"Ich habe euch auf Adlersfügeln getragen und zu mir gebracht - August 2021 | 10. Sonntag nach Trinitatis - Eine Arbeitshilfe zu Exodus ...
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8. August 2021 | 10. Sonntag nach Trinitatis „Ich habe euch auf Adlersfügeln getragen und zu mir gebracht...” Eine Arbeitshilfe zu Exodus 19,1-8 Israelsonntag 2021
Inhaltsverzeichnis 1 Vorwort 3 Wieviel Gott ist in den heiligen Schriften Benjamin Sommer 10 Durchqueren der Leere: wieder und wieder Susan Handelman 14 Eine dynamische Bundesgeschichte Marianne Grohmann 19 Liturgie und Lesepredigt Wolfgang Hüllstrung 26 Der Berg Sinai und die Geburtsstunde der Freiheit Jonathan Sacks 30 Quellen 31 Die Autorinnen und Autoren
1 Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, mit der Erzählung des Bundesschlusses am Sinai vergegenwärtigt der Predigttext für den diesjährigen Israelsonntag am 8. August 2021 einen zentralen Augenblick der Beziehung zwischen Gott und Israel. In der Begegnung mit Mose erinnert Gott an die Befreiung der Israeliten „… wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und zu mir gebracht“ (Ex 19,4) und verheißt Israel segulla – Gottes Kleinod – zu sein. Diese Verheißung ist verbunden mit der Zusage und der Aufforderung, „ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk“ zu sein. Damit endet der Text in der Perikopenordnung. Wir schlagen jedoch vor, die beiden folgenden Verse dazuzunehmen, weil sie aus unserer Sicht unverzichtbar dazugehören: In ihnen legt Mose Gottes Angebot dem Volk vor, und das ganze Volk antwortet: „Alles, was der HERR geredet hat, wollen wir tun“. Und dieser Aspekt ist wesentlich: Ohne das „Ja“ des Volkes Israel hätte es diesen Bundesschluss nicht gegeben. Ebensowenig würde es diesen Bund geben, wenn er nicht in jeder Generation neu durch die kontinuierliche Praxis bekräftigt und gelebt würde. Der am Jewish Theological Seminary lehrende Exeget Benjamin Sommer entfaltet in seinem Beitrag das Konzept der „partizipativen Offenbarung“. Sie eröffnet „gläubigen Juden heute“ einerseits die Möglichkeit, „die Vielstimmigkeit der biblischen Texte … als eine Theorie der Wahrheit zu betrachten“. Andererseits lässt sich auf diesem Weg die Tora weniger im Sinne eines Buches als einer Sammlung von Texten und als „ein vielstimmiges menschliches Dokument“ verstehen, „das an vielen Stellen anfällig für Widersprüche ist und bisweilen irrt“. Ein solches Eingeständnis „hindert uns nicht daran, die Tora als heiligen Text anzuerkennen“. Susan Handelman, Anglistik-Professorin an der Bar-Ilan-Universität, hält es für eine der zentralen Aufgaben des postmodernen jüdischen Denkens, das jüdische Recht, die Halacha, als einen zentralen Aspekt der Offenbarung wiederzugewinnen und so die säkularisierten Formen eines theologischen Antinomismus zu überwinden. Die in Wien lehrende Alttestamentlerin Marianne Grohmann legt den Text Vers für Vers aus. Sie zeigt, dass Tora-Auslegung heißt, „durch Entwerfen moderner Midraschim die Erinnerung zu bewahren und gleichzeitig neu zu prägen.“ Wolfgang Hüllstrung steuert einen Gottesdienstentwurf mit einer Lesepredigt zum Einsatz im Gottesdienst bei. Für den jüngst verstorbenen ehemaligen britischen Oberrabbiner Jonathan Sacks hat die Offenbarung am Sinai als „Geburtsstunde der Freiheit“ eine Bedeutung für die gesamte Menschheit. Sie kommt darin zum Ausdruck, dass der Bund mit Gott „der Ausübung von Macht ethische Grenzen“ gesetzt hat: „Das Regelwerk, das wir Tora nennen, etablierte erstmalig den Vorrang des Rechts vor der Macht.“ Weitere – immer noch lesenswerte – Texte zu Ex 19,1-8 enthält die Arbeitshilfe aus dem Jahr 2017, die Sie digital im Netz finden können, wie etwa Deborah Weissmans Überlegungen zu Bund und Gender im Judentum. Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre, gute Vorbereitungen auf den Israelsonntag 2021 und einen gesegneten Gottesdienst! Ihr/e Wolfgang Hüllstrung Ursula Rudnick Axel Töllner
2 Wieviel Gott ist in den heiligen Schriften? 3 Benjamin D. Sommer Viele Juden rezitieren, wenn sie die Tora für den ganz allgemein) als eine Theorie der Wahrheit Gottesdienst aus dem Schrein nehmen, den zu betrachten. Dieser Theorie zufolge treffen die folgenden Abschnitt aus dem klassischen Werk vom Himmel offenbarten göttlichen Wahrheiten der jüdischen Mystik, dem Zohar: zwangsläufig auf eine unvollkommene Ich bin der Diener des Heiligen, der ein Gott der menschliche Wahrnehmung, was zu einem Wahrheit ist, dessen Tora die Wahrheit ist und gewissen Maß an Fehlern oder Unwahrheiten dessen Propheten wahr sind. führt. Viele Menschen sind zu Unrecht der Ansicht, dass die Anerkennung dieser Tatsache Können moderne Menschen diese Worte wirklich ein religiöses Weltbild unmöglich mache. Doch aufrichtig sprechen? Können wir glauben, dass tatsächlich begünstigt eine Theologie, die die die Tora und die Propheten wahr und heilig partielle Natur der biblischen Wahrheit anerkennt, sind? Moderne Bibelwissenschaftler stellen ein religiöses Weltbild sogar. Denn sie bejaht die Richtigkeit vieler der darin enthaltenen die Realität der göttlichen Offenbarung und historischen Berichte infrage. Sie haben gezeigt, erkennt gleichzeitig an, dass die Menschen die dass es in der Bibel unterschiedliche, im Offenbarung nur teilweise aufnehmen können. Widerspruch zueinanderstehende Erinnerungen Damit warnt sie vor dem Dogmatismus, der an historische Ereignisse gibt, unterschiedliche, im Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit, zu Widerspruch zueinanderstehende Auffassungen denen Religionen neigen. Der Dogmatismus des Wesens Gottes, unterschiedliche, im schadet der erkenntnistheoretischen Demut, die Widerspruch zueinanderstehende Vorschriften die Grundlage des religiösen Bewusstseins und des Gesetzes, das Israel befolgen soll. Kann die Verhaltens sein sollte. Durch die Vielstimmigkeit Tora angesichts der modernen Bibelkritik noch der Tora und sogar durch ihre inneren als heilig angesehen werden? Die grundlegendste Widersprüche wird diese Demut dagegen Bedeutung des Wortes torah ist „Führung, gefördert. Weisung“; zu welcher Art von Wahrheit führt uns dieser vielstimmige und oft ambivalente Text? Im Folgenden werde ich zunächst beschreiben, wie Die Infragestellung durch die Bibelkritik Bibelkritiker die Bedeutung der Bibel als Quelle der Wahrheit untergraben haben. Im Anschluss Die meisten jüdischen und christlichen Exegeten werde ich aber ausführen, dass sich die Ansicht, der Antike und des Mittelalters betrachteten die Tora könne nicht mehr als heilig angesehen die Bibel als heilig und absolut zuverlässig, weil werden, mit dem, was ich als partizipative sie vom Himmel kam. Die Worte in den fünf Theologie der Offenbarung bezeichne, widerlegen Büchern Mose stammen nach Ansicht der meisten lässt. Die partizipative Theologie ermöglicht es klassischen jüdischen Denker nicht von Mose oder gläubigen Juden heute, die Vielstimmigkeit der einem anderen Menschen, sondern von Gott. Die biblischen Texte (und der jüdischen Tradition übrigen Bücher der Bibel sind für sie – was den
