existierendes IT-Tool.“
    gen studiert, dabei Auslandsstationen in Mexiko, Thailand und
    Russland eingelegt. Dann wechselte er in eine Unternehmensbe­       Wie ein großes Puzzle sollen so Daten und Recherchen zusam­
    ratung, wo er oft in Digitalisierungsprojekte im Automotive-Be­     mengeführt werden, um sich Schritt für Schritt dem Ziel zu nä­
    reich eingebunden war – sein Fokus hier: Digitalstrategien entwi­   hern: einer proaktiven und digital unterstützten Ersatzteilplanung
    ckeln und digitale Geschäftsmodelle gestalten.                      mit optimierten Lagerbeständen.
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9   Cover Story

„Wir wollen Arbeits­-
abläufe verbessern,
mehr aus vorhandenen
Daten lernen und neue
IT-Technologien evalu-
ieren und einführen.“
Falk Hinderberger, Digital Transformation Manager bei der MTU Aero Engines
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Cover Story      10

    „Wir ent­wi­ckeln ein
    Si­mu­la­ti­ons­mo­dell, das
    che­mi­sche Re­ak­tio­nen,
    Wär­me­über­tra­gung,
    Mehr­pha­sen­fluid­-
    strö­mung und das
    elek­tri­sche Feld ver­eint.“
    Fritz Hoffmeister, Projektingenieur Simulation Fertigungsprozesse
    bei der MTU Aero Engines
11     Cover Story

                                                                                               ENG INE EXPER T:

                                                                                               Fritz Hoffmeister
                                                                                               Projektingenieur Simulation
                                                                                               Fertigungsprozesse

 Effizienz steigern                                                            Not­ge­drun­gen, denn an­de­re Mög­lich­kei­ten gab es bis­her nicht.
                                                                               Der Auf­wand der Er­pro­bung sei enorm: Ver­such vor­be­rei­ten, ihn

 mit Multi­physik-                                                             durch­füh­ren, das Bau­teil ver­mes­sen. Ein, zwei Pa­ra­me­ter än­dern.
                                                                               Al­les wie­der von vor­ne – und bei je­dem neu­en Bau­teil von neu­

­simu­lationen.                                                                em. Na­tür­lich hel­fen die be­reits ge­sam­mel­ten Er­fah­run­gen die­
                                                                               sen Pro­zess zu be­schleu­ni­gen. Fritz Hoff­meis­ter, ge­ra­de 29 Jah­re
                                                                               alt ge­wor­den, sucht nach ei­ner Ab­kür­zung. „Was, wenn wir all
Fritz Hoffmeister entwickelt ein Multi­physik-                                 die Wech­sel­wir­kun­gen si­mu­lie­ren könn­ten, mit Ge­nau­ig­kei­ten im
Simu­lations­modell, um ein kompliziertes Verfahren zur                        Mi­kro­me­ter­be­reich?“

elektro­chemischen Fertigung von Triebwerks­schaufeln                          Mul­ti­phy­sik­si­mu­la­ti­on lau­tet der An­satz, über den Hoff­meis­ters
erstmals komplett digital abbilden zu können.                                  Weg führt. „Wir ent­wi­ckeln ein Si­mu­la­ti­ons­mo­dell, das che­mi­
                                                                               sche Re­ak­tio­nen, Wär­me­über­tra­gung, Mehr­pha­sen­fluid­strö­mung
                                                                               und das elek­tri­sche Feld ver­eint.“ Im Kern geht es dar­um, über
                                                                               den si­mu­lier­ten Strom­fluss den ex­ak­ten Me­tall­ab­trag und da­
Der Bild­schirm zeigt zwei Me­tall­stü­cke. Links ein klei­nes run­des,        mit das ex­ak­te geo­me­trische End­re­sul­tat be­rech­nen zu kön­nen.
rechts ein grö­ße­res läng­li­ches. Wie in ei­nem Wes­pen­nest schwir­         „Ver­ein­facht ge­sagt: Wir schi­cken die Geo­me­trie ei­nes neu­en
ren zwi­schen ih­nen klei­ne Punk­te hin und her. Ei­ni­ge neh­men den         Bau­teils in ei­nen Su­per­rech­ner und füh­ren die Ite­ra­tio­nen vir­tu­
kür­zes­ten Weg, an­de­re ei­nen gro­ßen Um­weg, zum Bei­spiel vom             ell durch. Zwei­di­men­sio­nal be­kom­men wir das schon ganz gut
obe­ren En­de des läng­li­chen Me­tall­stücks zur hin­te­ren Sei­te des        hin. Für ei­ne in­dus­tri­el­le An­wen­dung ist al­ler­dings be­son­ders
klei­nen run­den. Die schwir­ren­den Punk­te ent­spre­chen ge­la­de­           die drei­di­men­sio­na­le Be­trach­tung ent­schei­dend. Dar­an ar­bei­ten
nen Io­nen in ei­nem elek­tri­schen Feld.                                      wir auf Hoch­tou­ren. Mittlerweile lässt sich auch der 3D-Abtrag
                                                                               berechnen, wobei wir hier noch nicht alle der zuvor genannten
Wie klei­ne Shut­tles auf Atom­grö­ße tra­gen sie Me­tall von ei­nem           physikalischen Phänomene implementiert haben.
Werk­stück ab. Für das Werk­zeug – die Ka­tho­de – ist die­ses elek­
tro­che­mi­sche Ab­tra­gen na­he­zu ver­schleiß­frei. Bei den hoch­fes­        Zu­erst hat­te Hoff­meis­ter den Ma­schi­nen­bau-Ba­che­lor ge­macht
ten Ma­te­ria­li­en von Trieb­werks­schau­feln er­mög­licht es ei­ne völ­lig   und für den Mas­ter of Science dann den Stu­di­en­gang „Tech­ni­
neue Her­an­ge­hens­wei­se. Wür­de das Me­tall spa­nend ab­ge­tra­gen,         sche Be­rech­nung und Si­mu­la­ti­on“ an der Hoch­schu­le Mün­chen
wä­re der Werk­zeug­ver­schleiß der­art enorm, dass der ge­sam­te              dar­auf­ge­setzt. Ne­ben­her ar­bei­te­te er be­reits bei ei­nem Un­ter­
Vor­gang un­wirt­schaft­lich wür­de.                                           neh­men im Au­to­mo­bil­sek­tor. Dort be­rech­ne­te er Car-Crash­si­mu­
                                                                               la­tio­nen so­wie Mul­ti­phy­sik-Air­bagsi­mu­la­tio­nen. Zur MTU kam er
Elec­tro­che­mi­cal Ma­chi­ning nennt die Fach­welt das Ver­fah­ren,           über sei­ne Mas­ter­ar­beit: „Nu­me­ri­sche Si­mu­la­ti­on der 3D-Elek­
kurz: ECM. Doch wel­che Ar­beits­span­nung bringt bei wel­chem                 tro­lytströ­mung so­wie der voll­ge­kop­pel­ten 2D-Mul­ti­phy­sik beim
Vor­schub die bes­ten geo­me­tri­schen Er­geb­nis­se? Wie hängt die            ECM-Ver­fah­ren“.
Strom­dich­te mit dem ent­ste­hen­den Was­ser­stoff­gas und der
Ober­flä­chen­qua­li­tät zu­sam­men? Und über­haupt: Wie wirkt sich            Dass der Ti­tel ge­nau dem ent­spricht, was Hoff­meis­ter heu­te bei
ei­gent­lich der Druck der Elek­tro­lytströ­mung auf all das aus? „Bis­        der MTU macht, ist kein Zu­fall. Als er mit der Mas­ter­ar­beit auf die
lang muss­te man dies mit ei­nem Try-and-Er­ror-An­satz er­pro­ben“,           sprich­wört­li­che Ziel­ge­ra­den ein­bog, be­kam er ein Über­nah­me­­an­
er­klärt Fritz Hoff­meis­ter.                                                  ge­bot – und un­ter­schrieb.
Cover Story   12

