4/2021 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
ÄRZTEBLATT 4/2021 MECKLENBURG-VORPOMMERN Frühlingslicht in Waren Foto: Dr. Th. Müller Klarstellung zur Begehung der Psychiatrie Rostock Erste Ergebnisse der Obduktionen der Verstorbenen, die mit SARS-CoV-2 infiziert waren Fallbericht über einen SARS-CoV-2-Ausbruch
Inhalt Editorial 124 Veranstaltungen und Kongresse Impfkurse in Mecklenburg-Vorpommern 141 Wissenschaft und Forschung Veranstaltungen der Ärztekammer M-V 141 Erste Ergebninsse der Obduktionen der im Zusammenhang mit den SARS-CoV-2-Infektionen Veranstaltungen in unserem Kammerbereich 141 Verstorbenen aus der Unimedizin Rostock 125 Geschichte der Medizin Leserbrief Carl Ruge (1846–1926) – Begründer der Mitgliedermagazin 2021 der Ärzteversorgung Gynäko-Pathologie 144 Mecklenburg-Vorpommern 129 Nur Schädel in der Vitrine? Provenienzforschung in der außereuropäischen anthropologischen Junge Ärzte in M-V Sammlung der Universätsmedizin Rostock 146 Keine Angst vor dem Unbekannten 130 Literarisch Aktuelles Die Kiefer 150 Fallbericht über einen SARS-CoV-2-Ausbruch in einem Schweriner Seniorenheim 132 Rezensionen Frau Prof. Dr. Chia-Jung Busch leitet die Klinik Für Sie gelesen 151 für Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen 139 Geburtstage 25 Jahre Lebertransplantationen an der Universitätsmedizin Rostock 140 Wir beglückwünschen 153 Impressum 153 Aus der Schlichtungsstelle Verzögerte Diagnose einer Extrauteringravidität – Befunderhebungsmangel führte zu Beweislastumkehr 134 Service FAQ zum eHBA – Teil 1 138 KIM – für eine sichere Kommunikation im Gesundheitswesen 138 Genderneutrale Sprache In der deutschen Sprache sind personenbezogene Pluralformen grundsätzlich geschlechtsneutral. Soweit singuläre Formen wie Arzt, Patient, Gast o.ä. aus Gründen der Flüssigkeit und besseren Lesbar- keit in den Texten des Ärzteblattes Mecklenburg Vorpommern ver- wendet werden, bezeichnen sie wie auch die Pluralformen in jedem Fall sowohl Personen des weiblichen wie des männlichen als auch eines möglichen dritten Geschlechts. Die Redaktion AUSGABE 4/2021 31. JAHRGANG Seite 123
EDITORIAL Liebe Kolleginnen und Kollegen, Im Nachgang zu unserer Begehung haben wir viele Meldun- gen von ehemaligen Patientinnen und Patienten, ehemaligen die Kammerversammlung der Ärztekammer Mecklenburg-Vor- und aktiven Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu diesen pommern fand am Samstag, den 20. März, in Rostock statt. Sachverhalten bekommen. Nach Auswertung der Unterlagen Thematisch gab es einen weiten Bogen von der Pandemie über und des Berichtes werden nun entsprechende juristische die geleistete Amtshilfe für den Oberbürgermeister der Hanse- Schritte eingeleitet. stadt Rostock in Bezug auf seine Fachaufsicht im Rahmen des Es ist dem Vorstand der Kammer wichtig klarzustellen, wie die Psych-KG (PsychKG), von der Impfhotline über das digitale Ver- Begehung abgelaufen ist und was dort festgestellt wurde, sorgungs- und Pflegemodernisierungsgesetz (DVPMG) bis hin eben weil die öffentliche Berichterstattung mit einer deplat- zur Gedenkstätte in Alt Rehse und der Novellierung der Fortbil- zierten Rassismusdebatte ein völlig falsches Bild erzeugt hat. dungsordnung. Ein vom Ministerium erstelltes Gutachten zu dem ganzen Vor- Hinsichtlich der Amtshilfe für den Oberbürgermeister der Han- gang ist der Kammer trotz wiederholter Anforderung nicht sestadt Rostock: Auf Grund vielfältiger Beschwerden von Pati- zur Verfügung gestellt worden. Lediglich der Oberbürger- entinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzten sowie Mitarbei- meister wurden in Kenntnis gesetzt, der Ostsee-Zeitung sowie terinnen und Mitarbeitern der Psychiatrie, aber auch von Seiten der NNN liegen das Gutachten ebenfalls vor. Der von der Uni- der Justiz hat sich der Vorstand im November 2020 entschieden, versitätsmedizin durch Privatgutachten erhobene Daten- die nach PsychKG zuständige Fachaufsicht, d.h. den Oberbür- schutzverstoß ist durch den Landesdatenschutz in Abrede germeister der Hansestadt Rostock, zu kontaktieren. Nachdem gestellt worden, da bei der Begehung keine Rechtsverstöße die Fakten vorgetragen worden sind, hat dieser uns die Frage festgestellt werden konnten. gestellt, ob wir bei einer Begehung Amtshilfe leisten würden. Über die anderen Beschlüsse wird detailliert berichtet. Daraufhin fand am nächsten Tag, geführt vom Leiter des Recht- samts, Dr.Zierau und der stellvertretenden Leiterin des Gesund- Ich muss Ihnen lediglich noch die traurige Mitteilung machen, heitsamts, Frau Dr. Neuber, die Begehung der geschlossenen dass der deutsche Ärztetag in Rostock, es wäre der dritte sei- Psychiatrie statt. Weiter waren anwesend: Dr. Maibaum als Vor- ner Art gewesen nach 1905 und 2002, abgesagt wurde. Wir standsmitglied, Dr. Terpe als Mitglied des Bürgerschaftspräsidi- haben zwei Jahre Vorbereitung getroffen. Es gab ein hervor- ums, Frau Kruse als juristische Mitarbeiterin der Rechtsabtei- ragendes Hygienekonzept, was von der Bundesärztekammer, lung, Herr Rechtsanwalt Appel als Kammeranwalt und ich als von der Hansestadt Rostock und vom Gesundheitsamt akzep- derjenige, der die Gespräche mit dem Oberbürgermeister ge- tiert worden ist. Die Eröffnungsveranstaltung hätte unter ent- führt hat. Während der Begehung wurden Masken getragen sprechenden Bedingungen in der Stadthalle stattgefunden, und die Corona-Regeln befolgt. Es wurden keine Fotografien die Tagung in der Messehalle in Schmarl. Der Vorstand der von Patientinnen und Patienten angefertigt, keiner der Anwe- Bundesärztekammer hat nach Abwägung aller Für und Wider senden wurde schikaniert, wie es in der Presse berichtet wurde. in einer Onlinesitzung am 11. März 2021 beschlossen, den Ärz- Wir haben lediglich die anwesenden Ärztinnen und Ärzte nach tetag nicht in Präsenz durchzuführen, um einem möglichen ihrem Berufsalltag und Berufsstatus befragt: Approbation oder Hotspot durch Ärztinnen und Ärzte auf einem Ärztetag vor- Berufserlaubnis und Dauer der Tätigkeit in der Psychiatrie. Die- zubeugen. Wir hatten uns mit Engagement „hineingekniet“ se Begehung hat Tatsachen zu Tage gefördert, die mit den strik- und haben bereits beantragt, einen der nächsten zur Verfü- ten Vorgaben des PsychKG nicht im Einklang stehen; u. a. nicht gung stehenden Ärztetage in Mecklenburg-Vorpommern zulässiges Fixierungsmaterial. Dabei ging es gerade nicht um durchzuführen. individuelle psychiatrische Behandlungen, sondern um die Ein- Die Delegierten aus Mecklenburg-Vorpommern werden ge- haltung der gesetzlichen Vorgaben als Frage der Berufsaus- meinsam den Online-Ärztetag, der nun am 4. und 5. Mai 2021 übung. Danach bedarf die zwangsweise Unterbringung als stattfindet, verfolgen, um sich über die Beschlüsse auszutau- Freiheit entziehende Maßnahme einer entsprechenden richter- schen und entsprechende Beschlüsse gemeinsam stellen zu lichen Anordnung; diese muss auf dem ärztlichen Zeugnis eines können. Arztes mit Erfahrung in der Psychiatrie beruhen. Nur dann ent- Ich darf mich hier bei allen, die den Ärztetag vorbereitet ha- fällt die Strafbarkeit. Die gleichen Regeln gelten für die Fixie- ben, sehr herzlich bedanken für die Mühewaltung. rung und die Zwangsmedikation. Das PsychKG erlaubt Eingriffe in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen bei Menschen, Mit den besten Wünschen für ein schönes Frühjahr und einen die dringend auf Hilfe angewiesen sind. Das Bundesverfas- schönen Sommer verbleibe ich sungsgericht stellt für die Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit der Grundrechtseingriffe sehr hohe Ansprüche, die ihren Nieder- collegialiter schlag im PsychKG gefunden haben. