4/2021 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN

 
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ÄRZTEBLATT
4/2021                             MECKLENBURG-VORPOMMERN

         Frühlingslicht in Waren                                           Foto: Dr. Th. Müller

                                      Klarstellung zur Begehung der Psychiatrie Rostock
                                     Erste Ergebnisse der Obduktionen der Verstorbenen,
                                                     die mit SARS-CoV-2 infiziert waren
                                          Fallbericht über einen SARS-CoV-2-Ausbruch
4/2021 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
Inhalt
Editorial                                                           124    Veranstaltungen und Kongresse
                                                                             Impfkurse in Mecklenburg-Vorpommern               141
Wissenschaft und Forschung
                                                                             Veranstaltungen der Ärztekammer M-V               141
  Erste Ergebninsse der Obduktionen der im
  Zusammenhang mit den SARS-CoV-2-Infektionen                                Veranstaltungen in unserem Kammerbereich          141
  Verstorbenen aus der Unimedizin Rostock                           125
                                                                           Geschichte der Medizin
Leserbrief
                                                                             Carl Ruge (1846–1926) – Begründer der
   Mitgliedermagazin 2021 der Ärzteversorgung                                Gynäko-Pathologie                                 144
   Mecklenburg-Vorpommern                                           129
                                                                             Nur Schädel in der Vitrine? Provenienzforschung
                                                                             in der außereuropäischen anthropologischen
Junge Ärzte in M-V
                                                                             Sammlung der Universätsmedizin Rostock            146
   Keine Angst vor dem Unbekannten                                  130
                                                                           Literarisch
Aktuelles
                                                                             Die Kiefer                                        150
   Fallbericht über einen SARS-CoV-2-Ausbruch
   in einem Schweriner Seniorenheim                                  132   Rezensionen
   Frau Prof. Dr. Chia-Jung Busch leitet die Klinik                          Für Sie gelesen                                   151
   für Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen                                139
                                                                           Geburtstage
  25 Jahre Lebertransplantationen an der
  Universitätsmedizin Rostock                                       140      Wir beglückwünschen                               153

                                                                             Impressum                                         153
Aus der Schlichtungsstelle
  Verzögerte Diagnose einer Extrauteringravidität –
  Befunderhebungsmangel führte zu
  Beweislastumkehr                                                  134

Service
   FAQ zum eHBA – Teil 1                                            138

   KIM – für eine sichere Kommunikation im
   Gesundheitswesen                                                 138

   Genderneutrale Sprache
   In der deutschen Sprache sind personenbezogene Pluralformen
   grundsätzlich geschlechtsneutral. Soweit singuläre Formen wie Arzt,
   Patient, Gast o.ä. aus Gründen der Flüssigkeit und besseren Lesbar-
   keit in den Texten des Ärzteblattes Mecklenburg Vorpommern ver-
   wendet werden, bezeichnen sie wie auch die Pluralformen in jedem
   Fall sowohl Personen des weiblichen wie des männlichen als auch
   eines möglichen dritten Geschlechts.
                                                         Die Redaktion

AUSGABE 4/2021 31. JAHRGANG                                                                                                    Seite 123
4/2021 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
EDITORIAL

     Liebe Kolleginnen und Kollegen,                                     Im Nachgang zu unserer Begehung haben wir viele Meldun-
                                                                         gen von ehemaligen Patientinnen und Patienten, ehemaligen
     die Kammerversammlung der Ärztekammer Mecklenburg-Vor-              und aktiven Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu diesen
     pommern fand am Samstag, den 20. März, in Rostock statt.            Sachverhalten bekommen. Nach Auswertung der Unterlagen
     Thematisch gab es einen weiten Bogen von der Pandemie über          und des Berichtes werden nun entsprechende juristische
     die geleistete Amtshilfe für den Oberbürgermeister der Hanse-       Schritte eingeleitet.
     stadt Rostock in Bezug auf seine Fachaufsicht im Rahmen des         Es ist dem Vorstand der Kammer wichtig klarzustellen, wie die
     Psych-KG (PsychKG), von der Impfhotline über das digitale Ver-      Begehung abgelaufen ist und was dort festgestellt wurde,
     sorgungs- und Pflegemodernisierungsgesetz (DVPMG) bis hin           eben weil die öffentliche Berichterstattung mit einer deplat-
     zur Gedenkstätte in Alt Rehse und der Novellierung der Fortbil-     zierten Rassismusdebatte ein völlig falsches Bild erzeugt hat.
     dungsordnung.                                                       Ein vom Ministerium erstelltes Gutachten zu dem ganzen Vor-
     Hinsichtlich der Amtshilfe für den Oberbürgermeister der Han-       gang ist der Kammer trotz wiederholter Anforderung nicht
     sestadt Rostock: Auf Grund vielfältiger Beschwerden von Pati-       zur Verfügung gestellt worden. Lediglich der Oberbürger-
     entinnen und Patienten, Ärztinnen und Ärzten sowie Mitarbei-        meister wurden in Kenntnis gesetzt, der Ostsee-Zeitung sowie
     terinnen und Mitarbeitern der Psychiatrie, aber auch von Seiten     der NNN liegen das Gutachten ebenfalls vor. Der von der Uni-
     der Justiz hat sich der Vorstand im November 2020 entschieden,      versitätsmedizin durch Privatgutachten erhobene Daten-
     die nach PsychKG zuständige Fachaufsicht, d.h. den Oberbür-         schutzverstoß ist durch den Landesdatenschutz in Abrede
     germeister der Hansestadt Rostock, zu kontaktieren. Nachdem         gestellt worden, da bei der Begehung keine Rechtsverstöße
     die Fakten vorgetragen worden sind, hat dieser uns die Frage        festgestellt werden konnten.
     gestellt, ob wir bei einer Begehung Amtshilfe leisten würden.       Über die anderen Beschlüsse wird detailliert berichtet.
     Daraufhin fand am nächsten Tag, geführt vom Leiter des Recht-
     samts, Dr.Zierau und der stellvertretenden Leiterin des Gesund-     Ich muss Ihnen lediglich noch die traurige Mitteilung machen,
     heitsamts, Frau Dr. Neuber, die Begehung der geschlossenen          dass der deutsche Ärztetag in Rostock, es wäre der dritte sei-
     Psychiatrie statt. Weiter waren anwesend: Dr. Maibaum als Vor-      ner Art gewesen nach 1905 und 2002, abgesagt wurde. Wir
     standsmitglied, Dr. Terpe als Mitglied des Bürgerschaftspräsidi-    haben zwei Jahre Vorbereitung getroffen. Es gab ein hervor-
     ums, Frau Kruse als juristische Mitarbeiterin der Rechtsabtei-      ragendes Hygienekonzept, was von der Bundesärztekammer,
     lung, Herr Rechtsanwalt Appel als Kammeranwalt und ich als          von der Hansestadt Rostock und vom Gesundheitsamt akzep-
     derjenige, der die Gespräche mit dem Oberbürgermeister ge-          tiert worden ist. Die Eröffnungsveranstaltung hätte unter ent-
     führt hat. Während der Begehung wurden Masken getragen              sprechenden Bedingungen in der Stadthalle stattgefunden,
     und die Corona-Regeln befolgt. Es wurden keine Fotografien          die Tagung in der Messehalle in Schmarl. Der Vorstand der
     von Patientinnen und Patienten angefertigt, keiner der Anwe-        Bundesärztekammer hat nach Abwägung aller Für und Wider
     senden wurde schikaniert, wie es in der Presse berichtet wurde.     in einer Onlinesitzung am 11. März 2021 beschlossen, den Ärz-
     Wir haben lediglich die anwesenden Ärztinnen und Ärzte nach         tetag nicht in Präsenz durchzuführen, um einem möglichen
     ihrem Berufsalltag und Berufsstatus befragt: Approbation oder       Hotspot durch Ärztinnen und Ärzte auf einem Ärztetag vor-
     Berufserlaubnis und Dauer der Tätigkeit in der Psychiatrie. Die-    zubeugen. Wir hatten uns mit Engagement „hineingekniet“
     se Begehung hat Tatsachen zu Tage gefördert, die mit den strik-     und haben bereits beantragt, einen der nächsten zur Verfü-
     ten Vorgaben des PsychKG nicht im Einklang stehen; u. a. nicht      gung stehenden Ärztetage in Mecklenburg-Vorpommern
     zulässiges Fixierungsmaterial. Dabei ging es gerade nicht um        durchzuführen.
     individuelle psychiatrische Behandlungen, sondern um die Ein-       Die Delegierten aus Mecklenburg-Vorpommern werden ge-
     haltung der gesetzlichen Vorgaben als Frage der Berufsaus-          meinsam den Online-Ärztetag, der nun am 4. und 5. Mai 2021
     übung. Danach bedarf die zwangsweise Unterbringung als              stattfindet, verfolgen, um sich über die Beschlüsse auszutau-
     Freiheit entziehende Maßnahme einer entsprechenden richter-         schen und entsprechende Beschlüsse gemeinsam stellen zu
     lichen Anordnung; diese muss auf dem ärztlichen Zeugnis eines       können.
     Arztes mit Erfahrung in der Psychiatrie beruhen. Nur dann ent-      Ich darf mich hier bei allen, die den Ärztetag vorbereitet ha-
     fällt die Strafbarkeit. Die gleichen Regeln gelten für die Fixie-   ben, sehr herzlich bedanken für die Mühewaltung.
     rung und die Zwangsmedikation. Das PsychKG erlaubt Eingriffe
     in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen bei Menschen,         Mit den besten Wünschen für ein schönes Frühjahr und einen
     die dringend auf Hilfe angewiesen sind. Das Bundesverfas-           schönen Sommer verbleibe ich
     sungsgericht stellt für die Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit der
     Grundrechtseingriffe sehr hohe Ansprüche, die ihren Nieder-         collegialiter
     schlag im PsychKG gefunden haben. Entsprechend hoch sind
     die Anforderungen an die psychiatrischen Kliniken.                  Ihr Andreas Crusius
                                                                                                                                          Foto: AdobeStock

