KORRESPONDENZBLATT DES CANISIANUMS - Heft 2, Jahrgang 152 - Wintersemester 2019/2020 - Canisianum Innsbruck
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Inhaltsverzeichnis Geleitwort des Rektors Geleitwort des Rektors ................................................................................................................ 1 Liebe Alt-Canisianer, Freunde und Wohltäter, liebe Canisianer! 1. Herz-Jesu-Fest 2019 Ein Höhepunkt in diesem Semester waren Festprogramm........................................................................................................................ 2 die Feierlichkeiten „120 Jahre ukrainische Begrüssung von Rektor P. Andreas Schermann SJ ................................................................ 3 Theologiestudenten und ukrainische Ge- Anmerkungen zum Christsein heute: meinde Innsbruck“ (siehe Chronik). Ins- Anforderungen an Christen in der säkularen Gesellschaft gesamt studierten bis jetzt mehr als 200 Festvortrag von Dr. Franz Küberl, Präsident a.d. der Caritas Österreich ............................. 5 Theologiestudenten ukrainischer Herkunft Bilder vom Herz-Jesu-Fest 2019 . ........................................................................................ 14 an der Innsbrucker Universität, von denen 2. Vorträge/Beiträge viele im Canisianum lebten. Manche sind Impulse Beim Triduum Zum Herz-Jesu-Fest für ihren Glauben als Märtyrer gestorben Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Wilhelm Guggenberger . .............................................................. 16 und wurden später seliggesprochen. Bei Alltagstaugliche Spiritualität, P. Josef Thorer SJ ............................................................... 23 diesen Festlichkeiten kam für mich die Beiträge zum Weltmissionssonntag 2019 ............................................................................. 31 dankbare Verbundenheit der Ukrainer ge- Wissenschaftsposter . ......................................................................................................... 34 genüber der Universität Innsbruck und dem Canisianum zum Ausdruck. 3. Neoingressi 2019/2020.......................................................................................................... 40 4. Aktuelles und Chronik Wir feiern bald das Weihnachtsfest und er- Alt-Canisianer-Konveniat 2019 in Amerika .......................................................................... 42 Ein wichtiges Ereignis ist für mich die Wall- warten „Christus, das Licht“. Dieses Fest Verabschiedung Józef Niewiadomski ..................................................................................... 43 fahrt am Beginn des Studienjahres, die alle will uns wieder einladen, auf das Kind in 120 Jahre ukrainische Theologiestudenten und ukrainische Gemeinde in Innsbruck ................ 44 Canisianer an ihre Sendung erinnert, näm- der Krippe zu schauen, Gottes Angesicht Wallfahrt zum Studienjahresbeginn 2019 ............................................................................ 48 lich ausgebildet zu werden, um den Mit- in aller Einfachheit, in aller Schönheit und Chronik vom 1. Juli bis 13. Dezember 2019 . ........................................................................ 50 menschen zu dienen, egal in welchen Auf- Leuchtkraft und in Frieden zu sehen. Die Lied des Canisianums ........................................................................................................... 55 gaben sie einmal tätig sein werden. Dieses Geburt Jesu Christi ist ein Licht, das über Die Hausgemeinschaft des Collegium Canisianum 2018/2019 . .............................................. 57 Jahr ging es nach „Altötting“. Der Wall- die ganze Welt strahlt. Das zeigt sich auch fahrtsort ist durch seine „schwarze Ma- in der Verschiedenheit der Menschen im 5. Wir gratulieren . .................................................................................................................... 58 donna“ berühmt geworden, die aus dem Canisianum. Unsere Kulturen sind sehr un- späten 13. oder dem frühen 14. Jahrhun- terschiedlich, aber das Licht Jesu Christi 6. Diözesenliste – Studienjahr 2019/20 . .................................................................................... 62 dert stammt. Durch gemeinsame Gebete, verbindet uns alle. 7. Geburtstage und Weihejubiläen 2020 ..................................................................................... 64 die Eucharistiefeier und ein gutes Mittag- essen, kehrten wir geistig und leiblich ge- Liebe Freundinnen und Freunde des Ca- 8. Memento Mori ....................................................................................................................... 68 stärkt in das Kolleg zurück. nisianums! Im Namen unserer Hausge- 9. Briefe und Grüsse aus aller Welt .......................................................................................... 72 meinschaft danke ich für ihre wohlwollen- Die ersten vier „Neoingressi“ – sie kommen de Verbundenheit und alle empfangenen 10. Rezensionen und Eingang von Büchern . .................................................................................. 77 aus Indien, Tansania, der Elfenbeinküste Wohltaten und wünsche Ihnen bzw. Euch 11. Terminkalender ...................................................................................................................... 79 und Uganda – sind mittlerweile bei uns an- im Sinne von „cor unum et anima una“ ein gekommen. Die weiteren Kandidaten be- frohes und gesegnetes Weihnachtsfest 12. Wir danken unseren Spendern und Förderern ......................................................................... 82 mühen sich noch bei den österreichischen und ein friedvolles Neues Jahr! 13. Bankverbindungen .................................................................................................................. 84 Botschaften um ihre Aufenthaltsbewilli- gung als Student und ihr Visum. Insgesamt 14. Impressum .............................................................................................................................. 85 konnten wir sechs neuen Priestern (zusätz- lich noch aus Ghana und Nigeria) für das Studienjahr 2019/2020 einen Platz im Ca- nisianum zusagen. „Neoingressi“ kommen, und andere werden zu „Alt-Canisanern“, nachdem sie ihre Studien erfolgreich be- endet haben, in ihre Heimatländer zurück gekehrt sind und so das weltweite Netz der P. Andreas Schermann SJ Canisianer verstärken. 1
