AKRÜTZEL Jenas führende HochschulZeitung seit 1989 - Akrützel

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AKRÜTZEL Jenas führende HochschulZeitung seit 1989 - Akrützel
AKRÜTZEL
     Jenas führende HochschulZeitung seit 1989

HU R R A  !         E N !
     L I C H WA H L
END

               -
    Mit Stulraage
   Wahlbei

                             Nummer 410 I 17. Juni 2021 I 32. Jahrgang I www.akruetzel.de
2 / Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,                                                      Inhalt
die universitären Gremienwahlen stehen an und die ganze Stadt
freut sich wie Bolle. Auch in unsere kargen Redaktionsräume
schwappt ein Hauch von Lebensfreude. Endlich muss der              04   DA HABEN WIR DIE BOLOGNESE
Chefredakteur den Abend, bevor das Heft in den Druck geht,              Die Bologna-Reform: Vollkatastrophe oder
nicht mehr alleine vorm zu füllenden Editorial-Weißraum sitzen          Erfüllung feuchter Akademikerträume?
und kann die Textbausteine mit seinem aktiven, motivierten
und engagierten Team zusammenklöppeln. „Schreib doch mal           07   UNI MIT ANHANG
was zu den Gründern“, ruft Leo aus dem 90er-Jahre-Drehstuhl.            Wie es sich mit Nachwuchs studiert.
Gründen. Gründen. Gründen. Für 24 Euro am Tag kann man in
Jena einen Schreibtisch mieten. Bei uns gibts für 23 Euro sogar
                                                                   08   WAS MACHEN DIE EIGENTLICH?
noch eine versiffte Couch dazu. Nur Erfolgsgeschichten haben
                                                                        Wie der Stura in der letzten Wahlperiode
wir keine. Wir versprechen, auch wenn wir nicht gewählt
                                                                        gearbeitet hat.
werden können: Ganz bald wird alles besser.
Lukas stürmt in das neonlichtdurchflutete Büro: „Hast du das
                                                                   10   REVOLUTION ODER
mit dem Hundemörder gelesen? Ist ja echt wild!“ Stille. „Aber
                                                                        KONFORMISMUS
Wahlen stehen an“, mahnt der Chefredakteur, der gern in
                                                                        Kommentar zur Wahl-Podiumsdiskussion.
der dritten Person von sich schreibt: „Sie sind der Urankern
unserer verfassten Studierendenschaft, sie sind der Holzstiel im
Kaktuseis, sie sind der leicht verbrannte Croûton im Thüringer     12   WAHLBEILAGE
                                                                        Nicht unser Bier.
Kloß.“ Ohne Wahlen gäbe es keinen Stura, und ohne Stura gäbe
es niemanden, der den Campusmedien das Geld entziehen kann.
Also ran an die Urne, ihr Freaks!                                  18   BOCK ZU GRÜNDEN?
Manche meinen ja, der Stura wäre sinnlos, Kindergarten, ein             Wer braucht schon Musik und Drogen, wenn er

illegitim gewähltes Phantomgremium und bestünde nur                     auch gründen kann?

aus Florian Rappen. Aber dem ist nicht so. Es gibt auch noch
Rappens Freunde.                                                   20   WEGEN DER PAAR AMEISEN
Wenn ihr jetzt Bock habt, zu gründen: Wie wäre es mal mit               Eine Alltagsbeobachtung.

einer Stura-Liste?
                                                Die Redaktion      21   KLASSIKER
                                                                        Diesmal: Ukulele.

           Ihr habt heimlich                                       22   FISCHERMAN´S FRIENDS

         zwei Professoren auf                                           Vorletzte kultige Ausgabe unserer neuen
                                                                        kessen Kultkolumne.

          Ibiza gefilmt, einen
         Leitz-Ordner mit den                                      24   ZU VINO SAG ICH
                                                                        Mit dem Studierendenwerk-Boss Ralf Schmidt-

         Paradies-Park-Papers                                           Röh.

          oder wollt nur mal
           auf ein Coverfoto?
  Meldet euch unter: redaktion@akruetzel.de
/3

                                                                                                                                                                       DIESES UND JENAS
                                              Gemütlich                                   Erfolgreich                                 Hygienisch

                                   Im Rahmen eines langfristigen Pro-          Das chinesisch-ukrainische Team, das        Seit kurzem werden ausgewählte Toi-
                                   jektes sollen ungenutzte Flächen in den     für die Uni Jena bei der 20. Deutschspra-   letten auf dem Unicampus versuchswei-
                                   Gebäuden der EAH umgestaltet und da-        chigen Debattiermeisterschaft antrat, hat   se mit Tampons und Binden ausgestat-
                                   durch aufgewertet werden. Dazu gehört       den Wettbewerb im Bereich Deutsch als       tet, die von der Universität kostenlos
                                   unter anderem auch der Raum vor dem         Fremdsprache gewonnen. Bei Debatten         zur Verfügung gestellt werden. Die Uni
                                   Stura-Büro, der bisher leer stand. Dafür    um Themen wie personenbezogene Wis-         Jena ist damit eine der ersten Univer-
                                   werden Gelder aus dem Haushalt der          senschaftsförderung oder Effekte einer      sitäten in Deutschland, die nach schot-
                                   Studierendenschaft und der Hochschu-        Ampel-Koalition konnten sich Roman          tischem Vorbild handelt und sich für
                                   le investiert. In einer Kooperation mit     Wanusch, Jun Wang und Yang Zhu, die         die Bereitstellung kostenfreier Damen-
                                   der Bauhausuni in Weimar wurde für          regelmäßig in der Jenaer Debattierge-       hygieneartikel einsetzt. Die Idee kam
                                   die Architekturstudiengänge ein Modul       sellschaft an ihren Argumentationen fei-    vom Studierendenrat und soll zur Ent-
                                   geschaffen, in dem sich die Studieren-      len, gegen alle weiteren Teams durch-       stigmatisierung der Menstruation bei-
                                   den mit der Umgestaltung ungenutzter        setzen. Bereits in den Jahren 2017, 2018    tragen. Für die Universität ist der Mo-
                                   Flächen beschäftigen, sodass beide Sei-     und 2020 konnten die Jenaer Teams die       dellversuch ein weiterer Schritt zur
                                   ten davon profitieren. Das Projekt läuft    Meisterschaft gewinnen. Es zahlt sich       Geschlechtergerechtigkeit, die auch im
                                   noch, die Umgestaltung des Raumes vor       also aus, dass die Mitglieder mehrmals      neuen Leitbild verankert wurde. Wenn
                                   dem Stura-Büro wurde aber bereits fer-      wöchentlich üben: montags auf Eng-          es einen wertschätzenden Umgang mit
                                   tig geplant und soll bis zum nächsten Se-   lisch, dienstags auf Deutsch und mitt-      den Hygieneartikeln gibt, sollen sie dau-
                                   mester fertiggestellt werden.               wochs für Deutsch als Fremdsprache.         erhaft bereitgestellt werden.

                                             Physikalisch                                 Alkoholisch                         Gegendarstellung zum Artikel:
                                                                                                                             „Dann nehmen wir es halt von den
                                                                                                                              Studierenden“ in Akrützel Nr. 409
                                                                                                                                 des Goldene Zwanziger e.V.

                                                                                                                           Anzumerken ist, dass das Ziel der Hauptwohnsitz-
                                                                                                                           kampagne zu keinem Zeitpunkt war, viele Likes
				                                                                                                                       oder Follower zu generieren. Die Social-Media-
                                   Die Jenaer Innenstadt ist 2021 als Hi-      Am 05. Juni wurde kurz nach Mitter-         Kanäle dienten im letzten Jahr nur als unterstüt-
                                   storische Stätte der Physikgeschichte       nacht ein E-Scooter-Fahrer angehalten       zende Maßnahme, um zusätzliche Aufmerksam-
                                   ausgezeichnet worden. Die European          und kontrolliert. Während der Kontrolle     keit und Aufrufe der Hauptwohnsitz-Webseite zu
                                   Physical Society möchte damit die Auf-      stellten die Beamten Alkoholgeruch bei      erlangen. Und dass dies gut gelungen ist, zeigen
                                   merksamkeit auf die vielen historischen     dem 21-jährigen fest. Daraufhin wurde       die (unter anderem auf der Pressekonferenz im
                                   Gebäude und Einrichtungen im Stadt-         ein Atemalkoholtest durchgeführt, der       Dezember 2020) veröffentlichten Zahlen. Der Er-
                                   zentrum lenken, in denen zahlreiche be-     einen Blutalkoholwert von 1,51 Promil-      folgsindikator der Kampagne misst sich letztend-
                                   deutsame physikalische Entdeckungen         le ergab. Die Weiterfahrt wurde unter-      lich daran, wie viele Personen ihren Hauptwohn-
                                   gemacht wurden. Dass die Innenstadt         bunden. Ähnlich erging es zwei Män-         sitz angemeldet haben. Im Kampagnenzeitraum
                                   durch ihre Vergangenheit geprägt wurde,     nern genau eine Woche später. Auch sie      des letzten Jahres waren dies 1.656 Personen. Das
                                   zeigt sich am ehemaligen Zeiss-Haupt-       wurden bei einer nächtlichen Fahrt mit      ist, trotz der vielen pandemiebedingten Einschrän-
                                   werk, das heute als moderner Unicam-        E-Scootern kontrolliert und einem Al-       kungen, wie beispielsweise der weggefallenen drei-
       Piktogramme: Julia Keßler