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4/2021 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG

Erste Ergebnisse der Obduktionen der im
Zusammenhang mit den SARS-CoV-2-Infektio-
nen Verstorbenen aus der Unimedizin Rostock
Zack F1, Nigbur S1, Manhart J1, Derani H2, Boy D1, Port A1, Kolbe V1, Büttner A1

Hintergrund                                                    Ebenfalls im April 2020 bot das Institut für Rechtsmedizin
                                                               Rostock, unterstützt durch die Universitätsmedizin Rostock,
Im Dezember 2019 wurde in Wuhan, China, das erste Auf-         an, bei in Mecklenburg-Vorpommern Verstorbenen, die mit
treten einer neuen Infektionskrankheit mit einer Häufung       SARS-CoV-2 infiziert waren, kostenfrei Obduktionen durch-
schwerer Lungenentzündungen festgestellt [1]. Als Erreger      zuführen. Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Ge-
identifizierten chinesische Virologen das „severe acute res-   sundheit Mecklenburg-Vorpommern erklärte sich bereit, die
piratory syndrome coronavirus type 2“ (SARS-CoV-2), ein        anfallenden Transportkosten für die Bestattungsunterneh-
neues Beta-Coronavirus. Die Krankheit wurde Corona Virus       men, zunächst befristet, zu übernehmen. Über dieses Ange-
Disease 2019 (COVID-19) genannt [2]. In der Folgezeit ent-     bot informierte das genannte Ministerium in einem Schrei-
wickelte sich eine Pandemie. Die ersten Fälle in Deutschland   ben vom 23. April 2020 mit Beginn ab dem 1. Mai 2020 die
traten Ende Januar 2020 in Bayern auf. Bei einer Automobil-    Leiterinnen und Leiter der Gesundheitsämter bzw. Fach-
zulieferfirma hatte eine chinesische Mitarbeiterin bei einem   dienste Öffentlicher Gesundheitsdienst der Landkreise und
Meeting mehrere Kollegen infiziert [3].                        kreisfreien Städte. In dem Brief verwies der unterzeichnen-
                                                               de Mitarbeiter des Ministeriums auch auf § 25 Absatz 1 des
Obwohl es sich um eine neue Infektionskrankheit handelte,      Infektionsschutzgesetzes:
hieß es in den Empfehlungen des Robert Koch-Instituts vom      „Ergibt sich oder ist anzunehmen, dass jemand krank,
24. März 2020 u. a.: „Eine innere Leichenschau, Autopsien      krankheitsverdächtig, ansteckungsverdächtig oder Aus-
oder andere aerosolproduzierende Maßnahmen sollten ver-        scheider ist oder dass ein Verstorbener krank, krankheits-
mieden werden. Sind diese notwendig, sollten diese auf ein     verdächtig oder Ausscheider war, so stellt das Gesundheits-
Minimum beschränkt bleiben.“ Weiterhin gab das RKI auch        amt die erforderlichen Ermittlungen an, insbesondere über
den Hinweis, dass eine Krematoriumsleichenschau bei Vor-       Art, Ursache, Ansteckungsquelle und Ausbreitung der
liegen von COVID-19 ein zusätzliches Infektionsrisiko berge    Krankheit.“ [6].
und deshalb vor Durchführungen eine „strenge Nutzen-Ri-        Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
siko-Abwägung“ erfolgen solle [4, 5].                          unterstützt seit Oktober 2020 mit dem „Nationalen Netz-
Diese Empfehlungen führten zu erheblichen Bedenken bei         werk der Universitätsmedizin zu COVID-19“ die Forschungs-
verschiedenen Berufsverbänden, Fachgesellschaften und          aktivitäten in den deutschen Universitätskliniken zur Bewäl-
Kollegen. So formulierten die Präsidenten bzw. Vorsitzen-      tigung der aktuellen Pandemie. Dabei ist ein Schwerpunkt
den des Berufsverbands Deutscher Pathologen, des Berufs-       das Deutsche Forschungsnetzwerk Autopsien bei Pandemi-
verbands Deutscher Rechtsmediziner, der Deutschen Gesell-      en DEFEAT PANDEMIcs [7].
schaft für Pathologie und der Deutschen Gesellschaft für
Rechtsmedizin jeweils am 3. April 2020 in offenen Briefen      Ergebnisse
ihre überwiegend gegenteiligen Auffassungen [4, 5].
Danach nahm das RKI die genannten Empfehlungen ohne            Vom 1. Mai bis zum 18. November 2020 wurden keine Ob-
Kommentar von ihren Seiten.                                    duktionen von Verstorbenen, die mit SARS-CoV-2 infiziert
Seit April 2020 wurde am Institut für Pathologie der Unikli-   waren, im Institut für Rechtsmedizin der Universitätsmedi-
nik RWTH Aachen ein zentrales Register der Obduktionen         zin Rostock angemeldet. Den täglichen Lageberichten des
von an COVID-19 Verstorbenen aufgebaut.                        Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGuS) Mecklen-
                                                               burg-Vorpommern zufolge verstarben bis zum 1. Mai 2020
                                                               18 Personen mit oder an den Folgen einer Sars-CoV-2-Infek-
1
    Institut für Rechtsmedizin, Universitätsmedizin Rostock
2
    Institut für Pathologie, Universitätsmedizin Rostock       tion. Dies entsprach einer Letalität von 2,6 % der bis zu die-

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4/2021 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG

    Tab. 1: Übersicht der an der Universitätsmedizin Rostock obduzierten Sterbefälle mit einer nachgewiesenen SARS-CoV-2 Infektion

         Nr. Auftraggeber           Datum           Alter Ge-      Todesursache                         Todesursache                   Relevante                    Kausalität
                                    der                   schlecht klinisch                             Obduktion                      Vorerkrankungen              zwischen
                                    Obduktion                                                                                                                       Sars-Cov-2-
                                                                                                                                       Kenntnisstand:               Infektion und
                                                                                                                                       Obduktionstag                Todesursache*
         01   UMR ZIM               20.11.2020      76       w           I.a) SARS-CoV-2-               I.a) Pneumonie                 B-CLL                        Ja
                                                                         Pneumonie                      I.c) COVID-19                  Adipositas
                                                                         I.c) B-CLL
         02   UMR ZIM               20.11.2020      82       m           I.a) COVID-19                  I.a) Pneumonie                 Multiples Myelom             Ja
                                                                                                        I.c) Exazerbierte COPD         Chron. Niereninsuffizienz
                                                                                                        und COVID-19                   Diabetes mellitus Typ II
         03   FD Gesundheit         24.11.2020      67       m           I.a) Septischer Schock         I.a) Herzinsuffizienz          Chron. Herzinsuffizienz      Nein
              LUP                                                        I.b) Bakterielle               I.b) Mitralklappenerkran-      NYHA II
                                                                         Superinfektion                 kung                           Z. n. Nieren-Tx
                                                                         I.c) COVID-19                  I.c) Chronisch-ischämische     Z. n. Beinamputationen
                                                                                                        Herzerkrankung
         04   StA Rostock           10.12.2020      66       m           I.a) V. a. Myokardinfarkt      I.a) Akute Koronarin­          CIHK                         Nein
                                                                         I.b) KHK                       suffizienz                     Chron. Niereninsuffizienz
                                                                         I.c) Hypertonie                I.b) Stenosierende             Nieren-Tx mit Transplan­
                                                                                                        Koronarsklerose                tatversagen
                                                                                                        I.c) Hypertensionsherz
         05   FD Gesundheit         11.12.2020      81       w           I.a) COVID-19                  I.a) Pneumonie                 Adipositas                   Ja
              LUP                                                        I.b) Viruspneumonie            I.c) COVID-19                  Diabetes mellitus Typ II
                                                                                                                                       Myokardinfarktnarbe
         06   FD Gesundheit         17.12.2020      85       w           I.a) Pneumonie                 I.a) Pneumonie                 KHK mit chron.               Ja
              LUP                                                        I.c) COVID-19                  I.c) COVID-19                  Herzinsuffizienz NYHA II
                                                                                                                                       Arterieller Hypertonus
                                                                                                                                       Diabetes mellitus Typ II
                                                                                                                                       Demenz
         07   FD Gesundheit         21.12.2020      86       w           I.a) Viruspneumonie            I.a) Pneumonie                 Chron. Herzinsuffizienz      Ja
              LUP                                                        I.c) COVID-19                  I.c) COVID-19                  Chron. Niereninsuffizienz

