12/2008 Bayerischer Gemeindetag
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BAYERISCHER GEMEINDETAG • Verband kreisangehöriger Städte, B 6015 E Märkte und Gemeinden • Körperschaft des öffentlichen Rechts Bayerischer Gemeindetag 12/2008 Weihnachtsmarkt Kumhausen vor dem neuen Rathaus BAYERISCHEN GEMEINDETAGS Die Zeitschrift des Der Bayerische Gemeindetag im Internet: http://www.bay- gemeindetag.de Die Geschäftsstelle ist gleichzeitig über folgende e-mail-Adresse erreichbar: baygt@bay-gemeindetag.de
Bayerischer Gemeindetag Inhaltsverzeichnis QuintEssenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 Verleihung des Kommunalpreises des Bayerischen Gemeindetags an Herrn Landtagspräsident Alois Glück . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 Dr. Marx: Kirche und Kommunen: Gemeinsam im Dienst für die Menschen . . . . . . . . . 437 Dr. Bröll: Einheimischenmodelle: Ist die Gefahr aus Brüssel gebannt? . . . . . . . . . . . . 439 Grünewald: Kommunalwahl-Nachwehen . . . . . . . . 441 Tylla: Von der Klärschlammbeseitigung zur -verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 Scharnagl: Klärschlammverwertung: Dünger oder Rohstoff? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 Presseecho . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 Seminarangebote der Kommunalwerkstatt . . . . . . . . . . . . . 452 AUS DEM DSTGB zur Steuerschätzung . . . . . . . . . . . . . . . 458 PERSONAL Beihilferecht und Pflegezeitgesetz . . . . . . . . . 459 KOMMUNALWIRTSCHAFT Wettbewerb „Energieeffiziente Stadtbeleuchtung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 VERSCHIEDENES Neue Broschüre der Akademie Ländlicher Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 KAUF + VERKAUF Löschfahrzeug, Feuerwehrfahrzeug, Hängeregistratur, zu verkaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 Übersendung von Gerichtsentscheidungen an die Geschäftsstelle Die Auskunfts- und Beratungstätigkeit der Geschäftsstelle hängt in einem hohen Maße davon ab, wie gut der Informationsfluss zwischen Mitgliedskörperschaften und der Geschäftsstelle ist. Wir bitten deshalb unsere Mitglieder dringend, uns gerichtliche Entscheidungen umgehend zu überlassen und uns über anhängige Verfahren bei den Verwaltungsgerichten oder bei den obersten Bundesgerichten zu informieren, damit andere Mitglieder schnell und zeitnah von diesen Erfah- rungen profitieren können.
Bayerischer Gemeindetag • QuintEssenz Wichtiges in Kürze 433 Bayerischer Gemeindetag mische und Auswärtige in einer Gemeinde zu verhindern. Kommunalpreis Glücklicherweise konnte in Bespre- für Alois Glück chungen und Verhandlungen mit der EU- Auf dem Bayerischen Gemeindetag Kommission ein Konsens hergestellt wer- 2008 in Bad Gögging erhielt der ehemalige den, sodass das Verfahren aller Voraussicht Landtagspräsident Alois Glück den Kom- nach im Sande verlaufen wird. Ist damit munalpreis des Bayerischen Gemeindetags aber die Gefahr gebannt? Es gilt wachsam aus den Händen von Präsident Dr. Uwe zu sein! Brandl. Auf den Seiten 435 und 436 haben wir die Laudatio des Präsidenten Kommunalwahlrecht abgedruckt. Nach fünf Jahren seit der letzten Ver- Kommunalwahl- leihung des Kommunalpreises hat Bayerns Nachwehen größter Kommunalverband wieder einen In zwei Entscheidungen zu den ver- würdigen Preisträger erkoren. Nur wer sich gangenen Kommunalwahlen hat das Ver- in außergewöhnlicher Art und Weise für waltungsgericht Regensburg Klagen ab- die kommunalen Interessen stark gemacht gewiesen, mit denen Wahlanfechtungen hat – sich also als echter Freund der Ge- verfolgt wurden. Rechtsanwalt Benedikt meinden, Märkte und Städte erwiesen hat – Grünewald stellt auf den Seiten 441 bis bekommt den raren Preis verliehen. Alois 444 die Hintergründe der Entscheidungen Glück hat sich in seiner gesamten poli- vor und bewertet die Urteile. Er begrüßt tischen Laufbahn stets für die Belange der die Entscheidungen, weil sie von richter- Kommunen eingesetzt und staatlichen Seit der Liberalisierung ist der deutsche licher Zurückhaltung hinsichtlich der Frage Institutionen mit klaren Worten verdeut- Markt für Telekommunikationsdienste ra- geprägt sind, inwieweit sich ein Gericht an licht, dass die Gemeinden eben nicht der pide gewachsen, und gleichzeitig hat die die Stelle des Wahlausschusses setzen und „verlängerte Arm des Staates“ sind. Konkurrenz dazu geführt, dass die Preise aus Verbrauchersicht erdrutschartig ge- inhaltlich Wahlvorschläge prüfen darf. Dafür gebührt ihm Hochachtung – und fallen sind. Im Festnetzbereich konnten der Kommunalpreis. die Wettbewerber der Deutschen Telekom fast 40 Prozent des Marktes erobern. Im Umweltschutz Bayerischer Gemeindetag Mobilfunk erzielen die Wettbewerber mitt- lerweile einen höheren Umsatz als der Klärschlamm- Kirche und ehemalige Monopolist. Im laufenden Jahr verwertung beträgt der Gesamtumsatz geschätzte In zwei Aufsätzen auf den Seiten 444 Kommunen 60,6 Milliarden Euro, 45 Prozent mehr bis 447 stellen Dipl.-Ing. Manfred Tylla Der neue Erzbischof von München und als noch 1998. Im Jahr 2007 kostete ein zehnminütiges Inlandstelefonat zur Haupt- und Dipl.-Ing. Claudia Scharnagl die viel- Freising, Professor Dr. Reinhard Marx, hat fältigen Möglichkeiten vor, wie aus einem zeit im Festnetz gerade noch 12 Cent; auf dem Bayerischen Gemeindetag 2008 verglichen mit den 3,07 Euro zehn Jahre Abfallprodukt, dem Klärschlamm, ein Pri- in Bad Gögging eine vielbeachtete Rede zuvor bedeutet dies einen Rückgang um mär-Energieträger mit Zukunft hergestellt gehalten. Es ging ihm um eine Positions- 96 Prozent. Noch billiger wurden im glei- werden kann. bestimmung im Verhältnis Kirche und chen Zeitraum Telefonate ins Ausland. Kommunen. Auf den Seiten 437 bis 440 In der Vergangenheit wurde Klär- können Sie Auszüge aus seiner Rede nach- schlamm bekanntlich als Dünger auf den angesiedelt. Beide haben gemeinsame Böden ausgebracht. Mittlerweile stellt sich lesen. Wurzeln und befruchten sich gegenseitig. immer die Erkenntnis ein, dass getrockne- Kirche und Kommunen stehen in viel- Es ist richtig, darauf wieder einmal deut- ter Klärschlamm ein energiereicher Wert- facher gemeinsamer Verantwortung für die lich hingewiesen worden zu sein. stoff beziehungsweise Rohstoff ist. Gerade Gesellschaft. Das zeigt sich beispielsweise in Zeiten, in denen der Klimawandel ge- bei der Kinderbetreuung. Neben