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an die psychiatrischen Kliniken. Ihr Andreas Crusius Foto: AdobeStock Seite 124 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Erste Ergebnisse der Obduktionen der im Zusammenhang mit den SARS-CoV-2-Infektio- nen Verstorbenen aus der Unimedizin Rostock Zack F1, Nigbur S1, Manhart J1, Derani H2, Boy D1, Port A1, Kolbe V1, Büttner A1 Hintergrund Ebenfalls im April 2020 bot das Institut für Rechtsmedizin Rostock, unterstützt durch die Universitätsmedizin Rostock, Im Dezember 2019 wurde in Wuhan, China, das erste Auf- an, bei in Mecklenburg-Vorpommern Verstorbenen, die mit treten einer neuen Infektionskrankheit mit einer Häufung SARS-CoV-2 infiziert waren, kostenfrei Obduktionen durch- schwerer Lungenentzündungen festgestellt [1]. Als Erreger zuführen. Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Ge- identifizierten chinesische Virologen das „severe acute res- sundheit Mecklenburg-Vorpommern erklärte sich bereit, die piratory syndrome coronavirus type 2“ (SARS-CoV-2), ein anfallenden Transportkosten für die Bestattungsunterneh- neues Beta-Coronavirus. Die Krankheit wurde Corona Virus men, zunächst befristet, zu übernehmen. Über dieses Ange- Disease 2019 (COVID-19) genannt [2]. In der Folgezeit ent- bot informierte das genannte Ministerium in einem Schrei- wickelte sich eine Pandemie. Die ersten Fälle in Deutschland ben vom 23. April 2020 mit Beginn ab dem 1. Mai 2020 die traten Ende Januar 2020 in Bayern auf. Bei einer Automobil- Leiterinnen und Leiter der Gesundheitsämter bzw. Fach- zulieferfirma hatte eine chinesische Mitarbeiterin bei einem dienste Öffentlicher Gesundheitsdienst der Landkreise und Meeting mehrere Kollegen infiziert [3]. kreisfreien Städte. In dem Brief verwies der unterzeichnen- de Mitarbeiter des Ministeriums auch auf § 25 Absatz 1 des Obwohl es sich um eine neue Infektionskrankheit handelte, Infektionsschutzgesetzes: hieß es in den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts vom „Ergibt sich oder ist anzunehmen, dass jemand krank, 24. März 2020 u. a.: „Eine innere Leichenschau, Autopsien krankheitsverdächtig, ansteckungsverdächtig oder Aus- oder andere aerosolproduzierende Maßnahmen sollten ver- scheider ist oder dass ein Verstorbener krank, krankheits- mieden werden. Sind diese notwendig, sollten diese auf ein verdächtig oder Ausscheider war, so stellt das Gesundheits- Minimum beschränkt bleiben.“ Weiterhin gab das RKI auch amt die erforderlichen Ermittlungen an, insbesondere über den Hinweis, dass eine Krematoriumsleichenschau bei Vor- Art, Ursache, Ansteckungsquelle und Ausbreitung der liegen von COVID-19 ein zusätzliches Infektionsrisiko berge Krankheit.“ [6]. und deshalb vor Durchführungen eine „strenge Nutzen-Ri- Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) siko-Abwägung“ erfolgen solle [4, 5]. unterstützt seit Oktober 2020 mit dem „Nationalen Netz- Diese Empfehlungen führten zu erheblichen Bedenken bei werk der Universitätsmedizin zu COVID-19“ die Forschungs- verschiedenen Berufsverbänden, Fachgesellschaften und aktivitäten in den deutschen Universitätskliniken zur Bewäl- Kollegen. So formulierten die Präsidenten bzw. Vorsitzen- tigung der aktuellen Pandemie. Dabei ist ein Schwerpunkt den des Berufsverbands Deutscher Pathologen, des Berufs- das Deutsche Forschungsnetzwerk Autopsien bei Pandemi- verbands Deutscher Rechtsmediziner, der Deutschen Gesell- en DEFEAT PANDEMIcs [7]. schaft für Pathologie und der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin jeweils am 3. April 2020 in offenen Briefen Ergebnisse ihre überwiegend gegenteiligen Auffassungen [4, 5]. Danach nahm das RKI die genannten Empfehlungen ohne Vom 1. Mai bis zum 18. November 2020 wurden keine Ob- Kommentar von ihren Seiten. duktionen von Verstorbenen, die mit SARS-CoV-2 infiziert Seit April 2020 wurde am Institut für Pathologie der Unikli- waren, im Institut für Rechtsmedizin der Universitätsmedi- nik RWTH Aachen ein zentrales Register der Obduktionen zin Rostock angemeldet. Den täglichen Lageberichten des von an COVID-19 Verstorbenen aufgebaut. Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGuS) Mecklen- burg-Vorpommern zufolge verstarben bis zum 1. Mai 2020 18 Personen mit oder an den Folgen einer Sars-CoV-2-Infek- 1 Institut für Rechtsmedizin, Universitätsmedizin Rostock 2 Institut für Pathologie, Universitätsmedizin Rostock tion. Dies entsprach einer Letalität von 2,6 % der bis zu die- AUSGABE 4/2021 31. JAHRGANG Seite 125
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Tab. 1: Übersicht der an der Universitätsmedizin Rostock obduzierten Sterbefälle mit einer nachgewiesenen SARS-CoV-2 Infektion Nr. Auftraggeber Datum Alter Ge- Todesursache Todesursache Relevante Kausalität der schlecht klinisch Obduktion Vorerkrankungen zwischen Obduktion Sars-Cov-2- Kenntnisstand: Infektion und Obduktionstag Todesursache* 01 UMR ZIM 20.11.2020 76 w I.a) SARS-CoV-2- I.a) Pneumonie B-CLL Ja Pneumonie I.c) COVID-19 Adipositas I.c) B-CLL 02 UMR ZIM 20.11.2020 82 m I.a) COVID-19 I.a) Pneumonie Multiples Myelom Ja I.c) Exazerbierte COPD Chron. Niereninsuffizienz und COVID-19 Diabetes mellitus Typ II 03 FD Gesundheit 24.11.2020 67 m I.a) Septischer Schock I.a) Herzinsuffizienz Chron. Herzinsuffizienz Nein LUP I.b) Bakterielle I.b) Mitralklappenerkran- NYHA II Superinfektion kung Z. n. Nieren-Tx I.c) COVID-19 I.c) Chronisch-ischämische Z. n. Beinamputationen Herzerkrankung 04 StA Rostock 10.12.2020 66 m I.a) V. a. Myokardinfarkt I.a) Akute Koronarin CIHK Nein I.b) KHK suffizienz Chron. Niereninsuffizienz I.c) Hypertonie I.b) Stenosierende Nieren-Tx mit Transplan Koronarsklerose tatversagen I.c) Hypertensionsherz 05 FD Gesundheit 11.12.2020 81 w I.a) COVID-19 I.a) Pneumonie Adipositas Ja LUP I.b) Viruspneumonie I.c) COVID-19 Diabetes mellitus Typ II Myokardinfarktnarbe 06 FD Gesundheit 17.12.2020 85 w I.a) Pneumonie I.a) Pneumonie KHK mit chron. Ja LUP I.c) COVID-19 I.c) COVID-19 Herzinsuffizienz NYHA II Arterieller Hypertonus Diabetes mellitus Typ II Demenz 07 FD