12/2008 Bayerischer Gemeindetag

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12/2008 Bayerischer Gemeindetag
BAYERISCHER GEMEINDETAG • Verband kreisangehöriger Städte,                                  B 6015 E
   Märkte und Gemeinden • Körperschaft des öffentlichen Rechts

                                                                                            Bayerischer Gemeindetag
 12/2008

 Weihnachtsmarkt Kumhausen vor dem neuen Rathaus
                                                                 BAYERISCHEN GEMEINDETAGS
                                                                 Die Zeitschrift des

  Der Bayerische Gemeindetag
                  im Internet:
           http://www.bay-
           gemeindetag.de

             Die Geschäftsstelle
   ist gleichzeitig über folgende
     e-mail-Adresse erreichbar:
baygt@bay-gemeindetag.de
12/2008 Bayerischer Gemeindetag
Bayerischer Gemeindetag Inhaltsverzeichnis
                                                          QuintEssenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      433

                                                          Verleihung des Kommunalpreises
                                                          des Bayerischen Gemeindetags an Herrn
                                                          Landtagspräsident Alois Glück . . . . . . . . . . . . . . . . .                      435

                                                          Dr. Marx: Kirche und Kommunen:
                                                          Gemeinsam im Dienst für die Menschen . . . . . . . . .                               437

                                                          Dr. Bröll: Einheimischenmodelle:
                                                          Ist die Gefahr aus Brüssel gebannt? . . . . . . . . . . . .                          439

                                                          Grünewald: Kommunalwahl-Nachwehen . . . . . . . .                                    441

                                                          Tylla: Von der Klärschlammbeseitigung
                                                          zur -verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          444

                                                          Scharnagl: Klärschlammverwertung:
                                                          Dünger oder Rohstoff? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .              446

                                                          Presseecho . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   448

                                                          Seminarangebote der Kommunalwerkstatt . . . . . . . . . . . . .                      452

                                                          AUS DEM DSTGB zur Steuerschätzung . . . . . . . . . . . . . . .                      458

                                                          PERSONAL Beihilferecht und Pflegezeitgesetz . . . . . . . . .                        459

                                                          KOMMUNALWIRTSCHAFT Wettbewerb „Energieeffiziente
                                                          Stadtbeleuchtung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      459

                                                          VERSCHIEDENES Neue Broschüre der
                                                          Akademie Ländlicher Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .             460

                                                          KAUF + VERKAUF Löschfahrzeug, Feuerwehrfahrzeug,
                                                          Hängeregistratur, zu verkaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           460

                                                          Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    460

                                             Übersendung von Gerichtsentscheidungen an die Geschäftsstelle
                                             Die Auskunfts- und Beratungstätigkeit der Geschäftsstelle hängt in einem hohen
                                             Maße davon ab, wie gut der Informationsfluss zwischen Mitgliedskörperschaften
                                             und der Geschäftsstelle ist. Wir bitten deshalb unsere Mitglieder dringend, uns
                                             gerichtliche Entscheidungen umgehend zu überlassen und uns über anhängige
                                             Verfahren bei den Verwaltungsgerichten oder bei den obersten Bundesgerichten
                                             zu informieren, damit andere Mitglieder schnell und zeitnah von diesen Erfah-
                                             rungen profitieren können.
12/2008 Bayerischer Gemeindetag
Bayerischer Gemeindetag • QuintEssenz
                                                                                                        Wichtiges
                                                                                                         in Kürze 433
        Bayerischer Gemeindetag                                                               mische und Auswärtige in einer Gemeinde
                                                                                              zu verhindern.
Kommunalpreis                                                                                     Glücklicherweise konnte in Bespre-
für Alois Glück                                                                               chungen und Verhandlungen mit der EU-
     Auf dem Bayerischen Gemeindetag                                                          Kommission ein Konsens hergestellt wer-
2008 in Bad Gögging erhielt der ehemalige                                                     den, sodass das Verfahren aller Voraussicht
Landtagspräsident Alois Glück den Kom-                                                        nach im Sande verlaufen wird. Ist damit
munalpreis des Bayerischen Gemeindetags                                                       aber die Gefahr gebannt? Es gilt wachsam
aus den Händen von Präsident Dr. Uwe                                                          zu sein!
Brandl. Auf den Seiten 435 und 436
haben wir die Laudatio des Präsidenten                                                                Kommunalwahlrecht
abgedruckt.
     Nach fünf Jahren seit der letzten Ver-                                                   Kommunalwahl-
leihung des Kommunalpreises hat Bayerns                                                       Nachwehen
größter Kommunalverband wieder einen
                                                                                                   In zwei Entscheidungen zu den ver-
würdigen Preisträger erkoren. Nur wer sich
                                                                                              gangenen Kommunalwahlen hat das Ver-
in außergewöhnlicher Art und Weise für
                                                                                              waltungsgericht Regensburg Klagen ab-
die kommunalen Interessen stark gemacht
                                                                                              gewiesen, mit denen Wahlanfechtungen
hat – sich also als echter Freund der Ge-
                                                                                              verfolgt wurden. Rechtsanwalt Benedikt
meinden, Märkte und Städte erwiesen hat –
                                                                                              Grünewald stellt auf den Seiten 441 bis
bekommt den raren Preis verliehen. Alois
                                                                                              444 die Hintergründe der Entscheidungen
Glück hat sich in seiner gesamten poli-
                                                                                              vor und bewertet die Urteile. Er begrüßt
tischen Laufbahn stets für die Belange der
                                                                                              die Entscheidungen, weil sie von richter-
Kommunen eingesetzt und staatlichen             Seit der Liberalisierung ist der deutsche     licher Zurückhaltung hinsichtlich der Frage
Institutionen mit klaren Worten verdeut-        Markt für Telekommunikationsdienste ra-       geprägt sind, inwieweit sich ein Gericht an
licht, dass die Gemeinden eben nicht der        pide gewachsen, und gleichzeitig hat die      die Stelle des Wahlausschusses setzen und
„verlängerte Arm des Staates“ sind.             Konkurrenz dazu geführt, dass die Preise
                                                aus Verbrauchersicht erdrutschartig ge-
                                                                                              inhaltlich Wahlvorschläge prüfen darf.
     Dafür gebührt ihm Hochachtung – und
                                                fallen sind. Im Festnetzbereich konnten
der Kommunalpreis.                              die Wettbewerber der Deutschen Telekom
                                                fast 40 Prozent des Marktes erobern. Im
                                                                                                      Umweltschutz
        Bayerischer Gemeindetag                 Mobilfunk erzielen die Wettbewerber mitt-
                                                lerweile einen höheren Umsatz als der
                                                                                              Klärschlamm-
Kirche und                                      ehemalige Monopolist. Im laufenden Jahr       verwertung
                                                beträgt der Gesamtumsatz geschätzte                In zwei Aufsätzen auf den Seiten 444
Kommunen                                        60,6 Milliarden Euro, 45 Prozent mehr
                                                                                              bis 447 stellen Dipl.-Ing. Manfred Tylla
     Der neue Erzbischof von München und        als noch 1998. Im Jahr 2007 kostete ein
                                                zehnminütiges Inlandstelefonat zur Haupt-     und Dipl.-Ing. Claudia Scharnagl die viel-
Freising, Professor Dr. Reinhard Marx, hat                                                    fältigen Möglichkeiten vor, wie aus einem
                                                zeit im Festnetz gerade noch 12 Cent;
auf dem Bayerischen Gemeindetag 2008            verglichen mit den 3,07 Euro zehn Jahre       Abfallprodukt, dem Klärschlamm, ein Pri-
in Bad Gögging eine vielbeachtete Rede          zuvor bedeutet dies einen Rückgang um         mär-Energieträger mit Zukunft hergestellt
gehalten. Es ging ihm um eine Positions-        96 Prozent. Noch billiger wurden im glei-     werden kann.
bestimmung im Verhältnis Kirche und             chen Zeitraum Telefonate ins Ausland.
Kommunen. Auf den Seiten 437 bis 440                                                               In der Vergangenheit wurde Klär-
können Sie Auszüge aus seiner Rede nach-                                                      schlamm bekanntlich als Dünger auf den
                                               angesiedelt. Beide haben gemeinsame            Böden ausgebracht. Mittlerweile stellt sich
lesen.                                         Wurzeln und befruchten sich gegenseitig.       immer die Erkenntnis ein, dass getrockne-
     Kirche und Kommunen stehen in viel-       Es ist richtig, darauf wieder einmal deut-     ter Klärschlamm ein energiereicher Wert-
facher gemeinsamer Verantwortung für die       lich hingewiesen worden zu sein.               stoff beziehungsweise Rohstoff ist. Gerade
Gesellschaft. Das zeigt sich beispielsweise                                                   in Zeiten, in denen der Klimawandel ge-
bei der Kinderbetreuung. Neben zahlrei-                                                       bremst werden soll und aller Orten nach
chen gemeindlichen Kindergärten unter-                 Planungsrecht
                                                                                              alternativen Energieträgern gesucht wird,
hält die Kirche viele solcher Einrichtungen,
um die sich viele Eltern bemühen. Gleiches
                                               Gefahr für Ein-                                kommt einer geänderter Klärschlammver-
                                                                                              wertung eine nicht unerhebliche Bedeu-
gilt für Senioren- und Behinderteneinrich-     heimischenmodelle?                             tung zu. Es lohnt, sich mit der Materie zu
tungen, Jugendbegegnungsstätten oder Be-            Auf den Seiten 439 und 440 skizziert      befassen.
ratungsstellen für die verschiedensten Le-     Dr. Helmut Bröll von der Bayerischen Aka-
benssituationen. Kirche und Kommunen           demie Ländlicher Raum die „Gefahren“,
gehen hier Hand in Hand.                       denen Einheimischenmodelle durch allzu                 Fortbildung
     Der Erzbischof verweist – zurecht –       viel „Interesse“ aus Brüssel ausgesetzt        Viele Seminar-
auf die gemeinsame Kultur, auf den Glau-       sind. Vor einem Jahr hatte nämlich die
ben und Wertüberzeugungen, die in den          Europäische Kommission ein Vertrags-           angebote
Kommunen gelebt werden. Gerade im              verletzungsverfahren gegen die Bundes-             Auf den Seiten 452 und 453 erhalten
Freistaat Bayern sind Rathaus und Kirch-       republik Deutschland eingeleitet, um un-       Sie eine Übersicht über Seminarangebote
turm nicht umsonst in unmittelbarer Nähe       terschiedliche Grundstückspreise für Einhei-   für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den
Bayerischer Gemeindetag • QuintEssenz
                                          434