zahlrei- bremst werden soll und aller Orten nach chen gemeindlichen Kindergärten unter- Planungsrecht alternativen Energieträgern gesucht wird, hält die Kirche viele solcher Einrichtungen, um die sich viele Eltern bemühen. Gleiches Gefahr für Ein- kommt einer geänderter Klärschlammver- wertung eine nicht unerhebliche Bedeu- gilt für Senioren- und Behinderteneinrich- heimischenmodelle? tung zu. Es lohnt, sich mit der Materie zu tungen, Jugendbegegnungsstätten oder Be- Auf den Seiten 439 und 440 skizziert befassen. ratungsstellen für die verschiedensten Le- Dr. Helmut Bröll von der Bayerischen Aka- benssituationen. Kirche und Kommunen demie Ländlicher Raum die „Gefahren“, gehen hier Hand in Hand. denen Einheimischenmodelle durch allzu Fortbildung Der Erzbischof verweist – zurecht – viel „Interesse“ aus Brüssel ausgesetzt Viele Seminar- auf die gemeinsame Kultur, auf den Glau- sind. Vor einem Jahr hatte nämlich die ben und Wertüberzeugungen, die in den Europäische Kommission ein Vertrags- angebote Kommunen gelebt werden. Gerade im verletzungsverfahren gegen die Bundes- Auf den Seiten 452 und 453 erhalten Freistaat Bayern sind Rathaus und Kirch- republik Deutschland eingeleitet, um un- Sie eine Übersicht über Seminarangebote turm nicht umsonst in unmittelbarer Nähe terschiedliche Grundstückspreise für Einhei- für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den
Bayerischer Gemeindetag • QuintEssenz 434 Kommunalverwaltungen im ersten Halb- jahr 2009. Das Arbeitsleben auch in den öffentlichen Verwaltungen ist heutzutage lebenslanges Lernen. Dieser Erkenntnis verschließt sich heute niemand mehr. Um dem Fortbildungsstreben der Mitarbeite- rinnen und Mitarbeitern in den Kommunal- verwaltungen und ihren Einrichtungen Rechnung zu tragen, bietet die Kommunal- werkstatt des Bayerischen Gemeindetags auch im nächsten Jahr wieder zahlreiche Fortbildungsveranstaltungen an. DStGB Jetzt Investitionen anschieben! Auf den Seiten 458 und 459 finden Sie einen Aufruf des Deutschen Städte- und Gemeindebunds (DStGB) zur jüngsten Bund, Länder und Gemeinden können im laufenden Jahr mit fast 562 Milliarden Euro Steuerschätzung. „Der Bund muss jetzt Steuereinnahmen rechnen. Im kommenden Jahr steigt das Aufkommen auf 572 Milliarden eine Infrastrukturoffensive einleiten, um Euro. Gegenüber der Vorhersage vom Mai 2008 bedeutet dies noch einmal Mehreinnahmen die Kommunen und den Mittelstand zu von knapp acht Milliarden Euro für 2008. Im kommenden Jahr beträgt das Einnahmeplus stärken“ lautet das Motto. Vor dem Hinter- gegenüber der letzten Schätzung jedoch nur noch eine Milliarde Euro. Grund für diese ver- grund der derzeitigen Finanzkrise und der haltene Prognose ist die drohende Rezession der deutschen Wirtschaft; Experten erwarten zu erwartenden Wirtschaftskrise ist es jetzt bestenfalls ein ¿Nullwachstum¿ im kommenden Jahr. Von den Steuermilliarden 2009 ent- fallen 246,9 Milliarden Euro auf den Bund und 225,5 Milliarden Euro auf die Länder. Den höchste Zeit, notwendige Infrastruktur- Rest müssen sich Gemeinden und EU teilen. maßnahmen finanziell anzuschieben. Denn: Die Infrastruktur-Investitionen der Kom- munen sind Voraussetzung für unterneh- merische Investitionen und Wachstum. Von einer nachhaltigen Investitionsfähigkeit der Kommunen profitieren auch Bund und Länder. Deshalb ist eine stabile finanzielle Basis der Kommunen von zentraler Bedeu- tung. In eigener Sache Die Redaktion sagt danke Zum Jahreswechsel verbleibt der Re- daktion die angenehme Aufgabe, sich bei ihren Leserinnen und Lesern für die wohlwollende und kritische Begleitung der Verbandszeitschrift zu bedanken. Auch im abgelaufenen Jahr 2008 ha- ben uns wieder zahlreiche Zuschriften aus dem Mitgliederkreis mit wertvollen Anregungen und Tipps erreicht. Vor allem die Übersendung schöner Ge- meindeansichten oder Bilder von Rat- häusern verdeutlichen, dass die Ver- bandszeitschrift gerne gelesen und viel Deutschland ist ein Agrarstaat ¿ jedenfalls wenn man die Nutzung der Bodenfläche betrach- beachtet wird. Dafür herzlichen Dank! tet. Schließlich dient mehr als die Hälfte der Fläche Deutschlands der Landwirtschaft. Fast Die Redaktion wird sich auch in Zukunft 47 000 Quadratkilometer der Bodenfläche werden für Siedlungs- und Verkehrsflächen bemühen, ansprechende Beiträge und benötigt; dieser Teil wuchs in den letzten Jahren pro Tag im Durchschnitt um 113 Hektar an. interessante Ankündigungen in anspre- Der Wald bedeckt immerhin fast ein Drittel Deutschlands. Dabei gibt es aber von Bundes- chender Form den Mitglieder zugäng- land zu Bundesland erhebliche Unterschiede. Unter den Flächenstaaten hat Nordrhein- Westfalen mit 22 Prozent den höchsten und Mecklenburg-Vorpommern mit weniger als lich zu machen. acht Prozent den niedrigsten Anteil von Siedlungsflächen.
12/2008 Bayerischer Gemeindetag 435 Verleihung des Kommunalpreises des Bayerischen Gemeindetags Der Kommunalpreis des Bayeri- an Herrn Landtags- herausgestellt, in der viele verunsicher- schen Gemeindetags wurde bisher ein te Menschen in einem verstärkten Zen- einziges Mal vergeben, nämlich vor fünf präsident Alois Glück* tralismus das Heil suchen. Diesen uner- Jahren an Bundespräsident a.D. Pro- schütterlichen Glauben an den Zentra- fessor Roman Herzog. Da muss sich der lismus, sobald ein Problem oder eine Bayerische Gemeindetag die Frage ge- Laudatio des Präsidenten Herausforderung entsteht, nennt Alois fallen lassen: Warum diese lange Pause des Bayerischen Gemeindetags, Glück ungeschminkt eine Fehlentwick- von 2003 bis zur heutigen Preisver- lung, ja sogar einen fatalen und gefähr- leihung? Liegt dem Bayerischen Ge- Dr. Uwe Brandl lichen Irrtum. Und er stellt zugleich meindetag etwa nicht so arg viel an unermüdlich – und auch unbeeindruckt diesem Preis? Ganz im Gegenteil, gerne (z.B. vom Stöhnen eines ehemaligen würden wir mindestens alle zwei Jahre zur Ich sage Ihnen ganz brutal die schlichte Ministerpräsidenten über „diese ewige Nach- Preisverleihung schreiten, bietet sich doch da- Wahrheit: Es gibt – außerhalb der kommuna- denklichkeit“) – sein Gegenmodell vor. Danach durch die Gelegenheit zu dankbarer Anerken- len Familie, denn wir können uns ja schließlich ist der Generalschlüssel zur Revitalisierung nung und ganz nebenbei ein medienwirksames nicht selbst auszeichnen – nur wenige heraus- unseres Landes die konsequente Anwendung Forum für