Herz-Jesu-Fest Herz-Jesu-Fest 1. Herz-Jesu-Fest 1. Beiträge Ich darf Sie alle als Rektor des Canisia- nums im eigenen Namen und im Namen 1.1 Programm zum Herz-Jesu-Fest 1.2 Begrüssung und Hinführung unserer Hausgemeinschaft sehr herzlich zu unserem Hausfest begrüßen. P. Andreas Schermann SJ Herz-Jesu-Fest am 28. Juni 2019 Herz-Jesu-Fest am 28. Juni 2019 Es freut uns sehr, dass wieder so viele der Einladung gefolgt sind und das Herz-Jesu- 16:00 Uhr Fest in diesem altbekannten Haus feiern! Festakademie Besonders begrüßen darf ich Herrn Dr. Franz Küberl, der heute den Festvortrag Clarin Merk, Klavier zu einem aktuellen Thema halten wird. Ich Partita Nr. 6 e-Moll, Toccata von J. S. Bach darf ihn kurz vorstellen: Franz Küberl, für viele kein Unbekannter, Begrüßung: Rektor P. Andreas Schermann SJ war lange Zeit Generalsekretär der Katho- lischen Aktion Steiermark, dann steirischer Caritas-Direktor und schließlich 18 Jah- Clarin Merk, Klavier re lang Präsident der Caritas Österreich Moment Musical Nr. 4 von S. Rachmaninow (1995–2013). Außerdem war er Mitglied des ORF-Publikumsrats und bis 2018 des Festvortrag ORF-Stiftungsrats. Er ist Träger zahlreicher Preise und Auszeichnungen, wie z.B. des Dr. Franz Küberl Großen Goldenen Ehrenzeichens des Lan- Ehem. Präsident der Caritas Österreich des Steiermark oder des Großen Silbernen Ehrenzeichens für Verdienste um die Repu- „Anmerkungen zum Christsein heute“ blik Österreich. Außerdem ist er Ehrendok- tor der Katholisch-Theologischen Privatu- Hausgemeinschaft des Canisianums niversität Linz. Cor unum anima una Jean Désiré Sawadogo Lieber Herr Präsident: ein herzliches Will- P. Andreas Schermann SJ kommen hier im Canisianum. 17:30 Uhr Liebe Festgäste! Eucharistiefeier BEGRÜSSUNG Dass Sie alle heute bei uns sind, zeigt Ihre mit ZUM HERZ-JESU-FEST 2019 Verbundenheit mit dem Canisianum. Dafür P. Andreas Schermann SJ danken wir Ihnen von ganzem Herzen! Sehr geehrte Festgäste, 19:00 Uhr ehrwürdige Schwestern, liebe Mitbrüder Durch den Festvortrag und die anschlie- aus dem Jesuitenorden und im gemein- ßende gemeinsame Eucharistiefeier und im Festliches Abendessen samen priesterlichen Dienst, liebe Mitar- gemeinsamen Mahl danach in der Sillgas- im Jesuitenkolleg beiterinnen und Mitarbeiter der Diözese se 6 soll diese gegenseitige Verbundenheit Sillgasse 6 Innsbruck, liebe ProfessorInnen und Leh- zum Ausdruck kommen. rende an der Theologischen Fakultät, liebe Freundinnen und Freunde unseres Hau- Einige Zahlen zum Canisianum: In diesem ses, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Studienjahr waren 40 Studenten aus 13 des Canisianums und des Jesuitenkollegs, Ländern und 31 Diözesen der Weltkirche liebe Alt-Canisianer und Canisianer ! im Canisianum. Vier Studenten haben ihr Doktorat bereits abgeschlossen. 2 3
Herz-Jesu-Fest Herz-Jesu-Fest Zwei weitere werden demnächst abschlie- te musikalisch begleitet. Liebe Clarin, auch 1.3 Festvortrag zum Herz-Jesu-Fest bekanntlich für diese Feier auf den Hoch- ßen und in ihre Heimatländer zurückkeh- Dir herzlichen Dank für Deine Mitwirkung altar übertragen, und es wurde diesem ren, um ihren Dienst in der Ausbildung bzw. an unserem Fest. Gnadenbild bei dieser und seit dieser Fei- in verschiedenen Leitungsaufgaben in ih- Dr. Franz Küberl erlichkeit besondere Verehrung zuteil. Seit ren Diözesen zu übernehmen. Nach dem Festvortrag möchten wir vom ehem. Präsident der Caritas Österreich damals ist dieses Fest in das Land Tirol Im September werden fünf neue Studen- Canisianum ihnen allen noch ein Lied sin- eingewurzelt.). Nicht immer für alle Men- ten ins Haus kommen. Die Nachfrage ist gen, das einer von uns, nämlich Jean Dési- schen leicht verständlich. Denn die Bilder weiterhin sehr stark – wir hatten über 30 ré Sawadogo aus Burkina Faso, anlässlich verändern sich im Laufe der Zeit. Aber der Anfragen für das kommende Studienjahr. des 350-Jahr-Jubiläums der Universität Kern des Herzens Jesu ist die Barmher- Möglich ist dieser Dienst des Canisianums komponiert und mit uns einstudiert hat. zigkeit Gottes. Eckhard Bieger, ein Jesuit, nur, weil viele zusammenarbeiten und uns hat dies beeindruckend beschrieben: „Die auch finanziell unterstützen. Im Anschluss daran möchte ich sie herz- Tiefenströmung, solidarisch mit dem lei- Mit einem herzlichen Dank an alle Förde- lich einladen, nach einer kurzen Pause in denden Christus zu sein, ist jedoch nicht rer und einem innigen Dank an alle Wohl- die Kapelle im 1. Stock zu gehen, zur Eu- versiegt. Es gibt das tiefere Wissen: Gott täter, Freundinnen und Freunde des Ca- charistiefeier. Wir werden um 17.30 Uhr hat ein Herz für die Menschen, er über- nisianums für Ihre treue, langjährige und beginnen. lässt sie nicht der Ausweglosigkeit, in die vielfältige Unterstützung wünsche ich uns die Menschheit sich manövriert hat. Trotz allen ein erfülltes Herz-Jesu-Fest mit guten Unmittelbar danach sind Sie ALLE einge- der vielen Hässlichkeiten, übler Nachrede, Gesprächen. laden, in die Sillgasse zu „wandern“ – um trotz Mobbing und der nicht enden wollen- Vor dem Festvortrag hören wir noch ein dort weiter zu feiern und diesen Festtag den Kriege, Gott bleibt bei den Menschen. weiteres Musikstück, dargebracht von der gemütlich ausklingen zu lassen. Barmherzigkeit ist die tiefste Absicht Got- jungen Künstlerin Clarin Merk, die uns heu- tes mit den Menschen. Es ist der Vater, der barmherzig ist.“ Vielleicht ist das ein Schlüssel, der auch zum zeitgemäßen Verständnis vom Hei- ligsten Herzen Jesu führt. Dass die Verkün- digung einer besseren Zukunft im Hier und Jetzt und geborgene Ewigkeit das Herzblut Jesu Christi ist. Herz: Bergpredigt, barm- herziger Samariter, das Vater Unser, die Dr. Franz Küberl Gerichtsrede und viele Gleichnisse und Wunder gehören dazu. Sobald ich einen Anmerkungen zum Christsein heute Zugang dazu gefunden hatte, wie man die Anforderungen an Christen in der säku- Herausforderung der Verehrung des Her- laren Gesellschaft zen Jesu heute verstehen kann, konnte ich mich einklinken. Daher verstehen Sie bitte Zunächst zum Anlass „Herz-Jesu-Fest“: meine Worte einfach als Versuch, manches Ehrlich gestanden, hatte ich lange Zeit Pro- vom jesuanischen Fundamentalanspruch bleme damit, weil das ein meiner Meinung an sein Bodenpersonal, Christen genannt, nach süßliches, aber auch gequältes (vgl. für ein besseres Miteinander der Menschen Dornenkrone um das Herz…) Jesusbild bruchstückhaft zu buchstabieren. In wel- hervorrief, das ich mit meinem Glauben chem Umfeld er lebt, und wie er handelt. nicht verbinden konnte. (Ich weiß, am 1. Juni 1796 hat Tirol den feierlichen Bund mit dem göttlichen Herzen Jesu geschlossen. 1. Zunächst einige Anmerkungen zur Zwei Tage später wurde das Gelübde erst- Gesellschaft, in der wir leben: malig in der Bozner Pfarrkirche erfüllt. Das Österreich ist nach dem 2. Weltkrieg knapp dortige ehrwürdige Herz-Jesu-Bild wurde der Hölle entronnen. In den letzten 74 Jah- 4 5
