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PERSPEKTIVEN 89 MAGAZIN FÜR GLAUBEN, LEBEN UND GEMEINDE New Work Aufbruch in die Gesellschaft der Zukunft
2| NEW WORK Inhalt Das Abo 3 › Ein Abo der PERSPEKTIVEN ist kostenlos Editorial und unverbindlich. 4 Kirche trifft New Work › Sie können Ihr Abo jederzeit ändern, erweitern 6 Wenn alles in Bewegung kommt oder kündigen. 7 Wie sieht Gemeinde der Zukunft aus? › Die PERSPEKTIVEN sind ein Magazin für Glauben, 8 „Was wir wirklich, wirklich wollen“ Leben und Gemeinde; sie erscheinen ca. 2x jährlich. 10 Interview: Wie können wir den Pfarrplan schultern? Manchmal gibt es ergänzend eine Sonderausgabe. 12 Interview: Weltverbesserer willkommen › MD aktuell ist ein Newsletter mit Infos zur Arbeit 13 Online fest verbunden der Missionarischen Dienste Württemberg; 14 Vision 2025 er erscheint etwa 3x jährlich. 16 Interview: Mut machen statt kontrollieren › Sie können jede Publikation auf Papier gedruckt 18 Es begann mit einer Diskothek oder digital beziehen. 20 Engagement für eine tierisch gute Sache 21 MUT zum Risiko Ihr direkter Weg zum ABO: 22 Satire: Wenn Sie eine Taufe anmelden, Die Abo-Seite im Internet drücken Sie die Eins http://mdwue.de/aboservice 24 New Work und das Business Alternativ: Dieses Formular ausfüllen, abfotografieren 26 Interview: Das Feuer am Brennen halten und per Mail an margret.illi@elk-wue.de senden: 28 Immer wieder morgens kurz vor sechs 30 Digitalisierung braucht soziale Partizipation Ihre Kontaktdaten 31 Leichte Sprache: Viele kleine Chefs sind besser als ein großer Chef Name: 32 Interview: Coworking Spaces als Geschäftsmodell Mailadresse: 34 Homeoffice mit Kindern ist wie Zähneputzen mit Nutella 35 Fuckups feiern – kein kreatives Arbeiten ohne Scheitern Bei einem Papier-Abonnement brauchen wir 36 Sozial wird neu gedacht Ihre Postadresse: 38 Das Innolab der Evangelischen Bank Straße/Hausnr: 44 Biblischer Impuls: Auf Erfolg programmiert? PLZ und Ort: 46 Interview: Einander auf Augenhöhe begegnen 48 Social Entrepreneurship, FreshX und New Work Ihre Wahl 50 Bibel aktuell: Ich will die PERSPEKTIVEN, das Magazin abonnieren: Gegenseitiges Dienen als Zeichen der Gemeinschaft Digital Papier 54 Kirche anders leiten 56 Interview: Kirche – mehr als ein weiterer Player Ich will MD aktuell, den Newsletter mit Infos zur Arbeit der auf dem Markt Missionarischen Dienste Württemberg, abonnieren: 59 Agiles Projektmanagement – alles im Fluss 60 Die Zehn Gebote des digitalen Wandels Digital Papier 61 Tante-Emma-Laden oder Online-Shop 62 Vom digitalen Couch-Surfing und dem Insta-Priestertum aller 63 Ein digitales Bistum 64 Kreative Lichtblicke: Service im Team 66 Glossar 67 Zu guter Letzt 67 Impressum und Kontakte
NEW WORK | 3 DIE UHR TICKT. Liebe Leserinnen und Leser der PERSPEKTIVEN, und während die einen wie gebannt auf die Uhr Die Zukunft kirchlicher Arbeit wird bestimmt an starren und wie hypnotisiert das Ticken verfol- vielen Stellen lustbetonter und kreativer sein als gen, genießen andere die ihnen gewährte Zeit. Die sie es heute ist. Sie wird kommunikativer sein, sich Uhr der Titelseite steht für den aktuellen Wandel stärker aufs Wesentliche konzentrieren. Sie dringt in der Arbeitswelt. Während die einen Gutes von (noch) weiter in die Privatsphäre ein und fördert der anbrechenden Zeit erwarten, graut anderen Selbstausbeutung des eigenen Personals. All das davor. – „Early Adopters“ nennt man diese Men- sind Implikationen von New Work. Und das ist OK schen, die Neuerungen früh positiv aufgreifen und und nicht böse. Jedenfalls dann, wenn alle, die an umsetzen. Diese positive Grundhaltung gegenüber Kirche mitarbeiten, damit das tun, was sie wirklich Veränderungen zeichnet (Everett M. Rogers fol- wollen. Das herauszufinden sind wir doch auf dem gend) etwa 13,5% der Bevölkerung aus. Auch in Weg, oder? Die Uhr tickt. So wünsche ich zusam- den Landeskirchen? Unseren Kirchen könnte wohl men mit einem sehr ambitionierten Redaktions- nichts Schlimmeres passieren, als dass sie bei al- team eine vielfältig anregende Lektüre, lem Rückgang der Kirchenmitgliedschaft und der kirchlichen Mitarbeiter ihre Innovatoren überpro- portional verliert. Und es gibt Beobachter, die ein Ihr solches Szenario sehen. Die Arbeitswelt verändert sich in atemberauben- dem Tempo und die Bezeichnung New Work steht für diese Veränderungen und „beschreibt eine Thomas Wingert, Redaktionsleiter, neue Art zu arbeiten, die der heutigen Gesellschaft mit dem ganzen Redaktionsteam im globalen und digitalen Zeitalter entspricht.“ (Wikipedia engl.) Dieses Magazin will die Diskussi- Ach ja, vielleicht geht es dem einen oder anderen Leser on über die Zukunft von Arbeit auch in der Kirche auch so, dass die Fachbegriffe etwas verwirren. Da- anregen, Pionieren und Veränderern Mut machen her haben wir auf S. 66 ein kleines Glossar für Sie zu- und deren Vorgesetzte dazu ermutigen, ihre Pio- sammengestellt, das Ihnen beim Entwirren hilfreich niere und Veränderer zu schützen und zu fördern. zur Seite stehen kann.
4| NEW WORK Kirche trifft New Work New Work in einem alten Kirchenraum: Die katholische Kirche St. Elisabeth in Aachen ist heute ein digitaler Coworkingspace. 2016 wurde sie profaniert und ist seit 2017 eine "Digital Church".
NEW WORK | 5 Die Kirche ist im Wandel. Gemeinden gehen über ihre Grenzen hinaus. Probieren andere Formen aus. Es gibt neue Gebäudenutzungskonzepte und Begegnungen mit Menschen, denen man noch nie zuvor begegnet ist. New Work beschreibt diesen Aufbruch - einen spannenden Prozess mit vielen Herausforderungen.
6| NEW WORK Wenn alles in Bewegung kommt Kirchengemeinden werden immer kleiner und zunehmend an Das kann verunsichern und vieles in Frage stellen. den Rand gedrängt. Doch muss das eigentlich so sein? Aber es ist eben das, was Kirchengemeinden vor- anbringt. Wer ausgetretene Pfade verlässt, wird Viel zu oft bleiben Menschen unter sich. Das gilt staunend neue Wege entdecken. Und feststellen, auch für die Kirche. Der Gemeindenachmittag, das wie innovativ und empathisch der Männervesper, das Frauenfrühstück, der Sonntags- Austausch mit Menschen aus an- Wer ausgetretene Pfade verlässt, wird staunend gottesdienst: Es sind immer dieselben, die kommen. deren Lebenswelten sein kann. Die neue Wege entdecken Und es sind immer dieselben Räume, in denen man gute Mischung macht’s, in „Mixed sich trifft. Und weil es jährlich weniger werden, Teams“ steckt enorm viel Kreativität, eine neue kann das auch deprimierend sein. Selbstbestimmung jenseits der klassischen Hier- archien. Manche gehen einen anderen Weg. Öffnen ihre Tü- ren, teilen ihre viel zu großen Immobilien, mischen Aufbruch und Agilität heißen die Stichworte, in Projekten mit, die scheinbar rein gar nichts mit größer denken statt immer nur kleiner werden: ihrem Alltag zu tun haben. Der Begriff „New Work“ Letztlich geht es auch um ein verändertes Ver- kommt eigentlich aus der Arbeitswelt, aber er steht ständnis dessen, was Gemeinde ist. Und um eine für die Auflösung festgefahrener Formen, für das echte Perspektive für die Zukunft in einer sich Niederreißen von Zäunen, hinter denen auch wir rasch verändernden Welt. Christen uns nur allzu gern verstecken. Andreas Steidel ist Journalist und arbeitet unter anderem beim Evangelischen Gemeindeblatt in Württemberg.
