Analyse von hochaufgelösten Klimasimulationen für die Schwarzwaldregion
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Analyse von hochaufgelösten Klimasimulationen für die Schwarzwaldregion Eine tourismus-klimatische Perspektive Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Fakultät für Forst- und Umweltwissenschaften der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Brsg. vorgelegt von Christina Endler Freiburg im Breisgau 2010
Dekan: Prof. Dr. Dr. h.c. Gero Becker Referent: Prof. Dr. Andreas Matzarakis Korreferent: Prof. Dr. Rüdiger Glaser Disputationsdatum: 02. Juli 2010
Vorwort Wer hat nicht schon einmal einen kühlen, verregneten Sommer oder einen Winterurlaub ohne Schnee verbracht? Wenn wir unseren Urlaub planen, berücksichtigen wir unbewusst oder aber auch bewusst die am Urlaubsort vorherrschenden klimatischen Bedingungen. Somit hängt unsere Wahl einer Destination sowie die Reiseart inklusive der Aktivitäten direkt von Wetter und Klima ab, die den Tourismus sowohl limitieren als auch begünstigen können. In den letzten drei Jahrzehnten rückte das Thema „globale Erwärmung und Klimawan- del“ immer mehr in den Vordergrund und ist in der wissenschaftlichen und öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion nicht mehr wegzudenken. Zahlreiche Forschungsinstitu- tionen nahmen die seit 1990 anhaltende Episode überdurchschnittlich hoher Lufttempe- ratur sowie die seit der Industrialisierung kontinuierlich steigenden CO2 - und weiteren Treibhausgaskonzentrationen zum Anlass, Auswirkungen des Klimas auf die verschiede- nen wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Systeme zu analysieren. Selbst wenn die Treibhausgasemissionen heute gestoppt würden – welches ein recht unwahrscheinliches Szenario ist – sehen wir uns immer noch mit deutlichen Änderungen im Klimasystem konfrontiert. Um auf Klimafolgen antworten zu können und unsere Vulnerabilität gegenüber einem sich wandelnden Klima zu mindern, reichen Mitigationsstrategien, die seit 1980 von Wis- senschaftlern und Entscheidungsträgern gleicherweise fokussiert werden, nicht mehr aus. Infolgedessen muss nun auch das Augenmerk auf die Adaptation (Anpassung) gelegt wer- den, die in vielen Regionen weder in der Planung noch in der Umsetzung Berücksichtigung findet. Im Jahr 2004 hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den drin- genden Handlungsbedarf erkannt und die Förderung von „Forschung für den Klimaschutz und Schutz vor Klimawirkungen – Chancen und Risiken des Klimawandels“ ausgeschrie- ben. Dabei lag der Schwerpunkt sowohl bei Adaptation als auch Mitigation. Im Rahmen dieser Förderinitiative, klimazwei, wurde Ende 2006 das interdisziplinäre Projekt KUN- TIKUM bewilligt, bei dem die Leuphana Universität Lüneburg und die Albert-Ludwigs- Universität Freiburg mitgewirkt haben. KUNTIKUM – Klimatrends und nachhaltige Tou- I
II Vorwort rismusentwicklung in Küsten- und Mittelgebirgsregionen – versuchte Antworten auf Fra- gen zu finden, wie der Tourismus in Deutschland am Beispiel Nordsee und Schwarzwald auf den Klimawandel reagiert, welche neuen Potenziale gebildet werden und welche Risi- ken bevorstehen können. Da der Wintertourismus derzeit einen größeren Stellenwert ein- nimmt als der Sommer-(Bade)tourismus und klimatische Änderungen im Süden ausge- prägter sein werden als im Norden, wird in der vorliegenden Arbeit nur die Modellregion Schwarzwald betrachtet. In erster Linie möchte ich Herrn Prof. Dr. Andreas Matzarakis für die Möglichkeit dan- ken, meine Dissertation im Rahmen des Projektes KUNTIKUM am Meteorologischen In- stitut der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg durchgeführt haben zu können. Somit bot sich ein mir ganz neues, spannendes und interessantes Forschungs- und Wissenschaftsfeld. Für seine stets fachliche Betreuung, seine volle Unterstützung und sein Engagement sowie konstruktive, lehrreiche Diskussionsrunden danke ich ihm sehr. Prof. Dr. Rüdiger Glaser danke ich für die Arbeit als Korreferent. Ein großer Dank gebührt auch meinen Kollegen in Lüneburg, die mit ihren heraus- fordernden und kritischen Fragen, dem stetigen Austausch und dem regen Interesse zur Durchführung und zum Gelingen des Projektes und folglich meiner Dissertation beigetra- gen haben. Ein wesentlicher Vorteil von interdisziplinären Projekten ist, dass man eine an- dere Sicht auf die eigene Wissenschaft bekommt, andere oder neue Möglichkeiten erkennt und unterschiedliche Methoden kennenlernt. Somit möchte ich mich bei meinen Kollegen für den Einblick in mir vorher fremde Wissenschaftsbereiche, für die lehrreichen, inter- essanten Gespräche und Diskussionen sowie für das entspannte, kollegiale Arbeitsklima, auch außerhalb des Büros bedanken. Besonderer Dank gilt Olaf Matuschek, der bei der Aufbereitung der Daten und Program- mierung der entsprechenden Software tätig und bei technischen Schwierigkeiten damit immer zur Stelle war und somit für einen reibungslosen Ablauf der Untersuchung sorgte. Weiterhin gebührt mein Dank Dr. Kerstin Prömmel, Stefan Kroll und Stefan Muthers, die immer ein offenes Ohr für meine Fragen hatten und mir oftmals den Weg zur Lösung ebneten. Markus Zygmuntowski sei an dieser Stelle ebenfalls gedankt. Die Gespräche mit ihm zwischen der Bürotür waren stets inspirierend und sorgten zeitweise für eine kurze Auszeit. Abschließend möchte ich all denjenigen danken, vor allem meiner Familie und meinen Freunden, ohne deren Unterstützung, Ausdauer, Ermutigung, Motivation und Optimismus diese Arbeit in der vorliegenden Form nicht zustande gekommen wäre. Christina Endler Februar 2010
Publikationen Die vorliegende Arbeit fasst als kumulative Dissertationsschrift Inhalte folgender Publika- tionen zusammen: Endler C, Oehler K, Matzarakis A (2010) Vertical gradient of climate change and climate tourism conditions in the Black Forest. Int. J. Biometeorol. 54:45-61. Endler C, Matzarakis A (2010) Climatic potential for tourism in the Black Forest, Germany - winter season. Int. J. Biometeorol. DOI: 10.1007/s00484-010-0342-0. Endler C, Matzarakis A (2010) Climate and tourism in the Black Forest during the warm period. Int. J. Biometeorol. DOI: 10.1007/s00484-010-0323-3. Endler C, Matzarakis A (2010) High resolution climate simulations for the Black Forest region from a point of view of tourism climatology - a comparison between two regional models (REMO and CLM). Theor. Appl. Climatol. DOI 10.1007/s00704-010-0311-x. Matzarakis A, Endler C (2010) Adaptation of thermal bioclimate under climate change conditions - The example of physiologically equivalent temperature in Freiburg, Germany. Int. J. Biometeorol. 54:479-483. III
Inhaltsverzeichnis VORWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I PUBLIKATIONEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN UND SYMBOLE . . . . . . . . VII ABBILDUNGSVERZEICHNIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI TABELLENVERZEICHNIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII ZUSAMMENFASSUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV SUMMARY . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XVII 1 Einleitung und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 Stand der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3 Charakterisierung des Untersuchungsgebietes . . . . . . . . . . . . . . 15 4 Methodik und Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 4.1 Entwicklung der Human-Biometeorologie und Tourismus- Klimatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 4.2 Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 4.3 Regionale Klimamodelle und Klimaszenarien . . . . . . . . . . . 31 4.3.1 REMO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 4.3.2 CLM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 5 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . 37 5.1 Klimatische Veränderungen im Schwarzwald . . . . . . . . . . . 37 5.1.1 Wintersaison . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 5.1.2 Sommersaison . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 5.1.3 Vergleichende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 V