                                        Kommunalverwaltungen im ersten Halb-
                                        jahr 2009. Das Arbeitsleben auch in den
                                        öffentlichen Verwaltungen ist heutzutage
                                        lebenslanges Lernen. Dieser Erkenntnis
                                        verschließt sich heute niemand mehr. Um
                                        dem Fortbildungsstreben der Mitarbeite-
                                        rinnen und Mitarbeitern in den Kommunal-
                                        verwaltungen und ihren Einrichtungen
                                        Rechnung zu tragen, bietet die Kommunal-
                                        werkstatt des Bayerischen Gemeindetags
                                        auch im nächsten Jahr wieder zahlreiche
                                        Fortbildungsveranstaltungen an.

                                                DStGB
                                        Jetzt Investitionen
                                        anschieben!
                                            Auf den Seiten 458 und 459 finden
                                        Sie einen Aufruf des Deutschen Städte-
                                        und Gemeindebunds (DStGB) zur jüngsten
                                                                                       Bund, Länder und Gemeinden können im laufenden Jahr mit fast 562 Milliarden Euro
                                        Steuerschätzung. „Der Bund muss jetzt          Steuereinnahmen rechnen. Im kommenden Jahr steigt das Aufkommen auf 572 Milliarden
                                        eine Infrastrukturoffensive einleiten, um      Euro. Gegenüber der Vorhersage vom Mai 2008 bedeutet dies noch einmal Mehreinnahmen
                                        die Kommunen und den Mittelstand zu            von knapp acht Milliarden Euro für 2008. Im kommenden Jahr beträgt das Einnahmeplus
                                        stärken“ lautet das Motto. Vor dem Hinter-     gegenüber der letzten Schätzung jedoch nur noch eine Milliarde Euro. Grund für diese ver-
                                        grund der derzeitigen Finanzkrise und der      haltene Prognose ist die drohende Rezession der deutschen Wirtschaft; Experten erwarten
                                        zu erwartenden Wirtschaftskrise ist es jetzt   bestenfalls ein ¿Nullwachstum¿ im kommenden Jahr. Von den Steuermilliarden 2009 ent-
                                                                                       fallen 246,9 Milliarden Euro auf den Bund und 225,5 Milliarden Euro auf die Länder. Den
                                        höchste Zeit, notwendige Infrastruktur-
                                                                                       Rest müssen sich Gemeinden und EU teilen.
                                        maßnahmen finanziell anzuschieben. Denn:
                                        Die Infrastruktur-Investitionen der Kom-
                                        munen sind Voraussetzung für unterneh-
                                        merische Investitionen und Wachstum. Von
                                        einer nachhaltigen Investitionsfähigkeit der
                                        Kommunen profitieren auch Bund und
                                        Länder. Deshalb ist eine stabile finanzielle
                                        Basis der Kommunen von zentraler Bedeu-
                                        tung.

                                                 In eigener Sache
                                         Die Redaktion
                                         sagt danke
                                         Zum Jahreswechsel verbleibt der Re-
                                         daktion die angenehme Aufgabe, sich
                                         bei ihren Leserinnen und Lesern für die
                                         wohlwollende und kritische Begleitung
                                         der Verbandszeitschrift zu bedanken.
                                         Auch im abgelaufenen Jahr 2008 ha-
                                         ben uns wieder zahlreiche Zuschriften
                                         aus dem Mitgliederkreis mit wertvollen
                                         Anregungen und Tipps erreicht. Vor
                                         allem die Übersendung schöner Ge-
                                         meindeansichten oder Bilder von Rat-
                                         häusern verdeutlichen, dass die Ver-
                                         bandszeitschrift gerne gelesen und viel
                                                                                       Deutschland ist ein Agrarstaat ¿ jedenfalls wenn man die Nutzung der Bodenfläche betrach-
                                         beachtet wird. Dafür herzlichen Dank!
                                                                                       tet. Schließlich dient mehr als die Hälfte der Fläche Deutschlands der Landwirtschaft. Fast
                                         Die Redaktion wird sich auch in Zukunft       47 000 Quadratkilometer der Bodenfläche werden für Siedlungs- und Verkehrsflächen
                                         bemühen, ansprechende Beiträge und            benötigt; dieser Teil wuchs in den letzten Jahren pro Tag im Durchschnitt um 113 Hektar an.
                                         interessante Ankündigungen in anspre-         Der Wald bedeckt immerhin fast ein Drittel Deutschlands. Dabei gibt es aber von Bundes-
                                         chender Form den Mitglieder zugäng-           land zu Bundesland erhebliche Unterschiede. Unter den Flächenstaaten hat Nordrhein-
                                                                                       Westfalen mit 22 Prozent den höchsten und Mecklenburg-Vorpommern mit weniger als
                                         lich zu machen.                               acht Prozent den niedrigsten Anteil von Siedlungsflächen.
12/2008 Bayerischer Gemeindetag                               435