NEW WORK | 7 Wie sieht Gemeinde der Zukunft aus? Bei den Fragestellungen zu diesem Heft haben wir uns auch auf „Denn wir fehlen alle mannigfaltig..“ Jak. 3,2 die Suche nach „New Work-Gemeinden“ gemacht. Gibt es Kir- chengemeinden, die hier schon einige Schritte gegangen sind Wir wagen Neues in unseren Gemeinden. Aber nach und eventuell auch Impulsgeber für andere Gemeinden sein ein paar Jahren merkt man, dass ein Projekt bes- können? Nun ja, die Suche war nicht einfach. ser läuft und ein anderes weniger gut. Man ist mit vielen Vorschusslorbeeren gestartet und irgend- Deshalb will ich einfach einmal ein paar Jahre vor- wann ist die Kraft ausgegangen. Und das auch noch ausschauen und ein paar Überlegungen mit ein paar mit dem neuen Vorzeigeprojekt. Fragen zu einer Gemeinde der Zukunft formulieren. Wie gehen wir damit um, wenn unsere Zukunfts- Neuer Wein in neue Schläuche? ideen scheitern? Trauen wir uns weitere Experi- mente zu? Dürfen wir Fehler machen? Ich sage Die bisher vorherrschende Gemeindeorganisations- eindeutig ja. Die Kirche braucht eine Kultur der form ist die Parochie. Daneben gibt es noch verein- Fehlerfreundlichkeit. Schwierig ist nur das Beharren zelte Personal- und Richtungsgemeinden. Die Form auf dem Bisherigen und Bekannten. Und letztlich auf der Parochialgemeinde mit klarer räumlicher Ab- dem Gestrigen. Neuerungen dürfen wie im außer- grenzung zur Nachbarparochie geht noch von einer kirchlichen Leben zur neuen Normalität werden. Einheit von Arbeiten, Wohnen und Leben an einem Ort aus. Das gibt es in der Praxis allerdings nicht Fazit: mehr. Unsere Kirchenstruktur lebt aber noch in diesen Zusammenhängen. Kann hier eine Modifika- Die große Herausforderung besteht dabei, das Alte tion und Anpassung geschehen? Das FreshX-Modell zu bewahren und das Neue zuzulassen. Ob dies geht davon aus, dass dies möglich ist. Bisheriges gleichzeitig geschehen kann, daran zeigt sich, wie- und Neues sollen ihren Platz nebeneinander haben. viel Wachstums- und Veränderungsschmerzen wir Lässt die bisherige Struktur das Neue zu? Oder fin- erleiden werden. Aber es zeigt sich dabei auch, wie det das Neue erst seinen Platz, wenn das Alte nicht gut das Changemanagement in unserer Kirche ist. mehr da ist? Und vor allem zeigt es sich, ob Christus als Haupt der Gemeinde mit uns und wir mit ihm diesen Weg Vollsortimenter oder Spezialanbieter? gehen können und werden. Häufig erleben wir Gemeinden mit einem großen ERSCHEINT IM DEZEMBER 2021 Angebot an Gruppen, Kreisen, Gottesdiensten und Literatur: Veranstaltungen für die unterschiedlichen Ziel- gruppen. Neben dem Bewährten sollen ja auch neue Dorothea Gebauer / Jürgen Jakob Kehrer (Hg.) Angebote neue Zielgruppen ansprechen. Schon Coworking: aufbrechen, anpacken, lange vor Corona hat allerdings auch die Individu- Kehrer (Hg.) Dorothea Gebauer / Jürgen J. anders leben Autor Titel Coworking: alisierung unserer Gesellschaft in unseren Gemein- Herausforderung und Chance für Gemeinden aufbrechen, anpacken, anders leben den Fuß gefasst. Bewährte Mitarbeitende werden und Organisationen Herausforderung und Chance für Gemeinden und Organisa tionen älter und jüngere Mitarbeitende kommen nicht in ISBN 978-3-525-63412-7 gleicher Anzahl nach. Die Last der Angebote liegt dann oft auf wenigen Personen. Daraus entsteht Coworking und Kirche – das ist mehr, als in leeren schnell eine Überlastung und Müdigkeit. Zu dieser Gebäuden ein paar kreative Projekte und neue Orte mit Arbeits- Herausforderung gibt es schon viele Versuche der tischen zu füllen oder eine Kaffeemaschine mit fairem Kaffee Klärung. Keine Gemeinde kann und muss alles ma- unters Kreuz zu stellen. Coworking ist in erster Linie eine Kultur, chen. Es werden Absprachen mit anderen Gemein- eine innere Haltung und Mindset, ist geistliches Tun. den getätigt. Und doch fällt es uns sehr schwer, langjährige profilierte Angebote zu beenden. Die In den Beispielen aus der Praxis zeigen Gründerinnen und Zukunftsfähigkeit unserer Gemeinden liegt m.E. aber Gründer ihr Gesicht und ihre Arbeit: Coworking-Spaces, die in der Zusammenschau und nicht in der Abgrenzung. unterschiedlicher nicht sein können. Sie alle empfehlen, die Unterschiedlichkeit der Sozialräume zu würdigen und sich bei der Entwicklung von Angeboten und Projekten an den Jürgen Kehrer jeweiligen Bedingungen vor Ort zu orientieren. Alle Autorin- nen und Autoren des Buches machen Mut: „Lauf los! Tu es!“ So kann es gelingen, die Welt der Arbeit zu erneuern.