unseren Verband. ragende Persönlichkeiten in Politik und Gesell- des Subsidiaritätsprinzips in allen Lebensbe- Oder sind die in Frage kommenden Per- schaft, durch deren Wirken sich – zumindest reichen. Ganz konkret wird unser Preisträger sönlichkeiten nicht interessiert, sich mit einem unter anderem – das Verständnis für kom- dann, wenn er auf die Bedeutung der Gemein- kommunalen Preis zu schmücken? Nein, an munale Anliegen, Bekenntnisse zu gemeind- den und der gemeindlichen Selbstverwaltung Sonntagsrednern, die die Bedeutung der kom- lichen Positionen und die Verteidigung dieser innerhalb dieser Subsidiarität zu sprechen munalen Selbstverwaltung hochleben lassen, Positionen auch gegenüber andersdenkenden kommt. In seiner breit angelegten, viel beach- und an Politikern, die spätestens im Wahlkampf Parteifreunden und opponierenden Stake- teten Festansprache auf der Landesversamm- die Kommunen entdecken, ist kein Mangel. Sie holdern ziehen. lung 2004 des Bayerischen Gemeindetags in alle würden sich gerne vom größten bayeri- Nördlingen („Zeitenwende in Deutschland – Roman Herzog war so einer. Mit seinem schen kommunalen Spitzenverband auszeich- Herausforderung für die Gemeinden“) formu- auch und insbesondere auf die Kommunen be- nen lassen. lierte Alois Glück, und ich zitiere nun wörtlich: zogenen Credo, dass der Staat eine Musik- kapelle, die er zur Beglückung des Volkes in „Das Subsidiaritätsprinzip konsequent an- eine Gemeinde schickt, gefälligst auch selbst zu zuwenden bedeutet, dass man Macht und Ge- bezahlen hat und die Rechnung nicht dem Rat- staltungsmöglichkeiten abgeben muss. Aber haus mit einem freundlichen Gruß des Gesetz- wer tut dies gerne freiwillig? Natürlich ist gebers übermitteln darf, hat er das Konnexi- Bayern ein im Inneren viel zu zentralistisch tätsprinzip salonfähig gemacht und den kom- organisierter Staat, deshalb müssen auch wir munalen Spitzenverbänden den Resonanz- hier den Mut haben, mehr abzugeben“. boden verschafft, mit dessen Hilfe der Durch- Und weiter: „In einer solchen staatspoliti- bruch gelungen ist, das Konnexitätsprinzip mit schen und gesellschaftspolitischen Konzeption Verfassungsrang auszustatten und es in Art. 83 kommt der kommunalen Selbstverwaltung der Verfassung des Freistaates Bayern zu ver- noch mehr Bedeutung zu als gegenwärtig. Und ankern. sie muss auch wieder mehr Stellenwert be- Alois Glück ist auch so einer. Er hat – und kommen“ – alles Originalton Alois Glück. das nicht immer zum Vergnügen aller in der großen Volkspartei, der er angehört – das Sub- sidiaritätsprinzip beharrlich als essentiale einer * am 14. Oktober 2008 auf dem Bayerischen Gemeindetag hoch technologisierten, global agierenden Welt 2008 in Bad Gögging BAYERISCHER Geschäftsführendes Präsidialmitglied Dreschstraße 8, 80805 München, M. Ottendorfer, Tel. 0 87 09 / 92 17-60 Direktor Dr. Jürgen Busse Tel. 0 89 / 36 00 09-30, Fax 0 89 / 36 00 09-36 M. Frey (BayGT), 0 89 / 36 00 09-13 GEMEINDETAG Verantwortlich für Redaktion Erscheinungsweise monatlich; Bezugspreis Druck, Herstellung und Versand Herausgeber und Verlag und Anzeigen EUR 33,– jährl.; bei Mitgliedern im Beitrag enth. Druckerei Schmerbeck GmbH, Bayerischer Gemeindetag, Wilfried Schober, Leitender Verwaltungs- Anzeigenverwaltung Gutenbergstr. 12, 84184 Tiefenbach b. Landshut, Körperschaft des öffentlichen Rechts; direktor beim Bayerischen Gemeindetag Druckerei Schmerbeck GmbH Tel. 0 87 09 / 92 17-0, Fax 0 87 09 / 92 17-99
436 Bayerischer Gemeindetag 12/2008 „Denn so wie die Länder mehr Freiheit vom Er besteht aus einer einzigen Münze, aber auf der Rückseite – über die Jahrhunderte Bund fordern, müssen Bund und Länder dann was für eine Münze! Es handelt sich um nichts unverändert im gesamten antiken Europa kon- bereit sein, auch den Kommunen mehr Frei- weniger als eine originale altgriechische Drach- vertierbar. „Die Eule“, wie man sie im Altertum räume zu gewähren und ihnen mehr Verant- me, genauer gesagt ein Tetrádrachmon, also allgemein nannte, war eine Leitwährung und wortung zu übertragen. Zeiten des Umbruchs eine Münze vom vierfachen Gewicht einer hatte damals bereits den Status, den wir erst sind Zeiten des Gestaltens. Dazu haben wir Drachme und damit auch vom vierfachen Wert, rund 2.500 Jahre später mit der Einführung heute viele Möglichkeiten, aber wir müssen denn in der Antike galt noch „Geldeinheit ist des Euro wieder erreicht haben. diese auch entschieden nutzen, denn die Zu- gleich Gewichtseinheit“. Geprägt wurde diese Nicht nur für den bayerischen Staat, nicht kunft gehört nicht den Ängstlichen, sondern Tetradrachme um das Jahr 400 v. Chr., das ist nur für Ihre Partei, auch für Bayerns Gemein- den mutigen Realisten“. die Zeit, als man Sokrates den Schierlings- den, Märkte und Städte waren und sind Sie, becher reichte und Platon seine Lehre ent- lieber Herr Glück, ein Glücks-Fall. Bleiben Sie Ich finde, sehr geehrte Damen und Herren, wickelte, oder anders ausgedrückt: Zwischen auch jetzt als Pensionist Teil der von Ihnen be- liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das Perikles und Alexander dem Großen. schworenen aktiven Bürgergesellschaft. Blei- nicht preiswürdig ist im Sinne einer kommuna- Eine griechische Drachme aus antiker Zeit ben Sie als ein dem Tagesgeschäft enthobener len Auszeichnung, was ist es dann?! steht – und hier darf ich das wiederholen, was elder statesman ein unentbehrlicher, publizisti- ich schon vor fünf Jahren bei der Preisverlei- scher Ratgeber und in Zeiten, in denen nicht Der Preis, den ich Ihnen, sehr geehrter hung an Bundespräsident Roman Herzog aus- nur Banken und Finanzen aus dem Ruder lau- Herr Präsident, nun im Namen des Bayerischen geführt habe – für die Polis, also die abendlän- fen, sondern auch das Gefüge großer Volks- Gemeindetags überreichen darf, wird Ihr Geld- dische Urform einer demokratisch verfassten, parteien ins Wanken gerät, ein besonnener vermögen nicht mehren. Und doch hat er mit sich selbst verwaltenden Gemeinde. Sie steht Mahner und weiser Vordenker. Geld zu tun. Unser Preis besteht in einer Pre- für den freien Verkehr von Waren und Meinun- Der Bayerische Gemeindetag und seine ziose (die der Jurist definiert als klein von Um- gen, und sie war – mit dem Kopf der Athene mehr als 2000 Mitglieder sind Ihnen zu Dank fang, groß von Wert). auf der Vorderseite und der ihr heiligen Eule verpflichtet.