                             ENGINE EX P ER T:

                               Dr. Urška Zore
                                    IT-Planerin

    Meterlange Mathe­                                                 denkbaren dreidimensionalen Formen mathematisch abbilden zu
                                                                      können.

    matik-Funktionen                                                  Zur MTU war die 31-Jährige nach dem Mathematikstudium in
                                                                      Ljubljana in Slowenien und der Promotion in Linz in Österreich
    Dr. Urška Zore programmiert den MTU-Triebwerks­                   gekommen. Eigentlich nur im Rahmen eines EU-Forschungspro­
    entwicklern jene 3D-Tools, die sie für das                        jekts. Aber am Ende erhielt sie das Angebot zu bleiben.
    Design von noch sparsameren und noch leiseren
                                                                      Ein Großteil von Zores Tätigkeit läuft im Hintergrund ab. Doch bei
    Triebwerken benötigen.                                            der Entwicklung von Triebwerksteilen oder -modulen ist dieser
                                                                      Hintergrund unverzichtbar: „Es geht darum, die Entwickler mit
                                                                      den bestmöglichen 3D-Tools auszustatten, damit sie Triebwerke
                                                                      bestmöglich entwickeln können“, beschreibt sie die Aufgabe.
                                                                      „Die Kollegen sagen uns, was sie brauchen – und wir überle­
    Die COBRA beißt nicht, aber sie will gefüttert werden. Mit ma­    gen uns, mit welcher Mathematik wir ihre Anforderungen erfül­
    thematischen und geometrischen Methoden, mit Funktionen,          len können. Und dann erzeugen wir gemeinsam zukunftsfähige
    die sich, ausgeschrieben auf einer Tafel, über Meter erstrecken   ­Lösungen.“ Die Sache ist hochkomplex, praktisch alle Fachdis­
    können. Gefüllt mit Variablen setzen sich auf den Bildschirmen     ziplinen sind in die Abläufe integriert und in ihrer spezifischen
    von Triebwerksentwicklern dreidimensionale Objekte zusam­          Weise für das Tool relevant.
    men, zum Beispiel Triebwerksschaufeln. Die meterlange Funktion
    ­definiert hochaufgelöst jeden Punkt des Objekts in einem drei­   Deshalb passt das Bild mit der Schlange auch an dieser Stel­
     dimensionalen Raum.                                              le. Die COBRA-Software ist nichts Statisches, sie bewegt sich.
                                                                      „Zusammen mit meinen Kollegen programmiere ich neue digitale
    COBRA steht für COnsistent Blade Representations for Aircraft     Werkzeuge, integriere sie in COBRA und kümmere mich um den
    engines, dahinter steckt eine MTU-eigene Software zur Geome­      Support“, erzählt die IT-Planerin. Die Güte der digitalen Modelle
    triegenerierung von Triebwerksbauteilen. Um sie dreht sich in     ist dabei zentral – einmal von den neuen digitalen Werkzeugen
    Dr. Urška Zores Berufsalltag das Allermeiste.                     zum gefertigten Bauteil. Ein andermal vom gescannten gefertig­
                                                                      ten Bauteil zurück in die digitale 3D-Darstellung.
    Die COBRA-Software stellt mit ein Rückgrat der MTU-Triebwerks­
    auslegung dar, das lässt sich ohne Übertreibung so sagen. Denn    Bei alldem ist stets auch das sprichwörtliche große Ganze im
    die Feinheiten, die in modernen Triebwerken über ein zusätz­      Blick. „Je höher unsere geometrische Kompetenz liegt, desto
    liches Plus an Effizienz und Lebensdauer entscheiden, werden      schneller können unsere Entwickler die neuen Designs erzeu­
    – ganz besonders in der Aerodynamik und Strukturmechanik –        gen.“ Sie wiederum bedeuten am Ende Triebwerke, die Flugzeu­
    immer detaillierter.                                              ge noch sparsamer, noch emissionsärmer und noch leiser in die
                                                                      Luft heben. Und bei alldem habe sie auch viel gelernt, erzählt
    „Je höher dabei unsere geometrische Kompetenz ist, desto          die Mathematikerin mit einem Augenzwinkern: „Ich spreche jetzt
    schneller können wir neue und über den Branchenstandard           nicht nur Slowenisch, Englisch, Deutsch und ein paar Program­
    ­hinausgehende Designs entwickeln“, erklärt Zore. Und geome­      miersprachen – sondern lerne auch die Sprache der Ingenieure
     trische Kompetenz bedeutet: Möglichst alle in einem Triebwerk    zu sprechen.“
13   Cover Story

