Zu werden, gehört nicht zum Mandat - Verband der ...
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zu werden, gehört nicht zum Mandat Ein Ratgeber zum Umgang mit rechten Bedrohungen und Angriffen für Kommunalpolitiker*innen und Kommunalverwaltung Eine Handreichung des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) und des Bundesverbands Mobile Beratung (BMB)
Impressum Herausgeber: Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG) und Bundesverband Mobile Beratung e.V. (BMB) V.i.S.d.P: Robert Kusche (VBRG e.V.) und Bianca Klose (BMB e.V.) Redaktion: Friedemann Bringt, Zuher Jazmati, Heiko Klare, Heike Kleffner, Bianca Klose und Judith Porath Diese Handreichung richtet sich insbesondere an Lokalpoli- tiker*innen und Mitarbeitende in kommunalen Verwaltungen und beruht in großen Teilen auf den Ratgebern „Im Fokus von Neonazis“ (VBRG e.V. 2018) und „Wachsam sein – Zum Umgang mit rechten und rechtsextremen Einschüchterungsversuchen“ (VDK e.V./MBR Berlin 2017). Lektorat: Haidy Damm Layout: Christina Heimsoth Urheberrechtliche Hinweise: © Copyright 2020 Bundesver- band Mobile Beratung e.V. (BMB) und Verband der Beratungs- stellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG). Alle Rechte vorbehalten. Diese Publikation wird für nicht-kommerzielle Zwecke kostenlos zur Verfügung gestellt. Die Herausgeber*innen behalten sich das Urheber- recht vor. Eine Weitergabe oder Vervielfältigung, auch in Teilen, ist nur nach ausdrücklicher, schriftlicher Zustimmung der Herausgeber*innen gestattet. Darüber hinaus muss die Quelle korrekt angegeben und ein Belegexemplar zugeschickt werden. Haftungsausschluss Die Hinweise in dieser Broschüre wurden nach bestem Wissen und Gewissen formuliert. Diese Handreichung ersetzt keine individuelle (juristische) Beratung. Für die Richtigkeit, Voll- ständigkeit und Aktualität der Informationen übernehmen die Herausgeber*innen keine Gewähr. Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des BAFzA dar. Für inhaltliche Aussagen tragen die Autor*innen die Verantwortung. Disclaimer In dieser Broschüre wird das Gender-„Sternchen“ verwendet, um alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten darzustellen.
Inhaltsverzeichnis 01. Drohkulisse als Strategie Ziele und Praxis rechter Einschüchterungsversuche _______________________ 06 02. Lieber nichts mehr sagen? Strategien der Einschüchterung und was man dagegen tun kann ____________ 12 03. Unterstützung und Solidarität Was Verwaltungen, Parteien und Umfeld tun können ______________________ 14 – Strukturelle Möglichkeiten für kommunale Verwaltungen und überörtliche Parteigliederungen ______ 15 – Notwendige Positionierung von Verwaltungsspitzen und Parteigliederungen _________________ 17 04. Tipps und Hinweise im Umgang mit konkreten Herausforderungen ___________________________ 20 – … im direkten Kontakt mit Bürger*innen ________________________________________ 21 – … bei persönlichen Bedrohungen und zu Hause ___________________________________ 24 – … bei Drohungen im Internet, sowie per E-Mail, Telefon oder Brief ________________________ 28 – … bei öffentlichen Veranstaltungen vor Ort und im digitalen Raum ________________________ 32 – … bei gezielten Delegitimierungskampagnen _____________________________________ 34 05. Immer anzeigen? Hinweise zum juristischen Umgang mit Drohungen und Angriffen ____________ 36 06. Warum ich? Zum Umgang mit Sorgen und Ängsten __________________________________ 40 07. Service _____________________________________________________________ 42
Über die Herausgeber*innen: Liebe Leser*innen, Als kommunalpolitisch Aktive oder Mitarbeitende der Verwaltung sind Sie – gewollt oder nicht – mit- tendrin in der gesellschaftlichen Debatte. „Warum macht ihr denn da nichts?“ oder „Was habt ihr euch denn da wieder ausgedacht?“ sind oft gehörte Anwürfe im Kontakt mit Bürger*innen, aber auch im Freund*innen- und Familienkreis. Sie werden mit Ihrem lokalpolitischen Engagement oder Ihrer be- ruflichen Tätigkeit verantwortlich gemacht für Entscheidungen oder Zustände, die vom Gegenüber Der VBRG setzt sich dafür ein, dass Opfer rechter Gewalt bun- desweit Zugang zu professionellen, unabhängigen, kostenlosen abgelehnt und missbilligt werden. und parteilich in ihrem Sinne arbeitenden Beratungs- und Un- terstützungseinrichtungen erhalten. Derzeit sind 14 unabhängi- Nicht erst seit der Corona-Pandemie und den dadurch notwendigen staatlichen Maßnahmen, ge Beratungsstellen für Betroffene rechts, rassistisch und anti- sondern auch schon in den Vorjahren sind politische Verantwortungsträger*innen und Mitarbeitende semitisch motivierter Gewalt aus 13 Bundesländern im VBRG e.V. zusammengeschlossen. Jährlich beraten und begleiten die in der Verwaltung in den Fokus rechter Bedrohungen und Angriffe gerückt. Mitgliedsorganisationen mit langjähriger Erfahrung und großer Expertise Hunderte Betroffene rechter Gewalttaten und rechts- Viele von Ihnen erleben eine zunehmende Verrohung, Enthemmung und Gewaltverherrlichung – terroristischer Attentate. Sie unterstützen die direkt Betroffenen verbal, etwa in Form von Hetze und Bedrohungen in Sozialen Netzwerken. Dazu gehört auch ein mas- von Angriffen, Bedrohungen, Brandanschlägen und Attenta- ten ebenso wie deren Angehörige, enge Bezugspersonen und siver Anstieg von Gewalttaten. Angegriffen werden insbesondere Geflüchtete, ihre Unterstützer*in- Zeug*innen: kostenlos, vertraulich, vor Ort, parteilich im Sinne nen und als „anders“ oder politische Gegner*innen stigmatisierte Menschen – aber immer wieder der Betroffenen und auf Wunsch auch anonym. auch Haupt- und Ehrenamtliche in der Kommunalpolitik und Verwaltung. Die rechtsextremen Mordversuche an der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (2015) und Andreas Hollstein (2017), dem damaligen Bürgermeister von Altena in NRW, sowie der neonazistische Mord im Juni 2019 am Regierungspräsidenten von Kassel, Dr. Walter Lübcke, aber auch zahllose weni- ger öffentlich diskutierte Vorfälle, verstärken die Angst, der oder die Nächste zu sein. Rechte Bedrohungen und Angriffe können handlungsunsicher machen. Genau das ist ihr Ziel: Drohun- gen, Kampagnen und Gewalt sollen Angst verbreiten und alle einschüchtern, die sich für ein solidari- sches Zusammenleben im demokratischen Gemeinwesen einsetzen. Viele haupt- und ehrenamtlich Aktive und Verwaltungsmitarbeiter*innen in den Kommunen erleben dies tagtäglich. Sie werden zum Beispiel durch so genannte Reichsbürger*innen bedroht, ihre Briefkästen werden zerstört, sie werden Der BMB ist der Dach- und Fachverband Mobiler Beratung ge- gen Rechtsextremismus. Aktuell sind 50 Mobile Beratungsstellen am Telefon beschimpft und beleidigt, sie erhalten Hunderte E-Mails mit massiven Bedrohungen, die mit rund 150 Berater*innen aus allen Bundesländern im Verband auch ihren Kindern und Familien gelten. aktiv. Nach dem Leitsatz „Beratung für demokratische Kultur ist die nachhaltigste Arbeit gegen Rechtsextremismus“ begleitet Längst geht die Bedrohung nicht mehr nur von Neonazis aus. Insbesondere seit den