                                   pus fungiert, genauso wie an den klei-      koholtest unterzogen. Auch diese bei-       wöchigen Campus-Promotion, der fehlenden Pla-
                                   nen Emaillegedenktäfelchen, die überall     den wiesen zu hohe Blutalkoholwerte         kate und Hauptwohnsitzparty sowie des deutlich
                                   verstreut über wichtige Persönlichkeiten    auf. Die Polizei weist darauf hin, dass     reduzierten Budgetumfangs im Vergleich zu den
                                   informieren. Bei einem Spaziergang          E-Scooter Kraftfahrzeuge im Sinne des       vorherigen Jahren, sehr gelungen. Um eine Ent-
                                   können Interessierte also an verschie-      Straßenverkehrsgesetzes sind und des-       wicklungsbilanz der Kampagne ziehen zu kön-
                                   densten Stellen so einiges über die Je-     halb die gleichen Alkoholgrenzwerte gel-    nen, sollten ebenfalls die Zahl der rückläufigen
                                   naer Physikgeschichte lernen.               ten wie beim Führen eines PKW.              Einwohnerentwicklung der Stadt, aber auch die
                                                                                                                           besonderen Umstände des letzten Jahres, wie zum
                                                                                                          Julia Keßler     Beispiel das durchgeführte Online-Semester und
                                                                                                                           die fehlenden internationalen Studierenden be-
                                                                                                                           rücksichtigt werden.
DA HABEN WIR
           /4

       DIE BOLOGNESE
                        Der Bologna-Prozess erntet seit über 20 Jahren
                      Gezetere und Kritik. War die Hochschul-Reform der
                         Untergang des akademischen Abendlandes?

Mhmm, schön billig.
Foto: Tim Große
Uni & Stadt / 5

D
         ie italienische Universitätsstadt   wie Andi erhöhen. In der Praxis ist jedoch    Ende des Studiums stand eine Magister-
         Bologna kann Pasta. Die Lasagne     nicht jeder Glanz gleich Gold und so dis-     prüfung, die die Note des Studienabschlus-
         kommt von hier. Ebenso die Tor-     kutieren zahlreiche Akteure auch 20 Jah-      ses bestimmte. Vorteilhaft war, dass Birgit
tellini, Tagliatelle und natürlich die Bo-   re nach dem folgenreichen Treffen der         mehr Zeit hatte, in das System hineinzu-
lognese-Soße. Aber kann Bologna auch         Bildungsminister:innen, wie sehr dieses       wachsen. Jedoch wurde dieser Punkt auch
Uni?                                         Ziel erreicht wurde oder eben nicht.          viel kritisiert, da es einen hohen punktu-
  Bologna ist komplex. Zum besseren Ver-       Die Reform brachte den Studierenden zu-     ellen Druck ausübte. Die zweite Seite der
ständnis kämpfen sich in diesem Text zwei    nächst eines: Unsicherheit. Das Internatio-   Medaille war aber, dass Birgit im Magister
Studierende durch den akademischen Re-       nale Büro freute sich jedenfalls über zahl-   höchstens vier Prüfungen pro Semester
form-Dschungel: Birgit studierte noch in     reiche Anfragen. Thomas Klose, stellvertre-   ablegte - ein Pensum, das Andi auch mal
der Prä-Bologna-Ära den Magister, Andi in    tender Leiter der zentralen Studienbera-      in einer Woche erbringen muss.
der Bologna-Epoche Bachelor und Master.      tung, bestätigt auch, dass durch die Reform
  Wir schreiben das Jahr 1988. Die Uni-      Auslandsaufenthalte zunächst zurückge-
versität Bologna feiert ihren 900. Ge-       gangen sind - eine kontraproduktive Ent-
burtstag. Zur Party kommen fast 400          wicklung. Ein Problem sei das Zeitempfin-
Universitätspräsident:innen aus aller Welt   den: Andi beschäftigt, wie er seinen Aus-        „Das System war
und unterschreiben die Magna Charta Uni-     landsaufenthalt mit den neuen Regelstu-
versitatum, welche die Freiheit und Ein-     dienzeiten von sechs (Bachelor) oder vier      insgesamt schwer zu
heit von Lehre und Forschung betont. Die-
se Charta sollte zu einem Ausgangspunkt
                                             (Master) statt neun Semestern vereinba-
                                             ren kann. Die Einteilung in Bachelor und
                                                                                                 verstehen.“
für den Bologna-Prozess werden. 11 Jahre     Master bedeutet eine gefühlte Kürzung der
später: diesmal ohne Party, dafür mit 29     verfügbaren Zeit, was Auslandsaufenthalte       Das Leistungspunktesystem ECTS star-
europäischen Bildungsminister:innen. Sie     schwieriger planbar macht. Birgit musste      tete an der FSU im Jahr 2005. Das Euro-
unterzeichnen in der Aula Magna der älte-    mit diesem Problem nicht kämpfen. Für         pean Credit Transfer and Accumulation
sten Universität Europas eine gemeinsame     sie bot sich ein Auslandsaufenthalt meist     System erleichtert für Andi die Vergleich-
Erklärung zum europäischen Hochschul-        nach der Zwischenprüfung an, da zu die-       barkeit seiner Studienleistungen. Er leistet
raum: Die Bologna-Reform war geboren.        sem Zeitpunkt noch genügend Zeit für die      seitdem im Normalfall 30 Leistungspunkte
  Doch: Was sollte das überhaupt? Zuerst     Abschlussprüfung blieb.                       pro Semester, wobei Andi für jeden Lei-
einmal bedeutete es die europaweite Har-                                                   stungspunkt - zumindest theoretisch - 30
monisierung der akademischen Ausbil-              Es war nicht alles schlecht              Arbeitsstunden ackern muss. Eine zentra-
dung. Im Zuge der Reform wurden die                                                        le Umstellung für die FSU bedeutete auch,
Magister- und Diplom-Studiengänge abge-      Wie war sie denn, diese sagenumwobene         dass seit Bologna die Studiengänge extern
schafft und das Bachelor- und Master-Sys-    Zeit vor Bologna? Nun, vor allem anders.      begutachtet werden - Stichwort Qualitäts-
tem eingeführt, nach dem heute gut 75 Pro-   Technisch ausgerichtete Studiengänge          management. Zuletzt hatte die Bologna-Er-
zent der Studierenden ausgebildet werden.    schlossen mit einem Diplom ab, während        klärung das Ziel gesetzt, die Mobilität von
Lediglich medizinische und rechtswissen-     Studierende in den Geisteswissenschaften      Studis wie Andi zu verbessern.
schaftliche Studiengänge wurden bis heu-     einen Magister erwarben. Sie wählten hier-      Die FSU begann im Jahr 2005 - gestaffelt
te nicht reformiert und bilden die Studie-   für ein Hauptfach und zwei Nebenfächer.       nach Fakultäten - mit der Modularisie-
renden außerhalb des Systems aus. Das Je-    Birgit genoss ihr Studium noch an einem       rung der Studiengänge. Im Jahr 2010 wur-
naer Modell der Lehrer:innenbildung ist      Stück. Trotz einer Zwischenprüfung nach       den die letzten Studiengänge akkreditiert
auch auf die Reform zurückzuführen. Es       dem Grundstudium erlangte sie ihren er-       und die Umstellung damit abgeschlossen.
wurde modular gestaltet, führt aber noch     sten Hochschulabschluss also erst nach
heute zum Staatsexamen - ein Sonderfall      üblicherweise neun Semestern mit einer              Keiner weiß mehr, wie es
in der Studienorganisation.                  gewaltigen Abschlussprüfung.                              vorher war
                                              Während des Studiums musste Birgit fünf
                                             Leistungsnachweise erbringen, das konn-       Andis Generation hat keinen Plan, wie das
                                             ten Hausarbeiten oder Referate während        Studium vor Bologna war. Torsten Oppel-
                                             eines Seminars sein. Außerdem musste          land hingegen lehrt seit 1993 an der FSU.
       Zur Party                             sie Teilnahmescheine erwerben, um zu          Bei allen Umwälzungen durch die „Bolo-
                                             verdeutlichen, dass sie sich mit dem Stoff    gna-Revolution“, wie manche die Reform
   kommen fast 400                           während des Studiums auseinanderge-           auch prätentiös betiteln, bemerkt der Di-
   Unipräsident:innen                        setzt hatte. Thomas Klose von der Studi-
                                             enberatung erinnert sich: „Der Stunden-
                                                                                           rektor des Instituts für Politikwissenschaft
                                                                                           jedoch kaum Auswirkungen auf seinen
     aus aller Welt.                         plan war immer ein großes Problem. Es         Arbeitsalltag als Dozent. „Der wichtigste
                                             gab keine Musterstudienpläne und das          Unterschied ist vielleicht der höhere Grad
                                             System war insgesamt schwer zu verste-        an Standardisierung.“ Andi benötigt heute
  Durch die internationale Vergleichbar-     hen. Im September und Oktober standen         die Chance, Prüfungen in späteren Seme-
keit der Studienleistungen sollte der Bo-    die Leute bei uns Schlange.“                  stern nachzuholen. Negativ bewertet der
logna-Prozess einen einheitlichen euro-        Die Note setzte sich damals - im Gegen-     Professor vor allem den wachsenden Prü-
päischen Hochschulraum schaffen und          satz zum modularen System heute - nicht       fungsdruck durch mehr Modulklausuren
so die internationale Mobilität für Studis   aus mehreren Leistungen zusammen. Am          pro Semester. „Asche auf unsere Häupter
6 / Uni & Stadt