„Es geht darum, die
Ent­wickler mit den best­-
mög­lichen 3D-Tools
auszustatten, damit sie
Triebwerke bestmöglich
entwickeln können.“
Dr. Urška Zore, IT-Planerin bei der MTU Aero Engines
Cover Story     14

       „Mit ei­ner mi­ni­ma­len An­zahl von ex­pe­ri­men­tel­len
       Tests wer­den wir bei an­ge­mes­se­ner Ge­nau­ig­keit
       vor­her­sa­gen kön­nen, wie der Werk­zeug­ver­schleiß
       auf ver­schie­de­ne Pro­zess­be­din­gun­gen re­agiert.“
       Pere Massanés Padró, Projektingenieur Prozessauslegung Fertigung bei der bei der MTU Aero Engines
15      Cover Story

                                                                                               ENG INE EXPER T:

                                                                                               Pere Massanés Padró
                                                                                               Projektingenieur Prozessauslegung
                                                                                               Fertigung

Digitali­sierung                                                              Die Fol­gen sind kei­nes­falls zu ver­ach­ten: Wo sich die Form der
                                                                              Schneid­flä­che durch den Ver­schleiß ver­än­dert, ge­schieht dies

macht’s möglich:                                                              auch an der Kon­tur des Werk­stücks. Ober­flä­chen­in­te­gri­tät und
                                                                              Pro­zess­sta­bi­li­tät lei­den dar­un­ter. Lie­ße sich der Ver­schleiß des
Werkzeug­ver­schleiß                                                          Werk­zeugs vor­aus­be­rech­nen, könn­ten ihn die Fer­ti­gungs­in­ge­
                                                                              nieu­re wäh­rend des Pro­zes­ses ex­akt aus­glei­chen. In­dem sie et­wa
vorhersagen.                                                                  Schnitt­ge­schwin­dig­keit, Werk­zeug­ein­stell­win­kel und Vor­schub
                                                                              ent­spre­chend nach­jus­tie­ren. Ge­ra­de in der Luft­fahrt­in­dus­trie,
                                                                              wo die Pro­duk­ti­ons­kos­ten durch die Be­ar­bei­tung von Su­per­le­gie­
Pere Massanés Padró arbeitet an einem                                         run­gen auf Ni­ckel oder Ti­tan hoch sind, steckt in ver­läss­li­chen
Simu­lations­modell, mit dem sich Werkzeug­-                                  Vor­her­sa­gen ei­ni­ges an Po­ten­zi­al.
ver­schleiß en detail prognosti­zieren lässt.
                                                                              Mit 18 hat­te er sich an der Uni­ver­si­tat Po­litè­c­ni­ca de ­Ca­ta­lun­ya in
                                                                              Bar­ce­lo­na für Ma­schi­nen­bau ein­ge­schrie­ben. Mit 22 setz­te er das
                                                                              Werk­stoff­tech­nik-Mas­ter­stu­di­um dar­auf. „Dass ich mein Be­rufs­-
                                                                              ­le­ben im Aus­land ver­brin­gen möch­te, da­für ha­be ich mich sehr
                                                                               früh ent­schie­den. Dort sind die Be­rufs­mög­lich­kei­ten in mei­nem
                                                                               Be­reich at­trak­ti­ver.“ Der Plan ging auf: Übers In­ter­net sah er die
In­dus­tri­el­les Try-and-Er­ror – klingt nach ei­nem Stil­mit­tel aus Zei­    Mas­teran­den­stel­le in der MTU-Zer­span­si­mu­la­ti­on. Nach fünf Mo­
ten, in de­nen Di­gi­ta­li­sie­rung höchs­tens in Form von Zu­kunfts­mu­       na­ten als Mas­terand er­hielt er ei­ne fes­te Stel­le als In­ge­nieur in der
sik zu hö­ren war. „In man­chen Fäl­len ist die­se Vor­ge­hens­wei­se          Ab­tei­lung. „So konn­te ich an mei­nem The­ma wei­ter­ar­bei­ten.“
aber noch im­mer oh­ne Al­ter­na­ti­ve, zum Bei­spiel beim Werk­zeug­
ver­schleiß“, er­klärt Ma­schi­nen­bau­er Pe­re Mas­sa­nés Padró. Der         Das Pro­blem mit der Vor­her­sag­bar­keit von Werk­zeug­ver­schleiß
ex­pe­ri­men­tel­le Auf­wand, um ak­zep­ta­ble Pro­zess­be­din­gun­gen zu     will der 26-Jäh­ri­ge mit ei­nem hy­bri­den An­satz lö­sen. Da­hin­ter
be­stim­men, die die Ver­schleiß­gren­zen nicht über­schrei­ten, sei          steckt die Kom­bi­na­ti­on aus ana­ly­ti­schen, em­pi­ri­schen, ex­pe­
enorm. „Des­halb kann die Ent­wick­lung des Ver­schlei­ßes ei­nes             ri­men­tel­len und nu­me­ri­schen Her­an­ge­hens­wei­sen zu ei­nem
Werk­zeugs nur durch rea­li­täts­na­he und auf­wän­di­ge Tests im Se­         ein­zi­gen gro­ßen Si­mu­la­ti­ons­mo­dell. Massanés Padró will die
ri­en­all­tag be­herrscht wer­den.“                                           Zusammenhänge zwischen Prozessparameter (wie Schnittge­
                                                                              schwindigkeit, Vorschub, Schnitttiefe, Werkzeuggeometrie) und
Denn Werk­zeug­ver­schleiß ver­läuft nicht gleich­mä­ßig. Erst ist er         die Werkstoffbeanspruchungen (wie Temperaturen, Spannungen
de­gres­siv, dann ein biss­chen li­ne­ar, schließ­lich pro­gres­siv. Na­      und Dehnungen) analytisch beschreiben, um die Entwicklung des
tür­lich ist al­les auch ab­hän­gig von Ma­te­ri­al und Schnitt­ge­schwin­    Werkzeugverschleißes vorherzusagen.
dig­keit. Die Sa­che ist so kom­plex, dass selbst heu­te noch kei­ne
Mo­del­le exis­tie­ren, mit de­nen sich Werk­zeug­ver­schleiß mo­dell­ba­     Na­tür­lich bleibt auch das ein kom­ple­xes Kon­strukt. „Aber ei­nes,
siert in die Werk­zeug- und Fer­ti­gungs­pro­zess­aus­le­gung ein­brin­       das sich di­gi­tal dar­stel­len lie­ße“, sagt Mas­sa­nés Padró – und das
gen lie­ße. Nicht ein­mal die Fi­ni­te-Ele­men­te-Me­tho­de, die bei der      Try-and-Er­ror dras­tisch re­du­ziert. „Mit ei­ner mi­ni­ma­len An­zahl
Lö­sung von phy­si­ka­li­schen Pro­ble­men in in­ge­nieurs­wis­sen­schaft­    von ex­pe­ri­men­tel­len Tests wer­den wir bei an­ge­mes­se­ner Ge­nau­
li­chen Be­rech­nun­gen nor­ma­ler­wei­se die Me­tho­de der Wahl ist,         ig­keit vor­her­sa­gen kön­nen, wie der Werk­zeug­ver­schleiß auf ver­
ge­nügt beim Werk­zeug­ver­schleiß den in­dus­tri­el­len An­wen­dun­gen.      schie­de­ne Pro­zess­be­din­gun­gen re­agiert.“
Cover Story     16