Herz-Jesu-Fest Herz-Jesu-Fest ren sind wir fast bis unter den Himmel hältnis zum Wissenszuwachs - verdammt 1.2. Herausforderung Globalisierung Manches Mal kann man sich des Eindrucks gekommen – wie die meisten der OECD- ertraglose Arbeit, der wir allerdings nicht Einen Teil beherrschen wir schon: größt- nicht erwehren, dass mitgestaltbare Zu- Staaten -, müssen wir nun aufpassen, dass entkommen. möglichen Anteil an den Gütern der kunft ein Ziel ist, das wir nicht erreichen wir nicht aus allen Wolken fallen? Schöpfung zu lukrieren. Aber: Auch die Ar- können. Weil man nicht die Fähigkeit in - Es gibt noch eine andere Seite des In- men, die Geknechteten, die Ausgebeute- sich fühlt, mitzukommen und Probleme zu ternets, die für enorme Zerwürfnisse sorgt: ten, die Vertriebenen wissen als Teil dieser bewältigen. Man klinkt sich sozusagen aus 1.1. Herausforderung Digitalisierung Es ist für so manche und manchen von Welt nicht nur um ihr Elend, sondern auch der Menschheitsgeschichte aus, man hat Zunächst ist es der gewaltige Entwick- uns persönlich interessant, ungemein viel um die Gegenden der Welt, in denen bes- nicht mehr die Vorstellungskraft, dass man lungsschub der Digitalisierung, der uns Machtzuwachs zu erhalten: Der Stamm- ser, friedvoller, zukunftsgesicherter gelebt eine Welt mitgestalten könne, in der die fast den Atem raubt. Die digitale Revo- tisch, die familiäre Kaffeerunde, der Tratsch werden kann. Die Armen dieser Welt gehen nächste Generation vernünftige Lebensvo- lution bringt zusätzlich die Gefahr von beim Kaufmann oder unter Arbeitskollegen logischerweise dorthin, wo sie Sicherheit raussetzungen vorfindet. Dies, obwohl wir Spaltungen und neuer Zukunft: „Die Algo- und Nachbarn ist auf einmal gefühlt welt- und Arbeit erwarten. (Das ist der Geist, der seit der Vertreibung aus dem Paradies aus rithmen werden alten Göttern ähneln“. Im weit. Vielleicht auch, weil die Welt ein Dorf aus der Flasche ist, diesen Geist kann man der ganzen Entwicklung unserer Welt wis- Buch „Homo Deus“ beschreibt Yuval Noah geworden ist. Wir haben so viele „Jour- nicht mehr in die Flasche zurückdrücken, sen, dass es fast „nur“ zwiespältige Zeiten Harari neue Religionen: Dataismus sei eine nalisten“ wie noch nie. Erstaunlich viele nein wir müssen uns diesen Herausforde- gegeben hat, einen Mix aus Verwirrung, neue Religionsform, die mithelfe, den Ent- fühlen sich dazu berufen und bedrängen rungen stellen und Bewältigungsstrategien Verwerfungen, aber eben auch Fortschritt. scheidungen der Big Data-Algorithmen zu Menschen, ja, bringen sie gedankenlos suchen.) vertrauen, weil diese uns angeblich besser oder gedankenvoll in Todesgefahr – den- Antworten auf fundamentale Fragen müs- - „Opferkultur“: kennen als wir selbst und deshalb an un- ken Sie an Selbstmorde, weil man sich der sen gefunden werden: Wie gelingt es, den Dazu passt ein weiteres gesellschaftliches serer Stelle Entscheidungen treffen kön- Rufmorde, denen man ausgesetzt ist, nicht Verlierern der Globalisierung weltweit und Großdilemma – auch wohlhabende Teile nen – ähnlich den alten Göttern. Die Sorge mehr anders zu erwehren weiß. Weil sich bei uns die Hand so zu reichen, dass auch der Gesellschaft sind da nicht ausgenom- Hararis ist folgende: Die Menschen wür- viele dieser selbsternannten Journalisten sie zu fairen Bedingungen mit in die Zu- men: das Opfergehabe vieler Menschen. den viele wichtige Entscheidungen ihres keiner journalistischen Verantwortung be- kunft genommen werden können und in ih- Immer, wenn ihnen etwas Zuwiderlaufen- Lebens an Algorithmen delegieren: was sie wusst sein wollen oder bewusst Bosheit rer Heimat Zukunft haben? Wie gelingt es, des passiert, schlüpfen sie allzu gerne in studieren, wen sie heiraten, wen sie wäh- und Niedertracht verbreiten. die Vorteile von Entdeckungen, die Ergeb- die Opferrolle. Es ist erstaunlich, wie viele len sollen – und wohin sie reisen werden. nisse des Reichtums auf unserer Erdkugel Menschen in unserer Gesellschaft sich als Nicht nur ich meine, dass wir werden ler- - Eine weitere dramatische Entwicklung, auch den jeweils anderen Menschen zur Opfer äußerer Umstände sehen. Wir erle- nen müssen, damit umzugehen. die aus der Digitalisierung folgt, sind Cy- Verfügung zu stellen? Es ist eine Jahrhun- ben gerade im Bereich der Politik, dass berattacken und Drohnen. Sie ermöglichen dertaufgabe, diesen einen der ganz großen wir von verblüffend vielen Opfern geführt Ein Teil der Digitalisierung, das Internet, die entsetzlicherweise neue Schichtungen von Felsbrocken, die einem Kommen des Rei- werden. Auch unter Freunden und Bekann- erstaunlichste Erfindung seit dem Buch- kriegerischem Handeln – vielleicht erset- ches Gottes entgegenstehen, wegzuräu- ten gibt es viele, die sich als Opfer äußerer druck, birgt enorme Herausforderungen. zen sie bald Armeen, bringen aber noch men. Umstände sehen - von Steuern, Nachbarn, Denken Sie an die Wissensexplosion: Etwa mehr Leid? ausnehmenden Dienstgebern, unzuver- 2,5 Mio. neue wissenschaftliche Arbeiten lässigen Arbeitnehmern, des Schicksals gibt es in einem Kalenderjahr. Die Zahl der - Pater Teilhard de Chardin hat – im Gleich- 1.3. Herausforderung Zukunftsfähigkeit - und sich unverstanden fühlen. Wir sind immer neu hinzukommenden, nicht immer, klang mit einigen anderen wissenschaftlich Wie können wir uns der Zukunft nähern? unvollkommen, aber aus meiner Erfahrung aber oft Neues bringende Internetseiten Forschenden - vor 90 Jahren ein beeindru- Dazu braucht es ein paar Problemüberwin- bei der Caritas heraus kann ich sagen: Wer geht jährlich in die Millionen. ckendes Bild von Globalisierung gezeich- dungen: sich vorschnell zum Opfer erklärt, wer sei- net: das gemeinsame Gehirn unserer Erde, nen Gestaltungsspielraum ungeschickt - Dies bringt eine dunkle Seite des Fort- zusammengesetzt aus uns allen, aus un- - Zukunftsverweigerung: bespielt, wer zu Unrecht meint, dass er schrittes in den Blickpunkt. Wir wissen je- zähligen Gehirnen. Ein wunderbares Bild Zurzeit gewinnt man den Eindruck, dass eigentlich mehr Lebensrecht als andere den Tag weniger. Niemand von uns kann für unsere Entwicklung. Ein wunderbares sich erstaunlich viele Menschen nicht an habe steht auf den Schultern der wirkli- so viel dazu lernen. Das lebenslange Ler- Bild von Pfingsten, von der Schubkraft des der Gestaltung der Zukunft beteiligen. Es chen Opfer unserer Gesellschaftsformen, nen wird zur Sisyphos-Arbeit. Jeden Tag Geistes. Und es bringt neue Erkenntnis. grassiert die Angst, dass die Zukunft nicht die da wären Armut, Unterdrückung, Ge- wälzen wir den Steinblock des Mehr-wis- Alle Menschen auf der Welt wissen von al- mehr besser, sondern nur schlechter wer- walt, Arbeitslosigkeit, Flucht. Sie meinen, sen-Sollens auf den Berg. Niemand von len, wie es ihnen geht. Allerdings: Digita- den könne. Ein Bedrohungsszenario jagt sie könnten ihr Opferdasein besser argu- uns kann allerdings den Felsblock über lisierung und Internet haben ihre Tücken, das andere. (Denken Sie an Digitalisie- mentieren, wenn sie auf den Schultern den Gipfel bringen. Nein, wir beginnen die die ganze Welt plagen können. rung, an Klimawandel, an die Spannung der wirklichen Opfer stehen. Ist es nicht morgen wieder von neuem: eine – im Ver- zwischen Reich und Arm, an Migration…). selbstverständlich, die Verantwortung für 6 7