– das hat auch etwas damit zu tun, dass es   erschwert eine studienfachübergreifen-       lieber wie Birgit langes ruhiges Fahrwas-
 Lehrenden schwerfällt, die Prüfung im ei-   de Orientierung – den berühmten Blick        ser mit einem Tsunami und monatelanger
 genen Bereich für weniger wichtig oder      über den Tellerrand.“                        sozialer Schreibtisch-Isolation am Ende
 gar verzichtbar zu halten und abzuschaf-                                                 des Magister-Studiums?
 fen“, so Oppelland.                                                                        Ist Bologna nun geglückt oder geschei-
   Der erste berufsqualifizierende Hoch-                                                  tert? Thomas Klose von der Studienbera-
 schulabschluss – auch Bachelor genannt                                                   tung möchte sich nicht festlegen: „Mit Bo-
– bietet viel Licht und Schatten. Wenn die    Während Andi schon                          logna gab es Träume, die sich erfüllt ha-
 Anglistik-Studentin erst im sechsten Se-                                                 ben, und solche, die sich nicht erfüllt ha-
 mester ihre Abneigung für Sprachen fest-      im ersten Semester                         ben.“ Er empfiehlt, die Prä-Bologna-Ära
 stellt, kann sie bis zum ersten Abschluss
 noch die Zähne zusammenbeißen und
                                                Höchstleistungen                          auch weiterhin kritisch zu betrachten:
                                                                                         „Es war nicht das gelobte Land.“ Zwar sei
 im Master zur Bioinformatik wechseln.           erbringen muss,                          unklar, was denn nun der angestrebte ge-
 Für den Psychologie-Studenten bedeu-                                                     meinsame europäische Hochschulraum
 tet das Bachelor-Studium indessen einen        konnte Birgit noch                        sei. Gleichzeitig ist der Wechsel des Stu-
 erbarmungslosen Notenkampf um einen                                                      diengangs - national wie international -
 Master-Platz.
                                              mit langen Nächten                          ohne Zweifel einfacher geworden.
                                                und einigen Sterni                          FSU-Präsident Walter Rosenthal relati-
           Lehre am Limit?                                                                viert die Kritik an Bologna ebenso: „Die
                                              im Para ins Studium                         Abschlüsse der deutschen Universitäten
Aber welches System ist nun besser? Wie                                                   haben noch immer den gleichen hohen
so oft sind die Änderungen durch Bologna          reinwachsen.                            Stellenwert – im Inland wie im Ausland.
eine Frage der Perspektive. Die Reform                                                    Stattdessen hat Bologna wichtige Impulse
hat das Studium zumindest transparenter                                                   für die Weiterentwicklung der Hochschul-
gemacht. Die Lernziele der Module sind         Kritiker:innen monieren mit Bologna        systeme in Europa gegeben und der In-
nun ebenso klar wie die Inhalte und öf-      den Abschied vom Bildungsideal Wilhelm       ternationalisierung neue Möglichkeiten
fentlich einsehbar. Im Rahmen der Qua-       von Humboldts, in dem die ganzheitliche      eröffnet.“
litätssicherung hat Andi zudem an Ein-       Ausbildung und die Idee der Einheit von        Um Bologna wird viel Drama gemacht.
fluss gewonnen und kann sich mit seinen      Forschung und Lehre im Vordergrund           Rosenthal hält davon nichts: „Der Unter-
Kommiliton:innen aktiv an der Evaluati-      stehen. Der Bologna-Prozess zielte hinge-    gang des Abendlandes, der mit der Über-
on und Verbesserung seines Studiengangs      gen darauf ab, möglichst schnell die „Ar-    führung der Diplome in das angelsäch-
beteiligen. „Die Umstellung auf Bachelor     beitsmarkteignung” von Andi herzustel-       sische Bachelor/Master-System ausgeru-
und Master war anstrengend und wie alle      len. Die geistige Entwicklung junger Men-    fen wurde, hat nicht stattgefunden.“ Die
Universitäten stöhnen auch wir über die      schen wird damit von einem normativen        Erfolge sind da, doch bleiben auch Pro-
Anforderungen für die Systemakkreditie-      Wert zur kapitalistischen Ware.              bleme. Andi wird das Ende des Bologna-
rung“, so Walter Rosenthal, Präsident der      Der gewachsene Prüfungsdruck ist eine      Prozesses während seines Studiums ver-
FSU. Doch bringt die detailliertere Ord-     Konsequenz von Bologna: Alle Noten zäh-      mutlich nicht mehr erleben. Auch über 20
nung der Studiengänge für die Geschichts-    len. Während Andi schon im ersten Se-        Jahre nach dem Treffen in der Stadt der
studentin mehr Orientierung oder mehr        mester Höchstleistungen erbringen muss,      Lasagne tut der Prozess, was ein Prozess
Knebelung? Was für den Germanisten           konnte Birgit noch mit langen Nächten        eben tut: Er verändert. Der FSU-Präsident
die helfenden Leitplanken auf dem Weg        und einigen Sterni im Para ins Studium       bestätigt: „Wir sind noch mittendrin.“
zum Abschluss sind, mögen für die Sozi-      reinwachsen. Bevorzugt Andi seinen per-
ologin der modularisierte Käfig des ei-      manenten subtilen Leistungsdruck mit                            Lukas Hillmann und
genen Studienfachs sein. Präsident Ro-       mehreren Bugwellen über das gesamte                                Leonard Fischer
senthal bestätigt: „Die Bologna-Reform       Bologna-Studium hinweg? Oder hätte er