rassistischen die Mobile Beratung zivilgesellschaftliche Akteur*innen in Ini- tiativen, Vereinen, Verbänden, religiösen Gemeinschaften sowie Mobilisierungen und mit Beginn der Corona-Pandemie treten zunehmend auch scheinbar nicht in der Politik und Verwaltungen. Die Beratungsteams unterstützen in extremen Rechten organisierte Männer und Frauen bedrohlich auf und schrecken auch vor Gewaltan- jedem Jahr mehrere tausend Menschen und Organisationen bei wendung nicht zurück. der Entwicklung von Strategien, der Lösung von konkreten Prob- lemen oder dem Auf- und Ausbau von Netzwerken – immer mit dem Blick auf Ressourcen und den jeweiligen Sozialraum. Die Mit dieser Publikation wollen wir allen von Ihnen, die ehrenamtlich oder hauptamtlich in der Kommu- Beratung erfolgt nach gemeinsamen Grundsätzen und ist kosten- nalpolitik aktiv sind oder in Verwaltungen arbeiten, einen Wegweiser an die Hand geben, wie Sie gegen frei und vertraulich. Ohnmachtsgefühle und Angst aktiv werden können. Der Ratgeber soll Ihnen Mut machen und eine praktische Hilfe sein. Die Broschüre richtet sich sowohl an direkt Betroffene sowie deren Familie und Freund*innen wie auch an das soziale und politische Umfeld – also etwa die eigene Partei und die Parteifreund*innen, die Vorgesetzten und die gesamte Verwaltung. Denn nur, wenn die von extrem rechten Einschüchterungsversuchen Betroffenen nicht alleine gelassen werden und Unterstützung erfahren, werden die Täter*innen auf Dauer keinen Erfolg haben. Robert Kusche für den Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG) Bianca Klose für den Bundesverband Mobile Beratung e.V. (BMB) 04 05
„Bedroht zu werden, gehört zum Mandat1“ – so darunter eine Morddrohung, in der öffentlich seine 01 fasste die ZEIT Mitte 2019, kurz nach dem Mord an standrechtliche Erschießung gefordert wird. Am Tag dem Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter nach der Veröffentlichung des Videos forderten vor Lübcke die Lage für Kommunalpolitiker*innen zu- dem Rathaus 20 Demonstrant*innen lautstark seinen sammen. Die Angriffe kommen zu großen Teilen von Rücktritt.6 rechts – das zeigen neben offiziellen Statistiken2 auch vielfältige Berichte und öffentlich diskutierte Hilfe- rufe von Mandatsträger*innen in ganz Deutschland. Recherchen der Zeitschrift KOMMUNAL7 zeigen Drohkulisse Die Statistiken spiegeln jedoch nur die Spitze des darüber hinaus, dass nicht alleine Politiker*innen Eisbergs. Viele Betroffene schweigen öffentlich – aus im Fokus von Drohungen und Angriffen stehen. Auch Angst vor weiteren Eskalationen, aus Sorge um ihre und gerade kommunale Verwaltungen müssen mit Familie oder weil sie kein Vertrauen mehr in die Straf- Bedrohungsszenarien unterschiedlicher Schwere verfolgungsbehörden haben. umgehen: von Bombendrohungen über Droh- mails und tätliche Angriffe auf Mitarbeitende bis hin zu gezielter Delegitimierung ihrer Arbeit durch als Strategie Nach monatelanger Hetze hat die Bürgermeisterin Parteien wie NPD und Alternative für Deutschland von Arnsdorf (Sachsen) im November 2019 die vor- (AfD). In einer Umfrage von KOMMUNAL und dem zeitige Versetzung in den Ruhestand beantragt. Sie ARD-Politmagazin „Report München“ aus dem Jahr hatte rassistische Misshandlungen eines Geflüchteten 2019 gaben gut 41 Prozent der befragten Kommu- mehrfach öffentlich verurteilt. Danach wurde die Bür- nen an, dass bereits ein*e Mitarbeiter*in oder ein germeisterin selbst zum Feindbild der extremen Rech- Mitglied des Gemeinderats mit Bezug auf „Flücht- ten und sah sich verbalen Attacken und Bedrohungen lingspolitik“ beschimpft wurde. Ungefähr ein Drittel ausgesetzt. Von anderen Kommunalpolitiker*innen der Kommunen hatte bereits direkten Kontakt zu hätte sie sich mehr Unterstützung gewünscht.3 Reichsbürger*innen im Rathaus, mehr als 40 Prozent Im Herbst 2019 gingen vier Mitglieder des Stadtrats berichten von Anrufen und Anschreiben. Rund ein Ziele und Praxis rechter Einschüchterungsversuche in Münster (NRW) an die Öffentlichkeit. Sie wurden Fünftel kennt Hass-Mails und Einschüchterungsver- seit längerem mit unerwünschten Zeitschriften-Abos, suche. Für Nordrhein-Westfalen stellte das Innen nächtlichen Drohanrufen oder Gewaltandrohungen ministerium Anfang 2020 fest: „NRW-Kommunal- per Postkarte drangsaliert. Die Betroffenen sprechen politiker werden meist von rechts bedroht“ 8. von „Psychoterror“, die Polizei ist machtlos. Alle vier en- gagieren sich bei Münster gegen Rechtsextremismus.4 Zentrales Mehrfach schon wurden die Büros und Mitarbei- ter*innen von Susanne Ferschl (MdB) in Kaufbeuren Ziel rechter und Augsburg (Bayern) das Ziel von Sachbeschädi- gungen und Beleidigungen. Zuletzt verklebten Un- Gewalt: Ein- bekannte im November 2019 Aufkleber der rechts- extremen „Identitären Bewegung“ und einen Sticker schüchterung mit der Aufschrift „Mir stinken die Linken!“. In der ganzen Stadt tauchten zuvor ähnliche Aufkleber auf, auch am Büro der örtlichen Integrationslotsin.5 Nachdem Sebastian Dippold, Bürgermeister von Neu- stadt an der Waldnaab (Bayern), im Oktober 2020 Bei extrem rechten, rassistischen oder antisemiti- in einem in den Sozialen Netzwerken veröffentlich- schen Taten handelt es sich in der Regel um soge- ten Video eine „Querdenker“-Demonstration in der nannte Botschaftstaten, in den meisten Fällen ohne Nachbarstadt mit 900 Teilnehmenden deutlich kriti- Bekennerschreiben. Die Botschaften richten sich sierte, geriet er selbst in deren Fokus. Dippold erreich- an die unmittelbar Angegriffenen, aber auch an alle ten – neben viel Zustimmung – Hasskommentare, potentiell Betroffenen. Sie sollen Angst auslösen 1 www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-06/hass-politiker-kommunalpolitik-rechte-gewalt-uebergriffe-umfrage 2 Das Bundeskriminalamt benennt für das Jahr 2019 609 politisch rechts motivierte Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger*innen (+18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr) sowie 17 Gewalttaten (+29 Prozent im Vergleich zum Vorjahr), vermutet aber eine weit höhere Dunkelziffer, siehe https://www.bka.de/SharedDocs/Down- loads/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/PMK/2019PMKFallzahlen.pdf 3 www.sueddeutsche.de/politik/martina-angermann-arnsdorf-buergermeisterin-gibt-amt-auf-1.4694312 und https://kommunal.de/arnsdorf-chronik 4 https://wiedertaeufer.ms/muenster-rechte-terrorisieren-ratsmitglieder 5 https://allgaeu-rechtsaussen.de/2019/11/14/kaufbeuren-wieder-beleidigungen-und-sachbeschaedigung-gegen-wahlkreisbuero 6 www.br.de/nachrichten/bayern/nach-corona-demo-neustaedter-buergermeister-bekommt-morddrohung,SEbzNeD 7 https://kommunal.de/hasswelle-Pressemeldung 8 https://rp-online.de/nrw/panorama/drohungen-gegen-kommunalpolitiker-kommen-meistens-von-rechts_aid-48275209 07