Herz-Jesu-Fest Herz-Jesu-Fest das eigene Handeln zu übernehmen, auch für Unternehmer, für Journalisten, politisch und nicht in der Chefetage großer Unter- 2.1. Bestandsgarantie der Kirche? wenn es misslich sein mag? Sich dessen Tätige, Verantwortung als Beamte Inne- nehmungen. Macht beginnt bei jedem Ein- Sie kennen aus Matthäus 16, 17-19 den je- bewusst zu sein, dass man unvollkommen habende wie auch für Verantwortliche in zelnen von uns im Umgang mit anderen suanischen Begriff: „Die Pforten der Hölle ist, so wie auch die Welt unvollkommen ist? Kirchen und zivilgesellschaftlichen Insti- Menschen - egal ob in der Familie, gegen- sollen sie nicht überwältigen. Und ich sage Wir Menschen haben einen Schöpfungs- tutionen. Eliten sollen und müssen natür- über Konkurrenten, Schwächeren, gegen- dir auch: Du bist Petrus, und auf diesen vorteil: Wir können Fehler eingestehen, lich bestimmte Eigenschaften aufweisen, über Menschen mit eingeschränkten Le- Felsen will ich bauen meine Gemeinde, wir können uns entschuldigen, wir können die da sind: Veränderungsbereitschaft, benschancen, also Armen, Obdachlosen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht auch eigene Fehler benennen, wir können Vorbildfunktion, reflektierter Umgang mit Flüchtlingen. Auch die Kirche hat Macht, überwältigen.“ Seit meiner Kindheit habe uns ab Erkennen eines Fehlers normaler- Macht, starkes Nervenkostüm und die Fä- wenn sie sie auch etwas verschämt nur ich dieses Wort im Ohr, es wurde immer weise auch ändern. Fehler können eine higkeit des permanenten Dazulernens. Sie „Dienst“ nennt. als Bestandsgarantie, als Versicherungs- Zeitlang vertuscht werden, und natürlich sollten ein Denken und Handeln in Orien- polizze der Kirche angesehen. Können wir gibt es irreversible Fehler – jene, die von tierungs- und Gestaltungsprinzipien zei- - Überlegen müssen wir wohl auch, wel- uns heute so sicher sein, dass dieses je- den wirklichen Menschen-Opfern nicht gen, das das Vertrauen weckt in ihre Fä- che Herangehensweisen an die Zukunft suanische Wort wirklich ein Rettungsring selten mit Verletzung, Verarmung, Verelen- higkeit als verantwortliche Personen sowie wir brauchen – die ja bereits in der nächs- aus jeder Krise der Kirche sein kann? Oder dung, auch mit ihrem Tod bezahlt werden. in Strukturen von staatlichen Institutionen, ten Minute beginnt. Auf welche Herange- gilt dieses jesuanische Wort vielleicht nicht Die wird man tragen müssen. Unternehmungen und Forschungseinrich- hensweisen wir uns einigen sollten. In der für eine Organisationsform des Glaubens, tungen. Dann sind sie Vorbild, sonst sind Geschichte der Menschheit hat Zukunft sondern nur für den Glauben selbst? Auch - Vertrauensprobleme: sie Zerrbild der Gesellschaft. immer mehrere Herausforderungsbedeu- wenn Sie es vielleicht nicht gerne hören: Die Zahl der Menschen, die anderen ver- tungen gehabt. Zukunft als Fortschrittsver- Die Kirche macht heute in vielen Teilen der trauen, also auch jenen vertrauen, die be- - Der Anspruch an die Moral von Eliten ist sprechen, Zukunft als Risikomanagement, Welt einen erstarrten Eindruck. Sie scheint sondere Verantwortung tragen, ist eher im ganz einfach. Sie sollen mithelfen Brücken Zukunft als positive und negative Nach- in erster Linie mit Interna beschäftigt und Abnehmen als im Zunehmen. Darin ver- zu bauen, damit auch jene Menschen, die haltigkeit in Natur, Kultur und Geschichte. erweckt den Eindruck, dass sie oft Angst borgen, mit gewaltiger Sprengkraft, ist die in Gefahr sind zurück zu bleiben, die Zu- Natürlich braucht es Formen, die diese vor der eigenen Courage hat und ihr bevor- Angst vieler Menschen einer Gesellschaft kunft erreichen können. Elite beginnt nicht unterschiedlichen Zukunftsschichtungen zugtes Arbeitsgerät der Feuerlöscher sei. vor ihren Eliten. Sie äußerst sich im Vor- ganz oben, sondern ganz unten. In jedem in Beziehung bringen können; dies kann wurf, dass es Menschen(gruppen) gibt, Dorf der Welt gibt es Eliten – die entweder eine Hilfe dafür sein, dass es nicht Gene- Das Krisenfeld Missbrauch ist ein kirchlich die mehr Wissen, mehr Erfahrung, mehr nur auf sich schauen oder aber Brücken- ralangst vor Zukunft gibt, sondern, dass selbst gelegtes Minenfeld. Möglichkeiten, mehr Reichtum, mehr Be- bauer für Ärmere sein können. Das Zauber- differenzierter vor- und nachgedacht wer- Infolge des Missbrauchs von Kindern und ziehungen haben, um mit Gegenwart und wort dafür ist Empathie – Mitfühlsamkeit. den kann. Zunächst wird es wohl Zukunfts- Schwächeren durch Geistliche quer durch Zukunft zurecht zu kommen. Leute, die Man braucht etwa sechs bis acht Sekun- mut, also Gesellschaftsgestaltungsmut, Europa geht das fundamentale Vertrauen die Einfacheren, die auf dem flachen Land den, damit Empathie entstehen kann. brauchen. Wir sind ja nicht am Ende der in die Kirche, dass sie eine vom menschen- Lebenden, die Ärmeren, die im Süden…an Geschichte – obwohl das Manche gerne liebenden Gott inspirierte und damit bes- die Wand drücken. Die Eliten unserer Zeit - Umgang mit Macht: glauben wollen -, sondern möglicherweise sere Institution sei, in die Brüche. Ein Ende gelten als die neue herrschende Schicht. Natürlich braucht es Macht, das weiß ich mehr am Anfang. ist nicht abzusehen. Sie sind die wahren Vorbilder, im Positi- auch als früherer Caritasverantwortlicher. ven wie im Negativen. Deswegen braucht Wenn Du keine Macht hast, kannst Du nie- es einen enormen Verantwortungs – und mandem helfen. Wir haben allerdings prak- 2. Anmerkungen zur Kirche 2.2. Krisenfeld Weltreligionen Moralzuwachs in diesen oberen Schichten. tisch keine gemeinsamen gesellschaft- Wir haben in den letzten Wochen erlebt, Denken Sie an das Dilemma der Weltreli- Und es braucht das Vertrauen der Eliten in lich anerkannten Reflexionsformen zum welchen Schrecken und welche Trauer gionen, wunderbar von Lessings Parabel jene, die sich mit Gegenwart und Zukunft Gebrauch der Macht. Deswegen möch- der Brand der großen Kathedrale „Notre in „Nathan der Weise“ beschrieben: Die ei- schwerer tun. te ich an eine fundamentale Überlegung Dame“ in Paris quer über Europa ausgelöst nen, also wir Gläubige, meinen, gute Grün- von Romano Guardini erinnern. In seinem hat. Das ist berührend und beeindruckend. de zu haben, dass sich dieses Dilemma gut - Daher gibt es auch Ansprüche an die Buchbeitrag zum 60iger von Karl Rahner Wenn es jedoch um die Kirche geht, die lösen ließe, weil die drei Ringe unterschied- Eliten, ihren Umgang mit Moral und Macht formuliert er 19 Fragen zum Umgang mit als Ganzes dem einzelnen Christen moti- liche Nuancen desselben Anliegens seien. betreffend, wie z. B. die Heranbildung des der Macht. Er fragt, ob es eine Erziehung vierend und unterstützend zur Seite stehen Das könne durch klugen Dialog der Reli- Bewusstseins, dass die Werte eines Un- zum rechten Gebrauch der Macht gebe, will, gilt es zunächst einige kritische Punkte gionen gewaltlos bewältigt werden. Viele ternehmens, aber auch einer Gesellschaft aber auch, wieviel Macht denn ein Mensch zu benennen, die diesem Wunsch entge- andere jedoch sind der Meinung, so wie überwiegend von Führungspersonen ge- vertrage. Wer mithelfe, Macht zu reflektie- genstehen. es der Philosoph Rudolf Burger unlängst prägt werden. Das gilt in gleicher Weise ren. Macht beginnt nicht in der Regierung in einem Interview formuliert hat, dass die 8 9