Inhalt angeht, wenn auch nicht in ihrem Wortlaut zumindest mancher biblischer Texte aufkommen – ebenfalls göttlichen Ursprungs. Dieser Konsens lässt. Moderne Bibelwissenschaftler fanden begann in Europa im 17. Jahrhundert zu bröckeln. Mittel und Wege, die Geschichte des antiken Diverse Denker, darunter Baruch Spinoza und Israel zu verstehen, die im Widerspruch zu dem Thomas Hobbes, äußerten Zweifel daran, dass steht, was die Christen treffend als die biblische die Bibel wirklich aus einer himmlischen Quelle Heilsgeschichte bezeichnen. Die Bibel sah hinter stammt. Mehrere Gelehrte des 18. Jahrhunderts, den historischen Ereignissen im Alten Israel das zumeist Protestanten, vor allem in Frankreich Wirken des Willens eines gerechten, gnädigen und und Deutschland, vertraten die Ansicht, dass die allmächtigen Gottes. Moderne Historiker des Alten biblischen Texte keine literarischen Einheiten Israel konzentrieren sich dagegen auf politische, und schon gar nicht von Gott geschrieben und wirtschaftliche und soziologische Faktoren, die vollkommen seien. Sie zeigten, dass die Tora – in der Geschichte aller Nationen zu finden sind. der Pentateuch – ältere Texte enthält, bei denen So sind beispielsweise gemäß der Interpretation in einigen Details erzählerische Widersprüche vieler Bibelwissenschaftler die Gesetze und zu beobachten sind. Der Verfasser (oder besser: Erzählungen in einer der vier Quellen des Redakteur) des Pentateuch habe diese älteren Pentateuch durch den Wunsch motiviert, zu Ruhm Texte zusammengeführt, ohne die Widersprüche und Reichtum der Priesterschaft im Alten Israel zwischen ihnen auszuräumen. Der Verfasser beizutragen. Eine weitere Quelle dient nach ihrer bzw. Redakteur habe sich auf ältere Dokumente Auffassung den wirtschaftlichen Bedürfnissen und gestützt, die einander widersprachen und nicht dem sozialen Ansehen der Leviten. Nach einer verbindlich in Übereinstimmung gebracht werden extremen, aber verbreiteten Version dieser Art konnten. Daher scheine es klar, dass die Tora von Interpretation (die Religionswissenschaftler nicht von einem allwissenden, jenseitigen Wesen als Reduktionismus bezeichnen) geht es in verfasst worden sei. diesen Texten eigentlich nicht um die Religion Im 19. Jahrhundert bemühten sich oder um Gott; stattdessen sind in ihnen soziale, Wissenschaftler, die sich mit dem Ursprung des politische und wirtschaftliche Ansprüche Pentateuch beschäftigten, mit beträchtlichem bestimmter Personengruppen festgelegt. Erfolg, seine textlichen Quellen zu identifizieren. Gerade weil die Leserschaft dieser Schriften Es entstanden verschiedene Theorien, die bis aber dachte, dass es darin um Gott ginge – und heute verfeinert werden; unter sämtlichen möglicherweise sogar die Verfasser das glaubten Spezialisten auf diesem Gebiet stellte sich aber – sind diese Festlegungen umso wirksamer. Die ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ein bis heute modernen Reduktionisten behaupten jedoch, bestehender Konsens ein, der von vier (oder, unter den Irrtum zu durchschauen, von dem sich jüngeren Wissenschaftlern, drei) wesentlichen sowohl die Autoren der alten Texte als auch Quellen des Pentateuch ausgeht. In Hinblick auf ihre vormoderne Leserschaft täuschen ließen. andere Bücher der Bibel wurden ähnliche Theorien Moderne Wissenschaftler bieten alternative entwickelt. Die Entdeckung, dass die in den fünf Interpretationen historischer Ereignisse, die in Büchern Mose niedergelegten Gesetze nicht im der Bibel erzählt werden, und relativieren damit Wortsinne mosaisch sind, wurde von vielen Juden die in der Bibel selbst gegebenen Erklärungen: In in den letzten zweihundert Jahren mit Bestürzung den Büchern Jesaja, Esra und den Chroniken ist aufgenommen, ebenso wie die Erkenntnis, dass zum Beispiel zu lesen, dass Gott den persischen der Pentateuch Widersprüche enthält und damit Großkönig Kyros dazu gebracht habe, Babylon zu unvollkommen ist. Die fünf Bücher Mose, der bestrafen und die Juden aus dem Exil zurück in ihr zentrale Teil der jüdischen Heiligen Schrift, wurden Land zu führen. Moderne Historiker des biblischen nicht von Mose zusammengestellt und noch viel Israel sprechen dagegen von geografischen, weniger von ihm verfasst; und da ihre Bestandteile wirtschaftlichen oder auch Umweltfaktoren, die widersprüchliche Aussagen enthalten, können zum Niedergang Babylons und zum Aufstieg des sie nicht von einem einzigen Autor stammen, persischen Reiches als der beherrschenden Macht geschweige denn von einem göttlichen. im Nahen Osten führten. Darüber hinaus empfinden viele Juden und Durch die Beachtung all dieser Einflussfaktoren Christen die Bibelkritik als beunruhigend, weil stellte sich das Gefühl ein, dass die Bibel weniger sie Zweifel an der historischen Zuverlässigkeit ist als gedacht: Anstatt himmlische Weisheit
zu übermitteln, spiegelt sie die politischen, Prophet – ein Partner oder ein Gefäß?“ 4 sozialen, wirtschaftlichen und psychologischen Für die partizipative Theologie sind die 5 Gegebenheiten der diesseitigen Welt wider. Ungenauigkeiten und Widersprüche, die Eine sich selbst widersprechende Sammlung Bibelkritiker berechtigterweise in der Tora von Texten, die den ideologischen Bedürfnissen finden, nicht überraschend, denn nach ihrem bestimmter Gruppen oder Einzelpersonen Verständnis stammt der konkrete Wortlaut dient und fragwürdige Interpretationen der der Tora nicht von Gott. In dieser Theologie Geschichte liefert, ist wohl doch nur eine wird anerkannt, dass die Formulierungen von Sammlung literarischer Artefakte, keine Heilige Propheten, Weisen und Schriftgelehrten aus Schrift. Im Licht der geschichtswissenschaftlichen dem Alten Israel stammen, die darin ihre eigene Auseinandersetzung schrumpfte die Bibel zu Auffassung der Offenbarung niederlegten oder einem Bündel historisch und kulturell geprägter die Auffassung ihrer Vorfahren, die diese ihnen Textfetzen. erzählt hatten. Bei der Niederschrift der Worte der Tora reagierten die Propheten, Weisen und Schriftgelehrten auf die Offenbarung Gottes. Die Antwort auf die Infragestellung Sie interpretierten diese Offenbarung und übersetzten sie aus einer möglicherweise nicht- In meinem Buch Revelation and Authority sprachlichen göttlichen Botschaft in menschliche [Offenbarung und Autorität] beschreibe ich die Sprache. So spiegeln sich in den vier Quellen von mir so genannte partizipative Theologie des Pentateuch Erinnerungen an verschiedene der Offenbarung, die eine Antwort auf die Ereignisse in der Geschichte Israels wider. Die Infragestellung durch die historisch-kritischen menschlichen Wahrnehmungen, aus denen