         08   UMR ZIM               22.01.2021      74       m           I.a) Sepsis                    I.a) Pneumonie                 Prostatakarzinom             Ja
                                                                         I.c) COVID-19                  I.c) COVID-19                  Enzephalopathie

         09   UMR ZIM               22.01.2021      79       w           I.a) Sepsis                    I.a) Pneumonie                 Z. n. Kolonperforation bei   Ja
                                                                         I.c) COVID-19                  I.c) COVID-19                  Divertikulitis
         10   Bodden-Kliniken   26.01.2021          80       m           I.a) St. aureus Sepsis         I.a) Septisches MOV            Z. n. Apoplexia cerebri      Ja
              Ribnitz-Damgarten                                          I.c) SARS-CoV-2-Infektion      I.c) COVID-19                  Femurfraktur links
                                                                                                                                       Arterieller Hypertonus
                                                                                                                                       Diabetes mellitus Typ II
         11   UMR ZIM               27.01.2021      60       m           I.a) ARDS                      I.a) Pneumonie                 Lungenfibrose                Ja
                                                                         I.c) COVID-19                  I.c) COVID-19
         12   Gesundheitsamt        09.02.2021      81       w           I.a) Pneumonie                 Zusatzuntersuchungen           Diabetes mellitus Typ II     Noch unklar
              Schwerin                                                   I.c) COVID-19                  nicht abgeschlossen,
                                                                                                        keine Pneumonie
         13   UMR ZIM               10.02.2021      67       m           I.a) MOV                       I.a) MOV                       Diabetes mellitus Typ II     Ja
                                                                         I.c) COVID-19                  I.c) COVID-19
         14   UMR ZIM               10.02.2021      79       m           I.a) Resp. Insuffizienz        Zusatzuntersuchungen           Chron. Herzinsuffizienz      Noch unklar
                                                                         I.c) COVID-19                  nicht abgeschlossen            Chron. Niereninsuffizienz
         15   UMR ZIM               10.02.2021      67       m           I.a) Lungenversagen            Zusatzuntersuchungen           Bullöses Lungenemphysem Noch unklar
                                                                         I.c) COVID-19                  nicht abgeschlossen            Ulcus duodeni
                                                                                                                                       Leberzirrhose
         16   UMR ZIM               15.02.2021      66       m           I.a) Urosepsis                 I.a) Eitrige Peritonitis       Generalisierte               Nein
                                                                         I.c) Harnleiterschienen bei    I.c) Rez. Harnstauung          Arteriosklerose
                                                                         rez. Harnstauung               (unter Verwendung klin.        Chron. Herzinsuffizienz
                                                                                                        Angaben)
         17   Gesundheitsamt        18.02.2021      65       m           I.a) Pneumonie                 Zusatzuntersuchungen           Met. Bronchialkarzinom       Noch unklar
              Rostock                                                    I.c) COVID-19                  nicht abgeschlossen            Chron. Lungenemphysem

     *
         Kausalitätsbewertung nach dem Sozialrecht (Die Annahme eines Kausalzusammenhanges ist berechtigt, wenn mehr Argumente dafür als dagegen sprechen.)
         Abkürzungen der Auftraggeber:
         UMR ZIM - Universitätsmedizin Rostock Zentrum für Innere Medizin
         FD Gesundheit LUP - Fachdienst Gesundheit Landkreis Ludwigslust-Parchim
         StA - Staatsanwaltschaft

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4/2021 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG

Abb. 1: Schnitt durch die rechte Lunge vor Formalinfixierung.   Abb. 2: Schnitt durch die rechte Lunge nach Formalinfixierung.
Makroskopisch sichtbare schwere pneumonische Veränderungen      Makroskopisch sichtbare schwere pneumonische Veränderungen
(helle Areale - Fall 13).                                       (helle Areale - Fall 13).

sem Zeitpunkt in Mecklenburg-Vorpommern registrierten           2 Fällen lediglich ein Diabetes mellitus Typ II bekannt gewe-
695 Infektionen. Bis zum 18. November 2020 verstarben in        sen war [Tab. 1]. In zwei der 10 Fälle wurde neben einer
Mecklenburg-Vorpommern 47 Personen bei 4789 registrier-         schweren Pneumonie auch eine Lungenthrombembolie fest-
ten SARS-CoV-2-Infektionen. Ein maßgeblicher Inzidenzan-        gestellt (Abb. 1-3).
stieg („2. Welle“) nach dem ersten „Lockdown“ und darauf-
hin erfolgten Lockerungen war ab der zweiten Oktoberwo-         Diskussion
che zu verzeichnen [8]. Nach Beginn der „2. Welle“ wurden
in den drei folgenden Monaten bis zum 18. Februar 2021          Die im März 2020 vom RKI ausgesprochene Empfehlung in
17 Sektionsaufträge registriert und durchgeführt. Das sind      Bezug auf Autopsien in Verbindung mit der neuen Infekti-
2,5 % der bis zum 18. Februar 2021 in Mecklenburg-Vor-          onskrankheit COVID-19 war fehlerhaft. Das Infektions-
pommern in Verbindung mit einer SARS-CoV-2-Infektion            schutzgesetz und das Bestattungsgesetz Mecklenburg-Vor-
verstorbenen 680 Personen [8].                                  pommerns sind neben der Strafprozessordnung die rechtli-
Dabei kamen mit 9 Anmeldungen die meisten Aufträge aus          chen Grundlagen für die Obduktionen. In der Zwischenzeit
dem Zentrum für Innere Medizin der Universitätsmedizin          hat sich das Wissen über diese Erkrankung auch aufgrund
Rostock, gefolgt von 4 Aufträgen durch den Fachdienst Ge-       durchgeführter Obduktionen erheblich vermehrt.
sundheit des Landkreises Ludwigslust-Parchim.
Die Obduktionen wurden in Rostock oder Schwerin von
Mitarbeitern des Instituts für Rechtsmedizin durchgeführt.
Die histologischen Untersuchungen erfolgten/erfolgen
durch Mitarbeiter des Instituts für Pathologie der Universi-
tätsmedizin Rostock.

Das Durchschnittsalter der Verstorbenen betrug 74,2 Jahre
(Altersspanne: 60-86 Jahre). Das männliche Geschlecht war
bei den Obduktionen im Verhältnis 11:6 häufiger betroffen.
Von den 17 Fällen lagen in 13 Fällen die Ergebnisse über die
Todesursache zum Zeitpunkt der Manuskripterstellung vor.
Von diesen 13 Fällen fanden sich in 3 Fällen (23,1 %) Todes-
ursachen, die nicht in einem kausalen Zusammenhang mit
der zuvor bestätigten SARS-CoV-2-Infektion standen. In den
10 (76,9 %) Sterbefällen mit einer Kausalität wurde eine
Pneumonie und in 2 Fällen zusätzlich ein finales Multiorgan-
versagen als Todesursache festgestellt. In allen Sterbefällen
fanden sich vorbestehende Erkrankungen, wenngleich in

AUSGABE 4/2021 31. JAHRGANG                                                                                                 Seite 127
4/2021 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG

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                                                                          (86,2 %) Verstorbenen waren entweder definitiv oder mit
                                                                          überwiegender Wahrscheinlichkeit an Covid-19 verstorben.
                                                                          Schwere Vorerkrankungen wiesen 78 (97,5 %) der 80 Ham-
                                                                          burger Fälle auf. Dabei dominierten Erkrankungen
                                                                          des Herz-Kreislaufsystems (85 %) vor Lungenerkrankungen
                                                                          (55 %), Erkrankungen des zentralen Nervensystems (35 %)
                                                                          und Nierenerkrankungen (34 %). Diabetes mellitus war bei
                                                                          den Rostocker Fällen mit 35,3 % etwas häufiger vertreten
                                                                          als in der Hamburger Studie (22 %) [9, 10].

