6 Die Welt nach Corona - Angestellte Schweiz

 
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6 Die Welt nach Corona - Angestellte Schweiz
Mitgliederzeitschrift Angestellte Schweiz
                                                                  Revue des membres Employés Suisse

                                                                  3/2021

    Die Welt nach
      6
		Corona
 26 Le monde de
		l’après-COVID

  8 «Sie haben Einfluss darauf, ob die neue Arbeitswelt schrecklich oder schön wird»,
		 sagt Stefan Studer, Geschäftsführer Angestellte Schweiz.
 17 Rund 80% der Beschäftigten sind heute im Dienstleistungssektor und in
		 Wissensberufen tätig – in politischen Gremien sind sie stark untervertreten.
     29 Vision d’un monde meilleur post-COVID
6 Die Welt nach Corona - Angestellte Schweiz
chenk:
                                                                                                      Ihr Ges chein
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                                                                                                         im Wert
                                                                                                             F 3 0 .–
                                                                                                           CH

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6 Die Welt nach Corona - Angestellte Schweiz
IMPRESSUM                                     EDITORIAL

apunto                                                               Mit allen Sinnen voran!
Mitgliederzeitschrift Angestellte Schweiz
Revue des membres Employés Suisse
                                              Wir erleben aktuell den Aufbruch nach der Pandemie. Auf gehts in eine neue Zukunft! Dabei
Erscheinungsweise / Parution                  bewegen wir uns immer mehr in virtuellen Räumen. Darum empfehle ich Ihnen, sich digital
4 ≈ pro Jahr / 4 fois par an                  weiterzubilden. Ausserdem liegt mir daran, dass Sie sich etwas Wertvolles aus Urzeiten be-
                                              wahren: Ihre Verbundenheit mit der physischen, analogen Welt.
Druckauflage / Tirage                         Nutzen Sie darum täglich Ihre fünf Sinne: Schmecken, riechen, schauen, tasten und hören
22 000 Exemplare / copies                     Sie gut hin. So schärfen Sie Ihre Wahrnehmung und kommen sich selbst näher. Sie bewegen
                                              sich gefestigter in der physischen Welt. Heute nennt man das «Awarness» oder «Mental
Mitgliederauflage (WEMF-                      Health». Wer darauf achtet, bleibt robuster und trainiert seine Resilienz. Die Angestellten
beglaubigt) / Tirage certifié REMP            Schweiz unterstützen Sie dabei: mit verschiedenen Kursangeboten, bald auch mit einer neu-
16 233 Exemplare / copies                     en Gesundheits-App.
                                              Beginnen Sie aber schon heute mit Awarness-Übungen: morgens bewusst dem ersten Vogel-
Herausgeber / Editeur                         gezwitscher lauschen, unterwegs das Parfum eines Gegenübers erhaschen, abends den Som-
Angestellte Schweiz                           merwind über die Haut streichen lassen … Derlei Wahrnehmungen sind ein ständiges Acht-
Martin-Disteli-Strasse 9, Postfach 234        samkeitstraining. Damit fördern Sie Ihre mentale Gesundheit.
4601 Olten                                    Wie fühlt sich ein reifer Pfirsich an, wie schmeckt frisch gepflückte Pfefferminze? Noch kann
T 044 360 11 11                               kein digitales Tool solche Eindrücke vermitteln. In Ihrer physischen Welt sind sie indes im-
F 044 360 11 12                               mer abrufbar. Sie brauchen sie «nur» wahrzunehmen.
apunto@angestellte.ch                         So schüren wir die Freude am Dasein. Das ist die Kraft, die uns immer wieder neuen Antrieb
www.angestellte.ch                            gibt – für was auch immer kommen mag.

Redaktion / Rédaction
Hansjörg Schmid (hs), Virginie Jaquet (vj),                      En avant, tous sens en éveil !
Ariane Modaressi (am)

Onlineausgabe / Edition en ligne              Nous vivons actuellement un éveil post-pandémique. Nous allons vers un nouvel avenir !
www.apunto-online.ch                          Dans le même temps, nous entrons de plus en plus dans des espaces virtuels. C’est pourquoi
                                              je vous recommande de vous familiariser avec le numérique. De plus, je souhaite que vous
Anzeigen / Annonces                           gardiez quelque chose de précieux des temps anciens : votre attachement au monde physique,
Stämpfli AG, 3001 Bern                        analogique.
Anzeigenmanagement                            Utilisez donc vos cinq sens tous les jours : le goût, l’odorat, la vue, le toucher et l’ouïe. Cela
T 031 300 63 82                               aiguisera votre perception et vous rapprochera de vous-même. Vous avancerez avec plus
inserate@staempfli.com                        d’assurance dans le monde physique. Aujourd’hui, on appelle cela la « prise de conscience »
                                              ou la « santé mentale ». Si vous y prêtez attention, vous restez plus robuste et vous entraînez
Adressmutationen / Mutations                  votre résilience. Employés Suisse vous soutient dans cette démarche avec diverses offres de
mutationen@angestellte.ch                     cours, bientôt aussi avec une nouvelle application santé.
mutations@employes.ch                         Cependant, commencez dès aujourd’hui avec des exercices de sensibilisation : écouter consciem-
                                              ment le premier chant des oiseaux le matin, capter le parfum de quelqu’un sur le chemin,
Druck / Impression                            laisser le vent d’été effleurer votre peau le soir... De telles perceptions constituent un entraîne-
Stämpfli AG, 3001 Bern                        ment constant à la pleine conscience. Ce faisant, vous favoriserez votre santé mentale.
                                              Quelle est la sensation d’une pêche mûre, quel est le goût de la menthe poivrée fraîchement cueil-
Gestaltung / Conception                       lie ? Aucun outil numérique ne peut encore transmettre de telles impressions. Dans votre monde
sofies Kommunikationsdesign, Zürich           physique, cependant, elles sont toujours disponibles. Vous devez « seulement » les percevoir.
                                              C’est ainsi que nous alimentons notre joie d’être. C’est la puissance qui nous donne toujours
Nachdruck mit ausdrücklicher Geneh-           un nouvel élan – pour tout ce qui peut arriver.
migung des Herausgebers gestattet.
La reproduction n’ est permise qu’ avec
l’ autorisation expresse de l’ éditeur.

Titelseite: iStockphoto

                                                                                                 —
                                                                      Stefan Studer, Geschäftsführer der Angestellten Schweiz
                                                                                    Directeur d’Employés Suisse
6 Die Welt nach Corona - Angestellte Schweiz
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                                                                                                      Votre c d’une
                                                                                                               op
                                                                                                       bon Co         .–
                                                                                                          ur de CHF 30
                                                                                                      vale

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6 Die Welt nach Corona - Angestellte Schweiz
INHALT / SOMMAIRE                                                                                                         5

    DAS THEMA: DIE WELT NACH CORONA
 SUJET PRINCIPAL : LE MONDE DE L’APRÈS-COVID                              6 Die Welt dreht sich nach Corona schneller
                                                                          8 Schrecklich schöne neue Arbeitswelt
       Foto: iStockphoto

                                                                         10 Die Pandemie erschwert den Berufseinstieg
                                                                         12 Häusliche Gewalt und Corona
                                                                         14 Vision einer besseren Welt nach Corona
                                                                         27 Le terrible nouveau monde du travail
                                                                         29 Vision d’un monde meilleur post-COVID
                                                 DIE ARBEITSWELT
                                                LE MONDE DU TRAVAIL
       Foto: iStockphoto

                                                                       15 Die Aufgabe bleibt:
                                                                      		 den CO2-Ausstoss senken
                                                                         16 Die Bodenbelagsbranche kriegt die Kurve

                                                   DER VERBAND          17 Untervertretung vieler Berufsgruppen
                                                   L’ ASSOCIATION
                                                                      		 in der Politik
                                                                       18 Rückblick auf die Delegiertenversammlung
       Foto: iStockphoto

                                                                       20 Impulse für Ihre körperliche und
                                                                      		 seelische Gesundheit
                                                                       22 Gelungene Übergabe der Mitglieder-
                                                                      		 Rechtsberatung an Coop Rechtsschutz
                                                                       30 Rétrospective – l’assemblée des délégués 2021
                                                                       31 La loi COVID-19 profite à de nombreux
                                                                      		professionnels
                                                   AUSSERDEM ...
                                                    EN OUTRE …
       Foto: Stapferhaus / Anita Affentranger

                                                                         24 Es ist überall: das Geschlecht
6 Die Welt nach Corona - Angestellte Schweiz
DAS THEMA: DIE WELT NACH CORONA   6

       Die Welt dreht
       sich schneller
6 Die Welt nach Corona - Angestellte Schweiz
DAS THEMA: DIE WELT NACH CORONA                                                                                                                 7

C
        ovid-19 mag eine grosse Krise ausgelöst, die Menschen in Schockstarre

                                                                                                                                                      Foto: iStockphoto
        versetzt, die Welt angehalten haben. Aber nur für eine – erstaunlich
        kurze – Zeit. Wir Menschen haben uns als äusserst anpassungsfähig
erwiesen, uns an die neue Situation gewöhnt und wirkungsvolle Massnahmen
gegen die Pandemie ergriffen. Natürlich gab es dabei grosse Schwierigkeiten,
zum Erstaunen vieler gerade in der vermeintlich perfekt organisierten und rei-
chen Schweiz (erinnert sei an das Debakel um Masken und Desinfektionsmit-
tel und die verpasste Digitalisierung beim Bundesamt für Gesundheit). In der
Arbeitswelt gelang hierzulande aber eine rasche und geschmeidige Anpassung
an die neue Situation. Zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebern zeigte
sich eine neue Solidarität, und die Menschen gingen aufeinander zu und hal-
fen sich gegenseitig. Innert kürzester Zeit wurden, auch mit Schweizer Beteili-
gung, neue Impfstoffe entwickelt. Der Auto- und der Luftverkehr nahmen
dramatisch ab, und wir merkten: Es geht auch mit weniger Mobilität.