8| NEW WORK “Was wir wirklich, wirklich wollen” Als Begründer von „New Work“ gilt der kürzlich im Alter von 90 diesen Aspekt des Omni-Wertes. Der Mensch ist in Jahren verstorbene Deutsch-Amerikaner Frithjof Bergmann. diesem Sinne nur Werkzeug für den eigenen oder Als Professor für Philosophie und Anthropologie lehrte er an die Zwecke anderer. den Universitäten von Stanford, Berkeley und Michigan. In den letzten Jahrzehnten stieg er zum „Guru“ der Tech- und Die High-Tech-Eigen-Produktion StartUp-Szene auf. Bergmann selbst war von der Natur-Philosophie ei- Das Leben, die Arbeit, die wir wirklich, nes Henry David Thoreau beeinflusst und lebte eine wirklich wollen, und die Lohnarbeit Zeit lang im Wald. Diese Erfahrungen kombinierte er mit dem Potenzial neuer Technologien und nann- Der Ausgangspunkt für die praktische Umset- te dies die „High-Tech-Eigen-Produktion“. „Sie ba- zung seiner Theorien und Thesen war die Krise in siert im Wesentlichen auf der Idee, unsere brillante der amerikanischen Autoindustrie der 80er Jahre. Technologie nicht nur dazu zu benutzen, aus unse- Bergmann schlug vor, Mitarbeitende sechs Mona- ren Flüssen Kloaken oder aus unserem Regen Säure te in der Fabrik arbeiten zu lassen und in den übri- zu machen, sondern […] uns und einer nicht sehr gen sechs Monaten in einer Art Auffanggesellschaft großen Gruppe von Menschen [zu] ermöglichen mit neuen Arbeitsformen und neuer Technologie […] 60 bis 80 Prozent von dem, was wir zum Leben vertraut zu machen. Das Ziel war, dass die Teilneh- brauchen, selbst herzustellen.“ (Bergmann, Neue Arbeit – menden herausfinden sollten, was sie „wirklich, Neue Kultur, S. 21 f.) wirklich wollen“. Zudem wurden diese an neue Technologien herangeführt. Es wurde angestrebt, Aktivitäten unter dem New Work-Regenschirm den Einzelnen von der einseitigen Abhängigkeit der Lohnarbeit zu emanzipieren. Dabei hatte Berg- Nicht zuletzt durch die amerikanische Tech-Szene mann den zukünftigen Mangel an Arbeit im Blick, und allen voran Google, die Bergman beraten hat- der durch den Einsatz von modernen Maschinen te, verbreiteten sich Maßnahmen unter dem Label und neuen Technologien entsteht. „New Work“ und gewannen schließlich auch in Deutschland an Einfluss. „New Work“ ist jedoch zu Kapitalismuskritik und die Arbeit als Omni-Wert einem „Regenschirm-Begriff“ geworden. Die Akti- vitäten, die darunter firmieren, haben zum Teil mit Im Zentrum des Bergmannschen Ansatzes steht den drei Säulen: Lohnarbeit, „Was man wirklich, eine Kapitalismus- und Globalisierungskritik. Ins- wirklich will“ und der High-Tech-Eigen-Produktion besondere die Lohnarbeit erscheint ihm als Geißel, wenig gemein. „Was mich an Deutschland ärgert: die er „als eine Art milde Krankheit“ bezeichnet. New Work wird von allen Dächern gepfiffen, aber Das Ziel von New Work „[…] besteht nicht darin, die es ist nicht die Neue Arbeit, sondern nur eine etwas Menschen von der Arbeit zu befreien, sondern die sympathisch angehauchte Form der Lohnarbeit.“ Arbeit so zu transformieren, damit sie freie, selbst- (Bergmann im Interview mit dem Handelsblatt vom 16/17/18. August bestimmte, menschliche Wesen hervorbringt.“ Er 2019 Nr. 157, S. 51). sieht eine Verschränkung von Neue Entwicklungen erfordern neue Unternehmensstrukturen Arbeit und Sozialem und ver- Die Arbeitskultur der Digitalität und New Work weist auf das „therapeutische“ Potential von Arbeit. „Es geht uns um die Schaffung Die Kultur der Digitalität ist mit ihren entgrenzten einer Gesellschaft und Kultur, in der wirklich je- Formen der Kommunikation sicherlich ein Potenzial der, Mann oder Frau, die Chance bekommt, einen für New Work. Es entstehen neue Netzwerkstruktu- beträchtlichen Teil seiner Zeit mit einer Arbeit zu ren, auch über die Grenzen von Unternehmen hinweg. verbringen, die er oder sie erfüllend und faszinie- Menschen vernetzen sich auf Grundlage eines digi- rend findet und die die Menschen aufbaut und ih- talen Mindsets, das Respekt, Teilen von Wissen und nen mehr Kraft und mehr Vitalität gibt.“ (Bergmann, Kooperation voraussetzt. Als Beispiel kann man die Neue Arbeit – Neue Kultur, S. 19 f.) lernOS- oder Corporate Learning Community (CLC) anführen. Es handelt sich um überbetriebliche, selb- Er erhebt die Arbeit zum zentralen Wert des Men- storganisierte und für jeden offene Lernnetzwerke schen – zu einem Omni-Wert – den er durch die mit Arbeitsbezug, in dem gemeinsam Lernpfade ent- Globalisierung in einer Zwickmühle der Abhängig- wickelt werden und in kleinen Gruppen gelernt wird. keiten sieht. Die Logik der Wirtschaft übersieht oft Somit kann jeder lernen, was er wirklich, wirklich will.
NEW WORK | 9 Wenden wir den Blick in die Organisationen und Unter- nehmen, werden unter dem New Work-Regenschirm vielfältige Konzepte und Maßnahmen angeführt. Kon- zepte neuer Arbeitszeit- und Arbeitsortmodelle sind uns allen bekannt. Hier finden sich die 4-Tagewoche genauso wie die Möglichkeit zum Homeoffice. Am Ende der Skala stehen vielleicht die digitalen Noma- den, die nicht mehr für eine Firma arbeiten. Sie wan- deln durch die Welt und versorgen sich über Plattfor- men mit Arbeitspaketen mehrerer Firmen. Im Zusammenhang mit New Work werden oft auch neue Arbeitsweisen wie die Agilität genannt. Die bekannteste Methode nennt sich „Scrum“ und ver- sucht, durch Verfahrensregeln, kurze Zyklen und eine neue Rollenverteilung im Team bessere Ergeb- „ WENN DER NÄCHSTE SCHRITT nisse in kürzerer Zeit zu entwickeln. Einen Team- Chef gibt es nicht mehr. TIEFER INS LEBEN HINEIN IHNEN NICHT ‘BESSER SCHMECKT‘, Dass solche Entwicklungen neue Unternehmens- strukturen erfordern, wird nun klar. Die Anforde- DANN KEHREN SIE UM UND rungen an die Führungskräfte sind immens und VERSUCHEN SIE ES MIT EINER fordern vor allem Vertrauen und Loslassen bei der ANDEREN RICHTUNG.“ Transformation. Ob diese Maßnahmen dem „ech- ten“ New Work zuträglich sind, hängt aber letztlich – FRITHJOF BERGMANN von den grundsätzlichen Haltungen und der Unter- nehmenskultur ab. Arbeit als Omni-Wert für Leben – sind wir schon auf dem Weg? Durch die Beschreibung der Arbeit als menschli- chem Omni-Wert, die „High-Tech-Eigen-Produkti- on“ und der Maxime „Mache das, was Du wirklich, wirklich willst“ setzt Bergmann einen individuum-, gemeinwohl- und umweltorientierten Rahmen. Es scheint jedoch, dass sich die Befreiung von den „Fesseln der Lohnarbeit“ nicht nur durch Verän- derungen in den Unternehmen entfalten kann. Jeder Einzelne muss die Wege gehen und das „Besser-Schmecken“ des Neuen erkunden. New Work ist ein großes Vorhaben, das sich ohne einen zivilgesellschaftlichen und gesellschaftspo- litischen Diskurs und dem eigenen Erkunden nicht entfaltet. Vielleicht sind wir aber schon auf einem guten Weg? Ein tieferer Blick in Frithjof Bergmanns Werk lohnt sich dabei auf jeden Fall. Literatur: Dr. Albert Decker Bergmann, Frithjof [2017]: Neue Arbeit, Neue Kultur, 6. Auflage. Ist Diplom Sozialwirt und Dr. der Wirtschaft- und Sozialwissenschaften. Links Seit 2016 ist er Studienleiter an der Offizielle Internetseite von Frithjof Bergmann mit Texten und Filmen Ev. Akademie Bad Boll und Beauftragter https://newwork-newculture.dev/ für Digitalisierung und digitale Bildung. Einer der letzten Podcasts mit Frithjof Bergmann | albert.decker@ev-akademie-boll.de https://newwork.podigee.io/100-100-mit-frithjof-bergmann-godfather-of-new-work