12/2008 Bayerischer Gemeindetag 437 Kirche und Kommunen: Gemeinsam im Dienst für die Menschen* 1. Ein Rückblick auf die ersten ist immer öffentliche Kirche, an alle Monate als Erzbischof von Mün- gerichtet. Aber sie ist eben nicht in ers- chen und Freising ter Linie eine politische oder soziale Organisation. „(…) Ich ergreife als erstes die Gelegenheit, Ihnen Dank zu sagen für Auch in Bayern gibt es eine fort- gutes Miteinander und gute Partner- Professor Dr. Reinhard Marx, schreitende Differenz zwischen Kirche schaft. Bei meinen Besuchen in den und Gesellschaft, auch in unseren länd- Dörfern, Städten und Landkreisen des Erzbischof von München und Freising lichen Bereichen. Diese Differenz ist da. Erzbistums erfahre ich fast überall von Das wissen Sie selbst aus den eigenen den Bürgermeistern: Wir sind in einem Lebensbereichen, aus den Diskussionen guten Kontakt! Auch wenn Kommunen und ist immer noch so in vielen Gemeinden: Die in den Familien, aus der Art und Weise, wie sich Pfarreien nicht immer einer Meinung sind, Kirche steht im Dorf, und sie ist sozusagen der heute viele der Kirche verpflichtet oder nicht ändert das nichts an dem grundsätzlichen Mit- Identifikationspunkt der Gemeinden und Kom- verpflichtet, verbunden oder nicht verbunden einander, an der selbstverständlichen Partner- munen geblieben, trotz aller Veränderungen im wissen. Auch als Bischof muss ich das realis- schaft. Man weiß, dass die Pfarrei vor Ort und Verhalten der Menschen. Ich sage auch – und tisch sehen und zur Kenntnis nehmen. Den- die Kommune, dass der Bürgermeister und der das gilt für Kirche wie Kommunen – man soll noch sage ich: Das ändert nichts an der weiter- Pfarrer einen kurzen Draht zueinander haben nicht immer zurückschauen und vom Rückblick hin grundsätzlichen Ausrichtung unserer Ge- und sich abstimmen, weil sie ja für dieselben auf frühere Zeiten her den Maßstab für heute sellschaft, auch unserer Kommunen auf die Menschen in Dienst genommen sind. (…) nehmen. Wir müssen auf die aktuelle Gegen- Kirche. Sie bleibt weiter ein interessanter und wichtiger Gesprächspartner in unseren Kom- Die demographische Entwicklung gerade wart schauen und sie als Herausforderung be- greifen. (…) munen und Gemeinden. (…) in Bayern zeigt – und da war ich doch sehr erstaunt –, dass das Land eine hohe Integra- tionskraft hat. Eine solche ist nur möglich, 2. Zur gemeinsamen Verantwortung von 3. Perspektiven wenn man sich seiner selbst gewiss ist. Wenn Kirche und Staat Die Gesellschaft würde Wesentliches ver- man selber geprägt ist, kann man offen sein für gessen und verlieren, wenn sie nicht immer an Die Kirche ist zunächst dazu da, dass von diejenigen, die neu kommen. Wenn man jedoch Gott gesprochen wird, dass er in die Mitte ge- ihre christliche Herkunft und auch an die selber unsicher ist, nicht mehr weiß, wo man stellt wird. Jesus hat keine politische Organisa- christliche Gegenwart erinnert würde. Ich bin herkommt, wenn man keine Prägung hat, tion gegründet, auch keine Hilfsorganisation, der festen Überzeugung, dass manches, was dann wird Offenheit weniger möglich sein und sondern das Volk Gottes gesammelt, damit die Kirche in diese Gesellschaft hineinträgt, Abgrenzung deutlich werden. (…) Christus erkannt wird und in ihm das Bild langfristig lebendiger sein wird als vieles, was In den ersten Monaten meines Wirkens in Gottes, das Gesicht Gottes. Eucharistie und alle schon mit „Ewigkeitscharakter“ daher stolziert. Bayern habe ich erfahren, dass die Kirche zum anderen Sakramente zu feiern, das ist die Ohne Frage ist das Materielle wichtig. Denn Kernbereich bayerischer Identität gehört. Noch zentrale Aufgabe der Kirche. Wenn das natürlich wird Geld gebraucht, gerade in den gehört! Ich mache mir keine Illusionen. Aber es schwächer wird, werden auch die anderen Be- Kommunen. Aber es gibt doch Dinge, die über reiche kirchlichen Lebens und kirchlicher Akti- materielle Werte hinausgehen. Auf diese müs- vitäten, wie die Caritas, schwächer werden. sen wir uns gemeinsam wieder ausrichten und Man kann doch nicht sagen: Im Gottesdienst dazu konkrete Perspektiven in Gemeinden und sind wir etwas schwächer, aber sonst sind wir Kommunen entwickeln. (…) ganz stark. Das ist kein gangbarer Weg. Die Ich wünsche mir als erstes, dass wir weiter- Sakramente zu feiern, das Evangelium verkün- hin einen gegenseitigen Respekt füreinander den, das Zeugnis der Liebe, der Caritas, geben: haben. Das schließt die Anerkennung des be- das sind die drei Hauptaufgaben der Kirche, sonderen Charakters der Kirche ein. Immer mal denen sie sich immer wieder zu stellen hat. wieder gibt es Debatten darüber: Was ist ei- gentlich das Besondere an der Kirche? Warum Für uns als Kirche ist also nicht das hat sie „Privilegien“? Müssen nicht alle Reli- „Hauptthema“ die Selbsterhaltung: Wie kann gionen gleich behandelt werden? Was heißt Kirche überleben? Das Wichtigste ist, zu tun, wozu Jesus uns gesandt hat. Aber dieser Auf- * aus der Ansprache des Erzbischofs von München und Frei- trag ist nicht nur an uns, sondern an die ganze sing, Prof. Dr. Reinhard Marx, vor den Delegierten des Erzbischof Prof. Dr. Reinhard Marx Öffentlichkeit gerichtet. Die Kirche hat einen Bayerischen Gemeindetags am 14. Oktober 2008 in Bad Auftrag für die ganze Gesellschaft. Die Kirche Gögging
438 Bayerischer Gemeindetag 12/2008 miteinander verbindet. Das ist nicht nur der weißblaue Himmel. Das sind auch Inhalte, Werte, Überzeugungen und Traditionen. Diese gemeinsamen kulturellen Grundlagen sind ganz stark von der Religion geprägt. Wir könn- ten uns unsere Landschaften, unsere Feste und unseren Jahresverlauf ohne die wesentlichen Aussagen des christlichen Glaubens gar nicht vorstellen. An dieser Zivilisation müssen wir permanent arbeiten. Ich bin Ihnen sehr dank- bar, wenn Sie – sofern Sie das mit Ihrem Ge- wissen vereinbaren können – Ihr Bekenntnis auch öffentlich zeigen. (…) Am Beispiel unserer Einrichtungen – Kin- dertagesstätten, Jugendbegegnungsstätten, „Ich vertraue darauf, dass Kirche und Kommunen auch in Zukunft gemeinsam auf dem Weg Eltern-Kind-Gruppen, Treffpunkte für Alleiner- sein können.