                                                            Verleihung des
                                                          Kommunalpreises
                                                           des Bayerischen
                                                            Gemeindetags
     Der Kommunalpreis des Bayeri-                       an Herrn Landtags-                                                               herausgestellt, in der viele verunsicher-
schen Gemeindetags wurde bisher ein                                                                                                       te Menschen in einem verstärkten Zen-
einziges Mal vergeben, nämlich vor fünf                 präsident Alois Glück*                                                            tralismus das Heil suchen. Diesen uner-
Jahren an Bundespräsident a.D. Pro-                                                                                                       schütterlichen Glauben an den Zentra-
fessor Roman Herzog. Da muss sich der                                                                                                     lismus, sobald ein Problem oder eine
Bayerische Gemeindetag die Frage ge-                               Laudatio des Präsidenten                                               Herausforderung entsteht, nennt Alois
fallen lassen: Warum diese lange Pause                          des Bayerischen Gemeindetags,                                             Glück ungeschminkt eine Fehlentwick-
von 2003 bis zur heutigen Preisver-                                                                                                       lung, ja sogar einen fatalen und gefähr-
leihung? Liegt dem Bayerischen Ge-                                      Dr. Uwe Brandl                                                    lichen Irrtum. Und er stellt zugleich
meindetag etwa nicht so arg viel an                                                                                                       unermüdlich – und auch unbeeindruckt
diesem Preis? Ganz im Gegenteil, gerne                                                                                                    (z.B. vom Stöhnen eines ehemaligen
würden wir mindestens alle zwei Jahre zur                            Ich sage Ihnen ganz brutal die schlichte                     Ministerpräsidenten über „diese ewige Nach-
Preisverleihung schreiten, bietet sich doch da-                 Wahrheit: Es gibt – außerhalb der kommuna-                        denklichkeit“) – sein Gegenmodell vor. Danach
durch die Gelegenheit zu dankbarer Anerken-                     len Familie, denn wir können uns ja schließlich                   ist der Generalschlüssel zur Revitalisierung
nung und ganz nebenbei ein medienwirksames                      nicht selbst auszeichnen – nur wenige heraus-                     unseres Landes die konsequente Anwendung
Forum für unseren Verband.                                      ragende Persönlichkeiten in Politik und Gesell-                   des Subsidiaritätsprinzips in allen Lebensbe-
     Oder sind die in Frage kommenden Per-                      schaft, durch deren Wirken sich – zumindest                       reichen. Ganz konkret wird unser Preisträger
sönlichkeiten nicht interessiert, sich mit einem                unter anderem – das Verständnis für kom-                          dann, wenn er auf die Bedeutung der Gemein-
kommunalen Preis zu schmücken? Nein, an                         munale Anliegen, Bekenntnisse zu gemeind-                         den und der gemeindlichen Selbstverwaltung
Sonntagsrednern, die die Bedeutung der kom-                     lichen Positionen und die Verteidigung dieser                     innerhalb dieser Subsidiarität zu sprechen
munalen Selbstverwaltung hochleben lassen,                      Positionen auch gegenüber andersdenkenden                         kommt. In seiner breit angelegten, viel beach-
und an Politikern, die spätestens im Wahlkampf                  Parteifreunden und opponierenden Stake-                           teten Festansprache auf der Landesversamm-
die Kommunen entdecken, ist kein Mangel. Sie                    holdern ziehen.                                                   lung 2004 des Bayerischen Gemeindetags in
alle würden sich gerne vom größten bayeri-                                                                                        Nördlingen („Zeitenwende in Deutschland –
                                                                    Roman Herzog war so einer. Mit seinem
schen kommunalen Spitzenverband auszeich-                                                                                         Herausforderung für die Gemeinden“) formu-
                                                                auch und insbesondere auf die Kommunen be-
nen lassen.                                                                                                                       lierte Alois Glück, und ich zitiere nun wörtlich:
                                                                zogenen Credo, dass der Staat eine Musik-
                                                                kapelle, die er zur Beglückung des Volkes in                           „Das Subsidiaritätsprinzip konsequent an-
                                                                eine Gemeinde schickt, gefälligst auch selbst zu                  zuwenden bedeutet, dass man Macht und Ge-
                                                                bezahlen hat und die Rechnung nicht dem Rat-                      staltungsmöglichkeiten abgeben muss. Aber
                                                                haus mit einem freundlichen Gruß des Gesetz-                      wer tut dies gerne freiwillig? Natürlich ist
                                                                gebers übermitteln darf, hat er das Konnexi-                      Bayern ein im Inneren viel zu zentralistisch
                                                                tätsprinzip salonfähig gemacht und den kom-                       organisierter Staat, deshalb müssen auch wir
                                                                munalen Spitzenverbänden den Resonanz-                            hier den Mut haben, mehr abzugeben“.
                                                                boden verschafft, mit dessen Hilfe der Durch-                         Und weiter: „In einer solchen staatspoliti-
                                                                bruch gelungen ist, das Konnexitätsprinzip mit                    schen und gesellschaftspolitischen Konzeption
                                                                Verfassungsrang auszustatten und es in Art. 83                    kommt der kommunalen Selbstverwaltung
                                                                der Verfassung des Freistaates Bayern zu ver-                     noch mehr Bedeutung zu als gegenwärtig. Und
                                                                ankern.                                                           sie muss auch wieder mehr Stellenwert be-
                                                                     Alois Glück ist auch so einer. Er hat – und                  kommen“ – alles Originalton Alois Glück.
                                                                das nicht immer zum Vergnügen aller in der
                                                                großen Volkspartei, der er angehört – das Sub-
                                                                sidiaritätsprinzip beharrlich als essentiale einer                * am 14. Oktober 2008 auf dem Bayerischen Gemeindetag
                                                                hoch technologisierten, global agierenden Welt                      2008 in Bad Gögging

               BAYERISCHER                    Geschäftsführendes Präsidialmitglied     Dreschstraße 8, 80805 München,                        M. Ottendorfer, Tel. 0 87 09 / 92 17-60
                                             Direktor Dr. Jürgen Busse                Tel. 0 89 / 36 00 09-30, Fax 0 89 / 36 00 09-36       M. Frey (BayGT), 0 89 / 36 00 09-13
               GEMEINDETAG                  Verantwortlich für Redaktion Erscheinungsweise monatlich; Bezugspreis                          Druck, Herstellung und Versand
   Herausgeber und Verlag                  und Anzeigen                              EUR 33,– jährl.; bei Mitgliedern im Beitrag enth.    Druckerei Schmerbeck GmbH,
  Bayerischer Gemeindetag,                 Wilfried Schober, Leitender Verwaltungs- Anzeigenverwaltung                                    Gutenbergstr. 12, 84184 Tiefenbach b. Landshut,
  Körperschaft des öffentlichen Rechts;   direktor beim Bayerischen Gemeindetag     Druckerei Schmerbeck GmbH                            Tel. 0 87 09 / 92 17-0, Fax 0 87 09 / 92 17-99
436 Bayerischer Gemeindetag 12/2008

„Denn so wie die Länder mehr Freiheit vom               Er besteht aus einer einzigen Münze, aber      auf der Rückseite – über die Jahrhunderte
Bund fordern, müssen Bund und Länder dann           was für eine Münze! Es handelt sich um nichts      unverändert im gesamten antiken Europa kon-
bereit sein, auch den Kommunen mehr Frei-           weniger als eine originale altgriechische Drach-   vertierbar. „Die Eule“, wie man sie im Altertum
räume zu gewähren und ihnen mehr Verant-            me, genauer gesagt ein Tetrádrachmon, also         allgemein nannte, war eine Leitwährung und
wortung zu übertragen. Zeiten des Umbruchs          eine Münze vom vierfachen Gewicht einer            hatte damals bereits den Status, den wir erst
sind Zeiten des Gestaltens. Dazu haben wir          Drachme und damit auch vom vierfachen Wert,        rund 2.500 Jahre später mit der Einführung
heute viele Möglichkeiten, aber wir müssen          denn in der Antike galt noch „Geldeinheit ist      des Euro wieder erreicht haben.
diese auch entschieden nutzen, denn die Zu-         gleich Gewichtseinheit“. Geprägt wurde diese           Nicht nur für den bayerischen Staat, nicht
kunft gehört nicht den Ängstlichen, sondern         Tetradrachme um das Jahr 400 v. Chr., das ist      nur für Ihre Partei, auch für Bayerns Gemein-
den mutigen Realisten“.                             die Zeit, als man Sokrates den Schierlings-        den, Märkte und Städte waren und sind Sie,
                                                    becher reichte und Platon seine Lehre ent-         lieber Herr Glück, ein Glücks-Fall. Bleiben Sie
    Ich finde, sehr geehrte Damen und Herren,       wickelte, oder anders ausgedrückt: Zwischen        auch jetzt als Pensionist Teil der von Ihnen be-
liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das            Perikles und Alexander dem Großen.                 schworenen aktiven Bürgergesellschaft. Blei-
nicht preiswürdig ist im Sinne einer kommuna-           Eine griechische Drachme aus antiker Zeit      ben Sie als ein dem Tagesgeschäft enthobener
len Auszeichnung, was ist es dann?!                 steht – und hier darf ich das wiederholen, was     elder statesman ein unentbehrlicher, publizisti-
                                                    ich schon vor fünf Jahren bei der Preisverlei-     scher Ratgeber und in Zeiten, in denen nicht
    Der Preis, den ich Ihnen, sehr geehrter         hung an Bundespräsident Roman Herzog aus-          nur Banken und Finanzen aus dem Ruder lau-
Herr Präsident, nun im Namen des Bayerischen        geführt habe – für die Polis, also die abendlän-   fen, sondern auch das Gefüge großer Volks-
Gemeindetags überreichen darf, wird Ihr Geld-       dische Urform einer demokratisch verfassten,       parteien ins Wanken gerät, ein besonnener
vermögen nicht mehren. Und doch hat er mit          sich selbst verwaltenden Gemeinde. Sie steht       Mahner und weiser Vordenker.
Geld zu tun. Unser Preis besteht in einer Pre-      für den freien Verkehr von Waren und Meinun-           Der Bayerische Gemeindetag und seine
ziose (die der Jurist definiert als klein von Um-   gen, und sie war – mit dem Kopf der Athene         mehr als 2000 Mitglieder sind Ihnen zu Dank
fang, groß von Wert).                               auf der Vorderseite und der ihr heiligen Eule      verpflichtet.
12/2008 Bayerischer Gemeindetag                     437