Herz-Jesu-Fest Herz-Jesu-Fest Botschaft von Lessings Parabel im Grunde gesetzt wird, kann hoffen, nur jemand, an eine Frage der praktischen Vernunft. Damit kirchlich nicht, diese Prinzipien des Dialogs gefährlich ist. Der Muslim, der Christ und den geglaubt wird, kann auch glauben. Nur aber die Vernunft recht funktionieren kann, anzuwenden. der Jude glauben, jeweils ihr Ring wäre der wenn Menschen im Hier und Jetzt eine Ah- muss sie immer wieder gereinigt werden, Richtige. Das sei genau das Problem und nung bekommen, wie die Ewigkeit sich an- denn ihre ethische Erblindung durch das nicht die Lösung. Ich fürchte, dass viele fühlen könnte, werden sie glauben können. Obsiegen des Interesses und der Macht, 3. Anmerkungen zum möglichen Christ- Menschen durch den Auftritt der Weltreligi- Anders gesagt, wir brauchen eine Kirche, die die Vernunft blenden, ist eine nie ganz sein heute onen verschreckt sind. Ein Teil des Abwan- in der man die Zukunft schmeckt. Es gibt zu bannende Gefahr. An dieser Stelle be- Damit wir auf die Bedingungen der heuti- derns in andere, einfachere Glauben oder daher selbstverständlich auch Möglichkei- rühren sich Politik und Glaube. (DCE 28) Es gen Zeit und nicht an den Bedingungen der auch in Agnostik und Atheismus hat damit ten, dass die Kirche für ihre Anhänger im ist dies ein wunderbarer Satz, den Papst Zeit eingehen, braucht es für den heutigen zu tun, dass die positive Bindungskraft von Unterstützen stärker und in der Verbreitung Benedikt hier formuliert. Welche Voraus- Christen einige persönliche Voraussetzun- Religion zu schmelzen begonnen hat. Ich der frohen Botschaft flotter wird. setzungen es allerdings für die Umsetzung gen. Hier setzt auch die Frage nach dem erinnere nur an Gewalt, die auch von reli- bräuchte, wird nicht genannt. Denn auf je- Profil des einzelnen Christen an. Der Gott, giösen Menschen ausgehen kann. (Der 1. den Fall muss dann die Vernunft bei den den man nicht spürt, ist wirkungslos. Wir Weltkrieg war ein Kampf unter Christen, 2.4. Notwendige Veränderungen Katholiken funktionieren, es braucht ethi- sind das Bodenpersonal Gottes, durch uns aber auch Muslime waren Angreifer und Beispielhaft seien einige Fragen zur Wei- sche Sehstärke durch Überwinden von In- sollen die Menschen spüren, wessen Geis- Angegriffene. Das kriegerische Auftre- chenstellung benannt. Da gibt es z. B. die teressen bestimmter Gruppen, also einen tes Kinder wir sind, durch uns sollen Men- ten der USA mit NATO-Verbündeten wird komplexe innerkirchliche Frage, wie denn Blick auf das Gemeinwohl und reflektierten schen spüren, dass Gott menschenliebend mehr als christliche Aggression gewertet, in Zukunft Eucharistie in jeder Gemeinde Umgang mit der Macht. ist, durch uns sollen Menschen spüren, als uns bewusst sein mag). In einer These sichergestellt werden kann, zukunftstref- Wenn man vorbereitet sein will für die künf- dass Gott allen Menschen zusagt, dass sagt einerseits Hans Küng, dass es einen fend auch mit Reformen struktureller und tigen – öffentlich notwendigen – Debatten, sie – jede und jeder - gleich viel wert sind, Weltfrieden ohne Weltreligionen nicht ge- juridischer Art. wird man sich auch als Institution Wissen/ und zwar mehr als alles Gold der Erde, und ben kann. Werden aber die Weltreligionen Sachkenntnis aneignen. Und zwar nenne Heil erfahren können. Ja, Gott liebt mich – das schaffen? Das Problem ist, dass jeder - Ars celebrandi – ars caritatis: ich die sozialethischen Fragen sowie den aber seine Liebe gilt auch dem, der neben Religion auch die Fehler anderer Religio- Die spielentscheidende Frage, wie gut die ungemeinen Fundus der Katholischen Fa- mir in der Kirche sitzt, neben mir wohnt, im nen aufgerechnet werden können. (Ich er- Kirche auf zwei Beinen steht, steckt in den kultäten, die für die Gläubigen in ihrer öf- Nachbarort wohnt, über der Grenze wohnt. innere mich an den langen Karfreitag der beiden Themen Ars celebrandi und ars ca- fentlichen Argumentation hilfreich wären, Damit sind wir beim Kern des Glaubens. Katholischen Kirche in Österreich, da sind ritatis. Beide brauchen wir, damit die Kir- um sich in die gesellschaftlichen Denk- Wir müssen den Menschen, allen Men- nicht wenige aus der Evangelischen Kirche che handlungsfähig bleibt. Die Ars caritatis Handelns-Erkenntnisfäden argumentativ schen, vermitteln, dass sie von Gott geliebt ausgetreten, weil sie gemeint haben, dass darf kein Holzbein der Kirche sein, sondern einfädeln zu können. Hans Maier, früherer werden und daher auch ihre Mitmenschen eh alle gleich wären.). Gefördert wird dies muss genauso festgefügt und umgesetzt bayrischer Staatsminister, später Inhaber mögen „müssen“ - in einer überzeugen- auch, weil man heute das Paradies nicht werden, wie die ars celebrandi – also die des Guardini-Lehrstuhles in München, den, praktischen Art und Weise. Liebe wird aufgrund kirchlicher Verheißung, sondern feierliche Gläubigkeit genauso wie das sagte es gewohnt gescheit: „Es lohnt sich, dann wirksam, wenn sie hilft, dass Leben durch Buchung beim Reisebüro um die Helfen. Denn Menschen in Not zur Seite zu wie ich meine, über eine Theologie nach- gelingt. Liebe wird dann wirksam, wenn die Ecke bekommen kann - für 14 Tage, dafür stehen ist eine Kunst, eine Wissenschaft, zudenken, welche die Politik - ohne sie zu Menschen ihre Menschenwürde praktisch jährlich. keine dumpfe Gefühlsausübung. Wie brau- beherrschen und vereinnahmen zu wollen erfahren. Liebe wird dann wirksam, wenn chen also eine arme Kirche – vgl. Papst – zu begleiten und zu erhellen strebt.