“ ziehende, Beratungsstellen für die verschie- densten Lebenssituationen, Senioren- und Be- hinderteneinrichtungen, um nur einige zu christliche Tradition? Gehört sie nicht der Ver- Zukunft bleiben soll. Dafür werde ich mich ein- nennen – kann man erkennen, worauf es uns gangenheit an? Ich denke, wir müssen diese setzen. ankommt. Diese Einrichtungen, die wir als Kir- Fragen diskutieren und deutlich machen, dass che unterhalten, auch mit Unterstützung des es hier um etwas sehr Grundsätzliches geht. Es Ein weiterer Punkt: Das Bekenntnis zum Staates, sollen für die Menschen eine Hilfe sein geht nämlich nicht um „Privilegien“ und eine christlichen Glauben ist auch öffentlich wichtig. für ein gelingendes Leben. Diese Einrichtungen Sonderstellung der Kirche. Wir stehen vielmehr Als Kirche verstehen wir unseren Auftrag auch sollen offen sein, und sie sind es auch. Aber sie in der Tradition eines gemeinsamen Miteinan- als Dienst für das Gemeinwesen, nicht bloß in sollen auch profiliert katholisch sein. Es nützt ders von Kirche und Gemeinwesen. Die Kirche einem funktionalen Sinn, indem wir beispiels- doch nichts, wenn man in einer vielfältiger bringt etwas ein, das der Staat, die Kommune, weise auf Kindergärten oder Sozialstationen werdenden Gesellschaft eine Einheitskultur die Gemeinde wertschätzt und sogar als be- verweisen. Diese gehören sicher dazu und be- fordert, alles gleich macht. Wir wollen keine sonders wertvoll ansieht. halten ihre große Bedeutung. Aber wir ver- „Allerweltseinrichtungen“ unterhalten, sondern stehen unseren Auftrag auch so, dass wir für katholische Einrichtungen, in denen nicht ge- Die Auseinandersetzung über das Verhält- die Verantwortungsträger in den Kommunen fragt werden muss: Darf man hier ein Kreuz nis von Staat und Kirche wird eine Heraus- beten – gleich ob sie katholisch, evangelisch, aufhängen? Dürfen wir Nikolaustag feiern? forderung der kommenden Jahre sein, die wir nicht religiös oder aus der Kirche ausgetreten Dürfen wir von Jesus sprechen? Wir wollen, annehmen müssen. Unser Staat ist welt- sind. Die Kirche hat seit den Anfängen den dass das Profilierte und Eigenständige besteht anschaulich offen, aber nicht indifferent. Wenn Auftrag verstanden, für alle Menschen einzu- und dass es gerade dadurch offen für andere ein Staat keine Wertvorstellungen hat, dann treten. (…) ist. (…) kann man auch keine Verfassung mehr akzep- tieren, auch keine Bayerische Verfassung, die zu Wir brauchen im Miteinander von Kommu- Ich vertraue darauf, dass Kirche und Kom- diesen christlichen Grundlagen steht. Das heißt nen und Kirche eine gewisse kulturelle Ge- munen auch in Zukunft gemeinsam auf dem nicht, dass wir andere Religionen missachten. meinsamkeit. Dazu gehört das, was Menschen Weg sein können. (…)“ Dass andere Religionen ihre Rolle wahrneh- men können, ist aus christlicher Sicht selbst- verständlich. Aber dass es eben eine besondere Beziehung der Gemeinden, der Kommunen, des Staates zum Christentum gibt, ist ebenso selbstverständlich und widerspricht nicht der Demokratie, nicht der Offenheit, nicht welt- anschaulicher Toleranz. Sie spüren, dass eigentlich eine wirklich intensive Debatte nötig ist, auf die ich mich freue, in die ich mich auch einmischen werde und die wir führen müssen, damit wir nicht in eine falsche, scheinbar plausible Argumenta- tionsreihe hineinkommen nach dem Motto: „Alles ist gleich.“ Dann würde etwa gesagt, bei der Segnung einer Brücke müssten neben dem katholischen und dem evangelischen Pfarrer auch Vertreter aller anderen Religionen stehen. Das halte ich für eine merkwürdige Vorstellung von weltanschaulicher Toleranz in einer konkre- Viel Zustimmung für die Rede des Erzbischofs auf dem Bayerischen Gemeindetag 2008 in ten Situation, in der das Christentum tatsäch- Bad Gögging lich noch eine prägende Kraft ist und auch in
12/2008 Bayerischer Gemeindetag 439 Einheimischenmodelle: Ist die Gefahr aus Brüssel gebannt? 1. Die Attacke aus Brüssel Dabei vertrat die Bundesregierung die Ende 2007 ließ die Nachricht auf- Auffassung, dass die Einheimischenmo- horchen, dass die Europäische Kommis- delle nicht gegen Europarecht ver- sion ein Vertragsverletzungsverfahren stoßen. Vor allem liege keine offene gegen die Bundesrepublik eingeleitet Diskriminierung vor, da die Differenzie- hat, um unterschiedliche Grundstücks- rung nach der Ortsansässigkeit und preise für Einheimische und Auswärtige Dr. Helmut Bröll, nicht nach der Staatsangehörigkeit er- in einer nordrheinwestfälischen Gemein- Bayerische Akademie Ländlicher Raum folge. Selbst wenn es sich bei der Ver- de zu verhindern1. In Selfkant (10 200 gabepraxis um eine sog. verdeckte Dis- Einwohner), das im deutsch-niederlän- kriminierung handele, so wäre diese dischen Grenzgebiet liegt, bestand und besteht frage von außen auch der eigenen Bevöl- nicht gemeinschaftsrechtswidrig. Denn der Ab- eine starke Grundstücksnachfrage aus den kerung einen Spalt im Grundstücksmarkt offen schlag für Ortsansässige Bodenrichtwert sei nahen Niederlanden, die die Stellung einhei- zu halten2. Einheimischenmodelle gibt es in durch einen zwingenden Grund des allgemei- mischer Nachfrager am Grundstücksmarkt sehr Bayern in vielfältigen Formen. Gemeinsam ist nen Interesses gerechtfertigt, zu dessen Verfol- erschwert. Die Gemeinde Selfkant hatte daher ihnen, dass sie im Vorfeld der Bauleitplanung gung das zugrunde gelegte Kriterium der Orts- für ihre Baulandverkäufe einen Abschlag für aufgestellt werden und aus einem Vertragswerk ansässigkeit erforderlich sei und in einem an- Ortsansässige vorgesehen, während allen an- bestehen, das – auf unterschiedliche Weise – gemessenen Verhältnis stehe. Bei Einheimi- deren Bewerbern die Grundstücke zum Boden- die spätere Bebauung der Grundstücke durch schenmodellen stünden städtebauliche und richtwert angeboten wurden. Die Europäische einheimische Bürger sicher stellen soll3. Bei nicht wirtschaftliche Gründe im Vordergrund. Kommission glaubte, in dieser Differenzierung den unter dem Namen Weilheimer- und Braun- Für eine ausgewogene Bevölkerungsstruktur einen Verstoß gegen zwei Grundfreiheiten der steiner-Modell bekannt gewordenen ersten sei es erforderlich, dass Ortsansässige die Mög- Gemeinschaft, nämlich die Niederlassungsfrei- Einheimischenmodelle versuchten die Grund- lichkeit erhalten, in ihrem Heimatort Wohn- heit (Art. 43 EG-Vertrag) und die Freiheit des stückseigentümer durch zivilrechtliche Bindun- häuser errichten zu können. Mit Hilfe des Kapitalverkehrs (Art. 56 EG-Vertrag) zu erkennen. gen (Vorkaufsrechte, bindende Verkaufsange- Preisnachlasses für Ortsansässige könne er- bote etc.) zur Abgabe der Grundstücke an Ein- reicht werden, dass auch junge einheimische 2. Die Einheimischenmodelle in Bayern heimische anzuhalten. Seit der Anerkennung Bauwillige Baugrund erwerben können, die der Einheimischenmodelle durch das Bundes- sich sonst auf dem freien Baulandmarkt gegen Bei vielen, vor allem südbayerischen Ge- verwaltungsgericht4 und der ausdrücklichen finanzkräftige Auswärtige nur schwer durch- meinden, hat der Schritt der EU-Kommission Aufnahme der Einheimischenmodelle in die setzen könnten und abwandern müssten. Der Beunruhigung ausgelöst. Haben sich doch die Vorschrift über den städtebaulichen Vertrag Erhalt einer gewachsenen Sozial- und Bevöl- Einheimischenmodelle als probates Mittel er- (heute § 11 Abs. 2 Ziff. 2 BauGB)5, sind die kerungsstruktur sei ein legitimes städtebau- wiesen, um neben einer oft überstarken