VI Inhaltsverzeichnis 5.2 Sensitivätsanalysen für die Physiologisch Äquivalente Tem- peratur PET . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 5.2.1 PET Simulationen ohne Modifikation . . . . . . . . . . . 45 5.2.2 PET Simulationen mit Modifikation . . . . . . . . . . . . 45 6 Diskussion der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 6.1 Aussagefähigkeit regionaler Klimamodelle im komplexen Gelände 47 6.2 Risiken für den Wintertourismus in Mittel- und Hochgebirgen . . 51 6.2.1 Schwarzwald und andere deutsche Mittelgebirge . . . . . 51 6.2.2 Alpen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 6.3 Risiken und Chancen für den Sommertourismus . . . . . . . . . . 55 7 Schlussfolgerungen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 LITERATUR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX
Verzeichnis der Abkürzungen und Symbole Bft Beaufort BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung (German Federal Mini- stry for Education and Research) CAST Climate trends and sustainable development of tourism in coastal and low mountain range regions CH4 Methan CIT Climate Index for Tourism CLM Climate version of the Lokalmodell (Klimaversion des Lokalmodells) clo Clothing, ein Maß für die Bekleidung des Menschen basierend auf den thermischen Widerstand der Bekleidung (1 clo = 0,155 K m2 W−1 ) CO2 Kohlendioxid COSMO-CLM Climate Limited-area Modelling Community COST European Cooperation in Science and Technology CTIS Climate-Tourism-Information-Scheme (Klima-Tourismus-Informations- Schema) DJF Dezember, Januar, Februar DWD Deutscher Wetterdienst e Dampfdruck [hP a] ECHAM4 Vierte Generation des ECHAM (European Centre Hamburg Model) ECHAM5 Fünfte Generation des ECHAM (European Centre Hamburg Model) EM Europamodell VII
VIII Verzeichnis der Abkürzungen und Symbole FCKW Flourchlorkohlenwasserstoffe GCM Global Circulation Model GIS-KliSchee Geografisches Informationssystem für Klimavariabilität und Schneever- fügbarkeit in deutschen Mittelgebirgen GKSS Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt mbH HeRATE Health Related Adaptation to the Thermal Environment IMEM Instationäres Münchner Energiebilanzmodell IPCC Intergovernmental Panel on Climate Change JJA Juni, Juli, August KUNTIKUM Klimatrends und nachhaltige Tourismusentwicklung in Küsten- und Mittelgebirgsregionen: Produkt und Infrastruktur-Innovation durch kooperative Lernprozesse und strategische Entscheidungsfindung LM Lokalmodell M Metabolische Rate [W ] MAM März, April, Mai MCIT Modified Climate Index for Tourism MEMI Münchner Energiebilanzmodell MEZ Mitteleuropäische Zeit MICE Modelling the Impact of Climate Extremes MODIS Moderate Resolution Imaging Spectroradiometer MPI Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg MPI-OM Ozeanmodell des MPI N2 O Distickstoffoxid NDJFM November, Dezember, Januar, Februar, März O3 Ozon OECD Organization for Economic Co-operation and Development (Organisati- on für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) OUT_SET? Outdoor Standard Effective Temperature [°C] PET Physiologically Equivalent Temperature (Physiologisch Äquivalente Tem-
Verzeichnis der Abkürzungen und Symbole IX peratur) [°C] PIK Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PMV Predicted Mean Vote PPD Predicted Percentage Dissatisfied PRUDENCE Prediction of Regional scenarios and Uncertainties for Defining Euro- pean Climate change risks and Effects Q? Strahlungsbilanz [W ] QH Konvektiver Wärmestrom [W ] QL Strom latenter Wärme infolge von Wasserdampfdiffusion durch die Haut [W ] QRe Strom latenter Wärme infolge der Schweißverdunstung [W ] QSw Energieumsatz infolge von Erwärmung und Wasserdampfsättigung der Atemluft [W ] RCM Regional Climate Model REMO Regionalmodell SET? Standard Effective Temperature [°C] SkiSim Skisaisonmodell SO4 Sulfat SON September, Oktober, November SRES Special Report on Emissions Scenarios STAR Statistical Regional Model STARDEX Statistical and Regional dynamical Downscaling of Extremes for Euro- pean regions STI Subjective Temperature [°C] Ta Lufttemperatur [°C] Ta,max Maximum der Lufttemperatur [°C] Tmrt Mittlere Strahlungstemperatur [°C] TCI Tourism Climate Index UBA Umweltbundesamt
X Verzeichnis der Abkürzungen und Symbole USA United States of America UTCI Universal Thermal Climate Index [°C] v Windgeschwindigkeit [ms−1 ] UV Ultraviolett W Energieumsatz [W ] WETTREG Wetterlagen-basierte Regionalisierungsmethode WMO World Meteorological Organization
Abbildungsverzeichnis 2.1 Mittlere jährliche Anzahl der Schneetage in deutschen Mittelge- birgen für den Zeitraum 1980-1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.2 Höhenlage ausgewählter Skigebiete im Schwarzwald . . . . . . . . . . . 11 3.1 Geografische Lage des Schwarzwaldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 3.2 Karte des Bioklimas im Schwarzwald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 4.1 Thermische Umgebung des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 4.2 Abhängigkeit des Sommer- und Wintertourismus von einzelnen Klimaparametern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 4.3 Entwicklung der Klimamodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 4.4 Schematische Übersicht der IPCC-Emissionsszenarien . . . . . . . . . . . 33 4.5 Horizontale Auflösung globaler und regionaler Klimamodelle im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 4.6 Schematische Übersicht der Regionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . 34 5.1 Mittlere prozentuale Änderung der Schneetage . . . . . . . . . . . . . . . 39 5.2 Mittlere prozentuale Änderung der winterlichen Kältestresstage . . . . . . 40 5.3 Häufigkeitsverteilung für derzeitige (1961-1990) und zukünftige PET Bedingungen (2071-2100) in Freiburg unter Berücksichti- gung von Strahlungs- und Windmodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . 46 XI
Tabellenverzeichnis 4.1 Klimafacetten und ihre jeweilige Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . 26 4.2 Definition des klimatischen Tourismuspotenzials . . . . . . . . . . . . . 29 5.1 Qualitative Zusammenfassung der untersuchten Kenngrößen für den Schwarzwald basierend auf den Regionalmodellen REMO und CLM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 XIII
Zusammenfassung Im Zuge der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion über den Klimawandel und seine Folgen ist auch der Tourismussektor näher in den Blickpunkt geraten, da sich der Kli- mawandel auf den gesamten ökologischen sowie ökonomisch-sozialen Bereich auswirkt. Das Ausmaß des Klimawandels ist jedoch von Bereich zu Bereich, von Region zu Region und von Zeitpunkt zu Zeitpunkt verschieden. Somit stellt er nicht nur für Meteorologen und Klimatologen eine Herausforderung hinsichtlich der Abschätzung der zu erwartenden Änderungen dar, sondern auch für die einzelnen Bereiche, auf die sich der Klimawandel auswirkt. Die Auswirkungen zeigen sich nicht nur in langsam abtauende Gletscher oder dem allmählich steigenden Meeresspiegel, sondern auch in extremen Hitzewellen, intensi- ven Regenfällen und Stürmen. Anpassungen an die bereits eingetretenen und verstärkt zu erwartenden Folgen des Klimawandels sind für verschiedene Sektoren essenziell. Dabei ist eine vorausschauende Anpassung an extreme Wetterverhältnisse und erwartete Verän- derungen des Klimas ein wichtiger Aspekt einer nachhaltigen Entwicklung. Insbesondere für wetter- und klimasensible Wirtschaftsbereiche wie Tourismus hat der Klimawandel eine besondere Bedeutung. Gegebene klimatische Bedingungen und aktuelles Wetter steu- ern, limitieren und begünstigen dabei Angebot und Nachfrage und können entscheidend die Reisemotivation beeinflussen. Relativ geringe Änderungen der klimatischen Rahmen- bedingungen können bereits massive Verluste in der Tourismusbranche zur Folge haben. Die zu erwartenden Klimaveränderungen weisen regionale und saisonale Unterschiede auf. So erwärmen sich beispielsweise die Kontinente schneller als die Ozeane. Beson- ders ausgeprägt ist die Erwärmung im Winter, welche erhebliche Auswirkungen auf die Schneebedeckung, das Schneepotenzial und damit auf den Wintertourismus vor allem in Mittelgebirgen haben wird. Der Schwarzwald ist hierbei aufgrund seiner südlicheren Lage im Vergleich zu anderen deutschen Mittelgebirgen besonders sensitiv gegenüber Klima- veränderungen. Um das Ausmaß jener Vulnerabilitäten aufdecken und abschätzen zu können, wurden auf der Grundlage regionaler Klimasimulationen – aus den Regionalmodellen REMO und XV