und einschüchtern. Dies gilt auch für Bedrohungen scher Parteien getroffen und verängstigt werden. Gesellschaftliche Debatten und die Stimmung und Angriffe auf Kommunalpolitiker*innen und Die Opfer werden einerseits persönlich von den vor Ort haben Einfluss darauf, ob sich die Angrei- Verwaltungsmitarbeitende, die den Schwerpunkt Täter*innen verantwortlich gemacht für die jeweils fer*innen durch einen vermeintlichen „Volkszorn“ dieser Broschüre bilden. abgelehnten Maßnahmen, andererseits aber als legitimiert fühlen. Häufig kochen im Vorfeld von Repräsentant*innen der „Politik“ entpersonalisiert. Angriffen und Bedrohungen lokale oder regionale • I m Verlauf sich zuspitzender lokaler Debatten, aber Die Tat gilt somit nicht den Angegriffenen allein. „Aufregerthemen“ hoch. Diese können dann sowohl auch in Folge von individuellen Vorwürfen und Be- Das Ziel ist auch hier einzuschüchtern und Angst Aufhänger für Kampagnen gegen kommunale Politik hörden-Entscheidungen, erleben sowohl Mandats- zu verbreiten. und Verwaltung sein wie auch eine Scharnierfunktion träger*innen wie auch Verwaltungsmitarbeitende für Verbindungen zwischen extrem rechten Milieus Bedrohungen, Schmähbeiträge oder Shitstorms • L okalpolitiker*innen, die sich öffentlich gegen Ras- und wütenden Bürger*innen darstellen. Dazu gehö in Sozialen Medien, erhalten Drohmails und sismus, Rechtsextremismus oder Antisemitismus ren bundesweit diskutierte und unter dem lokalen Drohanrufe oder werden Opfer von Sachbe- positionieren, finden sich unter Umständen auf Oft stehen die Angegriffenen Brennglas erhitzte Debatten um die Unterbringung schädigungen und Körperverletzungen. Immer häufiger handelt es sich um nicht in den klassischen sogenannten Feindeslisten von extrem rechten Gruppen wieder. Oftmals sind es die Opferbe- buchstäblich vor den von Geflüchteten oder aktuell die staatlichen Maß- nahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, extrem rechten Netzwerken organisierte Täter*in- ratungsstellen oder Mobile Beratungsteams und Trümmern ihrer Existenz, aber auch lokale Themen wie der Bau von Windkraft- nen, sondern um Personen aus der „radikalisierten Journalist*innen, selten auch Sicherheitsbehör- ohne dass staatliche anlagen. Mitte“. Diese knüpfen allerdings nahtlos an extrem rechte Erzählungen und Strategien an. den, die die Betroffenen darüber informieren. Die konkrete Gefährdung wird von staatlichen Stellen Unterstützung existiert. Judith Porath, VBRG Eine „neue • E ng damit verknüpft sind Versuche rechtspopu- überwiegend als eher gering eingeschätzt, obwohl listischer Akteur*innen, gezielt demokrati- solche Listen immer wieder Grundlage für die Vor- sches Engagement zu diskreditieren. So nutzen Fraktionen und Vertreter*innen der AfD immer bereitung und Durchführung von Gewalttaten sind. Beispiele hierfür sind etwa die Todes- und Feindes- Qualität“? wieder Anfragen und Anträge, um etwa integ- rationspolitische Maßnahmen in Kommunen als listen des rechtsextremen Netzwerks „Nordkreuz“ oder die bei einem Verdächtigen im Fall der An- Kontinuitäten Teil einer angeblichen korrupten „Sozialindustrie“ darzustellen. Immer wieder wird auch die Arbeit schlagsserie in Berlin-Neukölln gefundenen Daten von Mitgliedern der Bezirksverordnetenversamm- und Opfer von Kirchengemeinden oder Teilen der Kommu- nalverwaltung als „links-ideologisch“ angegriffen. lung Neukölln und des Berliner Abgeordneten- hauses. Diese wurden immer wieder Zielscheibe rechter Gewalt Engagierte Einzelpersonen und Initiativen, die eine rechter Bedrohungen, Sachbeschädigungen bis hin demokratische Kultur vor Ort stärken, werden zu Brandanschlägen. Wenn die eigene Adresse in Wenn wir weiterhin als „linksextrem“ verunglimpft. So sollen demo- einer extrem rechten Feindesliste auftaucht, sind Menschen ermutigen wollen, Die hohe Anzahl rassistisch motivierter Angriffe seit kratisches Engagement delegitimiert, die Aktiven die Betroffenen verunsichert und oft ratlos. 2015 und nicht zuletzt die anhaltenden Bedrohun- eingeschüchtert und nicht zuletzt die kommunale • E ine besondere Herausforderung und Bedrohung angstfrei Position zu beziehen, gen von Anwält*innen, Politiker*innen und Kultur- Verwaltung und Politik zeitraubend beschäftigt stellen die Aktivitäten von Reichsbürger*innen in ihrem Umfeld öffentlich schaffenden durch das NSU 2.0-Netzwerk sowie werden. Teil eines solchen kampagnenartigen dar. Einerseits fordern sie kommunale Verwaltun- zu widersprechen und sich für Morddrohungen gegen Kommunalpolitiker*innen im Vorgehens sind wiederum Drohmails und -an- gen durch fortwährende Beschwerden, Eingaben Kontext von Pandemie-Maßnahmen wie beispiels- rufe, deren Urheber*innen sich auf diese Art der und Anfragen heraus. Andererseits müssen Reichs- Demokratie einzusetzen, dann weise gegen Gesundheitsämter und Landräte in Stimmungsmache beziehen oder auf Aufrufe von bürger*innen durch die Verwaltung immer wieder brauchen diese Menschen Passau (Bayern) oder Hildburghausen (Thüringen) • rechten Web-Portalen reagieren. G ewalttätige Angriffe und rechtsterroristische angeschrieben oder aufgesucht werden – etwa um Bescheide zuzustellen oder umzusetzen. Das ist professionellen Beistand. werfen Schlaglichter auf das Ausmaß rechter Gewalt und Bedrohungen. Betroffen von verbalen und tät- Heiko Klare, BMB Attentate wie der Messer-Angriff auf den Bürger- für Beschäftigte der Verwaltung nicht nur kräfte- lichen Angriffen sind unterschiedliche gesellschaft- meister von Altena (NRW) im November 20179 zehrend. Kontakte mit den Protagonist*innen liche Gruppen, die von den Täter*innen als „anders“ oder der Übergriff auf Joachim Kebschull, den dieser Szene werden zu Recht auch als bedrohlich oder als politische Feinde markiert werden. Viele der Bürgermeister von Oersdorf (Schleswig-Holstein), wahrgenommen. Schließlich setzen Reichsbür- oben benannten Herausforderungen treffen auch für der im Oktober 2016 nach rassistischen Paro- ger*innen immer öfter die vielen Waffen, die die zivilgesellschaftlich Engagierte zu, die sich in ihrer len und Bombendrohungen mit einem Kantholz Bewegung hortet, auch ein: Ihre Gewalttätigkeit Nachbarschaft oder ihrem Ort gegen Rassismus niedergeschlagen wurde, sind öffentlichkeitswirk- reicht bis zum Mord an einem SEK-Beamten durch und für eine demokratische Alltagskultur einsetzen. same Signaltaten10. Damit sollen alle Kommunal- einen Reichsbürger in Georgensgmünd (Bayern) Journalist*innen sehen sich zunehmend in ihrer politiker*innen und Vertreter*innen demokrati- im November 2016 11. Arbeit bedroht, etwa im Umfeld von Aufmärschen 9. Vgl. https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/altena-andreas-hollstein-ist-nach-dem-messerangriff-veraengstigt-a-1242945.html 10. https://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/politik/kantholz-angriff-in-oersdorf-jetzt-spricht-der-buergermeister-id15020346.html 11. Vgl. https://www.konex-bw.de/wp-content/uploads/2019/10/RZ_konex_ReichsbuergerBroschuere_web.pdf 08 09