Gesundheit 21.12.2020 86 w I.a) Viruspneumonie I.a) Pneumonie Chron. Herzinsuffizienz Ja LUP I.c) COVID-19 I.c) COVID-19 Chron. Niereninsuffizienz 08 UMR ZIM 22.01.2021 74 m I.a) Sepsis I.a) Pneumonie Prostatakarzinom Ja I.c) COVID-19 I.c) COVID-19 Enzephalopathie 09 UMR ZIM 22.01.2021 79 w I.a) Sepsis I.a) Pneumonie Z. n. Kolonperforation bei Ja I.c) COVID-19 I.c) COVID-19 Divertikulitis 10 Bodden-Kliniken 26.01.2021 80 m I.a) St. aureus Sepsis I.a) Septisches MOV Z. n. Apoplexia cerebri Ja Ribnitz-Damgarten I.c) SARS-CoV-2-Infektion I.c) COVID-19 Femurfraktur links Arterieller Hypertonus Diabetes mellitus Typ II 11 UMR ZIM 27.01.2021 60 m I.a) ARDS I.a) Pneumonie Lungenfibrose Ja I.c) COVID-19 I.c) COVID-19 12 Gesundheitsamt 09.02.2021 81 w I.a) Pneumonie Zusatzuntersuchungen Diabetes mellitus Typ II Noch unklar Schwerin I.c) COVID-19 nicht abgeschlossen, keine Pneumonie 13 UMR ZIM 10.02.2021 67 m I.a) MOV I.a) MOV Diabetes mellitus Typ II Ja I.c) COVID-19 I.c) COVID-19 14 UMR ZIM 10.02.2021 79 m I.a) Resp. Insuffizienz Zusatzuntersuchungen Chron. Herzinsuffizienz Noch unklar I.c) COVID-19 nicht abgeschlossen Chron. Niereninsuffizienz 15 UMR ZIM 10.02.2021 67 m I.a) Lungenversagen Zusatzuntersuchungen Bullöses Lungenemphysem Noch unklar I.c) COVID-19 nicht abgeschlossen Ulcus duodeni Leberzirrhose 16 UMR ZIM 15.02.2021 66 m I.a) Urosepsis I.a) Eitrige Peritonitis Generalisierte Nein I.c) Harnleiterschienen bei I.c) Rez. Harnstauung Arteriosklerose rez. Harnstauung (unter Verwendung klin. Chron. Herzinsuffizienz Angaben) 17 Gesundheitsamt 18.02.2021 65 m I.a) Pneumonie Zusatzuntersuchungen Met. Bronchialkarzinom Noch unklar Rostock I.c) COVID-19 nicht abgeschlossen Chron. Lungenemphysem * Kausalitätsbewertung nach dem Sozialrecht (Die Annahme eines Kausalzusammenhanges ist berechtigt, wenn mehr Argumente dafür als dagegen sprechen.) Abkürzungen der Auftraggeber: UMR ZIM - Universitätsmedizin Rostock Zentrum für Innere Medizin FD Gesundheit LUP - Fachdienst Gesundheit Landkreis Ludwigslust-Parchim StA - Staatsanwaltschaft Seite 126 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Abb. 1: Schnitt durch die rechte Lunge vor Formalinfixierung. Abb. 2: Schnitt durch die rechte Lunge nach Formalinfixierung. Makroskopisch sichtbare schwere pneumonische Veränderungen Makroskopisch sichtbare schwere pneumonische Veränderungen (helle Areale - Fall 13). (helle Areale - Fall 13). sem Zeitpunkt in Mecklenburg-Vorpommern registrierten 2 Fällen lediglich ein Diabetes mellitus Typ II bekannt gewe- 695 Infektionen. Bis zum 18. November 2020 verstarben in sen war [Tab. 1]. In zwei der 10 Fälle wurde neben einer Mecklenburg-Vorpommern 47 Personen bei 4789 registrier- schweren Pneumonie auch eine Lungenthrombembolie fest- ten SARS-CoV-2-Infektionen. Ein maßgeblicher Inzidenzan- gestellt (Abb. 1-3). stieg („2. Welle“) nach dem ersten „Lockdown“ und darauf- hin erfolgten Lockerungen war ab der zweiten Oktoberwo- Diskussion che zu verzeichnen [8]. Nach Beginn der „2. Welle“ wurden in den drei folgenden Monaten bis zum 18. Februar 2021 Die im März 2020 vom RKI ausgesprochene Empfehlung in 17 Sektionsaufträge registriert und durchgeführt. Das sind Bezug auf Autopsien in Verbindung mit der neuen Infekti- 2,5 % der bis zum 18. Februar 2021 in Mecklenburg-Vor- onskrankheit COVID-19 war fehlerhaft. Das Infektions- pommern in Verbindung mit einer SARS-CoV-2-Infektion schutzgesetz und das Bestattungsgesetz Mecklenburg-Vor- verstorbenen 680 Personen [8]. pommerns sind neben der Strafprozessordnung die rechtli- Dabei kamen mit 9 Anmeldungen die meisten Aufträge aus chen Grundlagen für die Obduktionen. In der Zwischenzeit dem Zentrum für Innere Medizin der Universitätsmedizin hat sich das Wissen über diese Erkrankung auch aufgrund Rostock, gefolgt von 4 Aufträgen durch den Fachdienst Ge- durchgeführter Obduktionen erheblich vermehrt. sundheit des Landkreises Ludwigslust-Parchim. Die Obduktionen wurden in Rostock oder Schwerin von Mitarbeitern des Instituts für Rechtsmedizin durchgeführt. Die histologischen Untersuchungen erfolgten/erfolgen durch Mitarbeiter des Instituts für Pathologie der Universi- tätsmedizin Rostock. Das Durchschnittsalter der Verstorbenen betrug 74,2 Jahre (Altersspanne: 60-86 Jahre). Das männliche Geschlecht war bei den Obduktionen im Verhältnis 11:6 häufiger betroffen. Von den 17 Fällen lagen in 13 Fällen die Ergebnisse über die Todesursache zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung vor. Von diesen 13 Fällen fanden sich in 3 Fällen (23,1 %) Todes- ursachen, die nicht in einem kausalen Zusammenhang mit der zuvor bestätigten SARS-CoV-2-Infektion standen. In den 10 (76,9 %) Sterbefällen mit einer Kausalität wurde eine Pneumonie und in 2 Fällen zusätzlich ein finales Multiorgan- versagen als Todesursache festgestellt. In allen Sterbefällen fanden sich vorbestehende Erkrankungen, wenngleich in AUSGABE 4/2021 31. JAHRGANG Seite 127
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG native Todesursache festgestellt. Die verbliebenen 69 (86,2 %) Verstorbenen waren entweder definitiv oder mit überwiegender Wahrscheinlichkeit an Covid-19 verstorben. Schwere Vorerkrankungen wiesen 78 (97,5 %) der 80 Ham- burger Fälle auf. Dabei dominierten Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems (85 %) vor Lungenerkrankungen (55 %), Erkrankungen des zentralen Nervensystems (35 %) und Nierenerkrankungen (34 %). Diabetes mellitus war bei den Rostocker Fällen mit 35,3 % etwas häufiger vertreten als in der Hamburger Studie (22 %) [9, 10]. Zusammenfassung Obduktionen von Verstorbenen mit einer SARS-CoV-2-In- fektion können zum Verständnis der neuen Infektions- krankheit und der Ursachen der schweren Verläufe beitra- gen. Weiterhin sind Obduktionen essentiell für die Beant- wortung der Frage, ob eine betroffene Person „mit oder an“ der neuen Viruserkrankung verstorben ist. Die ersten Ergebnisse der Rostocker Studie stützen die in der Fachlite- ratur bereits vorliegenden Erkenntnisse über schwere Ver- Abb. 3: Freipräparierter Thrombus in einer Lungenarterie (Fall 13) läufe bei COVID-19. Auch wenn die Gesamtzahl der Rosto- cker Fälle im Vergleich mit Hamburg und in Relation zur Anzahl der Verstorbenen in Mecklenburg-Vorpommern Eine durchgeführte fernmündliche Recherche in Mecklen- gering erscheint, so ist jeder Beitrag zum Nationalen Netz- burg-Vorpommern, bei der nicht alle obduzierenden Insti- werk der Universitätsmedizin zu COVID-19 relevant und nur tute/Ärzte erreicht wurden bzw. keine Rückmeldung erfolg- durch derartige Untersuchungen können gegebenenfalls te, ergab, dass Verstorbene mit einer SARS-CoV-2-Infektion regionale Besonderheiten, z. B. aufgrund der unterschiedli- in Mecklenburg-Vorpommern bisher nicht nur an der Uni- chen Altersstruktur der Bevölkerung, entdeckt werden. versitätsmedizin Rostock obduziert wurden. Neben Rostock untersuchte auch das Institut für Pathologie der Universi- Die Ergebnisse der Rostocker Studie werden in das von der tätsmedizin Greifswald 17 Verstorbene mit einer SARS-CoV- Uniklinik RWTH in Aachen geführte zentrale deutsche Re- 2-Infektion. Einen weiteren Fall steuerte das Institut für gister der Obduktionen von an COVID-19 Verstorbenen Pathologie der Helios Kliniken aus Schwerin bei. Somit gab fortlaufend eingefügt (DeReCOVID, Code Nr. CTC-A 20-096, es in Mecklenburg-Vorpommern mit dem Stand vom 18. Fe- Projektleiter Univ.