diese Bibelstudien gibt. Diese Theologie baut auf Erinnerungen hervorgingen, unterschieden sich Arbeiten von Denkern wie Franz Rosenzweig, von Anfang an. Das gilt insbesondere für die Texte, Abraham Joshua Heschel und Louis Jacobs die die Offenbarung am Berg Sinai beschreiben, auf. Sie erkennt die Ergebnisse der Bibelkritik ein Ereignis, das die Kategorien der menschlichen an, sieht den Pentateuch aber als Ergebnis Erkenntnis überstieg. (Der Vers unmittelbar nach eines Dialogs zwischen Gott und Israel. Gemäß den Zehn Geboten im Buch Exodus, Ex 20,18, gibt diesem Ansatz geben der Pentateuch und ganz bereits einen Hinweis darauf, wenn es dort heißt: allgemein die jüdische Tradition nicht nur den „das ganze Volk sah die Stimmen“. Für manche Willen Gottes wieder, sondern spiegeln auch die Israeliten, die mehr dem Aspekt der Erfahrung Interpretation dieses Willens durch Israel und des Heiligen zuneigten, den Rudolf Otto als die Reaktion Israels darauf. Zur Verdeutlichung fascinans bezeichnet, entfaltete das Mysterium möchte ich die partizipative Theologie einer der Offenbarung eine große Anziehungskraft; bekannteren Auffassung der Offenbarung die Erinnerungen dieser Israeliten liegen einem gegenüberstellen, die ich als die „Stenografie- Bericht im Pentateuch zugrunde, demzufolge Theorie der Offenbarung“ bezeichne. Nach der die Israeliten am Sinai im Begriff standen, auf alten Stenografie-Theorie diktierte Gott Mose den Berg zu eilen, auf dem sich Gott befand alle Worte des Pentateuch, und Mose schrieb (Exodus 19,21). Andere Israeliten am Sinai neigten Gottes Worte nieder, ohne sie zu ändern. In der eher dem zu, was Otto das tremendum nennt; Stenografie-Theorie kommt jedes einzelne Wort aus ihren Erinnerungen entwickelten sich zwei des Pentateuch von Gott. In der partizipativen weitere Berichte des Offenbarungsgeschehens, Theorie ist der Wortlaut des Pentateuch ein in denen die Angst des Volkes am Sinai im Gemeinschaftswerk, das himmlische und irdische Vordergrund steht. Es ist denkbar, dass beide Beiträge enthält; alternativ kann der Wortlaut des historischen Erinnerungen korrekt sind. Andere Pentateuch auch die ganz und gar menschliche Unterschiede zwischen den Quellen ergeben sich Antwort auf Gottes wirkliche, aber nonverbale aber zweifellos aus fehlerhafter Erinnerung und Offenbarung sein. Der Unterschied zwischen Weitergabe. diesen beiden Theologien lässt sich auch anders Die Redakteure der Tora verbanden dann ausdrücken, nämlich mit einer Kapitelüberschrift unterschiedliche, bisweilen widersprüchliche aus Heschels Meisterwerk, Torah min Hashamayim, Fakten über die frühe Geschichte Israels zu dem, die ins Deutsche übersetzt etwa lautet: „Der was später als die fünf Bücher Mose bezeichnet
wurde. Zwei Besonderheiten ihrer redaktionellen sie mahnen uns, dieses fehlerhafte Ritual nicht zu Vorgehensweise sind zu beachten. befolgen. Bemerkenswert ist, dass die Redakteure Erstens: Wenn der Pentateuch verschiedene, sich des Pentateuch beide Gesetze aufgenommen überlappende, aber widersprüchliche Berichte haben und keinen Hinweis geben, welches Gesetz über ein bestimmtes Ereignis enthält, vermittelt wir befolgen sollen oder wie wir uns zwischen er uns damit auch eine Theorie der Wahrheit, so ihnen entscheiden sollen, oder ob wir versuchen wie sie Menschen wahrnehmen können. Laut sollen, sie miteinander in Einklang zu bringen, und der von den Priestern geschriebenen Quelle des wie ein solcher Einklang herzustellen wäre. Pentateuch nahm Noah von jeder Tierart zwei Daneben ist eine zweite Besonderheit der Exemplare mit auf die Arche; nach einer anderen redaktionellen Methode zu beachten. Die Quelle nahm Noah von manchen Tierarten zwei Herausgeber des Pentateuch versuchen und von anderen sieben mit. Die Tora sagt nicht, nicht zu verbergen, dass ihr Werk eher eine welcher dieser beiden Berichte korrekt ist; sie Sammlung von Texten ist als ein Buch. Das zeigt nimmt einfach Verse zu beiden Versionen des sich zum einen darin, dass die Widersprüche wirklich Geschehenen mit auf. Diese Vorliebe und Wiederholungen, die sich aus der dafür, sich gegenseitig ausschließende Ansätze Zusammenstellung der Quellen ergeben, ohne zu einem Thema einzubeziehen, findet sich Scheu ganz offen gezeigt werden. Aber auch nicht nur in den Erzählungen, sondern auch die ersten Zeilen der Tora machen dies für jeden in den Gesetzen der Tora. Die Leviten, die deutlich, der mit den erzählerischen Normen Deuteronomium 15 aufgeschrieben haben, teilen des Nahen Ostens in der Antike vertraut ist. uns mit, dass das Pessachopfer gekocht werden Texte, die zum gleichen Genre gehören, folgen muss (Deuteronomium 16,5-7): oft bestimmten Konventionen, insbesondere in ihren ersten Sätzen. So beginnen Epen in der Du sollst es [das Paschatier] an der Stätte kochen westlichen literarischen Tradition typischerweise [uvischalta – das heißt, sieden in Wasser] und mit einer Anrufung der Musen. So ist das in verzehren, die der Herr, dein Gott, ausgewählt hat, der Ilias und der Odyssee von Homer, und und am Morgen darfst du wieder zu deinen Zelten so handhabt es Hesiod in seiner Theogonie. zurückkehren. (Einheitsübersetzung) Ein ähnliches Phänomen findet sich in den Schöpfungsgeschichten des Nahen Ostens. Die Priester, die Exodus 12 aufgeschrieben haben, Zwei babylonische Schöpfungserzählungen, sagen uns dagegen, dass es gebraten werden Enuma Elisch und Atrachasis, beginnen mit einem muss (Exodus 12,8): ungewöhnlich langen und komplexen Satz, der eine ganz bestimmte syntaktische Struktur Über dem Feuer gebraten und zusammen mit aufweist: In beiden Werken fängt der erste Satz ungesäuertem Brot und Bitterkräutern soll man es mit einem temporalen Nebensatz an, gefolgt essen. von einer Parenthese, in der die Situation vor der Schöpfung beschrieben wird, und endet Man könnte nun versuchen, die Anordnung schließlich mit dem Hauptsatz. In der komplexen der Leviten und die der Priester irgendwie in Syntax dieser langen Sätze spiegelt sich der Inhalt Einklang zu bringen – vielleicht soll das Opfer ja der Schöpfungsberichte wider, in denen der erst gebraten und dann gekocht werden. Aber die Übergang des Kosmos vom Chaos zur Ordnung Priester, die das Buch Exodus niedergeschrieben beschrieben wird. Auch im ersten Satz der haben, bestehen darauf, dass es nur gebraten Genesis findet sich diese komplexe, dreiteilige werden darf (Exodus 12,9): Syntax. Faszinierend ist, dass genau die gleiche Satzstruktur in Genesis Kapitel 2 wieder auftaucht. Nichts davon dürft ihr roh oder in Wasser gekocht Beim Vergleich dieser beiden Passagen werden essen, sondern es muss über dem Feuer gebraten Sie erkennen, dass der Pentateuch uns im Buch sein. Genesis Kapitel 1 die Standarderöffnungssyntax einer antiken Schöpfungserzählung präsentiert; Es ist eindeutig, dass die Priester, die Exodus 12 nur wenig später, in Kapitel 2, präsentiert er uns aufschrieben, von der Praxis der Leviten wussten, diese Standarderöffnungssyntax jedoch noch die in Deuteronomium 16 niedergelegt ist, und einmal. Kurz gesagt, beginnt der Pentateuch