                                                                                                                               Anzeige
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Überforderung kennen wir                        Gesprächs passt ihre Schwester auf das          leistungsstärkste Rechner mal heiß läuft,
vermutlich alle. Doch wie                       Nesthäkchen, die eineinhalbjährige Ra-          berichtet auch Charlotte von Momenten, in
                                                chel, auf. Ihre Familie stütze und fede-        denen sie eigentlich mal gar nichts mehr
ist es, wenn im eigenen noch                    re so einiges ab. Kinder im Studium zu          machen wolle.
ein anderes kleines Leben                       bekommen, sei eine bewusste Entschei-             In Momenten, in denen „typische” Stu-
unterzubringen ist? Zwei Stu-                   dung gewesen. „Ich wusste schon, was auf        dierende sich vielleicht hinlegen oder auf
                                                mich zukommt.“ Mittlerweile streitet sie        ein Bier mit Freunden treffen würden,
dierende mit Kind erzählen                      sich manchmal sogar mit ihrem Partner,          muss eben noch ein Vier-Mann-Haushalt
davon.                                          wer die Kleinen zum Mittagsschlaf bet-          versorgt, bekocht und organisiert werden.
                                                ten dürfe.                                      Charlottes Freundeskreis hat inzwischen
                                                                                                jedoch auch größtenteils Nachwuchs und
Es ist zehn Uhr morgens und während                  Wie finanziert sich so ein                 so treffen sie sich dann eben mit den Kin-
sich typische Studierende gerade aus den             Familienunternehmen?                       dern, zum Beispiel zu Spieleabenden da-
Laken schälen, toben und rollen ein paar                                                        heim bei Charlotte und ihrem Mann. Die
Hosenscheißer schon munter über den             Weniger glatt lief die Finanzierung des         Mütter, die Hannah in ihren Mutter-Kind-
Spielplatz. Die dazugehörigen Eigentü-          Baby-Projekts: Nach der Geburt von Han-         Kursen kennenlernte, waren meist älter
mer wirken teilweise etwas weniger en-          nahs älterem Sohns beantragte sie ALG           als sie und studierten auch nicht. Da habe
ergiegeladen. Charlotte Fuchs hingegen          2 und musste bis vors Sozialgericht zie-        es nicht so viele Berührungspunkte ge-
kommt mir lächelnd mit einem Bündel             hen, um ihr Recht geltend zu machen. Oft-       geben. Vom typischen Studierendenle-
am Oberkörper entgegen. Von selbigem            mals habe man in den entsprechenden             ben mit Freiheit, und Spontaneität ver-
ist – oh Wunder! – während des ganzen           Ämtern selbst nicht gewusst, wie ihr Fall       abschiedete Hannah sich sehenden Auges.
Gesprächs nicht ein Mucks zu hören.             nun zu behandeln sei: „Wenn man Stu-            Dass sie das zumindest vor der Schwan-
  Charlotte, 28, ist nicht nur zweifache Mut-   dent ist, ist die Sozialhilfe nicht wirklich    gerschaft mal ein paar Jahre lang hatte,
ter und studiert, sondern war 2017/18 auch      auf einen zugeschnitten.“ Dass die Finan-       war für Charlotte wichtig. Das würde ihr
Chefredakteurin des Akrützel. Die frohe         zierung eines Studiums mit Nachwuchs            ansonsten heute fehlen.
Botschaft, schwanger zu sein, überbrachte       schwierig werden könnte, wussten sie              Denkt man an Studierende mit Kind, fällt
sie der Redaktion, passend zur Ausgabe          und ihr Freund schon vorher. Dafür ist          einem vielleicht ein quengelndes Balg in
377 mit dem Titelthema: „Projekt Baby“.         sie zeitlich flexibler als Vollzeit-Berufstä-   einem Vorlesungssaal ein, das bei hoch-
Anfangs, erzählt sie, sei sie unsicher gewe-    tige, findet Hannah.                            konzentrierten Studierenden wahlweise
sen, ob ein Studium mit Kind zu schaffen          Während viele Studierende schon mit           ein „Ooooh, süß“ oder genervte Blicke aus-
sei. Trotzdem nahm Charlotte das Aben-          der Organisation ihres eigenen Lebens           löst. Als Lotte die kleine Alva mit in die
teuer Familie und ihre Studien (ja, richtig,    manchmal überfordert sind, scheinen             Uni nahm, reagierten ihre Dozierenden
sie studiert zwei Studiengänge parallel)        sowohl Charlotte als auch Hannah ih-            hingegen verständnisvoll. Vielleicht ist so
einfach in Angriff. Das habe echt gut ge-       ren ganzen Trupp irgendwie zu wuppen            ein Studium mit Kind doch viel weniger
klappt. Natürlich fehle mit zwei Rabauken       und trotzdem noch gute Laune zu haben.          kompliziert, als man es sich als ungebun-
manchmal die Ruhe zum Lernen. „Man              Auf die enorme Verantwortung angespro-          dener, in den Tag lebender Millennial so
muss die Zeit, die man hat, aktiv nutzen“,      chen, die so ein Kind mit sich bringt, re-      vorstellt. Für Hannah, deren Tochter ich
sagt Charlotte.                                 agieren beide mit Pragmatismus: „Man            manchmal im Hintergrund quieken höre,
  So geht es auch Hannah, 26, die mit ih-       wächst rein“, meint Charlotte, und Han-         ist es eine Frage der Perspektive: „Wenn
ren zwei Sprösslingen in Erfurt wohnt und       nah stört auch eine chaotische Wohnung          man Kinder will, dann passt es auch.“
schon im Master studiert. Gerade lerne          nicht, wenn sie dafür einen lustigen Tag
sie hauptsächlich abends. Während des           mit ihrem Rudel hatte. So wie selbst der                                 Carolin Lehmann
8 / Titel

WAS MACHEN DIE
EIGENTLICH?
 Bis zum 23. Juni haben alle Studierenden die Möglichkeit, ihre Vertreter für Stura und Senat zu
bestimmen. Wir fassen kurz zusammen, was die Aufgaben der verschiedenen Stura-Institutionen
         sind und kommentieren, wie sie diese in der letzten Wahlperiode erfüllt haben.

                                                                        Der STUDIERENDENRAT (Stura) ist das zentrale Gremium, das die
                                                                        Studierendenschaft vertritt und einmal im Jahr neu gewählt wird. Er
                                                                        tagt mindestens alle zwei Wochen und hat aktuell 35 gewählte Mitglieder
                                                                        aus allen Fakultäten. Zu den Aufgaben gehören Satzungs- und Ordnungs-
                                                                        änderungen, Finanzanträge, inhaltliche Positionierungen und Wahlen
                                                                        von Delegierten (zum Beispiel für den Corona-Krisenstab der Uni) und
                                                                        Angestellten (zum Beispiel für die Chefredaktion des Akrützel). Im letz-
                                                                        ten akademischen Jahr betrug die Anwesenheit der Mitglieder an Stu-
                                                                        ra-Sitzungen circa 75 %. Nach den vergangenen Wahlen existierte eine
                                                                        links-grüne Mehrheit. Ob diese nach den kommenden Wahlen erhal-
                                                                        ten bleibt, ist fraglich, da die Grüne Hochschulgruppe überhaupt keine
                                                                        Kandidierenden aufgestellt hat und die Emanzipatorische Linke Liste
                                                                        (Elli) nur noch an zwei Fakultäten antritt. Beide Listen begründen dies
                                                                        unter anderem mit einem unkollegialen Umgang der Alteingesessenen
                                                                        mit Neumitgliedern und fehlender Kapazitäten durch die Corona-Situa-
                                                                        tion. Die Liste mit den meisten Kandidierenden dieses Jahr ist der Ring
 Foto: Tim Große                                                        Christlich demokratischer Studenten (RCDS).

Der STURA-VORSTAND wird vom Gremium gewählt, um Verwaltungsaufgaben zu übernehmen. Er besteht aus drei Personen,
die in ihrer Funktion unpolitisch sein sollten und eine Aufwandsentschädigung von 200 Euro pro Monat erhalten. Sie sind unter
anderem dafür verantwortlich, die Stura-Sitzungen zu leiten und Materialien im Vorhinein zur Verfügung zu stellen. Der Vorstand
hat seit Herbst 2020 bereits 73 mal getagt. Da viele der Sitzungen nur eine Entscheidung bestätigen, sind sie häufiger auch sehr kurz
(bis zu unter eine Minute), im Durchschnitt hat eine Vorstandssitzung im letzten Jahr 8 Minuten und 30 Sekunden gedauert. Das
Ehrenamt ist zeit- und arbeitsintensiv, weshalb in der vergangenen Wahlperiode gleich zwei Vorstandsmitglieder nach kurzer Zeit
zurückgetreten sind. Der aktuelle Vorstand ist unpolitischer als die vorherigen, was sich auch darin zeigt, dass kaum Pressemittei-
lungen herausgegeben werden und die Außenwahrnehmung auf interne Probleme beschränkt bleibt.

Die Vorstandsmitglieder Jil Diercks und Jan Böhmer bei ihrer Arbeit im Stura-Büro. Jens Lagemann war beim Fototermin leider unterwegs.
Fotos: Tim Große
Titel / 9

                                            Der aktuelle HHV Sebastian Wenig im    Die FACHSCHAFTSRÄTE (FSRe) sind Ver-
                                                                    Finanzbüro.
                                                               Foto: Tim Große
                                                                                   tretungen für Studierende eines oder mehre-
                                                                                   rer zusammenhängender Fachbereiche ge-
                                                                                   genüber der Fakultät, Hochschule und dem
                                                                                   Stura. Sie haben 3 bis 13 Sitze, jedoch sind
                                                                                   diese nicht immer ausgefüllt, wenn zum Bei-
                                                                                   spiel nicht genügend Personen aufgestellt
                                                                                   werden oder einige zurücktreten. Das kann
                                                                                   sogar dazu führen, dass gar kein FSR Zustan-
                                                                                   de kommt. Gleich vier Fachschaften können
                                                                                   diesen Sommer keinen FSR wählen. Die Fach-
                                                                                   schaftsräte sind in Thüringen nicht gesetz-
                                                                                   lich vorgeschrieben, sondern über die Stura-
                                                                                   Satzung legitimiert und haben auch eigene
                                                                                   Geldmittel. Am bekanntesten sind sie wahr-
                                                                                   scheinlich dafür, dass sie die Ersti-Tage und
                                                                                   Fachschaftspartys veranstalten; ihr Engage-
                                                                                   ment geht zumeist aber darüber hinaus.
Als HAUSHALTSVERANTWORTLICHER (HHV) ist man beim Stura ange-
stellt und Ansprechpartner für das Gremium, aber auch für die Fachschaftsräte,
die FSR-Kom und Projekte, wie die Campusmedien. Der aktuelle HHV hat die
Stelle bereits seit mehr als fünf Jahren inne, die Einarbeitung neuer Personen                    Der Sprecher der FSR Kom, Samuel
                                                                                                 Ritzkowski im Gruppenarbeitsraum.
ist äußerst kompliziert. Die Stelle erfordert umfangreiches Wissen über Finanz-                                    Foto: Tim Große
ordnungen und Steuerrecht, weshalb es in der Vergangenheit immer wieder ge-
richtliche Verfahren gab. Auch der Landesrechnungshof stellte erhebliche Män-
gel in der Haushaltsführung fest. Der aktuelle Haushalt umfasst einen Etat von
mehr als 400.000 Euro und setzt sich aus dem Stura-Anteil des Semesterbeitrags
von derzeit 11 Euro zusammen.