Dennoch hat die Coronakrise die Welt stark verändert. Vieles hat sie beschleu-
nigt, zum Beispiel die Digitalisierung, die Entwicklung von Medikamenten und
nicht zuletzt die Diskussion um zukunftsfähige Arbeitsmodelle. Die Welt dreht
sich ein wenig schneller. Die grossen Herausforderungen aber bleiben, allen vo-
ran der Klimawandel. Werden wir sie in der Welt nach Corona meistern?

Lesen Sie in diesem Apunto auf den Seiten 8 bis 9, wie die Arbeitswelt nach       Die Pandemie hat uns gelehrt, wieder mehr aufeinander zu schauen.
Corona aussehen wird. Wo Sie herausgefordert werden, wie Sie diese Heraus-
forderungen packen können und wo Ihre Chancen sind.

Wird es eine Generation Corona geben, deren Berufseinstieg besonders                         Lesen Sie auch auf
schwierig ist? Wir analysieren die Situation der Menschen in der Berufsaus-
bildung auf den Seiten 10 und 11.                                                             Apunto-Online
Die Coronapandemie verstärkt Risikofaktoren, die häusliche Gewalt begüns-
tigen. Auf den Seiten 12 und 13 erfahren Sie, wie genau die aktuelle Lage dies-             Berufsausbildung in Zeiten von Corona:
bezüglich aussieht.                                                                                 Interview Lukas Meier
                                                                                                              —
Können wir die Welt nach Corona dank den Erkenntnissen aus der Krise bes-
ser machen? Der Unternehmensberater in Zukunftsfragen, Joël Luc Cachelin,
hat bestechende Ideen dafür (Seite 14).
                                      —
                       Hansjörg Schmid, Ariane Modaressi

                                                                                                     Interview Flurin Bucher
                                                                                                                —

                                                                                                 Die wirtschaftlichen Folgen der
                                                                                                        Coronapandemie
                                                                                                               —

               Welt nach Corona: Restart in beschleunigtem Modus.
6 Die Welt nach Corona - Angestellte Schweiz
DAS THEMA: DIE WELT NACH CORONA                                                                                                                                                                8

              Schrecklich schöne neue
                    Arbeitswelt
            Die Welt nach der Coronapandemie ist dynamischer als zuvor: Die Industrie brummt;
              der Arbeitsmarkt zieht an; überall entsteht Wandel. Angestellte stehen daher vor
           immer grösseren Herausforderungen – und vor enormen Chancen. Wer jetzt innere und
                               berufliche Stärken ausbaut, hat gute Karten.

Ein neuer Geist in der Arbeitswelt wirbelt ge-                                                                                                    Arbeitsbereiche während der Pandemie nicht

                                                                                                                              Foto: iStockphoto
rade unsere Spielkarten durcheinander: «Die                                                                                                       so schlagartig verändert wie jene in der Office-
Krise nimmt Kultur, Gesellschaft und Wirt-                                                                                                        Arbeit. In ihren Branchen ist der Wandel eben-
schaft auseinander», schreibt der führende                                                                                                        so im vollen Gange: Auch in der Industrie oder
deutsche Zukunftsforscher Matthias Horx in                                                                                                        im Gesundheitswesen halten Roboter und
seinem neuen Buch «Die Welt nach Corona»*.                                                                                                        künstliche Intelligenz Einzug.
«Alles setzt sich neu zusammen», so Horx.
                                                                                                                                                      Die neue Auf bruchstimmung bringt
Für seine Zukunftsstudie haben Horx und sei-                                                                                                                 Innovationen hervor
ne Mitforschenden untersucht, wie sich die
Pandemie auf unsere Zukunft auswirkt: Sie                                                                                                         So erfüllen Fachkräfte beispielsweise ihre
beschleunigt die Digitalisierung und gibt New                                                                                                     Werkführungen oder Wartungsarbeiten zu-
Work einen kräftigen Schub. New Work steht                                                                                                        nehmend mithilfe virtueller Realitäten und
für eine neue Art des Arbeitens. Dabei macht                             Gearbeitet wird vermehrt im Homeoffice.                                  dem Internet der Dinge (IoT). Statt im Laden-
man sich ständig und rasch mit neuen Techno-                                                                                                      lokal beraten Verkäuferinnen und Verkäufer
logien vertraut.                                                         wider Willen in die neuen Arbeitsformen.                                 ihre Kundschaft immer öfter online: Die Mö-
                                                                         Mittlerweile wollen sie die Vorzüge davon nicht                          belberaterin kommt via Bildschirm zu uns
New Work verlangt nebst digitalen Fähigkeiten                            mehr aufgeben: Aktuelle Umfragen zeigen,                                 nach Hause. Der Online-Optiker ermöglicht
auch nach neuen überfachlichen Fähigkeiten,                              dass ein Grossteil der Arbeitgebenden und                                virtuelle Brillen-Anproben in 3-D-Qualität. In
nach sogenannten Metakompetenzen: So ist es                              -nehmenden das Homeoffice zumindest teil-                                der Pflege unterstützen Roboter das Personal;
etwa immer wichtiger, dass jeder und jede sich                           weise behalten will. Unternehmen richten sich                            in der medizinischen Diagnostik stützt man
gut selbst organisieren kann. Ebenso sollen An-                          in Zukunft daher auf hybride Modelle aus.                                sich auf die Analysen von KI-Systemen.
gestellte fähig sein, empathisch und flexibel zu
arbeiten. Sie sollen mehr Eigenverantwortung                             Noch nie haben wir in einer so grossen Dyna-                             Der aktuelle Wandel in der Arbeitswelt bestä-
übernehmen und eigene Lösungen für Proble-                               mik Arbeitsprozesse angepasst. Auch ausser-                              tigt, was Horx in seiner Zukunftsstudie
me finden. Wer arbeitsmarktfähig bleiben will,                           halb von klassischen Bürotätigkeiten verlagern                           schreibt: «Krisen, insbesondere Epidemien,
benötigt künftig solche Kompetenzen.                                     sich viele berufliche Tätigkeiten in (teil-)virtu-                       haben oft paradoxale Wirkung.» Sie lösen ge-
                                                                         elle Räume. Künftig werden wir mit unseren                               gensätzliche Entwicklungen aus. So könne
      Arbeitsweisen verändern sich rasch                                 Mitarbeitenden stärker kollaborieren und ko-                             «aus Schrecken Aufbruch werden und aus
               und dynamisch                                             operieren. Dies immer öfter auch im Zusam-                               Angst Konstruktivität». Die Ära nach Corona
                                                                         menspiel mit Robotern. Wir arbeiten mehr                                 legt aufgestaute und neue Kräfte frei.
Wer im letzten Jahr im Homeoffice tätig war,                             miteinander statt nebeneinander: Teamwork,
hat dies bereits am eigenen Leib erfahren. Zu                            Vielfalt im Sinne von Diversity und Interdiszi-                                 Aufwärtstrend beflügelt – und
Beginn schickten sich viele Angestellte noch                             plinarität sind angesagt.                                                             fordert heraus

                                                                         Das gilt auch für die rund 40 Prozent aller Be-                          Tatsächlich stehen die Ampeln aktuell auf
* «Die Welt nach Corona. Business, Märkte, Lebenswelten – was sich
ändern wird» ist digital erhältlich unter https://onlineshop.zukunfts-
                                                                         rufstätigen, die ihre Arbeit nicht im Homeoffi-                          Grün: Das Amt für Wirtschaft und Arbeit
institut.de/shop/die-welt-nach-corona/.                                  ce ausüben können. Bloss haben sich deren                                (AWA) hält fest, dass der Wirtschaftsstandort
6 Die Welt nach Corona - Angestellte Schweiz
DAS THEMA: DIE WELT NACH CORONA                                                                                                               9