zweimal. Damit wird deutlich, was für ein es in der Mischna heißt (Avot 5,17), ist jede dieser 6 Werk der Pentateuch sein will: eine Sammlung Debatten ein machloket leschem schamajjim, eine 7 von verschiedenen Standpunkten und Diskussion um des Himmels willen. Das klassische konkurrierenden Lehren. jüdische Denken lehrt, dass es dem Ruhme Gottes Die Tora versucht an keiner Stelle zu verbergen, dient, wenn wir Gedanken zur Tora austauschen, dass sie zusammengesetzt wurde. Indem sie wenn wir Argumente gegen Ideen vorbringen, beginnt und gleich darauf noch einmal beginnt, mit denen wir nicht einverstanden sind, und auch verkündet die Tora: Ich präsentiere nicht nur eine wenn wir diese anderen Gedanken anhören und Erzählerstimme, sondern mehrere. In der Tora ist ernsthaft darüber nachdenken. Das rabbinische der Kontrapunkt wichtig, nicht nur die Melodie. Judentum betrachtet diesen dialektischen Prozess Diese Einsicht stützt den Ansatz der partizipativen des Lernens durch Diskussion, Debatte und Theologie, denn letztere fordert dazu auf, die Meinungsverschiedenheiten als eine Form des Tora nicht als das Werk eines einzigen, göttlichen, Gottesdienstes. unfehlbaren Verfassers zu lesen. Vielmehr Die historisch-kritische Bibelforschung zeigt, dass beinhaltet sie unterschiedliche Interpretationen die Liebe des Judentums zu unterschiedlichen der göttlichen Offenbarung und gibt damit eine Meinungen nicht erst mit den Rabbinen beginnt. Debatte wieder. Im Einzelfall kann es natürlich Sie lässt sich auf die beiden Anfänge der Tora mehr als eine richtige Meinung geben, aber in selbst zurückführen. Indem die Tora von ihrem einigen der angesprochenen Fälle schließt die ersten Bericht an ankündigt, dass sie mehr als eine Version einer Erzählung oder eines Gesetzes nur eine Annäherung an ein Thema bieten die Gültigkeit der anderen aus; mindestens wird, zeigt sie sich als etwas, das man als einen eine der aufgeschriebenen Meinungen muss prototypischen rabbinischen Text bezeichnen also falsch sein. Für Leser, die der partizipativen könnte. Theologie anhängen, ist das nicht überraschend, Darüber hinaus ist es wichtig, daran zu erinnern, denn ihnen ist bewusst, dass die Autoren der Tora dass die rabbinischen Texte im Judentum nicht Menschen waren. Dass sie damit auf eine echte nur als akademische Übung betrachtet werden. göttliche Offenbarung reagierten, macht diese Genauso wie die Bibel werden die rabbinischen menschlichen Verfasser nicht unfehlbar. Texte als Teil der Tora gesehen, als heilige Texte, Traditionelle Juden sind mit dieser Art von die aus der Offenbarung am Sinai hervorgehen. Text natürlich sehr vertraut. In den Werken der Genauer gesagt, werden Mischna, Talmud und rabbinischen Literatur werden ständig mehrere Midrasch als torah sche-be’al peh, mündliche Meinungen präsentiert. Die Mischna beginnt mit Tora, betrachtet, die Bibel als torah sche-bichtav, der Frage, wann jeden Abend das Schma-Gebet schriftliche Tora. Beide Teile der Tora sind den gesprochen werden soll, und gibt darauf drei Juden seit jeher heilig. Damit sind wir bei meiner mögliche Antworten. Dass mehr als eine Antwort wichtigsten Schlussfolgerung angekommen. Zu auf eine Frage präsentiert wird, ist typisch für Beginn meines Vortrags habe ich gefragt: Kann die gesamte Mischna. In diesem konkreten Fall die Bibel angesichts der modernen Bibelkritik, folgt die Auflösung, welche Antwort richtig ist, die beweist, dass sie widersprüchlich ist und aber an anderen Stellen lässt die Mischna einfach von Menschen aufgeschrieben wurde, noch als mehrere Meinungen nebeneinander gelten. Noch heilig angesehen werden? Die Antwort lautet, verbreiteter sind Erörterungen dieser Meinungen dass im Judentum die mündliche Tora seit im Talmud, wodurch die ohnehin schon Langem als heilig betrachtet wird, obwohl sie beeindruckende Vielstimmigkeit der Mischna widersprüchliche Meinungen enthält und von noch verstärkt wird. Klassische rabbinische Menschen aufgeschrieben wurde. Das Judentum Sammlungen von Bibelauslegungen wie der erkennt an, dass heilige Lehren von Menschen Midrasch Rabbah bestehen oft aus einer langen aufgeschrieben werden können. Als Antwort auf Liste verschiedener, bisweilen widersprüchlicher die theologische Herausforderung der modernen Lesarten von Bibelversen, die jeweils mit den Bibelkritik müssen moderne Juden lediglich Worten davar acheir – „ein anderes Wort“ – anerkennen, dass die schriftliche Tora genauso ist eingeleitet werden. Die Rabbinen stören sich wie die mündliche Tora. Sie enthält Debatten und nicht an der Tendenz, verschiedene Standpunkte Widersprüche, bleibt aber dabei heilig. darzulegen, die miteinander in Konflikt stehen. Wie
Fehler in der Heiligen Schrift Die Theorie über die der Tora zugrunde liegende Wahrheit erinnert uns also daran, dass unsere Lassen Sie mich die von mir skizzierten Gedanken eigenen Wahrnehmungen unvollständig sind, zusammenfassen. Gemäß der partizipativen und dass auch die Tora selbst unvollständig oder Theologie der Offenbarung offenbarte Gott sogar fehlerhaft ist. Gottes Wille mag vollkommen Mose, den Propheten und dem ganzen Volk sein, aber unser Verständnis des göttlichen Willens Israel den Willen Gottes. Gott offenbarte diesen kann nur unvollkommen sein; aus diesem Grund Willen auf eine Weise, die über die Sprache – ist uns mit einer Sammlung von Texten dieser sogar über normale Formen der Wahrnehmung – unvollkommenen Wahrnehmungen am besten hinausgeht. Mose, die Propheten und die Weisen gedient. Das bringt uns zu einem wesentlichen übersetzen diese Offenbarung im Laufe der Unterschied zwischen der stenografischen und der Zeiten in die konkreten Worte und Gesetze, die partizipativen Theologie der Offenbarung. Für die wir im Pentateuch, in der übrigen Bibel, in den Stenografie-Theorie kam das jüdische Gesetz in all rabbinischen Texten und in der ganzen jüdischen seinen Einzelheiten entweder direkt vom Himmel Tradition finden. oder geht aus der Interpretation des genauen Der Gedanke der Prophetie als Übersetzung Wortlauts von Texten hervor, die bis in den letzten hat eine wichtige logische Konsequenz, die Buchstaben von Gott verfasst wurden. Wenn Aufmerksamkeit verdient. Keine Übersetzung ist die Details der Halacha so unmittelbar von Gott perfekt. Sie kommt dem Original bestenfalls nahe, stammen, dann können menschliche Autoritäten entspricht ihm aber nie hundertprozentig. Das sie nur in begrenztem Maße verändern. Zudem gilt für Übersetzungen aus einer menschlichen kann dadurch ein außergewöhnliches spirituelles Sprache in eine andere; und es gilt umso mehr Selbstvertrauen gefördert