                                                  Kirche und
                                                 Kommunen:
                                             Gemeinsam im Dienst
                                              für die Menschen*
1. Ein Rückblick auf die ersten                                                                                ist immer öffentliche Kirche, an alle
Monate als Erzbischof von Mün-                                                                                 gerichtet. Aber sie ist eben nicht in ers-
chen und Freising                                                                                              ter Linie eine politische oder soziale
                                                                                                               Organisation.
    „(…) Ich ergreife als erstes die
Gelegenheit, Ihnen Dank zu sagen für                                                                              Auch in Bayern gibt es eine fort-
gutes Miteinander und gute Partner-                  Professor Dr. Reinhard Marx,                            schreitende  Differenz zwischen Kirche
schaft. Bei meinen Besuchen in den                                                                           und Gesellschaft, auch in unseren länd-
Dörfern, Städten und Landkreisen des            Erzbischof von München und Freising                          lichen Bereichen. Diese Differenz ist da.
Erzbistums erfahre ich fast überall von                                                                      Das wissen Sie selbst aus den eigenen
den Bürgermeistern: Wir sind in einem                                                                        Lebensbereichen, aus den Diskussionen
guten Kontakt! Auch wenn Kommunen und ist immer noch so in vielen Gemeinden: Die in den Familien, aus der Art und Weise, wie sich
Pfarreien nicht immer einer Meinung sind, Kirche steht im Dorf, und sie ist sozusagen der heute viele der Kirche verpflichtet oder nicht
ändert das nichts an dem grundsätzlichen Mit- Identifikationspunkt der Gemeinden und Kom- verpflichtet, verbunden oder nicht verbunden
einander, an der selbstverständlichen Partner- munen geblieben, trotz aller Veränderungen im wissen. Auch als Bischof muss ich das realis-
schaft. Man weiß, dass die Pfarrei vor Ort und Verhalten der Menschen. Ich sage auch – und tisch sehen und zur Kenntnis nehmen. Den-
die Kommune, dass der Bürgermeister und der das gilt für Kirche wie Kommunen – man soll noch sage ich: Das ändert nichts an der weiter-
Pfarrer einen kurzen Draht zueinander haben nicht immer zurückschauen und vom Rückblick hin grundsätzlichen Ausrichtung unserer Ge-
und sich abstimmen, weil sie ja für dieselben auf frühere Zeiten her den Maßstab für heute sellschaft, auch unserer Kommunen auf die
Menschen in Dienst genommen sind. (…)             nehmen. Wir müssen auf die aktuelle Gegen- Kirche. Sie bleibt weiter ein interessanter und
                                                                                                    wichtiger Gesprächspartner in unseren Kom-
    Die demographische Entwicklung gerade wart schauen und sie als Herausforderung be-
                                                  greifen.  (…)                                     munen und Gemeinden. (…)
in Bayern zeigt – und da war ich doch sehr
erstaunt –, dass das Land eine hohe Integra-
tionskraft hat. Eine solche ist nur möglich, 2. Zur gemeinsamen Verantwortung von 3. Perspektiven
wenn man sich seiner selbst gewiss ist. Wenn Kirche und Staat                                           Die Gesellschaft würde Wesentliches ver-
man selber geprägt ist, kann man offen sein für                                                     gessen   und verlieren, wenn sie nicht immer an
                                                       Die Kirche ist zunächst dazu da, dass von
diejenigen, die neu kommen. Wenn man jedoch
                                                  Gott gesprochen wird, dass er in die Mitte ge- ihre christliche Herkunft und auch an die
selber unsicher ist, nicht mehr weiß, wo man
                                                  stellt wird. Jesus hat keine politische Organisa- christliche Gegenwart erinnert würde. Ich bin
herkommt, wenn man keine Prägung hat,
                                                  tion gegründet, auch keine Hilfsorganisation, der festen Überzeugung, dass manches, was
dann wird Offenheit weniger möglich sein und
                                                  sondern das Volk Gottes gesammelt, damit die Kirche in diese Gesellschaft hineinträgt,
Abgrenzung deutlich werden. (…)
                                                  Christus erkannt wird und in ihm das Bild langfristig lebendiger sein wird als vieles, was
    In den ersten Monaten meines Wirkens in Gottes, das Gesicht Gottes. Eucharistie und alle schon mit „Ewigkeitscharakter“ daher stolziert.
Bayern habe ich erfahren, dass die Kirche zum anderen Sakramente zu feiern, das ist die Ohne Frage ist das Materielle wichtig. Denn
Kernbereich bayerischer Identität gehört. Noch zentrale Aufgabe der Kirche. Wenn das natürlich wird Geld gebraucht, gerade in den
gehört! Ich mache mir keine Illusionen. Aber es schwächer wird, werden auch die anderen Be- Kommunen. Aber es gibt doch Dinge, die über
                                                  reiche kirchlichen Lebens und kirchlicher Akti- materielle Werte hinausgehen. Auf diese müs-
                                                  vitäten, wie die Caritas, schwächer werden. sen wir uns gemeinsam wieder ausrichten und
                                                  Man kann doch nicht sagen: Im Gottesdienst dazu konkrete Perspektiven in Gemeinden und
                                                  sind wir etwas schwächer, aber sonst sind wir Kommunen entwickeln. (…)
                                                   ganz stark. Das ist kein gangbarer Weg. Die             Ich wünsche mir als erstes, dass wir weiter-
                                                   Sakramente zu feiern, das Evangelium verkün-        hin einen gegenseitigen Respekt füreinander
                                                   den, das Zeugnis der Liebe, der Caritas, geben:     haben. Das schließt die Anerkennung des be-
                                                   das sind die drei Hauptaufgaben der Kirche,         sonderen Charakters der Kirche ein. Immer mal
                                                   denen sie sich immer wieder zu stellen hat.         wieder gibt es Debatten darüber: Was ist ei-
                                                                                                       gentlich das Besondere an der Kirche? Warum
                                                       Für uns als Kirche ist also nicht das           hat sie „Privilegien“? Müssen nicht alle Reli-
                                                   „Hauptthema“ die Selbsterhaltung: Wie kann          gionen gleich behandelt werden? Was heißt
                                                   Kirche überleben? Das Wichtigste ist, zu tun,
                                                   wozu Jesus uns gesandt hat. Aber dieser Auf-
                                                                                                       * aus der Ansprache des Erzbischofs von München und Frei-
                                                   trag ist nicht nur an uns, sondern an die ganze       sing, Prof. Dr. Reinhard Marx, vor den Delegierten des
 Erzbischof Prof. Dr. Reinhard Marx                Öffentlichkeit gerichtet. Die Kirche hat einen        Bayerischen Gemeindetags am 14. Oktober 2008 in Bad
                                                   Auftrag für die ganze Gesellschaft. Die Kirche        Gögging
438 Bayerischer Gemeindetag 12/2008