Die REFERATE existieren für einzelne Themenbereiche, wobei laut der Stu-
ra-Webseite sechs von 16 Referaten unbesetzt sind. Derzeit existieren folgende
Referate: interkultureller Austausch (unbesetzt), Gleichstellungsreferat, Refe-
rat gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Hochschulpolitik (unbe-
setzt), Inneres (unbesetzt), Informationstechnologie (unbesetzt), Kulturreferat,
Lehrämter, Menschenrechte, Öffentlichkeitsarbeit, Promotionsstudierende (un-
besetzt), Queer-Paradies, Soziales, Sportreferat, studierende Eltern (unbesetzt)
und Umweltreferat.
 Coronabedingt blieb die Außenwahrnehmung der Referatsarbeit im vergange-
nen Jahr gering. Das Öffentlichkeitsreferat hat mittlerweile Instagram entdeckt
und konnte dort innerhalb kürzester Zeit respektable 1100 Follower gewinnen.
Diese PR-Arbeit scheint aber zu Lasten traditioneller Aufgaben, wie der Kom-       Die FSR-KOM, stand ursprünglich kurz für
munikation mit Medien und der Herausgabe von Pressemitteilungen zu gehen.          Fachschaftsräte-Kommunikation, ist die Ver-
In den lokalen und regionalen Medien blieb die Stura-Arbeit weitgehend unter       sammlung aller Fachschaftsräte der Universi-
dem Wahrnehmungshorizont. Das Gleichstellungsreferat stach zuletzt mit sei-        tät. Dabei hat jeder FSR eine Stimme, die durch
nem Einsatz für kostenlose Menstruationsprodukte auf Unitoiletten durch, und       eines oder mehrere Fachschaftsmitglieder
das Queer-Paradies unterstützt immer wieder queere Veranstaltungen in ganz         wahrgenommen wird. Die Entsandten tref-
Thüringen, oft auch nur mit seinem Logo. Einige Referate sind zwar aktiv, teilen   fen sich während der Vorlesungszeit einmal
ihre Arbeit aber nicht auf der Website oder im Tätigkeitsbericht mit.              im Monat, um sich untereinander auszutau-
                                                                                   schen, aktuelle Probleme zu besprechen und
                                                                                   gemeinsame Projekte zu planen. Die FSR-Kom
                                                                                   verfügt auch über eigene Mittel und kann da-
ARBEITSGRUPPEN sind einzelnen Referaten untergeordnet und beschäfti-               raus zum Beispiel Materialien kaufen, die für
gen sich mit einem konkreten Thema. Zurzeit gibt es drei: AG Haushalt, AG Haus     FSR Veranstaltungen ausgeliehen werden kön-
auf der Mauer und AG Semesterticket. Die AG Haushalt beschäftigt sich logischer-   nen. Darunter unter anderem 19 Glühweinko-
weise jedes Jahr, in Absprache mit dem Haushaltsverantwortlichen, damit, den       cher, zwei Drohnen und eine (defekte) Hüpf-
nächsten Haushalt vorzubereiten. Die AG Semesterticket besticht durch ihre         burg. Die Kom verfügt jährlich über einen
häufige Aktivität, wenn zum Beispiel das Semesterticket neu verhandelt wer-        Mitteltopf von etwa 20.000 Euro.
den muss, was fast jedes Jahr der Fall ist.
                                                                                              Ariane Vosseler und Tim Große
10 / Titel

 REVOLUTION ODER                                                                                           Kommentar

 KONFORMISMUS?
Verwaltungsorgan oder po-                     einer gemeinsamen, realpolitischen Lö-       zu sprechen. Es stellte sich aber heraus,
                                              sung interessiert? Der Jungunternehmer-      dass die meisten Fragenden nicht so un-
litisches Gremium - Eine Po-
                                              geist des RCDS traf auf die linksemanzi-     abhängig waren wie zunächst angenom-
diumsdiskussion zur Stura-                    patorische Minirevolution der Ellis. Es      men. Es wurden Fragen gestellt, die darauf
Wahl zeigt, wie stark das                     war nicht völlig klar, wieso ausgerech-      abzielten, Kandidierende aufgrund von
oberste studentische Gremi-                   net bei dem Thema „digitale Uni“ nur die-    Handlungen in der Vergangenheit zu dis-
                                              ser eine Streitpunkt identifizierbar war.    qualifizieren. Fehlende Anwesenheit bei
um in Jena gespalten ist.                     Man wurde jedoch das Gefühl nicht los,       Stura-Sitzungen, unpassender Umgangs-
                                              dass dieser Konflikt historisch gewach-      ton während der Sitzungen oder unfaire
 Hurra, endlich wieder Wahlen! Ein gan-       sen und deshalb ohne Vorwissen nicht         Verteilung von Redeanteilen sind nur ei-
 zes Jahr mussten wir warten. Ein ganzes      zu verstehen ist.                            nige Beispiele von Vorwürfen, die man
 Jahr ohne spannende Uniwahlkämpfe.             Das zweite Thema des Abends war ähn-       sich jenseits von inhaltlicher Diskussion
 Ein ganzes Jahr ohne Wahlaufforderungs-      lich emotional aufgeladen. Es wurden Ser-    um die Ohren schmiss.
 mails, die man nur zur Kenntnis nimmt,       viceleistungen des Sturas diskutiert. Auch     Dieser Konflikt lässt sich zusammen-
 um sich zwei Wochen später darüber zu        hier gab es einen breiten Konsens darü-      fassen. Es gibt zwischen den verschie-
 wundern, dass sich auch dieses Jahr der      ber, dass der Stura nahbar und für die       denen Seiten des Sturas keinen Konsens
 Wahlzettel nicht von allein ausgefüllt hat   Studierenden da sein müsse. Doch wie-        mehr, innerhalb dessen man über Inhalte
 und die Wahlbeteiligung wieder unter         der gab es einen Streitpunkt: Während        sprechen könnte. Jeder Versuch, sich über
 25% liegt. Zum Auftakt der diesjährigen      der RCDS und die Liste AEM das Geld für      konkrete Ziele oder Pläne auszutauschen,
 Wahlen wurde eine Podiumsdiskussion          eine unabhängige Rechtsberatung für Stu-     führt zu einer Grundsatzdebatte. Solche
 mit mehreren Kandidierenden verschie-        dierende nicht aufwenden wollten, wa-        Diskussionen über Herangehensweisen
 dener Listen veranstaltet. Wer diese nut-    ren die Ellis davon überzeugt, dass die-     sind wichtig, aber man sollte sich ihrer
 zen wollte, um sich das erste Mal mit The-   se für eine autonome Studierendenschaft      bewusst sein. Ob der Stura nur ein Ver-
 men und der Zusammensetzung des Sturas       notwendig sei. Und wieder kommt es zu        waltungsorgan oder ein politisches Gremi-
 zu beschäftigen, hat sich wahrscheinlich     dem selben Konflikt zwischen aufmüp-         um ist, geht der Diskussion nicht voraus,
 gefühlt, als würde er das Finale einer Se-   figem Stura als politisches Gegengewicht     sondern muss innerhalb des politischen
 rie schauen, ohne die ersten Staffeln ver-   zu den restlichen Uniorganen oder dem        Streits getroffen werden. Die jetzigen Stu-
 folgt zu haben.                              Stura als Verwaltungsorgan in Zusammen-      ra-Anwärter:innen scheinen aber diesen
                                              arbeit mit der gesamten Universität. Aber    Schritt überspringen zu wollen. Anstatt
                                                                                                                              Foto: FSU
    Jungunternehmergeist trifft               diesmal wird die historische Komponente      sich explizit mit der Rolle des Sturas zu
    auf linksemanzipatorische                 klarer: Es gab bereits eine unabhängige      beschäftigen, wird sie der Debatte voraus-
          Minirevolution                      vom Stura finanzierte Rechtsberatung, die    gesetzt. Jedem, der nicht die eigene Vor-
                                              aber im letzten Jahr aufgrund von Haf-       stellung des Sturas vertritt, wird somit die
 Am Donnerstagabend trafen sich sie-          tungs- und Finanzierungsproblemen ein-       Legitimation abgesprochen, überhaupt an
 ben Kandidaten, sogar eine Kandidatin        gestellt wurde. Im Laufe der Zeit wurde      der politischen Diskussion teilzunehmen.
 und ca. 30 weitere Menschen, die zu-         selbst denjenigen, die in den letzten Jah-   Wenn die andere Seite keine Legitimati-
 nächst schienen, als seien sie unabhän-      re keine Stura-Sitzungen verfolgt haben,     on hat, gibt es auch nichts mehr, worüber
 gige Zuschauer:innen. Neben der Eman-        klar: Es geht hier nicht um Inhalte, son-    man mit ihr diskutieren könnte und der
 zipatorischen Linken Liste (Ellis) und dem   dern um Konfliktaufarbeitung. Innerhalb      politische Konflikt wird zu einem emoti-
 Ring Christlich Demokratischer Studenten     des Sturas gibt es emotional aufgeladene     onalen Streit. Der Stura sollte sich seiner
 (RCDS), den zwei größten Listen, waren       Unstimmigkeiten darüber, was der Stura       unbestimmten Rolle bewusstwerden und
 auch Volt, die Liste 42, Aktiv, Engagiert    sein sollte. Unstimmigkeiten, die inhalt-    lernen, über sie zu reflektieren.
 & Motiviert (AEM) und der Rote Campus        liche Diskussionen unmöglich machen.
 vertreten. Das erste Thema: Digitalisie-                                                                             Johannes Vogt
 rung und Uni nach Corona. Nachdem alle        Streit über die Rolle des Sturas
 verkündeten, dass man niemanden wäh-                     zulassen
 rend und nach der Coronakrise verges-
 sen dürfe und ausgerechnet man selbst        Dieser Konflikt gipfelte gegen Ende
 diese Weitsicht hätte, kam es zur ersten     der Podiumsdiskussion darin, dass die
 Kontroverse: Wie soll sich der Stura zum     Zuschauer:innen Fragen stellen konn-
 Unipräsidium verhalten? Konsequent und       ten. Eigentlich würde man denken, dass
 aufmüpfig, für die Interessen der Studie-    gerade darin eine Möglichkeit läge, jen-
 renden oder komprommisssuchend an            seits von Grabenkämpfen über Inhalte
Titel / 11
                                                                                                 Titel / 11