                                                                          Zusammenfassung

                                                                          Obduktionen von Verstorbenen mit einer SARS-CoV-2-In-
                                                                          fektion können zum Verständnis der neuen Infektions-
                                                                          krankheit und der Ursachen der schweren Verläufe beitra-
                                                                          gen. Weiterhin sind Obduktionen essentiell für die Beant-
                                                                          wortung der Frage, ob eine betroffene Person „mit oder
                                                                          an“ der neuen Viruserkrankung verstorben ist. Die ersten
                                                                          Ergebnisse der Rostocker Studie stützen die in der Fachlite-
                                                                          ratur bereits vorliegenden Erkenntnisse über schwere Ver-
     Abb. 3: Freipräparierter Thrombus in einer Lungenarterie (Fall 13)
                                                                          läufe bei COVID-19. Auch wenn die Gesamtzahl der Rosto-
                                                                          cker Fälle im Vergleich mit Hamburg und in Relation zur
                                                                          Anzahl der Verstorbenen in Mecklenburg-Vorpommern
     Eine durchgeführte fernmündliche Recherche in Mecklen-               gering erscheint, so ist jeder Beitrag zum Nationalen Netz-
     burg-Vorpommern, bei der nicht alle obduzierenden Insti-             werk der Universitätsmedizin zu COVID-19 relevant und nur
     tute/Ärzte erreicht wurden bzw. keine Rückmeldung erfolg-            durch derartige Untersuchungen können gegebenenfalls
     te, ergab, dass Verstorbene mit einer SARS-CoV-2-Infektion           regionale Besonderheiten, z. B. aufgrund der unterschiedli-
     in Mecklenburg-Vorpommern bisher nicht nur an der Uni-               chen Altersstruktur der Bevölkerung, entdeckt werden.
     versitätsmedizin Rostock obduziert wurden. Neben Rostock
     untersuchte auch das Institut für Pathologie der Universi-           Die Ergebnisse der Rostocker Studie werden in das von der
     tätsmedizin Greifswald 17 Verstorbene mit einer SARS-CoV-            Uniklinik RWTH in Aachen geführte zentrale deutsche Re-
     2-Infektion. Einen weiteren Fall steuerte das Institut für           gister der Obduktionen von an COVID-19 Verstorbenen
     Pathologie der Helios Kliniken aus Schwerin bei. Somit gab           fortlaufend eingefügt (DeReCOVID, Code Nr. CTC-A 20-096,
     es in Mecklenburg-Vorpommern mit dem Stand vom 18. Fe-               Projektleiter Univ.-Prof. Dr. med. Ph.D. Peter Boor). Das
     bruar 2021 eine Obduktionsrate, bezogen auf die 680 regis-           Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt
     trierten Verstorbenen, von mindestens 5,1 %.                         auch die Universitätsmedizin Rostock im Rahmen des
                                                                          Deutschen Forschungsnetzwerks Autopsien bei Pandemien
     Die meisten Obduktionsergebnisse über Verstorbene mit                DEFEAT PANDEMIcs.
     Covid-19 in Deutschland hat bisher das Institut für Rechts-
     medizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf vor-
     gestellt. In einer Übersicht von 80 Obduktionen in der Zeit                                               Literatur beim Autor:
     der „1. Welle“ sind die Ergebnisse vergleichbar mit den Ros-                                            Korrespondenzadresse:
     tocker Fällen. Die Verstorbenen der Hamburger Studie wa-                                                  Prof. Dr. med. Fred Zack
     ren zwischen 52 und 96 Jahre alt (Durchschnittsalter: 79,2             Institut für Rechtsmedizin der Universitätsmedizin Rostock
     Jahre) und auch hier war das männliche Geschlecht mit 46                                                         St.-Georg-Str. 108
     Fällen (57,5 %) häufiger betroffen. Bei den Todesursachen                                                            18055 Rostock
     dominierten Pneumonien (69 %). In 8 Fällen (10 %) war die                                   E-Mail: fred.zack@med.uni-rostock.de
     Pneumonie kombiniert mit einer fulminanten Lungen-
     thrombembolie. In 4 der 80 Fälle wurde eine Todesursache
     festgestellt, die nicht kausal zur Sars-CoV-2-Infektion war
     und in 7 weiteren Fällen wurde neben Covid-19 eine alter-

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4/2021 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
LESERBRIEF

Mitgliedermagazin 2021 der Ärzteversorgung
Mecklenburg-Vorpommern
Wie jeder Arzt in MV und eben auch jeder ärztliche Rentner      Die eigentliche Zielgruppe sind die jungen Kollegen (und
erhielt ich vor wenigen Tagen das Mitgliedermagazin der         auch viele der gestandenen), die zuweilen dazu neigen, nur
Ärzteversorgung 2021.                                           die eine Seite der Medaille zu sehen – die monatlichen Ab-
Eine solcherart komprimierte und dennoch in allen Einzel-       gaben an das Versorgungswerk, und dies auch noch mehr
heiten informative und stimmige Übersicht habe ich bislang      oder weniger zwangsweise. Die dazu neigen, die Errungen-
selten in den Händen gehabt.                                    schaft einer funktionierenden Selbstverwaltung, die sie zu
                                                                Privilegierten der Gesellschaft macht, infrage zu stellen und
Es beginnt mit einem äußerst knappen und klaren Vorwort         sie mit staatlichen Repressalien gleichzusetzen. Das Ergeb-
der Vorsitzenden Dr. Liane Hauk-Westerhoff. Kein Wort zu        nis ist oft im besten Falle Desinteresse – zuweilen jedoch
viel. Und so geht es Seite um Seite weiter. Alles klar formu-   sogar verschwörungsartige Mythenbildungen.
liert und nirgendwo ermüdend. Selbst ein alternder Kopf
kann das Heft in einem Zug lesen und verstehen.                 Da solche nicht selten anzutreffenden Einstellungen das ge-
Obwohl ich viele Jahre Kammerversammlungsmitglied war           samte System der ärztlichen Selbstverwaltung betreffen,
und sehr interessiert an berufspolitischen Fragen bin, konn-    wäre es wünschenswert, dass ähnliche Magazine über das
te auch ich noch manch interessantes Detail für mich ent­       Wesen der Ärztekammer und das der Kassenärztlichen Ver-
decken.                                                         einigung entstehen könnten. In der gleichen Knappheit,
Aber die Zielgruppe für dieses Heft sind eigentlich nicht die   Sachlichkeit und Klarheit.
Alten, die glücklichen Nutznießer der Ärzteversorgung.                                            Dr. Thomas Müller, Waren

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4/2021 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
JUNGE ÄRZTE

     Keine Angst vor dem Unbekannten
     Der Wechsel von der stationären in die ambulante Versorgung

     Wir schreiben das Jahr 2016, ich gehe dorthin, wo noch nie      lauf des Aufenthalts. Am-
     zuvor ein Mensch… stopp, ok, so abenteuerlich war der           bulant wartete man Wo-
     Wechsel von dem stationären Teil meiner Facharztweiterbil-      chen oder gar Monate dar-
     dung in den ambulanten Teil natürlich nicht. Und wenn,          auf. Das gleiche galt für Schnittbilddiagnostik. Das war zu-
     dann nur für mich.                                              nächst ungewohnt. Im Verlauf lernte ich, mich mehr auf die
                                                                     zuvor erworbenen Untersuchungstechniken zu verlassen,
     Ich war im 4. Jahr meiner Facharztweiterbildung Allgemein-      als immer gleich die Technik zu bemühen. Für mich als tech-
     medizin und es begann für mich der letzte 18 Monate um-         nikaffine Jungärztin eine ungewohnte Rückbesinnung auf
     fassende Abschnitt der ambulanten Versorgung.                   ganz ursprüngliche Methoden.