-Prof. Dr. med. Ph.D. Peter Boor). Das bruar 2021 eine Obduktionsrate, bezogen auf die 680 regis- Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt trierten Verstorbenen, von mindestens 5,1 %. auch die Universitätsmedizin Rostock im Rahmen des Deutschen Forschungsnetzwerks Autopsien bei Pandemien Die meisten Obduktionsergebnisse über Verstorbene mit DEFEAT PANDEMIcs. Covid-19 in Deutschland hat bisher das Institut für Rechts- medizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf vor- gestellt. In einer Übersicht von 80 Obduktionen in der Zeit Literatur beim Autor: der „1. Welle“ sind die Ergebnisse vergleichbar mit den Ros- Korrespondenzadresse: tocker Fällen. Die Verstorbenen der Hamburger Studie wa- Prof. Dr. med. Fred Zack ren zwischen 52 und 96 Jahre alt (Durchschnittsalter: 79,2 Institut für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Rostock Jahre) und auch hier war das männliche Geschlecht mit 46 St.-Georg-Str. 108 Fällen (57,5 %) häufiger betroffen. Bei den Todesursachen 18055 Rostock dominierten Pneumonien (69 %). In 8 Fällen (10 %) war die E-Mail: fred.zack@med.uni-rostock.de Pneumonie kombiniert mit einer fulminanten Lungen- thrombembolie. In 4 der 80 Fälle wurde eine Todesursache festgestellt, die nicht kausal zur Sars-CoV-2-Infektion war und in 7 weiteren Fällen wurde neben Covid-19 eine alter- Seite 128 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
LESERBRIEF Mitgliedermagazin 2021 der Ärzteversorgung Mecklenburg-Vorpommern Wie jeder Arzt in MV und eben auch jeder ärztliche Rentner Die eigentliche Zielgruppe sind die jungen Kollegen (und erhielt ich vor wenigen Tagen das Mitgliedermagazin der auch viele der gestandenen), die zuweilen dazu neigen, nur Ärzteversorgung 2021. die eine Seite der Medaille zu sehen – die monatlichen Ab- Eine solcherart komprimierte und dennoch in allen Einzel- gaben an das Versorgungswerk, und dies auch noch mehr heiten informative und stimmige Übersicht habe ich bislang oder weniger zwangsweise. Die dazu neigen, die Errungen- selten in den Händen gehabt. schaft einer funktionierenden Selbstverwaltung, die sie zu Privilegierten der Gesellschaft macht, infrage zu stellen und Es beginnt mit einem äußerst knappen und klaren Vorwort sie mit staatlichen Repressalien gleichzusetzen. Das Ergeb- der Vorsitzenden Dr. Liane Hauk-Westerhoff. Kein Wort zu nis ist oft im besten Falle Desinteresse – zuweilen jedoch viel. Und so geht es Seite um Seite weiter. Alles klar formu- sogar verschwörungsartige Mythenbildungen. liert und nirgendwo ermüdend. Selbst ein alternder Kopf kann das Heft in einem Zug lesen und verstehen. Da solche nicht selten anzutreffenden Einstellungen das ge- Obwohl ich viele Jahre Kammerversammlungsmitglied war samte System der ärztlichen Selbstverwaltung betreffen, und sehr interessiert an berufspolitischen Fragen bin, konn- wäre es wünschenswert, dass ähnliche Magazine über das te auch ich noch manch interessantes Detail für mich ent Wesen der Ärztekammer und das der Kassenärztlichen Ver- decken. einigung entstehen könnten. In der gleichen Knappheit, Aber die Zielgruppe für dieses Heft sind eigentlich nicht die Sachlichkeit und Klarheit. Alten, die glücklichen Nutznießer der Ärzteversorgung. Dr. Thomas Müller, Waren AUSGABE 4/2021 31. JAHRGANG Seite 129
JUNGE ÄRZTE Keine Angst vor dem Unbekannten Der Wechsel von der stationären in die ambulante Versorgung Wir schreiben das Jahr 2016, ich gehe dorthin, wo noch nie lauf des Aufenthalts. Am- zuvor ein Mensch… stopp, ok, so abenteuerlich war der bulant wartete man Wo- Wechsel von dem stationären Teil meiner Facharztweiterbil- chen oder gar Monate dar- dung in den ambulanten Teil natürlich nicht. Und wenn, auf. Das gleiche galt für Schnittbilddiagnostik. Das war zu- dann nur für mich. nächst ungewohnt. Im Verlauf lernte ich, mich mehr auf die zuvor erworbenen Untersuchungstechniken zu verlassen, Ich war im 4. Jahr meiner Facharztweiterbildung Allgemein- als immer gleich die Technik zu bemühen. Für mich als tech- medizin und es begann für mich der letzte 18 Monate um- nikaffine Jungärztin eine ungewohnte Rückbesinnung auf fassende Abschnitt der ambulanten Versorgung. ganz ursprüngliche Methoden. Ich hatte Erfahrungen in der Inneren und Chirurgie gesam- Ein anderes Thema war für mich – wann weise ich ein? In melt, in der Dermatologie spannende Hautbefunde gese- der Klinik sah man ja immer die schweren Fälle. Aber wann hen, in der HNO, Orthopädie und Anästhesie meine Frau wurde aus einem normalen Krankheitsverlauf ein schwerer, gestanden. Was mich erwartete, kannte ich aus Famulatu- der eine Hospitalisierung erforderte? Mir fehlte anfangs ren. Dachte ich. tatsächlich die Erfahrung mit blanden Verläufen. Und der Mut für eine zuwartende Behandlung. Ich hatte eine nette kleine Hausarztpraxis gefunden. Der erste Tag – vor der Tür warteten schon viele Leute – drinnen Oh und das Patientenaufkommen. In den Ambulanzen der wurde ich per Handschlag begrüßt, bekam eine Einführung, Klinik lief es meist so: ich sehe einen Patienten, es folgen einen Arbeitsplatz und dann war ich auch schon mitten drin Anamnese, Untersuchung, ggf. ergänzende Diagnostik, statt nur dabei. dann Kasusvorstellung beim Stations-/Oberarzt und zusam- men werden Diagnose und Therapie erörtert. Das konnte Mein erster Patient – jung, mit typischen Symptomen eines schon etwas dauern. Jetzt musste es zack zack gehen. Wenn Magen-Darm-Infekts. Uff. In der Klinik sah man höchstens ich zu lange brauchte, staute es sich vor der Tür. Und die die schweren Verläufe. Da bekamen die Patienten eine Patienten wollten gleich eine Diagnose. „Kommen die Blutabnahme, Antiemetika und eine parenterale Flüssig- Bauchschmerzen von einem Infekt? Oder doch von einem keitssubstitution. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass Krebs? Wie lange dauert das? Was kann ich da nehmen?