10 | NEW WORK Wie können wir den Pfarrplan schultern? Die Festlegung des PfarrPlans und der damit verbundene Kirchengemeindliche Arbeit ist ohne Ehrenamt Verlust einer Pfarrstelle ist für die Verantwortungsgremien nicht denkbar. In Kirchengemeinden laufen viele der Anlass, nachzudenken über die Art der Zusammenarbeit, Entscheidungs- und Veränderungsprozesse über die Gottesdienste, die Verteilung der Aufgaben, die Res- Gremienarbeit mit ehrenamtlichen Personen. Dies sourcen. Die Gremien fragen sich: Wie soll die Arbeit in den bedeutet: arbeiten mit Mitteln, die vor Ort zur Ver- Gemeinden künftig aussehen? Wie kann Kooperation gelebt fügung stehen. Arbeiten, die sich an berufliche und und neues Arbeiten – New Work in der Gemeinde vor Ort und private Ansprüche anpassen müssen. Arbeit mit in der Region – gelingen? Vielleicht so: zeitlich begrenzten Ressourcen. Diese Ressourcen wollen „wertschätzend und wertschöpfend“ einge- Die vier Orte auf der Schwäbischen Alb gehören setzt werden. irgendwie zusammen. Schul- und Arbeitswege füh- ren in die Stadt. Wer einkaufen will, ist mit dem New Work kann neben den äußeren, wichtigen Fak- Auto unterwegs, wie es in ländlichen Gegenden toren dann gelingen, wenn dementsprechende Hal- üblich ist. Ab und zu gibt es eine Begegnung. tungen vorhanden sind. Vertrauen, Zutrauen, Los- lassen sind Schlüsselpunkte dafür. Dies kann auch Die vier Kirchengemeinden gehören irgendwie bedeuten, Verabschiedung von der Machbarkeits- zusammen. Die Pfarrpersonen vertreten sich ge- illusion: “Alles ist plan- und steuerbar und muss genseitig. Die Gemeindeglieder kennen sich kaum. nur gut organisiert werden.” Privat hat man mit Leuten drüben und oben auf dem Berg zu tun, doch im Ehrenamt ist man sich Die Aufgabenstellung bleibt: Wie können wir mitein- selten begegnet. Bislang gab es wenig Gründe, sich ander den PfarrPlan schultern? Wie arbeiten wir um den Nahbereich zu kümmern. effektiv zusammen und ergänzen uns in unserer Individualität, mit unserer Identität und Kultur? New Work ist ein Begriff aus der Organisationsent- New Work kann von seinem Ansatz dabei helfen. wicklung. Passt das zu der Arbeit in den Kirchenge- Das Aufeinander-Zugehen ist ein erster Schritt. meinden? Manch einer kennt diese Art zu arbeiten Vertrauen zu schaffen und dem Miteinander eine aus dem Arbeitsalltag. Die einen schätzen es, andere Chance einzuräumen könnten folgen. Sicherlich können der neuen Art zu arbeiten nichts abgewinnen. wird man im weiteren Verlauf auch über die Art und Weise der Zusammenarbeit sprechen müssen. New Work und die Arbeit in Kirchengemeinden Und ob sich dann alle Spielarten des New Work scheinen auf den ersten Blick nicht zusammen zu durchsetzen, muss nicht als erstes geklärt wer- passen. New Work hat in sich den An- den. Vielleicht stellt sich aber heraus, spruch von modern, effektiv, selbst- dass digitale Formate, regelmäßige NEW WORK organisiert, innovativ, partizipativ, Absprachen und digital unterstützte NEEDS netzwerkend sowie bedürfnisorientiert INNER WORK Mitarbeiterbegleitung, zum Beispiel in und motivationssteigernd. Dies wird Form einer Gemeindeapp, hilfreich sein unter anderem durch agile, moderne können. Sicher ist: „New Work needs Arbeitsmethoden wie Kanban, Design Thinking, inner Work“ – die neue Art zu arbeiten braucht Scrum in „daily/weekly“-Treffen strukturiert. die innere Bereitschaft, auf eine andere Art nach Lösungen und Wegen zu suchen. Diese innere Transformation kann man auch nicht „machen“, sie ist Teil eines agilen organisationalen und inne- ren Entwicklungsprozesses. Damit ändert sich auch die Organisationskultur, ohne diese geht „neues, modernes Arbeiten“ nicht wirklich. Bertram Haas Christoph Alber hat ein beratungswissenschaftliches ist Referent für Kirchengemeinderatsarbeit am Studium absolviert und ist Fachberater Zentrum Gemeindeentwicklung und Ehrenamt für Strukturfragen bei SPI (Struktur/ im Haus Birkach. Pfarrdienst/Immobilien) und Gemeinde- berater in der badischen Kirche. In der Kirchengemeinde Gomaringen bringt er sich ehrenamtlich ein.
NEW WORK | 11 PRIVAT HAT MAN MIT DEN LEUTEN DRÜBEN UND OBEN AUF DEM BERG ZU TUN, DOCH IM EHRENAMT IST MAN SICH SELTEN BEGEGNET.
12 | NEW WORK INTERVIEW Weltverbesserer willkommen Coworking ist eine neue Arbeitsform, bei der Menschen Welche Zielsetzung verfolgt das Projekt? unter einem Dach unabhängig und gleichzeitig zusam- menarbeiten. In Zentren, aber zunehmend auch im länd- Grundsätzlich möchten wir keine Arbeitsplätze vermieten, lichen Raum, entwickeln sich Coworking Spaces zum sondern eine Community schaffen. Konkret verfolgen wir „dritten Ort“ modernen Arbeitens neben dem klassischen zwei Ziele: Zum einen möchten wir "Weltverbesserern", Arbeitsplatz im Büro und im Homeoffice. Für Kirchenge- die in einem weit gefassten kirchlichen Wertekosmos meinden bietet sich eine spannende Möglichkeit, neue arbeiten, Raum und Vernetzung bieten. Zu diesen Werten Kontaktflächen zu eröffnen. gehören beispielsweise Nachhaltigkeit, soziale Verant- wortung, Inklusion und Diversität. Zum Zweiten möchten Im Interview berichtet Daniel Paulus, Diakon des wir einen neuen kirchlichen Ort schaffen für Menschen, Ev. Kirchenbezirks Karlsruhe mit Schwerpunkt Young die bisher zu Kirche wenig oder keinen Kontakt hatten. Urbans und Coworking, über erste Erfahrungen mit dem Wir hoffen, dass durch die Vernetzung über die gemein- im März 2021 eröffneten Coworking Space Kairos13. samen Werte ein Impact für unsere Stadt (und darüber hinaus) entsteht und wir gleichzeitig als Kirche relevant Können Sie das Konzept von Kairos13 kurz werden in einem ganz zentralen Lebensbereich vieler beschreiben? Menschen: dem Arbeitsleben. Durch Coworking entsteht eine neue Form von Vergemeinschaftung. Die Menschen Unser Space ist an die Alt- und Mittelstadtgemeinde kommen wegen des Arbeitsplatzes – und bleiben wegen Karlsruhe angeschlossen und liegt zentral am Markt- der Gemeinschaft. platz. Derzeit stehen uns etwa 60 Quadratmeter zur Ver- fügung, zusätzlich noch ein begrünter Innenhof. Etwa Was sind wesentliche Erfolgsfaktoren für 15 Personen können bei uns gleichzeitig arbeiten, zur kirchliches Coworking? Community – bestehend aus StartUps, Freischaffenden oder Studierenden – werden perspektivisch bis zu 70 Wir fragen uns: „Wie geht gutes Arbeiten?“ Als Kirche Personen gehören. An Abenden und am Wochenende ist hier zunächst das richtige Mindset entscheidend. Wir vermieten wir unsere Räumlichkeiten für Events und öffnen nicht gönnerhaft unsere Türen, sondern gehen Innovations-Workshops. in einen Dialog mit den Menschen, die zu uns kommen. Wir sind neugierig aufeinander und wollen darauf hören, DIE MENSCHEN KOMMEN WEGEN welche Impulse wir von unseren Coworkern bekommen DES ARBEITSPLATZES – UND BLEIBEN können. Dazu bieten wir einen attraktiven Arbeitsplatz und Kontakte zu „Gleichgesinnten“ mitten in der Innenstadt. WEGEN DER GEMEINSCHAFT Dr. Nico Friederich leitet das Digitalisierungsprojekt der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Er führte das Interview mit Daniel Paulus.