                                 ENGINE EX P ER T:

                                 Dr. Oliver Arnold
                                      Data Scientist

    Data Scientist für die                                                      ka­li­schen Grund­la­gen­for­schung mit­ge­ar­bei­tet. Bei der MTU will
                                                                                er Al­go­rith­men schaf­fen, die wert­vol­le Da­ten über das ex­trem
    Luft­fahrt von Morgen.                                                      kom­ple­xe Blisk-Fer­ti­gungs­ver­fah­ren bün­delt.

                                                                                „Ver­ein­facht ge­sagt: Wir schau­en uns Ma­schi­nen­da­ten an, die
    Er wertet aus, entschlüsselt, verknüpft. Daten­-                            bei ei­ner Blisk-Zer­spa­nung an­fal­len“, er­klärt Ar­nold. „In ih­nen
    wissen­schaftler Dr. Oliver Arnold managt die                               ver­su­chen wir Mus­ter und Ab­hän­gig­kei­ten zu er­ken­nen, die sich
    Schnitt­stelle zwischen Informations­tech­nologie                           wo­mög­lich erst Fer­ti­gungs­schrit­te spä­ter ne­ga­tiv in der Bau­teil­
                                                                                qua­li­tät nie­der­schla­gen.“ Mit be­last­bar ex­tra­hier­ten Trends wür­
    und Fertigungstechnologie.                                                  den den Fer­ti­gungs­in­ge­nieu­ren fun­dier­te Ent­schei­dungs­grund­la­
                                                                                gen zur Ver­fü­gung ge­stellt. Um frü­her zu re­agie­ren, um Pro­zes­se
                                                                                zu ver­bes­sern und um Kos­ten zu spa­ren.

    Nichts geht im Trieb­werks­ge­schäft über Bau­teil­qua­li­tät. Bei ei­ner   Das Ziel klingt leich­ter, als der Weg dort­hin in Wirk­lich­keit ist. Wie
    Blisk zum Bei­spiel, ei­nem in­te­gral aus Schei­be und Schau­feln ge­      ge­lingt es, aus den un­zäh­li­gen Ma­schi­nen­da­ten die tat­säch­lich
    fer­tig­ten Hoch­tech­no­lo­gie-Bau­teil, kann schon das Hun­derts­tel      re­le­van­ten In­for­ma­tio­nen zu ex­tra­hie­ren? In wel­cher Fre­quenz
    ei­nes Mil­li­me­ters ent­schei­dend sein. Im schlimms­ten Fall bleibt      wer­den sie pas­sen­der­wei­se ab­ge­grif­f en? Wel­che Da­ten­gü­te ist
    vom ge­sam­ten Bau­teil nur noch der Ma­te­ri­al­wert üb­rig. Wirk­lich     für wel­che Kau­sa­li­tä­ten nö­tig? Und wel­che zu­sätz­li­che Sen­so­rik
    si­cher sind sich die Fer­ti­gungs­in­ge­nieu­re bis­lang erst, wenn die    könn­te da­zu in Zu­kunft ein­mal drin­gend nö­tig wer­den – und soll­te
    Blisk aus der Schluss­kon­trol­le kommt, wenn der stun­den­lan­ge           des­halb schon jetzt ins Las­ten­heft der zur Be­schaf­fung an­ste­
    Span­pro­zess schon lan­ge zu En­de ist.                                    hen­den neu­en Ma­schi­nen auf­ge­nom­men wer­den? „Wir sind noch
                                                                                re­la­tiv am An­fang“, sagt Ar­nold. „Aber wir tas­ten uns Schritt für
    Was, wenn sich kri­ti­sche Ab­wei­chun­gen schon viel frü­her de­tek­       Schritt an die Ant­wor­ten her­an.“
    tie­ren lie­ßen? Zum Bei­spiel, um noch wäh­rend des Fer­ti­gungs­
    pro­zes­ses auf ei­ne sich ab­zeich­nen­de To­le­ranz­ab­wei­chung re­      Die Ent­wick­lung die­ses kom­plett da­ten­ge­trie­be­nen Pro­zess­ver­
    agie­ren zu kön­nen. Ei­ne auf­wen­di­ge und kost­spie­li­ge Nach­ar­beit   ständ­nis­ses ist noch ei­ne sehr jun­ge Wis­sen­schaft. Die Tech­ni­
    wä­re wohl ver­hin­dert.                                                    sche Uni­ver­si­tät Mün­chen (TUM) war et­wa ei­ne der ers­ten Uni­
                                                                                ver­si­tä­ten über­haupt, die im Jahr 2015 ei­nen Mas­ter­stu­di­en­gang
    Da­ten, die Fer­ti­gungs­ma­schi­nen wäh­rend ih­rer Ar­beit er­stel­len,   in Da­ta Sci­ence ge­star­tet hat. Vier Jah­re spä­ter schon ist das
    ab­ru­fen oder ver­ar­bei­ten, könn­ten für die Lö­sung ent­schei­dend      Be­rufs­feld aus kei­ner High­tech-In­dus­trie mehr weg­zu­den­ken.
    sein. Doch die In­for­ma­ti­ons­men­ge ist enorm. Um sie nut­zen zu
    kön­nen, braucht es je­man­den, der Re­le­van­tes von Ir­re­le­van­tem      „Das Span­nen­de ist für mich ganz klar der in­ter­dis­zi­pli­nä­re An­
    trennt. Der aus­wer­tet, ent­schlüs­selt, ver­knüpft.                       satz“, sagt Ar­nold. „Ich al­lein kann oh­ne die Kol­le­gen aus der Fer­
                                                                                ti­gung die Da­ten nicht ver­ste­hen. Die Kol­le­gen aus der Fer­ti­gung
    So je­mand ist für die Blisk-Fer­ti­gung der MTU Ae­ro En­gi­nes            brin­gen das Pro­zess­wis­sen mit. Wir über­füh­ren es – zu­sam­men
    Dr. Oli­ver Ar­nold. Vor et­wa zwei Jahren war der heu­te 35-jäh­ri­ge      mit den Da­ten – in ein Mo­dell.“ Wenn man so will, ist Ar­nold ein
    Phy­si­ker und Da­ten­wis­sen­schaft­ler vom CERN, der Eu­ro­päi­schen      Dol­met­scher: An der Schnitt­stel­le zwi­schen In­for­ma­ti­ons­tech­no­
    Or­ga­ni­sa­ti­on für Kern­for­schung, nach Mün­chen ge­wech­selt. Im       lo­gie und Fer­ti­gungs­stra­te­gie un­ter­stützt er durch sei­ne Ana­ly­
    Kan­ton Genf hat­te er an Hoch­en­er­gie­ex­pe­ri­men­ten in der phy­si­    sen die Ent­schei­dungs­fin­dung.
17   Cover Story