     Ich hatte Erfahrungen in der Inneren und Chirurgie gesam-       Ein anderes Thema war für mich – wann weise ich ein? In
     melt, in der Dermatologie spannende Hautbefunde gese-           der Klinik sah man ja immer die schweren Fälle. Aber wann
     hen, in der HNO, Orthopädie und Anästhesie meine Frau           wurde aus einem normalen Krankheitsverlauf ein schwerer,
     gestanden. Was mich erwartete, kannte ich aus Famulatu-         der eine Hospitalisierung erforderte? Mir fehlte anfangs
     ren. Dachte ich.                                                tatsächlich die Erfahrung mit blanden Verläufen. Und der
                                                                     Mut für eine zuwartende Behandlung.
     Ich hatte eine nette kleine Hausarztpraxis gefunden. Der
     erste Tag – vor der Tür warteten schon viele Leute – drinnen    Oh und das Patientenaufkommen. In den Ambulanzen der
     wurde ich per Handschlag begrüßt, bekam eine Einführung,        Klinik lief es meist so: ich sehe einen Patienten, es folgen
     einen Arbeitsplatz und dann war ich auch schon mitten drin      Anamnese, Untersuchung, ggf. ergänzende Diagnostik,
     statt nur dabei.                                                dann Kasusvorstellung beim Stations-/Oberarzt und zusam-
                                                                     men werden Diagnose und Therapie erörtert. Das konnte
     Mein erster Patient – jung, mit typischen Symptomen eines       schon etwas dauern. Jetzt musste es zack zack gehen. Wenn
     Magen-Darm-Infekts. Uff. In der Klinik sah man höchstens        ich zu lange brauchte, staute es sich vor der Tür. Und die
     die schweren Verläufe. Da bekamen die Patienten eine            Patienten wollten gleich eine Diagnose. „Kommen die
     Blutabnahme, Antiemetika und eine parenterale Flüssig-          Bauchschmerzen von einem Infekt? Oder doch von einem
     keitssubstitution. Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass      Krebs? Wie lange dauert das? Was kann ich da nehmen?“
     dieser Patient exsikkiert war. Ja, wie lief das hier ambulant   War ich es bisher gewohnt, solche Dinge mit einem Vorge-
     eigentlich? Sollte ich aus Vorsicht und ärztlicher Sorgfalts-   setzten zu diskutieren, wollten die Patienten es direkt er-
     pflicht eine Blutentnahme veranlassen? Konnte man hier          läutert haben. Anamnese, Befund, Diagnose und Therapie
     gegebenenfalls überhaupt einen Tropf geben? Was konnte          im fünf Minuten-Takt. Und das natürlich alles fehlerfrei und
     man auf Rezept verordnen und wie ging das mit diesem            emphatisch. Fließbandarbeit in der Hausarztpraxis. Das
     Betriebssystem überhaupt? Und wie lange schreibt man            stresste mich zu Beginn.
     krank? Muss eine Verlaufskontrolle erfolgen? Ok, Rückspra-
     che mit dem Chef – oh man, hier lief der Hase dann doch         Und man sah den gleichen Patienten häufiger. Im Guten wie
     ganz anders.                                                    im Schlechten. Während man in der Klinik gute Chancen
                                                                     hatte, dass der unangenehme, anstrengende, fordernde
     Was mich zu Beginn oft verunsicherte, waren die einge-          Patient beim nächsten Mal auf einen anderen Kollegen traf,
     schränkten Möglichkeiten der Diagnostik. Zum Beispiel be-       gab es diese Möglichkeit hier nicht.
     kam man die Ergebnisse einer Blutentnahme erst am nächs-
     ten Tag. Am nächsten Tag! Wie sollte ich so eine zeitnahe       Die Tücken der Rezeptierung, Heil- und Hilfsmittelverord-
     Therapieentscheidung treffen? Ich fühlte mich auf einem         nung sind ein Thema für sich, das mir auch heute noch den
     Auge blind.                                                     einen oder anderen Aha-Moment beschert.

     Oder fachfremde Diagnostik. Wollte man in der Klinik für        Das hört sich irgendwie stressig und wenig erstrebenswert
     den Patienten ein Echo haben, bekam er dies meist im Ver-       an? Nein. Denn man gewöhnt sich ein. Man lernt dazu.

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4/2021 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
JUNGE ÄRZTE

Aber das braucht Zeit – Rom wurde nicht an einem Tag              begleitetest und mich durchaus auch mal Fehler machen lie-
erbaut und auch Weltraummissionen umfassen mehrere                ßest. Vor allem aber, Danke für die vielen Gespräche und
Jahre.                                                            dein stets offenes Ohr. Ohne Euch, hätte ich die Stürme des
Die Schwestern zeigten mir mit einer schier unendlichen           vergangen Jahres wohl nicht überstanden.
Nachsicht den Umgang mit dem Betriebssystem und dass ich
ihre Kreise nicht zu stören habe (Blutabnahmen sind ambu-                              Wenke Burghardt für die Jungen Ärzte
lant KEINE Arztsache). Der Chef erwies sich als geduldiger                                    FA Allgemeinmedizin Rostock
Mentor und Quell umfangreichen Wissens, der aber auch
bereit war, sich von einer jungen Kollegin etwas Neues bei-
bringen zu lassen.
Mir halfen vor allem die Leitlinien sehr, mich im Dickicht der
Diagnosen und stadiengerechten Therapien zurechtzufin-
den. Mittlerweile liebe ich Scores wie den CURB-65, um
z. B. die Dringlichkeit einer Hospitalisierung bei ambulant
erworbenen Pneumonien einzuschätzen.
Ich habe gelernt, welche Diagnostik ich für meine Arbeit
wirklich brauche, welche auch mal verzichtbar und welche
für den Patienten im Einzelfall auch nicht mehr zumutbar ist
(ambulante Koloskopien bei hochbetagten Patienten).
Ich bin schneller geworden, da sich viele Krankheitsbilder
wiederholen und ich mir ein standardisiertes Vorgehen er-
arbeitet habe.
Ein wichtiger Aspekt: Erfahrung. Ich bin sicherer im Um-
gang mit vielen Krankheitsbildern und Patiententypen ge-
worden und habe auch gelernt, dass manchmal weniger
eben doch Mehr ist. Und ich bin sicher, ich habe noch lange
nicht ausgelernt „Dies diem docet“.

Ein noch wichtigerer Aspekt: Geduld. Ich bin ein eher im-
pulsiver Mensch. Es braucht Geduld für die Patienten, Ge-
duld mit sich (nicht hektisch werden bei hohem Patienten-
aufkommen!) und manchmal eben auch Geduld bei protra-
hierten aber nicht dramatischen Krankheitsverläufen (keine
Überdiagnostik/-therapie!).

Ich profitiere davon, meine Patientinnen und Patienten bes-
ser zu kennen und zu wissen, dass Frau X wirklich nur
kommt, wenn es ernst ist, während Herr Z häufig Ängste
hat, welche mit einem guten Gespräch zu bessern sind. Ich
bin dankbar, wenn ich einen Patienten nach vielen Jahren
der Betreuung auch in seiner letzten Lebensphase begleiten
darf, so dass sich ein Leben in Würde vollendet. Und ich
freue mich über Plätzchen, die uns Patienten zu Weihnach-
ten bringen, weil sie uns zeigen, dass wir gute Arbeit leisten.

Aber das Beste, was mir durch den Wechsel in die ambulan-
te Versorgung passiert ist: Ich wurde in ein wunderbares
Team aufgenommen. Diese Leute sehe ich quasi häufiger als
meine Familie. Danke an Diana und Sophia für die Leichtig-
keit Eurer Zusammenarbeit, die besonnene Kritik und vor
allem das gemeinsame Lachen. Danke Gerd, dass Du mit
Geduld und Augenzwinkern meine Schritte zum Facharzt

AUSGABE 4/2021 31. JAHRGANG                                                                                              Seite 131
AKTUELLES

     Fallbericht über einen SARS-CoV-2-Ausbruch
     in einem Schweriner Seniorenheim
     Gerit Hübner, Rico Badenschier1

     Wir berichten über einen SARS-CoV-2-Ausbruch in einem                         Bei der Suche der Infektionsquelle wurde ermittelt, dass Be-
     Schweriner Seniorenheim beginnend am 04.02.2021.                              wohnerin B5 sich vom 22.01. bis zum 25.01.2021 während
                                                                                   eines Ausbruchsgeschehens in stationärer Krankenhausbe-
     Infektionsgeschehen                                                           handlung befand. Jeweils ein PoC-Schnelltest am Tag der
                                                                                   Entlassung, am 03.02. und am 08.02., waren negativ. Die
     Am 04.02.2021 wurde eine Beschäftigte (MA14) des Senio-                       betreffende Bewohnerin war immobil und nach Rückverle-
     renheims mittels PCR positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Acht                    gung aus dem Krankenhaus von anderen Bewohnern sepa-
     Beschäftigte (MA15 - MA23) wurden als KP I identifiziert                      riert. Die pflegerische Versorgung erfolgte nach Angaben
     und mit einer Quarantäne belegt. In den Folgetagen haben                      der Einrichtungsleitung zu jeder Zeit unter adäquater
     sich aus der Quarantäne heraus acht dieser Personen einer                     Schutzausrüstung des Personals.
     PCR-Testung unterzogen: am 08.02.2021 zwei Beschäftigte
     (MA15 und MA16) mit positivem Ergebnis, am 09.02.2021                         Die übrigen Bewohner und Beschäftigten hatten nach den
     drei Beschäftigte (MA18, MA21 und MA22) mit positivem                         Ermittlungen der zuständigen Gesundheitsämter keine
     Ergebnis und am 11.02. (MA20 positiv, MA17 negativ). Bei                      Kontakte zu Infektionsclustern in den 14 Tagen vor dem
     MA19 traten in der Quarantäne am 09.02.2021 mit CO-                           Ausbruch.
     VID-19 vereinbare Symptome auf, die behandelnde Haus-
     ärztin lehnte nach Auskunft der Beschäftigten eine PCR-                       Die Landeshauptstadt Schwerin war während des gesamten
     Testung zunächst ab. Eine Testung am 16.02.2021 ergab ei-                     Zeitraumes des Ausbruchs Risikogebiet. Das Geschehen in
     nen positiven Befund.                                                         der Landeshauptstadt wird von der zuständigen Behörde
                                                                                   als diffus eingeschätzt. Die Inzidenz betrug am 04.02.2021
     Unterdessen wurden nach Screening mit Schnelltests in der                     102,4 Fälle, am 16.02.2021 85,7 Fälle und am 25.02.2021 73,2
     Einrichtung gezielte PCR-Nachtestungen mit positiven Er-                      Fälle pro 100.000 Einwohner pro Woche (eigene Daten).
     gebnissen durchgeführt: am 08.02. wurde eine Bewohnerin
     (B5) sowie am 09.02. drei Bewohnerinnen (B10, B16 und
     B28) positiv getestet.                                                        Impfstatus