NEW WORK | 13 Online fest verbunden Christina Köthner betreut die Webseite der Evangelischen Alles läuft über ihren Schreibtisch, nur sie hat die Kirchengemeinde Petrus und Lukas in Gerlingen. Mit einem Zugriffsberechtigung auf die Seite. So ist alles aus hohen Maß an Eigenverantwortung und vielen kreativen einem Guss, mit einem durchgängigen Erschei- Freiräumen. nungsbild. Per E-Mail bekommt sie Beiträge und Bilder, stellt sie ein und gestaltet sie. Fehlen Fotos, Manchmal rutscht man einfach so rein. geht sie eigenständig auf die Suche nach Motiven. Über die Kinder, als „Tischmutter“ beim „Das macht viel Spaß und ist völlig unkompliziert“, Konfi-3-Unterricht kam sie in Kontakt sagt Christina Köthner, die im Grunde wie eine zur Kirchengemeinde. Irgendwann hat Redakteurin arbeitet. jemand ihr Talent für den Computer erkannt. Die diplomierte Psychologin In der Corona-Zeit sind noch einmal zahlreiche hat viel mit Lernplattformen und elek- Dinge dazugekommen: Video-Gottesdienste und tronischen Medien zu tun. 2017 begann Video-Andachten, Streaming-Angebote und Freie Hand bei Christina Köthner als Webmasterin der Petrus- Musik-Beiträge der Kantorin zum Mitsingen. der Gestaltung Gemeinde in Gerlingen. Das Einbinden von Bewegt-Bildern als neues Feld, der Digitalisierungsschub, auf den man in Gerlin- Die eigentliche Herausforderung kam 2019, als gen schon ganz gut eingestellt war. Petrus und Lukas fusionierten. Etwas Neues sollte entstehen und das galt auch für den Internetauftritt. 2019 wäre die wunderbare Zusammenarbeit bei- Eine Herausforderung, die Christina Köthner gerne nahe zu Ende gegangen. Da zog Christina Köthner annahm, zumal man ihr viel freie Hand dabei ließ. nämlich nach Südbaden um. Doch online, da waren sich die Verantwortlichen schnell einig, ist das ja Mit Hilfe des Gemeindebaukastens des Evangeli- eigentlich kein Problem. Also hat sie ihren Job ein- schen Medienhauses der Landeskirche ging sie an fach weitergemacht. die Arbeit. In der Version „Neo“ ist das Ganze auch für Smartphones und Tablet-Computer geeignet. Das Schöne ist, dass durch die digitale Verbunden- „Es war ein leeres Feld, das man bestellen musste“, heit auch die persönlichen Bezüge erhalten bleiben. sagt Christina Köthner, die bei der Gemeinde als „Meine Kinder freuen sich immer, wenn sie jeman- Minijobberin angestellt ist. den aus Gerlingen erkennen.“ Neugierig schauen sie ihrer Mutter über die Schulter, die damit Teil ei- ner Gemeinde bleibt, in der sie nun schon seit zwei Jahren nicht mehr lebt. | www.petrus-lukas.de Andreas Steidel
14 | NEW WORK Vision 2025 Wir reden von New Work und Veränderungsprozessen, aber Und vor allem sollen die Menschen nicht mehr so gefühlt sind wir erst am Anfang von vielen Umwälzungen. lange im Stau stehen auf dem Weg ins Stuttgar- Das macht uns unsicher: Gibt es überhaupt ein Ende des ter Büro. Vor dem Laden stehen quer geparkt drei Tunnels? Es tut uns gut, einen kleinen Ausblick zu wagen, Lastenfahrräder mit Kindersitzen. Tine, Doreen und was der New Work-Gedanke in unseren Dörfern und Städten, Tobias haben vor einem Jahr ihr Auto verkauft und Kirchengemeinden und kommunalen Einrichtungen verändern fahren im Ort oder auch mal in die Nachbarorte nur kann. Ein kleines Erhaschen von Morgen ist das "Dorfbüro". noch mit dem motorunterstützten Bike. Für länge- re Fahrten nutzen sie das Carsharing. Jeden Abend Die lange Fensterfront zur Straße hin ist beklebt mit um 17 Uhr beginnt Jugendreferent Uwe Holm oder Plakaten von Veranstaltungen der verschiedensten jemand anderes eine kleine Feierabendliturgie im Art. Neben dem bunten Plakat der Gemeindebüche- Nebenraum, an dem meistens alle Anwesenden teil- rei von der letzten Autorenlesung hängt das mit ei- nehmen. Ein paar Leute gehen anschließend in das ner stilisierten Orgel zurückhaltend designte Plakat Bistro nebenan zu einem kühlen Feierabendbier der Bezirkskantorei. Vor Jahren war das hier der Le- oder einem Afterworkcocktail. Tine erzählt, dass sie bensmittelmarkt in bester Lage zwischen Rathaus, bis zum nächsten Mittag ein Exposé erstellen und Hotel Lamm und dem evangelischen Gemeindehaus. einreichen muss und nicht weiß, ob ihre Ausarbei- Dann wurde der Laden aufgegeben und stand erst tung den Ansprüchen des Verlags genügt. Spontan einmal zwei Jahre leer. sagt Tobias, dass er viel Erfahrung in diesem Bereich hat. Tine weiß in diesem Moment, warum sie seit Aber letztes Jahr zog Leben im ehemaligen Dorfla- vier Monaten ins Dorfbüro geht, und fällt Tobias in den ein. Im großen Zentralraum stehen acht Tische, Gedanken vor Dankbarkeit um den Hals. welche stunden- oder tageweise von einer bunten Mischung von Leuten im Alter von 22 bis 63 Jahren Zweimal in der Woche gibt es freiwillige Themen- belegt werden. Im Nebenraum, durch eine Glaswand abende im Dorfbüro oder im Gemeindehaus gegen- getrennt, flitzen vier Kleinkinder zwischen den über und einmal im Monat trifft man sich an der Frei- Spielgeräten hin und her. Eine der Müt- zeitanlage des CVJM zum Grillen mit der ter ist immer mit im Raum und spielt und DAS PROJEKT TUT ganzen „Dorfbüro-Familie“. Dort spielen betreut die Kinder. Ein weiterer durch DEM DORFLEBEN GUT. dann die Väter mit den Kindern Fußball, eine Glastüre getrennter Raum (vier mal DIE MENSCHEN LEBEN andere haben ihre Wikingerschachfigu- sechs Meter) dient Besprechungen oder WIEDER MITTEN IM ORT. ren und Bocciakugeln dabei. Meistens Telefonaten. Und gleich neben dem Ein- sind auch ein paar Leute vom CVJM vor gang ist eine kleine Teeküche mit einer Sitzgruppe Ort. So entwickelt sich eine bunte und aufgeschlos- als Empfang, für die Essenspause oder zum Reden sene Community. Neuzugezogene werden schnell in- zwischendurch. An den Tischen sitzen jetzt, an ei- tegriert, junge Familien finden Anschluss. Fragt man nem kühlen Dienstagnachmittag im Juni, Tine, Max, jetzt den Bürgermeister von Niederweil, was er zum Gerhard, Tobias, Doreen, Susanne und Christopher Projekt Dorfbüro denkt, dann sagt er spontan: „Das vor ihren Rechnern. Projekt tut unserem Dorfleben so gut. Einige junge Familien aus dem Neubaugebiet wurden gut inte- Am Schaufenster neben der Ladentüre stehen gro- griert. Auch die Leute, welche schon jahrelang hier ße verschiedenfarbige Lettern mit der Aufschrift wohnen, ziehen sich nicht mehr nur in ihre Familie, „Dorfbüro Niederweil“ und darunter die Öffnungs- ihren altbekannten Verein zurück, sondern erleben zeiten und darunter wiederum die Websiteadresse ein neues WIR-Gefühl im Büro. Leute, die sich frü- www.dorfbueroniederweil.org. Der Träger dieses her nie begegnet sind im Ort, weil sie tagsüber in der Kreativzentrums hier im Dorf ist ein Verein, gegrün- Stadt arbeiten und auf dem Nachhauseweg beim Dis- det 2022 von der bürgerlichen Gemeinde, der katho- counter vor den Toren der Nachbarstadt einkaufen, lischen und evangelischen Kirchengemeinde, dem leben wieder mitten im Ort. Das war sehr mutig und CVJM und drei ortsansässigen mittelständischen weitsichtig, als damals der Referent vom Bildungs- Firmen. Ihnen liegt daran, den verschiedensten Men- zentrum der Evangelischen Landeskirche bei unse- schen einen Platz zu bieten, an dem sie einen gut rer Kirchengemeinde anrief und damit die Idee in eingerichteten Arbeitsplatz und Kontakt zu anderen Gang brachte.“ Menschen haben, zum Beispiel in der Mittagspause oder bei den Meetings zu verschiedenen Themen. Jürgen Kehrer