                                                                                                       miteinander verbindet. Das ist nicht nur der
                                                                                                       weißblaue Himmel. Das sind auch Inhalte,
                                                                                                       Werte, Überzeugungen und Traditionen. Diese
                                                                                                       gemeinsamen kulturellen Grundlagen sind
                                                                                                       ganz stark von der Religion geprägt. Wir könn-
                                                                                                       ten uns unsere Landschaften, unsere Feste und
                                                                                                       unseren Jahresverlauf ohne die wesentlichen
                                                                                                       Aussagen des christlichen Glaubens gar nicht
                                                                                                       vorstellen. An dieser Zivilisation müssen wir
                                                                                                       permanent arbeiten. Ich bin Ihnen sehr dank-
                                                                                                       bar, wenn Sie – sofern Sie das mit Ihrem Ge-
                                                                                                       wissen vereinbaren können – Ihr Bekenntnis
                                                                                                       auch öffentlich zeigen. (…)
                                                                                                             Am Beispiel unserer Einrichtungen – Kin-
                                                                                                       dertagesstätten,      Jugendbegegnungsstätten,
 „Ich vertraue darauf, dass Kirche und Kommunen auch in Zukunft gemeinsam auf dem Weg                  Eltern-Kind-Gruppen, Treffpunkte für Alleiner-
 sein können.“                                                                                         ziehende, Beratungsstellen für die verschie-
                                                                                                       densten Lebenssituationen, Senioren- und Be-
                                                                                                       hinderteneinrichtungen, um nur einige zu
christliche Tradition? Gehört sie nicht der Ver-   Zukunft bleiben soll. Dafür werde ich mich ein-     nennen – kann man erkennen, worauf es uns
gangenheit an? Ich denke, wir müssen diese         setzen.                                             ankommt. Diese Einrichtungen, die wir als Kir-
Fragen diskutieren und deutlich machen, dass                                                           che unterhalten, auch mit Unterstützung des
es hier um etwas sehr Grundsätzliches geht. Es          Ein weiterer Punkt: Das Bekenntnis zum         Staates, sollen für die Menschen eine Hilfe sein
geht nämlich nicht um „Privilegien“ und eine       christlichen Glauben ist auch öffentlich wichtig.   für ein gelingendes Leben. Diese Einrichtungen
Sonderstellung der Kirche. Wir stehen vielmehr     Als Kirche verstehen wir unseren Auftrag auch       sollen offen sein, und sie sind es auch. Aber sie
in der Tradition eines gemeinsamen Miteinan-       als Dienst für das Gemeinwesen, nicht bloß in       sollen auch profiliert katholisch sein. Es nützt
ders von Kirche und Gemeinwesen. Die Kirche        einem funktionalen Sinn, indem wir beispiels-       doch nichts, wenn man in einer vielfältiger
bringt etwas ein, das der Staat, die Kommune,      weise auf Kindergärten oder Sozialstationen         werdenden Gesellschaft eine Einheitskultur
die Gemeinde wertschätzt und sogar als be-         verweisen. Diese gehören sicher dazu und be-        fordert, alles gleich macht. Wir wollen keine
sonders wertvoll ansieht.                          halten ihre große Bedeutung. Aber wir ver-          „Allerweltseinrichtungen“ unterhalten, sondern
                                                   stehen unseren Auftrag auch so, dass wir für        katholische Einrichtungen, in denen nicht ge-
     Die Auseinandersetzung über das Verhält-      die Verantwortungsträger in den Kommunen            fragt werden muss: Darf man hier ein Kreuz
nis von Staat und Kirche wird eine Heraus-         beten – gleich ob sie katholisch, evangelisch,      aufhängen? Dürfen wir Nikolaustag feiern?
forderung der kommenden Jahre sein, die wir        nicht religiös oder aus der Kirche ausgetreten      Dürfen wir von Jesus sprechen? Wir wollen,
annehmen müssen. Unser Staat ist welt-             sind. Die Kirche hat seit den Anfängen den          dass das Profilierte und Eigenständige besteht
anschaulich offen, aber nicht indifferent. Wenn    Auftrag verstanden, für alle Menschen einzu-        und dass es gerade dadurch offen für andere
ein Staat keine Wertvorstellungen hat, dann        treten. (…)                                         ist. (…)
kann man auch keine Verfassung mehr akzep-
tieren, auch keine Bayerische Verfassung, die zu      Wir brauchen im Miteinander von Kommu-              Ich vertraue darauf, dass Kirche und Kom-
diesen christlichen Grundlagen steht. Das heißt    nen und Kirche eine gewisse kulturelle Ge-          munen auch in Zukunft gemeinsam auf dem
nicht, dass wir andere Religionen missachten.      meinsamkeit. Dazu gehört das, was Menschen          Weg sein können. (…)“
Dass andere Religionen ihre Rolle wahrneh-
men können, ist aus christlicher Sicht selbst-
verständlich. Aber dass es eben eine besondere
Beziehung der Gemeinden, der Kommunen,
des Staates zum Christentum gibt, ist ebenso
selbstverständlich und widerspricht nicht der
Demokratie, nicht der Offenheit, nicht welt-
anschaulicher Toleranz.
     Sie spüren, dass eigentlich eine wirklich
intensive Debatte nötig ist, auf die ich mich
freue, in die ich mich auch einmischen werde
und die wir führen müssen, damit wir nicht in
eine falsche, scheinbar plausible Argumenta-
tionsreihe hineinkommen nach dem Motto:
„Alles ist gleich.“ Dann würde etwa gesagt, bei
der Segnung einer Brücke müssten neben dem
katholischen und dem evangelischen Pfarrer
auch Vertreter aller anderen Religionen stehen.
Das halte ich für eine merkwürdige Vorstellung
von weltanschaulicher Toleranz in einer konkre-     Viel Zustimmung für die Rede des Erzbischofs auf dem Bayerischen Gemeindetag 2008 in
ten Situation, in der das Christentum tatsäch-      Bad Gögging
lich noch eine prägende Kraft ist und auch in
12/2008 Bayerischer Gemeindetag            439

                                          Einheimischenmodelle:
                                              Ist die Gefahr
                                               aus Brüssel
                                                 gebannt?
1. Die Attacke aus Brüssel                                                                               Dabei vertrat die Bundesregierung die
     Ende 2007 ließ die Nachricht auf-                                                                   Auffassung, dass die Einheimischenmo-
horchen, dass die Europäische Kommis-                                                                    delle nicht gegen Europarecht ver-
sion ein Vertragsverletzungsverfahren                                                                    stoßen. Vor allem liege keine offene
gegen die Bundesrepublik eingeleitet                                                                     Diskriminierung vor, da die Differenzie-
hat, um unterschiedliche Grundstücks-                                                                    rung nach der Ortsansässigkeit und
preise für Einheimische und Auswärtige
                                                                Dr. Helmut Bröll,                        nicht nach der Staatsangehörigkeit er-
in einer nordrheinwestfälischen Gemein-          Bayerische Akademie Ländlicher Raum                     folge. Selbst wenn es sich bei der Ver-
de zu verhindern1. In Selfkant (10 200                                                                   gabepraxis um eine sog. verdeckte Dis-
Einwohner), das im deutsch-niederlän-                                                                    kriminierung handele, so wäre diese
dischen Grenzgebiet liegt, bestand und besteht frage von außen auch der eigenen Bevöl- nicht gemeinschaftsrechtswidrig. Denn der Ab-
eine starke Grundstücksnachfrage aus den kerung einen Spalt im Grundstücksmarkt offen schlag für Ortsansässige Bodenrichtwert sei
nahen Niederlanden, die die Stellung einhei- zu halten2. Einheimischenmodelle gibt es in durch einen zwingenden Grund des allgemei-
mischer Nachfrager am Grundstücksmarkt sehr Bayern in vielfältigen Formen. Gemeinsam ist nen Interesses gerechtfertigt, zu dessen Verfol-
erschwert. Die Gemeinde Selfkant hatte daher ihnen, dass sie im Vorfeld der Bauleitplanung gung das zugrunde gelegte Kriterium der Orts-
für ihre Baulandverkäufe einen Abschlag für aufgestellt werden und aus einem Vertragswerk ansässigkeit erforderlich sei und in einem an-
Ortsansässige vorgesehen, während allen an- bestehen, das – auf unterschiedliche Weise – gemessenen Verhältnis stehe. Bei Einheimi-
deren Bewerbern die Grundstücke zum Boden- die spätere Bebauung der Grundstücke durch schenmodellen stünden städtebauliche und
richtwert angeboten wurden. Die Europäische einheimische Bürger sicher stellen soll3. Bei nicht wirtschaftliche Gründe im Vordergrund.
Kommission glaubte, in dieser Differenzierung den unter dem Namen Weilheimer- und Braun- Für eine ausgewogene Bevölkerungsstruktur
einen Verstoß gegen zwei Grundfreiheiten der steiner-Modell bekannt gewordenen ersten sei es erforderlich, dass Ortsansässige die Mög-
Gemeinschaft, nämlich die Niederlassungsfrei- Einheimischenmodelle versuchten die Grund- lichkeit erhalten, in ihrem Heimatort Wohn-
heit (Art. 43 EG-Vertrag) und die Freiheit des stückseigentümer durch zivilrechtliche Bindun- häuser errichten zu können. Mit Hilfe des
Kapitalverkehrs (Art. 56 EG-Vertrag) zu erkennen.   gen (Vorkaufsrechte, bindende Verkaufsange- Preisnachlasses für Ortsansässige könne er-
                                                    bote etc.) zur Abgabe der Grundstücke an Ein- reicht werden, dass auch junge einheimische
2. Die Einheimischenmodelle in Bayern               heimische anzuhalten. Seit der Anerkennung Bauwillige Baugrund erwerben können, die
                                                    der Einheimischenmodelle durch das Bundes- sich sonst auf dem freien Baulandmarkt gegen
     Bei vielen, vor allem südbayerischen Ge- verwaltungsgericht4 und der ausdrücklichen finanzkräftige Auswärtige nur schwer durch-
meinden, hat der Schritt der EU-Kommission Aufnahme der Einheimischenmodelle in die setzen könnten und abwandern müssten. Der
Beunruhigung ausgelöst. Haben sich doch die Vorschrift über den städtebaulichen Vertrag Erhalt einer gewachsenen Sozial- und Bevöl-
Einheimischenmodelle als probates Mittel er- (heute § 11 Abs. 2 Ziff. 2 BauGB)5, sind die kerungsstruktur sei ein legitimes städtebau-
wiesen, um neben einer oft überstarken Nach- Gemeinden aber immer mehr dazu über- liches Ziel.
                                                    gangen, die für ein Einheimischenmodell vor-
                                                    gesehene Fläche vor der Ausweisung selbst
                                                    aufzukaufen und sie dann mit einem Abschlag 4. Der aktuelle Stand des Vertragsverlet-
                                                    vom allgemeinen Baulandkaufpreis an die von zungsverfahrens
                                                    ihnen ausgewählten Personen zu verkaufen6.
                                                    Daneben gab es in den letzten Jahren auch         Im Erörterungstermin vom 22.02.2008 war
                                                    eine Reihe von Einheimischenmodellen, bei nicht mehr von der völligen Abschaffung der
                                                    denen schlüsselfertige Wohnungen zur Ver- Einheimischenmodelle die Rede. Die Diskus-
                                                    fügung gestellt wurden. Hier haben die Ge- sion konzentrierte sich vielmehr auf die Moda-
                                                    meinden Grundstücke verbilligt an Bauträger litäten der Förderung Ortsansässiger. So konn-
                                                    überlassen, die ihrerseits gegenüber der Ge- te die Bundesregierung in ihrer Mitteilung vom
                                                    meinde die Verpflichtung zum Weiterverkauf an 16.04.2008 an die Kommission der Europäi-
                                                    Einheimische zu Vorzugskonditionen eingehen.  schen Gemeinschaft formulieren: „Die Bundes-
                                                                                                  regierung teilt die im Erörterungstermin am
                                                    3. Die Position der Bundesregierung           22.02.2008 von der Kommission vertretene
                                                                                                  Auffassung, dass die Förderung Ortsansässiger
                                                        Die Bundesregierung ist der Rechtsauffas- mit herabgesetzten Kaufpreisen konkret auf die
                                                    sung der EU-Kommission mit einer Note vom Ziele der Förderung auszurichten ist.“ Dies
  Dr. Helmut Bröll                                  15.08.2007 und bei einem Gespräch auf Ar- konkretisierte die Bundesregierung dahinge-
                                                    beitsebene am 22.2.2008 entgegen getreten. hend, dass:
440 Bayerischer Gemeindetag 12/2008

