Anhänge Das Lehrkonzept"Wirtschaftswissenschaften als Gegenstand Ökonomischer Bildung"

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Das Lehrkonzept„Wirtschaftswissenschaften als Gegenstand
Ökonomischer Bildung“

Hier in der Kernversion des Jahrgangs 2018, erstmals veröffentlicht in Cas-
per, Marc; Tramm, Tade; Thole, Christiane (2020): Universitäre Lehrerbil-
dung: Kritisch-reflexiv, multiperspektivisch, gestaltungsorientiert. Konzept und
Erfahrungen aus der Veranstaltung „Wirtschaftswissenschaften als Gegenstand
Ökonomischer Bildung“ an der Universität Hamburg. In: Christian Fridrich, Rein-
hold Hedtke und Walter-Otto Ötsch (Hg.): Grenzen überschreiten, Pluralismus
wagen. Perspektiven sozioökonomischer Hochschullehre. Wiesbaden: Springer
VS, S. 265–290. Die Lernimpulse sind in den nachfolgenden Jahrgängen gering-
fügig angepasst worden, im Jahr 2020 wurde erstmals eine rein virtuelle Version
des Seminars erprobt, siehe dazu den letzten Abschnitt dieses Anhangs. Es emp-
fiehlt sich, die grafische Übersicht, den tabellarischen Ablauf und die einzelnen
Lernimpulse verzahnt zu lesen, um die einzelnen Impulse immer wieder an ihren
übergeordneten Kontext zurückzubinden. Sollten Sie Interesse an der aktuellen
Version der Lernmaterialien oder an Kooperationen in der Lehre haben, nehmen
Sie gern Kontakt auf, z. B. per E-Mail an post@marccasper.de.

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch       93
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021
M. Casper, Lebendige Wirtschaftsdidaktik, Sozioökonomische Bildung und
Wissenschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32751-4
94                                                                    Anhänge

Auszug aus der Modulbeschreibung aus dem
Veranstaltungsverzeichnis der Universität Hamburg

Qualifikationsziele:
Die Studierenden sind in der Lage, das Erkenntnisinteresse und das Erkenntnis-
und Gestaltungspotenzial der Wirtschaftswissenschaften kritisch zu reflektieren
und paradigmatisch einzuordnen. Auf dieser Grundlage können sie deren Rele-
vanz für Ökonomische Bildungsprozesse im Kontext beruflicher und allgemeiner
Bildung einschätzen. Sie verstehen die Problematik der didaktischen Reduktion
und Transformation ökonomischer Bildungsgegenstände. Sie sind in der Lage,
exemplarische Inhalte der Wirtschaftswissenschaften didaktisch zu modellieren
und dies in Bezug auf ihr persönliches Bildungsverständnis zu begründen.
Inhalte:

• Wissenschaftstheoretische und methodologische Orientierungen in den Wirt-
  schaftswissenschaften
• Verhältnis Fachwissenschaft und Fachdidaktik
• curriculare Relevanzkriterien, Sequenzierungsprinzipien
• Kompetenzorientierung und Lernzielformulierung
• Reflexion des Hochschulcurriculums aus curriculumtheoretischer Perspektive
• didaktische Reduktion
• Didaktische Transformation und Modellierung
• Didaktische Analyse: Kategoriale Bildung, kategoriale Probleme und die
  Struktur der Disziplin
• Didaktische Transformation an einem exemplarischen wirtschaftswissenschaft-
  lichen Gegenstand

Lehrformen:

• Seminar (2 SWS): Zwei Blockseminare und vier Vorlesungen
• Unterrichtssprache: Deutsch
• Voraussetzungen für die Teilnahme: Keine
• Verwendbarkeit des Moduls: Das Modul ist Pflichtmodul für das Fach Wirt-
  schaftswissenschaften im Studiengang BSc Lehramt an Beruflichen Schulen
  – Berufliche Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften der Studienrichtung II
• Art, Voraussetzungen und Sprache der (Teil)- Prüfung: Das Modul wird mit
  einer schriftlichen Prüfung in Form einer 90-min. Klausur abgeschlossen.
• Credits: 3,0
Grafische Veranstaltungsübersicht
                                                                                                                                                                  Anhänge

                      Block 1                                                                                                Block 2
  Mi., 11.04.2018    Fr., 20.04.2018                                                                                        Fr., 22.06.2018    Mi., 11.07.2018
  12:00 – 14:00      09:00 – 18:00                                   Vorlesungen                                            09:00 – 18:00      12:00 – 14:00
  Hörsaal ESA K      Sed. 19, R. 160                       jeweils Mi., 12:00 – 14:00 in Hörsaal ESA K                      Sed. 19, R. 160    Hörsaal ESA K