XVI Zusammenfassung CLM – human-biometeorologische und tourismusrelevante Berechnungen auf der Basis der Emissionsszenarien A1B und B1 durchgeführt. Dabei wurden zukünftige Projektio- nen, die einen Zeitraum von 2021 bis 2050 beschreiben, mit der Klimanormalperiode 1961-1990 bzw. 1971-2000 verglichen. Um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu blei- ben, ist die Anpassung an den Klimawandel von gleichbedeutend zentraler Bedeutung wie die Befriedigung der wachsenden Ansprüche der Touristen und Erholungssuchende. Auch die Entwicklung und Beibehaltung der touristischen Infrastrukur werden eine wesentliche Rolle spielen. Daher ist es sinnvoll, nicht die nächsten 5-10 Jahre in Betracht zu ziehen, die in der Tourismusbranche den üblichen Planungshorizont darstellen, sondern die näch- sten 30-50 Jahre. Der Vorteil liegt hierbei auch darin, dass bis 2050 die Unterschiede in der Entwicklung der einzelnen Emissionsszenarien, die den Klimasimulationen zugrunde liegen, geringer sind und sie somit zuverlässigere Aussagen liefern können. Die Ergebnisse zeigen, dass der schon in den letzten Jahren bemerkbare Rückgang der Schneedecke und -dauer sich im Schwarzwald trotz einer geringen Zunahme der Winter- niederschläge zukünftig verstärken wird. Dies ist auf die steigende Lufttemperatur in den Wintermonaten zurückzuführen. Weiterhin wird die Variabilität der Schneedecke zuneh- men, d. h. es werden weiterhin schneereiche Winter auftreten, jedoch weniger häufig. Um zukünftig wettbewerbsfähig zu bleiben, ist es sinnvoll, sich heute schon Gedanken über den Tourismus von morgen zu machen. Somit empfiehlt es sich, den immer wichtiger werden- den Sommertourismus in die Planung und Anpassungsstrategien einzubeziehen. Ein Vier- Jahreszeiten-Tourismus mit der neuen potenziellen Schlüsselfunktion „Natur“ und einem ausgebauten attraktiven und zertifizierten Wegenetz könnte ein Weg in die Wettbewerbsfä- higkeit bilden. Der Sommer im Schwarzwald wird in Zukunft vor allem in den höher gele- genen Gebieten komfortable klimatische Bedingungen aufweisen. Während die Zunahme der sommerlichen Lufttemperatur und der Physiologisch Äquivalenten Temperatur (PET) in mittleren und höheren Lagen des Schwarzwaldes für ein angenehmes Klima sorgen kann, sehen sich die tiefen Lagen und urbanen Gebiete mit einer Zunahme von Hitzestress und feuchtwarmen Tagen konfrontiert. Bereits mit einfachen Anpassungsmaßnahmen kann diesen zu erwartenden Auswirkungen entgegengekommen werden. Simulationen von PET unter der Modifikation von Windgeschwindigkeit und mittlerer Strahlungstemperatur zeig- ten, dass vor allem im Sommer eine reduzierte mittlere Strahlungstemperatur sowie eine erhöhte Windgeschwindigkeit, im Winter hingegen eine höhere mittlere Strahlungstem- peratur und reduzierte Windgeschwindigkeit thermische Belastungen deutlich minimieren können. Die durchgeführten Simulationen bieten demzufolge ein nützliches Instrument zur Quantifizierung von Adaptationsmaßnahmen.
Summary In public and scientific research discussion about climate change and its impacts, the tou- rism sector is highly focused. Thereby, ecological and economic-social sectors are affected by climate change. Its degree varies, however, from sector to sector, from region to region, and from time to time. Consequently, it poses a challenge not only for meteorologists and climatologists, but also for each of the sector affected. Impacts like melting glaciers or a ri- sing sea level, extreme heat waves, intense rain, and storms may be expected. Adaptation to both impacts of climate change already occurred and expected to increase is vital for com- munities, and a prospective adaptation to severe weather events and changes in climate is essential for a sustainable development. Climate change is of high importance, especially for industrial sectors sensitive to weather and climate, like tourism. Current climate con- ditions and weather thereby control, limit, and favor demand and supply in tourism and can affect decisively the motivation for traveling. Small changes in climate conditions can already result in huge losses of revenues. Climate changes expected show regional and seasonal differences. For example, conti- nents warm faster compared to oceans. Winter warming is more pronounced, which in turn affects snow cover, ski potential, and winter tourism, in particular in low mountain ranges. Due to its southern location the Black Forest is more sensitive to climatic changes than other German low mountain ranges. In order to reveal and assess the magnitude of those vulnerabilities regional climate simulations based on two regional climate models (REMO and CLM) were analyzed for the two emission scenarios A1B and B1. The analysis thereby considers human-biometeo- rological and climatic parameters relevant for tourism for two time frames: the future time span 2021-2050 and the present-day time span 1961-1990 and 1971-2000, respectively. In order to adapt to climate change in the future to remain competitive on the one hand and to meet the requirements of a more and more sophisticated population it is necessary to focus more on the next 30-50 years instead of the next 5-10 years, the usual short-term planning horizon in tourism. In this context, the development in infrastructure of tourism also plays XVII
XVIII Summary a relevant role. Another advantage also is that uncertainties in the development of each emission scenario that underlies the climate simulations are lower until 2050. The results reveal that the reduction of snow cover and duration already recorded in the last years in the Black Forest will continue to decrease despite the slight increase in win- ter precipitation. This is rather due to an increase in air temperature, especially in winter months. There might be still some winters with snow, but snow-less winters will be more frequent due to an increased natural variability. In order to remain competitive it is neces- sary for today’s tourism to be anticipatory. It is recommended to stronger integrate summer tourism in planning and adaptation strategies. A four season tourism with the new potential key factor „nature“ and a well developed and attractive path network could be one solu- tion for competitiveness. The summer in the Black Forest will reveal a pleasant climate in particular in higher elevated regions. While the increase in both summer air tempera- ture and physiologically equivalent temperature (PET) in middle and higher regions of the Black Forest provide pleasant climate conditions, both the lower regions and urban areas are faced with heat stress and humid-warm conditions. These expected climatic changes can be countered already by the application of simple adaptation measures. Simulations of PET modified by changing wind speed and mean radiant temperature indicate a noti- ceably reduced thermal stress: smaller mean radiant temperature and higher wind speed in summer, increased mean radiant temperature and lower wind speed in winter. Simulations conducted provide a useful instrument for quantifying adaptation measures.