“ dieser Patient exsikkiert war. Ja, wie lief das hier ambulant War ich es bisher gewohnt, solche Dinge mit einem Vorge- eigentlich? Sollte ich aus Vorsicht und ärztlicher Sorgfalts- setzten zu diskutieren, wollten die Patienten es direkt er- pflicht eine Blutentnahme veranlassen? Konnte man hier läutert haben. Anamnese, Befund, Diagnose und Therapie gegebenenfalls überhaupt einen Tropf geben? Was konnte im fünf Minuten-Takt. Und das natürlich alles fehlerfrei und man auf Rezept verordnen und wie ging das mit diesem emphatisch. Fließbandarbeit in der Hausarztpraxis. Das Betriebssystem überhaupt? Und wie lange schreibt man stresste mich zu Beginn. krank? Muss eine Verlaufskontrolle erfolgen? Ok, Rückspra- che mit dem Chef – oh man, hier lief der Hase dann doch Und man sah den gleichen Patienten häufiger. Im Guten wie ganz anders. im Schlechten. Während man in der Klinik gute Chancen hatte, dass der unangenehme, anstrengende, fordernde Was mich zu Beginn oft verunsicherte, waren die einge- Patient beim nächsten Mal auf einen anderen Kollegen traf, schränkten Möglichkeiten der Diagnostik. Zum Beispiel be- gab es diese Möglichkeit hier nicht. kam man die Ergebnisse einer Blutentnahme erst am nächs- ten Tag. Am nächsten Tag! Wie sollte ich so eine zeitnahe Die Tücken der Rezeptierung, Heil- und Hilfsmittelverord- Therapieentscheidung treffen? Ich fühlte mich auf einem nung sind ein Thema für sich, das mir auch heute noch den Auge blind. einen oder anderen Aha-Moment beschert. Oder fachfremde Diagnostik. Wollte man in der Klinik für Das hört sich irgendwie stressig und wenig erstrebenswert den Patienten ein Echo haben, bekam er dies meist im Ver- an? Nein. Denn man gewöhnt sich ein. Man lernt dazu. Seite 130 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
JUNGE ÄRZTE Aber das braucht Zeit – Rom wurde nicht an einem Tag begleitetest und mich durchaus auch mal Fehler machen lie- erbaut und auch Weltraummissionen umfassen mehrere ßest. Vor allem aber, Danke für die vielen Gespräche und Jahre. dein stets offenes Ohr. Ohne Euch, hätte ich die Stürme des Die Schwestern zeigten mir mit einer schier unendlichen vergangen Jahres wohl nicht überstanden. Nachsicht den Umgang mit dem Betriebssystem und dass ich ihre Kreise nicht zu stören habe (Blutabnahmen sind ambu- Wenke Burghardt für die Jungen Ärzte lant KEINE Arztsache). Der Chef erwies sich als geduldiger FA Allgemeinmedizin Rostock Mentor und Quell umfangreichen Wissens, der aber auch bereit war, sich von einer jungen Kollegin etwas Neues bei- bringen zu lassen. Mir halfen vor allem die Leitlinien sehr, mich im Dickicht der Diagnosen und stadiengerechten Therapien zurechtzufin- den. Mittlerweile liebe ich Scores wie den CURB-65, um z. B. die Dringlichkeit einer Hospitalisierung bei ambulant erworbenen Pneumonien einzuschätzen. Ich habe gelernt, welche Diagnostik ich für meine Arbeit wirklich brauche, welche auch mal verzichtbar und welche für den Patienten im Einzelfall auch nicht mehr zumutbar ist (ambulante Koloskopien bei hochbetagten Patienten). Ich bin schneller geworden, da sich viele Krankheitsbilder wiederholen und ich mir ein standardisiertes Vorgehen er- arbeitet habe. Ein wichtiger Aspekt: Erfahrung. Ich bin sicherer im Um- gang mit vielen Krankheitsbildern und Patiententypen ge- worden und habe auch gelernt, dass manchmal weniger eben doch Mehr ist. Und ich bin sicher, ich habe noch lange nicht ausgelernt „Dies diem docet“. Ein noch wichtigerer Aspekt: Geduld. Ich bin ein eher im- pulsiver Mensch. Es braucht Geduld für die Patienten, Ge- duld mit sich (nicht hektisch werden bei hohem Patienten- aufkommen!) und manchmal eben auch Geduld bei protra- hierten aber nicht dramatischen Krankheitsverläufen (keine Überdiagnostik/-therapie!). Ich profitiere davon, meine Patientinnen und Patienten bes- ser zu kennen und zu wissen, dass Frau X wirklich nur kommt, wenn es ernst ist, während Herr Z häufig Ängste hat, welche mit einem guten Gespräch zu bessern sind. Ich bin dankbar, wenn ich einen Patienten nach vielen Jahren der Betreuung auch in seiner letzten Lebensphase begleiten darf, so dass sich ein Leben in Würde vollendet. Und ich freue mich über Plätzchen, die uns Patienten zu Weihnach- ten bringen, weil sie uns zeigen, dass wir gute Arbeit leisten. Aber das Beste, was mir durch den Wechsel in die ambulan- te Versorgung passiert ist: Ich wurde in ein wunderbares Team aufgenommen. Diese Leute sehe ich quasi häufiger als meine Familie. Danke an Diana und Sophia für die Leichtig- keit Eurer Zusammenarbeit, die besonnene Kritik und vor allem das gemeinsame Lachen. Danke Gerd, dass Du mit Geduld und Augenzwinkern meine Schritte zum Facharzt AUSGABE 4/2021 31. JAHRGANG Seite 131
AKTUELLES Fallbericht über einen SARS-CoV-2-Ausbruch in einem Schweriner Seniorenheim Gerit Hübner, Rico Badenschier1 Wir berichten über einen SARS-CoV-2-Ausbruch in einem Bei der Suche der Infektionsquelle wurde ermittelt, dass Be- Schweriner Seniorenheim beginnend am 04.02.2021. wohnerin B5 sich vom 22.01. bis zum 25.01.2021 während eines Ausbruchsgeschehens in stationärer Krankenhausbe- Infektionsgeschehen handlung befand. Jeweils ein PoC-Schnelltest am Tag der Entlassung, am 03.02. und am 08.02., waren negativ. Die Am 04.02.2021 wurde eine Beschäftigte (MA14) des Senio- betreffende Bewohnerin war immobil und nach Rückverle- renheims mittels PCR positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Acht gung aus dem Krankenhaus von anderen Bewohnern sepa- Beschäftigte (MA15 - MA23) wurden als KP I identifiziert riert. Die pflegerische Versorgung erfolgte nach Angaben und mit einer Quarantäne belegt. In den Folgetagen haben der Einrichtungsleitung zu jeder Zeit unter adäquater sich aus der Quarantäne heraus acht dieser Personen einer Schutzausrüstung des Personals. PCR-Testung unterzogen: am 08.02.2021 zwei Beschäftigte (MA15 und MA16) mit positivem Ergebnis, am 09.02.2021 Die übrigen Bewohner und Beschäftigten hatten nach den drei Beschäftigte (MA18, MA21 und MA22) mit positivem Ermittlungen der zuständigen Gesundheitsämter keine Ergebnis und am 11.02. (MA20 positiv, MA17 negativ). Bei Kontakte zu Infektionsclustern in den 14 Tagen vor dem MA19 traten in der Quarantäne am 09.02.2021 mit CO- Ausbruch. VID-19 vereinbare Symptome auf, die behandelnde Haus- ärztin lehnte nach Auskunft der Beschäftigten eine PCR- Die Landeshauptstadt Schwerin war während des gesamten Testung zunächst ab. Eine Testung am 16.02.2021 ergab ei- Zeitraumes des Ausbruchs Risikogebiet. Das Geschehen in nen positiven Befund. der Landeshauptstadt wird von der zuständigen Behörde als diffus eingeschätzt. Die Inzidenz betrug am 04.02.2021 Unterdessen wurden nach Screening mit Schnelltests in der 102,4 Fälle, am 16.02.2021 85,7 Fälle und am 25.02.2021 73,2 Einrichtung gezielte PCR-Nachtestungen mit positiven Er- Fälle pro 100.000 Einwohner pro Woche (eigene Daten). gebnissen durchgeführt: am 08.02. wurde eine Bewohnerin (B5) sowie am 09.02. drei Bewohnerinnen (B10, B16 und B28) positiv getestet. Impfstatus Daraufhin wurden am 10.02.2021 eine Quarantäne über In der Einrichtung wurde allen Bewohner und Beschäftigten den Wohnbereich verfügt und eine PCR-Testung aller Be- eine Impfung mit dem BioNTech-Impfstoff Comirnaty® an- wohner und Beschäftigten für den 