                                         25.04.2018            02.05.2018             09.05.2018           30.05.2018                              Klausur
  Vorstellung des   Mein Verständnis                                                                                        Leitbilder und
                                                                                                                                                mit Bezug auf
  Veranstaltungs-    von Wirtscha                                                                                            Konzepte
                                                                                                          Versteckte und                        persönliches
     konzepts             und                                                                                               Ökonomischer
                                                                                                         verantwortungs-                          Porolio
                     ökonomischem       Welten des          Ökonomisierung                                                     Bildung
                        Handeln                                                     Ökonomik und               volle
                                       Ökonomischen         und Wirtschas-
                                                                                       Gender             Ökonomische                          Zweiter Versuch:
                                         Denkens                 ethik
                                                                                                             Bildung                           Mi., 26.09.2018
                                                                                    Prof. Dr. Ulrike                                            12:00 – 14:00
                                       Prof. Dr. Andreas     Dr. Maximilian                                                Meine Postulate
                                                                                      Knobloch            Marc Casper,                              ESA K
                                            Fischer            Schormair                                                   Ökonomischer
                     Ökonomische                                                                          Prof. Dr. Tade
                                                                                                                              Bildung
                     Denksle und                                                                            Tramm
                     Orienerungen
                                                                                                                            Desiderate und
                                                                                                                           Entwicklungsziele

   Krische Rekonstrukon der eigenen Ökonomischen Bildung                           Perspekvische Konstrukon der künigen Lehrertägkeit

                          Ablauf der Lehrveranstaltung 2018, © Marc Casper, Tade Tramm und Christiane Thole
                                                                                                                                                                  95
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Tabellarischer Ablaufplan der Blockseminare

Block 1 – Freitag, 20.04.2018, 09:00 – 17:00 Uhr

08:00 – 09:00: Vorbereitung
Buffet und Bibliothek im Plenumsraum aufbauen, Beamer/ppt vorbereiten; in Räumen für
„Runde Tische“ Sitzkreise und 4 Gruppentische, Pinnwände und Material
09:00 – 09:15: Auftakt im Plenum, Begrüßung, Warmwerden, Gruppeneinteilung
Ziel: Die Studierenden wissen, wer sich mit ihnen im Seminar befindet und haben den
Tagesablauf vor Augen.
Lehrimpulse/Material: ppt mit Ablauf und Gruppeneinteilung; Aktivierungsübung
„Lehrer(arche)typen“
09:15 – 09:30: Wechsel in „Runde Tische“, Anwesenheit prüfen, Vorstellungsrunde
09:30 – 11:00: Gesprächskreis: unser Verständnis von Wirtschaft und ökonomischem
Handeln
Ziele: Studierende haben ein Bewusstsein Ihres Verständnisses von Wirtschaft und
ökonomischem Handeln ausgebildet. Sie sind sich der diversen Quellen,
Verwertungsinteressen und Widerspruchspotenziale/Rollenkonflikte dieses Verständnisses
bewusst.
Lehrimpulse/Material: Partnerarbeit – LI 02, Metaplankarten, ggf. Folie „Gegenstände
ökonomischer Bildung“; Anschließend Diskussion mit Impulsen (Beispiele): Wie lassen
sich die Beiträge ordnen/clustern? Welches Gesamtbild entsteht für diesen „Runden
Tisch“? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sind auffällig? Aus welchen Quellen
stammen die unterschiedlichen Verständnisse? Welche (Verwertungs-)Interessen stecken
dahinter? Aus welchen Rollen/Perspektiven heraus wird hier Ökonomie betrachtet (als
Konsument, Familienmensch, Berufsmensch, Pädagoge…)? Gibt es Unterschiede? Welche
Erfahrungen mit Rollenkonflikten haben Sie gemacht (Identifikation mit wirtschaftlichen
Rollen)? Wie gehen Sie damit um?
11:00 – 11:15: Kaffeepause
11:15 – 13:00: Gesprächskreis: Ökonomische Haltungen und Denkstile (Archetypen)
Ziele: Studierende können sich zu Archetypen unterschiedlicher ökonomischer
Perspektiven positionieren und haben verstanden, dass sinnvolles ökonomisches Handeln
verschiedenen Denkstilen/Paradigmen, gesellschaftlichen Normen und subjektiver
Interpretation unterliegt.
Lehrimpulse/Material: Lernimpuls 03 – Think, Pair, Square, Share, Druckvorlage mit
Archetypen an vier Tischen oder an den Wänden; Diskussion mit Impulsen (Beispiele):
Welche eigenen Prinzipien haben Sie in der Auseinandersetzung entdeckt, die Ihnen zuvor
nicht bewusst waren? Was schätzen Sie: Zu welchem Anteil sind Ihre ökonomischen
Überzeugungen unbewusst? Welche Widersprüche zeigen sich und wie lässt sich damit
umgehen? Wie entstehen diese unterschiedlichen Denkstile/Überzeugungen, denen wir
hier begegnen? Welchen Einfluss hat ökonomische Bildung, in welchen Institutionen oder
informellen Rahmen? Welche (unbewussten) Überzeugungen werden z. B. in Schule und
Universität sozialisiert (ggf. unterschwellig)?
13:00 – 14:00: Mittagspause
Anhänge                                                                                  97