     Daraufhin wurden am 10.02.2021 eine Quarantäne über                           In der Einrichtung wurde allen Bewohner und Beschäftigten
     den Wohnbereich verfügt und eine PCR-Testung aller Be-                        eine Impfung mit dem BioNTech-Impfstoff Comirnaty® an-
     wohner und Beschäftigten für den 11.02.2021 terminiert.                       geboten. Am 28.12.2020 wurde die Erstimpfung 23 der 29
     Dabei ergaben sich zwei weitere positive Befunde unter                        Bewohner und 10 der 22 Beschäftigten verabreicht. Am
     den Bewohnerinnen (B12 und B19), kein weiterer positiver                      18.01.2021 wurde die Zweitdosis allen 33 Erstgeimpften ver-
     Befund unter den Beschäftigten. Am 24.02.2021 wurden vor                      abreicht. Zwei Bewohnerinnen (B2 und B10) erhielten zu
     Beendigung der Isolation erneut die bis dahin nicht infizier-                 diesem Zeitpunkt die Erstimpfung.
     ten Bewohner*innen mittels PCR getestet, mit einem posi-
     tiven Ergebnis bei B14 und sonst negativen Ergebnissen.                       Damit haben zum Zeitpunkt des ersten Nachweises einer
                                                                                   SARS-CoV-2-Infektion 23 von 29 (79,3%) der Bewohner*in­
     Insgesamt sind sieben Bewohner und acht Beschäftigte po-                      nen einen vollständigen, zwei von 29 (6,9%) einen teilwei-
     sitiv auf SARS-CoV-2 getestet worden. Eine Bewohnerin                         sen, vier von 29 (13,8) keinen Impfschutz. Zehn von 22
     (B29) ist am 10.02.2021 verstorben, ohne das eine PCR-Tes-                    (45,5%) Beschäftigten haben einen vollständigen, zwölf
     tung durchgeführt werden konnte.                                              von 22 (55,5%) keinen Impfschutz.

                                                                                   Eine Übersicht über die Infektionsnachweise und die durch-
     1
         Gerit Hübner, Dr. Rico Badenschier, Gesundheitsamt der Landeshauptstadt
         Schwerin, Am Packhof 2-6, 19053 Schwerin                                  geführten Impfungen zeigt folgende Tabelle.

Seite 132                                                                                             ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
AKTUELLES

Name      Impfstatus      PCR Test Ergebnis (Datum   B24         geimpft           negativ
          (28.12./18.01.) wenn nicht 11.02.2021)     B25         geimpft           negativ
MA 1      geimpft           negativ                  B26         geimpft           negativ
MA 2      geimpft           negativ                  B27         geimpft           negativ
MA 3      nein              negativ                  B28         geimpft           positiv 09.02.2021
MA 4      geimpft           negativ                  B29         nein              verstorben 10.02.2021
MA 5      geimpft           negativ
                                                     MA = Mitarbeiter, B = Bewohner
MA 6      geimpft           negativ
MA 7      nein              negativ
MA 8      nein              negativ                  Die Zusammenschau von Impfstatus und Testergebnis ergibt
MA 9      geimpft           negativ                  folgendes Bild. Die positiv getesteten Beschäftigten waren
MA 10     geimpft           negativ                  sämtlich nicht geimpft worden.
MA 11     nein              negativ                  Die vier nicht geimpften Bewohnerinnen sind sämtlich po-
MA 12     geimpft           negativ                  sitiv getestet worden. Von den beiden Bewohnerinnen, wel-
MA 13     geimpft           negativ                  che am 18.01.2021 die erste Impfung erhalten hatten, ist
MA 14     nein              positiv 04.02.21         eine positiv getestet worden. Von den 24 geimpften Be-
                                                     wohner sind drei positiv getestet worden.
MA 15     nein              positiv 08.02.21
MA 16     nein              positiv 08.02.21
                                                     Die Korrelation zwischen Impfstatus und Infektion wurde
MA 17     geimpft           negativ
                                                     mittels Fisher’s Exact Test (Konfidenzniveau p
AKTUELLES

     Krankheitsverlauf:                                                diesen Gruppen sich mit der erwarteten Wirksamkeit des
                                                                       Impfstoffes gegen eine COVID-19-Erkrankung deckt und
     Am 16.02.2021 waren die Bewohnerinnen B10, B16 und B28            diese Personen also nicht nur nicht erkrankten, sondern sich
     symptomfrei, B12 litt an leichtem Husten, B5 und B19 wa­-         auch nicht infizierten.
     ren mit Pneumonien schwer erkrankt. B5 verstarb am                Die Gruppe des Personal ist in Bezug auf das Kriterium Kon-
     20.02.2021.                                                       taktperson nicht homogen, so dass hier ein Zusammenhang
                                                                       zwischen Impfstatus und Infektion nicht untersucht werden
     Diskussion:                                                       konnte. Acht von 22 Beschäftigten, die sich trotz Schutz-
                                                                       maßnahmen infizierten, waren sämtlich nicht geimpft.
     Der Eintrag des Virus in die Einrichtung ist nicht sicher nach-
     vollziehbar. Wahrscheinlich ist der Eintrag durch MA5 vor         Ergebnis: Das Ausbruchsgeschehen in diesem Schweriner
     dem 04.02.2021. Die infektiöse Phase ist bei Symptombe-           Seniorenheim belegt die Wirksamkeit der Impfungen mit
     ginn am 03.02. dann vom 01.02. bis zum 02.02., also an Tag        dem Impfstoff Comirnaty® und unterstreicht die Notwen-
     14 bis 16 nach Zweitimpfung (bzw. nach Erstimpfung der B2         digkeit, die Impfkampagne schnell und umfassend durchzu-
     und B10) anzunehmen.                                              führen. Insbesondere zeigen sich Hinweise, dass auch die
     Die zweite Möglichkeit ist der Eintrag durch B5 nach Entlas-      Übertragung des Virus durch die Impfungen verhindert
     sung aus der Klinik. Unter Beachtung der Latenzphase von          wird.
     drei Tagen müsste eine Infektion der MA5 vor dem 01.02.           Die Impfbereitschaft lag unter den Bewohner bei 79,3%
     erfolgt sein. Der Zeitraum liegt also zwischen sieben und 13      und unter den Beschäftigten bei 45,5%.
     Tagen nach der Zweitimpfung. Es liegen jedoch negative
     Antigentests dieser Bewohnerin vor.                                                                                Dr. Rico Badenschier
                                                                                                                 Landeshauptstadt Schwerin
     Die Infektion trifft den Wohnbereich und die Beschäftigten                                                      Fachdienst Gesundheit
     also zwischen dem 7. und 16. Tag nach Zweitimpfung. Zu                                                  Am Packhof 2-6, 19053 Schwerin
     diesem Zeitpunkt bestand bei 23 der 29 Bewohner (79,3%)
     der „volle“ Impfschutz, d.h. sie sind zu 94,6% vor einer Er-
     krankung an COVID-19 geschützt 2. Bei zwei Bewohnerinnen          2
                                                                           Mitteilung der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut. Be-
                                                                           schluss der STIKO für die Empfehlung der COVID-19-Impfung und die dazu-
     ist 7 bis 13 Tage nach der Impfung ein Impfschutz von 52,4            gehörige wissenschaftliche Begründung. Epidemiologisches Bulletin
                                                                           2/2021. 14. Januar 2021 (online vorab). Verfügbar unter: https://www.rki.
     - 92,6% anzunehmen2. vier Bewohnerinnen traf der Virus                de / DE/ Content / Infekt / EpidBull /Archiv /2021/Ausgaben / 02_ 21.pdf?_ _
     naiv. Wir beobachten, dass der Nachweis einer Infektion in            blob=publicationFile (als Fußnote)

AUS DER SCHLICHTUNGSSTELLE

     Verzögerte Diagnose einer Extrauterin­-
     gravidität – Befunderhebungsmangel führte
     zu Beweislastumkehr
     Aus der Praxis der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern

     Kasuistik                                                         Bei einer 29-jährigen Patientin war die letzte Regelblutung am
                                                                       20. Januar erfolgt und im nächsten Monat ausgeblieben. Ein
     In einem Schlichtungsverfahren war die Betreuung einer Pati-      Besuch bei der betreuenden Gynäkologin am 29. Februar er-
     entin mit einer Extrauteringravidität zu prüfen. Durch Ver-       gab eine Schwangerschaft der 6. Woche. Der Untersuchungs-
     säumnisse der niedergelassenen Gynäkologin und der Klinik         befund einschließlich Sonographie war unauffällig, der
     war es zu einer Verzögerung der Diagnose gekommen.                ß-HCG-Wert betrug 730,5 U/l. Bei der nächsten Untersuchung