1 Einleitung und Zielsetzung In den letzten Jahrzehnten wurden im Bereich der Klimaforschung und -modellierung große Fortschritte erzielt, die nun aufgrund der Diskussion um den Klimawandel zum Tra- gen kommen. Mit der Veröffentlichung des Dritten Sachstandsberichts des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC) im Jahre 2001 kam diesbezüglich der erste Trend auf, der sich mit dem neuesten IPCC-Bericht (2007) fortsetzte und inten- sivierte. Zahlreiche Studien bezüglich Klimawandel und Klimafolgen entstanden in dieser Zeit. Die Diskussionen vollziehen sich in vielen unterschiedlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen. Das Ausmaß des Klimawandels ist jedoch je nach Bereich, Region und Zeitpunkt verschieden. Somit stellt er nicht nur für Meteorologen und Klimato- logen eine Herausforderung bezogen auf die Abschätzung der zu erwartenden Änderungen dar, sondern auch für die einzelnen Bereiche, auf die sich der Klimawandel auswirkt. In kaum einem anderen Wirtschaftszweig spielen Wetter und Klima eine große Rolle wie im Tourismus. Gegebene klimatische Bedingungen und aktuelles Wetter steuern, limitieren und begünstigen dabei Angebot und Nachfrage sowie die Saisonalität im Tourismus. Än- dern sich die für den Tourismus grundlegenden Ressourcen (Klima und Natur) qualitativ, können sich neue Herausforderungen formieren (Matzarakis et al. 2004; Becken und Hay 2007; Scott und McBoyle 2007; Matzarakis et al. 2007a; UNWTO 2008). Selbst wenn wetterunabhängige Angebote immer wichtiger werden, ist davon auszugehen, dass auch zukünftig die Sehnsucht nach intakter Natur/Landschaft zu den Hauptmotiven gehört, eine Reise in eine bestimmte Destination zu unternehmen. Mit dem fortschreitenden Klimawan- del werden sich auch die Landschaften in den Destinationen verändern. Hall und Higham (2005) identifizieren folglich den Klimawandel als neue Determinante des Tourismus. Er kann als Chance oder als Risiko oder sowohl als Chance als auch als Risiko gesehen werden. Dies gilt vor allem für montane Regionen, die ca. 20 bis 24 % der gesamten Land- oberfläche abdecken. Dort stellt der Tourismus oftmals die einzige wirtschaftliche Einnah- mequelle dar (8 % des Bruttoinlandsproduktes in Deutschland, DIW 2001). Schneearme Winter beispielsweise werden deutliche Spuren bei Tourismusanbietern hinterlassen. Ex- treme Wetterereignisse verursachen neben materiellen Schäden auch Imageschäden für die 1
2 1 Einleitung und Zielsetzung Destination (Attraktivitätsverlust). Um dem zu begegnen, wurden die Orkane Lothar und Kyrill beispielsweise, die im Dezember 1999 bzw. Januar 2007 das öffentliche Leben in weiten Teilen Deutschlands beeinträchtigten und zu erheblichen Umsatzeinbußen in den betroffenen Regionen (besonders in den Mittelgebirgen) führten, später Gegenstand proak- tiven Handelns im touristischen Marketing. So entstand im Sauerland der „Kyrillpfad“ und im Schwarzwald der „Lotharpfad“ als erlebbare Schaustrecke (Bartels et al. 2009). Allmählich wird erkannt, dass es für viele Regionen überlebensnotwendig ist, sich mit der Thematik Klimawandel auseinanderzusetzen. Unabhängig davon, wie stark sich der Klimawandel ausprägen wird, die Tourismusbranche sieht sich ohne Anpassungsmaßnah- men vielerorts mit Risiken konfrontiert. Sie kann, wenn das Bewusstsein vorhanden und geschärft ist, aufgrund ihres dynamischen Charakters und der daraus resultierenden hohen Anpassungsfähigkeit schnell gegensteuern, mögliche Risiken eingrenzen und neue Poten- ziale ausschöpfen. Auch die Anpassungsfähigkeit von Seiten der Urlauber zeigt sich hoch. So können sie sich auf ein verändertes Klima einstellen, indem sie z. B. ihre Reisezeiten an die von ihren bevorzugten Klimabedingungen anpassen und gegebenenfalls ihre Reise- zeiten (in die Vor- oder Nachsaison) verschieben (Perry 1997; Matzarakis et al. 2004; Hall und Higham 2005; Becken und Hay 2007). Aber welche klimatischen Bedingungen empfinden wir als angenehm oder unange- nehm? Mit dieser Frage beschäftigt sich seit mehr als 50 Jahren die Human-Biometeorolo- gie (z. B. Büttner 1938; Fanger 1972; Faust et al. 1978). Das Empfinden, hier meinen wir das thermische Empfinden, entstammt nicht der Subjektivität. Es hängt u. a. von Alter, Ge- schlecht, Fitness und Herkunft des Menschen (thermo-physiologische Faktoren) (Besance- not 1990; Scott et al. 2009) sowie von meteorologischen Faktoren (z. B. Wind, Strahlung, Lufttemperatur der Umgebung) ab. Die menschliche Reaktion auf äußere Umwelteinflüsse (Thermoregulation) spielt hierbei eine wesentliche Rolle. Dies gilt es entsprechend objek- tiv zu quantifizieren (Matzarakis et al. 2004; Matzarakis et al. 2007a). Während anfangs noch auf empirische Studien zurückgegriffen werden musste, konnten später im Zuge des technischen und wissenschaftlichen Fortschritts Energiebilanzmodelle des Menschen ent- wickelt werden (siehe Kapitel 4.1). Die Objektivität wird bei manchen thermischen Be- trachtungen jedoch eingeschränkt. Auf der anderen Seite steht die Wahrnehmung, die subjektiver Natur ist. Manch einer erfreut sich an einem stürmischen Herbsttag an der rauen See, andere wiederum empfinden dies schon belästigend. Im Sommer kann eine stürmische Badesaison ebenfalls die Attrak- tivität und Erlebnisqualität mindern, während sie bei Wassersportlern für eine Steigerung dieser sorgt. UV-Strahlung fördert sowohl die Vitamin D-Synthese in der Haut als auch