11.02.2021 terminiert. geboten. Am 28.12.2020 wurde die Erstimpfung 23 der 29 Dabei ergaben sich zwei weitere positive Befunde unter Bewohner und 10 der 22 Beschäftigten verabreicht. Am den Bewohnerinnen (B12 und B19), kein weiterer positiver 18.01.2021 wurde die Zweitdosis allen 33 Erstgeimpften ver- Befund unter den Beschäftigten. Am 24.02.2021 wurden vor abreicht. Zwei Bewohnerinnen (B2 und B10) erhielten zu Beendigung der Isolation erneut die bis dahin nicht infizier- diesem Zeitpunkt die Erstimpfung. ten Bewohner*innen mittels PCR getestet, mit einem posi- tiven Ergebnis bei B14 und sonst negativen Ergebnissen. Damit haben zum Zeitpunkt des ersten Nachweises einer SARS-CoV-2-Infektion 23 von 29 (79,3%) der Bewohner*in Insgesamt sind sieben Bewohner und acht Beschäftigte po- nen einen vollständigen, zwei von 29 (6,9%) einen teilwei- sitiv auf SARS-CoV-2 getestet worden. Eine Bewohnerin sen, vier von 29 (13,8) keinen Impfschutz. Zehn von 22 (B29) ist am 10.02.2021 verstorben, ohne das eine PCR-Tes- (45,5%) Beschäftigten haben einen vollständigen, zwölf tung durchgeführt werden konnte. von 22 (55,5%) keinen Impfschutz. Eine Übersicht über die Infektionsnachweise und die durch- 1 Gerit Hübner, Dr. Rico Badenschier, Gesundheitsamt der Landeshauptstadt Schwerin, Am Packhof 2-6, 19053 Schwerin geführten Impfungen zeigt folgende Tabelle. Seite 132 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
AKTUELLES Name Impfstatus PCR Test Ergebnis (Datum B24 geimpft negativ (28.12./18.01.) wenn nicht 11.02.2021) B25 geimpft negativ MA 1 geimpft negativ B26 geimpft negativ MA 2 geimpft negativ B27 geimpft negativ MA 3 nein negativ B28 geimpft positiv 09.02.2021 MA 4 geimpft negativ B29 nein verstorben 10.02.2021 MA 5 geimpft negativ MA = Mitarbeiter, B = Bewohner MA 6 geimpft negativ MA 7 nein negativ MA 8 nein negativ Die Zusammenschau von Impfstatus und Testergebnis ergibt MA 9 geimpft negativ folgendes Bild. Die positiv getesteten Beschäftigten waren MA 10 geimpft negativ sämtlich nicht geimpft worden. MA 11 nein negativ Die vier nicht geimpften Bewohnerinnen sind sämtlich po- MA 12 geimpft negativ sitiv getestet worden. Von den beiden Bewohnerinnen, wel- MA 13 geimpft negativ che am 18.01.2021 die erste Impfung erhalten hatten, ist MA 14 nein positiv 04.02.21 eine positiv getestet worden. Von den 24 geimpften Be- wohner sind drei positiv getestet worden. MA 15 nein positiv 08.02.21 MA 16 nein positiv 08.02.21 Die Korrelation zwischen Impfstatus und Infektion wurde MA 17 geimpft negativ mittels Fisher’s Exact Test (Konfidenzniveau p
AKTUELLES Krankheitsverlauf: diesen Gruppen sich mit der erwarteten Wirksamkeit des Impfstoffes gegen eine COVID-19-Erkrankung deckt und Am 16.02.2021 waren die Bewohnerinnen B10, B16 und B28 diese Personen also nicht nur nicht erkrankten, sondern sich symptomfrei, B12 litt an leichtem Husten, B5 und B19 wa- auch nicht infizierten. ren mit Pneumonien schwer erkrankt. B5 verstarb am Die Gruppe des Personal ist in Bezug auf das Kriterium Kon- 20.02.2021. taktperson nicht homogen, so dass hier ein Zusammenhang zwischen Impfstatus und Infektion nicht untersucht werden Diskussion: konnte. Acht von 22 Beschäftigten, die sich trotz Schutz- maßnahmen infizierten, waren sämtlich nicht geimpft. Der Eintrag des Virus in die Einrichtung ist nicht sicher nach- vollziehbar. Wahrscheinlich ist der Eintrag durch MA5 vor Ergebnis: Das Ausbruchsgeschehen in diesem Schweriner dem 04.02.2021. Die infektiöse Phase ist bei Symptombe- Seniorenheim belegt die Wirksamkeit der Impfungen mit ginn am 03.02. dann vom 01.02. bis zum 02.02., also an Tag dem Impfstoff Comirnaty® und unterstreicht die Notwen- 14 bis 16 nach Zweitimpfung (bzw. nach Erstimpfung der B2 digkeit, die Impfkampagne schnell und umfassend durchzu- und B10) anzunehmen. führen. Insbesondere zeigen sich Hinweise, dass auch die Die zweite Möglichkeit ist der Eintrag durch B5 nach Entlas- Übertragung des Virus durch die Impfungen verhindert sung aus der Klinik. Unter Beachtung der Latenzphase von wird. drei Tagen müsste eine Infektion der MA5 vor dem 01.02. Die Impfbereitschaft lag unter den Bewohner bei 79,3% erfolgt sein. Der Zeitraum liegt also zwischen sieben und 13 und unter den Beschäftigten bei 45,5%. Tagen nach der Zweitimpfung. Es liegen jedoch negative Antigentests dieser Bewohnerin vor. Dr. Rico Badenschier Landeshauptstadt Schwerin Die Infektion trifft den Wohnbereich und die Beschäftigten Fachdienst Gesundheit also zwischen dem 7. und 16. Tag nach Zweitimpfung. Zu Am Packhof 2-6, 19053 Schwerin diesem Zeitpunkt bestand bei 23 der 29 Bewohner (79,3%) der „volle“ Impfschutz, d.h. sie sind zu 94,6% vor einer Er- krankung an COVID-19 geschützt 2. Bei zwei Bewohnerinnen 2 Mitteilung der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut. Be- schluss der STIKO für die Empfehlung der COVID-19-Impfung und die dazu- ist 7 bis 13 Tage nach der Impfung ein Impfschutz von 52,4 gehörige wissenschaftliche Begründung. Epidemiologisches Bulletin 2/2021. 14. Januar 2021 (online vorab). Verfügbar unter: https://www.rki. - 92,6% anzunehmen2. vier Bewohnerinnen traf der Virus de / DE/ Content / Infekt / EpidBull /Archiv /2021/Ausgaben / 02_ 21.pdf?_ _ naiv. Wir beobachten, dass der Nachweis einer Infektion in blob=publicationFile (als Fußnote) AUS DER SCHLICHTUNGSSTELLE Verzögerte Diagnose einer Extrauterin- gravidität – Befunderhebungsmangel führte zu Beweislastumkehr Aus der Praxis der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern Kasuistik Bei einer 29-jährigen Patientin war die letzte Regelblutung am 20. Januar erfolgt und im nächsten Monat ausgeblieben. Ein In einem Schlichtungsverfahren war die Betreuung einer Pati- Besuch bei der betreuenden Gynäkologin am 29. Februar er- entin mit einer Extrauteringravidität zu prüfen. Durch Ver- gab eine Schwangerschaft der 6. Woche. Der Untersuchungs- säumnisse der niedergelassenen Gynäkologin und der Klinik befund einschließlich Sonographie war unauffällig, der war es zu einer Verzögerung der Diagnose gekommen. ß-HCG-Wert betrug 730,5 U/l. Bei der nächsten Untersuchung Seite 134 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