NEW WORK | 15 DEN VERSCHIEDENSTEN MENSCHEN EINEN PLATZ BIETEN
16 | NEW WORK INTERVIEW Mut machen statt kontrollieren Personalentwicklung und Personalentwicklungsgespräche Auch als Pfarrer oder Dekan hat man PE-Gespräche (PE) wurden Mitte der 2000er Jahre in der Landeskirche mit Vorgesetzten. Haben dir die Erfahrungen bei dei- Württemberg eingeführt. Wir haben Gunther Seibold, nen eigenen Gesprächen als Vorgesetzter geholfen? Dekan in Bernhausen, zu seinen Erfahrungen mit Personal- entwicklung interviewt. Ja, es ist gut, ein Setting aus unterschiedlichen Rollen heraus zu kennen. Ich habe die PE-Gespräche mit den Wann hattest du zum ersten Mal Kontakt mit dem Vorgesetzten immer geschätzt und wünsche mir, dass Werkzeug „Personalentwicklung“ und „Personal- es den Mitarbeitenden im Gespräch mit mir dann auch entwicklungsgespräch”? so geht. Die größeren Schritte in meiner Entwicklung waren alle in PE-Gesprächen angedacht. Als junger Gemeindepfarrer kam ich 2004 erstmals auf eine Stelle mit Personalverantwortung und wurde Welche Rolle hat für dich das PE-Gespräch im zur Pflichtschulung „PE-Gespräche“ eingeladen. Da die Umgang mit Mitarbeitenden? PE-Gespräche erst 2003 in der Landeskirche eingeführt wurden, hatte ich bis dahin noch gar keines als Mit- Es ist für mich ein wichtiges Element des laufenden arbeiter miterlebt. Seither gehört es regelmäßig dazu, Kontakts auf unterschiedlichen Gesprächsebenen. meinerseits mit der Dekanin bzw. dem Dekan einen Möglichst viele PE-Gespräche führe ich in der sonst PE-Termin zu haben und umgekehrt mit allen Mitarbei- terminärmeren Sommerzeit. Regelmäßigkeit hilft zu tenden die Gespräche zu führen. In der Gemeinde war wissen, dass es eine natürliche Kontaktpflege gibt auch die Anzahl überschaubar, im Kirchenbezirk finden viele mit solchen, die im Kirchenbezirk räumlich weit entfernt Gespräche durch Dienststellenleitungen statt. ihren Dienst tun. Was ist das Besondere an PE-Gesprächen? Hat die Einführung von PE-Gesprächen, nach deiner Erfahrung, zu mehr Entwicklung bei Diese Gespräche mit einzelnen Mitarbeitenden schätze Mitarbeitenden geführt? ich, weil sie in einem Zwischenraum stattfinden außer- halb der Personalakte und des alltäglichen Kleinkrams Ich kann dazu nur Vermutungen haben – schließlich von Dienstbesprechungen. Die PE-Termine füllen zwar weiß man ja nie, wie die Dinge geworden wären ohne den Kalender, aber das Gespräch selbst erlebe ich als dieses Instrument. Aber mein Gefühl ist, dass die Freiraum für die gemeinsame Reflexion der Arbeit. Mit PE-Gespräche selbst und das durch sie geschaffene dem Gesprächsleitfaden gibt es eine Struktur, mit der Bewusstsein für Personalentwicklung erfolgreich wir- man frei umgehen kann. Im PE-Gespräch geht der Blick ken. Konflikte oder Problemlagen werden früher und über das unmittelbar Anstehende hinaus auf die lang- gründlicher gesehen und bearbeitet. Potentiale werden fristigen Ziele der Mitarbeitenden und der Organisation. gefördert und Entwicklungsmöglichkeiten geprüft. Das Noch eine Besonderheit ist, dass diese Dinge im ver- wirkt sich entsprechend aus. traulichen Rahmen betrachtet werden, frei von Dritten, außerhalb der Gremien. Personalentwicklung und Personalentwicklungsgespräche Seit 2003 werden in der Evangelischen Landeskirche in Würt- Um die vereinbarten Ziele zu erreichen, wird es in vielen Fäl- temberg Personalentwicklungsgespräche geführt. Sie sind len angezeigt oder notwendig sein, dass Mitarbeitende durch das Kernstück des landeskirchlichen Personalentwicklungs- geeignete PE-Maßnahmen unterstützt werden. Diese PE-Maß- systems und haben zum Ziel, die Arbeitszufriedenheit, die nahmen sollen sich auf die Person und die vereinbarten Ziele Zusammenarbeit und das Ergebnis der Arbeit zu besprechen beziehen. Die unterschiedlichen PE-Maßnahmen berücksich- und weiter zu entwickeln. tigen verschiedene Formen des Lernens. Das Spektrum reicht von individuellen über teambezogene bis zu Maßnahmen be- Der Termin des Personalentwicklungsgesprächs ist auf Initia- zogen auf die ganze Organisation. tive des oder der Vorgesetzten in der Regel mindestens zwei Wochen vorher zwischen den Beteiligten abzustimmen. Für je- Es kann bei der Auswahl und Vereinbarung der PE-Maßnah- des Gespräch soll mindestens eine Stunde eingeplant werden. men darüber hinaus sinnvoll sein, auch in den Blick zu neh- men, welche Fähigkeiten weiterentwickelt werden können. Ein Schwerpunkt der PE-Gespräche ist, dass Mitarbeitende Werden unterschiedliche PE-Maßnahmen eingesetzt, kann und Vorgesetzte ein Ziel oder mehrere Ziele gemeinsam dies einen Beitrag zur lernenden Organisation darstellen. vereinbaren. Quelle: www.service.elk-wue.de/services/personalentwicklung
NEW WORK | 17 Machen dich erfolgreiche Personalentwicklungen, an denen du beteiligt bist, auch etwas stolz? DAS GESPRÄCH ALS FREIRAUM FÜR DIE Ja, natürlich freue ich mich zu sehen, wie Menschen einen guten und auch erfolgreichen Weg gehen, den GEMEINSAME REFLEXION ich ein Stück weit begleiten durfte. Das passiert frei- lich nicht nur in förmlichen PE-Beziehungen, sondern DER ARBEIT laufend im Leben. Ich denke, dass es sich lohnt, wenn wir als Gemeindeglieder einander begleiten und helfen, Potentiale zu entdecken und die jeweiligen Menschen dazu zu ermutigen, sie zu entwickeln. Freiräume, sich auszuprobieren, ermöglichen viel Entwicklung, und wo Gemeinden dies unterstützen, können sie sich auch über erfolgreiche „Personalentwicklungen“ freuen. Denkst du, dass die Werkzeuge „PE“ und „PE-Gespräch“ ausgereizt sind? Wie bei allem gilt es, das gesunde Maß zu leben. Bei manchen Mitarbeitenden können zusätzliche Termi- ne eine Entwicklung verstärken, bei anderen darf es auch mal weniger sein. Die PE-Tools müssen beweg- lich genutzt werden, weil es gar nicht sein kann, dass ein einziges Raster für die Vielfalt der Arbeitsplätze im kirchlichen Raum optimal ist. Ich würde deshalb sagen: Es ist gut, einen Standard zu haben und dann die indi- viduellen Situationen auszureizen. Gibt es Themen und Punkte, von denen du denkst, dass sie in den Bereich PE aufgenommen werden sollten? Im Sinne des gerade Gesagten denke ich nicht daran herum, die Vorlagen weiter anzureichern, um das nicht zu überfrachten. Spannender finde ich zu überlegen, was neben PE geschieht in den unterschiedlichen Di- mensionen unseres Dienstes als kirchliche Mitarbeiten- de. Ich selbst halte PE-Gespräche im Interesse der Me- thodenklarheit frei von dem, was „geistlicher Überbau“ genannt werden könnte und zu Unschärfen beitragen kann. Zugleich frage ich nach geistlicher Leitung und stelle die PE als Ganze in den geistlichen Zusammen- hang, zu dem Fragen des Glaubens und zum Beispiel gemeinsames Gebet gehören. Hier ist es im Gegensatz zum zu PE Gesagten nicht gut, einen Standard einzufor- dern, vielmehr, ein sensibles Miteinander zu gestalten und gemeinsame Anliegen auch vor Gott zu tragen. Wir danken für deine Offenheit und wünschen dir weiterhin gutes Gelingen der PE-Gespräche. Gunther Seibold ist seit 2020 Dekan in Bernhausen. Er ist Mitglied der Evangelischen Landessynode in Württemberg.