der so genannten „Querdenken“-Bewegung und werden immer wieder an den „Pranger“ der Sozialen Medien gestellt. Zudem sind besonders Geflüchtete und als Mig- rant*innen, Muslim*innen oder Jüd*innen gelesene Menschen in Deutschland Drohungen und Angriffen von Neonazis, Rechtspopulist*innen und einem aggressiven und alltäglichen Rassismus aus der so genannten Mitte der Gesellschaft ausgesetzt. Täglich ereignen sich mindestens zwei bis drei rechte Gewalttaten in Deutschland. Mehrere tausend direkt Tägliche rechte Gewalttaten in Betroffene werden dabei verletzt und oft in ihrem Deutschland 2019 und 2020: Alltag massiv beeinträchtigt.12 Alleine in 2019 und 2020 sind bei antisemitisch und rassistisch motivier- Allein 2019 wurden in ten rechtsterroristischen Attentaten 13 Menschen acht Bundesländern* getötet worden. Das Leben der Hinterbliebenen und der Überlebenden wurde durch die Attentate für 1.347 rechts, rassistisch immer verändert. und antisemitisch moti- vierte Angriffe registriert. Die alltäglichen Bedrohungen, denen lokal- und kommunalpolitisch Verantwortliche in der COVID19- *Schleswig-Holstein, Mecklenburg- Pandemie bei der Durchsetzung der pandemiebe- Vorpommern, Berlin, Sachsen-Anhalt, dingten Maßnahmen ausgesetzt sind, zeigen eine Sachsen, Brandenburg, Thüringen und Nordrhein-Westfalen erschreckende Fortsetzung der Polarisierung von Was tun nach einem rechten, rassistischen und gesellschaftlichen Debatten, die die extreme Rechte antisemitischen Angriff? (2019) – Dieser Rat- geber des VBRG e.V. bietet Handlungsmöglich- in 2015/2016 befeuert hat und den Alltag vieler keiten und Hilfe für Betroffene, Angehörige und kommunal- und flüchtlingspolitisch Engagierter Zeug*innen rechts, rassistisch, antiziganistisch massiv veränderte. Und obwohl auch die Attentate oder antisemitisch motivierter Gewalt: https:// auf die Kölner Bürgermeisterin Henriette Reker und verband-brg.de/vbrg-ratgeber-fuer-betroffene/ andere Kommunalpolitiker*innen rechtsextrem motiviert waren, ist erst seit dem Mord am Kasse- ler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke einer breiten Öffentlichkeit bewusst geworden, dass auch politische Verantwortungsträger*innen und Kom- munalpolitiker*innen aller demokratischen Parteien Wachsam sein! Zum Umgang mit rechten und zur Zielgruppe von Rechtsterroristen gehören. rechtsextremen Einschüchterungsversuchen und Bedrohungen (2017) – Handreichung von VDK e.V. und der MBR Berlin, die konkrete Umso notwendiger ist es, dass politisches Handeln Tipps zum Umgang mit Beleidigungen, Hetze, und gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf alle Opfer Angriffen und anderen bedrohlichen Situationen von Antisemitismus, Rassismus und rechte Gewalt gibt – auch zur Prävention, damit sie gar nicht erst geschehen: www.mbr-berlin.de/materiali- ausgerichtet sind – und insbesondere diejenigen en-2/publikationen-handreichungen/wachsam- unterstützt, denen keine entsprechende Aufmerk- sein/?lang=de samkeit zukommt. Die Opferberatungsstellen unterstützen seit 20 Jahren direkt Betroffene ras- sistischer, antisemitischer und rechter Gewalt, die Mobilen Beratungsteams beraten und begleiten im Im Fokus von Neonazis: Rechte Einschüchte- gleichen Zeitraum Engagierte in der demokratischen rungsversuche auf der Straße, zu Hause und im Büro, bei Veranstaltungen, im Internet. Ein Zivilgesellschaft. Die Beratungsstellen und ihre Ratgeber für Betroffene und Unterstützer*innen Dachverbände begreifen die Beratung und Beglei- (2018) – Ratgeber des VBRG e.V., der Betroffenen tung aller Betroffenen von rechter Gewalt und ihres Reaktionsmöglichkeiten und sinnvolle Vorkeh- Umfelds – ob aus Politik, Verwaltung, mit oder ohne rungen für verschiedene Situationen aufzeigt. Er soll ihnen Mut machen, eine praktische und so- deutsche Staatsbürgerschaft, mit oder ohne festen lidarische Hilfe sein und wendet sich gleichzeitig Aufenthalt in Deutschland – als einen Beitrag für an das Umfeld der Betroffenen: das demokratische Gemeinwesen und eine solidari- https://verband-brg.de/ratgeber-im-fokus-von- sche Gesellschaft. neonazis/ 12. Vgl. https://verband-brg.de/rechte-rassistische-und-antisemitische-gewalt-in-deutschland-2019-jahresbilanzen-der-opferberatungsstellen/ 10 Quelle: https://verband-brg.de/jahresbilanz-rechte_gewalt-2019-der-opferberatungsstellen/ 11
Seit Jahrzehnten gehen extrem rechte Akteur*innen Personen. Sie werden aber als Vertreter*innen des 02 gegen Menschen vor, die nicht in ihr Weltbild passen. verhassten „Systems“ oder der „Altparteien“ ange- Die Methoden sind dabei vielfältig – von verbalen griffen und markiert. Die Gewalt richtet sich gegen Attacken, Anfeindungen per Telefon, E-Mail und in Einzelne, zielt aber auf die Vertreter*innen des de- Sozialen Netzwerken oder Störungen von Veran- mokratischen Rechtsstaats, seiner Exekutive und die staltungen über veröffentlichte „Feindeslisten“ und demokratisch verfasste Gesellschaft als Ganzes. Schmierereien bis hin zu körperlichen Angriffen. Zentrales Ziel ist die Einschüchterung – sowohl Vor Ort kann das dazu führen, dass sich Menschen Lieber nichts der Einzelnen als auch der durch die Angegriffenen „nicht zu weit aus dem Fenster lehnen“ wollen und repräsentierten Gruppe, etwa einer Partei oder sich nicht mehr deutlich positionieren – dadurch Verwaltungsgliederung. Diese Einschüchterungen kann eine verhängnisvolle Spirale in Gang gesetzt haben individuelle Folgen für die Angegriffen, aber werden. Es entsteht ein Dilemma zwischen dem auch darüber hinausgehende Konsequenzen. persönlichen Schutz bzw. dem Schutz der jeweiligen Organisation/Institution und der Verantwortung In der langjährigen Erfahrung der Mobilen Bera von Kommunalpolitik und Verwaltung, demokra- mehr sagen? tungsteams gegen Rechtsextremismus und tische Standards zu verteidigen und öffentlich für der Beratungsstellen für Betroffene rechter, ras- Grund- und Menschenrechte einzustehen. sistischer und antisemitischer Gewalt ist vor allem zweierlei deutlich geworden: Je schneller, umfas Wichtig ist daher, sowohl die Bedürfnisse der indivi- sender und öffentlichkeitswirksamer die Angegriffe- duell Angegriffenen als auch die Ängste und Re- nen unterstützt werden – durch Arbeitgeber*innen, aktionen der angegriffenen Gruppe bzw. Institution Parteifreund*innen, Kolleg*innen etc. – desto besser zu berücksichtigen. Die individuellen Folgen sind oft können die Tatfolgen bewältigt werden. Gleichzeitig sehr belastend und gravierend. Das beginnt schon wird den Täter*innen und deren Sympathisant*innen bei der verunsichernden Gewissheit, plötzlich im Fo- eine deutliche Grenze gesetzt und signalisiert: Die kus rechter Akteur*innen zu stehen. Jeder Mensch Solidarität und Unterstützung helfen gegen Einschüchterungen Angegriffenen werden nicht alleine gelassen. Aus reagiert anders auf Bedrohungen und hat individuelle Erfahrung wissen wir, wie wirksam und notwendig Strategien, um Ängste zu bewältigen: von „jetzt erst es ist, schon frühzeitig die öffentliche Stimmung in Recht“ bis zur Aufgabe des Mandats oder einem Um- der Kommune, im Stadtteil oder im Dorf insofern zug an einen anderen Ort. Diese individuellen Reak- zu beeinflussen, dass rechten (Um-)Deutungen tionen sind – neben dem Ausmaß der Bedrohung und kein Raum und keine Legitimität verschafft werden. Gewalt – ganz wesentlich davon abhängig, wieviel Dazu können im Gemeinwesen viele Akteur*innen Unterstützung die