a) Preisnachlässe im Allgemeinen an Personen       tur ausgeht. Die Bundesregierung spricht in                            qualifiziertes, öffentliches Interesse besteht9.
   gewährt werden, die ihren Hauptwohnsitz         ihrem Schreiben aber auch davon, dass die                              Die Voraussetzungen für einen städtebaulichen
   in der betreffenden Gemeinde haben (eine        Kriterien der Gemeinde Selfkant noch ziel-                             Vertrag liegen also vor. Die Bundesregierung
   Ausnahme könnte indes nach Auffassung           konformer zu präzisieren seien. Sie nennt dabei                        spricht sich aber in ihrem schon zitierten
   der Bundesregierung z.B. gerechtfertigt sein,   soziale Kriterien, wie Einkommensgrenzen oder                          Schreiben vom 16.04.2008 an die Europäi-
   um junge Leute, die zur Ausbildung vo-          das Vorhandensein von eigenem bebaubarem                               sche Kommission dafür aus, dass Grundstücke
   rübergehend auswärts gelebt haben, für die      Grundbesitz. Personen mit hohen Einkommen                              im Einheimischenmodell nur dem Wohnbedarf
   Rückkehr in den Heimatort zu gewinnen);         oder schon vorhandenem Grundbesitz werden                              dienen sollen und eine gewerbliche Nutzung
b) sicher gestellt ist, dass die Grundstücke nur   durch hohe Grundstückspreise am Markt ja                               ausgeschlossen sein soll. Diese Aussage ist
   dem Wohnbedarf dienen und eine gewerb-          nicht zur Abwanderung gedrängt. Die Bundes-                            nicht näher begründet und kann sicherlich
   liche Nutzung ausgeschlossen ist.               regierung misst dann den örtlichen Gegeben-                            nicht auf § 11 BauGB oder auf kommunal-
                                                   heiten eine wichtige Rolle bei der Bestimmung                          rechtliche Bestimmungen gestützt werden. Es
    Die EU-Kommission hat die Mitteilung der       der Förderkriterien bei. Solche örtlichen Gege-                        kann aber nicht übersehen werden, dass es im
Bundesregierung vom 16.04.2008 zur Kennt-          benheiten sind städtebaulicher Natur, etwas                            europäischen Beihilferecht und im Vergabe-
nis genommen und keinerlei Einwendungen            das Vorhandensein und die Verfügbarkeit von                            recht Stolpersteine gibt, wenn Grundstücke
mehr vorgebracht. Sie hat allerdings keine         Baugrundstücken; sie sind aber auch sozialer                           unterhalb des Verkehrswertes an Unternehmen
förmliche Einstellung des Vertragsverletzungs-     Natur, etwa die Zahl und die wirtschaftliche                           veräußert werden .
verfahrens veranlasst. Eine solche förmliche       Stellung junger Haushalte in der Gemeinde.
Einstellung erfolgt nach Auskunft des Bundes-      Auch weitere städtebauliche und sozialstruktu-
ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtent-                                                                               Fußnoten:
                                                   relle Gegebenheiten, wie der Nachfragedruck
wicklung in vielen Fällen überhaupt nicht, so      durch Zweitwohnungsaspiranten und die Über-                            1. Verfahren Nr. 2006/4271
dass aufgrund des Zeitverlaufs davon aus-          alterung durch zuziehende Rentner, zählen zu                           2. Besonders problematisch für die Struktur der Gemeinden
gegangen werden kann, dass die Kommission                                                                                    erweisen sich dabei die finanziell potenten Zweitwohnungs-
                                                   diesen örtlichen Gegebenheiten. Eine saubere                              und Alterswohnsitz-Aspiranten aus West- und Norddeutsch-
das Verfahren sang- und klanglos hat enden         Analyse der Gesamtsituation vor Ort erleichtert                           land sowie aus den süddeutschen Ballungsräumen
lassen.                                            die grundsätzliche Begründung für ein Einhei-                          3. Bröll-Jäde, „Das neue Baugesetzbuch im Bild“, WEKA-
                                                   mischenprojekt und erlaubt die Zuteilungs-                                Verlag, Kissing, Teil 4/2.9.2
5. Fazit                                           kriterien zielgenau zu definieren. Die Vergabe-                        4. BVerwG vom 11.2.1993 4 C 18.91, abgedr. in BayVBl 93,
     Man könnte damit den Aktenordner Self-        kriterien sollten auch deutlich die Eigen-                                405

kant schließen und ihn in die Ablage mit der       nutzung durch die Erwerber herausstellen.                              5. Während des Gesetzgebungsverfahrens zum Investitions- u.
Überschrift „Überdehnung der EU-Zuständig-         Einer der Hauptkritikpunkte in Selfkant war,                              Wohnbauland-Erleichterungsgesetz 1993 hat der zustän-
                                                   dass das Ziel der Erhaltung der in der Gemein-                            dige Bundestagsausschuss den Passus über den „Wohn-
keiten“ geben. Da man aber nie vor weiteren                                                                                  bedarf der ortsansässigen Bevölkerung“ in den Gesetzes-
Überraschungen aus Brüssel sicher ist, emp-        de gewachsenen Bevölkerungs- und Sozial-                                  text aufgenommen
fiehlt es sich schon heute, sowohl bei beste-      struktur gar nicht erreicht werden kann, da                            6. Zur Problematik der Rückbehaltung von Flächen durch den
henden wie bei geplanten Einheimischen-            eine Vermietung ohne Eigennutzung des privi-                              Eigentümer und der Angemessenheit des von der Gemein-
modellen einige Überlegungen anzustellen8.         legiert erworbenen Baulands möglich war.                                  de bezahlten Kaufpreises (s. Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB,
                                                                                                                             Borbergverlag, 5. Auflage, § 11 RdNr. 52 - 57)
Ausgangspunkt hierzu könnte das Schreiben              Einheimischenmodelle für ortsansässige                             7. Die Stellungnahme der Bundesregierung ist im Wesent-
der Bundesregierung vom 16.04.2008 an die          Gewerbetreibende dürften im Streitfall von den                            lichen in BayGT 2007, 434 abgedruckt
Kommission der Europäischen Gemeinschaft           Europäischen Instanzen besonders kritisch durch-                       8. S. hierzu auch die Gedanken von Reicherzer in BayGT
sein, in dem sie von der prinzipiellen Zulässig-   leuchtet werden. Zwar ist klar, dass auch für die                         2008, 198
keit der Förderung Ortsansässiger zur Erhal-       Bereitstellung von Gewerbeflächen zu güns-                             9. S. hierzu BayVGH vom 22.12.1998 - 1 B 94.3288, abgedr.
tung einer ausgewogenen Bevölkerungsstruk-         tigen Konditionen an einheimische Betriebe ein                            in BayVBL 1999, 399

                                                                PFLEGEPRODUKTE KAUFEN ODER KINDERN IN AFRIKA ZUKUNFT SCHENKEN.