                                                                                                                             Wir helfen Ihnen,
Foto: iStockphoto

                                                                        «2020er-Jahre werden zum Jahrzehnt der Re-
                                                                        silienz», schreibt Co-Autor Harry Gatterer in
                                                                        der oben erwähnten Zukunftsstudie.                  Ihre eigene Zukunft
                                                                        Gefragt ist mehr Unternehmertum: in den Un-             zu gestalten
                                                                        ternehmen – aber auch bei jedem und jeder
                                                                        Arbeitnehmenden. Sie nehmen das Heft für
                                                                        ihre berufliche Entwicklung verstärkt selbst in     Die Angestellten Schweiz stärken ihren
                                                                        die Hand. Sie setzen auf mehr Eigenverant-          Mitgliedern mit folgenden Angeboten den
                                                                        wortung, stärken ihre Selbstführungskompe-          Rücken:
                                                                        tenz und ihre Employability: also ihre Fähig-
                                                                        keit, im Arbeitsmarkt zu bestehen.                  Nutzen Sie für Ihre Suche nach geeigne-
                                                                                                                            ten Weiterbildungen die Hilfe unseres
                                                                        Das erreichen Sie, wenn Sie sich in zwei Berei-     Car­eer Boosters: Das ist eine kostenlose
                                                                        chen fit machen:                                    Software der Angestellten Schweiz. Sie
                                                                                                                            hilft Ihnen, die Weiterbildung zu finden,
                                                                        1. Sie bilden sich beruflich weiter, vor allem in   die Sie beruflich am besten weiterbringt.
                                                                           ihrer digitalen Kompetenz. Denn die Coro-
                                                                           nakrise ist der stärkste Digitalisierungstur-    In unseren Upskilling Workshops erwei-
                                                                           bo, den wir bisher kennen. Die Digitalisie-      tern Sie Ihre Fach-, Sozial- und Selbst-
                                                                           rung, Automatisierung und künstliche             kompetenzen und erhöhen damit Ihre
                                                                           Intelligenz prägen künftig das Arbeitsle-        Arbeitsmarktfähigkeit.
                                                                           ben. In jeder Branche.                                              —

                                                                        2. Sie stärken ihre Gesundheit: Sie fördern
                    Roboter gesellen sich zu uns an den Arbeitsplatz.      ihre körperliche, geistige und psychische
                                                                           Fitness. Wer immer flexibel und dynamisch
                    Schweiz «beflügelt» sei. Die exportorientierte         bleiben und lebenslang lernen soll, der
                    Industrie ist bereits mitten im Aufschwung.            braucht innere Stärke. Wer auf komplexer
                    Aktuelle Zahlen des grössten Verbands der Ma-          werdende Arbeitswelten zusteuert, muss
                    schinen-, Elektro- und Metallindustrie Swiss-          lernen, vielschichtig zu denken. Oder wie es     Ihre Resilienz, Weiterentwicklung und
                    mem bestätigen den Aufwärtstrend. Auch die             Gatterer schreibt: «Nach dem Crashkurs in        Gesundheit fördern Sie in unseren aktuel-
                    Konjunkturforschungsstelle KOF kündigt an,             Sachen Digitalisierung hilft nun ein Crash-      len Kursen: Hier erfahren Sie zum Bei-
                    dass sich die Schweizer Wirtschaft deutlich er-        kurs im komplexen Denken».                       spiel mehr über Mentaltraining oder ge-
                    holen wird: Für 2022 erwartet sie einen Zu-                                                             sunde Ernährung und Leistungsfähigkeit.
                    wachs von 2,8 Prozent. «Der Aufschwung ist          Doch ist das alles nicht etwas zu viel verlangt?    Sie lernen, wie Sie digitalen Wandel als
                    da – früher und stärker als bislang erwartet»,      Will man das überhaupt? Hier mag die Er-            Chance nutzen.
                    schreibt die KOF in einer Medienmitteilung          kenntnis helfen, dass niemand gerne Spielball                          —
                    Ende Juni. Die Lage sei als sehr positiv zu be-     der Veränderungen werden möchte. Dass man
                    werten – vorausgesetzt, das Virus gehe zurück.      einen Wandel aktiv beeinflussen und sich
                                                                        durchaus anpassen kann. Letztlich kann jede
                    Grund genug zur Zuversicht? Ja, aber … Einer-       Form der Änderung nur aus uns selbst heraus
                    seits dürfen Schweizer Arbeitnehmende er-           stattfinden: Jeder ist seines eigenen Glückes
                    leichtert aufatmen. Andererseits müssen sie         Schmied.
                    sich rasch und flexibel neuen Herausforderun-
                    gen stellen: Wir erleben derzeit einen «grund-      Die Angestellten Schweiz geben Ihnen Werk-          Wie Sie am Arbeitsplatz gesund bleiben,
                    legenden Wandel», so Horx, es entstehe eine         zeuge in die Hand, um selbstverantwortlich          erfahren Sie unter anderem an unserem
                    «neue Weltordnung». Das verändere alle Le-          auf Ihre Karriere einzuwirken (siehe Kasten).       neuen «Netzwerk-Event Fokus Gesund-
                    bensbereiche.                                       Sie haben Einfluss darauf, ob die neue Arbeits-     heit»: Fachleute geben Ihnen dort Impul-
                                                                        welt schrecklich oder schön wird. Setzen Sie        se und praktische Tipps. Die nächsten An-
                    In der Arbeitswelt führe das zu Verschiebun-        auf die richtigen Karten! Wer sich jetzt anpas-     lässe dazu finden im September und
                    gen in den Märkten, Geschäftsmodellen und           se, so schreibt Buchautor Gatterer, habe «mehr      November statt.
                    Wertschöpfungen. In den Firmen ändern sich          von der Zukunft.»                                                       —
                    die Führungsstile, Denk- und Fühlweisen.                                      —
                                                                                    Stefan Studer, Geschäftsführer
                        Das Heft in die eigene Hand nehmen                               Angestellte Schweiz

                    Holen wir also tief Atem, und schauen wir den
                    neuen Realitäten in die Augen! Denn die
6 Die Welt nach Corona - Angestellte Schweiz
DAS THEMA: DIE WELT NACH CORONA                                                                                                                    10

          Die Pandemie erschwert
            den Berufseinstieg
             Die Coronamassnahmen trafen Menschen in der Ausbildung gleich zweifach:
         Sie erschwer(t)en das Lernen ebenso wie den Einstieg in den Arbeitsmarkt. Nicht alle
                                    Branchen sind gleich betroffen.

«Der Bewerbungsprozess für Praktikumsstel-                                                              zurechtzufinden.» Die direkten Kontakte kön-
len war besonders schwierig, nicht nur bei mir,                                                         ne man eben schlecht durch virtuelle ersetzen.
auch bei den anderen», antwortet Lukas Meier
auf die Frage, wie sich die Coronapandemie auf                                                          Lukas Meier empfindet die Einschränkungen
seine Ausbildungssituation auswirkt (siehe In-                                                          durch die Coronamassnahmen, was die Schule
terview auf Apunto-Online). Er ist seit dem letz-                                                       betrifft, nicht dramatisch. Bei der Arbeit gebe
ten Sommer in der Ausbildung zum Hotelkom-                                                              es jedoch Erschwerungen. Er nennt ein Bei-
munikationsfachmann an der EHL Swiss                                                                    spiel: «Wegen der Masken ist es schwieriger,
School of Tourism and Hospitality in Passugg.                                                           die Menschen zu ‹lesen›, also anhand der Mi-
Sein erstes Praktikum musste er etwas früher                                                            mik zu erkennen, wie es ihnen geht. Dies macht
beenden, weil sein Betrieb wegen Corona kur-                                                            die Betreuung der Hotelgäste nicht einfacher.»
zerhand geschlossen wurde. Lange war er im
Ungewissen, ob er rechtzeitig eine Stelle für sein                                                      Beide Lernende lassen aber den Kopf nicht
Zweitpraktikum findet, um seine Ausbildung                                                              hängen und machen aus der Situation das Bes-
fortsetzen zu können. Im Toggenburg klappte es                                                          te. «Man kann gerade in einer schwierigeren
letztlich dann. Weniger Glück hatte ein Kollege                                                         Situation viel lernen, mehr als bei einem Nor-
von Lukas. Er musste sein Praktikum abbre-                                                              malbetrieb», gibt Lukas Meier zu bedenken.
chen, weil es in seinem Betrieb nicht funktio-                                                          Flurin Bucher tauscht sich so viel wie möglich
nierte – und fand keine neue Praktikumsstelle                                                           aus und pflege Kontakte virtuell. Ihm hilft das
mehr. Er musste die Lehre abbrechen und in ei-                                                          tägliche Meeting am Morgen um 8 Uhr, es
ner anderen Branche eine Lehrstelle suchen.                                                             bringt Struktur in seinen Tag.