Angegriffenen durch ihr direktes beitragen: Parteienvertreter*innen ebenso wie und berufliches Umfeld erhalten. Das gilt auch für die Verwaltungsvertreter*innen, Vereine, migrantische Folgen, die im sozialen Umfeld auftreten: Familien- Selbstorganisationen, Kulturschaffende, Kirchen, mitglieder, insbesondere Kinder, werden inzwischen Jüdische Gemeinden, Moscheegemeinden und ebenfalls in Drohschreiben genannt; auch Kolleg*in- Wohlfahrtsverbände. nen oder der Freundeskreis kann sich bedroht fühlen. Hinzu kommen oft materielle Folgen und dadurch Dabei ist es wichtig, auf jeden Einzelfall zu schau- entstehende Kosten: durch Sachschäden, Rechtsan- en, um die Hintergründe von Angriffen, Drohungen waltskosten oder präventive Maßnahmen. oder Kampagnen und ihre Wirkungsmacht einzu- schätzen und die jeweiligen Betroffenen in ihrer In den folgenden Kapiteln zeigt diese Broschüre kon- individuellen Situation mit ihren jeweils unterschied- krete Möglichkeiten der Prävention, der Intervention lichen Bedürfnissen, Ängsten, Wünschen und Res- bei akuten Bedrohungssituationen, aber auch der sourcen zu unterstützen. Denn ein*e Gerichtsvoll- Nachsorge auf. Dabei ist das Ziel immer, die Hand- zieher*in, die von Reichsbürger*innen bedroht wird, lungssicherheit der Angegriffenen zu erhöhen und wird unter Umständen andere Formen der Unter- bestenfalls Unterstützungsnetzwerke aufzubauen, stützung im Arbeitsalltag wünschen, als ein Landrat, damit engagierte Politiker*innen und Verwaltungs- der nach Morddrohungen durch Coronaleugner*in- mitarbeitende nicht auf sich allein gestellt sind. nen über Sicherheitsmaßnahmen nachdenken muss. Diese Broschüre richtet sich sowohl an Verantwor- tungsträger*innen in Verwaltungen, Verbänden und Die spezialisierten Opferberatungsstellen, die Mo- Behörden sowie an die Mitarbeiter*innen als auch bilen Beratungsteams und vor Ort aktive zivilgesell- an Engagierte in demokratischen Parteien, Verbän- schaftliche Gruppen und Bündnisse können die An- den und Initiativen. gegriffenen mit ihrer Expertise beispielsweise zum Umfeld der Täter*innen unterstützen. Die Angriffe und Drohungen gelten zwar in der Regel einzelnen 13
03 Strukturelle Drohungen, Sachbeschädigungen oder Angriffe wer- den auch im Umfeld der Betroffenen wahrgenom- Möglichkeiten men. Sie sind häufig Gesprächsthema, manchmal sogar Ortsgespräch. Die konkrete Unterstützung für kommunale für Betroffene bleibt aber erschreckend häufig aus – oder die Reaktionen sind wenig hilfreich. Gerade Verwaltungen und im Bereich von Kommunalpolitik und -verwaltung kommt kommunalen Verantwortungsträger*innen, Unterstützung demokratische Behördenleitungen, Vereins- und Verbandsvorsit- zenden sowie den Parteien daher eine große Ver- Parteien antwortung sowohl in der Prävention wie auch in der Nachsorge von Vorfällen zu. Die Einschüchterungsversuche mögen Einzelne und Solidarität treffen. Sie sind aber keine privaten Probleme, die Auseinandersetzung damit ist nicht persönlich, Spezialisierte Ansprechpersonen in sondern sollte politisch und gemeinsam erfolgen. Parteien und Verwaltung schaffen Damit die Signalwirkung und Botschaft der Taten ihre einschüchternde Wirkung nicht entfalten können, In kommunalen Verwaltungen und auf überörtlicher braucht es eine aktive, solidarische und bestenfalls Ebene der Parteien empfiehlt sich die Einrichtung öffentlich wahrnehmbare Reaktion. von bestenfalls hauptamtlichen Beauftragten, die bei Bedrohungen und Angriffen ansprechbar sind. Die bisherigen politischen Diskussionen über das Betroffene, die im Rahmen ihrer Arbeitstätigkeit mögliche Vorgehen zum Schutz von Amts- und oder ihres politischen Engagements bedroht oder Was Verwaltung, Parteien und Umfeld tun können Mandatsträger*innen, aber auch von Mitarbeitenden von Verwaltungen, nehmen überwiegend entweder angegriffen werden, können sich an diese Beauf tragten wenden. Sie werden anschließend eng be- Maßnahmen zur Sicherung von Räumen und zur gleitet: durch das Angebot von interner und externer individuellen Sicherung in den Blick oder fokussieren Unterstützung, die Vermittlung von Kontakt zu Be- gesetzliche (Neu-)Regelungen sowie das Vorgehen ratungsstellen und festen Ansprechpersonen in den von Polizei und Justiz. Polizeipräsidien, die gemeinsame Einschätzung der konkreten Bedrohungslage bis hin zu anwaltli- Gerade bei baulichen Maßnahmen und Vorkehrungen cher und psychologischer Betreuung. zur individuellen Sicherung kommt Arbeitgebern wie etwa Kommunen oder Landkreisen eine hohe Ver- Interne Meldestelle für Hassmails antwortung für ihre Mitarbeitenden, aber auch für kommunalpolitisch Engagierte zu – durch finanzielle Arbeitgeber – wie etwa Verwaltungen, Verbände, Unterstützung und Ressourcen, etwa im Justitiariat, Kirchen-, Synagogen- oder Moscheegemeinden, aber auch durch die Beschaffung und Zur-Verfü- Vereine und Parteien – sollten in technischer Ver- gung-Stellung von externer Expertise und Fortbil- antwortung der EDV-Abteilung eine zentrale E-Mail- dungsmöglichkeiten. Adresse einrichten, an die Betroffene Hass- und Drohmails weiterleiten können. So sind einzelne Mit- Es gibt eine ganze Reihe von Möglichkeiten, die arbeitende entlastet – sie müssen die E-Mails nicht Parteien und Verwaltungen haben, um strukturell selbst archivieren oder zu Ende lesen. und präventiv zu handeln. Im Folgenden werden dazu konkrete Punkte ausgeführt. Das jeweilige Justitiariat etwa einer Behörde, Ver waltung oder Partei kann diese regelmäßig auf strafrechtlich relevante Inhalte überprüfen und ent- sprechende E-Mails zur Anzeige bringen. Eine syste- matische Archivierung und statistische Auswertung durch die EDV-Abteilung gewährleistet ergänzend einen Überblick über Inhalte und Absende-Adressen. Daraus können weitere Maßnahmen zum Schutz der. Mitarbeitenden abgeleitet werden. 14 15
Unbürokratische Unterstützung von eigenen Strukturen informiert werden – dazu gehört Betroffenen auch die Möglichkeiten der Vor- und Nachsorge – vor allem, wenn sie sich öffentlichkeitswirksam äußern Haltung zeigen: Werden lokalpolitisch Engagierte und Mitarbeitende von Behörden und Ämtern durch Sachbeschädigun- oder etwa im Vorfeld von Wahlkämpfen. Klare Positionie- Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitis- mus sind entschieden abzulehnen. gen oder andere Härten finanziell belastet, sollten Kommunen, Vereine oder Verbände unbürokratische Vernetzung und Wissenstransfer rung an der Seite „Die deutschen Städte treten für Stadtgesellschaften ein, die von Offenheit, Toleranz, gelebter lokaler De- Unterstützung organisieren, um den Betroffenen damit kurzfristig zu helfen. Gegebenenfalls können Keine Behörde, keine Verwaltung, kein Verband und keine Partei(-gliederung) ist allein mit diesen Her- der Angegriffen mokratie und kultureller Vielfalt geprägt sind. Sie be- kennen sich zu ihrer Verantwortung, für eine offene sich auch mehrere Verbände oder Vereine zusam- menschließen, um einen Solidaritätsfonds für die ausforderungen. Viele Fragen sind schon anderswo gestellt, durchdacht und jeweils spezifisch beant- durch Verantwor- und plurale Gesellschaft einzustehen. Diese Haltung ist Maßgabe und Maßstab von Kommunalpolitik. Kosten von Rechtsbeiständen, Therapeut*innen oder Sachbeschädigungen zu schaffen. wortet worden. Hier können auf der Ebene der Ver- waltungen die Kontakte mit anderen Kommunen, tungsträger*innen Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitis- mus sind entschieden abzulehnen. Für sie kann es etwa in Fachvernetzungen wie dem „Erfahrungsaus- kein Verständnis und keine Rechtfertigung geben. Die jeweiligen Beauftragten in den Ämtern und Be- tausch Rechtsextremismus“ des Deutschen Städte- Extreme Haltungen und Handlungen müssen auf hörden, aber auch Vereinsvorsitzende oder Betriebs- tags, unterstützen und entlasten. Zur Forderung der „Neutralität“ allen Ebenen bekämpft werden.