“ auch die Armen spüren, dass die, denen es Franziskus -, aber auch eine starke Kirche schon besser geht, auch sie in die Zukunft 2.3. Natürlich gibt es Chancen – sonst kann sie nicht beistehen. Die öf- - Die Chance des Dialogs wahrnehmen, mitnehmen wollen. Das Arbeitsfeld der Die Chance der Sinnstiftung durch aktive fentliche Prägekraft von Kirche hat zwar in aber auch üben. Die Katholische Kirche Liebe ist unerschöpflich groß. Diese Liebe, Gläubigkeit ist intakt. Eine Fundamental- den letzten 250 Jahren enorm an faktischer wird Dialogprinzipien mit den öffentlichen die caritas, ist tagtäglich am Vormittag als aufgabe der Kirche sehe ich darin, zent- Macht verloren, ihr bleiben jedoch die hel- Institutionen - weltweit, in unserem Staat, Hauptaufgabe ihrer Gläubigkeit, als Haupt- rale Sehnsucht der Menschen, die ja das fenden Hände und der große Erfahrungs- im Bundesland, aber auch in jeder Pfarrge- grund ihres Seins (Papst Paul VI.) umzuset- Menschliche ausmachen, ernst zu nehmen. schatz an gesellschaftlichem Aufbau und meinde - beherrschen müssen. Mit Gleich- zen. Auch gegen Widerspruch, auch gegen Wonach die Menschen heute Sehnsucht Zusammenhalt. gesinnten, aber auch mit Andersdenken- Anfeindung, gewaltfrei – aber mit List und haben, ist die Gewissheit, dass jemand an den gilt es zuzuhören, sich auszutauschen, Lust und langem Atem. sie glaubt. Dass ihr Leben Sinn hat. Dass - Gerechtigkeit und praktische Vernunft. Respekt zu üben, nicht immer einer Mei- Aber wie? sie angenommen und geliebt werden, wie Papst Benedikt sieht als wichtige Aufgabe nung sein zu können, immer mit Ideen, nie sie sind. Nur jemand, der geliebt wird, der Kirche gegenüber der Politik das Be- nur mit Moral, aber trotzdem miteinander - Beginnen würde ich mit: „kluag“ leben. kann lieben, nur jemand, in den Hoffnung mühen, Gerechtigkeit zu erlangen. Es ist leben zu können. Es schadet auch inner- Das ist eigentlich eine Philosophie der stei- 10 11
Herz-Jesu-Fest Herz-Jesu-Fest rischen Keuschler aus ärmeren Zeiten zur ja in innerfamiliären Konflikten genauso Zum anderen jedem anderen Menschen den, zu empfangen. Unsere Super–Vision, Bewältigung des kargen Alltags. Die Hand- schlummern kann, wie unter Nachbarn dies auch zuzugestehen bzw. „alles zu das Evangelium von der Barmherzigkeit lungsfelder dafür sind weit gespannt, jeder und Arbeitskollegen. Aktive Gewaltlosig- unterlassen, was ihn auf den Boden drü- Gottes, bestärkt uns dabei. So kann man von uns kann „kluag“ leben - im eigenen keit hilft nach der Lösung von Konflikten cken könnte. Man muss auf das, was man sich aufmachen und in Erfahrung bringen, Lebensstil, im Umgang mit unserer Fami- mit, dass man einander wieder in die Au- ist und tut, auch stolz sein können“ (Peter wer ein kluges Tor in eine bessere Zukunft lie, unseren Freunden, mit den Nachbarn, gen schauen kann. Gewaltlosigkeit ist kei- Strasser). Stolz darauf, Lehrer, Mutter, Po- aufmachen kann. mit den Arbeitskollegen. Es gibt aber auch ne Harmlosigkeit, denken Sie nur an den lizist, Priester, Maurer, Politiker, Bauer, Un- Menschen, die Verantwortung tragen, die Straßenverkehr. ternehmer zu sein … Ich wünsche Ihnen und mir, dass uns die über die persönliche Lebensgestaltung hi- In großen Teilen der Welt erleben wir eine Liebe Gottes zu uns derart zu begeistern nausgeht, z. B. Führungskräfte, Unterneh- eklatante Zunahme der Gewalt. Diese hat - Glückendes Leben steht nur auf zwei vermag, dass andere Menschen durch uns mer, in gesetzgebenden Körperschaften durchaus unterschiedliche Wurzeln, wenn Beinen gut: dem materiellen und dem im- Hoffnung und Zuversicht, Geborgenheit Tätige, Abgeordnete, Bürgermeister oder man die Bürgerkriege der letzten Jahre be- materiellen Bein. Natürlich brauche ich zum und Angenommen-Sein verspüren können. Gemeinderäte. In ihrem Fall ist die Verant- trachtet. Die absolute Ächtung von Gewalt, Leben materielle Voraussetzungen. Dazu Deswegen braucht es eine farbenprächti- wortungsspanne im Sinne des „kluag Le- die Entnaivisierung der Gewaltlosigkeit, die gibt es auch eine Vielzahl immaterielle Vo- ge und vielfältig entfaltete Kirche in der „oft bens“ größer. Entwicklung von Strategien zur Gewaltlo- raussetzungen des Lebens: Licht, Luft, verbeulten Wirklichkeit des Lebens“ (Papst sigkeit, von Strategien der Entfeindung Wärme, Schönheit der Schöpfung, Freun- Franziskus). Nicht Gottes graue Mäuse, - Das Nächste ist die Frage eines guten (Senghaas) gehört ins Zentrum der Denk- de, Beziehung, Liebe, Hobbies, aber auch sondern Gottes bunte Hunde sollen wir Miteinanders der Menschen. arbeit von Gläubigen. Demokratie, die Möglichkeit des Glaubens, sein. Dann wäre das Herz Jesu uns Motor Wie sprechen wir über Abwesende? Wie die Fähigkeit zu verzeihen, Trost zu spen- des Lebens und Kraftwerk des Glaubens. beantworten wir den drohenden Verlust - Dazu braucht es Zivilcourage - aller- von Geschwisterlichkeit? (Umberto Eco). dings statt der „acies bene ordinata“, so- Gesellschaftlich sind wir wesentlich dar- zusagen „geordnete Schlachtreihe des auf angewiesen, dass viele Menschen mit Aufmarsches im Alltag“, die Papst Pius den ihnen zur Verfügung stehenden – auch XI. seiner in den 1920er Jahren initiierten knappen – Ressourcen Solidarität leben. Katholischen Aktion verschrieb. Er mein- Die Erfahrung der Caritas-Arbeit zeigt, dass te ein Vorgehen nicht in Massen, sondern die Menschen heute ein unglaubliches So- selbstbewusst, angesteckt von der Faszi- lidaritätspotential haben. Das Augenmerk nation des Evangeliums. Vorurteile entste- richtet sich neuerdings stärker als in den hen durch Denkfaulheit, dann, wenn wir die vergangenen Jahrzehnten auf Notfälle in Mauer des Nicht-wissen-Wollens durch- der unmittelbaren Nachbarschaft. Es wäre brechen und uns für das Schicksal, die ein starkes Stück des Liebeslebens der Lebensdramen in Not geratener Menschen Kirche, auch die Liebe zu den ferner Le- interessieren, weil wir Menschen nicht im benden aufrecht zu erhalten. Wir können Stacheldrahtgeflecht bürokratischer Un- nur dann gut leben, wenn es auch unseren durchdringlichkeit verbluten lassen wollen. Nachbarn gut geht. Als einzelne Menschen Das können wir, wenn wir durch das Na- können wir zwar nicht gleich die Unge- delöhr des Nachdenkens, der Bildung und rechtigkeit der Welt tilgen, aber anständige der Gewissensbildung gehen. Vielleicht Menschen sein und andere Menschen da- ist das Vorbild der „Weggemeinschaft“ (© für gewinnen, auch anständig zu sein. Und Diözesanbischof Hermann Glettler), die ja wir können jene Gesetze und Regelungen, auch politisch, sozial und gesellschaftlich auf die wir Gestaltungseinfluss haben, so Fragen der Zeit durchdenken kann, eine gestalten, dass sie den Geist des Gesamt- der guten Formen dieser notwendigen kunstwerks Mensch atmen. Denkvorgänge, um gemeinsam durch das Nadelöhr des Nachdenkens zu kommen. - Das Wesen der Gewaltlosigkeit umset- zen. - Auch für uns Christen gilt: Es ist eine gro- Die Gewaltlosigkeit beginnt ganz einfach, ße Aufgabe, zum einen darauf zu achten, indem man auf Gewalt verzichtet, die dass wir selbst aufrecht gehen können. 12 13