Seite 134                                                                                         ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN
AUS DER SCHLICHTUNGSSTELLE

am 3. März, der 7. Schwangerschaftswoche, gab die Patientin         fand sich dort eine etwa 3 x 6 cm große Raumforderung. Die
Übelkeit und Bauchschmerzen an. Der ß-HCG-Wert war auf              Diagnose lautete: Adnexitis, DD Extrauteringravidität DD ret-
1279,0 U/I angestiegen. Körperliche Schonung wurde empfoh-          rograde Menstruation. Der ß-HCG-Wert um 18.47 Uhr betrug
len. Fünf Tage später, am 8. März, war sonographisch keine          10643,0 U/l. Um 21.10 Uhr wurde zunächst eine Kürettage vor-
Schwangerschaft im Uterus erkennbar. Unter der Verdachtsdi-         genommen, danach eine Laparoskopie, die eine rechtsseitige
agnose Missed Abortion wurde die Patientin in die Klinik ein-       rupturierte Eileiterschwangerschaft mit starker Blutung ergab.
gewiesen. Dort wurde am folgenden Tag eine Saugkürettage            Der Eileiter wurde entfernt und die Bauchhöhle gesäubert und
mit anschließender Nachkürettage vorgenommen. Die Patien-           gespült. Der Eingriff verlief komplikationslos. Die Kontrolle des
tin wurde anschließend entlassen. Im Kurzbrief an die Gynäko-       ß-HCG am 25. März ergab 1888,9 U/l. Am 27. März wurde die
login wurde eine Ultraschallkontrolle in zehn Tagen empfoh-         Patientin nach Hause entlassen, der Hb-Wert betrug 6,5 g/dl.
len. Das fragliche Abortmaterial wurde zur histopathologi-
schen Untersuchung eingeschickt. Der Befundbericht trägt als        Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen
Ausgangsdatum den 11. März. Darin heißt es: „Deziduaanteile
im Abradatmaterial. Da plazentare Gewebsstrukturen nicht            Die Patientin vermutet Behandlungsfehler ihrer Frauenärztin
nachweisbar sind, müsste klinisch auch an die Möglichkeit ei-       wie auch durch die Klinik. Die Eileiterschwangerschaft sei zu
ner Extrauteringravidität gedacht werden.“ Der Bericht trägt        spät erkannt worden, was zum Verlust des Eileiters geführt
den handschriftlichen Zusatz: „Bitte um ß-HCG-Kontrolle“. Er        habe.
wurde am 14. März an die Praxis gefaxt. Am 16. März stellte
sich die Patientin bei ihrer Frauenärztin vor. Die Untersuchung     Stellungnahme der in Anspruch genommenen
ergab eine Schmierblutung ex utero, die Adnexe waren palpa-         Gynäkologin
torisch frei. Sonographisch erschien das Cavum uteri nicht leer.
Vermerkt ist: „Blutentnahme für ß-HCG notwendig“. Eine              Die entscheidenden Behandlungen hätten in der Klinik statt-
Blutentnahme wurde nicht durchgeführt. Die Patientin verließ        gefunden. Bei der Nachuntersuchung sei der Patientin eine
ohne neuen Termin die Praxis. Am 21. März traten starke             Blutentnahme zur ß-HCG-Kontrolle empfohlen worden, was
Bauchschmerzen auf. Die Patientin stellte sich in der Klinik vor.   diese jedoch abgelehnt habe. Sogar ein Kontrolltermin sei ab-
Die Untersuchung ergab druckschmerzhafte rechte Adnexe              gelehnt worden.
bei sonographisch regelrechtem Befund. Auf dem Laborblatt
von 12.45 Uhr waren sämtliche Werte normal, jedoch betrug           Stellungnahme der in Anspruch genommenen
der ß-HCG-Wert 13275,0 U/l. Die Patientin wurde nach Hause          Klinik
entlassen und kam am 23. März um 18.10 Uhr wegen seit zwei
Stunden bestehender heftigster Unterbauchschmerzen erneut           Am 21. März sei der erhöhte ß-HCG-Wert im Zusammenhang
in die Klinik. Es bestand eine regelstarke vaginale Blutung, der    mit dem histologischen Befund und der unauffälligen Klinik
rechte Adnexbereich war extrem druckdolent. Sonographisch           als nicht so dringlich bewertet worden. Man sei davon ausge-

AUSGABE 4/2021 31. JAHRGANG                                                                                                      Seite 135
AUS DER SCHLICHTUNGSSTELLE

     gangen, dass die Patientin bei Zustandsverschlechterung so-      den Voraussetzungen zu einer Umkehr der Beweislast zuguns-
     fort die Klinik aufsuchen würde. Für die Frage einer etwai-      ten der Patientenseite:
     gen Haftungsverantwortung sei die zeitlich frühzeitigere         1. Es wurden Befunde nicht erhoben, die dem Standard ge-
     Behandlung durch die niedergelassene Frauenärztin zu be-            mäß hätten erhoben werden müssen.
     rücksichtigen.                                                      Eine standardgerechte ß-HCG-Bestimmung hätten erfolgen
                                                                         müssen. Aufgrund der zeitnah erstellten Dokumentation
     Gutachten                                                           kann nicht von einer Weigerung der Patientin ausgegangen
                                                                         werden.
     Am 8. März sei von der niedergelassenen Gynäkologin die Di-      2. Bei standardgemäßer Untersuchung hätte man mit hinrei-
     agnose einer gestörten Schwangerschaft korrekt gestellt und         chender Wahrscheinlichkeit einen abklärungs- bzw. be-
     die Patientin zur Therapie in die Klinik eingewiesen worden.        handlungsbedürftigen Befund erkannt. Der Bundesge-
     Bei der Nachuntersuchung am 16. März nach der Abortküret-           richtshof hat den Begriff „hinreichend“ nicht weiter defi-
     tage hätten zwar keine klinischen Anzeichen einer Extraute-         niert. Die Oberlandesgerichte definieren das Maß aber,
     ringravidität vorgelegen. Die Gynäkologin habe jedoch den           unwidersprochen vom Bundesgerichtshof, als überwiegen-
     histologischen Befund nicht beachtet. Sie hätte auf die drin-       de Wahrscheinlichkeit, also mehr als 50 %.
     gende Notwendigkeit der ß-HCG-Bestimmung hinweisen und              Aufgrund des weiteren Verlaufs kann davon ausgegangen
     bei Beschwerden die sofortige Vorstellung in der Klinik anra-       werden, dass bei Durchführung dieser Maßnahmen die Di-
     ten müssen. Ein derartiges Gespräch sei in den Unterlagen           agnose einer Extrauteringravidität gestellt worden wäre.
     nicht dokumentiert. Am 21. März hätte in der Klinik der Be-      3. Das Unterlassen der Behandlung in Kenntnis der richtigen
     fund zusammen mit der Histologie und dem stark erhöhten             Diagnose würde eine erhebliche Standardunterschreitung
     ß-HCG-Wert den dringenden Verdacht auf eine Eileiter-               und damit einen schweren Behandlungsfehler darstellen.
     schwangerschaft erwecken müssen. Eine Laparoskopie am 21.           In Anbetracht der Risiken eines Fortschreitens einer unbe-
     März, spätestens am 22. März hätte die Konsequenz sein müs-         handelten Extrauteringravidität würde das Unterlassen
     sen. Am 23. März hätte bereits bei der Aufnahmeuntersu-             einer Operation einen schweren Behandlungsfehler dar-
     chung die Diagnose gestellt werden müssen. Es sei nicht er-         stellen.
     klärlich, warum mit der Operation noch zwei Stunden abge-
     wartet worden sei. Ob bei einer frühzeitigeren Diagnose eine     Vor dem Hintergrund der Beweislastumkehr reicht es für den
     tubenerhaltende Operation möglich gewesen wäre, sei nicht        Kausalitätsnachweis aus, dass die zu unterstellende funda-
     eindeutig festzustellen. Die Schwangerschaftsrate nach Eilei-    mentale Verkennung des zu erwartenden Befundes oder die
     terschwangerschaft betrage sowohl bei Tubenerhalt wie nach       Nichtreaktion darauf generell geeignet ist, einen Schaden der
     Entfernung des Eileiters 40 bis 50 %                             tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen.