AUS DER SCHLICHTUNGSSTELLE am 3. März, der 7. Schwangerschaftswoche, gab die Patientin fand sich dort eine etwa 3 x 6 cm große Raumforderung. Die Übelkeit und Bauchschmerzen an. Der ß-HCG-Wert war auf Diagnose lautete: Adnexitis, DD Extrauteringravidität DD ret- 1279,0 U/I angestiegen. Körperliche Schonung wurde empfoh- rograde Menstruation. Der ß-HCG-Wert um 18.47 Uhr betrug len. Fünf Tage später, am 8. März, war sonographisch keine 10643,0 U/l. Um 21.10 Uhr wurde zunächst eine Kürettage vor- Schwangerschaft im Uterus erkennbar. Unter der Verdachtsdi- genommen, danach eine Laparoskopie, die eine rechtsseitige agnose Missed Abortion wurde die Patientin in die Klinik ein- rupturierte Eileiterschwangerschaft mit starker Blutung ergab. gewiesen. Dort wurde am folgenden Tag eine Saugkürettage Der Eileiter wurde entfernt und die Bauchhöhle gesäubert und mit anschließender Nachkürettage vorgenommen. Die Patien- gespült. Der Eingriff verlief komplikationslos. Die Kontrolle des tin wurde anschließend entlassen. Im Kurzbrief an die Gynäko- ß-HCG am 25. März ergab 1888,9 U/l. Am 27. März wurde die login wurde eine Ultraschallkontrolle in zehn Tagen empfoh- Patientin nach Hause entlassen, der Hb-Wert betrug 6,5 g/dl. len. Das fragliche Abortmaterial wurde zur histopathologi- schen Untersuchung eingeschickt. Der Befundbericht trägt als Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen Ausgangsdatum den 11. März. Darin heißt es: „Deziduaanteile im Abradatmaterial. Da plazentare Gewebsstrukturen nicht Die Patientin vermutet Behandlungsfehler ihrer Frauenärztin nachweisbar sind, müsste klinisch auch an die Möglichkeit ei- wie auch durch die Klinik. Die Eileiterschwangerschaft sei zu ner Extrauteringravidität gedacht werden.“ Der Bericht trägt spät erkannt worden, was zum Verlust des Eileiters geführt den handschriftlichen Zusatz: „Bitte um ß-HCG-Kontrolle“. Er habe. wurde am 14. März an die Praxis gefaxt. Am 16. März stellte sich die Patientin bei ihrer Frauenärztin vor. Die Untersuchung Stellungnahme der in Anspruch genommenen ergab eine Schmierblutung ex utero, die Adnexe waren palpa- Gynäkologin torisch frei. Sonographisch erschien das Cavum uteri nicht leer. Vermerkt ist: „Blutentnahme für ß-HCG notwendig“. Eine Die entscheidenden Behandlungen hätten in der Klinik statt- Blutentnahme wurde nicht durchgeführt. Die Patientin verließ gefunden. Bei der Nachuntersuchung sei der Patientin eine ohne neuen Termin die Praxis. Am 21. März traten starke Blutentnahme zur ß-HCG-Kontrolle empfohlen worden, was Bauchschmerzen auf. Die Patientin stellte sich in der Klinik vor. diese jedoch abgelehnt habe. Sogar ein Kontrolltermin sei ab- Die Untersuchung ergab druckschmerzhafte rechte Adnexe gelehnt worden. bei sonographisch regelrechtem Befund. Auf dem Laborblatt von 12.45 Uhr waren sämtliche Werte normal, jedoch betrug Stellungnahme der in Anspruch genommenen der ß-HCG-Wert 13275,0 U/l. Die Patientin wurde nach Hause Klinik entlassen und kam am 23. März um 18.10 Uhr wegen seit zwei Stunden bestehender heftigster Unterbauchschmerzen erneut Am 21. März sei der erhöhte ß-HCG-Wert im Zusammenhang in die Klinik. Es bestand eine regelstarke vaginale Blutung, der mit dem histologischen Befund und der unauffälligen Klinik rechte Adnexbereich war extrem druckdolent. Sonographisch als nicht so dringlich bewertet worden. Man sei davon ausge- AUSGABE 4/2021 31. JAHRGANG Seite 135
AUS DER SCHLICHTUNGSSTELLE gangen, dass die Patientin bei Zustandsverschlechterung so- den Voraussetzungen zu einer Umkehr der Beweislast zuguns- fort die Klinik aufsuchen würde. Für die Frage einer etwai- ten der Patientenseite: gen Haftungsverantwortung sei die zeitlich frühzeitigere 1. Es wurden Befunde nicht erhoben, die dem Standard ge- Behandlung durch die niedergelassene Frauenärztin zu be- mäß hätten erhoben werden müssen. rücksichtigen. Eine standardgerechte ß-HCG-Bestimmung hätten erfolgen müssen. Aufgrund der zeitnah erstellten Dokumentation Gutachten kann nicht von einer Weigerung der Patientin ausgegangen werden. Am 8. März sei von der niedergelassenen Gynäkologin die Di- 2. Bei standardgemäßer Untersuchung hätte man mit hinrei- agnose einer gestörten Schwangerschaft korrekt gestellt und chender Wahrscheinlichkeit einen abklärungs- bzw. be- die Patientin zur Therapie in die Klinik eingewiesen worden. handlungsbedürftigen Befund erkannt. Der Bundesge- Bei der Nachuntersuchung am 16. März nach der Abortküret- richtshof hat den Begriff „hinreichend“ nicht weiter defi- tage hätten zwar keine klinischen Anzeichen einer Extraute- niert. Die Oberlandesgerichte definieren das Maß aber, ringravidität vorgelegen. Die Gynäkologin habe jedoch den unwidersprochen vom Bundesgerichtshof, als überwiegen- histologischen Befund nicht beachtet. Sie hätte auf die drin- de Wahrscheinlichkeit, also mehr als 50 %. gende Notwendigkeit der ß-HCG-Bestimmung hinweisen und Aufgrund des weiteren Verlaufs kann davon ausgegangen bei Beschwerden die sofortige Vorstellung in der Klinik anra- werden, dass bei Durchführung dieser Maßnahmen die Di- ten müssen. Ein derartiges Gespräch sei in den Unterlagen agnose einer Extrauteringravidität gestellt worden wäre. nicht dokumentiert. Am 21. März hätte in der Klinik der Be- 3. Das Unterlassen der Behandlung in Kenntnis der richtigen fund zusammen mit der Histologie und dem stark erhöhten Diagnose würde eine erhebliche Standardunterschreitung ß-HCG-Wert den dringenden Verdacht auf eine Eileiter- und damit einen schweren Behandlungsfehler darstellen. schwangerschaft erwecken müssen. Eine Laparoskopie am 21. In Anbetracht der Risiken eines Fortschreitens einer unbe- März, spätestens am 22. März hätte die Konsequenz sein müs- handelten Extrauteringravidität würde das Unterlassen sen. Am 23. März hätte bereits bei der Aufnahmeuntersu- einer Operation einen schweren Behandlungsfehler dar- chung die Diagnose gestellt werden müssen. Es sei nicht er- stellen. klärlich, warum mit der Operation noch zwei Stunden abge- wartet worden sei. Ob bei einer frühzeitigeren Diagnose eine Vor dem Hintergrund der Beweislastumkehr reicht es für den tubenerhaltende Operation möglich gewesen wäre, sei nicht Kausalitätsnachweis aus, dass die zu unterstellende funda- eindeutig festzustellen. Die Schwangerschaftsrate nach Eilei- mentale Verkennung des zu erwartenden Befundes oder die terschwangerschaft betrage sowohl bei Tubenerhalt wie nach Nichtreaktion darauf generell geeignet ist, einen Schaden der Entfernung des Eileiters 40 bis 50 % tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen. Stellungnahme der Klinik zum Gutachten Als die Patientin am 21. März mit Beschwerden die Klinik auf- suchte, betrug der ß-HCG-Wert 13275,0 U/I. Ein zwölf Tage nach Der Kernvorwurf der verspäteten Behandlung sei der betreu- Abortkürettage derartig erhöhter Wert erforderte dringend enden Frauenärztin anzulasten. Bei der Untersuchung am 21. eine weitere Abklärung mittels Laparoskopie am selben Tag. März habe die Akte vom 9. März einschließlich Histologie Entsprechende Untersuchungen wurden nicht veranlasst, es nicht vorgelegen. Am 23. März sei die Laparoskopie erst um liegt ebenfalls ein Befunderhebungsmangel vor mit der Beweis- 21.10 Uhr erfolgt, weil die zuständige Oberärztin noch mit ei- lastumkehr zugunsten der Patientin. Als die Patientin am 23. ner anderen Operation beschäftigt gewesen sei. März mit einem hochakuten Krankheitsbild erneut in die Klinik kam, gab es keinen Zweifel an der Diagnose. Es bestand keine Bewertung der Haftungsfrage Notwendigkeit, andere Krankheitsbilder zu erwägen und die erforderliche Operation über Stunden hinauszuzögern. Die Schlichtungsstelle schloss sich dem Gutachten an. Bei der Nachuntersuchung am 16. März war der histologische Bericht Schaden mit dem Vermerk: „Bitte um HCG-Kontrolle“ in der Praxis be- reits vorhanden. Aufgrund der gesamten Befundkonstellation Die Beweislastumkehr bezieht sich im vorliegenden Fall auf war eine solche Kontrolle dringend notwendig. Die Praxisdo- folgenden primären und typischerweise damit verbundenen kumentation enthielt keinen Hinweis darauf, dass die Patien- sekundären Gesundheitsschaden: tin die Blutentnahme abgelehnt hätte. Die Unterlassung der Der Verlust des betroffenen Eileiters sowie vermehrte Be- ß-HCG-Bestimmung stellt einen Befunderhebungsmangel der schwerden für den Zeitraum vom ca. zwei Wochen sind als betreuenden Gynäkologin dar. Hier kommt es unter folgen- fehlerbedingt anzusehen. Seite 136 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