Vorträge/Beiträge Vorträge/Beiträge 2.1 Impulse beim Triduum zum Herz-Jesu-Fest mit Ihnen teilen, in der Hoffnung den einen Ganz gleich, was ich mir für das Danach Es ist für mich nach wie vor eines der größ- oder anderen Anstoß geben zu können für erhoffe, der Tod wird mich zunächst ein- ten Geheimnisse unseres Glaubens, dass Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Wilhelm Ihr spirituelles Leben. mal mir selbst aus der Hand nehmen. Er Gott sich mit einer solchen Liebe an uns Guggenberger Ich gehe dabei in drei Schritten vor, die den entmündigt mich radikal, er ist das abso- Menschen bindet. Institut für Systematische Theologie evangelischen Tugenden folgen: Glaube, lute Ende meiner Freiheit. Darum hasst die Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Gott Katholisch-Theologische Fakultät, LFU Hoffnung, Liebe. Die gewohnte Reihenfol- Freiheit den Tod. kann, was immer er will. Gerade das macht Innsbruck ge möchte ich jedoch verändern und stelle seine Göttlichkeit aus, dass er nicht an all die Liebe an den Anfang. Aber gleich danach, sagt Canetti, hasst die die Freiheitsbegrenzungen gebunden ist, Freiheit auch die Liebe. an denen wir leiden. Doch er hat beschlos- Schritt 1 - Liebe: sen, sich selbst aus freien Stücken an Elias Canetti war ein altösterreichischer Das mag überraschen, aber ich denke, er uns zu binden, seine unbegrenzte Freiheit Schriftsteller jüdischer Herkunft, Literatur- hat recht. Ich habe das große Glück, einen durch seine Liebe zu uns zu beschneiden. nobelpreisträger, aber auch Wissenschaft- Menschen, eine Frau gefunden zu haben, Jetzt kann auch er nicht mehr anders als ler. Er hat ein berühmtes Buch über Mas- mit der ich mir vorstellen konnte, das Le- mit uns zu fühlen, jetzt wird Gott seine Sor- se und Macht geschrieben. In den letzten ben zu teilen, und die sich das auch vor- ge um uns nicht mehr los. Jahren seines Lebens arbeitete er an einem stellen konnte. Wir haben es miteinander Wer liebt, bindet seine Freiheit dadurch, Werk über den Tod. Dieses Buch wurde versucht und sind nun schon seit über dass die Geliebten Teil seines Schicksals nie geschrieben. Nach Canettis Tod 1994 dreißig Jahren miteinander unterwegs. Die- werden. wurden aber die vielen gesammelten Ge- ser gemeinsame Weg war kein schwieriger. danken in einem Werk veröffentlicht, das Im Gegenteil - er ist immer schöner gewor- Das ist nicht immer leicht und nicht immer den Titel trägt: Das Buch gegen den Tod. den. Wir haben zwei Kinder miteinander; nur schön. Die Fesseln der Liebe können In dieser Materialsammlung findet sich ein die sind schon erwachsen und haben uns verletzen, wenn die Geliebten Leid erfahren Satz, der mich tief berührt: bislang keine großen Sorgen bereitet. Aber oder aber, wenn sie das Wohlwollen des natürlich ist eine solche Entscheidung eine Liebenden zurückweisen. Das Herz Jesu „Die Freiheit hasst am meisten den Tod, Begrenzung der Freiheit. ist gebunden, nicht mit einem Seil, son- aber gleich danach die Liebe.“ Einen Weg in Gemeinschaft zu gehen for- dern mit einer Dornenkrone. In einem deut- dert einen Preis. Die Währung, in der dieser schen Passionslied singen wir vom Haupt Es gibt kaum etwas, das wir modernen Preis zu bezahlen ist, heißt Freiheit. Das gilt Jesu, das zum Spott mit einer Dornenkro- Menschen mehr lieben als unsere Freiheit für Ihren Lebensweg genauso wie für den ne gebunden ist. Der Gedanke, dass es - zu Recht. „Zur Freiheit sind wir befreit“ meinen. Damit meine ich aber nicht nur die nicht eigentlich um den Kopf geht, sondern Ao. Univ.-Prof. Mag. Wilhelm Guggenberger sagt immerhin auch der Apostel Paulus. banale Tatsache, dass sie als Priester nicht um das Herz Jesu, überzeugt mich. Nicht Die ignatianische Indifferenz ist Ausdruck mehr die Freiheit haben, eine Familie zu der physische Schmerz Jesu ist die letzte Ich wurde eingeladen, die Besinnungsim- großer innerer Freiheit. gründen, oder dass ich nicht mehr die Frei- Realität, sondern der Schmerz, den seine pulse zum Herz-Jesu-Fest 2019 zu gestal- heit habe, mit einer anderen Frau zu leben. Liebe zu uns für ihn bedeutet. Gott hat uns ten, was mich sehr freut. Da Spiritualität Unglaublich viel schränkt unsere Freiheit Die Liebe begrenzt unsere Freiheit in einem zu einem Teil seines Schicksals gemacht. immer etwas mit den eigenen innersten ein: die Strukturen und Institutionen, in viel tieferen Sinn. Wenn ich einen Men- Die Liebe bindet und kann unser Leben Erfahrungen zu tun hat, kann ich Ihnen da- denen wir leben, der Widerstand und die schen, wenn ich eine Gemeinschaft liebe, schwer machen. Es gibt Momente wie je- bei aber nur etwas aus meiner Welt mitge- Uneinsichtigkeit anderer Menschen, die binde ich mich an diesen Menschen, an nen, in dem Jesus am Ölberg saß mit dem ben, aus meiner Glaubenswelt, die zutiefst Ideen unserer Vorgesetzten, nicht zuletzt diese Gemeinschaft. Ich kann dann nicht Blick auf seine geliebte Stadt Jerusalem, dadurch geprägt ist, dass ich ein verhei- die eigene Begrenztheit. Ich hätte gern ein mehr anders, als mit diesen Menschen zu den Moment, in dem er wusste, welches rateter Mann bin mit Kindern, der oft viel- größeres intellektuelles Potential, ich wäre fühlen. Ich werde meine Sorge um diese Übel dieser Stadt bevorstand. Ein Moment, leicht viel enger von einer säkularen Welt gern kreativer, konsequenter, ich wäre gern Menschen nicht mehr los. Glück und Leid der ihm wohl ebenso ins Herz schnitt wie umgeben ist als Sie im Canisianum. Mein musikalischer... An vielem kann ich arbei- des anderen sind dann auch mein Glück jener andere am Ölberg, im Garten Getse- Glaube ist auch von dem geprägt, was ich ten, längst nicht an allem. Und dann sind und mein Leid. Ungebundene Freiheit kann mani. Wer liebt hat nicht nur Angst um sich beruflich tue; von meiner Beschäftigung da die Hinfälligkeiten des eigenen Körpers, die Liebe eigentlich nur hassen, denn die selbst, sondern auch um die, die er liebt. mit Sozialethik. All das wird in meinen Ge- die werden deutlicher spürbar mit dem Al- Liebe bindet – unausweichlich, ja sie fes- Ich möchte Ihnen die Gedanken noch eines danken spürbar sein. Diesen sehr spezifi- ter. Damit kommt auch der massivste Feind selt mich; aber sie tut das – im Unterschied zweiten Dichters nahebringen; Milan Kun- schen und persönlichen Blick möchte ich unserer Freiheit immer näher: der Tod. zum Tod – aus freier Entscheidung. dera. Er ist ein tschechischer Schriftsteller 16 17