Lukas Meier hat für diese Schwierigkeiten eine       Lukas Meier, in der Ausbildung zum Hotelkommuni-             Gefahr von Defiziten im
plausible Erklärung: «Die Betriebe erwarten          kationsfachmann.                                              Kompetenzenerwerb
gerade in der Coronazeit, dass Mitarbeitende
sehr viel Erfahrung mitbringen. Darum wer-           seine Ausbildung problemlos auch online ab-        Das Forschungsprojekt LehrstellenPuls hat
den häufig keine Praktikanten und Lehrlinge          solvieren. Dies ist zwar in der Krise praktisch,   untersucht, wie stark die Covid-19-Pandemie
eingestellt, weil ihnen diese Erfahrung eben         aber der junge Mediamatiker leidet auch dar-       den Kompetenzenerwerb der Berufslernenden
noch fehlt. Man muss sie zuerst ausbilden – das      unter, dass er immer im Homeoffice ist. Seit       beeinträchtigt. Der Befund ist klar: «Ihre Aus-
kostet den Betrieb Zeit und Geld.»                   Lehrbeginn war er nur zweimal draussen, sei-       wirkungen erschweren nicht nur den Erwerb
                                                     nen aktuellen Lehrmeister hat er in persona        dieser Kompetenzen, sondern auch das Nach-
      Erschwerter sozialer Austausch                 noch nie getroffen. «Es ist oft einsam», sagt      holen des verpassten Stoffs.» Zurückzuführen
                                                     Flurin. «Wenn ich Pause mache, klappe ich den      sei dies vor allem auf das Homeoffice und das
Anders präsentiert sich die Situation für Flurin     Laptop zu und esse zu Hause in meiner Küche        Ausbleiben einer betrieblichen Ausbildung.
Bucher, Mediamatiker bei der Swisscom im             etwas, statt mich mit Kolleg*innen zu treffen.     Der Einfluss war in der zweiten Welle noch
ersten Lehrjahr (siehe Interview auf Apunto-         Als sozialer Mensch vermisse ich die direkten      stärker als in der ersten. Ursula Renold, Leite-
Online). Mediamatiker ist ein Beruf an der           menschlichen Kontakte, den sozialen Aus-           rin des LehrstellenPuls-Teams der ETH Zü-
Schnittstelle von Grafik, Design, KV und In-         tausch schon sehr. Es ist für mich auch schwie-    rich, ist besorgt darüber. Zum einen hätten die
formatik. Der Abschluss bietet beste Berufs-         riger, Kontakte zu knüpfen, ein Netzwerk auf-      betriebspraktischen und die theoretischen
chancen. Im Gegensatz zu Lukas kann Flurin           zubauen und mich im System der Firma               Kompetenzen der Lernenden abgenommen,
DAS THEMA: DIE WELT NACH CORONA                                                                                                                     11

                                                                                                           Lehrstellensituation
                                                                                                             erstaunlich gut
                                                                                                           Das Forschungsprojekt LehrstellenPuls, das
                                                                                                           die Situation auf dem Lehrstellenmarkt auf-
                                                                                                           zeigt, gibt es seit gut einem Jahr, was Ver-
                                                                                                           gleiche zum Vorjahr ermöglicht. Die aktu-
                                                                                                           elle Lage ist gar nicht schlecht. 82% der für
                                                                                                           diesen August angebotenen Plätze waren
                                                                                                           im Juni bereits besetzt. Nur 0,3% der Ler-
                                                                                                           nenden erhielten in diesem Monat keine
                                                                                                           betriebliche Ausbildung. Die Betriebe sind
                                                                                                           zuversichtlich, dass die Qualifikation regu-
                                                                                                           lär erfolgen kann.

                                                                                                             Gesundheitsberufe
                                                                                                              im Aufschwung
Flurin Bucher, Lernender Mediamatik im ersten Lehrjahr.
                                                                                                           Die Coronakrise hat offenbar die erfreuli-
zum anderen gehe Schulstoff verloren, konsta-       Mit einer weiteren, höheren Bildung würde              che Folge, dass sich mehr junge Menschen
tierte sie gegenüber der «Sonntagszeitung».         Lukas einen Weg gehen, den bereits viele Be-           für eine Lehre im Gesundheitswesen inter-
                                                    rufsbildungsabsolvent*innen gewählt haben,             essieren. Gemäss der Lehrstellenplattform
Lukas Meier sieht seine persönliche Situation,      weil sie keine Arbeitsstelle gefunden haben.           Yousty ist die Ausbildung zur Fachfrau /
was die Berufsqualifikation anbelangt, ent-         Arbeitsmarktexpert*innen raten in einer sol-           zum Fachmann Gesundheit nach dem KV
spannter: «Ich glaube nicht, dass ich aufgrund      chen Situation genau dazu. Wer jetzt zum Bei-          neu die zweitbeliebteste Lehre. Auf Platz
der Qualifikation während der Coronazeit            spiel die Berufsmatura macht, wird auf dem             drei folgt die medizinische Praxisassisten-
schlechtere Chancen haben werde. Ich kann in        Arbeitsmarkt umso begehrter sein. Berufsein-           tin / der medizinische Praxisassistent. Die-
allen Bereichen Erfahrungen sammeln und             steiger*innen werden sowieso schon bald wie-           se Fachkräfte werden dringend gebraucht.
werde ganz normal qualifiziert sein.» Flurin        der äusserst gefragt sein, weil die Generation
Bucher kann sich zwar vorstellen, dass Defizite     der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt ver-
entstehen können. Er kann dem aber entge-           schwindet.
genwirken: «Ich setze mir jeden Tag konkrete
Ziele.» Auch seine Begeisterung für den Beruf                Langzeitfolgen vermeiden                   Jahr reichte er eine Motion zur Errichtung ei-
wird Lücken verhindern.                                                                                 nes Fonds zur Beschäftigung und Ausbildung
                                                    Verschiedene Studien zeigen, dass eine Rezessi-     von Lehrabgänger*innen in der Coronakrise
          Schwierige Stellensuche                   on, die mit dem Berufseinstieg zusammenfällt,       ein sowie ein Postulat zur Stärkung der Berufs-
                                                    langfristige Auswirkungen auf die Arbeits-          erfahrung von arbeitslosen Lehrabgänger*in-
Trotz «ganz normaler Qualifikation» dürfte          marktsituation der betroffenen Arbeitnehmen-        nen. Die Motion wurde im Ständerat abge-
es für Lukas Meier schwierig werden, im von         den haben kann. Diese Gefahr besteht auch           lehnt, das Postulat angenommen.
der Pandemie besonders hart getroffenen             aufgrund der Pandemie. Typisch ist, dass Be-
Gastgewerbe nach der Ausbildung eine Stelle         troffene zeitweise arbeitslos sind, in schlechten   Eine unkomplizierte und wirkungsvolle Mög-
zu finden. «Es wird zwar in den Hotels sehr         oder tief qualifizierten Jobs arbeiten oder sich    lichkeit, Lehrabgänger*innen nicht im Regen
viel Personal gesucht, aber es gibt auch eine       von Praktikum zu Praktikum hangeln. Dies            stehen zu lassen, haben viele Betriebe bereits
riesige Konkurrenz um diese Stellen», schätzt       beeinträchtigt ihre Chancen auf eine Karriere       praktiziert: Sie beschäftigen diese im Betrieb
Lukas die Situation ein. Man müsse schon gut        und einen guten Lohn. Der Bildungsökonom            weiter.
sein und der richtige Typ für den Job. Der an-      Stefan Wolter befürchtet, dass «die schlechte-
gehende Hotelfachmann hat sich angesichts           ren ersten Jobs für immer im Lebenslauf sicht-      Die Schweizer Berufsbildungsbetriebe und -in-
der angespannten Situation bereits Weiterbil-       bar bleiben», wie er gegenüber SRF äusserte.        stitutionen haben die Coronakrise erstaunlich
dungspläne vorgenommen. Er will einen               «Die Betroffenen tragen eine Narbe mit sich         gut gemeistert. Bleiben die Menschen in der
Sprachaufenthalt machen und fasst an einer          rum.»                                               Ausbildung motiviert, so darf man zuversicht-
höheren Fachschule eine Ausbildung als Ho-                                                              lich sein, dass die «Generation Corona» ihren
telier ins Auge. «Damit könnte ich ein Hotel        Daniel Jositsch, Ständerat und Präsident des        Berufsweg unbeschadet machen wird.
führen, aber auch in anderen Branchen gut           Kaufmännischen Verbands, mochte dies nicht                                 —
einen Job finden», ist er überzeugt.                einfach hinnehmen. Bereits im Juni vor einem                         Hansjörg Schmid
DAS THEMA: DIE WELT NACH CORONA                                                                                                              12

  Häusliche Gewalt in Zeiten
         von Corona
 Die Pandemie und insbesondere der Lockdown hatten für jeden von uns grosse Auswirkungen.
        Besonders betroffen aber waren Frauen und Kinder, die schon vorher häuslicher
 Gewalt ausgesetzt waren und die sich durch die restriktiven Massnahmen gezwungenermassen
       viel mehr im häuslichen Umfeld aufhalten mussten. Wir haben mit verschiedenen
     Anlaufstellen gesprochen, um uns ein Bild davon zu machen, wie die Lage wirklich ist.

Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt                                                            konflikte und leichtere Formen häuslicher
sind in der Schweiz weitverbreitet und verursa-                                                     Gewalt, die nicht zu einer Anzeige führen, zu-
chen grosses Leid. Laut Regierung stirbt im                                                         genommen haben. So stellen die Opferbera-
Durchschnitt alle zweieinhalb Wochen eine                                                           tungsstellen in gewissen Kantonen eine Ten-
Frau an den Folgen eines solchen Übergriffs.                                                        denz zur Zunahme von Neumeldungen fest;
Schätzungsweise 27 000 Kinder sind jedes                                                            Frauenhäuser sind weitgehend ausgelastet und
Jahr von häuslicher Gewalt mitbetroffen. Seit                                                       müssen Hilfesuchende teils an Unterkünfte in
Jahren gibt es einen Trend zur leichten Zunah-                                                      anderen Kantonen vermitteln; und mehrere
me. Mit 20 123 Straftaten wurde 2020 ein neu-                                                       Kantone, in denen die Zahl der Polizeieinsätze
er Höchststand im Bereich der häuslichen Ge-                                                        (auch ohne Strafverfahren) erhoben wird, be-
walt registriert.                                                                                   obachten temporär einen Zuwachs an Inter-
                                                                                                    ventionen.
           Schweigende Telefone
              im Lockdown                                                                                     Wo man Hilfe bekommt

Die Coronapandemie verstärkt Risikofaktoren,                                                        Diese Ausgangslage erfordert auch in den
die häusliche Gewalt begünstigen. Laut Opfer-                                                       nächsten Monaten eine intensive Beobachtung
hilfe Schweiz sind hier insbesondere wirtschaft-   Auch laut SODK (Konferenz der kantonalen         vonseiten der Behörden. Gewaltbetroffene
liche Not, Existenzängste und die Mehrfachbe-      Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren)        selbst, ihre Angehörigen oder Nachbarinnen
lastung durch Homeoffice und Homeschooling         2020 lässt sich gemäss der Opferhilfestatistik   und Nachbarn müssen wissen, wo sie Hilfe er-
ausschlaggebend. Aber auch Suchtprobleme           insgesamt eine Zunahme der Beratungen der        halten: Sei dies in Form von Beratung bei der
sind hier zu nennen, die potenziell zu Stress­     Opferhilfe (2020: 43 263, 2019: 41 154 Bera-     Opferhilfe oder bei der Polizei unter der Not-
situationen innerhalb des Haushalts führen.        tungen) feststellen.                             rufnummer 117.

Während des Lockdowns gab es kaum Mel-                    Task Force Häusliche Gewalt               Um diese Hilfsangebote bekannter zu machen,
dungen von Betroffenen. Die Telefone standen                      und Corona                        gab es im vergangenen Jahr verschiedene kan-
praktisch still, wie Pia Allemann, Co-Geschäfts-                                                    tonale Kampagnen. Auf nationaler Ebene
leiterin von der Zürcher Beratungsstelle für       Die «Taskforce Häusliche Gewalt und Corona»      führte die Taskforce eine Plakataktion in 13
Frauen gegen Gewalt in Ehe und Partnerschaft       von Bund und Kantonen nimmt seit Frühling        Sprachen sowie zwei Social-Media-Kampag-
(BIF) berichtet. «Nach dem Lockdown 2020,          2020 regelmässig Lagebeurteilungen anhand        nen zur nationalen Website www.opferhilfe-
im Mai und Juni hatten wir dafür rund 30%          der Informationen der Einsatzbehörden, der       schweiz.ch durch. Mit Letzteren konnten 2,3
mehr Meldungen von häuslicher Gewalt.» Ih-         kantonalen Opferhilfestellen und der Schutz-     Millionen Personen erreicht werden, davon
rer Meinung nach konnten sich während des          unterkünfte vor. Gemäss der aktuellen Beur-      600 000 Jugendliche. Eine Wiederaufnahme
Lockdowns viele Frauen keine Hilfe holen.          teilung gibt es Hinweise dafür, dass Familien-   dieser Kampagne wird geprüft.
DAS THEMA: DIE WELT NACH CORONA                                                                                                      13

    Interaktives Online-Tool im Auf bau

Der Coronalockdown hat den schweizerischen
Frauendachverband alliance F auf die Idee ge-
bracht, ein interaktives Online-Tool zu entwi-
ckeln, das von häuslicher Gewalt Betroffene
und Angehörige früh erreichen soll, sie infor-
miert, in der Entscheidungsfindung begleitet
und sie ermutigt, Hilfe bei bestehenden Ange-
boten zu suchen. Mit dem Tool #withyou kön-
nen Betroffene auch die Gesundheit ihrer Be-
ziehung testen sowie potenzielle Beweise für
die Gewalt sicher und diskret online abspei-
chern. Ziel ist es, Frauen abzuholen, bevor die
Gewalt eskaliert.

Mit solchen Online-Tools ergänzt und unter-
stützt #withyou die Arbeit von Anlaufstellen
und weiteren Personen wie Hausärzt*innen
oder Polizist*innen, die regelmässig Kontakt
mit Betroffenen haben.

Das Tool wird derzeit mit der Unterstützung
von Gewaltbetroffenen, Angehörigen und wei-
teren Akteur*innen entwickelt und getestet,
um sicherzustellen, dass es wirklich hilfreich
ist und genutzt wird. Im Frühjahr 2022 soll es
lanciert werden.

   Mehr Informationen unter
      www.with-you.ch

   Ein internationales Handzeichen soll
         eine Notlage signalisieren

Die kanadische Stiftung Canadian Woman
Foundation kreierte für Frauen bereits im Ap-
ril 2020 ein Handzeichen, mit dem Opfer ih-
rem Umfeld und Passanten unauffällig mittei-
len können, dass sie in Not sind. Das Zeichen
hat bereits in den sozialen Medien mit Videos
international für Aufmerksamkeit gesorgt. In
der Schweiz ist das Zeichen noch weitgehend        Mehr Informationen: www.canadianwomen.org
unbekannt.
                                                             Hier ein Link                     Adressen bei Gewalt
Es geht wie folgt: Die sich in Notlage befinden-
de Person klappt dazu ihren Daumen zur
                                                          für das Video dazu:
Handinnenfläche hin und schliesst danach die                                                   Beratung und Hilfe für Opfer von Gewalt:
übrigen 4 Finger über dem Daumen. Die                                                                 www.opferhilfe-schweiz.ch
Handinnenfläche sollte dazu zur Person zei-                                                         Beratung und Hilfe für Gewalt
gen, der man Hilfe signalisieren will.                                                                   ausübende Personen:
                        —                                                                           www.fvgs.ch/Fachstellen.html
                 Ariane Modaressi                                                                    Polizeiliche Notfallnummer:
                                                                                                               Telefon 117
DAS THEMA: DIE WELT NACH CORONA                                                                                                                                      14

    Vision einer besseren Welt
           nach Corona
Wir sollten die Coronapandemie als Weck-                                                                                      seitige Lernen, das Zeitreisen und das Fan-