werden, das leicht für die Übersetzung einer nicht-sprachlichen in Arroganz umschlägt. Es gibt nichts, was so göttlichen Mitteilung in eine menschliche gefährlich ist wie ein Mensch, der genau zu Sprache. Die Produkte dieses Übersetzungsaktes wissen glaubt, was seine Gottheit will – und sind Heilige Schrift und Tradition oder, um die nichts, was so sehr die Demut vermissen lässt, die jüdischen Begriffe zu verwenden, schriftliche und mit dem Bewusstsein unserer Geschöpflichkeit mündliche Tora. In diesen beiden Teilen der Tora einhergehen sollte. Es gibt zahlreiche empirische spiegelt sich wider, auf welche Arten wir Menschen Belege dafür, dass die Gewissheit, Gottes Willen die Selbstoffenbarung Gottes verstanden haben zu kennen, mit Arroganz, Starrheit und Intoleranz – aber auch auf welche Weise wir und unsere einhergeht. Vorfahren sie missverstanden haben. Solche Aus der partizipativen Theorie der Offenbarung Missverständnisse sind unvermeidlich, wenn das ergibt sich eine völlig andere Einstellung zu Transzendente immanent wird. Änderungen der Halacha und zu religiöser Die Verzerrungen, die es in der Heiligen Schrift Gewissheit. Eine solche Theologie führt zu zwangsläufig gibt, müssen den göttlichen einer wandlungsfähigeren, aber nicht weniger Willen nicht verfälschen, aber intellektuelle engagierten und konsequenten Befolgung der Redlichkeit und religiöse Demut erfordern das religiösen Texte. Eine Person, die die Feinheiten Eingeständnis, dass sie es manchmal tun. Dadurch im halachischen System als Versuche Israels erklärt sich die Existenz der verstörenden Texte betrachtet, einen göttlichen Befehl in die in der Heiligen Schrift, bei denen wir das Gefühl beschränkten Ausdrucksmöglichkeiten der haben, dass sie nicht von einem gerechten und menschlichen Sprache zu übersetzen, wird sich barmherzigen Gott verfasst worden sein können. verpflichtet fühlen, diese Feinheiten zu befolgen, Die Aufforderung im Buch Deuteronomium, aber sie wird sich auch bewusst sein, dass die alle Männer, Frauen und Kinder der Amalekiter Übersetzung gelegentlich falsch sein kann. Im zu töten, kann meines Erachtens nur auf einem Ergebnis sollten Juden, die einer partizipativen groben Missverständnis des göttlichen Willens Theologie anhängen, in ihrer religiösen Praxis der beruhen. In diesem Textabschnitt wurde das Arroganz entgehen, die bei Menschen, die einem Verständnis der göttlichen Forderung an Israel, stenografischen Ansatz folgen, eventuell störende sich zu verteidigen und Missetäter vor Gericht zu Folgen hervorrufen kann. bringen, übertrieben und daraus ein Gesetz der Die Theologie, die ich heute vorgestellt habe, wahllosen Rache abgeleitet. erkennt an, dass die Tora ein vielstimmiges
menschliches Dokument ist, eher eine Sammlung 8 von Texten als ein Buch, und an vielen Stellen 9 anfällig für Widersprüche ist und bisweilen irrt. Das einzugestehen hindert uns nicht daran, die Tora als heiligen Text anzuerkennen. Es weist uns jedoch darauf hin, dass Wahrheit eher etwas ist, nach dem wir streben, als etwas, das wir erreichen. So betrachtet, weist uns die Tora, die Schriftrolle der Führung, den Weg zur Wahrheit, bringt uns aber nicht dorthin; womöglich versetzt sie uns eher in die Lage von Mose, der auf dem Weg ins Gelobte Land ist, als in die von Josua, der es selbstbewusst betritt – und es ist Mose, nicht Josua, der der prototypische Weise des jüdischen Volks ist. Diese Torat Mosche warnt vor dem Dogmatismus, der Überheblichkeit und der Selbstgerechtigkeit, die Religionen nicht selten hervorrufen. Die Vielstimmigkeit der Tora und auch die darin enthaltenen Widersprüche und Irrtümer führen uns zur erkenntnistheoretischen Demut, die der Inbegriff des religiösen Bewusstseins und Verhaltens sein sollte.
Durchqueren der Leere – wieder und wieder Susan Handelman Ich habe mich entschieden, eine halachische Halacha nicht mit den Kategorien der Moderne Jüdin zu sein, und ich glaube, dass eine der von „Autonomie“ und „Heteronomie“ erfassen wichtigsten unerledigten Aufgaben des lässt. Wie Emil Fackenheim einmal in Encounters postmodernen jüdischen Denkens darin besteht, Between Judaism and Modern Philosophy schrieb, das zu überwinden, was ich einen säkularisierten hat Kant das Wesen der offenbarten Moral im theologischen Antinomismus nennen würde. Judentum nicht verstanden, weil sie außerhalb Dieser ist teilweise ein Erbe der deutschen des Bereichs sowohl der autonomen als auch Philosophen, die auch die jüdische Haskala der heteronomen Moral liegt. Ihre Quelle und ihr und das moderne Denken inspiriert haben, Leben „liegt gerade in der Zusammengehörigkeit besonders Kant, dieser große Fürsprecher für einer göttlichen gebietenden Gegenwart, die sich die Moral. Kant definierte Moral als Pflicht, die nie in die Bedeutungslosigkeit auflöst, und einer aus innerer Überzeugung geleitet von Vernunft menschlichen Antwort, die sich frei aneignet, was und Autonomie befolgt wird, im Gegensatz zur sie empfängt.“1 Pflicht, die aufgrund eines von außen gegebenen Gesetzes befolgt wird (das heißt durch Autorität Die Postmoderne kann uns helfen, die und Heteronomie). In seiner Vorstellung ist fruchtlose Gegenüberstellung von Selbst- das Judentum eine minderwertige Religion und Fremdbestimmheit bzw. Autonomie und des heteronomen Gesetzes, die zu Recht von Heteronomie zu überwinden. Zum einen einer höheren christlichen Religion der inneren setzt der Autonomie-Heteronomie-Dualismus Freiheit abgelöst wird. Die kantische autonome mit einem ganz und gar unabhängigen, Vernunft ist, wie Natan Rotenstreich es einmal abgeschlossenen Selbst eine Vorstellung voraus, ausdrückte, eine äquivalente oder transformierte die im postmodernen Denken stark kritisiert wird. Version der protestantischen Gnade oder „inneren Zum anderen ist es ein Fehler, die Verpflichtung, Erleuchtung“. das „Müssen“ der Erfüllung einer Mizwa mit dem „Müssen“ der Abfolge von logischen Wenn ich sage, dass das postmoderne jüdische Aussagen und deduktiver Logik gleichzusetzen. Denken die Bedeutung des Gesetzes im Rosenzweig und Lévinas verstanden sehr gut die Judentum zurückgewinnen muss, sollte ich Notwendigkeit dieses „dritten Begriffs“ jenseits darauf bestehen, das Wort Halacha zu verwenden, des Heteronomie-Autonomie-Dualismus. Das das von der hebräischen Wurzel für „Weg“ oder Paradigma für ihre Konstruktion des Selbst ist „Gehen“ stammt. Aber ich möchte nicht die der biblische Ausruf hineni, „Hier bin ich!“ Mit abgenutzten alten Auseinandersetzungen diesem Ausruf antwortet Abraham Gott vor der zwischen „orthodoxem“ und „reformiertem“ Judentum wieder aufwärmen – Begriffe, mit denen ich ohnehin nicht einverstanden bin. 1 Emil L. Fackenheim. Encounters between Judaism and Modern Phi- losophy. Philadelphia: Jewish Publication Society of America, 1973. Vielmehr möchte ich hier betonen, dass sich 44.