“ Aus der Resolution räte können mit Hilfe von Mobilen Beratungsteams des Deutschen Städtetages „Für Demokratie, Toleranz oder Opferberatungsstellen Verweiswissen und Häufig gibt es in der Kommunalverwaltung und auch und Menschenwürde“ vom 14. November 2019, on- Angebote für externe psychologische Unterstützung bei Vertreter*innen der Kommunalpolitik Befürch- line unter: und rechtlichen Beistand aufbauen. tungen, dass eine deutliche Positionierung ihre www.staedtetag.de/positionen/beschluesse/fuer-de- Neutralitätspflicht verletzt. Insbesondere Beamt*in- mokratie-toleranz-und-menschenwuerde-resolution- Schlussendlich können den Mitarbeitenden durch nen, aber auch andere Mitarbeitende in Verwaltun- des-deutschen-staedtetages Supervision, Angebote der kollegialen Beratung und gen unterliegen einer solchen Pflicht zur politischen institutionalisierte Verfahren für interne Verbes- Neutralität – insbesondere im Vorfeld von Wahlen, serungsvorschläge Räume angeboten werden, um um das Gebot der freien Wahl (Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Dort, wo Menschen- und Grundrechte verletzt wer- Sorgen und Ängste zu äußern und nach gemeinsa- Abs. 1 GG) und die Recht der politischen Parteien auf den und wo Menschen und Gruppen diskriminiert, men Lösungen zu suchen. Chancengleichheit (Art. 21 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 GG) bedroht und angegriffen werden, sollten vor allem nicht zu beeinträchtigen. Kommunalparlamentarier*innen, aber auch Verwal- Sicherungsmaßnahmen in relevanten tungsmitarbeitende klar Position beziehen. Arbeitsbereichen und Auskunftssperre Die Forderung, dass Bildung und Verwaltung neutral zu haben seien, ist allerdings in den vergangenen Positionierung von Schlüsselpersonen Häufig bzw. potentiell betroffene Arbeitsbereiche Jahren auch zu einem rechten Kampfbegriff gewor kommunaler Verwaltungen und Behörden sollten den. Rechte Akteur*innen fordern, indem sie bewusst Dabei ist es zentral wichtig, dass sich auch kommu durch bauliche Maßnahmen und Sicherheitskonzep- Meinungsfreiheit mit Widerspruchsfreiheit austau- nale Schlüsselpersonen, also etwa die Oberbürger te geschützt werden Mehr zu Sicherheitsmaßnahmen in Kapitel 3b. schen, dass ihre rassistischen, antisemitischen und meisterin, der Beigeordnete, die Partei- oder Dazu gehört auch eine Sensibilisierung und Unter- demokratiefeindlichen Aussagen unwidersprochen Fraktionsvorsitzenden, klar für ein plurales und demo- stützung der Mitarbeitenden für die Beantragung bleiben. Eine solche Form von Neutralität kann es kratisches Zusammenleben positionieren – und damit einer Auskunftssperre der Meldeadresse nach § 51 aber in einer wertegebundenen Demokratie nicht gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und Ras- BMG und eine entsprechend entgegenkommende geben. Sowohl von Beamt*innen (§ 60 Abs. 1 Satz 3 sismus. Gerade bei Drohungen und Angriffen sollten Auslegung durch die zuständigen kommunalen Mel- BBG) als auch von Angestellten (§8 Abs. 1 Satz 2 BAT) solche Reaktionen schnell, deutlich und bestenfalls deämter – auch für kommunalpolitisch Engagierte. im öffentlichen Dienst der Kommunen wird eine po gemeinsam durch die Stadtspitze und die Vertre- litische Treuepflicht zur freiheitlich-demokratischen ter*innen der demokratischen Parteien erfolgen. Regelmäßige Fortbildungen Grundordnung verlangt. Diese wurde zuletzt durch das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum NPD- Mit einer öffentlichen Positionierung wird den Regelmäßige Schulungen für Mitarbeiter*innen der Verbot 201713 enger gefasst, in dem die Karlsruher Täter*innen und ihren Sympathisant*innen gezeigt, kommunalen Verwaltung, gerade in stark betroffe- Richter*innen die drei Grundprinzipien Würde des dass sie nicht auf Zustimmung treffen und ihre nen Arbeitsbereichen, können die Handlungssicher- Menschen, Demokratieprinzip und Rechtsstaats- Einschüchterungen nicht verfangen. Bestenfalls kann heit bei potentiell Betroffenen erhöhen und damit prinzip festgestellt haben. so einer „Schweigespirale“ vorgebeugt und Men- die Wirkungsmacht der Einschüchterungsversuche schen ermutigt werden, selbst Haltung zu zeigen. verringern. Auch Mandatsträger*innen, Kandidat*innen und Rücken stärken! einfache Mitglieder demokratischer Parteien sollten immer wieder für Gefahren sensibilisiert und über Bedrohungen oder tätliche Angriffe sind für die Be- Unterstützungsmöglichkeiten in- und außerhalb der troffenen eine große Herausforderung. Aber auch für 16 13. AZ - 2 BvB 1/13 -, 3. Leitsatz. 17
ihr Umfeld – sei es in der Familie, bei Parteifreund* innen oder Kolleg*innen – sind derartige Situationen in der Regel ungewohnt, unangenehm und kommen überraschend. Vielleicht tritt auch die nachvollzieh- bare Angst auf, selbst in den Fokus der gewalttätigen rechten Szene zu geraten. Außerdem fühlen sich viele Menschen in solchen Situationen hilflos oder überfordert und wissen nicht genau, was sie tun kön- nen. Dabei ist Unterstützung gar nicht so schwierig. In vielen Fällen sind es ganz einfache Schritte, die aber sehr wirkungsvoll sein können. Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt in Deutschland 2019 Anteil nehmen – Sprechen Sie mit den Betroffenen direkt oder rufen Sie sie an. Sagen Sie ihnen, dass Sie von den Vorfällen gehört haben und fragen Sie nach, wie es ihnen geht. Bieten Sie sich als Gesprächs 221 gegen politische Gegnerinnen partner*in an. Nehmen Sie dabei die Schilderungen der Betroffenen ernst. 134 sexuelle Orientierung Unterstützung anbieten – Fragen Sie nach, ob Sie 52 gegen Alternative irgendetwas im Rahmen ihrer Möglichkeiten für die Betroffenen tun können. Häufig sind dies kleinere 49 Antisemitismus praktische Erledigungen oder Aktivitäten, die gerade in den ersten Tagen das Sicherheitsgefühl erhöhen: 15 Sozialdarwinismus zum Beispiel zusammen zur Polizei zu gehen oder die Person auf dem Weg zur Arbeit zu begleiten. Tatmotive 6 gegen Menschen mit Behinderung Wünsche der Betroffenen beachten – Unterneh- men Sie nur Schritte, die Sie auch mit den Betroffe- rechter 29 Sonstiges nen abgesprochen haben. Respektieren Sie, wenn die Betroffenen im Moment weitere Aufmerksamkeit Gewalttaten 841 Rassismus fürchten. Verantwortung ernst nehmen – Wenn Sie als Arbeitgeber*in, als Funktionsträger*in in einer Partei, als Vorgesetzte*r oder als Vereinsvorstand von Bedrohungen gegen Mitarbeiter*innen oder Kolleg*innen in Ihrem Tätigkeitsfeld erfahren, soll- ten Sie unbedingt aktiv werden. Auf Hilfsangebote hinweisen – Es gibt vielfältige professionelle Unterstützung durch Beratungsstel- len und anderen Ansprechpartner*innen. Sie finden eine Übersicht am Ende dieser Broschüre. Einen ausführlichen Beitrag zur Neutralität als rechten Kampfbegriff finden Sie unter dem Titel „Darf ich da überhaupt was sagen?“ in der Hand- reichung „‚Wir holen uns unser Volk und unser Land zurück‘ – Empfehlungen zum Umgang mit rechtspopulistischen Parteien in Parlamenten und Kommunen“ des BMB ab S. 9: www.bundesverband-mobile-beratung.de/2019/ 09/18/2-auflage-umgang-mit-rechtspopulisti- schen-parteien-2/ 18 Quelle: https://verband-brg.de/wp-content/uploads/2020/05/Tatmotivationen-Rechter-Gewalt-2019.pdf 19