Nach- Gemeinden aber immer mehr dazu über- liches Ziel. gangen, die für ein Einheimischenmodell vor- gesehene Fläche vor der Ausweisung selbst aufzukaufen und sie dann mit einem Abschlag 4. Der aktuelle Stand des Vertragsverlet- vom allgemeinen Baulandkaufpreis an die von zungsverfahrens ihnen ausgewählten Personen zu verkaufen6. Daneben gab es in den letzten Jahren auch Im Erörterungstermin vom 22.02.2008 war eine Reihe von Einheimischenmodellen, bei nicht mehr von der völligen Abschaffung der denen schlüsselfertige Wohnungen zur Ver- Einheimischenmodelle die Rede. Die Diskus- fügung gestellt wurden. Hier haben die Ge- sion konzentrierte sich vielmehr auf die Moda- meinden Grundstücke verbilligt an Bauträger litäten der Förderung Ortsansässiger. So konn- überlassen, die ihrerseits gegenüber der Ge- te die Bundesregierung in ihrer Mitteilung vom meinde die Verpflichtung zum Weiterverkauf an 16.04.2008 an die Kommission der Europäi- Einheimische zu Vorzugskonditionen eingehen. schen Gemeinschaft formulieren: „Die Bundes- regierung teilt die im Erörterungstermin am 3. Die Position der Bundesregierung 22.02.2008 von der Kommission vertretene Auffassung, dass die Förderung Ortsansässiger Die Bundesregierung ist der Rechtsauffas- mit herabgesetzten Kaufpreisen konkret auf die sung der EU-Kommission mit einer Note vom Ziele der Förderung auszurichten ist.“ Dies Dr. Helmut Bröll 15.08.2007 und bei einem Gespräch auf Ar- konkretisierte die Bundesregierung dahinge- beitsebene am 22.2.2008 entgegen getreten. hend, dass:
440 Bayerischer Gemeindetag 12/2008 a) Preisnachlässe im Allgemeinen an Personen tur ausgeht. Die Bundesregierung spricht in qualifiziertes, öffentliches Interesse besteht9. gewährt werden, die ihren Hauptwohnsitz ihrem Schreiben aber auch davon, dass die Die Voraussetzungen für einen städtebaulichen in der betreffenden Gemeinde haben (eine Kriterien der Gemeinde Selfkant noch ziel- Vertrag liegen also vor. Die Bundesregierung Ausnahme könnte indes nach Auffassung konformer zu präzisieren seien. Sie nennt dabei spricht sich aber in ihrem schon zitierten der Bundesregierung z.B. gerechtfertigt sein, soziale Kriterien, wie Einkommensgrenzen oder Schreiben vom 16.04.2008 an die Europäi- um junge Leute, die zur Ausbildung vo- das Vorhandensein von eigenem bebaubarem sche Kommission dafür aus, dass Grundstücke rübergehend auswärts gelebt haben, für die Grundbesitz. Personen mit hohen Einkommen im Einheimischenmodell nur dem Wohnbedarf Rückkehr in den Heimatort zu gewinnen); oder schon vorhandenem Grundbesitz werden dienen sollen und eine gewerbliche Nutzung b) sicher gestellt ist, dass die Grundstücke nur durch hohe Grundstückspreise am Markt ja ausgeschlossen sein soll. Diese Aussage ist dem Wohnbedarf dienen und eine gewerb- nicht zur Abwanderung gedrängt. Die Bundes- nicht näher begründet und kann sicherlich liche Nutzung ausgeschlossen ist. regierung misst dann den örtlichen Gegeben- nicht auf § 11 BauGB oder auf kommunal- heiten eine wichtige Rolle bei der Bestimmung rechtliche Bestimmungen gestützt werden. Es Die EU-Kommission hat die Mitteilung der der Förderkriterien bei. Solche örtlichen Gege- kann aber nicht übersehen werden, dass es im Bundesregierung vom 16.04.2008 zur Kennt- benheiten sind städtebaulicher Natur, etwas europäischen Beihilferecht und im Vergabe- nis genommen und keinerlei Einwendungen das Vorhandensein und die Verfügbarkeit von recht Stolpersteine gibt, wenn Grundstücke mehr vorgebracht. Sie hat allerdings keine Baugrundstücken; sie sind aber auch sozialer unterhalb des Verkehrswertes an Unternehmen förmliche Einstellung des Vertragsverletzungs- Natur, etwa die Zahl und die wirtschaftliche veräußert werden . verfahrens veranlasst. Eine solche förmliche Stellung junger Haushalte in der Gemeinde. Einstellung erfolgt nach Auskunft des Bundes- Auch weitere städtebauliche und sozialstruktu- ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtent- Fußnoten: relle Gegebenheiten, wie der Nachfragedruck wicklung in vielen Fällen überhaupt nicht, so durch Zweitwohnungsaspiranten und die Über- 1. Verfahren Nr. 2006/4271 dass aufgrund des Zeitverlaufs davon aus- alterung durch zuziehende Rentner, zählen zu 2. Besonders problematisch für die Struktur der Gemeinden gegangen werden kann, dass die Kommission erweisen sich dabei die finanziell potenten Zweitwohnungs- diesen örtlichen Gegebenheiten. Eine saubere und Alterswohnsitz-Aspiranten aus West- und Norddeutsch- das Verfahren sang- und klanglos hat enden Analyse der Gesamtsituation vor Ort erleichtert land sowie aus den süddeutschen Ballungsräumen lassen. die grundsätzliche Begründung für ein Einhei- 3. Bröll-Jäde, „Das neue Baugesetzbuch im Bild“, WEKA- mischenprojekt und erlaubt die Zuteilungs- Verlag, Kissing, Teil 4/2.9.2 5. Fazit kriterien zielgenau zu definieren. Die Vergabe- 4. BVerwG vom 11.2.1993 4 C 18.91, abgedr. in BayVBl 93, Man könnte damit den Aktenordner Self- kriterien sollten auch deutlich die Eigen- 405 kant schließen und ihn in die Ablage mit der nutzung durch die Erwerber herausstellen. 5. Während des Gesetzgebungsverfahrens zum Investitions- u. Überschrift „Überdehnung der EU-Zuständig- Einer der Hauptkritikpunkte in Selfkant war, Wohnbauland-Erleichterungsgesetz 1993 hat der zustän- dass das Ziel der Erhaltung der in der Gemein- dige Bundestagsausschuss den Passus über den „Wohn- keiten“ geben. Da man aber nie vor weiteren bedarf der ortsansässigen Bevölkerung“ in den Gesetzes- Überraschungen aus Brüssel sicher ist, emp- de gewachsenen Bevölkerungs- und Sozial- text aufgenommen fiehlt es sich schon heute, sowohl bei beste- struktur gar nicht erreicht werden kann, da 6. Zur Problematik der Rückbehaltung von Flächen durch den henden wie bei geplanten Einheimischen- eine Vermietung ohne Eigennutzung des privi- Eigentümer und der Angemessenheit des von der Gemein- modellen einige Überlegungen anzustellen8. legiert erworbenen Baulands möglich war. de bezahlten Kaufpreises (s. Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB, Borbergverlag, 5. Auflage, § 11 RdNr. 52 - 57) Ausgangspunkt hierzu könnte das Schreiben Einheimischenmodelle für ortsansässige 7. Die Stellungnahme der Bundesregierung ist im Wesent- der Bundesregierung vom 16.04.2008 an die Gewerbetreibende dürften im Streitfall von den lichen in BayGT 2007, 434 abgedruckt Kommission der Europäischen Gemeinschaft Europäischen Instanzen besonders kritisch durch- 8. S. hierzu auch die Gedanken von Reicherzer in BayGT sein, in dem sie von der prinzipiellen Zulässig- leuchtet werden. Zwar ist klar, dass auch für die 2008, 198 keit der Förderung Ortsansässiger zur Erhal- Bereitstellung von Gewerbeflächen zu güns- 9. S. hierzu BayVGH vom 22.12.1998 - 1 B 94.3288, abgedr. tung einer ausgewogenen Bevölkerungsstruk- tigen Konditionen an einheimische Betriebe ein in BayVBL 1999, 399 PFLEGEPRODUKTE KAUFEN ODER KINDERN IN AFRIKA ZUKUNFT SCHENKEN. MOMENT BITTE, Sichern Sie mit 31 Euro im Monat das Leben eines Kindes. Werden Sie Pate! 