„Ich al­lein kann oh­ne die Kol­le­gen aus der Fer­ti­gung
die Da­ten nicht ver­ste­hen. Die Kol­le­gen aus der Fer­ti­gung
brin­gen das Pro­zess­wis­sen mit. Wir über­füh­ren es –
zu­sam­men mit den Da­ten – in ein Mo­dell.“
Dr. Oliver Arnold, Data Scientist bei der MTU Aero Engines
Cover Story      18

    „Ich arbeite daran, die unterschiedlichen
    Methoden in eine Art übergreifendes
    Koordinatensystem zu übersetzen.“
    Dr. Anna Wawrzinek, Digital Transformation Managerin bei der MTU Aero Engines
19      Cover Story

                                                                                       ENG INE EXPER T:

                                                                                       Dr. Anna Wawrzinek
                                                                                       Digital Transformation Managerin

Interdisziplinäres                                                      MTU Aero Engines auflösen möchte: „Ich arbeite daran, die
                                                                        unterschiedlichen Methoden in eine Art übergreifendes Koor­
Koordinatensystem.                                                      dinatensystem zu übersetzen.“ Die Folge wäre eine effizientere
                                                                        und schnellere Triebwerks- und Triebwerksbauteilentwicklung –
                                                                        schließlich entfiele die Zeit fürs Umrechnen zwischen den ver­
Dr. Anna Wawrzinek arbeitet an einer gemeinsamen                        schiedenen Koordinatensystemen.
Software für die unterschiedlichen Disziplinen der
Triebwerksentwicklung.                                                  Nach dem Abitur war die Polin zum Mathematik-Studium an die
                                                                        Freie Universität Berlin gegangen. Ihre Promotion schrieb sie über
Es ist ein wahrlich großer Bogen, den Dr. Anna Wawrzinek da mit         eine noch junge Forschungsrichtung namens Isogeometrische
dem Verweis auf den Entwurf des deutschen Grundgesetzes schlägt.        Analyse und deren Transformation in Industrieanwendungen.
„Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des       Mathematiker versuchen bei der Isogeometrischen Analyse, die
Staates willen.“ Mit der digitalen Transformation verhalte es sich      geometrische Beschreibung von Design- und Analysemodell zu
ähnlich. „Die ist kein Selbstzweck, sondern soll die Kollegen dabei     vereinigen, indem sie sogenannte NURBS (Non-Uniform Rational
unterstützen, den Fokus aufs Wesentliche zu legen.“ Zum Beispiel        B-Splines) als gemeinsame Basis für die Formbeschreibung ein­
auf die Entwicklung von neuen Luftverkehrsantrieben.                    führen. Dies bietet sich an, weil NURBS bereits den Standard bei
                                                                        den meisten CAD-Systemen (Computer Aided Design) darstellen.
Aus bis zu 30.000 Einzelteilen fügt sich ein Triebwerk je nach Mo­
dell zusammen. Im Zusammenspiel entsteht ein komplexes Sys­             Im Grunde beruht die Notwendigkeit einer umfassenden Lösung auf
tem aus Aktion, Reaktion und wechselseitigen Einflüssen. Kaum           einer historischen Entwicklung. Als Computer in den 1960er Jahren
weniger komplex ist die Art und Weise, wie Triebwerke entwickelt        langsam Einzug in die Industrie erhielten, hätte sich das digitale
werden – nämlich in einem austarierten Zusammenspiel aus Kon­           Handwerkszeug entlang der Disziplingrenzen auseinander entwi­
struktion, Aerodynamik und Strukturmechanik.                            ckelt: „Die Designer arbeiteten mit glatten Oberflächen weiter, was
                                                                        ja auch nahe liegt. Aber die Analytiker mussten mit feineren dreidi­
Mittlerweile ist die technologische Entwicklung so weit fortge­         mensionalen Elementen, wie Punktewolken oder Dreiecke arbeiten,
schritten, dass spürbare Verbesserungen nur noch unter Be­              um die Bauteile digital weiterverarbeiten zu können.“
trachtung des gesamten Triebwerks möglich sind, zumindest,
wenn die Wirtschaftlichkeit gegeben sein soll. Doch die einzelnen       Langfristig betrachtet ist das gemeinsame MTU-Entwicklungs-­
Disziplinen, die ihre (Weiter-)Entwicklungen bislang meist separat      Koordinatensystem für Konstruktion, Aerodynamik und Struk­
betrachteten, haben über die Jahre eigene digitale Entwicklungs­        turmechanik dennoch eher ein Zwischenziel. Der nächste Schritt
systeme aufgebaut. „Vereinfacht könnte man sagen: Sie arbeiten          wäre eine verlustfreie Vernetzung und Integration der bestehen­
mit unterschiedlichen Koordinatensystemen“, erklärt Wawrzinek.          den Systeme für alle wesentlich an einem Triebwerk beteiligten
                                                                        Partner. „Dann könnte man auch softwareseitig das abbilden,
An dieser Stelle beginnt eine Problematik, die die 33-Jährige           was mit der immer stärkeren Gesamtbetrachtung des Triebwerks
als eine von rund 20 Digital Transformation Managern bei der            auf Entwicklungsebene ohnehin der Trend ist.“