     Stellungnahme der Klinik zum Gutachten                           Als die Patientin am 21. März mit Beschwerden die Klinik auf-
                                                                      suchte, betrug der ß-HCG-Wert 13275,0 U/I. Ein zwölf Tage nach
     Der Kernvorwurf der verspäteten Behandlung sei der betreu-       Abortkürettage derartig erhöhter Wert erforderte dringend
     enden Frauenärztin anzulasten. Bei der Untersuchung am 21.       eine weitere Abklärung mittels Laparoskopie am selben Tag.
     März habe die Akte vom 9. März einschließlich Histologie         Entsprechende Untersuchungen wurden nicht veranlasst, es
     nicht vorgelegen. Am 23. März sei die Laparoskopie erst um       liegt ebenfalls ein Befunderhebungsmangel vor mit der Beweis-
     21.10 Uhr erfolgt, weil die zuständige Oberärztin noch mit ei-   lastumkehr zugunsten der Patientin. Als die Patientin am 23.
     ner anderen Operation beschäftigt gewesen sei.                   März mit einem hochakuten Krankheitsbild erneut in die Klinik
                                                                      kam, gab es keinen Zweifel an der Diagnose. Es bestand keine
     Bewertung der Haftungsfrage                                      Notwendigkeit, andere Krankheitsbilder zu erwägen und die
                                                                      erforderliche Operation über Stunden hinauszuzögern.
     Die Schlichtungsstelle schloss sich dem Gutachten an. Bei der
     Nachuntersuchung am 16. März war der histologische Bericht       Schaden
     mit dem Vermerk: „Bitte um HCG-Kontrolle“ in der Praxis be-
     reits vorhanden. Aufgrund der gesamten Befundkonstellation       Die Beweislastumkehr bezieht sich im vorliegenden Fall auf
     war eine solche Kontrolle dringend notwendig. Die Praxisdo-      folgenden primären und typischerweise damit verbundenen
     kumentation enthielt keinen Hinweis darauf, dass die Patien-     sekundären Gesundheitsschaden:
     tin die Blutentnahme abgelehnt hätte. Die Unterlassung der       Der Verlust des betroffenen Eileiters sowie vermehrte Be-
     ß-HCG-Bestimmung stellt einen Befunderhebungsmangel der          schwerden für den Zeitraum vom ca. zwei Wochen sind als
     betreuenden Gynäkologin dar. Hier kommt es unter folgen-         fehlerbedingt anzusehen.

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AUS DER SCHLICHTUNGSSTELLE

Darüber hinaus gehende Gesundheitsschäden sind nicht auf           gegangen wird, dass von Arztseite kein Grund für eine Mani-
das fehlerhafte Vorgehen zurückzuführen. Insbesondere ist          pulation bestand. Als zeitnah wird eine Dokumentation daher
zur Fruchtbarkeit nach solchen Eingriffen keine sichere Aussa-     u.a. dann bewertet, wenn zum Zeitpunkt der Erstellung noch
ge möglich, die Schwangerschaftsrate liegt bei 40 bis 50%,         keine Vorwürfe erhoben wurden oder mit ihnen noch nicht zu
unabhängig davon, ob eine eileitererhaltende Operation oder        rechnen war. Gesamtschuldnerschaft bedeutet nicht, dass die
eine Entfernung des Eileiters durchgeführt wurde.                  Patientenseite den Schaden jeweils nur zur Hälfte ersetzen
                                                                   kann. Vielmehr kann der gesamte Anspruch gegen einen
Für den entstandenen fehlerbedingten Gesundheitsschaden            Schädiger durchgesetzt werden. Es erfolgt dann zwischen den
haften das Krankenhaus und die niedergelassene Frauenärztin        Schädigern ein Ausgleich im Innenverhältnis. In der Regel be-
gesamtschuldnerisch.                                               stehen grundsätzliche Vereinbarungen zur Quotelung zwi-
                                                                   schen den Haftpflichtversicherern.
Fazit
                                                                                                                      Verfasser:
Die Diagnostik der Extrauteringravidität kann erhebliche Pro-                              Prof. Dr. med. Wolfgang Heidenreich
bleme aufwerfen. Im Zweifelsfall – zum Beispiel bei fehlen-                          Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe
dem Nachweis von Schwangerschaftsmaterial bei einer Abort-                             Ärztliches Mitglied der Schlichtungsstelle
kürettage – ist die ß-HCG-Bestimmung die wichtigste diagnos-
tische Maßnahme.                                                                                              Christine Wohlers
Aus rechtlicher Sicht ist auf die Bedeutung der zeitnah erstell-                           Rechtsanwältin der Schlichtungsstelle
ten ärztlichen Dokumentation zu verweisen. Auch die Recht-                                            für Arzthaftpflichtfragen
sprechung legt diese in der Regel zugrunde, weil davon aus-                                  der norddeutschen Ärztekammern

AUSGABE 4/2021 31. JAHRGANG                                                                                                  Seite 137
SERVICE

     FAQ zum eHBA – Teil 1
     In dieser Rubrik möchten wir Ihnen weitere Informationen         3) Welche meiner Daten werden auf dem
     rund um den eHBA zur Verfügung stellen. Wir geben sehr oft       elektronischen Arztausweis gespeichert?
     Auskunft im Zusammenhang mit folgenden Fragen:                   In den sogenannten Zertifikaten auf dem elektronischen
                                                                      Arztausweis werden folgende personenbezogene Daten ge-
     1) Was benötige ich für die Beantragung                          speichert:
     eines eHBA?                                                      ■ vollständiger Name (Vorname(-n) und Nachname)
     Sie benötigen folgende Unterlagen, um ohne Unterbrechung         ■ ggf. akademischer Grad/Titel
     Ihren eHBA zu beantragen:                                        ■ Berufsgruppe „Ärztin/Arzt“
     ■ das Schreiben der Ärztekammer mit der Vorgangsnummer,          ■ Telematik-ID (eindeutige Nummer des Karteninhabers in
        damit Sie auf Ihren durch uns vorbefüllten Antrag online         der Telematikinfrastruktur)
        zugreifen können (bitte vorher bei uns online über das Mit-   ■ Optional: E-Mail-Adresse
        gliederportal der Ärztekammer M-V bestellen);                 ■ Einheitliche Fortbildungsnummer (EFN): wird nur optisch
     ■ Ihren Personalausweis und ggf. eine einfache Kopie davon          auf die Karte gedruckt
     ■ ein Bild: es kann ein Passfoto, ein Bewerbungsfoto oder ein    ■ Ausweisnummer, als sogenannte ICCSN (Integrated Circuit
        privates Foto vor einem hellen, ruhigen Hintergrund (weiße       Card Serial Number)
        Wand, Tür o. Ä.) sein. Achtung! Das Bild muss digital abge-
        speichert sein, und zwar auf Ihrem PC/Tablet, von dem Sie     Weiterhin wird dem Vertrauensdiensteanbieter die sogenann-
        die Beantragung durchführen wollen;                           te bundeseinheitliche Arztnummer (BAN) übermittelt. Diese
     ■ ggf. Kontodaten, wenn Sie für den Bezahlungsvorgang            dient der sicheren und kammerübergreifenden Verwaltung
        nicht die Option Rechnung wählen;                             der Ausweise zwischen den Ärztekammern und den Anbie-
     ■ im Schnitt ca. 30 bis 40 Minuten Zeit, um in Ruhe den An-      tern. Diese Nummer wird nicht im elektronischen Arztausweis
        trag abzuschließen.                                           gespeichert oder aufgedruckt.
                                                                      Im Rahmen des Beantragungsprozesses erhebt der Anbieter
     2) Ist mein Papierausweis bzw. einfacher Arztausweis             ggf. weitere Daten, wie Geburtsdatum und -ort sowie die
     im Scheckkartenformat noch gültig, wenn ich den                  (Melde-)Adresse und Daten des vorgelegten amtlichen Aus-
     elektronischen Arztausweis habe?                                 weisdokumentes zum Zwecke der sicheren Identifikation des
     Ja, Sie sind weiterhin berechtigt, einen einfachen Arztaus-      antragstellenden Arztes.
     weis ohne elektronische Funktionen zu beantragen und zu
     nutzen. Es gibt aktuell keine gesetzlichen Regelungen, die                                                Referat Meldewesen
     dies verbieten.                                                                                             Ärztekammer M-V

     KIM – für eine sichere Kommunikation
     im Gesundheitswesen
     Mit dem Kommunikationsdienst KIM können alle Akteure im          durch KIM jede Nachricht und jedes Dokument verschlüsselt
     Gesundheitswesen schnell und vor allem sicher miteinander        und erst beim Empfänger wieder entschlüsselt. Die sogenann-
     kommunizieren. Über die Anwendung der Telematikinfra-            te Ende-zu-Ende-Verschlüsselung schützt Nachrichten vor dem
     struktur (TI) lassen sich vertrauliche Nachrichten, Daten und    Zugriff von unbefugten Mitlesern sowie Fälschung oder Mani-
     weitere Dokumente wie Arztbriefe, Abrechnungen und elek-         pulation. Nur registrierte Nutzer können KIM-Nachrichten
     tronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sektorenüber-       empfangen. Der Empfänger kann zudem stets sicher sein, dass
     greifend versenden und empfangen.                                die Nachricht auch tatsächlich vom angegebenen Versender
     KIM funktioniert wie ein E-Mail-Programm. Es kann direkt         stammt. Die Identität aller TI-Teilnehmer ist bestätigt und im
     über das Primärsystem mit E-Mail-Funktion oder ein Standard-     Verzeichnisdienst der Telematikinfrastruktur hinterlegt – einer
     E-Mail-Programm wie Outlook oder Thunderbird genutzt wer-        Art zentralem Adressbuch für das Gesundheitswesen.
     den. Im Vergleich zu herkömmlichen E-Mail-Programmen wird        Die Ärztekammern befüllen und pflegen die Daten wie bei-

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