18 | NEW WORK Es begann mit einer Diskothek Die Geschichte der Akzente-Gemeinde in Sulzbach an der Murr sieren, bei einem Glas Bier an der Bar ins Gespräch ist ungewöhnlich. Hier mischen sich Kirchennahe und Kirchen- kommen, mitten im Rock-Sound sensible Themen ferne und tauschen sich jenseits der klassischen Parochial- streifen oder draußen vor der Türe stehen und strukturen über Gott und die Welt aus. Lebenserfahrungen auszutauschen. Es sind An- knüpfungspunkte für weitere Gespräche vielleicht Wenn man auf der B14 durch Sulzbach fährt, fällt nächsten Samstag oder in vier Wochen, geöffnete sie auf: die älteste Rock-Diskothek Deutschlands. Türen für freundschaftliche Beziehungen. Der Weg Am Sulzbacher Schlössle gelegen, ist die Belinda zur Verabredung in einem Café, um über Gott und weit über Sulzbach hinaus bekannt. Mitglieder der die Welt zureden, ist nicht mehr weit. Das Evangeli- Akzente-Gemeinde gründen zunächst eine Unter- um bahnt sich seinen Weg im Nebeneffekt. nehmergesellschaft und betreiben die Diskothek. Mit der Gründung einer Genossenschaft wird es Die Genossenschaft: Das sind Gemeindeglieder, 2018 schließlich möglich, das zum Verkauf anste- Diskofreaks, kirchendistanzierte Belindafans, Kon- hende „Belinda-Areal“ (die urige Disko- zeptbegeisterte. Das Areal ist sanierungs- thek, einen alten Getränkemarkt und die ERPROBUNGSRÄUME bedürftig und soll zum Akzente-Forum Brauereigaststätte) zu erwerben. Eine FÜR INNOVATION ausgebaut werden. Gemeinsam auf der missionale Vision, dort ein Begegnungs- OHNE ANGST VOR Baustelle arbeitet und isst man zusam- und Kulturzentrum zu schaffen sowie BAUCHLANDUNGEN men – Mission ereignet sich auch hier im mittendrin Kirche zu leben und zu ent- Miteinander. Gemeinde und Gesellschaft wickeln, beginnt Realität zu werden. Die Gemein- vermischen sich – mit allen Chancen und Gefahren, de verlagert ihren Gemeindemittelpunkt. Säkulare die darin verborgen liegen. Räume werden zur Kirche, zum Gemeindehaus. Die Kommunalverwaltung ist dankbar, die öffentli- Es war eine missionstheologische Entscheidung, che Wahrnehmung von Kirche verändert sich; man Verantwortung zu übernehmen, wirtschaftliche hat „der Stadt Gutes getan“, einen traditionsträch- Risiken einzugehen, neue Wege zu gehen, um der tigen Ort erhalten und ihm eine zukunftsfähige Menschen willen, die Jesus noch nicht kennen. Mit Vision gegeben. Es verknüpfen sich also regionale, ihnen leben, die Theke teilen, Toiletten putzen kommunale, soziale, geistliche, kirchliche und ge- und mitfeiern. Konzerte und Disco-Events organi- sellschaftliche Interessenlagen.
NEW WORK | 19 Wie in diesem Kontext, zusammen mit den Men- schen, Kirche wächst, welche Formate entstehen, wie Gottesdienst dort geht, welche Liturgien sich herausbilden oder wie sich Vergemeinschaftung er- eignet, wird sich zeigen. Ebenso, welchen Segen die Pandemie in diesem Prozess des Ausgebremstseins bereithalten wird. Es bleibt ein gemeinsamer Weg, ein Abenteuer, wie Gottes Geist auf diesem Missi- onsfeld zwischen Genossenschaft und Gemeinde, Diskothek und Brauhaus seine Kirche baut. Am meisten bringt es Kirche voran, wenn sie Mut macht und Freiräume gibt auch jenseits des etab- lierten Amtsverständnisses, jenseits der Parochie, jenseits der Gottesdienstordnung, jenseits dessen, was wir einst aus gutem Grund als Kirchenordnung verankert haben. Wenn sie Erprobungsräume für Innovation zulässt ohne Rechtfertigungsdruck und ohne Angst vor Bauchlandungen. Wenn sie freie Fahrt für geistliches Unternehmertum, kreativen Eigensinn und Mut ermöglicht. Pioniere, wo seid ihr? Eure Kirche braucht euch! Dr. Willi Beck aus Sulzbach an der Murr ist Diakon und Leiter der Akzente-Gemeinde. Darüber hinaus ist er Pionier und Betreiber der Diskothek Belinda.
20 | NEW WORK Engagement für eine tierisch gute Sache Nicht jeder wächst privilegiert auf. Viele Kinder träumen ihren Bankdarlehen zu erwerben. Das bedeutete einen Traum von ihren Lieblingstieren oder gar von der ersten Reit- Wachstumsschub für die Arbeit des Kinderbauern- stunde über viele Jahre hinweg vergeblich. Dabei könnte der hofs. Um diesen zu bewältigen, hat der Verein im Jahr Kontakt und die Fürsorge für Tiere ihre Entwicklung immens för- 2020 die Sozialpädagogin Rebecca Decker hauptamt- dern, wie das Beispiel des Kinderbauernhofs Gomaringen zeigt. lich angestellt. Über Kooperationen, Sponsoren, Mit- gliedsbeiträge, Patenschaften, Zuschüsse und aktives Conny hat das als Kind selbst erlebt. Und es war ihr Einwerben von Spendenmitteln finanziert sich der Traum, das auch anderen Kindern zu ermöglichen. kleine Verein. „Aber eigentlich“, sagt sie, „war es Gottes Vision für die Arbeit.“ Im Laufe der Zeit kamen weitere Mit- Rund um den Kinderbauernhof engagieren sich zahl- streiter dazu und die Vision nahm Gestalt an. Das reiche ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbei- war der Anfang des Kinderbauernhofs am Brennles- terinnen und Mitarbeiter. Sie wollen nicht irgendet- berg in Gomaringen, wo Conny Schäfer zuhause ist. was arbeiten, sondern das Richtige – für Menschen Seit 2014 ist die Arbeit in einem Verein organisiert. und Tiere. Der Kinderbauernhof sieht seine Arbeit als wichti- Die Mitarbeitenden sehen sich selbst als geistliche ge Ergänzung der Erziehungsarbeit zuhause, in den Gemeinschaft: Sie sind Gemeinschaft und bieten Kindergärten und Schulen an. Daneben kann man Gemeinschaft an. In einem kleinen, selbst gebauten Kindergeburtstage feiern und einfach so Zeit ver- Wagen findet sich mitten zwischen Schweinen und bringen. Über jede Menge Fürsor- Zeburindern ein Sakralraum. Er lädt Mitarbeitende Nicht irgendetwas arbeiten, sondern das Richtige ge freuen sich die kleine Schwei- und große und kleine Besucherinnen und Besucher neherde, freche Ziegen, quakende zur Andacht, zum Gebet oder zum Hören von bibli- Laufenten, die Zebuherde, Schafe, Katzen, Gänse, schen Geschichten ein. Hühner, Hasen und Kinderlieblingshund Hoja. Ach ja: Reiten lernen auf den Islandpferden kann man So sehen die Unterstützer die Früchte der Arbeit. natürlich auch. Ihre finanziellen Zuwendungen werden gezielt ein- gesetzt. – Für ein Kinder- und Familienparadies wie Kooperationspartner sind die Kirchengemeinde Goma- den Kinderbauernhof geht das auf. Die Auswirkun- ringen und die Schulen und Kindergärten vor Ort. Fi- gen sind konkret und offensichtlich und hinterlas- nanzieren kann sich die Arbeit nicht aus eigener Kraft. sen das Empfinden: „Wer sich hier engagiert, steht Im Lauf der Jahre entstand ein Netzwerk von Freun- eindeutig auf der Seite des Guten.“ Wäre das im den, Unterstützern und Förderern der Arbeit. Im Leben doch immer so einfach. Jahr 2016 gelang es dem Verein, das bislang gepach- tete Grundstück mit Hilfe von Spenden, Privat- und Thomas Wingert ist bei den Missionarischen Diensten für die Zeltkirche zuständig. Ihn begeistern Konzepte, wie Bibel und Glauben erlebbar werden können.