                                                                                                       Foto: iStockphoto
ruf begreifen und die Chance nutzen, eine                                                                                     tasieren» fördern.
bessere (Arbeits-)Welt zu gestalten. Der Un-
ternehmensberater in Zukunftsfragen Joël                                                                                   — Statt für einen einzigen Arbeitgeber können
Luc Cachelin gibt uns dazu in seinem Buch                                                                                    Menschen für ein Ökosystem tätig sein, für
«Antikörper» wertvolle Anstösse.                                                                                             eine Gruppe von Unternehmen mit ähnli-
                                                                                                                             chen Zielen.
Machen wir nach Corona weiter wie bisher?
Können wir es überhaupt angesichts des dro-                                                                                — Lernguthaben sollen das lebenslange Ler-
henden Klimakollapses, der zunehmenden                                                                                       nen sicherstellen.
Spaltung der Gesellschaft, der grassierenden
Verschwörungstheorien, der wachsenden Un-                                                                                  — «Das gesellschaftliche Immunsystem funk-
sicherheiten, weiterer möglicher Pandemien?                                                                                  tioniert als Kollektiv.» Wir dürfen uns also
Für den Unternehmensberater und Gründer                                                                                      nicht antikollektiv verhalten, also nur unse-
des digitalen Thinktanks für die digitale Ge-                 In Kreisläufen denken                                          re eigenen Interessen verfolgen. Zudem
sellschaft Joël Luc Cachelin lautet die Antwort                                                                              dürfen wir bescheidener und weniger an-
klar «Nein». In seinem Buch «Antikörper»           Bisher haben wir, gerade bei Innovationen, li-                            spruchsvoll werden.
zeigt er auf, warum wir «Gefangene der Ge-         near gedacht. Stattdessen schlägt Joël Luc Ca-
genwart» sind, und entwirft mit Blick auf die      chelin vor, in Kreisläufen zu denken und zu                             — Damit Menschen flexibler und ohne (finan-
Vergangenheit eine bessere Zukunft.                handeln. (Mit seinem Buch macht er es selbst                              zielle) Nachteile dort zum Einsatz kommen
                                                   vor, es ist als Kreislauf angelegt.) Jede Innova-                         können, wo sie gebraucht werden (in einer
        Wir stehen unserer Zukunft                 tion hat Chancen und Risiken, Wirkungen und                               Pandemie z. B. im Contact Tracing oder in
               selbst im Weg                       Nebenwirkungen. Dessen müssen wir uns be-                                 einem Impfzentrum), ist ihr Einkommen zu
                                                   wusst sein und entsprechend verantwortungs-                               sichern, beispielsweise mit einem Grund-
Gemäss Cachelins Analyse klammern wir uns          voll handeln.                                                             einkommen.
an alte Innovationen und bremsen damit den
Fortschritt aus. Sei dies in der Technologie, wo   Wo müssen wir für eine bessere Zukunft an-                              — Technologie können wir gezielt und sinnvoll
zum Beispiel die Handykameras immer mehr           setzen, was soll sich konkret ändern? Cachelin                            einsetzen, um Viren zu entdecken und zu
Megapixel produzieren, aber keine besseren         macht eine Reihe von Vorschlägen. Besonders                               tracen, aber auch, um der Umwelt Sorge zu
Fotos machen. Sei es in unserer Beziehung zu       bedenkenswert sind die folgenden:                                         tragen. «Grüne und digitale Transformati-
den Tieren, die wir ausbeuten, um uns unge-                                                                                  on wachsen zusammen.»
sund zu ernähren und dabei zu riskieren, mit       — Drei Viertel der Infektionen, die wir uns
tödlichen Viren angesteckt zu werden. Sei es in      einfangen, stammen von Tieren. Die Men-                               Damit werden wir in der Vorstellung von Joël
der Wirtschaft, die zu sehr auf den kurzfristi-      schen sollen darum Wildtiere in Ruhe las-                             Luc Cachelin selbst zu Antikörpern und meis-
gen Gewinn ausgerichtet ist und sich kaum da-        sen und Ihre Lebensräume nicht zerstören.                             tern kommende Epidemien und sonstige Kri-
rum kümmert, was ihre Produkte für Auswir-           Die anderen Tiere sollen nicht in Massen                              sen.
kungen auf Umwelt, Mensch und Tier – und             gehalten und ausgenutzt werden.                                                             —
Angestellte – haben. Sei es in den Medien, wo                                                                                              Hansjörg Schmid
es zu einer «Infodemie» kommt: Lügen und           — Unternehmen und Organisationen sollen
Halbwahrheiten verseuchen das Internet.              ganzheitlich handeln und keine Risiken aus-
Oder sei es in der Politik, wo die Ideologie wie     blenden. Sie sollen «lähmende Hierarchien»                              Buch «Antikörper»
ein grosses Brett vor dem Kopf jegliche Sicht        überwinden, ein gutes Betriebsklima schaf-
auf Lösungen verdeckt.                               fen, Diversität leben, die Chancen der Digi-
                                                     talisierung nutzen und ohne Abfall wirt-                                   Das Buch «Antikörper. Innovation
Covid-19 zeigt auf, wie wir den Weg in die Zu-       schaften. «Führung, Weiterbildung und                                   neu denken» von Joël Luc Cachelin ist im
kunft neu denken können.                             Unternehmenskulturen» sollen «das gegen-                                      Stämpfli Verlag erschienen.
DIE ARBEITSWELT                                                                                                                                                      15

          Die Aufgabe bleibt:
       den CO2-Ausstoss senken
Sehr viel lieber hätte ich an dieser Stelle                                                                                ist klar, dass Lenkungsabgaben die effizientes-

                                                                                                       Foto: iStockphoto
meine Freude über die gewonnene Abstim-                                                                                    ten Mittel sind, um den Klimawandel zu be-
mung zum CO2 -Gesetz ausgedrückt und Ih-                                                                                   kämpfen. Subventionen kosten mehr und leis-
nen erzählt, wie wir nun mit der Umsetzung                                                                                 ten weniger – da sind sich die Ökonomen einig.
beginnen wollen. Vielleicht sind Sie genauso
enttäuscht wie ich, vielleicht freuen Sie sich                                                                             Dass Lenkungsabgaben unbeliebt sind, liegt
aber auch darüber, dass angedrohte Kosten                                                                                  möglicherweise aber ganz einfach am verwende-
nun nicht auf Sie zukommen werden. Beide                                                                                   ten Begriff: Wer möchte schon gerne «gelenkt»
Wahrnehmungen müssen in einer Demo-                                                                                        werden? Vielleicht sollten wir die Kommunika-
kratie Platz haben.                                                                                                        tion vollständig umdrehen? Wie wäre Folgen-
                                                                                                                           des: Jeder Mensch in der Schweiz erhält am An-
Selbstkritisch müssen wir uns eingestehen,                                                                                 fang des Jahres einen Geldbetrag. Mit diesem
dass es der Pro-Kampagne nicht gelungen ist,                                                                               Betrag könnten Verschmutzungsrechte gekauft
die Abstimmenden mit einer konsistenten Vi-        Noch schlimmere Hitzewellen? Lieber nicht!                              werden. Schafft es jemand, mit geringeren
sion davon zu überzeugen, wie viele Vorteile                                                                               Emissionen auszukommen, bleibt das Geld frei
eine engagierte Klimapolitik für uns alle hat.     mehr auf fossile Treibstoffe angewiesen ist.                            für anderes. Vielleicht würde so eher sichtbar,
                                                   Gleiches gilt für die Industrie. Auch sie muss                          dass Preismechanismen Fairness herstellen.
          Die Wirtschaft ist bereit                möglichst schnell auf erneuerbare Energien
                                                   umstellen. Freiwilligkeit allein wird wohl nicht                        Wie dem auch sei: Die Demokratie kann ihre
Bei meinen Kontakten mit Firmenvertretern          ausreichen, um diese Ziele zu erreichen.                                Stärke ausspielen, wenn wir weiter im Dialog
stelle ich immer wieder fest: Die Wirtschaft ist                                                                           bleiben. Doch bleibt ein Wermutstropfen am
bereit, sich auf den Kampf gegen die Klima-        Wir müssen uns daher auch die Frage stellen,                            Ende dieser Kampagne, denn es wird offen-
krise einzustellen. Netto-Null-Ziele, wie sie      ob wir die klimapolitischen Werkzeuge anpas-                            sichtlich, dass es für die Demokratie eine Her-
immer mehr (vor allem grosse) Unternehmen          sen müssen. Wäre es beispielsweise sinnvoll, in                         ausforderung ist, unangenehme, aber notwen-
verabschieden, sind mehr als Lippenbekennt-        Zukunft klimataugliches Verhalten vermehrt                              dige Massnahmen anzunehmen.
nisse. Sie sind erste Schritte auf dem Weg in      zu subventionieren? Natürlich besteht diese                                                       —
eine klimataugliche Wirtschaft. Auch wenn          Möglichkeit, und in einzelnen Fällen mag sie                                       Christian Zeyer, Geschäftsführer
die Herausforderungen für die Wirtschaft           sich durchaus anbieten. Wir sollten aber nie                                                Swisscleantech
hoch bleiben: Die Auf bruchstimmung stimmt         vergessen: Geld, das in Subventionen fliesst,
mich optimistisch, dass wir auf diesem Weg         muss zuerst erarbeitet werden. Das würde be-                                     CO2 -Gesetz: Analyse
vorankommen können.                                deuten: Der Staat müsste die Steuern erhöhen.                                             —
                                                   Ob dies eine beliebte und Erfolg versprechende
Die täglich neuen Nachrichten über Rekord-         Massnahme wäre, muss jede*r selbst beurtei-
temperaturen in irgendwelchen Ecken der            len. Persönlich finde ich es schwierig, zu akzep-
Welt ermahnen uns aber zur Eile. Immer deut-       tieren, dass das Verschmutzen gratis sein soll
licher verdichten sich die Indizien für den Zu-    und dass man dafür bezahlt werden soll, nicht
sammenhang zwischen dem Klimawandel und            zu verschmutzen.
diesen Ereignissen. Es ist Zeit zu handeln.
                                                             Lenkungsabgaben besser                                                        Wie weiter
          Die Herausforderungen                                 als Subventionen                                                               —
             sind unverändert
                                                   Lenkungsabgaben, wie sie im bestehenden
Die Aufgaben, die vor uns stehen sind unver-       CO2 -Gesetz eine wichtige Rolle spielen und die
ändert. Nach wie vor müssen wir sicherstellen,     im neuen Gesetz hätten ausgebaut werden sol-
dass bis 2050 alle Gebäude fossilfrei beheizt      len, nennen das Kind beim Namen: Wer ver-
werden können und auch der Verkehr nicht           schmutzt, soll bezahlen. Ökonomisch gesehen
DIE ARBEITSWELT                                                                                                                                 16