STURA-BINGO
       STURABINGO
Bühne frei für das Kasperletheater der Hochschulpolitik! Vergesst Politikkabarett und gebt euch eine
Wir  haben
Dröhnung    euchWir
          Stura!  diehaben
                      besten  Phrasen
                           einige       aus
                                  Phrasen ausden
                                              der vergangenen      Sitzungen
                                                  letzten Sitzung für           zusammengetragen.
                                                                      euch zusammengetragen,    die ga-
 Schautimmer
rantiert selbstwiederkehren.
                 vorbei, wenn   ihr vorbei,
                             Schaut die Nerven   habt:
                                            wenn ihr    Zweiwöchentlich
                                                     Nerven                   dienstags
                                                             habt: Dienstag, 13.          18:15
                                                                                 Februar um 18:15Uhr.
                                                                                                  Uhr
im Seminarraum 114 am Campus; in der Vorlesungszeit alle zwei Wochen.

    „Ich habe ehrlich ge-                                              „Paragraf zwei besagt
   sagt keinerlei Ahnung.            „Wir verschwenden                 „Ich sowas
                                                                            mahne,wie:dieDie
                                                                                         Daten-
  Ich habe mich mit dem                hier sinnlos Zeit!“              schutzbestimmungen
                                                                        Studierendenschaft –
  Thema nicht auseinan-                                                      einzuhalten!“
                                                                       Ja, das  ist es im weite-
         dergesetzt.“                                                         ren Sinne.“

  „Also ich sag mal so:
   „Das‘38
  Von    ist,bis
              mit‘45
                   Verlaub,
                     haben          „Keine Nazivergleiche               „Mal sehen, welches
   der  dümmste
     auch            Antrag
            viele nichts              „Hört man
                                            bitte!“mich?“              „Bitte nichtKind
                                                                            kleine  in den Chat
                                                                                        eher
         aller Zeiten““
          gesehen.“                                                            schreiben!“
                                                                                gewinnt.“

   „Die Lösung ist offen-             „Ich hab ja auch mal              „Ich weiß nicht, worü-
    sichtlich, ich versteh             vier Semester Jura                ber wir abstimmen.“
    die Diskussion nicht!“                  studiert...“

    „Sorg doch mal für                „Ich fechte die Ent-             „Dann würde ich an der
   „Wurdest du gerade
          Ruhe!“                        „Jetzt wiederder
                                          scheidung   zur               Stelle eine Gegenrede
       überfahren?“                    sachlichen  Sache“
                                      Sitzungsleitung an!““                    einlegen.“

   „Wer ist jetzt dafür,
   dass wir die Abstim-                „Dann
                                     „Ich     kommen
                                          würde         wir
                                                  ganz kurz            „Ich geh jetzt, ich kann
  mung abbrechen und                 zurumAbstimmung
                                            ein Time-Outüber              nicht mehr, ich hab
  zurück in die Debatte              die Abstimmung
                                             bitten.“ zum                  Kopfschmerzen.“
       springen?“                       Änderungsantrag““
                                                                                                                      Schweineillustration: Martin Emberger
                                                                                                                           Zeichnung: Martin Emberger

 „Ich würde euch bitten,
   „Bitte nur MdStura ab-
   den Tagesordnungs-                 „Ich beantrage die
    punktstimmen!“
           zu vertagen,                 Feststellung der                „Ich finde das traurig!“
 dann kann ich beruhigt               Beschlussfähigkeit.“
    nach Hause gehen.“

                                                                  Erstellt von Martin
                                                                           Erstellt vonEmberger, Tim Große
                                                                                        Martin Emberger
                                                                                        und Lukas Hillmann
                                                                                                                Fo-
                                                                                                  tos: Alexej Kosin
FÜR DEN INHALT DIESER WAHLBEILAGE IST DER
ER FSU-STURA VERANTWORTLICH, NICHT WIR!
IMMER DIE BESTE WAHL
AKRÜTZEL
16 / Titel
Titel / 17
18 / Titel
Titel / 19
20 / Uni & Stadt

  BOCK ZU
  GRÜNDEN?

                                                                                                                  Das ist Benny Beyer.
                                                                                                                  Einfach zu jenkultig.
                                                                                                                      Foto: Tabea Volz

 40 Prozent mehr Studieren-               Dienstleister-Unternehmen boostcamp           Möglichkeit für sich selbst sieht, das zu ma-
                                          hat sich darauf spezialisiert, Start-ups      chen.“ Die hätten ihr bis zu dem Zeitpunkt
 de haben sich 2020 mit einer
                                          zu helfen, die vertriebliche Aufgaben         gefehlt. Auch wenn es an der Uni viele An-
 Gründungsidee an den Grün-               als Dienstleistungen auf Honorarbasis         gebote zur Gründungsunterstützung und
 derservice K1 gewandt. Viele             vergeben möchten. Diese definierten           dem Themenkomplex Start-up gibt, habe
                                          Projekte werden dann dem boostcamp-           sie diese zuvor nie wirklich wahrgenom-
 Studierende träumen von
                                          Netzwerk, das vor allem aus Studierenden      men, da sie noch nicht richtig im Thema
 Selbstständigkeit und davon,             besteht, zur Verfügung gestellt. Diese        gesteckt habe. „Solche Angebote sollten
 ihre Geschäftsideen zu ver-              können laut den Gründer:innen bei den         einfach präsenter sein.“ Sich nebenberuf-
                                          Projekten für die Start-ups Praxiserfahrung   lich in einem Start-up selbst zu verwirkli-
 wirklichen. Wie kann es gelin-
                                          im Verkauf sammeln und einen Einblick         chen, sei eine Chance für viele Menschen.
 gen, während des Studiums zu             in die Selbstständigkeit erhaschen.             Während des Gründungsprozesses und in
 gründen?                                   Für Sofie war der Schritt von der Idee      den ersten Monaten danach haben sich bei
                                          bis zur Gründung spannend, da sie selbst      dem jungen Start-up auch einige Probleme
                                          nicht genau wusste, wie der Prozess ab-       aufgetan, die oft dazu gehören. „Die Kom-
 Wie es aussehen kann, wenn man sich      läuft und damit zuvor nicht wirklich Be-      munikation mit diversen Behörden ist et-
 traut, ein Start-up aufzubauen, zeigen   rührungspunkte hatte. Auch eine Grün-         was schwierig. Man kann nicht davon aus-
 Sofie und Jan, die gemeinsam the         dung zog sie erst in Betracht, nachdem        gehen, dass E-Mails tatsächlich beantwor-
 boostcamp gegründet haben. Sofie ist     sie Jan, der die Idee mitbrachte, kennen-     tet werden.” Momentan suchen die zwei
 Konstrukteurin im Sondermaschinenbau     lernte. „Meistens braucht es diese exter-     noch nach einer Person, die das Team er-
 und Jan studiert BWL an der EAH. Das     nen Impulse, damit man überhaupt eine         weitert, da sich der dritte Mitgründer aus
Uni & Stadt / 21