Akeda – der Bindung Isaaks.2 Mit diesem Ausruf sich an Eugene Borowitz], dass im Mittelpunkt 10 antwortet auch Mose am brennenden Dornbusch Ihres Vorhabens die Notwendigkeit steht, 11 und mit diesem Ausruf reagieren auch die unsere Integrität im Angesicht des befehlenden Propheten, wenn sie von Gott gerufen werden. Gottes zu schützen. Aber genau das hat die Wenn Gott Abraham ruft, ihn ganz persönlich Auslegungstradition in der mündlichen Tora und ausschließlich, so schreibt Rosenzweig, immer getan. Schon der Talmud äußert in der dann antwortet Abraham, „ganz aufgetan, ganz berühmten Passage in Schabbat 88a seine ausgebreitet, ganz bereit, ganz – Seele: ‚Hier bin Bedenken darüber, dass äußerer Zwang die ich.‘ Hier ist das Ich. Das einzelne menschliche Ich. Offenbarung am Sinai ungültig gemacht habe. Ich Noch ganz empfangend, noch nur aufgetan, noch möchte hier ausführlich aus dem Talmud zitieren, leer, ohne Inhalt, ohne Wesen, reine Bereitschaft, denn so sehr ich die persönlichen Momente in reiner Gehorsam, ganz Ohr.“3 Renewing the Covenant schätze, so schmerzlich vermisse ich sie auch in der gebundenen Struktur Oder lassen Sie mich Peter Pitzele zitieren, der des klassischen jüdischen Diskurses – das eindrücklich beschreibt, was für uns moderne dissonante und doch melodische Stimmengewirr Menschen an Abrahams „Gehorsam“ so schwer aus verschiedenen Epochen und Zeiten in den zu verstehen ist: „Gehorsam hat durch die Kommentaren und Metakommentaren, die Geschichte einen schlechten Klang. Zu viele dialogorientierten Stimmen von Talmud und Lämmer sind widerspruchslos zur Schlachtbank Midrasch. geführt werden. Zu oft standen Befehlsempfänger und Mörder dahinter. Hören wir heute das Der biblische Text erzählt uns, dass die Israeliten Wort Gehorsam, empfinden wir mindestens b’tachtit ha har standen – redensartlich übersetzt Gespaltenheit, meistens Furcht. Hinzu kommt mit „am Fuße des Berges“, aber mit dem wörtlichen Abscheu vor allen erzwungenen Unterwerfungen Sinn von „an der Unterseite“. Hier kommentiert der unserer Kindheit … Gehorsam heißt seine eigene Talmud: Kraft loslassen: Kontrollverlust.“ Aber es gibt noch eine andere Art von Gehorsam, stellt Pitzele fest: „Rav Avdimi bar Hama bar Hasa sagte: Das lehrt uns, dass der Heilige, gesegnet sei Er, den Berg Gehorsam kommt von „hören“. Avram horcht wie ein Fass über sie stülpte und sagte: „Wenn ihr auf den Ruf aus seinem Land und seines die Tora annehmt, ist alles gut; wenn nicht, wird Vaters Haus. Und gehorcht. Er nimmt den hier euer Grab sein.“ Rav Aha bar Jacob sagte: „Auf Ruf wahr als von einem Gott kommend, der dieser Grundlage kann eine große Anklage gegen außerhalb seiner selbst und ganz anders ist. Und die Tora erhoben werden.“ Rava sagte: „Dennoch gleichzeitig in ihm. Echt spricht zu echt … Avram nahmen sie sie in den Tagen des Ahasveros gehorcht nicht irgendeinem externen Diktat, bereitwillig erneut an, denn es steht geschrieben: irgendeiner Kommandokette. Im Gegenteil: ‚Die Juden [kimu v’kiblu,] bestätigten und nahmen Er bricht mit jeglicher üblichen Konvention … an.‘ Sie bestätigten, was sie zuvor angenommen Ein kurzes Orientierungslicht scheint für hatten.“5 Avram aufzuleuchten und sofort wieder zu verschwinden. Er hat keine Ahnung von dem, Raschi erklärt die Art dieser Anklage: „Denn was auf ihn zukommen wird, und muss mit jeder wenn sie vor Gericht gestellt würden, warum Stufe, die er weitergeht, erneut seine Ergebenheit sie das, was sie auf sich genommen haben, nicht erneuern, denn sein Gehorsam ist freiwillig, nicht erfüllt haben, könnten sie antworten, dass sie mit erzwungen.4 Gewalt gezwungen wurden, es anzunehmen.“ Mit anderen Worten: Es geschah nicht aus ihrem Immer wieder betonen Sie [diese Worte richten eigenen freien Willen. Dennoch nahmen sie es tausend Jahre später in ihrem Exil im persischen 2 Die Geschichte der Bindung Isaaks befindet sich in Genesis 22. Königreich des Ahasveros erneut an, Raschi 3 Franz Rosenzweig. Der Stern der Erlösung. Frankfurt a.M.: Suhr- kamp, 1993 (4. Auflage). 196. [Susan Handelman bezieht die Antwort zufolge „aus Liebe zu dem Wunder, das für sie auf Abraham. Bei Franz Rosenzweig gibt Adam diese Antwort Gott. Anmerkung der Übersetzerin.] getan wurde“. 4 Peter Pitzele. Die Brunnen unserer Väter: Midraschim und Bibliologe über Bereschit – Genesis. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, 2012. 127 f. 5 Babylonischer Talmud, Schabbat 88a.
Mit anderen Worten: Est 9,27 („die Juden scheinbare Enttäuschung: die Ausführungen bestätigten und akzeptierten für sich und ihren des Gesetzes über stößige Rinder, hebräische ganzen Samen ... diese beiden Purimtage zu Sklaven und so weiter. Dann kommen die langen, halten“), bestätigt und akzeptiert nicht nur die scheinbar langweiligen Erzählungen über den Bau Anweisungen Mordechais zur Art und Weise, in der des Mischkan, der Stiftshütte, die Beschreibung sie ihrer wundersamen Rettung gedenken sollten. ihrer Bretter und Nägel, die Kleidung der In einem umfassenderen Sinn bestätigten und Hohepriester; und dann setzt es sich fort in dem akzeptierten sie damit auch, was ihnen tausend Buch Wajiqra (Levitikus) mit seinen ausführlichen Jahre zuvor am Sinai „aufgezwungen“ worden Beschreibungen des Opfersystems. Das sind die war; nur taten sie es jetzt aus freiem Willen. In „Die Teile, die ich normalerweise überspringe, wenn Versuchung der Versuchung“, dem Kommentar ich meine meist nicht-jüdischen Studierenden in von Lévinas zu dieser Passage, versteht er diesen Die Bibel als Literatur unterrichte. Aber vielleicht Midrasch zur Beziehung von Sinai und Purim ist das ein Fehler. Denn das sind auch die Teile, die als Hinweis auf einen „dritten Weg“ jenseits der so unverkennbar jüdisch sind, die Möglichkeiten, dualistischen Alternativen Freiheit und Gewalt wie erhabene Abstraktionen in die konkrete Welt oder Autonomie und Heteronomie.6 Es bedeutet, gebracht werden. Das macht die Halacha aus: Der dass es eine gewisse „Unfreiheit“ gibt, die der zweite Sinai, die Weiterführungen der Stimme Freiheit vorausgeht, die Freiheit erst möglich Gottes, die in der Stimme der menschlichen macht – ein vorheriges Aussprechen des Na‘ase Deutung widerhallt, und die Ausweitung der we-Nischma „wir werden tun und wir werden Offenbarung auf die scheinbar alltäglichsten hören/gehorchen/verstehen“, eine vorherige Aspekte des menschlichen Lebens. Verpflichtung zur Übernahme von Verantwortung, die erst das Selbst formt. So wird das Selbst Denn die Offenbarung kann sich nicht in dadurch bestimmt, hineni „Hier bin ich für dich“ einer ehrfurchtgebietenden, unverbindlichen zu sagen. Darüber hinaus waren die tausend Jahre Gegenwart des Heiligen erschöpfen. Sie muss zwischen dem Sinai und dem persischen Exil nach konkretisiert und in den Bereich des Alltäglichen Lévinas gekennzeichnet von lauter gravierenden gebracht werden. Einer meiner Studenten Folgen und