14:00 – 15:00: Gesprächskreis: Prinzipien und Orientierungen für wirtschaftliches Handeln
in schwierigen Situationen (Dilemmata)
Ziele: Studierende haben erkannt, dass es für wirtschaftliches Handeln selten eine eindeutig
optimale Lösung gibt. Sie können Entscheidungsprobleme und Gestaltungsprobleme
unterscheiden. Sie können diese Erkenntnis kritisch auf das Erkenntnispotenzial der
Wirtschaftswissenschaften beziehen; haben erkannt, dass ökonomisches Handeln nicht
allein mit Rationalmodellen zu erklären ist und dass rein am Eigennutz orientiertes
ökonomisches Handeln zur Unvereinbarkeit privater und beruflicher Rollen führen kann.
Lehrimpulse/Material: Vorab Klärung: Was genau ist ein Dilemma? Lernimpuls 04 (30
Min.) – drei Dilemmata zur Bearbeitung in Gruppen, danach Vorstellung und vertiefende
Diskussion im Plenum (30 Min.); Diskussion mit Impulsen (Beispiele): Welche Rolle
spielen Ihre Erkenntnisse aus der Wirtschaftswissenschaft/Berufsschule/Universität bei
Ihren Entscheidungen? Wie beziehen Sie Ihre Entscheidungen auf die bisherigen Impulse
und Diskussionen des heutigen Tages? Handelt es sich hier um ‚reine‘
Entscheidungsprobleme? Wenn alle Alternativen unbefriedigend sind, kann/muss man
nicht befriedigendere Lösungen schaffen? Wie? Wie geht die Wirtschaftswissenschaft mit
solchen Gestaltungsfragen um?
15:00 – 15:15: Kaffeepause
15:15 – 16:45: Den Sinn des Wirtschaftens konstruieren
Ziel: Studierende haben ein persönliches Fazit aus den vorangegangenen Überlegungen
gezogen, dieses visualisiert und diskursiv reflektiert.
Lehrimpulse/Material: Lernimpuls 05, Collagen-Elemente; 15 Min. Auswertung im
Plenum; Abschluss an den jeweiligen Runden Tischen. Wichtig: Lese-Auftrag geben (LI
06)!