persönlichen Gründen vor kurzem zu-              zweiter Stelle. „Wenn wir beraten, wol-      staltung der Räumlichkeiten mitgewirkt,
rückgezogen hat.                                 len wir zunächst die Idee verstehen und      wodurch eine besondere Wertschätzung
  Hilfe bei der Gründung haben Sofie             die Motive und Ziele der Gründer:innen       entstanden sei. Eine Community-Mitglied-
und Jan bei dem Netzwerk JenConnect              kennenlernen“, sagt Schindek. Er emp-        schaft kostet 24 Euro pro Monat. Um ei-
bekommen. Das ist eine Plattform von             fiehlt, sich schon während des Studiums      nen Arbeitsplatz nutzen zu können, be-
Gründer:innen für Gründer:innen, um              mit der Gründungsthematik auseinander-       nötigt man zusätzlich eine Tageskarte für
diese bei Problemen und Anliegen zu un-          zusetzen, um die Chancen und Perspekti-      24 Euro. Diese beinhaltet auch Getränke,
terstützen. Das Ziel ist die Vernetzung von      ven der Selbstständigkeit kennenzulernen.    Internet und die Nutzung eines Druckers.
jungen Gründer:innen, damit sich diese           Dafür sei das Unternehmensgründungs-         Für Studierende oder Start-ups werde ge-
gegenseitig helfen und ergänzen können.          Seminar von Professor Lutz Maicher hilf-     rade noch an passenden Tarifen gearbei-
Das Netzwerk wurde Ende 2020 von Ju-             reich. Studierende können dort mit Men-      tet. In Zukunft sollen sich Start-ups mit ei-
stin Meißner und Jonas Schneider ent-            schen, die eine Gründungsidee haben, in      ner Idee beim Kombinat bewerben kön-
wickelt. Diese hatten immer wieder fest-         Kontakt kommen und in manchen Fäl-           nen und dann temporär einen Arbeits-
gestellt, dass sich geknüpfte Kontakte in        len auch zu Mitgründer:innen werden.         platz ermöglicht bekommen.
der Szene schnell verlieren. „Obwohl man         Durchschnittlich betreut der Gründer-
sagt: Ja, wir bleiben in Kontakt – das pas-      service 50 neue Gründungsvorhaben pro            Co-Working als Katalysator
siert nicht.“ Ihre Plattform will durch feste    Jahr. In den letzten fünf Jahren sind da-
Strukturen verhindern, dass dieser Kon-          durch 51 Kapitalgesellschaften hervorge-     Letztendlich sei der Co-Working-Space
takt wegbricht und Austauschmöglich-             gangen. 45 davon existieren heute noch.      aber immer nur ein Katalysator, bis
keiten für Mitglieder bieten. Schneider         „Dies entspricht einer erfreulich hohen       ein Unternehmen eine gewisse Größe
und seine Kollegen organisieren wöchent-         Überlebensquote von 88%.“, sagt Schindek.    erreicht habe. Wenn ein Unterneh-
lich Expertenvorträge über Themen wie                                                         men groß genug ist, gebe es in Jena
Verkaufspsychologie, Finanzen und Ver-               Wie wollen wir in Zukunft                das Problem mangelnder Gewerbe-
sicherungen. Außerdem findet einmal im                      arbeiten?                         flächen und zu wenig Wohnraum für
Monat ein offenes Treffen statt, bei dem                                                      Mitarbeiter:innen. Gleichzeitig sei es
Interessierte sich austauschen können.          Unverputzte Wände, Samtsofas, Obstkör-        das Ziel von Thüringen, „zu verhindern,
Die Pandemie hat den beiden sogar ge-           be und iMacs. Man muss nicht nach Ber-        dass die guten Leute gehen“. Thüringen
holfen zu gründen. Da die Events online         lin-Mitte fahren, um das Start-up-Flair zu    sei deutschlandweit abgehängt in Bezug
organisiert wurden, mussten die Gründer         spüren. Im Westbahnhof erstreckt sich         auf Co-Working-Spaces. Beyer sieht Po-
erst mal keine Location organisieren und        auf 800 Quadratmetern ein „Co-Working-        litik und Wirtschaft in der Verantwor-
bezahlen. „Ich bin mir zu 100 Prozent si-       Space“, also ein geteilter Arbeitsplatz. In   tung, Co-Working zu fördern. Im Kombi-
cher, wenn es den Lockdown nicht gege-          der ehemaligen Wohnung des früheren           nat soll demonstriert werden, dass das
ben hätte, würde es JenConnect nicht ge-        Bahnhofsvorstehers befindet sich heute        gemeinschaftliche Arbeiten eine Stadt
ben”, resümiert Schneider.                      das Kombinat 01. Freiberufler, Start-ups,     bereichert und die Stadtentwicklung
                                                Vereine, aber auch etablierte Firmen kön-     prägen kann. „Die Menschen haben die
       Starthilfe für Start-ups                 nen hier Arbeitsplätze oder Konferenzräu-     Möglichkeit, an dem Ort zu arbeiten, wo
                                                me buchen. Benny Beyer, Geschäftsfüh-         sie leben, oder an einem Ort zu arbeiten,
Bis aus einer Idee ein Unternehmen wer-         rer des Kombinats erklärt, dass Menschen      an dem sie sich wohlfühlen.“
den kann, ist ein langer Weg zu gehen.          aus allen Branchen willkommen seien,
Doch wer schon mal eine gute Idee hat,          da die „Vielfalt eigentlich erst Synergie-           Die Angst überwinden
kann sich an den K1-Gründerservice wen-         Effekte schafft“. Dabei geht es aber nicht
den. „Wir erwarten keine fertig ausge-          nur um Vernetzung und den kooperativen        In Deutschland haben zu viele Menschen
arbeiteten Konzepte, sondern sprechen           Austausch zwischen den Menschen, son-         Angst, sich selbstständig zu machen und
auch gerne mit Interessent:innen über           dern auch um Gemeinschaft. „Co-Working        zu scheitern. Für Beyer beginne das Pro-
Ideen”, erklärt Ralf Schindek vom Grün-         hat natürlich den Anspruch, nicht nur         blem schon in der Schule, wo Kinder „per-
derservice. Nicht nur Studierende der           Arbeit zu sein.” Neben ergonomischen          manent eigentlich nur das nachrechnen
Uni Jena, sondern auch Mitarbeiter:innen        Schreibtischen finden sich im K1 noch         sollen, was schon längst bewiesen ist“. Au-
oder Absolvent:innen können sich beim           eine Gemeinschaftsküche, eine Bar und         ßerdem werde in der Schule viel gelernt,
Gründerservice beraten und unterstüt-           ein geplanter Dachgarten mit Ausblick         was sich nicht anwenden lasse. Beyer
zen lassen. Die Angebote bestehen aus           auf die Kernberge. In Zukunft sind Mu-        wünscht sich, dass im Bildungssystem zu-
Coachings und der Optimierung des Ge-           sik- und Kulturveranstaltungen geplant.       künftig mehr kultiviert wird, wie Ideen
schäftsmodells. Die Gründer:innen kön-          Für Beyer ist es wichtig, Arbeit neu zu       verwirklicht werden können. Im Kombi-
nen kostenlos Büroräume nutzen und              definieren. Früher sei Arbeit und Frei-       nat soll Hilfe zur Verfügung gestellt wer-
bekommen Kontakte zu Investor:innen             zeit streng voneinander getrennt wor-         den, um Ideen zu realisieren. Durch den
und Mentor:innen vermittelt. Im Rahmen          den, heute müsse man dieses Verhältnis        Austausch mit Gleichgesinnten, Coaches
des „Next Step“-Programms können Start-         überdenken. Wenn jemand wirklich mo-          und Mentor:innen sollen Gründer:innen
ups Anschubfinanzierungen mit bis zu            tiviert an einem Projekt arbeite, gingen      unterstützt werden. Es müsse mehr Un-
2.500 Euro Budget erhalten. Damit kön-          die Grenzen von Arbeit und Freizeit flie-     ternehmergeist in Deutschland gefördert
nen dann Prototypen gebaut oder exter-          ßend ineinander über.                         werden. Für Beyer lautet die Devise: “Bau
ne Berater:innen hinzugezogen werden.             Zwischen 60 und 70 Personen nutzen die      doch mal was auf!”
Allerdings komme die Finanzierung ei-           Arbeitsplätze im K1 und sind regelmäßig
ner Idee für den Gründerservice erst an         vor Ort. Manche haben sogar bei der Ge-             Tabea Volz und Janina Gerhardt
22 / Mehr

WEGEN DER PAAR
AMEISEN
Wie es ist, wenn plötzlich
Ameisen von draußen nach
drinnen drängen? Sind die
Voraussetzungen für ein fried-
liches Zusammenleben schon
geben?