Leiderfahrungen, die aus dieser ersten machte einmal eine verblüffende Bemerkung Annahme der Tora resultierten. Wenn wir sie an über das prosaische Ende des Buches Hiob. Nach Purim erneut annehmen, tun wir dies in vollem der Rede aus dem Sturm kehrt der Text zu einer Wissen ihres Preises. In diesem Licht finde ich seltsamen, in Prosa gehaltenen Begebenheit Raschis Kommentar sogar noch ergreifender: Die zurück, die nüchtern davon erzählt, dass Gott erneute Annahme der Tora geschah aus „Liebe Hiob das Doppelte von dem zurückgab, was zum Wunder“. Akzeptanz aus Liebe, und das in er verloren hatte; Hiob wurde wohlhabend, einer Zeit der drohenden Massenvernichtung. Hiob heiratete wieder, hatte viele Söhne und Denn Purim ist auf seine Weise ein Feiertag, der Töchter, lebte bis ins hohe Alter und „starb alt für eine postmoderne Sensibilität gemacht ist: und lebenssatt“. Meine Studenten fühlen sich oft ein Feiertag der Masken, der Umkehrungen, von diesem Ende provoziert. Nachdem Gott Hiob des komischen Spottes, des Verbergens von alles weggenommen, ihn ungerecht gequält hat Gott, dessen Name in der Megilla nicht einmal und dann eine donnernde Rede aus dem Sturm erwähnt wird. Dass die Rabbinen daraus einen gehalten hat, fragen sie entrüstet, was das soll: zweiten Sinai machen, ist ein Akt hermeneutischer Eine Art versuchte Wiedergutmachung? Wie Genialität und tiefgründiger Theologie. könnte das jemals all sein Leid wiedergutmachen? Aber dieser eine Schüler sagte: Nein. Man kann Darin besteht selbstverständlich die fortwährende im Bereich der Stimme aus dem Sturm nicht Aufgabe jeder jüdischen Theologie, den Sinai weiterleben. Man muss wieder ins tägliche Leben fortzusetzen. Auf die berühmte Schlüsselszene zurück. Man muss sich an die Stimme erinnern, sich am Sinai mit Donner, Blitz und der Stimme vom von ihr verwandeln lassen, aber man muss wieder Himmel folgt in der biblischen Erzählung eine in den Alltag zurückkehren, in die alltäglichen Bahnen des Familienlebens. Auf stärker 6 Emmanuel Lévinas. „Esters Forderung nach einem Platz in der Bibel. Traktat Megilla 7a“ In: Stunde der Nationen. Talmudlektüren. „orthodoxe“ Art ausgedrückt würde man das als München: Fink Verlag, 1994. 27-57. den „Willen Gottes“ bezeichnen. Der göttliche
Wille muss sich zeigen und in den Kleinigkeiten 12 des täglichen Lebens bedacht werden. 13 Wo sonst sollte er sich zeigen? Wo sonst sollten wir einen Mischkan, eine heilige Wohnung für Gott, errichten, wenn nicht in den Bereichen des Lebens, die für das begrenzte menschliche Dasein am wichtigsten sind: Essen, Wohnen, Kleidung, Sex, Wirtschaft? Unsere jüdische postmoderne Welt ist auch eine Nach-der-Schoa-Welt, eine Nach-dem-Sturm-Welt. Und die hermeneutischen Theorien der Postmoderne haben uns geholfen, die Radikalität der rabbinischen Arten des Lesens und Wiederlesens neu zu entdecken. Diese Einsichten bestärken mich auf meinem eigenen Weg der teschuva.7 Aber es ist nicht nur im Bereich der Aggada so, dass der Mensch Partner Gottes ist; diese Partnerschaft war immer auch Teil des traditionellen halachischen Imperativs. Das ist die ganze Vorstellung von der mündlichen Tora. Es ist eine Karikatur, das klassische Konzept der „Tora Mi Sinai“ als etwas zu beschreiben, das von einem diktatorischen Gott zu Lasten der menschlichen Autonomie erlassen wird. 7 Ein traditioneller rabbinischer Begriff für Umkehr.
Eine dynamische Bundesgeschichte Exodus 19,1-8 Marianne Grohmann Ex 19,1–8 eröffnet die vordere Sinaiperikope (Ex und Erklärungsversuchen.3 Die Verse Ex 19,1.2 19-24) und ist wie der gesamte Text „erzählende werden meistens der Priesterschrift (oder einer Theologie“.1 Die Verse leiten einen Abschnitt ein, priesterlichen Bearbeitung) zugeordnet, die in dem es um einen „Dreiklang“ von zentralen ein besonderes Interesse an Datierungen hat Themen geht: Theophanie (Gotteserscheinung), und damit die folgende, wohl vorpriesterliche Gabe der Tora und Bundesschluss. Narrativ- Erzählung eröffnet.4 erzählende Abschnitte und Tora, Gebotstexte, sind Viel diskutiert wurde über die Formulierung ineinander verwoben. Die Beziehung zwischen der Zeitangaben: „im dritten Monat/Neumond JHWH und Israel mit Mose als Mittler wird als (hodæš) nach dem Auszug aus Ägypten“ und „an dynamisches Geschehen dargestellt.2 diesem Tag“ „ an demselben Tag“ / „ auf den Tag genau.“ Es besteht ein offensichtliches Interesse V. 1-2: Das Datum der Ankunft am Sinai: daran, den Tag zu datieren, aber es ist nicht 1Am dritten Neumond (hodæš) nach dem Auszug eindeutig, welcher Tag genau gemeint ist. Eine der Israelitinnen und Israeliten (benê-yiśrā'el) aus Möglichkeit ist, das hebräische Wort hodæš nicht dem Land Ägypten, an genau diesem Tag kamen als „Monat“, sondern als „Neumond“ zu verstehen sie in die Wüste Sinai. 2Sie brachen auf von Refidim (vgl. z. B. die Übersetzung der Zürcher Bibel: und kamen in die Wüste Sinai und lagerten sich in „Am dritten Neumondstag“). Der Neumond des der Wüste; und Israel lagerte sich dort dem Berg dritten Monats nach dem Auszug aus Ägypten gegenüber. bringt die Ankunft am Sinai mit dem Wochenfest Die Ankunft der Israelitinnen und Israeliten am in Verbindung, das nach Lev 23,15-17 sieben Fuß des Sinai ist ein wichtiges Gründungsereignis Wochen bzw. 50 Tage nach Pessach gefeiert wird. für das Volk Israel, weil es um die Gabe der Raschi interpretiert die Formulierung „an diesem Tora geht. Auffallend ist die Doppelung: Tag“ mit der ständigen Neuheit und bleibenden Zweimal (sowohl in V. 1. als auch in V. 2) wird Aktualität der Tora: „An demselben Tag? Es berichtet, dass die Israeliten „in die Wüste hätte heißen müssen: An jenem Tage. Das kann Sinai kamen“. Diese Doppelung gibt Anlass nur bedeuten, dass der Tag, an dem die Tora zu vielfältigen literarkritischen Diskussionen 3 Auf die komplexen literarkritischen Probleme von Ex 19 kann ich hier nicht eingehen. – Vgl. dazu neben den gängigen Kommentaren Oswald, Wolfgang. Israel am Gottesberg. Eine Untersuchung zur Literaturgeschichte der vorderen Sinaiperikope Ex 19-24 und deren historischem Hintergrund (OBO 159). Freiburg/Göttingen 1998; Gertz, Jan Christian. Tradition und Redaktion in der Exoduserzäh- lung. Untersuchungen zur Endredaktion des Pentateuch (FRLANT 186). Göttingen 2000; Berner, Christoph. Die Exoduserzählung. Das literarische Werden einer Ursprungslegende Israels (FAT 73). Tübin- gen 2010. 4 Vgl. Albertz, Rainer. Exodus 19-14 (ZBK.AT 2.2). Zürich 2015. 33-34. 1 Vgl. Blum, Erhard. Studien zur Komposition des Pentateuch. Berlin/ Crüsemann, Frank. Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des New York 1990. 47. alttestamentlichen Gesetzes. München 1992. 63-64, beurteilt die 2 Für Korrekturen und Anregungen bei der Arbeit an diesem Artikel Erzählung in Ex 19,3ff als deuteronomistisch, ordnet sie aber nicht danke ich Arnim Janssen, Elisabeth Oberleitner und Sarah Wendelin. vor P, sondern gleichzeitig zu P ein.