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12/2008 Bayerischer Gemeindetag                      441

                                                    Kommunalwahl-
                                                      Nachwehen

                                                   – Das VG Regensburg
                                                     entscheidet über
     Mit Urteil vom 1.10.2008 hat das               Wahlanfechtungen –                                        Handeln von Untergliederungen eines
Verwaltungsgericht Regensburg Klagen                                                                          Wahlvorschlagträgers diesem zuzu-
abgewiesen, mit denen die Wahlen zum                                                                          rechnen.
Kreistag im Landkreis Kelheim und zum                                                                             Auf den ersten Blick könnte man
Marktgemeinderat in der niederbayeri-                                                                         nun tatsächlich meinen, der Fall des
schen Gemeinde Bad Abbach angefoch-                                                                           Wahlvorschlags „Junge Liste“ und ihre
ten wurden. Die Anfechtung einer Wahl                                                                         vermeintliche Verbindung zum Wahl-
wegen angeblicher Verstöße gegen Wahl-                                                                        vorschlag der CSU erfülle die Voraus-
rechtsbestimmungen ist (erfreulicher-            Rechtsanwalt Benedikt Grünewald*                             setzungen dieser Wahlrechtsbestimmung.
weise) nichts Alltägliches; schon des-                                                                        Um das Gesetz und damit die Entschei-
halb lohnt sich eine nähere Betrachtung                                                                       dung des Verwaltungsgerichts Regens-
der beiden Vorgänge. Die beiden Fälle zeigen      burg mit dem Ziel, den Freistaat Bayern zu ver-     burg zu verstehen, muss man sich die Ge-
zudem die Grenzen zwischen politischer und        pflichten, die Wahl zum Kreistag im Landkreis       schichte der Bestimmungen des Wahlrechts
juristischer Argumentation auf und machen         Kelheim für ungültig zu erklären.1                  und der hierzu ergangenen Gerichtsentschei-
deutlich, welch verantwortungsvolle Aufgabe                                                           dungen näher ansehen, denn das Problem des
die Gemeinde- bzw. Kreiswahlleiter, die Mit-          Ihre Klage stützte sie auf Art. 24 Abs. 3       Mehrfachauftretens von Wahlvorschlägen be-
glieder der Wahlausschüsse und die Wahlvor-       S. 2 Nr. 4 Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz        gleitet Rechtswissenschaft und Praxis schon
stände bei Kommunalwahlen erfüllen.               (GLKrWG). Die „Junge Liste“ stelle eine un-         seit Jahrzehnten.
                                                  zulässige Zweitliste des Wahlvorschlagsträgers
                                                  „CSU“ dar. Die CSU habe den Wahlvorschlag               Einen ersten Höhepunkt erreichte der Streit
Der Fall „Junge Liste“ im Landkreis Kel-                                                              in einem Urteil des Bayerischen Verfassungs-
heim                                              „Junge Liste“ dadurch beherrschend betrieben,
                                                  dass von den 60 für den Wahlvorschlag „Junge        gerichtshofs (BayVerfGH) im Jahr 1969.3 Da-
     Im Laufe des Jahres 2006 bildete sich im     Liste“ kandidierenden Personen 16 Kandidaten        mals trat bei den Stadtratswahlen in der
Landkreis Kelheim eine politische Gruppierung     auch Mitglieder und zum Teil Funktionsträger        Landeshauptstadt München u.a. eine Gruppie-
mit dem Ziel, unter dem Namen „Junge Liste“       der CSU selbst oder der Jungen Union und            rung namens „Münchener Block (MB)“ an. Die
bei den Wahlen zum Kreistag im Landkreis          damit einer Untergliederung der CSU waren.          Wahl wurde mit der Begründung angefochten,
Kelheim anzutreten. Am 22.1.2008 beschloss        Einen weiteren Beweis für das beherrschende         der Wahlvorschlag des Münchener Blocks ver-
der Landkreiswahlausschuss mit 3:2 Stimmen        Betreiben sah die Klägerin darin, dass die          stoße gegen das Verbot des Doppelauftretens,
die Zulassung des Wahlvorschlags „Junge           „Junge Liste“ logistische und finanzielle Wahl-     da es sich in Wahrheit um einen Wahlvorschlag
Liste“. Nachdem die Kommunalwahlen für die        kampfunterstützung von der CSU erhalten ha-         der CSU handle. Die Klage war letztlich aber
„Junge Liste“ im Ergebnis drei Sitze im Kreis-    be. Schließlich brachte die Klägerin vor, Kan-      erfolglos. Der Bayerische Verfassungsgerichts-
tag brachten, wurde die Wahl von einer Ve-        didaten des Wahlvorschlags „Junge Liste“ hät-       hof stellte fest, dass Mitglieder einer Partei, die
treterin der SPD angefochten. Die Regierung       ten bei der Aufstellungsversammlung für den         in deren eigenem Wahlvorschlag nicht erschei-
von Niederbayern wies die Anfechtung jedoch       Wahlvorschlag der CSU als Mitglieder des            nen, als Bewerber auf der Liste einer anderen
zurück. Hiergegen erhob die Vertreterin der       Wahlausschusses mitgeholfen.                        Partei oder Wählergruppe auftreten dürfen.
SPD Klage zum Verwaltungsgericht Regens-                                                                   Nach den Kommunalwahlen im Jahr 1990
                                                  Die rechtlichen Grundlagen des Falles               kam es erneut zu zahlreichen Wahlanfechtun-
                                                                                                      gen, die jeweils auf der Behauptung beruhten,
                                                      Nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GLKrWG kann            insb. die CSU habe gegen das Verbot des
                                                  eine Wahl von jeder wahlberechtigten Person         Doppelauftretens durch sog. Tarnlisten ver-
                                                  wegen der Verletzung „wahlrechtlicher Vor-          stoßen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof
                                                  schriften“ angefochten werden. Zu diesen zählt      (BayVGH) hatte verschiedene Fälle zu ent-
                                                  insbesondere Art. 24 GLKrWG, der Parteien           scheiden und beschränkte sich bei der Prüfung
                                                  und Wählergruppen (die sog. Wahlvorschlags-         möglicher Verstöße nicht auf rein formelle
                                                  träger) das Recht gibt, Wahlvorschläge einzu-       Kriterien, sondern prüfte die Vorgeschichte der
                                                  reichen.2 Gemäß Art. 24 Abs. 3 S. 1 GLKrWG          Wahlvorschläge nach. Insbesondere prüfte er,
                                                  darf jedoch jeder Wahlvorschlagsträger nur          ob und wie beteiligte Personen einer vermeint-
                                                  einen Wahlvorschlag einreichen. Ein unzulässi-      lichen „Tarnliste“ in anderen Parteien oder
                                                  ges Mehrfachauftreten liegt nach Art. 24 Abs. 3     Wählergruppen engagiert bzw. verwurzelt sind.
                                                  S. 2 Nr. 4 GLKrWG vor, wenn ein Wahl-               Anhand dieser Prüfung gelangte der Bayeri-
                                                  vorschlagsträger durch seine Organe einen an-
 Benedikt Grünewald                               deren Wahlvorschlag beherrschend betreibt.
                                                  Dabei ist nach Art. 24 Abs. 3 S. 3 GLKrWG das       * Rechtsanwaltsgesellschaft Aderhold Gassner, München
442 Bayerischer Gemeindetag 12/2008