NEW WORK | 21 MUT zum Risiko Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche in Bayern will neue Formen des “Kircheseins” neu bilden und entwi- Wege gehen. Das Projekt MUT soll den Anstoß zu Innovation ckeln. Die experimentellen MUT-Initiativen setzen und Experimenten geben. einen für den jeweiligen Raum neuen Akzent und sol- len dazu beitragen, dass Erkenntnisse auch gesamt- Mut, das ist die Bereitschaft, sich in eine unsichere Situ- kirchlich zur Innovation genutzt werden können. Sie ation zu begeben. Mut ist es, etwas zu tun, das mit einem öffnen sich einem Lernprozess stellvertretend für Risiko verbunden ist. Mut ist, einen Schritt weiterzugehen. die gesamte Landeskirche. Förderfähige Initiativen sind geprägt von den zentralen MUT-Worten missio- Was, wenn wir mutig Kirche leben? Wir glauben: nal, unkonventionell, Tandem. Wir sind gesandt. Hin zu den Menschen. Die Kirche braucht MUT. Wir brauchen MUT. Was würde pas- M steht für „missional“ sieren, wenn wir eine Art „Risikokapital“ einsetzen, Als Teil der „missio Dei“ (Sendung Gottes) zu den um zu experimentieren? Was, wenn wir das Wagnis Menschen hingehen und mit ihnen in den jewei- eingehen, Scheitern als Chance und Unsicherheit ligen Kontexten und Milieus neue Zugänge zum als Lernfeld zu betrachten? christlichen Glauben (wieder-)entdecken. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern U steht für „unkonventionell“ möchte dieses Risiko eingehen und geht mutig in Sich auf Menschen zubewegen, ihre Fragen und Sehn- die Zukunft. Sie startet in den Jahren 2021 bis 2024 süchte ernst nehmen, neue Wege gehen, kreativ und das Programm MUT. Sie schafft damit Raum für In- innovativ etwas ausprobieren, so dass Orte des Evan- novation und Experimente, sie schafft Freiraum für geliums entdeckt werden oder neu entstehen. Leidenschaft, Begabungen und neue Wege. T steht für „Tandem“ Mut, das ist die Bereitschaft, sich in eine unsiche- Ein Träger der ELKB macht sich gemeinsam mit re Situation zu begeben. Mut ist es, etwas zu tun, anderen auf den Weg, Menschen einen einfachen das mit einem Risiko verbunden ist. Mut ist, einen Zugang zur Liebe Gottes zu ermöglichen. Tandem- Schritt weiterzugehen. partner könnten sein: ökumenische Partner oder gesellschaftliche Akteure. Es werden Initiativen gefördert, in denen sich inno- vative Ausdrucksformen von Kirche und ergänzende | www.mut-elkb.de Daniela Mailänder ist MUT-Koordinatorin der Evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern (ELKB).
22 | NEW WORK ACH TU NG, SA TIRE ! Wenn Sie eine Taufe anmelden, drücken Sie die Eins Die Kirche als Callcenter? Mit dem nächsten freien Seelsorger, Das Auswahl-Menu ist auf die existentiellen Fragen zu dem Sie gleich durchgestellt werden. Ein Ausblick mit viel vereinfacht worden, auch Trauungen laufen im Un- Augenzwinkern in die Zukunft. ter-Menu von Punkt drei. Bei der Wahl von Menu- punkt zwei wird eine hochsensible Rauschunterdrü- Herzlich willkommen bei der Central Communication ckungs-Software aktiviert, die auch im Tonfall von Church! Wir sind die Anlaufstelle für alle Fragen rund um akuter Trauer noch den Wortsinn erfasst. Glaube, Liebe, Hoffnung. So erklingt seit dem Jahr 2030 die Ansage der Zen- Nach dieser Vorauswahl der Anrufenden, die bis dahin tralen Rufnummer der Evangelischen Landeskirche angesichts des hohen Durchschnittsalters der Ziel- in Baden, Bayern und Württemberg. Die elektroni- gruppe ohne Sprachsteuerung und ohne Bild-Über- sche Stimme betont alle Silben gleich: Barrierefrei tragung ausgekommen ist und damit auch Nutzerin- für Menschen aus Nord-Deutschland ebenso wie für nen von Smartphones der ersten Generation Teilhabe Zugewanderte aus anderen Ländern, keine dialek- ermöglicht, wird nun, sofern am Endgerät die tech- tale Einfärbung hindert mehr die Kommunikation, nischen Voraussetzungen gegeben sind, in eine Bild- während die Sprachführung auf Rezeptorenseite alle zu-Bild-Übertragung übergeleitet. Die Fortsetzung Dialekte zu verstehen gelernt hat und Antworten in des Gesprächs mit einer pfarramtlichen Servicekraft der automatisch erkannten Sprache gibt. ist allerdings nur möglich, wenn die Erlaubnis zum Einscannen der persönlichen CCC-QR-Codes gege- Wir begleiten Sie vor Ort in allen Fragen, die Sie beschäftigen, ben wird. Dies geschieht mittels Bild-Erkennung, um und vermitteln Ihnen umgehend einen freien Seelsorger oder missbräuchliche Nutzung zu unterbinden. Dann ste- eine Pfarrerin, die Zeit für Sie haben. hen der Servicekraft alle für eine effiziente Beratung Wartezeiten werden erheblich verkürzt und es kann nötigen Informationen zur Verfügung, wie zum Bei- rund um die Uhr und sieben Tage die Woche kom- spiel die Anzahl der Gottesdienstbesuche in den zu- muniziert werden, was angesichts der variablen rückliegenden zwölf Monaten, die Höhe der bezahlten Arbeitszeiten der Gemeindeglieder Kirchensteuer und bisher schon in Anspruch genom- Auf dem Weg zu einer Callcenter-Kirche immer wichtiger wird. Daher auch der mene Dienstleistungen. Vor allem aber ermöglicht es Name dieses kirchlichen Angebots: das Einspielen in Echtzeit auf den Bildschirm der Ser- Central Communication Church (CCC). Da die Ant- vicekraft mit lokalen Informationen wie das örtliche worten auf die meisten Fragen schon programmiert Wetter, die letzten drei meistgeklickten Nachrichten sind, müssen die diensthabenden Pfarrer oder Pfar- aus diesem Ort und eine Liste mit den dort tätigen rerinnen auch nur selten aus der Rufbereitschaft ge- Pfarrerinnen und Pfarrern. Somit kann das nunmehr holt werden, der AngeBOT (der Gottes-Boten-BOT) persönlich geführte Gespräch software-gestützt so ge- übernimmt fast alles. staltet werden, dass eine völlige Vertrautheit mit den örtlichen Gegebenheiten vermittelt werden kann und Aufgrund Ihrer Rufnummer wissen wir, dass Sie aus dem damit auch von weit entfernt tätigen diensthabenden Kirchenbezirk Stuttgart anrufen. Falls dies nicht stimmt, Pfarrerinnen und Pfarrern eine tragfähige seelsorger- drücken Sie die Rautetaste und geben bitte die Postleitzahl liche Beziehung gestaltet werden kann. Das Einspielen Ihres Aufenthaltsortes ein. der regional zuständigen Pfarrperson via Hologramm Diese Schleife ist eigentlich überflüssig, denn Ange- ist derzeit noch in der Erprobungsphase. BOT erkennt automatisch den Standort eines Anru- fenden. Sie signalisiert aber einen Rest von Daten- Fachbegriffe: schutz und vermittelt vor allem das Gefühl, dass es CCC – Central Communication Church (dt: Zentrale Kirchen eine lokale Verortung von CCC gebe. Kommunikation) wird auch gern polemisch übersetzt mit Call- CentreChurch (Kirche aus dem Call Centre) Wenn Sie eine Taufe anmelden wollen, drücken Sie die AngeBOT (gesetzlich geschützter Name einer Software, auf die EINS. Wenn Sie eine Beerdigung anmelden wollen, drücken die Architektur von CCC aufsetzt, frei zu übersetzen mit „En- Sie die ZWEI. Für alle anderen Fragen drücken Sie die DREI. gelsgleiche Gesprächsmaschine“ („BOT“). Albrecht Knoch ist Wirtschafts- und Sozialpfarrer im „Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt“ (KDA) der Württembergischen Landeskirche. Er pflegt Kontakte zu Menschen in der Arbeitswelt, in Unternehmen und Gewerkschaften, Parteien oder Verbänden. Seine Schwerpunkte sind unter anderem: Ethik in der Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Integration. | www.kda-wue.de
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