1 Einleitung und Zielsetzung 3 das psychische Wohlbefinden, während sie in zu hoher Dosis (gesundheits-)schädigend sein kann (Köpke et al. 2007). Die Palette der Auswirkungen des Klimas auf den Men- schen ist vielfältig; einerseits können sie die Qualität und Attraktivität eines Ortes steigern (Smith 1993; Hu und Ritchie 1993; Shoemaker 1994), andererseits können sie Gefahren und negative Reize zur Folge haben. Diese Ambivalenz und Komplexität gilt es erstmals zu identifizieren und anschließend entsprechend den Bedürfnissen im Bereich Tourismus und Erholung anzupassen. Dies ist Forschungsgegenstand der Tourismus-Klimatologie und wurde bereits in zahlreichen Stu- dien thematisiert. Eine umfassende Übersicht für den Zeitraum 1936 bis 2006 bieten Scott et al. (2006a) in ihrer Bibliografie. Die Zahl der Studien über Klima und Tourismus wächst stetig und wird durch die zusätzliche Komponente Klimawandel ergänzt. Da Gebirgsregionen klimatisch sehr sensitive Ökosysteme darstellen, wurde bislang das Hauptaugenmerk im Zusammenhang Klima(wandel) und Tourismus ausschließlich auf die Wintersaison gelegt. Während die Alpen oder Nordamerika (siehe Kapitel 2) von vielen Seiten intensiv untersucht wurden, fanden die deutschen Mittelgebirge nur mäßig Beach- tung. Auch der Sommertourismus wurde selten in den bestehenden Analysen einbezogen, da einerseits die Vulnerabilität gegenüber einer Erwärmung nur als mäßig eingestuft wur- de (Zebisch et al. 2005) und andererseits dieser bislang nicht den hohen Stellenwert auf dem Tourismusmarkt erreicht wie der Winter. Diese Tatsache verliert zusehends mehr an Gültigkeit, was auch die Tourismuszahlen belegen. Allgemeinen Aussagen zufolge ist der Wintertourismus einem hohen Gefährdungspo- tenzial ausgesetzt, während der Sommertourismus profitieren wird, z. B. Verlängerung der Saison, Qualitätssteigerung. Diese allgemeinen Aussagen müssen im Detail nicht zutref- fen, denn jede Region und Destination weisen ein unterschiedliches (Attraktions-)Potenzial und einen unterschiedlichen Grad an Vulnerabilität auf. Demzufolge ist es ein Ziel, das zukünftige touristische, klimatische Potenzial abzuschätzen. Da das Klima nicht die ein- zige Rahmenbedingung ist, die sich im Kontext Tourismus ändern kann – es finden u. a. auch sozio-ökonomische und technologische Veränderungsprozesse statt –, wird das For- schungsfeld weitaus komplexer, wobei im Rahmen dieser Untersuchung nicht auf jedes Detail eingegangen werden kann. Um das touristische, klimatische Potenzial abschätzen zu können, gilt es in erster Li- nie, die entsprechenden klimatischen Kriterien zu identifizieren (siehe Kapitel 4.2). Per- ry (1997) legt dar, dass für den Sommertourismus – vor allem für den Badetourismus – die wichtigsten klimatischen Einflussfaktoren Sonnenschein, Luft- und Wassertemperatur
4 1 Einleitung und Zielsetzung sind. Allerdings sind im Vergleich zum Wintertourismus die klimatischen Voraussetzungen für den Sommertourismus weniger eindeutig und die genauen Abhängigkeiten kaum unter- sucht. Weiterhin unterscheiden sich auch die einzelnen Formen des Sommertourismus wie Badeurlaub, Aktivurlaub oder Urlaub auf dem Lande in ihren klimatischen Ansprüchen sowie der Stärke der Abhängigkeit. de Freitas (2003) ordnet den klimatischen Einfluss- größen drei Facetten zu – thermisch, physikalisch und ästhetisch –, wobei Matzarakis et al. (1999) in der thermischen Komponente (thermisches Empfinden) die größte Relevanz sehen. Der thermischen Komponente wird in dieser Untersuchung über die Physiologisch Äquivalente Temperatur PET Ausdruck verliehen. Ziel dieser Untersuchung ist es demnach, das zukünftige Klima für Mittelgebebirge un- ter Berücksichtigung der einzelnen Klimafacetten zu analysieren und zu bewerten. Dabei soll ein für den Tourismus integraler Ansatz verwendet werden. Obwohl sich Klimaveränderungen auf globaler Ebene abspielen, können ihre Auswir- kungen und Folgen (Impacts) auf lokaler und regionaler Ebene erheblich variieren (Ame- lung et al. 2007). Somit basieren die so genannten Impact Studies weniger auf globalen, sondern eher auf regionalen Klimasimulationen. Globale Klimamodelle mit einer Auf- lösung von meist 100 km werden für gewöhnlich benutzt, um die Auswirkungen steigen- der Treibhausgaskonzentrationen, veränderter Aerosolzusammensetzung und der Landnut- zung zu untersuchen. Sie sind in der Lage, die großräumige Zirkulation sowie die mittle- ren klimatischen Zustände weitestgehend realitätsnah zu simulieren (z. B. Rial et al. 2004; Reichler und Kim 2008). Jedoch sind jene Globalmodelle weniger geeignet, die Ober- flächenheterogenitäten auf Skalen kleiner als 100 km abzubilden und die Auswirkungen globaler Änderungen auf regionaler Ebene abzuschätzen. Regionale Klimasimulationen können entweder mithilfe statistischer Verfahren (z. B. STAR - Statistical Regional Mo- del, Werner und Gerstengarbe 1997 oder WETTREG - Wetterlagen-basierte Regionalisie- rungsmethode, Enke und Spekat 1997) oder dynamischen Downscalings ermittelt werden (z. B. Jacob et al. 2001; Steppeler et al. 2003). Dabei werden regionale Modelle in globale Modelle „genestet“ (eingebettet), d. h. der Modelloutput des Globalmodells dient zur Be- rechnung der möglichen Entwicklung des Klimas auf einer feiner aufgelösten räumlichen Skala (< 20 km). Vor allem im komplexen Gelände – z. B. Mittel- und Hochgebirge – ist eine hohe räumliche Auflösung essenziell, da meso- und mikroskalige Prozesse einen entscheiden- den Einfluss auf das Gebirgsklima haben (Whiteman 2000). Kleinräumige Windsysteme und Wolkenformationen fallen zum Beispiel durch das grobmaschige Gitter von globalen Modellen und die Höhenabhängikeit von einigen Klimaparametern (z. B. Lufttempera-
1 Einleitung und Zielsetzung 5 tur) kann nur rudimentär wiedergegeben werden. Aber auch Regionalmodelle gelangen an ihre Grenzen, da nicht jeder einzelne Prozess im System Erde-Atmosphäre realitätsgetreu abgebildet werden kann und somit parametrisiert werden muss.