Leise und heimlich, kaum merklich schli-
chen sie wohl nach drinnen. Bei einem
Besuch in der Heimat erfuhr ich von ih-
nen via Messenger: Wir haben eine Amei-
seninvasion! Eine erste gründliche Säube-
rung der Küche hatte schon stattgefunden,
schrieb eine meiner Mitbewohnerinnen.
  Ob es zu einer erneuten Invasion komme,
zeige die Zukunft. Durch den Einmarsch
der Ameisen ließ sich die Zeit in ein amei-
senloses Davor und ein Danach mit Amei-
sen einteilen. Auch der Raum war verän-
dert. Als ich zurück in die WG kam, wie-
sen gleich zwei Haufen Backpulver, die
als Barrikaden an den Ecken des Küchen-
fensters dienten, darauf hin, dass die Kü-
che jeden Moment wieder von Ameisen
überrannt werden könnte. Auf ihrer Su-           Wacht auf, Ameisen dieser Erde.
                                                 Zeichnung: Jasmin Nestler
che hat sie wohl der Duft des Zufalls zu
uns gelockt. Mit Neugierde beobachtete
ich die vereinzelt herumirrenden Ameisen      hören in die Natur, nicht ins Haus! Ist es    klärte Fragen drängen sich auf: Muss ich
und war erstaunt, wenn sie die Barrikaden     also womöglich die Störung der Ordnung,       Ameisen töten, wenn ich es kann und soll
aus Backpulver am Fenster überwunden          die empfindliche Grenzüberschreitung,         ich, wenn ich es darf? Oder ist ein fried-
hatten und doch wieder aufgetaucht waren.     die durch die Ameisen vollzogen wurde,        liches, gar ein symbiotisches Miteinander
                                              die ins Bewusstsein rief, dass Kategorien     möglich? Das Dazwischen ist ein Ort, der
   Ameisen gehören in die Natur               wie Draußen und Drinnen nur durchläs-         nicht abgeschlossen und endgültig ist, in
                                              sige Vorstellungen sind und alles, vor dem    dem ersichtlich werden kann, dass alles
Gleichzeitig war mir klar, dass die Ameisen   man Schutz gesucht hatte, jeden Moment        auch anders sein könnte. Also, wie sähe das
nicht in eine Küche gehörten. Doch warum      erneut zurückkehren kann? Dann könnte         Zusammenwohnen mit den Ameisen aus,
nicht? Ist es wegen der Hygiene und der       wieder die gewaltsam animalische Natur        wenn es keine zweite und diesmal vernicht-
Angst vor den Krankheiten, die sie mög-       über alles herrschen. Die kleinen Ameisen     ende chemische Säuberung gegeben hätte?
licherweise übertragen könnten? Beruht        haben mit ihrem Einbruch in die Küche ein-      Bei einem Gespräch über die Frage nach
die Feindseligkeit gegenüber Ameisen im       drücklich widerlegt, dass eine Wohnung        einem gemeinschaftlichen Zusammenwoh-
Haus auf der Scham, als unsauber zu gel-      zwangsläufig und unbedingt ameisenfrei        nen mit Ameisen meint meine zweite Mitbe-
ten? Gehören Ameisen nicht in die Küche,      sein muss und es nur in der Natur Ameisen     wohnerinnen, dass wir sie dann vermensch-
weil sie Lebensmittel befallen könnten und    zu geben hat. Meine erste Forderung lau-      lichen würden. Weshalb dann nicht genau-
deshalb einen tiefen Ekel wecken? Sind sie    tet deshalb: Die Kategorien sollen verdreht   so mit Ameisen zusammenleben wie mit
Konkurrentinnen um Nahrung? Oder stel-        und verknotet werden, damit das Draußen       Menschen? Von dieser vagen Vorstellung
len Ameisen in der Wohnung einen Kontroll-    und Drinnen sowie das Davor und Danach        leite ich meine zweite Forderung ab: Amei-
verlust dar und lassen deshalb an allerlei    zum Dazwischen werden können.                 sen sollten wie Menschen behandelt wer-
Bedrohungen erinnern? Liegt es womög-           Im Dazwischen bin ich als Mensch in eine    den. Ameisen sind arbeitsam, altruistisch,
lich an der Trennung zwischen Draußen         sonst verdrängt prekäre Lage zurückgewor-     manchmal befremdlich und gewalttätig,
und Drinnen, durch die es möglich ist, Ei-    fen und werde an die Natur meiner Leib-       genauso wie Menschen es auch sein kön-
genschaften und Verbote dem Drinnen           lichkeit erinnert. Menschen und Ameisen       nen. Während wir weiter fabulieren, sind
und Draußen zuzuordnen – Ameisen ge-          stammen aus derselben Natur. Auch unge-       wir uns schnell einig: Um gemeinsam in ei-
Klassiker / 23

                                                                     Klassiker
ner wenigstens erträglichen Koexistenz mit
Ameisen zu wohnen, bedarf es wie unter
Menschen einer Möglichkeit der Kommu-
nikation. Die Kommunikation müsste dann
über Duftstoffe stattfinden, weil Ameisen                   In dieser Serie widmen wir den vermeintlichen
über Duftstoffe kommunizieren, sagt mei-                               und echten Meisterwerken
ne Mitbewohnerin.                                            unsere Liebeserklärungen und Hasstiraden.
                                                                           Diesmal: Ukulele.

                                                  „Somewhere over the rainbow, way up high“ schwang mir in gitarren-
                                                   ähnlichen Klängen entgegen, als ich zusammen mit meiner Mitbewoh-
    Muss ich Ameisen                               nerin im Park auf einer Decke vor mich hin döste. Ah, wieder mal Uku-
                                                   lelen-Klänge, das hawaiianische Trend-Instrument der links-grünen
    töten, wenn ich es                             Studentenszene. Sofort dachte ich an typische Ukulelen-Lieder wie „Rip-
     kann und soll ich,                            tide“ von Vance Joy oder “I’m Yours” von Jason Mraz und bekam auf-
                                                   grund dieser ausgelutschten Radio-Dauerbrenner innerlich das Gefühl
    wenn ich es darf?                              von Genervtheit. Dass die kleine Kastenhalslaute, die sich von der Gi-
                                                   tarre durch ihre 4 Saiten unterscheidet, jedoch bereits seit den 1990ern
                                                   in Deutschland an Popularität gewann und heute in allen Generationen
  Als wir die Duftstoff-Kommunikation wei-         einen Kultstatus besitzt, erklärt mir meine Mitbewohnerin erst kurz da-
ter durchdenken, stellen wir fest, dass wir        rauf. „Wusstest du, dass Ukulele zu Deutsch „Hüpfender Floh“ heißt? We-
an einer ungelösten Menschheitsfrage ange-         gen der schnellen Griffwechsel der Finger.” Süß, denke ich mir, irgend-
langt sind: Wie sollen wir mithilfe von Duft-      wie ganz amüsant.
stoffen mit Ameisen kommunizieren, so                Der exotische, hohe Klang verursacht bei mir, soweit die Musiker:innen
dass sie verstehen, was wir von ihnen wol-         auch gesangstechnisch begabt sind, eine entspannte, harmonievolle Stim-
len und umgekehrt? Vielleicht wäre eine            mung. Aber dennoch bin ich hochsensibel gegenüber falsch gespielten
Menschameise, also ein Hybrid aus Amei-            Saiten und unstimmigen Gesangskünsten. Wie entstand die Faszinati-
se und Mensch, hilfreich? Sie könnte dann          on für dieses aus Holz (originalerweise hawaianisches Koaholz, wie mir
als Dolmetscherin fungieren. Bis es aber           meine Mitbewohnerin beipflichtete) und Nylonsaiten bestehende Zupf-
Menschameisen gibt, könnte man auf die             instrument? Ohne zu bestreiten, gilt: Die Ukulele ist unkompliziert zu
schon lang erprobte Kultur des politischen         erlernen, simpel zu transportieren, kostet verhältnismäßig wenig und
Diskurses und Argumentierens zurückgrei-           es gibt sie, je nach Fingerbreite und Geschicklichkeit, in verschiedenen
fen. Zwar scheint mir, dass momentan noch          Größen. Hab ich demzufolge Gegenargument, dem Hype der Ukulele
die vernichtenden Argumente in unseren             nicht auch zu verfallen?
Händen liegen, doch in der Menschheitsge-            Nach ein paar Stunden im Park mit den Klängen der Ukulele im Ohr und
schichte konnten die Schwächeren schon             den überzeugten Worten meiner Mitbewohnerin fühlte ich mich trotz
so manchen Sieg erringen. Deshalb forde-           anfänglicher starker Abneigung kreativ inspiriert und herausgefordert.
re ich solidarisch: Wo Ameisen erscheinen,         Ich bestellte mir eine Sopranukulele aus Mahagoniholz und startete mit
sollten sie ihren Staat errichten können!          dem leider doch sehr stereotypen Cover „Let it be“. Denn wie auch schon
Erst wenn es den Ameisen auch möglich              der verstorbene Beatle George Harrison sagte: „Everyone should have
ist, ihre Präsenz offen und selbstbewusst          and play a ‘UKE‘ […] it is one instrument you can’t play and not laugh!”
in der Küche zu vertreten, kann ihre Stim-
me gehört werden, denn der Küchentisch                                                                       Elsa Worsch
ist das Zentrum der Demokratie.
  Betrübt und doch erleichtert stelle ich fest,
dass ich mich im entscheidenden Moment
arbeitsam in meinem Zimmer befand und
so mit meinem Nichteingreifen für die Säu-
berung und gegen den Ameisenstaat in der
Küche stimmte. Für ein gutes Zusammen-
leben ist es manchmal klüger, etwas nicht
zu politisieren, beschwichtige ich meine
Zweifel. Dennoch plagt mich mein Gewis-
sen: Wie werde ich mich nächstes Mal po-
sitionieren? Wohl im Dazwischen.
                                                                                                                              Collage: Elsa Worsch

                              Lars Materne
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