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12/2008 Bayerischer Gemeindetag 441 Kommunalwahl- Nachwehen – Das VG Regensburg entscheidet über Mit Urteil vom 1.10.2008 hat das Wahlanfechtungen – Handeln von Untergliederungen eines Verwaltungsgericht Regensburg Klagen Wahlvorschlagträgers diesem zuzu- abgewiesen, mit denen die Wahlen zum rechnen. Kreistag im Landkreis Kelheim und zum Auf den ersten Blick könnte man Marktgemeinderat in der niederbayeri- nun tatsächlich meinen, der Fall des schen Gemeinde Bad Abbach angefoch- Wahlvorschlags „Junge Liste“ und ihre ten wurden. Die Anfechtung einer Wahl vermeintliche Verbindung zum Wahl- wegen angeblicher Verstöße gegen Wahl- vorschlag der CSU erfülle die Voraus- rechtsbestimmungen ist (erfreulicher- Rechtsanwalt Benedikt Grünewald* setzungen dieser Wahlrechtsbestimmung. weise) nichts Alltägliches; schon des- Um das Gesetz und damit die Entschei- halb lohnt sich eine nähere Betrachtung dung des Verwaltungsgerichts Regens- der beiden Vorgänge. Die beiden Fälle zeigen burg mit dem Ziel, den Freistaat Bayern zu ver- burg zu verstehen, muss man sich die Ge- zudem die Grenzen zwischen politischer und pflichten, die Wahl zum Kreistag im Landkreis schichte der Bestimmungen des Wahlrechts juristischer Argumentation auf und machen Kelheim für ungültig zu erklären.1 und der hierzu ergangenen Gerichtsentschei- deutlich, welch verantwortungsvolle Aufgabe dungen näher ansehen, denn das Problem des die Gemeinde- bzw. Kreiswahlleiter, die Mit- Ihre Klage stützte sie auf Art. 24 Abs. 3 Mehrfachauftretens von Wahlvorschlägen be- glieder der Wahlausschüsse und die Wahlvor- S. 2 Nr. 4 Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz gleitet Rechtswissenschaft und Praxis schon stände bei Kommunalwahlen erfüllen. (GLKrWG). Die „Junge Liste“ stelle eine un- seit Jahrzehnten. zulässige Zweitliste des Wahlvorschlagsträgers „CSU“ dar. Die CSU habe den Wahlvorschlag Einen ersten Höhepunkt erreichte der Streit Der Fall „Junge Liste“ im Landkreis Kel- in einem Urteil des Bayerischen Verfassungs- heim „Junge Liste“ dadurch beherrschend betrieben, dass von den 60 für den Wahlvorschlag „Junge gerichtshofs (BayVerfGH) im Jahr 1969.3 Da- Im Laufe des Jahres 2006 bildete sich im Liste“ kandidierenden Personen 16 Kandidaten mals trat bei den Stadtratswahlen in der Landkreis Kelheim eine politische Gruppierung auch Mitglieder und zum Teil Funktionsträger Landeshauptstadt München u.a. eine Gruppie- mit dem Ziel, unter dem Namen „Junge Liste“ der CSU selbst oder der Jungen Union und rung namens „Münchener Block (MB)“ an. Die bei den Wahlen zum Kreistag im Landkreis damit einer Untergliederung der CSU waren. Wahl wurde mit der Begründung angefochten, Kelheim anzutreten. Am 22.1.2008 beschloss Einen weiteren Beweis für das beherrschende der Wahlvorschlag des Münchener Blocks ver- der Landkreiswahlausschuss mit 3:2 Stimmen Betreiben sah die Klägerin darin, dass die stoße gegen das Verbot des Doppelauftretens, die Zulassung des Wahlvorschlags „Junge „Junge Liste“ logistische und finanzielle Wahl- da es sich in Wahrheit um einen Wahlvorschlag Liste“. Nachdem die Kommunalwahlen für die kampfunterstützung von der CSU erhalten ha- der CSU handle. Die Klage war letztlich aber „Junge Liste“ im Ergebnis drei Sitze im Kreis- be. Schließlich brachte die Klägerin vor, Kan- erfolglos. Der Bayerische Verfassungsgerichts- tag brachten, wurde die Wahl von einer Ve- didaten des Wahlvorschlags „Junge Liste“ hät- hof stellte fest, dass Mitglieder einer Partei, die treterin der SPD angefochten. Die Regierung ten bei der Aufstellungsversammlung für den in deren eigenem Wahlvorschlag nicht erschei- von Niederbayern wies die Anfechtung jedoch Wahlvorschlag der CSU als Mitglieder des nen, als Bewerber auf der Liste einer anderen zurück. Hiergegen erhob die Vertreterin der Wahlausschusses mitgeholfen. Partei oder Wählergruppe auftreten dürfen. SPD Klage zum Verwaltungsgericht Regens- Nach den Kommunalwahlen im Jahr 1990 Die rechtlichen Grundlagen des Falles kam es erneut zu zahlreichen Wahlanfechtun- gen, die jeweils auf der Behauptung beruhten, Nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GLKrWG kann insb. die CSU habe gegen das Verbot des eine Wahl von jeder wahlberechtigten Person Doppelauftretens durch sog. Tarnlisten ver- wegen der Verletzung „wahlrechtlicher Vor- stoßen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof schriften“ angefochten werden. Zu diesen zählt (BayVGH) hatte verschiedene Fälle zu ent- insbesondere Art. 24 GLKrWG, der Parteien scheiden und beschränkte sich bei der Prüfung und Wählergruppen (die sog. Wahlvorschlags- möglicher Verstöße nicht auf rein formelle träger) das Recht gibt, Wahlvorschläge einzu- Kriterien, sondern prüfte die Vorgeschichte der reichen.2 Gemäß Art. 24 Abs. 3 S. 1 GLKrWG Wahlvorschläge nach. Insbesondere prüfte er, darf jedoch jeder Wahlvorschlagsträger nur ob und wie beteiligte Personen einer vermeint- einen Wahlvorschlag einreichen. Ein unzulässi- lichen „Tarnliste“ in anderen Parteien oder ges Mehrfachauftreten liegt nach Art. 24 Abs. 3 Wählergruppen engagiert bzw. verwurzelt sind. S. 2 Nr. 4 GLKrWG vor, wenn ein Wahl- Anhand dieser Prüfung gelangte der Bayeri- vorschlagsträger durch seine Organe einen an- Benedikt Grünewald deren Wahlvorschlag beherrschend betreibt. Dabei ist nach Art. 24 Abs. 3 S. 3 GLKrWG das * Rechtsanwaltsgesellschaft Aderhold Gassner, München
442 Bayerischer Gemeindetag 12/2008 sche Verwaltungsgerichtshof zu der Überzeugung, Seite sie unterstützt werden. Außer Betracht zu Wahlvorschläge ermöglicht, die sich program- dass Verstöße vorlagen. Gegen diese Entschei- bleiben habe ferner, ob eine Partei oder eine matisch stark ähneln und deren Kandidaten dungen des Verwaltungsgerichtshofs wurde von Wählergruppe die Kandidatur ihrer Mitglieder untereinander in Beziehungen stehen, mag den Betroffenen Verfassungsbeschwerde zum auf fremden Wahlvorschlägen billigt oder man politisch kritisieren. Die verfassungsrecht- Bayerischen Verfassungsgerichtshof erhoben. ablehnt oder ob sie Folgerungen aus einer lich geschützte Möglichkeit jedes Einzelnen Der Bayerische Verfassungsgerichtshof legte solchen Kandidatur zieht.7 Der Vollständigkeit sich in einer Wahl für ein Mandat zu bewerben, seiner Prüfung andere Kriterien zu Grunde als halber sei angemerkt, dass Bundesverfas- überwiegt jedoch diese politischen Überlegun- der Verwaltungsgerichtshof. Der Verfassungs- sungsgericht8 und Bundesverwaltungsgericht9 gen. Auch in Zweifelsfällen müssen passives gerichtshof stellte fest, dass der Grundsatz der