2 Stand der Wissenschaft Das Klima ist keine konstante Größe, sondern unterliegt Änderungen auf unterschiedli- chen räumlichen und zeitlichen Skalen. Klimaveränderungen, d. h. über mehrere Jahre bis Jahrmillionen andauernde Abweichungen vom langjährigen Mittelwert, sind die Folge von Änderungen in der Energiebilanz der Erde. Dabei können die Änderungen natürlichen und anthropogenen Ursprungs sein. Zu den natürlichen Prozessen gehören beispielsweise Vul- kanismus, plattentektonische Verschiebungen, solare Aktivitätsschwankungen und Varia- tionen in den Erdbahnparametern (Jacobeit 2007; Glaser und Schenk 2007). Im Pleistozän, d. h. ca. 2 Millionen Jahre bis 11.000 Jahre vor heute, hat sich das Klima vergleichswei- se langsam zwischen Warm- und Eiszeiten gewandelt. Dabei betrugen die Temperatur- schwankungen zwischen den Glazialen (Kaltzeiten) und Interglazialen (Warmzeiten) in Mitteleuropa im Mittel bis zu 10-12 °C. In diesen Warmzeiten waren die Pole allerdings noch mit Eis bedeckt (Bubenzer und Radtke 2007). Seit ca. 10.000 Jahren befinden wir uns in einem solchen Interglazial. In jüngster Zeit hat der anthropogene Anteil im Klimasystem mehr und mehr an Bedeu- tung gewonnen. Dabei spielen vor allem Landnutzungsänderungen und die Freisetzung klimawirksamer Spurengase und Emissionen eine entscheidende Rolle. Resultat sind kli- matische Folgewirkungen in verschiedenen Bereichen: ? Änderung des globalen Strahlungs- und Energiehaushalts, ? Einfluss auf die stratosphärische Ozonschicht, ? Veränderung der Luftzusammensetzung infolge der freigesetzten Emissionen, ? Veränderungen des Regionalklimas, ? Spezielle Klimaveränderungen in urbanen Gebieten (Jacobeit 2007). Um die heute ablaufenden Klimaveränderungen verstehen und deren anthropogenen An- teil abschätzen zu können, ist ein Verständnis natürlicher Klimaveränderungen notwendig. Auch in Zukunft ist mit natürlichen Änderungen zu rechnen, die allerdings vom anthro- pogenen Signal überlagert werden. Die rezente Erwärmung kann – was Modellergebnisse 7
8 2 Stand der Wissenschaft bestätigen – auf den dominanten Einfluss des Menschen zurückgeführt werden1 (IPCC 2007). So ist beispielsweise im letzten Jahrhundert die Lufttemperatur weltweit um ca. 1 °C gestiegen; in Deutschland um 0,9 °C und in den Alpen sogar um 1,5 °C. In den näch- sten 100 Jahren wird eine nochmalige Erhöhung von bis zu 3,5 °C erwartet. Besonders aus- geprägt ist die Erwärmung im Winter, welche erhebliche Auswirkungen auf die Schnee- bedeckung, das Schneepotenzial und den Wintertourismus vor allem in Mittelgebirgen hat (IPCC 2007). Satellitenbeobachtungsdaten von 1966 bis 2005 zeigen, dass die monatliche Schneedeckenhöhe in der nördlichen Hemisphäre um 1,3 % pro Dekade zurückgegangen ist (UNEP 2007). Tiefebenen in Zentraleuropa weisen neuerdings eine Abnahme in der jährlichen Schneedeckendauer von einem Tag pro Jahr auf (Falarz 2002). In den Schwei- zer Alpen ist seit 1980 die Schneedecke signifikant zurückgegangen (BMU 2008) und die Gefährdung des traditionellen Wintersports ist schon jetzt augenscheinlich. Gegenwärtig werden Schneegebiete oberhalb von 1500 m als schneesicher erachtet2 (Beniston 2003); zukünftig wird jedoch mit einer Zunahme der Lufttemperatur um 1 °C eine Erhöhung der Schneegrenze um 150 m erwartet. Somit ist der Wintertourismus im Kontext des Klima- wandels ein sehr aktuelles Thema, dessen sich viele Wissenschaftler in den letzten 5 bis 10 Jahren intensiv angenommen haben. Eine der ersten Untersuchungen wurden von Mc- Boyle und Wall (1992) für die Skiindustrie in der Great Lake Region, USA, durchgeführt. Weitere Untersuchungen für Nordamerika (Hamilton et al. 2003; Scott et al. 2003; Scott et al. 2005; Scott et al. 2006b; Scott et al. 2006c), Schottland (Harrison et al. 1999; Harrison et al. 2001), Japan (Fukushima et al. 2002) und den Alpenraum (Breiling und Charam- za 1999; Koenig und Abegg 1999; Elsasser und Messerli 2001; Elsasser und Bürki 2002; Hantel und Hirtl-Wielke 2007; Steiger 2004; Steiger und Mayer 2009; Hantel et al. 2000; Beniston et al. 2003a; Beniston et al. 2003b) folgten. Unter diesen Destinationen wurde im europäischen Raum die von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organization for Economic Co-operation and Development - OECD) durch- geführte erste umfassende länderübergreifende Studie über den Klimawandel in den Alpen für die Regionen Frankreich, Schweiz, Österreich, Italien und Deutschland veröffentlicht (OECD 2007). Sie legt dar, dass unter einem 2 °C wärmeren Szenario die Anzahl der na- türlich schneesicher geltenden Skigebiete (609 von insgesamt 666, das entspricht 91 %) auf 404 (61 %) und unter einem 4 °C wärmeren Szenario weiter auf 202 (30 %) zurück 1 Rein rechnerisch hätte die Erwärmung, wie sie gegenwärtig detektiert wird, allein nur aus natürlichem Antrieb nicht stattgefunden. 2 Aufgrund der Effekte der Kontinentalität ist die Grenze der natürlichen Schneesicherheit von Region zu Region verschieden. So liegt diese beispielsweise in der Schweiz und Westösterreich bei 1200 m, in Ostösterreich und Deutschland bei 1050 m und in Italien bei 1500 m. Für Frankreich wird je nach Gebiet eine Grenze von 1200 bis 1500 m angegeben (OECD 2007).
2 Stand der Wissenschaft 9 geht. Beniston et al. (2003a) geben bei einer Erhöhung der Lufttemperatur um 4 °C, die bis 2071-2100 im Alpenraum erwartet werden kann, eine Abnahme des Schnees um min- destens 90 % bei 1000 m, 50 % bei 2000 m und 35 % bei 3000 m an. Weiterhin wird die Schneesaison um 50 bis 60 Tage bei 2000-2500 m Höhe und 100 Tage bei 1000 m Höhe verkürzt (Rowell 2005; Beniston et al. 2003a; Ráisánen et al. 2003). Im Alpenraum wird mit einer vergleichsweise starken Erwärmung von 2,3 bis 3,3 °C bis zur Mitte dieses Jahr- hunderts und 2,9 bis 5,3 °C bis Ende dieses Jahrhunderts gerechnet. Die Folgen variieren innerhalb der 5 untersuchten Alpenländer, wobei die deutsche Skiindustrie am stärksten betroffen sein wird. Künstliche Beschneiung als Anpassungsmaßnahme ist seit den 1980er Jahren operationell im Einsatz. 