                  Bodenbelagsbranche
                    kriegt die Kurve
Die Bodenbelagsbranche hat                                                                                       Die Lieferengpässe sieht auch Urs
sich in der Coronakrise gut ge-                                                                                  Steinegger als Problem. Er geht
schlagen. Neu fordern Liefer-                                                                                    aber davon aus, dass sich die Situa-
engpässe und steigende Preise                                                                                    tion in den nächsten sechs bis
für Holz und andere Baumate-                                                                                     zwölf Monaten entspannt. Mehr
rialien heraus.                                                                                                  Sorgen bereitet ihm etwas ande-
                                                                                                                 res: «Grundproblem der Branche
«Zum Glück fast gar nicht», sagt                                                                                 bereits in den Jahren vor dem Pan-
Daniel Heusser, Geschäftsleiter                                                                                  demieausbruch war und ist der
des Verbands BodenSchweiz, auf                                                                                   ruinöse Preiswettbewerb.» Er
die Frage, wie die Coronapande-                                                                                  hofft, dass sich die Materialpreise
mie die Bodenbelagsbranche ge-                                                                                   stabilisieren oder gar wieder etwas
troffen hat. BodenSchweiz habe                                                                                   zurückfallen, damit sich die unge-
sich bereits beim ersten Lock-                                                                                   nügende Marge verbessere. Urs
down vehement dafür eingesetzt,                                                                                  Steinegger ist allerdings pessimis-
dass die Baustellen offenbleiben.                                                                                tisch: «Angesichts der Unvernunft
Mit Erfolg, nur in den Kantonen     Daniel Heusser, Geschäftsleiter       Urs Steinegger, Eigentümer             und Unfähigkeit der Branche ist
Genf und Tessin wurden sie ge-      BodenSchweiz.                         Hans Hassler AG + Parkett-Maier AG.    das wohl Wunschdenken. Die be-
schlossen.                                                                                                       reits vor der Pandemie stark ange-
                                                                          schlagene Ertragskraft der Branche wird sich weiter verschlechtern.»
Urs Steinegger, Eigentümer der Hans Hassler AG + Parkett-Maier AG,        Steinegger erwartet eine beschleunigte «Bereinigung auf der Angebots-
stellte in der ersten Phase durchaus einen Rückgang der Nachfrage fest.   seite», also die Schliessung von Betrieben.
Aufträge wurden sistiert oder verschoben. «Private wollten keine Hand-
werker im Haus.» Ab Herbst 2020 habe sich die Nachfrage aber erholt.                               Getrübte Aussichten
Kurzarbeit haben Hans Hassler und Parkett-Maier nicht beansprucht.
Urs Steinegger ist mit der Auftragslage unter dem Strich zufrieden.       «Insgesamt erwarte ich in den nächsten ein bis drei Jahren, ausgehend
                                                                          von einem hohen Niveau, einen Nachfragerückgang nach Bodenbelägen
Dass es nicht schlimmer kam, führt Daniel Heusser auch auf einen in-      von 10 bis 20%», sagt Urs Steinegger. Als Gründe dafür sieht er die rück-
teressanten Effekt zurück: «Da im Frühjahr 2020 die Schulhäuser ge-       läufige Zuwanderung (aufgrund des angespannten Verhältnisses zur
schlossen waren, wurden viele Aufträge vorgezogen. Es war niemand in      EU, der sinkenden Standortattraktivität der Schweiz und des begrenz-
den Schulhäusern, die Handwerker konnten ungestört und sicher ar-         ten Wirtschaftswachstums), weniger Bedarf an Büroräumlichkeiten
beiten.»                                                                  und höhere Leerwohnungsbestände. Positiv für die Branche findet er
                                                                          das weiterhin tiefe Zinsniveau. Investitionen der öffentlichen Hand, von
Nicht zuletzt haben die konsequent umgesetzten Schutzkonzepte in der      denen die Branche profitieren könnte, gehen gemäss Steinegger auf-
Branche dazu beigetragen, dass die Bodenleger*innen weiterarbeiten        grund der Covidverschuldung zurück.
konnten. Homeoffice war für sie ja nicht möglich.
                                                                          «Unsere Branche sehnt sich nach Normalität», weiss Daniel Heusser
                     Schwierige Preissituation                            und fordert: «Wir müssen lernen, mit Corona zu leben, und können uns
                                                                          nicht jahrelang von einem Lockdown zum anderen hangeln. Das ist kei-
Schlagzeilen machten jüngst die stark gestiegenen Preise für Holz und     ne Strategie.» Für die Bodenbelags- bzw. die Baubranche erwartet er
andere Baumaterialien. Dies wirkt sich auf die Preise für Parkett und     weiterhin eine intakte Konjunktur. Statt auf Corona sollten wir jedoch
Laminat aus. Daniel Heusser weist auf einen weiteren preistreibenden      «aus wirtschaftlicher Sicht den Fokus besser auf das gescheiterte Rah-
Faktor hin: die Verteuerung bei den Transportwegen. Fast noch schlim-     menabkommen richten – ungünstige Beziehungen zur EU können unse-
mer findet er für die Branche allerdings die Lieferverzögerungen. «Dies   re Wirtschaft weitaus mehr schädigen».
erschwert den Bauhandwerkern ihre Planung massiv.» Leider brächten                                           —
gewisse Kunden dafür wenig Verständnis auf.                                                            Hansjörg Schmid
DER VERBAND                                                                                                                                                               17

Faire und ausgewogene Vertretung
  aller Berufsleute in der Politik

  Rund 80% der Beschäftigten sind heute im Dienstleistungssektor und in Wissensberufen tätig.
     In den ausserparlamentarischen Gremien auf Bundesebene sind sie jedoch dramatisch
  unterrepräsentiert. Dies wollen die unabhängigen Angestelltenverbände der plattform ändern.

Ausserparlamentarische Kommissionen und                                                                                         Für die weniger qualifizierten Erwerbstätigen