Vorträge/Beiträge Vorträge/Beiträge und mittlerweile 90 Jahre alt. Er ist – wür- eine unglaubliche Erleichterung; er ist wie- mir und anderen die Chance, ihre Stärken Mitteleuropa. Wir leben hier in Wohlstand de ich sagen – Agnostiker, hat aber mei- der frei. Doch wenig später bricht diese zu entdecken, das viele an ihnen, das lie- und Sicherheit. Und doch zeigen uns ge- nes Erachtens einige der schönsten Texte Leichtigkeit in sich zusammen, sie liegt ihm benswert ist. rade in diesen Tagen unsere Jugendlichen, über die Liebe geschrieben. Sein wohl be- wie ein Stein im Magen, denn so Kundera: Meine Liebe muss der Wirklichkeit gelten. dass sie um ihre Zukunft zu fürchten be- rühmtester Roman trägt den Titel „Die un- „Es gibt nichts Schwereres als das Mitge- Würde Gott ein Ideal lieben, die Sintflut ginnen. Sie gehen immer wieder auf die erträgliche Leichtigkeit des Seins“. Leich- fühl.“ wäre das Ende der Geschichte gewesen. Straße und demonstrieren dafür, dass wir tigkeit ist etwas Schönes, etwas, wonach Würde Gotte ein Ideal lieben, er wäre nie- Erwachsenen, dass die Regierungen der wir streben, sie macht uns frei. Wenn ein Diese Schwere bindet nicht nur die Leich- mals Mensch geworden. Gottes Herz lässt Welt den Klimawandel ernst nehmen, dass Mensch aber nur die Ungebundenheit der tigkeit, sie gibt dem Leben auch Gewicht sich binden, und es bindet sich an unsere sie mehr zum Schutz unseres gemein- Freiheit sucht, wenn er von Verrat zu Verrat und Bedeutung, weil sie mit der Lebensre- Wirklichkeit. samen Lebensraumes unternehmen. Ein lebt, wie Kundera das ausdrückt, weil die- alität anderer verbindet. fünfzehnjähriges Mädchen aus Schweden ser Mensch immer wieder alles hinter sich An einer anderen Stelle beschreibt der Schritt 2 - Hoffnung: ruft uns zu, wir sollten in Panik geraten lässt, im Bestreben, sich nicht binden zu Dichter, wie dieser Mann, der das Gewicht Wenn ich einen nüchternen Blick auf die angesichts der Fakten, die doch bekannt lassen, dann stellt dieser Mensch am Ende des Mitgefühls spürt und deshalb seine Wirklichkeit werfe, ergibt das bisher Ge- sein müssten. Vermutlich hat sie recht; die seines Lebens vielleicht fest, dass nichts Freiheit opfert, um seiner Frau zu folgen, sagte dann tatsächlich einen Sinn? Es gibt Wirklichkeit, wie sie ist, sollte uns erschre- von ihm bleiben wird. Denn was bleiben träumt. Er sieht im Traum ein wunder- so viel Falsches in dieser Wirklichkeit. Es cken. könnte, sind nur die Beziehungen, die er schönes, junges Mädchen, im wahrsten gibt so viel Gewalt und Lüge in dieser Welt Noch ist es nicht zu spät! Noch können wir eingegangen ist. Waren diese nur flüchti- Sinn des Wortes seine Traumfrau, sie ist in und erschreckenderweise auch in unserer unser irdisches Haus retten, sagt Papst ge Episoden, dann wird die Leichtigkeit vielem so ganz anders als seine Ehefrau. Kirche. Es gibt immer wieder menschliche Franziskus. Die Hoffnung lebt also. Doch unerträglich, dann bleibt von ihr nichts als Als der Mann erwacht, versucht er sich Enttäuschungen, die die Bindungen der hoffen allein genügt nicht; es braucht Um- flüchtige Vergänglichkeit. krampfhaft daran zu erinnern, wer dieses Liebe zur reinen Tortur machen können. kehr. Vieles müsste sich radikal ändern, Freilich kann nicht jede Beziehung ein Le- Mädchen war, denn er möchte sie treffen. Kann es wirklich berechtigt sein, die Wirk- wenn wir drohende Katastrophen ver- ben lang dauern. Manchmal begleite ich Doch dann wird ihm bewusst, dass sie gar lichkeit dieser Welt zu lieben, sich für diese hindern wollen, wenn wir Entwicklungen jemanden, oder jemand begleitet mich ein nicht wirklich existiert, sie ist lediglich sein Welt einzusetzen? Angesichts solcher Fra- verhindern wollen, die unglaubliche Not, kleines Stück meines Weges. Dennoch be- Wunschbild, sein platonisches Ideal, und gen suchen viele Menschen in dieser Welt massive Konflikte, ja vielleicht sogar den steht ein Unterschied zwischen einer Be- da schaut er in das Gesicht seiner wirkli- nichts anderes mehr als das eigene Wohl- Zusammenbruch all dessen bedeuten gegnung, von der ich mich beanspruchen chen Frau, die schlafend neben ihm liegt, ergehen. könnten, was wir menschliche Kultur nen- lasse und einer, die ich nur als belanglose der Frau, mit der er eine Geschichte hat, Ein solcher Hedonismus, vielleicht auch nen. Die Anzeichen dafür, dass solche Ver- Randerscheinung meines Lebens betrach- und er empfindet eine unaussprechliche Materialismus ist für einen gläubigen Men- änderung, dass solche Umkehr tatsächlich te. Dieser Unterschied mag auch damit zu Liebe zu ihr. schen keine Option. Aber ganz ehrlich: geschieht, sind gering. tun haben, ob ich bereit bin, mich auf die Warum sollte ich mich in Liebe an diese Was heißt das für uns als gläubige Men- Realität einzulassen, auf reale Gegeben- Die Wirklichkeit ist wichtiger als das Ideal, Welt binden, eine Welt, die möglicherwei- schen? Was heißt das für uns als Kirche? heiten, auf reale Menschen, oder ob ich sagt Papst Franziskus. Ideale mögen ihre se, ja sogar wahrscheinlich auf ihren Unter- Was kann angesichts einer Situation, in der abgehobenen Idealen nachjage – einem Bedeutung haben, aber lieben kann man gang zurast? Ist nicht das Einzige, worum Hoffnung oft nur wider alle Hoffnung mög- Idealbild von mir selbst, einem Idealbild nur das Wirkliche. Ich habe meine Traum- ich mich in dieser Situation kümmern soll- lich ist, Liebe zur Wirklichkeit bedeuten? anderer Menschen, einem Idealbild der bilder von einer perfekten Familie, von per- te, mein eigenes Heil? Das Engagement Soll ich mich tatsächlich von der Liebe zu Gemeinschaft, in der ich lebe. fekten KollegInnen und Studierenden, ei- für eine vergängliche, alternde Welt scheint dieser Wirklichkeit binden lassen? Milan Kundera erzählt in seinem Roman ner perfekten Kirche. Manches davon kann im wahrsten Sinn des Wortes vergebene Ich lade Sie ein, sich diese Fragen selbst von einem Mann, der alles andere als treu vielleicht mein Handeln inspirieren, aber Liebesmühe zu sein. Ja, selbst die Werke vorzulegen. Ich halte kurz inne, mitten im ist. Eher zufällig und wenig überzeugt bin- dieses Handeln wird ins Leere gehen, wenn der Barmherzigkeit, die hier getan werden, Schritt der Hoffnung, um Ihren eigenen det er sich an seine Ehefrau, die er unzäh- ich meine wirkliche Familie, meine wirkli- vergehen. Man mag sich sogar fragen, wel- Antworten Raum zu geben. Dann werde lige Male betrügt. 1968 fliehen die beiden chen KollegInnen und Studenten, meine chen Sinn es gehabt hat, dass Jesus sei- ich versuchen, das zu formulieren, was ich am Ende des Prager Frühlings vor dem wirkliche Kirche nicht mag, nicht mit ihnen nen Freund Lazarus aus dem Grab geholt bisher auf meinem Weg als Antwort auf Sowjetregime in die Schweiz. Die Frau fühle. Wenn ich die anderen Menschen, die hat - zurück in ein Leben, das ja nur wieder solche Fragen gefunden habe. hält es dort nicht aus, weil sie eine Heimat Gemeinschaften, in denen ich lebe - auch auf den Tod zuging. Die Fragen, die ich eben aufgeworfen braucht, und geht zurück in die unfreie mich selbst - nur an der Differenz zwischen Viele von Ihnen kommen aus Gesellschaf- habe, sind natürlich auch die Fragen eines Tschechoslowakei. Der Mann, so heißt es der Wirklichkeit und meinen Traumbildern ten, in denen Armut, Not, Gewalt, ja Krieg Sozialethikers, der christlichen Glauben im Roman, empfindet im ersten Moment messe, mache ich all das klein, verbaue noch viel deutlicher spürbar sind als hier in nicht denken kann ohne einen Einsatz für 18 19
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