diese Rechtsprechung und die darauf beruhen- Wahlrecht und Wahlvorschlagsfreiheit Vorrang Wahlfreiheit, das Gebot der Wahlgleichheit und de bayerische Gesetzeslage bestätigt haben. haben. Zudem sollte der mündige Bürger nicht das aktive und passive Wahlrecht der Aus- unterschätzt werden, der sich gerade bei den legung und Anwendung der entsprechenden Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Kommunalwahlen vor seiner Wahlentscheidung Bestimmung des Wahlgesetzes enge Grenzen Regensburg in der Regel besonders intensiv mit den Wahl- setzen. Die Prüfung eines Verstoßes gegen das vorschlägen, den Kandidaten und deren Pro- Verbot des Mehrfachauftretens sei vorrangig Das Verwaltungsgericht Regensburg hat grammen auseinander setzt. anhand formeller Kriterien vorzunehmen. Als die Klage der Vertreterin der SPD unter Bezug- formelle Kriterien hat er die vier Punkte defi- nahme auf die o.g. Rechtsprechung abge- Für die Praxis wird die Bedeutung der mit niert, die heute in Art. 24 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 bis 4 wiesen.10 der Durchführung einer Wahl befassten Organe nachzulesen sind. nochmals unterstrichen. Diese sind im Wahl- Mit der gebotenen rein formellen Betrach- verfahren zu absoluter Neutralität verpflichtet Insbesondere das sog. „beherrschende Be- tungsweise stellt es fest, dass die Wahlvor- und dürfen die Entscheidung des Wählers nicht treiben“ stellt einen unbestimmten Rechtsbe- schläge „CSU“ und „Junge Liste“ auf selbst- vorwegnehmen und dem einen Bewerber den griff dar, den es im Einzelfall auszulegen gilt. ständigen Wahlversammlungen und von unter- Vorzug vor dem anderen geben. Politische Hierzu hat der Verfassungsgerichtshof ausge- schiedlichen Personen beschlossen wurden. Die Ansichten haben bei der Entscheidung über die führt: Tatsache, dass Mitglieder und Funktionsträger Zulassung der Wahlvorschläge daher außen vor der CSU und/oder ihrer Unterorganisationen „Ein beherrschendes Betreiben liegt, wie zu bleiben. Art. 5 Abs. 2 S. 3 GLKrWG schreibt bei der Gründung und inhaltlichen Ausgestal- ausgeführt, nicht schon dann vor, wenn Orga- zwar vor, dass die Parteien und Wählergruppen tung einer Wählergruppe mitgewirkt hätten, ne einer Partei oder einer Untergliederung die bei der Besetzung des Wahlausschusses zu stehe deren Eigenständigkeit nicht entgegen. Gründung einer neuen Wählergruppe anregen, berücksichtigen seien. Als Mitglieder des Wahl- Dieser Umstand könne viele Gründe haben. befürworten, billigen oder unterstützen. Hinzu ausschusses sind die von den Parteien und Eine Nachforschung der Motivationslage bei kommen müßte vielmehr, daß sie den anderen Wählergruppen entsandten Personen aber nicht den Wahlvorschlagsträgern „CSU“ oder „Junge Wahlvorschlag so maßgebend und bestim- ihrer Partei oder Gruppierung, sondern allein Liste“ sei mit dem auf formelle Punkte zu be- mend als ihren eigenen organisieren und ge- dem Recht verpflichtet. Das Mitglied eines schränkenden Nachprüfungsrecht jedoch nicht stalten, daß ins Gewicht fallende Einflussmög- Wahlausschusses, das gegen die Zulassung zu vereinbaren. Unerheblich sei auch, dass die lichkeiten anderer Mitwirkender auszuschlie- eines Wahlvorschlags stimmt, weil er ihn aus Gründung der Jungen Liste auf CSU- bzw. JU- ßen sind. Es müßte eine Fallgestaltung vorlie- politischen Gründen ablehnt oder weil er von Funktionsträger zurückgegangen sei und dass gen, die für die Teilnehmer der Aufstellungs- der Partei oder Wählergruppe, die ihn entsandt einige CSU- bzw. JU-Funktionsträger auf den versammlung keinen Zweifel daran ließe, daß hat, entsprechend beauftragt wurde, verstößt aussichtsreichen vorderen Listenplätzen kandi- die neue Wählergruppe in Wahrheit nur die gegen seine gesetzliche Pflicht zu Neutralität diert hätten. Dem Gericht sei es verwehrt, Nach- Zweitliste einer anderen Partei ohne eigen- und Unparteilichkeit. Fazit: Solange die einzel- forschungen anzustellen, welcher Partei oder ständige Bedeutung sein soll.“ 4 nen Wahlvorschläge in unterschiedlichen Ver- Wählergruppe ein Bewerber angehöre oder sammlungen aufgestellt werden und nicht Weiterhin stellte der BayVerfGH fest, dass von wem er unterstützt werde. Das Wahlrecht unter der Bezeichnung eines anderen Wahlvor- keine Identität der Wahlvorschlagsträger vor- verbiete es auch nicht, dass ein Parteimitglied, schlagsträgers oder dessen Untergliederungen liegt, soweit die Wahlvorschläge mit unter- das auf dem Wahlvorschlag „seiner“ Partei kei- firmiert (unzulässig wäre also etwa eine „JU- schiedlichen Namen auf unterschiedlichen Ver- nen Platz erhalte, von einer anderen Partei Liste“ oder eine „JUSO-Liste“), kann die Zulas- sammlungen beschlossen worden sind. Die oder Wählergruppe als Kandidat aufgestellt sung nicht versagt werden. Ablehnung so zu Stande gekommener Wahl- werde. Die betroffenen Parteien mögen aus so vorschläge verstoße gegen die verfassungs- einem Verhalten Folgerungen ziehen, wahl- rechtlich verbürgte Wahlfreiheit und die recht- rechtlich sei dies jedoch unbeachtlich. Ohne Der Fall der Wahlanfechtung in Bad Ab- liche Chancengleichheit der den Vorschlag tra- Bedeutung sei auch das Mitwirken von „Junge bach genden Personen und verletze das passive Liste“-Kandidaten auf anderen Aufstellungs- versammlungen, da die so bei den beiden Ver- Juristisch weniger spektakulär, für die Wahlrecht der darin vorgeschlagenen Be- Praxis in den Kommunen aber eher noch be- werber.5 sammlungen gegebene Personenidentität ge- ringfügig sei und kein „beherrschendes Betrei- deutender war die Entscheidung des Ver- Der Bayerische Verfassungsgerichtshof geht ben“ darstelle.11 Unerheblich sei schließlich waltungsgerichts Regensburg zur Marktge- demnach von einem rein formalen Prüfungs- auch die logistische und finanzielle Unterstüt- meinderatswahl im niederbayerischen Bad recht in Bezug auf die Wahlvorschläge aus.6 zung der CSU zu Gunsten der Jungen Liste, da Abbach. Der Anfechtung dieser Wahl lagen an- Der Verfassungsgerichtshof hat im Jahr 1993 sich Wahlvorschlagsträger gegenseitig unter- gebliche Fehler bei der Stimmauszählung zu anlässlich einer Jungen Liste im Landkreis stützen dürfen.12 Grunde. Tatsächlich ergab sich mit 24.117 Bayreuth ausdrücklich festgestellt, es sei dem Stimmen für die CSU und 24.058 Stimmen für Wahlausschuss, der Rechtsaufsichtsbehörde Bewertung und Folgen für die Praxis die Wählergruppe „Zukunft Bad Abbach“ ein und den Gerichten verwehrt, Ermittlungen an- knappes vorläufiges Wahlergebnis. In seiner zustellen, ob Bewerber einer Partei oder einer Die Entscheidung des Gerichts verdient Sitzung vom 6.3.2008 sprach sich der Wahl- Wählergruppe angehören und von welcher Zustimmung. Die Tatsache, dass das Wahlrecht ausschuss dann dafür aus, in zwei Stimmbezir-
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