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                                                                                Autor:
                                                                                Thorsten Rienth schreibt als freier Journalist für den AEROREPORT.
                                                                                Seine technikjournalistischen Schwerpunkte liegen neben der Luft- und
       Mehr zum Thema: www.aeroreport.de                                        Raumfahrtbranche im Bahnverkehr und dem Transportwesen.
Innovation   20

                  Sun-to-liquid-Verfahren (StL) _____
                  Eine Sun-to-liquid-Anlage produziert Kerosin aus
                  Sonnenlicht, Wasser und CO2. Das funktioniert schon heute
                  in der Praxis: In Madrid wurde am IMDEA Energy Institute
                  eine einzigartige Solaranlage errichtet und über vier Jahre
                  ausgiebig getestet. Das Projekt wurde aus dem Forschungs-
                  und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen
                  Union finanziert und vom Schweizerischen Staatssekretariat
                  für Bildung, Forschung und Innovation unterstützt.
21    Innovation

                Masse wäre klasse
             Mit Power-to-Liquid- und Sun-to-Liquid-Kraftstoffen
        kann die Luftfahrt ihre ambitionierten Klimaziele erreichen –
        wenn man schnell auf relevante Produktionsmengen kommt.
                                                        Autor: Denis Dilba

Seit den 1960er-Jahren bis heute konnten effizientere Flugtrieb­   logie der Luftfahrt am Münchner Forschungsinstitut Bau­
werke, verbesserte Aerodynamik und neue leichtere Werkstoffe       haus Luftfahrt. Damit meint er zwei bestimmte Varianten der
den Treibstoffverbrauch und damit auch die CO2-Emissionen von      „Sustainable Aviation Fuels“ (SAF): die sogenannten Power-
Flugzeugen fast halbieren. An diesen Aufgaben wird auch weiter­    to-Liquids (PtL) und Sun-to-Liquids (StL). Auch die Luftfahrt­
hin gearbeitet, um den Treibstoffverbrauch zu senken. Da aber      branche hat das längst erkannt und testet bereits seit mehr
der globale Luftverkehr aller Voraussicht nach auch in Zukunft     als zehn Jahren solche SAFs, die nicht mehr aus fossilem Erd­
weiter um etwa fünf Prozent pro Jahr wächst, reichen sie nicht     öl produziert werden. Lange Zeit galten Biokraftstoffe als Fa­
aus, um den Anstieg der CO2-Emissionen zu stoppen – geschwei­      vorit, nun zeichnet sich aber immer klarer ab, dass sie keine
ge denn, ihn zu verringern.                                        nachhaltige Versorgung der globalen Flugzeugflotte leisten
                                                                   können. Der Anbau von Energiepflanzen bräuchte viel zu große
Kraftstoffe aus erneuerbarem Strom und Sonnenlicht                 ­Flächen. Der große Vorteil der SAFs ist, dass diese sogenann­
„Ein großes Potenzial, die Klimaziele in der Luftfahrt errei­       te „Drop-in“-Kraftstoffe sind – also keinerlei technische An­
chen zu können, bieten daher synthetische Kraftstoffe“, sagt        passungen im Flugzeug, am Triebwerk und bei der Flughafen­
Dr. Andreas Sizmann, Leiter Zukunftstechnologien und Öko­           infrastruktur fordern.
Innovation      22

                   „Ein großes Potenzial, die Klimaziele in der Luftfahrt erreichen zu können,
                                     bieten daher synthetische Kraftstoffe“

                                                                  Dr. Andreas Sizmann
                          Leiter Zukunftstechnologien und Ökologie der Luftfahrt am Münchner Forschungsinstitut Bauhaus Luftfahrt

   Um sie herzustellen, werden Wasser und CO2 mit erneuerbarem                          schwerpunkt „Alternative Kraftstoffe“ leitet. Möglich machen soll
   Strom (PtL) oder konzentriertem Sonnenlicht (StL) zunächst in                        das die Direct Air Capture Technologie. Das Schweizer Startup
   Wasserstoff und Kohlenmonoxid umgewandelt – sogenanntes                              Climeworks beispielsweise setzt hierfür große Filter ein, an de­
   Synthesegas. Im PtL-Verfahren wird dazu zum einen Wasser per                         nen das CO2 anhaftet. Die Technik muss aber noch effizienter
   Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Zum anderen                       und vor allem deutlich kostengünstiger werden.
   reduziert die sogenannte Reverse Wasser-Gas-Shift-Reaktion
   Kohlendioxid zu Kohlenmonoxid. „Bei der StL-Methode entsteht                         „Die Luftfahrtbranche benötigt heute rund 300 Millionen Ton­
   das Synthesegas durch eine thermochemische Redoxreaktion“,                           nen Treibstoff pro Jahr und die Zahl wird steigen – da werden
   sagt Sizmann, der das EU-geförderte Projekt SUN-to-LIQUID ko­                        gewaltige Mengen CO2 gebraucht“, sagt Batteiger. Die MTU Aero
   ordiniert. „Grob gesagt, erhitzt man dabei mit konzentriertem                        Engines unterstützt, auch in Kooperation mit anderen Branchen­
   Sonnenlicht ein Metalloxid und entzieht ihm einen Teil des Sau­                      vertretern, die Einführung dieser Kraftstoffe in den Markt. „Die
   erstoffs. Dann reduziert man die Temperatur und das Oxid holt                        PtL-Technologie ist technisch beherrscht und bereit zur Skalie­
   sich den Sauerstoff vom Wasser und Kohlendioxid, wodurch Was­                        rung – das muss unserer Ansicht nach jetzt geschehen“, sagt
   serstoff und Kohlenmonoxid gebildet werden.“                                         MTU-Experte Fabian Donus aus dem Innovationsmanagement.
                                                                                        Denn noch gibt es weltweit keine Handvoll größerer Anlagen,
   Das Power-to-Liquid-Verfahren ist bereit                                             was den PtL-Kraftstoff erheblich teurer macht als fossiles Kero­
   zur Skalierung                                                                       sin. Sizmann plädiert daher ebenso für eine schnelle Skalierung,
   Aus dem Synthesegas entstehen dann sowohl beim Power-to-Li­                          auch beim StL-Verfahren. „Da benötigen wir zwar noch For­
   quid- als auch beim Sun-to-Liquid-Verfahren über die etablierte                      schungsarbeit, um den Prozess effizienter zu machen. Diesen
   Fischer-Tropsch-Synthese langkettige Kohlenwasserstoffe. Raf­                        Schritt können wir aber parallel zum Aufbau einer Anlage im Me­
   finerie-Prozesse veredeln sie dann zu Kerosin – das Flugzeuge                        gawattbereich gehen.“
   normal tanken können. „Da die PtL- und StL-Kraftstoffe bei der
   Verbrennung genauso wie fossiles Kerosin CO2-Emissionen ver­                         Der Luftfahrtsektor könnte weitgehend CO2-neutral
   ursachen, sind sie nur dann nachhaltig, wenn das CO2 für ihre                        werden
   Produktion aus der Atmosphäre stammt“, sagt Sizmanns Kollege                         Alle heute zugelassenen Herstellrouten von SAFs verlangen
   Dr. Valentin Batteiger, der am Bauhaus Luftfahrt den Forschungs­                     eine Beimischung von mindestens 50 Prozent fossilen Kerosins.