sche Verwaltungsgerichtshof zu der Überzeugung,       Seite sie unterstützt werden. Außer Betracht zu    Wahlvorschläge ermöglicht, die sich program-
dass Verstöße vorlagen. Gegen diese Entschei-         bleiben habe ferner, ob eine Partei oder eine      matisch stark ähneln und deren Kandidaten
dungen des Verwaltungsgerichtshofs wurde von          Wählergruppe die Kandidatur ihrer Mitglieder       untereinander in Beziehungen stehen, mag
den Betroffenen Verfassungsbeschwerde zum             auf fremden Wahlvorschlägen billigt oder           man politisch kritisieren. Die verfassungsrecht-
Bayerischen Verfassungsgerichtshof erhoben.           ablehnt oder ob sie Folgerungen aus einer          lich geschützte Möglichkeit jedes Einzelnen
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof legte           solchen Kandidatur zieht.7 Der Vollständigkeit     sich in einer Wahl für ein Mandat zu bewerben,
seiner Prüfung andere Kriterien zu Grunde als         halber sei angemerkt, dass Bundesverfas-           überwiegt jedoch diese politischen Überlegun-
der Verwaltungsgerichtshof. Der Verfassungs-          sungsgericht8 und Bundesverwaltungsgericht9        gen. Auch in Zweifelsfällen müssen passives
gerichtshof stellte fest, dass der Grundsatz der      diese Rechtsprechung und die darauf beruhen-       Wahlrecht und Wahlvorschlagsfreiheit Vorrang
Wahlfreiheit, das Gebot der Wahlgleichheit und        de bayerische Gesetzeslage bestätigt haben.        haben. Zudem sollte der mündige Bürger nicht
das aktive und passive Wahlrecht der Aus-                                                                unterschätzt werden, der sich gerade bei den
legung und Anwendung der entsprechenden               Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts           Kommunalwahlen vor seiner Wahlentscheidung
Bestimmung des Wahlgesetzes enge Grenzen              Regensburg                                         in der Regel besonders intensiv mit den Wahl-
setzen. Die Prüfung eines Verstoßes gegen das                                                            vorschlägen, den Kandidaten und deren Pro-
Verbot des Mehrfachauftretens sei vorrangig               Das Verwaltungsgericht Regensburg hat          grammen auseinander setzt.
anhand formeller Kriterien vorzunehmen. Als           die Klage der Vertreterin der SPD unter Bezug-
formelle Kriterien hat er die vier Punkte defi-       nahme auf die o.g. Rechtsprechung abge-                 Für die Praxis wird die Bedeutung der mit
niert, die heute in Art. 24 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 bis 4   wiesen.10                                          der Durchführung einer Wahl befassten Organe
nachzulesen sind.                                                                                        nochmals unterstrichen. Diese sind im Wahl-
                                                          Mit der gebotenen rein formellen Betrach-
                                                                                                         verfahren zu absoluter Neutralität verpflichtet
     Insbesondere das sog. „beherrschende Be-         tungsweise stellt es fest, dass die Wahlvor-
                                                                                                         und dürfen die Entscheidung des Wählers nicht
treiben“ stellt einen unbestimmten Rechtsbe-          schläge „CSU“ und „Junge Liste“ auf selbst-
                                                                                                         vorwegnehmen und dem einen Bewerber den
griff dar, den es im Einzelfall auszulegen gilt.      ständigen Wahlversammlungen und von unter-
                                                                                                         Vorzug vor dem anderen geben. Politische
Hierzu hat der Verfassungsgerichtshof ausge-          schiedlichen Personen beschlossen wurden. Die
                                                                                                         Ansichten haben bei der Entscheidung über die
führt:                                                Tatsache, dass Mitglieder und Funktionsträger
                                                                                                         Zulassung der Wahlvorschläge daher außen vor
                                                      der CSU und/oder ihrer Unterorganisationen
     „Ein beherrschendes Betreiben liegt, wie                                                            zu bleiben. Art. 5 Abs. 2 S. 3 GLKrWG schreibt
                                                      bei der Gründung und inhaltlichen Ausgestal-
ausgeführt, nicht schon dann vor, wenn Orga-                                                             zwar vor, dass die Parteien und Wählergruppen
                                                      tung einer Wählergruppe mitgewirkt hätten,
ne einer Partei oder einer Untergliederung die                                                           bei der Besetzung des Wahlausschusses zu
                                                      stehe deren Eigenständigkeit nicht entgegen.
Gründung einer neuen Wählergruppe anregen,                                                               berücksichtigen seien. Als Mitglieder des Wahl-
                                                      Dieser Umstand könne viele Gründe haben.
befürworten, billigen oder unterstützen. Hinzu                                                           ausschusses sind die von den Parteien und
                                                      Eine Nachforschung der Motivationslage bei
kommen müßte vielmehr, daß sie den anderen                                                               Wählergruppen entsandten Personen aber nicht
                                                      den Wahlvorschlagsträgern „CSU“ oder „Junge
Wahlvorschlag so maßgebend und bestim-                                                                   ihrer Partei oder Gruppierung, sondern allein
                                                      Liste“ sei mit dem auf formelle Punkte zu be-
mend als ihren eigenen organisieren und ge-                                                              dem Recht verpflichtet. Das Mitglied eines
                                                      schränkenden Nachprüfungsrecht jedoch nicht
stalten, daß ins Gewicht fallende Einflussmög-                                                           Wahlausschusses, das gegen die Zulassung
                                                      zu vereinbaren. Unerheblich sei auch, dass die
lichkeiten anderer Mitwirkender auszuschlie-                                                             eines Wahlvorschlags stimmt, weil er ihn aus
                                                      Gründung der Jungen Liste auf CSU- bzw. JU-
ßen sind. Es müßte eine Fallgestaltung vorlie-                                                           politischen Gründen ablehnt oder weil er von
                                                      Funktionsträger zurückgegangen sei und dass
gen, die für die Teilnehmer der Aufstellungs-                                                            der Partei oder Wählergruppe, die ihn entsandt
                                                      einige CSU- bzw. JU-Funktionsträger auf den
versammlung keinen Zweifel daran ließe, daß                                                              hat, entsprechend beauftragt wurde, verstößt
                                                      aussichtsreichen vorderen Listenplätzen kandi-
die neue Wählergruppe in Wahrheit nur die                                                                gegen seine gesetzliche Pflicht zu Neutralität
                                                      diert hätten. Dem Gericht sei es verwehrt, Nach-
Zweitliste einer anderen Partei ohne eigen-                                                              und Unparteilichkeit. Fazit: Solange die einzel-
                                                      forschungen anzustellen, welcher Partei oder
ständige Bedeutung sein soll.“ 4                                                                         nen Wahlvorschläge in unterschiedlichen Ver-
                                                      Wählergruppe ein Bewerber angehöre oder
                                                                                                         sammlungen aufgestellt werden und nicht
     Weiterhin stellte der BayVerfGH fest, dass       von wem er unterstützt werde. Das Wahlrecht
                                                                                                         unter der Bezeichnung eines anderen Wahlvor-
keine Identität der Wahlvorschlagsträger vor-         verbiete es auch nicht, dass ein Parteimitglied,
                                                                                                         schlagsträgers oder dessen Untergliederungen
liegt, soweit die Wahlvorschläge mit unter-           das auf dem Wahlvorschlag „seiner“ Partei kei-
                                                                                                         firmiert (unzulässig wäre also etwa eine „JU-
schiedlichen Namen auf unterschiedlichen Ver-         nen Platz erhalte, von einer anderen Partei
                                                                                                         Liste“ oder eine „JUSO-Liste“), kann die Zulas-
sammlungen beschlossen worden sind. Die               oder Wählergruppe als Kandidat aufgestellt
                                                                                                         sung nicht versagt werden.
Ablehnung so zu Stande gekommener Wahl-               werde. Die betroffenen Parteien mögen aus so
vorschläge verstoße gegen die verfassungs-            einem Verhalten Folgerungen ziehen, wahl-
rechtlich verbürgte Wahlfreiheit und die recht-       rechtlich sei dies jedoch unbeachtlich. Ohne       Der Fall der Wahlanfechtung in Bad Ab-
liche Chancengleichheit der den Vorschlag tra-        Bedeutung sei auch das Mitwirken von „Junge        bach
genden Personen und verletze das passive              Liste“-Kandidaten auf anderen Aufstellungs-
                                                      versammlungen, da die so bei den beiden Ver-           Juristisch weniger spektakulär, für die
Wahlrecht der darin vorgeschlagenen Be-                                                                  Praxis in den Kommunen aber eher noch be-
werber.5                                              sammlungen gegebene Personenidentität ge-
                                                      ringfügig sei und kein „beherrschendes Betrei-     deutender war die Entscheidung des Ver-
    Der Bayerische Verfassungsgerichtshof geht        ben“ darstelle.11 Unerheblich sei schließlich      waltungsgerichts Regensburg zur Marktge-
demnach von einem rein formalen Prüfungs-             auch die logistische und finanzielle Unterstüt-    meinderatswahl im niederbayerischen Bad
recht in Bezug auf die Wahlvorschläge aus.6           zung der CSU zu Gunsten der Jungen Liste, da       Abbach. Der Anfechtung dieser Wahl lagen an-
Der Verfassungsgerichtshof hat im Jahr 1993           sich Wahlvorschlagsträger gegenseitig unter-       gebliche Fehler bei der Stimmauszählung zu
anlässlich einer Jungen Liste im Landkreis            stützen dürfen.12                                  Grunde. Tatsächlich ergab sich mit 24.117
Bayreuth ausdrücklich festgestellt, es sei dem                                                           Stimmen für die CSU und 24.058 Stimmen für
Wahlausschuss, der Rechtsaufsichtsbehörde             Bewertung und Folgen für die Praxis                die Wählergruppe „Zukunft Bad Abbach“ ein
und den Gerichten verwehrt, Ermittlungen an-                                                             knappes vorläufiges Wahlergebnis. In seiner
zustellen, ob Bewerber einer Partei oder einer            Die Entscheidung des Gerichts verdient         Sitzung vom 6.3.2008 sprach sich der Wahl-
Wählergruppe angehören und von welcher                Zustimmung. Die Tatsache, dass das Wahlrecht       ausschuss dann dafür aus, in zwei Stimmbezir-
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