50 % der Flächen in Österreich, 40 % in Italien, 18 % in der Schweiz, 15 % in den Französischen Alpen und 11 % in Deutschland (Bayern) wer- den derzeit künstlich beschneit (OECD 2007). Zudem wird eine verstärkte Variabilität des winterlichen Niederschlags erwartet, die auch die Schneeverhältnisse beeinflussen kann. Im Allgemeinen beziehen sich Studien, die von rein wissenschaftlichem Interesse ge- prägt sind, zumeist auf langfristige Änderungen, d. h. sie decken den Zeitraum bis zum Ende des 21. Jahrhunderts, 2071-2100, ab (z. B. PRUDENCE, Christensen und Christen- sen 2007 oder ENSEMBLES, van der Linden und Mitschell 2009). Auf regionaler Ebe- ne existieren zahlreiche Untersuchungen zum Wintertourismus und Klimawandel, die das Ausmaß steigender Temperaturen auf die Schneedecke untersuchen (siehe oben). Die Re- aktion der Schneedeckenverhältnisse auf steigende Temperaturen variiert hierbei mit geo- grafischer Breite und Höhe und hängt von vielen lokalen Faktoren ab, wie z. B. Schneever- wehungen, kleinräumige Turbulenzen, die auf gegenüberliegenden Seiten unterschiedliche Schneeverhältnisse bedingen können. Somit gestaltet sich eine genaue gegenwärtige und zukünftige Klassifizierung aufgrund der hohen räumlichen Variabilität und der fehlenden mikroskaligen Auflösung von Seiten der Modelle schwierig (Sturm et al. 1995). Dement- sprechend sind Aussagen über klimatische Änderungen und ihre Folgen nur so gut wie ihre Modelle. Obwohl Mittelgebirge sehr vulnerabel gegenüber einer steigenden Lufttemperatur sind, wurde bislang wenig Augenmerk darauf gelegt. Die aktuelle Situation in den deutschen Mittelgebirgen basierend auf der mittleren, jähr- lichen Anzahl der Schneetage ist für den Zeitraum 1980-1999 in Abbildung 2.1 wieder- gegeben. Nach der Definition von Abegg (1996) kann ein Skigebiet als schneesicher er- achtet werden, wenn 7 von 10 Winter eine ausreichende Schneedecke von mindestens 30 bis 50 cm, an mindestens 100 Tagen zwischen dem 1. Dezember und 15. April aufweisen. Diese so genannte 100 Tage-Regel trifft auf den Südschwarzwald zu, während der Nord-
10 2 Stand der Wissenschaft schwarzwald eine geringere Anzahl von Schneetagen von mindestens 40 Tage aufweist, wobei Hornisgrinde (1164 m) mit 80 bis 100 Schneetagen annähernd als schneesicher gilt. Diese Ergebnisse sind konsistent mit früheren Ergebnissen von Roth et al. (2005). Die Autoren geben zusätzlich an, dass derzeit noch durchschnittlich an 24 Tagen Beschneiung möglich ist. Schneedecke und Skigebiete NORDFRIESI S CH SYLT N O RD 1 Brocken 1142 m 2 Braunlage 625 m FR ANGELN O S T S E E IESL 25 25 20 20 Husum FEHMARN DA R S S Schneehöhen > _ 10 cm E 15 15 AND RÜGEN an ausgewählten IN 10 10 N O R D S E E Kiel SE 5 5 0 0 169 Bergstationen LN V O N D J F M A M O N D J F M A M Bungsberg O Beobachtungsperiode US Rostock ED R 3 Kahler Asten 839 m OM Kumme- O P 25 rower M 1980 - 1999 INSELN See M ISCHE Lübeck 20 IES Schweriner E TFR MAR N R Station Höhe über NN OS 15 See N OR Schwerin M E C K L 10 ST ENB Neubranden- 25 5 UR Bremerhaven GI burg 20 0 O N D J F M A M SC 179 15 Emden O S T- Hamburg HE Helpter Berge 10 K ND Plauer SE EN AR 4 Schneifelforsthaus FRIESLA See 5 Lüneburg Elb Müritz PL A 0 657 m TTE M e O N D J F M A M R 25 169 Monat E N D 20 Bremen K Oldenburg Wilseder Berg C 15 Wese L Ü NE B U RG E R U Ems 10 Neuruppin Tage je Monat A r Eberswalde 5 H E I DE L 0 Cloppenburg O O N D J F M A M S er d Havel Wahrscheinlichkeit M H A V E L- A L T M A R K 25 Havel E 5 Wasserkuppe 921 m Celle des Auftretens einer 25 Nordhorn Stendal L A N D BERLIN Spr 50 Schneehöhe von 20 Hannover ee 15 TE Osnabrück Potsdam Plauer Frankfurt 75 >_ 10 cm für Tage pro 10 UT W See (Oder) 5 OB UR E S Braunschweig 201 Monat in Prozent 0 GE E Magdeburg Hagelberg O N D J F M A M R Bielefeld W F R L Ä SP Münster R es BE R G L A N W M I N G EE er M AL Halberstadt 6 Fichtelberg 1213 m Ü N S N D WA T E R L A D LD 1 Dessau 25 Brocken 1142 Ostharz Cottbus 528 H 20 Gr. Blöße A S 2 R aale 15 Paderborn West- 10 Z Halle Essen Dortmund harz (Saale) 5 Torgau D Duisburg 0 Göttingen LEIPZIGER Nordhausen GE O N D J F M A M La Kassel IR Winterberg usitzer Neiß 477 Leipzig ree EB S A U E R - Kyffhäuser Düsseldorf Görlitz Sp 7 Stötten 739 m RG Willingen THÜRINGER TIEFLANDSBUCHT Elbe ITZER US B AA L A N D 3 KÖLNER BUCHT Kahler Asten LA 25 Fu TH ER 841 BECKEN e 20 ld Dresden a ELBSAND- GL RO Köln Eisenach 15 Erfurt STEINGEB. D. TH 10 Gera 793 Siegen E Rh Aachen ÜR IN Thüringer le 5 Marburg Werr G Östliches Lausche aa Chemnitz D GE Wald IR ein Bonn a S Erzgebirge 0 S AL O N D J F M A M H E E RW R E B Mittlere jährliche Anzahl VOGELS- Fulda Ö N C E ST WA G 8 Großer Arber 1437 m I S W Taufstein 772 B Wasser- kuppe 982 Gr. Beerberg L D VO Plauen R Z Mittleres Erzgebirge der Tage mit einer I N 950 E 25 E G S E E RG 5 FR GT LA ND 1214 6 Schneehöhe > _ 10 cm H Koblenz Fichtelberg H 747 A I R N U 880 R W AN K E 20 4 R Hohe Acht L el B LD N- Westliches Beobachtungsperiode T 15 Mo s E TAU Gr. Feldberg F E Erzgebirge SAR 10 Coburg E I G Frankfurt a.M. 1980 - 1999 5 - Wiesbaden FICHTEL- ER Bay- B 0 Schneeberg 1051 EF Aschaffen- Mai ES O N D J F M A M n reuth Ochsenkopf HI K burg L Mainz G E B IR GE SC C OBER 160 P A 9 Feldberg 1490 m Ü S Trier R Main Würzburg S N818 O 25 U 686 D 120 EN C H E PFÄ H Erbeskopf Donnersberg Weiden 20 W i.d. OPf. AL 80 WA ZER 15 LZE D LD 10 Kaisers- N 5 Mannheim Nürnberg Poppberg 60 RW lautern ec ÄL Neunkirchen 657 Hoher I S 0 kar O N D J F M A M Bogen 40 AL PF Saarbrücken D 1456 B AY K 8 10 Isny 712 m Heilbronn ER Gr. Arber Arbergebiet 20 . N Karlsruhe 25 Staatsgrenze Ä Regens- St. Englmar 10 20 R W 15 F burg Bischofsmais A 10 Ländergrenze Stuttgart Aalen Ingolstadt LD Mitter- firmians- 5 5 1164 reut D B H A R Z Gebirge, au Hornisgrinde 0 7 L Do n L O N D J F M A M r A Passau keine Angaben für Landschaft cka Landshut A Ne Reutlingen E 11 Garmisch-Partenkirchen H einige Inseln W Offenburg C 714 m Ulm Berg mit I S Brocken Augsburg Z 25 1142 Inn B Höhen- 1015 A R n 20 Lemberg Ä i Rhe Villingen- 557 15 10 angabe Schwenningen Kaiserstuhl H W München Skigebiete überregionaler C Am- Bedeutung H W 5 Freiburg Biberach Spitzingsee / Kampenwand / 0 i. Br. S a.d. Riß mer- Schliersee O N D J F M A M see Aschau Chiemsee 9 Feldberg Ravensburg U Ober- Starnberger A L P E N Skigebiet S C See 1495 Immenstadt / Ä ammer- H E 12 Rettenberg G Kempten I S C 12 Wendelstein 1842 m Feldberg gau Ruhpolding / Inzell Konstanz E R L 10 Y Berchtesgadener B A AL 25 Ostallgäu Bodensee Mitten- Sudelfeld / Reit im Land 20 Oberstaufen / Allgäu wald Lenggries / Wendel- Winkel Watzmann © Copyright der thematischen 2713 15 Hörnergruppe Brauneck stein Rasterdaten: DWD 10 Oberjoch / 11 Zugspitze Garmisch- 5 Hindelang 2962 Oberstdorf Partenkirchen / 0 Mädelegabel Grainau Autoren: C. Schneider, J. Schönbein O N D J F M A M 2645 0 50 100 km Kartografie: A. Müller Quellen: DWD, BADER-NIA 2000, SCHNEIDER / SCHÖNBEIN 2003 © Leibniz-Institut für Länderkunde 2009 Abbildung 2.1: Mittlere jährliche Anzahl der Tage mit einer Schneehöhe ≥ 10 cm in deutschen Mittelgebirgen für den Beobachtungszeitraum 1980-1999 (Quelle: Schneider et al. 2009) Für den Schwarzwald lässt sich momentan noch keine akute Störung der natürlichen Schneeverhältnisse feststellen. Da der Zeithorizont im Tourismus nicht unbedingt dem langjährigem Klimamittel von 30 Jahren entspricht, sondern eher die letzten 5 und näch-