   WIE AUS WASSER UND KOHLENSTOFFDIOXID KEROSIN WIRD

                Power-to-liquid (PtL):               AUSGANGSPRODUKT                              HERSTELLUNGSPROZESS                            ENDPRODUKT

                 Erneuerbare Energie
                           + Wasser
                               + CO2                                             Erneuerbare Energien

                                = Kerosin

                                                                        Wasser                      Wasserstoff H2                         Kerosin
                                                       H2O
                                                                                 Zerlegung in Sauerstoff         Synthese und Fraktionierung
   Power-to-liquid-Verfahren (PtL)                                                   und Wasserstoff               (Fischer-Tropsch-Anlage)
         Das Power-to-Liquid-Verfahren ist                                            (Elektrolyse)
     zukunftsweisend: Dabei wird Wasser-
   stoff mit erneuerbarer Energie erzeugt,                                        CO2                                  CO
                                                Kohlenstoffdioxid CO2
      mit Kohlenstoffdioxid zu Kohlenwas-          (extrahiert aus
     serstoffen synthetisiert und zu einem            der Luft)
                                                                                                   Zerlegung in
               Flüssigkraftstoff aufbereitet.                                                   Kohlenstoffmonoxid
23      Innovation

Grüner tanken _____ Synthetische Kraftstoffe müssen in der Luftfahrt
möglichst bald zur Verfügung stehen, um die selbst gesetzten Ziele der Branche
zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes zu erreichen.

„Herstellrouten, die keine Beimischung mehr benötigen, werden                    strom wäre zwar platzsparender, dafür sinke aber die Akzeptanz
aber bereits untersucht. Umfangreich eingesetzt, würden SAFs                     für die Windräder.
die CO2-Bilanz der Luftfahrtbranche sofort spürbar verbessern“,
so Donus. MTU verfolge auch weiterhin die Entwicklung der                        Aufgrund der vergleichsweise geringen Transportkosten für flüs­
StL-Technologie, sagt Donus. „Aktuell scheint PtL aber einen                     sige Kraftstoffe ist eine Produktion großer Mengen synthetischer
Schritt voraus zu sein.“ Ohne Subventionen sei der Aufbau einer                  Kraftstoffe vor allem in Regionen sinnvoll in denen viel Wind oder
PtL-Industrie allerdings nicht zu stemmen, so Donus. Sizmann                     Sonne vorhanden ist. Rund ein Prozent der Wüstenfläche würden
und Batteiger sehen das auch so. „Wie schnell wir die Techno­                    ausreichen, um den weltweiten Bedarf der Luftfahrt mit synthe­
logien ausrollen können, hängt vom politischen Willen und von                    tischen Kraftstoffen zu decken, so Batteiger. Mit etwa 300.000
der Entwicklung der Kosten für den Einsatz von Erdöl ab. Eine                    Quadratkilometern wäre das Gebiet fast so groß wie Deutsch­
Sun-to-Liquid-Anlage würde auf 38 Quadratkilometern Fläche                       land. „Für Biokraftstoff würde man mindestens die zehnfache
rund 300.000 Liter synthetisches Kerosin pro Tag produzieren –                   Fläche brauchen – auf landwirtschaftlich nutzbaren Böden“, so
knapp eine Airbus-A380-Tankfüllung. Die PtL-Technologie mit So­                  Batteiger. „PtL und StL sind daher trotz aller Herausforderungen
larstrom brauche in etwa die gleiche Fläche, so Batteiger. Wind­                 unsere besten Optionen, Fliegen CO2-neutral zu gestalten“.

    ZUSAMMENARBEIT BEI SYNTHETISCHEN KRAFTSTOFFEN

    MTU Aero Engines beteiligt sich an der Forschung zu SAFs über                  CO2-Minderungsziele der Luftverkehrswirtschaft zu erreichen.
    die Mitgliedschaften bei dem Forschungsinstitut Bauhaus Luft-                  Dazu kooperiert die aireg mit verschiedenen wissenschaftlichen
    fahrt aus München und der aireg (Aviation Initiative for Rene-                 Instituten in Deutschland, unter anderem dem Karlsruhe Insti-
    wable Energy in Germany e.V.) mit Sitz in Berlin. Die gemein-                  tut of Technology (KIT), dem FZ Jülich und dem DLR oder der
    nützige Initiative, in der die MTU den Arbeitskreis Kraftstoffnut-             Technischen Universität Hamburg. Diese Forschungseinrichtun-
    zung leitet, setzt sich für die Verfügbarkeit und Verwendung von               gen sind ebenso wie weitere Unternehmen und auch das Bau-
    erneuerbaren Energien in der Luftfahrt ein, um die ehrgeizigen                 haus Luftfahrt Mitglieder in der aireg.