• erminkalender sollten nicht öffentlich geteilt und T 04 … im direkten in Sprechstunden nicht offen einsehbar sein. Im Büro sollten Familienfotos nicht für alle sichtbar auf Kontakt mit • dem Schreibtisch aufgestellt werden. Wenn absehbar ist, dass vor Ort Konfliktthemen Bürger*innen polarisieren, kann es sinnvoll sein, dienstliche Termine, aber auch Freizeitaktivitäten in den Abendstunden oder an abgelegenen Orten nur in Tipps und Begleitung wahrzunehmen. Je nach Einschätzung Als Politiker*in oder Verwaltungsmitarbeiter*in der Bedrohungslage kann es zudem grundsätzlich ist der Kontakt mit Bürger*innen zentral. In der ratsam sein, Familie und Arbeitsumfeld über die Sprechstunde, am Partei-Infostand, auf Festen und jeweiligen Terminpläne und die geplante Rückkehr kulturellen Veranstaltungen oder im Rahmen von zu informieren. Kundenkontakt im Rathaus gibt es viele Begegnun- gen. Diese werden immer wieder auch genutzt, um Bei diesen Vorkehrungen geht es nicht darum, ein Hinweise Frust abzulassen oder Vorwürfe zu formulieren. Auch grundsätzliches Misstrauen gegenüber Bürger* extrem rechte oder rechtspopulistische Akteur* innen aufzubauen. Vielmehr soll damit ein Arbeits- innen nutzen diese Begegnungen, um – geplant oder umfeld geschaffen werden, das möglichst wenig aus der Situation entstehend – Vertreter*innen von Anknüpfungspunkte für Bedrohungen und Angriffe Politik und Verwaltung verbal oder gar tätlich anzu- bietet. Ziel ist es, für die angegriffene oder bedrohte greifen. Das Spektrum geht dabei von Pöbeleien und Person ein möglichst offenes und angstfreies Ar Beleidigungen über bewusstes Fotografieren ohne beiten zu ermöglichen. Einverständnis bis hin zu martialischem Auftreten oder körperlichen Angriffen. Einen guten Überblick zu grundsätzlichen Vorsichts- zum Umgang mit konkreten Herausforderungen Diese Situationen kommen in der Regel überra maßnahmen im Umgang mit Bürger*innen bietet schend und die Betroffenen können ihnen nicht der Flyer der polizeilichen Kriminalprävention der ausweichen. Darüber hinaus ist ein „Rückzug“ oft Länder und des Bundes „Wie Sie sich vor Übergriffen nicht möglich, weil damit die eigene Bewegungs- Ihrer Kunden schützen. Verhaltenstipps für Beschäf- und Meinungsfreiheit freiwillig eingeschränkt und tigte.“, online unter: der öffentliche Raum den rechten Akteur*innen www.polizei-beratung.de/medienangebot/detail/275- überlassen würde. Offene Rathäuser und öffentliche wie-sie-sich-vor-uebergriffen-ihrer-kunden-schuetzen Gebäude stehen nicht zuletzt auch für eine offene und bürger*innennahe Verwaltung. Im Folgenden sind daher zentrale Punkte benannt, die Kommunal- Kontakte und Auftritte in der Öffentlich- politiker*innen und Verwaltungsmitarbeiter*innen keit gut vorbereiten und absichern auf entsprechende konfrontative und feindselige Kommunikationsformen vorbereiten sollen. Der Wahlkampfstand in der Innenstadt oder die Präsentation des neuen Angebots des Jugendamtes Grundlegende Sicherung der eigenen beim Stadtteilfest können unter Umständen heraus- Privatsphäre: Vorsicht, aber keine Panik fordernde Termine sein, bei denen neben guten Gesprächen auch Streit, Pöbeleien, Beleidigungen In der Öffentlichkeit stehende Amts- und Mandats- oder tätliche Angriffe möglich sind. Es empfiehlt träger*innen sollten sorgsam mit persönlichen sich, solche Stände gut vorzubereiten und nie allein Daten umgehen und auch Familienangehörige und durchzuführen. Umfeld entsprechend sensibilisieren. Es ist sinnvoll, sich im Vorfeld über mögliche aktuelle Folgende unaufwendige Schutzmaßnahmen zur „Aufregerthemen“ und ggf. Aktivitäten der extre- Wahrung von Privatsphäre haben sich bewährt und men Rechten in der Region zu informieren, um so sind einfach zu realisieren: die Lage einschätzen zu können. Fortbildungen, • In Sozialen Netzwerken sollten möglichst wenig Argumentations- und Handlungstrainings können persönliche Informationen geteilt werden – Pläne die eigene Handlungssicherheit stärken. Insbeson- für Reisen und aktuelle Urlaubsbilder, die Einblicke dere Engagierte oder Mitarbeiter*innen, die häufig in die An- und Abwesenheit geben oder Fotos von in dieser Art der Bürger*innen- kommunikation Kindern sollten nicht veröffentlicht werden. eingebunden sind, können sich so für den Umgang mit üblichen rechten Strategien wappnen. 21
Vorbereitung von Kontakten mit Bürger*innen auf Dritten – also auch von Rechten – fotografiert werden. Mit Rechten streiten? konsequentes Siezen auch eine verbale Distanz zu einen Blick Handlungsstrategien können sein: Gesicht abwenden wahren. Damit lassen sich Angegriffene nicht auf die oder möglichst verdecken, sich umdrehen, Missfallen Kommunalpolitisch Engagierte sehen sich zuneh- ihnen zugedachte Opferrolle ein. Vielmehr gestalten Gute Vorbereitung Bevor der Infostand beginnt, soll- äußern, Zurück-Fotografieren. Bei bekannten Rechts- mend der Frage ausgesetzt, inwiefern es sinnvoll, Sie dadurch das weitere Geschehen – soweit möglich ten Sie mit allen am Stand beteiligten Personen kurz extremen ist es sinnvoll, die Polizei zu informieren notwendig oder wichtig ist, mit Rechten zu streiten. – selbstbewusst und aktiv. über die Sicherheit sprechen. Wo auf dem Gelände und sie auf die konkrete Gefahr der Veröffentlichung Natürlich muss es in Zeiten gesellschaftlicher Pola befinden sich andere Stände/Angebote? Wo sind im auf rechtsextremen Internetseiten hinzuweisen. risierungen auch darum gehen, im Sinne einer de- Nach dem Angriff Notfall Rückzugsmöglichkeiten? mokratischen Streitkultur zu debattieren. Es gehört Nehmen Sie die Sicherheitsbedenken aller Beteiligten Intervention im Notfall Orientieren Sie sich an den selbstverständlich dazu, im Rahmen der kommuna- Wenn es zu Tätlichkeiten oder Bedrohungen gekom- unbedingt ernst. Klären Sie unterschiedliche Rollen vorher getroffenen Absprachen im Team. Sollten Sie len Debatte unterschiedliche Meinungen und Pers- men ist, gilt es zunächst, das Erlebte zu verarbeiten innerhalb des Teams. Wer steht wo, wer ist im Umfeld sich entscheiden, Ihren Stand abzubauen, informie- pektiven wertzuschätzen, ergebnisoffene Prozesse und