                                                                                                            Foto: iStockphoto
Aufsichtsgremien bieten eine gute Gelegen-                                                                                      mit tieferem Einkommen sind eher die Ge-
heit, frühzeitig Informationen über relevante                                                                                   werkschaften zuständig, für die gut ausgebil-
politische Geschäfte zu erhalten und diese mit-                                                                                 deten mit höherem Einkommen die unabhän-
zugestalten. Seit der Absprache zwischen den                                                                                    gigen Angestelltenverbände. Der aktuelle
beiden Gewerkschaftsdachverbänden Schwei-                                                                                       Verteilungsschlüssel auf Bundesebene ist je-
zerischer Gewerkschaftsbund und Travail.                                                                                        doch deutlich unausgeglichener und reflektiert
Suisse im Jahr 2003, alle relevanten Sitze ohne                                                                                 die heterogene Arbeitnehmerschaft nicht.
Neuausschreibungen unter sich aufzuteilen,
werden die Interessen zahlreicher Berufsleute                                                                                   Revision des Regierungs- und Verwaltungs-
aus dem Dienstleistungssektor und den Wis-                                                                                                organisationsgesetzes
sensberufen nicht mehr vertreten.
                                                                                                                                Das Regierungs- und Verwaltungsorganisati-
Von den elf Gremien, die sich mit Arbeitneh-                                                                                    onsgesetzes, das die Besetzung dieser Kom-
mer-relevanten Themen auseinandersetzen,                                                                                        missionen regelt, verlangt Ausgewogenheit
werden 35 von 55 Sitzen vom SGB und 18 von        Dienstleistungsberufe – von der Politik vernachlässigt.                       nach Geschlecht, Sprache und Region sowie
Travail.Suisse beansprucht. Unabhängigen An-                                                                                    nach Alters- und Interessengruppen. Im seit
gestelltenverbänden sind gerade mal zwei Sitze    machen. «Die Angestellten, die wir vertreten,                                 2003 geltenden System der Sitzverteilung
zugebilligt. In den weiteren neun arbeitsmarkt-   sind die schweigende Mehrheit», betont er. «Es                                funktioniert dieser gesetzlich geforderte Plu-
politisch relevanten Gremien sind unabhängige     kann und darf nicht sein, dass die gesamte Ar-                                ralismus jedoch nicht: Grosse Teile der Er-
Angestelltenverbände gar nicht erst vertreten.    beitsmarkt- und Sozialpolitik der Schweiz auf                                 werbstätigen können sich aktuell nicht in den
                                                  die Interessen eines kleinen Teils der Arbeit-                                demokratischen Prozess einbringen.
   Dienstleistungs- und Wissensberufe             nehmerschaft ausgerichtet ist.»
             kaum vertreten                                                                                                     Die plattform fordert deswegen eine Revision
                                                  Umfrageergebnisse bestätigen dringenden                                       des Regierungs- und Verwaltungsorganisati-
Erwerbstätige aus dem Dienstleistungssektor                   Reformbedarf                                                      onsgesetz (RVOG), damit künftig offene Aus-
und den Wissensberufen machen mit 80% die                                                                                       schreibungen und Ersatzwahlen für die regu-
überwältigende Mehrheit der Arbeitnehmen-         Zu Beginn des Jahres 2021 liess die plattform                                 läre Besetzung der ausserparlamentarischen
den aus und gehören zur derzeit am stärksten      eine repräsentative Umfrage bei den Erwerbs-                                  Kommissionen stattfinden können. Auch in
wachsenden Berufsgruppe der Schweiz. In den       tätigen in der Schweiz durchführen, um her-                                   den Leitungsorganen und Aufsichtsgremien
ausserparlamentarischen Gremien zu den The-       auszufinden, wie gut ihre beruflichen Interes-                                muss die Sitzverteilung der heutigen Arbeit-
men Arbeitsmarktpolitik und Sozialversiche-       sen vertreten werden und wem sie mit der                                      nehmerpopulation angepasst werden. Nur so
rungen sind sie jedoch nur mit 4% der Sitze       Interessenvertretung vertrauen. Aus der Um-                                   wird eine faire und ausgewogene Vertretung
vertreten. Auch Gig- und Crowdworker sowie        frage geht hervor, dass Parteien, Gewerkschaf-                                aller Berufsleute und Interessengruppen er-
Selbstständigerwerbende finden dort kaum          ten und Angestelltenverbände für die Interes-                                 reicht.
Gehör.                                            senvertretung der Erwerbstätigen eine                                                                —
                                                  wichtige Rolle spielen. Gleich viel Erwerbstäti-                                                die plattform
Bereits im Sommer 2019 reichte Ständerat Da-      ge (16%) sind Mitglied bei einer Gewerkschaft
niel Jositsch eine Interpellation im Ständerat    oder bei einem unabhängigen Angestelltenver-
ein, um auf diesen Missstand aufmerksam zu        band. Weitere 15% sind Mitglied einer Partei.
DER VERBAND                                                                                                                                     18

                                    Premiere bei den Angestellten Schweiz

          Die erste virtuelle
       Delegiertenversammlung
    Aufgrund der unsicheren Lage der Pandemie hat der Vorstand an seiner Sitzung im April
      beschlossen, die diesjährige Delegiertenversammlung erstmals virtuell abzuhalten.
Gemeinsam mit unserem langjährigen IT-Partner Netrics investierte die Geschäftsstelle viel Zeit,
        die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für diese Premiere aufzugleisen.
 Die Delegiertenversammlung wurde über Microsoft Teams abgehalten, und die Abstimmungen
                          wurden mit dem Tool Polyas durchgeführt.

                                                Trotz der räumlichen Distanz fand die Dele-
                                                giertenversammlung in sehr guter Atmosphäre
                                                statt, und es zeigte sich, dass die digitale Kom-
                                                petenz unserer Mitglieder hervorragend ist.

                                                Vizepräsident Alexander Bélaz wurde von den
                                                Delegierten zum Präsidenten gewählt. Die da-
                                                durch entstandene Vakanz im Vizepräsidium
                                                wurde mit Emilie Etesi wieder durch eine Frau
                                                besetzt. Die bisherigen Vorstandsmitglieder
                                                Robert Hediger, Urs Meienhofer und Bruce
                                                Nyfeler wurden für die neue Legislatur wieder-
                                                gewählt. Unterstützt werden sie von dem neu
                                                gewählten Vorstandsmitglied Martin Wey. Der
                                                Jurist war bereits vor ein paar Jahren im Vor-
                                                stand unseres Verbandes tätig, bevor er zum
                                                Stadtpräsidenten von Olten gewählt wurde.
                                                Alle Gewählten dankten den Delegierten für
                                                das Vertrauen und freuen sich auf die gute Zu-
                                                sammenarbeit.

                                                Des Weiteren informierte der renommierte
                                                Markenexperte Prof. Dr. Jürgen Häusler die
                                                Delegierten über das Projekt für die neue Mar-
                                                kenpositionierung der Angestellten Schweiz.
Emilie Etesi übernimmt neu das Vizepräsidium.                                                       Martin Wey wurde von den Delegierten wieder in
                                                In der abschliessenden Fragerunde zeigte sich       den Vorstand gewählt.
                                                erneut, dass die erste virtuelle Delegiertenver-
                                                sammlung unseres Verbandes bei den Zuge-
                                                schalteten gut ankam.
                                                                       —
                                                                Ariane Modaressi
DER VERBAND                                                                            19

Erstmals in der Verbandsgeschichte fand die diesjährige DV in virtueller Form statt.
DER VERBAND                                                                                                                             20

                                       Netzwerkevents Fokus Gesundheit

           Impulse für Ihre
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gen Sie am Arbeitsplatz. Ihre Arbeit und Ihr      nen aus dem Gesundheitsbereich, wie Sie den           anschliessend Netzwerkapéro
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Einfluss auf Ihre Gesundheit. In unserer          beitswelt begegnen und dabei gesund bleiben       Was ist Gesundheit und wie kann ich
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reich wertvolle Tipps, wie Sie an der Arbeit      anderen Berufstätigen auszutauschen.             nagement, Sozialpolitik und Prävention,
und auch sonst im Leben gesund bleiben                                                                        Hochschule Luzern
können.                                              Programm 23. September, 17.30 bis                                  —
                                                   19.15 Uhr, anschliessend Netzwerkapéro               Ernährung, die neue Religion?
Unsere Arbeitswelt wandelt sich aktuell beson-                          —                         Prof. Dr. Christine Brombach, ZHAW Life
ders rasch und dramatisch – angetrieben durch             Was erhält Menschen gesund?                Sciences und Facility Management,
die Digitalisierung und verstärkt durch die Co-    Prof. Dr. Thomas Mattig, Direktor Gesund-                      Wädenswil
ronapandemie. Die Arbeitsformen, Arbeitsab-                     heitsförderung CH                                       —
läufe, Arbeitsorganisation, Arbeitsorte, Ar-                            —                                KV-Business School, Zürich,
beitszeiten – alles ändert sich. Die Grenzen        Gesund bei der Arbeit – praktische Tipps                 17.30 bis 20.00 Uhr
zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen.                    für Ihren Arbeitsalltag                                   —
Für unsere Arbeit brauchen wir zunehmend                 Lucy Waersegers, Projektleiterin           Anmeldeschluss: 20. November 2021
höhere Qualifikationen. Wir müssen uns stetig      Gesundheitsförderung beim ifa, Institut für
neue Skills aneignen.                                         Arbeitsmedizin, Baden
                                                                        —                            Kosten und Anmeldung
  Den Herausforderungen der modernen                Stiftung zum Glockenhaus, 8021 Zürich                              —
         Arbeitswelt begegnen                                           —                        Für Mitglieder der Angestellten Schweiz und
                                                      Anmeldeschluss: 18. September 2021         Mitarbeitende in ASM-Firmen sind die Anläs-
Eine grosse Arbeitsbelastung, ständige Er-                                                       se (GAV der MEM-Industrie) kostenlos. Der
reichbarkeit und hohe Erwartungen an unsere                                                      Preis für Nichtmitglieder beträgt 50 Franken.
Flexibilität bringen uns an unsere Grenzen.                                                      Sie können sich direkt über die QR-Codes
Die dadurch entstehenden Belastungen haben                                                       unten oder auf der Website der Angestellten
Auswirkungen auf die physische und psychi-                                                       Schweiz (Veranstaltungskalender) anmelden.
sche Gesundheit – und damit auf die Arbeits-
leistung und unser Leben ganz allgemein.

Uns ist es ein Anliegen, dass Sie möglichst ge-
sund sind und es lange bleiben. Darum haben             Mit freundlicher Unterstützung
wir für Sie eine Eventreihe mit Fokus Gesund-                von unseren Partnern:
heit zusammengestellt, an der sie wertvolle In-
formationen über dieses wichtige Thema abho-                                                              —                       —
len können.                                                                                      Event 23. September     Event 25. November
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