übergeben wurde, nie vergehen kann; jener Tag Der Text enthält also – mindestens – eine 14 ist heute, ist jeden Tag. Was immer wir in der Tora Leerstelle: Sind die Frauen bei diesem zentralen 15 lesen, es muss für uns sein, ‚als wäre sie uns heute Ereignis des Bundesschlusses zwischen Gott gegeben worden.‘“5 und Volk Israel dabei oder nicht? Auf diese Lücke So wie die Zeitangaben sind auch die macht Judith Plaskow aufmerksam: „Im zentralen Ortsangaben theologisch: Der Ankunftsort Augenblick der jüdischen Geschichte sind die „Wüste Sinai“ findet sich im Exodusbuch nur hier. Frauen unsichtbar.“10 Judith Plaskow geht es Gottesberg- und Wüstenwanderung-Traditionen in ihrem Entwurf einer jüdisch-feministischen werden damit verbunden. 6 Der Name des Ortes Theologie im US-amerikanischen Kontext darum, Refidim hängt mit der Wurzel rpd „(das Lager) das „Territorium des Schweigens“ über Frauen ausbreiten/aufschlagen“ zusammen, ist also ein und ihre Erfahrungen zu erforschen. Frauen programmatischer Name. Die Lokalisierung dieser sind gewohnt, sich selbst in die männlichen letzten Station auf der Wüstenwanderung ist nicht Geschichten hineinzulesen, die Lücken im Tanach eindeutig. 7 Die Israelitinnen und Israeliten lagern und in der rabbinischen Literatur automatisch zu in der Wüste und erleben die Theophanie nur von füllen: Ferne. Mose steigt immer wieder auf den Berg, um „Wenn wir von Abraham reden, wenn mit Gott zu reden, und gibt seine Worte an das wir von den großen Ereignissen am Sinai Volk weiter. erzählen, suchen wir nicht nach uns selbst in den Erzählungen, sondern setzen unsere V. 3: Männer und Frauen am Fuß des Sinai Gegenwart voraus, indem wir die Lücken in 3Mose stieg hinauf zu Gott. Und JHWH rief ihm den Texten mit schattenhaften Frauengestalten vom Berg aus zu: So sollst du zum Haus Jakobs (bêt bevölkern.“11 yaaqob) sagen und den Israelitinnen und Israeliten Die Leerstelle, ob die Frauen gemeinsam mit den (benê-yiśrāel) mitteilen: Männern am Sinai stehen, wird in der jüdischen Die Wiedergabe von benê-yiśrāel mit Tradition nicht erst von modernen Feministinnen „Israelitinnen und Israeliten“ hier und in V. 1.6 empfunden, sondern schon in mittelalterlichen ist ein Versuch einer geschlechtergerechten Auslegungen. Die Abwesenheit der Frauen am Übersetzung.8 Wird benê-yiśrāel aber ganz Sinai ist für sie offensichtlich undenkbar. So gibt wörtlich mit „Söhne Israels“ übersetzt und Ex es bereits im Midrasch Schemot Rabba einen 19,15 dazu gelesen, wo explizit nur die Männer interessanten Versuch, die Lücke zu füllen: angesprochen sind – „Er [Mose] sprach zum Volk: „‚So sollst du sprechen zum Haus Jakobs‘: Das Seid bereit in drei Tagen und berührt keine Frau“ sind die Frauen. Er [Gott] sagte zu ihm [Mose]: –, dann ergibt sich hier eine Leerstelle, auf die Sage ihnen die Hauptsachen der Dinge, die jüdische Feministinnen hingewiesen haben: Nach sie hören können. ‚Und sagen zu den Söhnen diesem Vers sind wohl mit dem Volk doch nur Israels‘: Das sind die Männer. Er sagte zu ihm: die Männer gemeint.9 Kontext ist die kurzzeitige Sage ihnen die Genauigkeiten der Dinge, Unreinheit nach Geschlechtsverkehr, ein Zustand, die sie hören können. Eine andere Erklärung: der sich nicht mit dem Heiligen verträgt, der aber Warum den Frauen zuerst? Weil sie sich bei den keine moralische Wertung enthält und der Mann Geboten beeilen. Eine andere Erklärung: Damit und Frau betrifft. Die Perspektive ist in Ex 19,15 sie ihre Söhne zur Tora führen.“12 nicht auf beide Geschlechter, sondern nur auf die In Pirke de Rabbi Eli‘ezer, einer Art „rewritten Männer gerichtet. Bible“ aus dem 8. oder 9. Jahrhundert,13 ist ebenfalls die Gegenwart der Frauen am Sinai 5 Raschi zu Ex 19,1; zitiert nach: Dessauer, Julius. Thora. Die fünf Bü- selbstverständliche Voraussetzung: cher Mosche mit wortgetreuer Übersetzung nebst dem Raschi-Com- mentare, Schemot. Tel Aviv 1962. 160. 10 Plaskow, Judith. Und wieder stehen wir am Sinai. Eine jüdisch-fe- 6 Vgl. Albertz, Exodus 19-40. 39. ministische Theologie. Luzern 1992 (San Francisco 1990). 51; ebd.: 7 Vgl. Gies, Katrin. Art. Refidim, in: Das Wissenschaftliche Bibel- „Denn hier, genau in dem Moment als das jüdische Volk am Sinai lexikon im Internet (www.wibilex.de). Stuttgart 2013 (Zugriffsdatum steht und bereit ist, den Bund zu empfangen – [...] genau in diesem 27.12.2020). Moment, als Israel zitternd dasteht und darauf wartet, daß Gottes Gegenwart auf den Berg herabkommt, spricht Moses die Gemein- 8 Eine andere Möglichkeit wäre die Übersetzung mit „Kinder Israels“. In schaft nur als eine Gemeinschaft von Männern an.“ der Bibel in gerechter Sprache, ed. Ulrike Bail u. a. Gütersloh 2006, wird mit „Israel“ übersetzt. 11 Plaskow, Und wieder stehen wir am Sinai. 25. 9 So sieht sich z.B. Athalya Brenner nicht als Adressatin dieses Textes 12 SchemR 28 zu Ex 19,2, Übersetzung MG nach Midrasch Schemot angesprochen: vgl. Brenner, Athalya. An Afterword: The Decalogue – Rabba 2, ed. Mirkin. Tel Aviv 1960. 18. Am I an Addressee?, in: dies. (ed.). A Feminist Companion to Exodus 13 Vgl. Stemberger, Günter. Einleitung in Talmud und Midrasch. Mün- to Deuteronomy (FCBib 6). Sheffield 1994. 255-258: 256. chen 71982. 298-299.
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