erste Schritte der Reflexion und Bewältigung zu unterwegs? Wie sind diese Leute erreichbar, sind die ren Sie alle Beteiligten und besprechen Sie weitere anzustoßen und zu begleiten. Dazu gehört auch, mit machen Mehr dazu in Kap. 5. Wenn Sie das Geschehene als aktuellen Handynummern aller Beteiligten bekannt? Schritte, v. a. um einen sicheren Abbau und Heimweg Menschen zu diskutieren, die ansprechbar sind für strafrechtlich relevant einordnen und zur Anzeige Wo sind verbindliche Orte, an denen Polizei oder zu organisieren. (zu) einfache Lösungen. Eine Diskussion kann aber bringen wollen, empfiehlt sich ein zügiges und über- eventuell ein Sicherheitsdienst stets anzutreffen ist? Achten Sie darauf, dass niemand allein den Heim- nur mit jenen gelingen, die an Austausch ernsthaft legtes Vorgehen. Vereinbaren Sie ggf. schon im Vorfeld eine feste An- weg antritt, lassen Sie sich ggf. von der Polizei zu Bus/ interessiert sind. Menschen, die im direkten Kontakt Befinden sich die Täter*innen noch in der Nähe, sprechperson bei der Polizei, die Sie im Notfall schnell Bahn begleiten. Informieren Sie sich gegenseitig dar- auf Pöbeleien, Drohungen oder verbale Angriffe set- sollte schnellstmöglich über den Notruf 110 die erreichen können. Das erspart Ihnen in angespannten über, dass alle am Stand beteiligten Personen sicher zu zen,sind das nicht. Sie treibt in der Regel eine andere Polizei verständigt werden. Wichtig ist dabei: Fordern Situationen anstrengende Erklärungen. Hause angekommen sind. Motivation an: Ihnen geht es nicht um Argumente, Sie – falls notwendig auch mit Nachdruck –, dass sondern um Aufmerksamkeit und Dominanz. die Beamten auf jeden Fall die Identitäten der Tat- Reaktionen auf rechte Aussagen Lassen Sie sich auf Nachbereitung Sollte es zu einer kritischen oder be- beteiligten feststellen und ggf. die Tatbeteiligten keinen Schlagabtausch auf der Ebene rechter Parolen drohlichen Situation gekommen sein: Werten Sie die In solchen Situationen sollte es zum Eigenschutz und in Gewahrsam nehmen. Sprechen Sie mögliche ein. Parolen sind im Gegensatz zu Argumenten nicht Veranstaltung zeitnah gemeinsam aus und fertigen mit Blick auf weitere Anwesende eher darum gehen, Zeug*innen an und bitten Sie um Kontaktdaten. auf Dialog ausgerichtet und keiner sachlichen Aus- Sie ein Gedächtnisprotokoll über das Geschehene an. Grenzen der Gesprächsbereitschaft und Gesprächs- Grundsätzlich können Sie eine Strafanzeige auch einandersetzung zugänglich: ihnen liegt kein offenes, Das Protokoll sollte anschließend allen Beteiligten zur regeln deutlich zu machen – und eine Diskussion nach einer Tat persönlich oder durch einen Rechts- sondern ein geschlossenes Diskussionsverhalten zu- Verfügung gestellt werden und kann bei der weiteren selbstbewusst zu beenden, wenn das Gegenüber gar beistand bei Polizei oder Staatsanwaltschaften grunde. Rechte Parolenredner*innen sind nicht an Bearbeitung, etwa mit Unterstützung durch die Mobi- kein Interesse daran hat. erstatten. Mehr zum rechtlichen Umgang mit Bedrohungen und Angriffen finden Sie in Kap. 5 einem Dialog interessiert. le Beratung oder der Beratung für Betroffene rechter, Rassistische, antisemitische, sexistische, menschenver- rassistischer und antisemitischer Gewalt, hilfreich sein. Was tun bei Anfeindungen, Bedrohungen Ein Gedächtnisprotokoll kann später helfen, sich an achtende und den Nationalsozialismus leugnende oder (basiert auf: „Informationen für Infostände auf einen Blick“, in der Broschüre oder Angriffen? Details und den chronologisch richtigen Ablauf der Geschehnisse zu erinnern. Ein Protokoll sollte mög- „Wachsam sein“ der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) verharmlosende Äußerungen sollten aber nicht unwi- dersprochen bleiben. Positionieren Sie sich klar und Wenn es im direkten Kontakt zu Drohungen und An- lichst schnell nach dem Vorfall – sowohl von Betrof- deutlich! Dadurch ermutigen Sie andere, insbesondere feindungen kommt, sollten Sie nicht zögern, Unter- fenen als auch von Zeug*innen – angefertigt werden, direkt Betroffene von Rassismus, Antisemitismus etc. stützung zu holen und ggf. die Polizei einzuschalten. denn die Erinnerungen an Einzelheiten verschwim- und verhindern die Normalisierung solcher Positionen. Es ist nicht selbstverständlich, dass Umstehende men schon nach kürzester Zeit. oder Passant*innen von sich aus aktiv werden – Umgang mit Pöbeleien und Einschüchterungen Gehen etwa, weil sie selbst Angst haben, sich hilflos fühlen Sie keinesfalls inhaltlich auf Pöbeleien und Provoka- oder auf das Einschreiten anderer vertrauen. Daher tionen ein. Versuchen Sie, möglichst selbstsicher, be- ist es wichtig, Einzelne konkret anzusprechen. stimmt und ruhig zu agieren. („Hallo, jungerMann in der roten Jacke! Ich werde Praktische Hilfestellung und Hintergründe in Formulieren Sie kurze und eindeutige Aussagen oder hier gerade bedroht. Rufen Sie bitte die Polizei!“). kompakter Form bietet die Handreichung „‚Mit Rechten streiten?!‘ Zum Umgang mit rechts- Aufforderungen. Lassen Sie sich nicht auf Diskussio- populistischen und rassistischen Herausforde- nen ein, sondern verdeutlichen Sie die Konsequenzen Versuchen Sie prinzipiell, dem aggressiven Gegen- rungen“ der Mobilen Beratung gegen Rechtsex- des Nichtbefolgens Ihrer Aufforderungen (z. B. der über möglichst selbstsicher und unaufgeregt zu be- tremismus in NRW: Aufforderung, den Stand zu verlassen). gegnen. Gerade wenn Sie aufgeregt und angespannt www.mobile-beratung-nrw.de/fileadmin/con- tent/medien/Mit_Rechten_streiten_PDF.pdf Sobald Sie den Eindruck haben, dass Sie eingeschüch- sind: Kurze und eindeutige Aussagen oder Auf- tert werden sollen, verständigen Sie Unterstützer*in- forderungen („Ich fordere Sie auf, mich nicht weiter nen und rufen Sie gegebenenfalls die Polizei. zu belästigen!“) und das Aufzeigen von (strafrecht- lichen) Konsequenzen, helfen erfahrungsgemäß, Fotos und Recht am eigenen Bild Im Rahmen von das Verhalten des Gegenübers einzuhegen. Sind öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel die Pöbler*innen bekannt, lohnt es sich, diese direkt Unterstützende Informationen und Tipps zu ad- und auch bei der Durchführung von Infoständen ist namentlich anzusprechen. äquaten Reaktionen und Handlungsmöglichkei- das Recht am eigenen Bild eingeschränkt. Zwar ist es ten für Demokrat*innen angesichts der Proteste und Diskussionen rund um die Einschränkungen rechtlich strittig, ob „Portraitaufnahmen“ von einzel- Bleiben Sie sachlich und lassen Sie sich keinesfalls in der Corona-Pandemie bietet die Broschüre nen Personen gemacht werden dürfen. Infostände provozieren oder selbst zu Beleidigungen bezie- „Abstand halten gegen rechts“ des Kulturbüros oder Bühnen und damit auch Personen, die sich an hungsweise Tätlichkeiten hinreißen. Dafür ist es hilf- Sachsen: https://kulturbuero-sachsen.de/broschuere-ab- diesen Orten aufhalten, dürfen grundsätzlich von reich, nicht nur eine räumliche, sondern, etwa durch stand-halten-gegen-rechts 22 23
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