        Fragen, Wünsche, Anregungen? Hier erreichen Sie die Redaktion:
        aeroreport@mtu.de
                                                                                         Autor:
                                                                                         Denis Dilba studierte Mechatronik, besuchte die Deutsche Journa-
                                                                                         listenschule und gründete das digitale Wissenschaftsmagazin Substanz.
        Mehr zum Thema: www.aeroreport.de                                                Er schreibt über verschiedenste Themen aus Technik und Wissenschaft.
Innovation   24

                  „Wir beschleunigen
                    Innovationen“
                    Dr. Carsten Subel, Leiter des Inno Lab bei der MTU,
                     über die globale Suche nach Technologie-Trends
                      und die Bedeutung einer Unternehmenskultur,
                               in der Innovationen gedeihen.
                                                       Autor: Thorsten Rienth

   Herr Subel, die MTU ist weltweit bekannt für ihre                Richtet sich das Inno Lab eher an interne oder an
   fortschrittliche Triebwerkstechnologie. Wozu be­                 externe Kunden?
   nötigt sie ein eigenständiges Inno Lab?
                                                                    Subel: Wir richten unser Augenmerk stark nach innen. Wir
   Dr. Carsten Subel: Die MTU ist ein kreatives und innovatives     sind kein Dienstleister, der externe Kunden ansprechen möch-
   Unternehmen. Unsere Entwicklungsingenieure testen seit Jahr-     te. Wir sorgen dafür, dass neue Themen bei der MTU angenom-
   zehnten die Grenzen der Ingenieurswissenschaften aus und         men werden. Grundsätzlich verfolgt das Inno Lab drei Ziele:
   verfügen über ein exzellentes Netzwerk mit Hochschulen und       Wir suchen nach Trends. Wir generieren Ideen. Und wir för-
   Forschungseinrichtungen. Das Inno Lab steht nicht im Wettbe-     dern eine Unternehmenskultur, in der Innovationen gedeihen.
   werb zu unseren Entwicklungsabteilungen. Es erweitert unsere
   Innovationsfähigkeiten und hat Prozesse, Produktverbesserun-     Ideen lassen sich generieren?
   gen, neue Services und Geschäftsmodelle im Blick. Es ist ein
   zweites Gleis, auf dem wir Ideen intern beschleunigen können.    Subel: Auf sehr vielfältige Weise sogar! Ideen können beispiels-
   Einer unserer Slogans lautet: „New ideas quickly prototyped“     weise zu jeder Zeit von jeder Kollegin und jedem Kollegen bei
   – wir entwickeln Ideen schnell zu Prototypen. Allerdings geht    der MTU zu uns getragen werden. Vor einigen Wochen hat
   es uns nicht nur um Ideen, sondern um Innovationen. Zu einer     das Inno Lab zu einem „Call for Ideas“ aufgerufen. Viele
   Innovation wird eine Idee erst, wenn sie vom Kunden angenom-     MTU-Mitarbeiter haben Ideen eingereicht und in sogenannten
   men wird und sich durchsetzt. Mit den Prototypen können wir      Pitches persönlich für sie geworben. Die Bandbreite an Vorschlä-
   gut prüfen, ob eine reale Nachfrage für ein neues Produkt oder   gen war enorm. Sie reichten von konkreten Produktentwürfen
   eine Idee besteht. Geschwindigkeit ist unser Wettbewerbsvor-     wie einem bionischen Wärmetauscher über ein neues Licht-
   teil.                                                            konzept, das die Gesundheit der Mitarbeiter fördert, bis hin zu
25   Innovation
Innovation   26

                                                                                                            Dr. Carsten Subel ______
                                                                                                             Der Leiter des Inno Lab bei
                                                                                                           der MTU ist fasziniert davon,
                                                                                                            neue Ideen schnell zu Proto-
                                                                                                            typen zu entwickeln. Nur so
                                                                                                             lässt sich herausfinden, ob
                                                                                                             überhaupt eine reale Nach-
                                                                                                            frage für ein neues Produkt
                                                                                                                  oder eine Idee besteht.

                  „Im Inno Lab identifizieren wir zunächst eine Technologie mit Potenzial,
                  dann machen wir konkrete Anwendungsfelder für sie bei der MTU aus.“

                                                                 Dr. Carsten Subel,
                                                    Leiter des Inno Lab bei der MTU Aero Engines

   verbesserten Kommunikationsabläufen, die auf der Interaktion             nun zusammenführen können. Das Thema war also geradezu
   über digitale Plattformen basieren. Ideen können sich auch erst          prädestiniert, um vom Inno Lab als Innovationsbeschleuniger
   aus der Vielzahl von Einzelgesprächen ergeben. So ist uns in             gefördert zu werden.
   vergangenen Monaten aufgefallen, dass es ein Thema gibt,
   mit dem sich Kollegen aus den unterschiedlichsten Unterneh­              Künstliche Intelligenz ist zweifellos eines der
   mensbereichen bereits beschäftigen, weil sie großes Potenzial            spannendsten Themen der Gegenwart. Sie ha­
   in ihm erkennen: „Machine Vision“, das „maschinelle Sehen“.              ben erwähnt, dass Sie im Inno Lab nach globalen
                                                                            Trends scouten. Warum ist das wichtig?
   Worum handelt es sich dabei?
                                                                            Subel: Beim Scouting geht es zunächst einmal darum, dass
   Subel: Darunter versteht man die computergestützte Lösung                wir aufmerksam sind und keine Technologien verschlafen, die
   von Aufgaben, die sich an den Fähigkeiten des Menschen orien-            anderswo bereits erfolgreich eingesetzt werden. Zusätzlich
   tiert, zu sehen – und dann zu handeln. Vereinfacht gesprochen            versuchen wir frühzeitig zu erkennen, wenn sich neue Trends
   handelt es sich um Kamera-Computer-Systeme, die Abweichun-               am technologischen Horizont abzeichnen. Hierfür zapfen wir
   gen in Materialien erkennen oder Bauteile nach einer Demon-              neue Quellen an. Wir recherchieren zum Beispiel, ob es in
   tage automatisch erfassen. Es ist ein Teilgebiet der Künstlichen         jüngster Zeit in einem Bereich eine auffällig hohe Zahl neuer
   Intelligenz. Wir haben erkannt: Bei der MTU gibt es reihen-              Patentanmeldungen gegeben hat. Wir schauen uns auch an, an
   weise Anwendungsmöglichkeiten für Machine Vision. Und es                 welchen Themen Start-Ups arbeiten. Oder wir werten im Inter-
   gibt einige an der Technologie interessierte Kollegen, die wir           net aus, welche Trends Unternehmen und Menschen weltweit
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