AUS DER SCHLICHTUNGSSTELLE Darüber hinaus gehende Gesundheitsschäden sind nicht auf gegangen wird, dass von Arztseite kein Grund für eine Mani- das fehlerhafte Vorgehen zurückzuführen. Insbesondere ist pulation bestand. Als zeitnah wird eine Dokumentation daher zur Fruchtbarkeit nach solchen Eingriffen keine sichere Aussa- u.a. dann bewertet, wenn zum Zeitpunkt der Erstellung noch ge möglich, die Schwangerschaftsrate liegt bei 40 bis 50%, keine Vorwürfe erhoben wurden oder mit ihnen noch nicht zu unabhängig davon, ob eine eileitererhaltende Operation oder rechnen war. Gesamtschuldnerschaft bedeutet nicht, dass die eine Entfernung des Eileiters durchgeführt wurde. Patientenseite den Schaden jeweils nur zur Hälfte ersetzen kann. Vielmehr kann der gesamte Anspruch gegen einen Für den entstandenen fehlerbedingten Gesundheitsschaden Schädiger durchgesetzt werden. Es erfolgt dann zwischen den haften das Krankenhaus und die niedergelassene Frauenärztin Schädigern ein Ausgleich im Innenverhältnis. In der Regel be- gesamtschuldnerisch. stehen grundsätzliche Vereinbarungen zur Quotelung zwi- schen den Haftpflichtversicherern. Fazit Verfasser: Die Diagnostik der Extrauteringravidität kann erhebliche Pro- Prof. Dr. med. Wolfgang Heidenreich bleme aufwerfen. Im Zweifelsfall – zum Beispiel bei fehlen- Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe dem Nachweis von Schwangerschaftsmaterial bei einer Abort- Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle kürettage – ist die ß-HCG-Bestimmung die wichtigste diagnos- tische Maßnahme. Christine Wohlers Aus rechtlicher Sicht ist auf die Bedeutung der zeitnah erstell- Rechtsanwältin der Schlichtungsstelle ten ärztlichen Dokumentation zu verweisen. Auch die Recht- für Arzthaftpflichtfragen sprechung legt diese in der Regel zugrunde, weil davon aus- der norddeutschen Ärztekammern AUSGABE 4/2021 31. JAHRGANG Seite 137
SERVICE FAQ zum eHBA – Teil 1 In dieser Rubrik möchten wir Ihnen weitere Informationen 3) Welche meiner Daten werden auf dem rund um den eHBA zur Verfügung stellen. Wir geben sehr oft elektronischen Arztausweis gespeichert? Auskunft im Zusammenhang mit folgenden Fragen: In den sogenannten Zertifikaten auf dem elektronischen Arztausweis werden folgende personenbezogene Daten ge- 1) Was benötige ich für die Beantragung speichert: eines eHBA? ■ vollständiger Name (Vorname(-n) und Nachname) Sie benötigen folgende Unterlagen, um ohne Unterbrechung ■ ggf. akademischer Grad/Titel Ihren eHBA zu beantragen: ■ Berufsgruppe „Ärztin/Arzt“ ■ das Schreiben der Ärztekammer mit der Vorgangsnummer, ■ Telematik-ID (eindeutige Nummer des Karteninhabers in damit Sie auf Ihren durch uns vorbefüllten Antrag online der Telematikinfrastruktur) zugreifen können (bitte vorher bei uns online über das Mit- ■ Optional: E-Mail-Adresse gliederportal der Ärztekammer M-V bestellen); ■ Einheitliche Fortbildungsnummer (EFN): wird nur optisch ■ Ihren Personalausweis und ggf. eine einfache Kopie davon auf die Karte gedruckt ■ ein Bild: es kann ein Passfoto, ein Bewerbungsfoto oder ein ■ Ausweisnummer, als sogenannte ICCSN (Integrated Circuit privates Foto vor einem hellen, ruhigen Hintergrund (weiße Card Serial Number) Wand, Tür o. Ä.) sein. Achtung! Das Bild muss digital abge- speichert sein, und zwar auf Ihrem PC/Tablet, von dem Sie Weiterhin wird dem Vertrauensdiensteanbieter die sogenann- die Beantragung durchführen wollen; te bundeseinheitliche Arztnummer (BAN) übermittelt. Diese ■ ggf. Kontodaten, wenn Sie für den Bezahlungsvorgang dient der sicheren und kammerübergreifenden Verwaltung nicht die Option Rechnung wählen; der Ausweise zwischen den Ärztekammern und den Anbie- ■ im Schnitt ca. 30 bis 40 Minuten Zeit, um in Ruhe den An- tern. Diese Nummer wird nicht im elektronischen Arztausweis trag abzuschließen. gespeichert oder aufgedruckt. Im Rahmen des Beantragungsprozesses erhebt der Anbieter 2) Ist mein Papierausweis bzw. einfacher Arztausweis ggf. weitere Daten, wie Geburtsdatum und -ort sowie die im Scheckkartenformat noch gültig, wenn ich den (Melde-)Adresse und Daten des vorgelegten amtlichen Aus- elektronischen Arztausweis habe? weisdokumentes zum Zwecke der sicheren Identifikation des Ja, Sie sind weiterhin berechtigt, einen einfachen Arztaus- antragstellenden Arztes. weis ohne elektronische Funktionen zu beantragen und zu nutzen. Es gibt aktuell keine gesetzlichen Regelungen, die Referat Meldewesen dies verbieten. Ärztekammer M-V KIM – für eine sichere Kommunikation im Gesundheitswesen Mit dem Kommunikationsdienst KIM können alle Akteure im durch KIM jede Nachricht und jedes Dokument verschlüsselt Gesundheitswesen schnell und vor allem sicher miteinander und erst beim Empfänger wieder entschlüsselt. Die sogenann- kommunizieren. Über die Anwendung der Telematikinfra- te Ende-zu-Ende-Verschlüsselung schützt Nachrichten vor dem struktur (TI) lassen sich vertrauliche Nachrichten, Daten und Zugriff von unbefugten Mitlesern sowie Fälschung oder Mani- weitere Dokumente wie Arztbriefe, Abrechnungen und elek- pulation. Nur registrierte Nutzer können KIM-Nachrichten tronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sektorenüber- empfangen. Der Empfänger kann zudem stets sicher sein, dass greifend versenden und empfangen. die Nachricht auch tatsächlich vom angegebenen Versender KIM funktioniert wie ein E-Mail-Programm. Es kann direkt stammt. Die Identität aller TI-Teilnehmer ist bestätigt und im über das Primärsystem mit E-Mail-Funktion oder ein Standard- Verzeichnisdienst der Telematikinfrastruktur hinterlegt – einer E-Mail-Programm wie Outlook oder Thunderbird genutzt wer- Art zentralem Adressbuch für das Gesundheitswesen. den. Im Vergleich zu herkömmlichen E-Mail-Programmen wird Die Ärztekammern befüllen und pflegen die Daten wie bei- Seite 138 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
Sie können auch lesen