2 Stand der Wissenschaft 11 sten 5 Jahre in der Planung umfasst, gelten die letzten beiden Wintersaisons 2008/2009 und 2009/2010 als Beispiel für einen rezenten schwachen Klimawandel. Der Handlungsdruck von Seiten der Touristiker ist demnach zurzeit gedämpft. Abbildung 2.2, die die Höhenverteilung ausgewählter Skigebiete im Schwarzwald dar- stellt, verdeutlicht die angehende Problematik. Abbildung 2.2: Höhenlage ausgewählter Skigebiete im Schwarzwald. Dabei beziehen sich die Hö- henangaben jeweils auf die Tal- und Bergstation Allgemeinen Aussagen zufolge liegt die natürliche Schneegrenze gegenwärtig bei 1500 m. Sie wird sich jedoch in Zukunft weiter nach oben verlagern. Die höchsten Skige- biete befinden sich im Südschwarzwald mit bis zu 1450 m. Der Nordschwarzwald hinge- gen weist deutlich weniger Skigebiete auf, die sich in Höhenlagen von 500 bis zu 1055 m erstrecken. Aufgrund der zu erwartenden stärkeren Zunahme der Lufttemperatur im Sü- den und Südwesten gilt der Schwarzwald unter den deutschen Mittelgebirgen als das am stärksten vom Klimawandel betroffene Mittelgebirge. Roth et al. (2005) geben für den Südschwarzwald einen Rückgang der Schneedeckendauer um ca. einen Tag pro Jahr an. Für den Nordschwarzwald ist der Rückgang mit 0,7 Tagen pro Jahr vergleichsweise mo- derat. In einer neueren Untersuchung, basierend auf Ergebnissen aus dem Projekt GIS- KliSchee, geben Roth et al. (2009) für die tieferen und mittleren Lagen (500 bis 1000 m) des Schwarzwaldes einen Rückgang von 57 bis 66 % und von 24 bis 44 % in den Gip- fellagen (> 1200 m) bis 2041-2050 an. Die potenziellen Beschneiungstage werden einen Rückgang von 44 bis 50 % erfahren.
12 2 Stand der Wissenschaft Bei bislang allen Studien wurde dem Sommertourismus kaum Beachtung geschenkt. Dieser hat im Gegensatz zum Wintertourismus bedingt durch die auf den Klimawandel zurückzuführende steigende Zahl an warmen und trockenen Tagen jedoch bessere Chan- cen noch attraktiver zu werden (Zebisch et al. 2005). Jedoch muss sich eine steigende Lufttemperatur nicht immer positiv auswirken. So können steigende Maximaltemperatu- ren eine Zunahme der heißen Tage und des Hitzestresses bedeuten sowie eine Zunahme von Hitzewellen (Schär et al. 2004). Der Sommer 2003, der von vielen Seiten sehr aus- führlich analysiert wurde (z. B. Beniston 2004; Black et al. 2004; Fink et al. 2004; Stott et al. 2004; Schär et al. 2004; Hutter et al. 2007) und eine Welle von Anpassungsmaßnah- men und Entwicklung von Warnsystemen (z. B. Hitzewarnsystem) zur Folge hatte (Koppe und Becker in press), könnte ein Vorgeschmack dessen sein, wie die Sommer in Zukunft sein können. Vor allem der Südwesten Deutschlands wird mit der im Mittel (für Deutsch- land) stärksten Erwärmung konfrontiert und ohne Anpassung sehr vulnerabel sein. Damit einhergehend könnten sich auch die Sommertrockenheit und -dürre in der Frequenz und Dauer intensivieren. Trotz der zu erwartenden Abnahme der Sommerniederschläge werden die Starknieder- schläge zunehmen. Dies lässt sich dadurch erklären, dass wärmere Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann und an Gebirgen zum Aufsteigen gezwungen wird. Die Luft kühlt sich ab, kondensiert und fällt als Niederschlag wieder aus. Somit wird angenommen, dass orogra- fisch bedingter Niederschlag stärker zunehmen wird als das globale Mittel. Eine Zunahme konnte schon seit 1901 vom Deutschen Wetterdienst (DWD) registriert werden. Auch wird sich nach Aussagen einiger Wissenschaftler (z. B. Geng und Sugi 2003; Lambert und Fyfe 2006; Bengtsson et al. 2006; Leckebusch et al. 2006; Pinto et al. 2006) die Häufigkeit von Sturmereignissen über Zentraleuropa reduzieren, wohingegen starke (extreme) Ereig- nisse wie die aus der Vergangenheit bekannten Stürme Vivian, Kyrill und Lothar häufiger auftreten können. Der Klimawandel stellt für den Schwarzwald aktuell noch keine akute Bedrohung dar (Matzarakis und Endler 2008). Um allerdings weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben, muss bewusst gemacht werden, welche klimatischen Entwicklungspfade im Schwarzwald er- wartet werden können. Demzufolge soll diese Untersuchung u. a. dazu dienen, Auswirkun- gen des Klimawandels auf den Sommer- und Wintertourismus für die Schwarzwaldregion aufzuzeigen und gleichzeitig die Tourismusbranche auf mögliche Risiken und Chancen zu sensibilisieren.
2 Stand der Wissenschaft 13 Da ein sich änderndes Klima auch am Tourismus nicht spurlos vorübergeht und Qualität des Tourismus sowie Länge der Saisons erheblich beeinflussen kann, ist es von Vorteil, gezielt auf die wichtigsten Klimaparameter im Tourismus einzugehen. Dabei werden nicht die nächsten 5-10 Jahre betrachtet, die für gewöhnlich den Planungshorizont im Touris- mus darstellen, sondern vielmehr die nächsten 30 Jahre. Somit hat die Branche genügend Zeit, sich auf lange Sicht an Veränderungen anzupassen, neue Trends und einen möglichen einhergehenden Strukturwandel zu berücksichtigen. Zudem können einige Änderungspro- zesse aufgrund der Trägheit der Erde oder Wechselwirkung der Atmosphäre mit anderen Teilsystemen im Klimasystem sehr langsam von statten gehen und teilweise nicht unmit- telbar in den folgenden 5 Jahren detektiert werden. Aber auch andere Parameter wie z. B. Gesundheitszustand, Fitness, Durchschnittsalter, subjektive Bedürfnisse oder auch finanzielle Situation der Bevölkerung können entschei- dend Angebot und Nachfrage im Tourismus bestimmen. Die Palette der auf Tourismus und Freizeit wirkenden Faktoren ist sehr vielseitig und kann in dieser Untersuchung nur indi- rekt Berücksichtigung finden, indem unter dem Gesichtspunkt Gesundheit und Erholung entsprechende Klimaparameter und Klimaschwellen – abgeleitet von der Literatur – vorab festgelegt werden können. In diesem Kontext werden auch ansatzweise nachhaltige, d. h. ökologisch und ökonomisch tragbare, Anpassungsmöglichkeiten diskutiert. Diese Untersuchung basiert somit auf einer nach Saisons differenzierten, integralen Analyse für den Tourismus in Mittelgebirgen und soll als Auftakt für weitere Untersu- chungen dienen, zumal wissenschaftliche Vergleichsstudien über Sommerbedingungen in Mittelgebirgen kaum vorhanden sind. Des Weiteren wird ein Schwerpunkt auf die Neben- saison Frühjahr und Herbst gelegt, die für den Tourismus entscheidend sein kann, doch bislang kaum Beachtung fand.
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