Block 2 – Freitag, 22.06.2018, 09:00 – 17:00 Uhr

08:00 – 09:00: Vorbereitung wie beim ersten Block
09:00 – 09:30: Begrüßung, Warmwerden, Gruppeneinteilung
Ziel: Die Studierenden wissen, wer sich mit ihnen im Seminar befindet und haben den
Tagesablauf vor Augen.
Lehrimpulse/Material: ppt mit Ablauf, Klausurinfos und Gruppeneinteilung;
Aktivierungsübung; danach Wechsel in „Runde Tische“
09:30 – 11:00: Gesprächskreis: Gemeinsames Bildungsverständnis
Ziele: Studierende können ihr subjektives Bildungsverständnis formulieren, mit dem
anderer abgleichen und in Bezug zu normierten Bildungsaufträgen setzen.
Lehrimpulse/Material: (Anwesenheit prüfen, bisherige Eindrücke rekapitulieren); LI 09,
Ausdrucke HambSchG und KMK; Flipchartblätter und Stifte; Gruppenarbeit (60 Min.) und
Vorstellung im Plenum (30 Min.)
11:00 – 11:15: Kaffeepause
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11:15 – 13:30: Gesprächskreis: Leitbilder und Orientierungen ökonomischer Bildung
Ziele: Phase 1 (ca. 30 Min.): Studierende kennen die curricularen Relevanzkriterien
„Wissenschaftsorientierung, Situationsorientierung und Subjektorientierung“ und können
ihr persönliches Bildungsverständnis zu diesen Kriterien in Bezug setzen.
Phase 2: Studierende haben einen Eindruck über unterschiedliche Leitbilder ökonomischer
Bildung gewonnen und können ihr Bildungsverständnis vor diesem Hintergrund
ausdifferenzieren
Lehrimpulse/Material: Ausdruck „Curriculare Relevanzkriterien“ (mit Rückseite
„Lernhandlungsmodell“ für später); Diskussion im Plenum: Welche Rolle spielten diese
Kriterien bislang (unbewusst) in der Diskussion der Studierenden? Wie können Sie die
Elemente Ihres Bildungsverständnisses zuordnen/neu ordnen?
LI 10, Ausdrucke Leitbildtexte; 45 Min.: Bearbeitung der einzelnen Texte in
Expertengruppen; 60 Min.: Diskussion aller Texte in Stammgruppen
13:30 – 14:30: Mittagspause
14:30 – 16:00: Gesprächskreis: Vom Bildungsverständnis zu Unterrichtszielen
Ziele: Studierende können unter Bezug auf ihr Bildungsverständnis Ziele für ein konkretes
Unterrichtsthema formulieren und diese differenziert über ihr Bildungsverständnis, die
curricularen Relevanzkriterien und das Hamburger Lernhandlungsmodell begründen.
Lehrimpulse/Material: LI 11, Rückgriff auf LHM; 60 Min. Arbeit in Kleingruppen – ggf.
nach der Hälfte neue Impulse/weiteres Material geben (Ziele WuS, Schulbuchauszüge, auf
Lernhandlungsmodell hinweisen); 30 Min. Präsentation & Diskussion als Galeriegang
16:00 – 16:15: Kaffeepause
16:15 – 16:45: Zusammenfassung, Auswertung, Feedback
Ziele: Studierende haben die Veranstaltung individuell reflektiert und können eine zentrale
Erkenntnis für sich formulieren. (Sie haben an der Evaluation teilgenommen).
Lehrimpulse/Material: LI 12, Zugang zur Online-Evaluation klären; Ggf. Blitzlicht zum
Abschluss; Abschluss an den jeweiligen Runden Tischen. Wichtig: An Evaluation
erinnern, falls nicht im Seminar erfolgt.

Lernimpulse

WiGÖB beginnt mit einer kurzen Einführungsveranstaltung zum Problemzusam-
menhang und zur Organisation. Hierbei werden auch die Zugangsdaten zum
digitalen Lernraum vergeben, über die wir mit den Studierenden kommunizie-
ren und Materialien austauschen (an der Universität Hamburg wurde dafür die
Plattform „EduCommSy“ genutzt). Zeitplan und Konzept werden vorgestellt und
der erste Lernimpuls wird gegeben:
Anhänge                                                                          99

  Lernimpuls 1: Mein Verständnis von Wirtschaft und ökonomischem Handeln
  Zeit: zwischen der Einführungsveranstaltung und dem ersten Block
  (ca. 1 – 2 Wochen)
  Ihre Vorstellung von ökonomischem Denken und Handeln hat sich in
  vielen Zusammenhängen entwickelt: In Ihrem Studium, Ihrer beruflichen
  Tätigkeit, Ihrem Privatleben als Wirtschaftsteilnehmer*in... Resümieren Sie:
  • Was haben Sie in Ihrem Leben über „Wirtschaft“ und „ökonomisches
    Handeln“ gelernt?
  • Wie bedeutsam sind diese Erfahrungen/dieses Wissen/Können für Sie?
  • Was möchten Sie mehr/anderes über „Wirtschaft“ lernen?
  Verschriftlichen Sie Ihre Überlegungen in einem Fließtext (ca. eine DIN
  A4-Seite). Stellen Sie diesen am Tag vor Ihrem ersten Blockseminar in
  EduCommSy ein. Bringen Sie den Text in Ihr erstes Blockseminar mit.

Diese Texte dienen als Vorbereitung für den ersten Gesprächskreis am ersten
Blockseminartag. Dort teilen sich die Studierenden nach einer kurzen Begrüßung
und einer Aktivität zum Kennenlernen in Kleingruppen von 12–16 Personen auf.
In den Kleingruppen wird dann in mehreren Gesprächskreisen eine gemeinsame
kritische Rekonstruktion der eigenen ökonomischen Bildung angestrebt.

  Lernimpuls 2: Unser Verständnis von Wirtschaft und ökonomischem Han-
  deln
  Zeit: 30 Min.
  1. Diskutieren Sie in Zweiergruppen Ihrer Wahl. Stellen Sie sich gegen-
     seitig Ihre Überlegungen aus Lernimpuls 01 vor. Machen Sie sich
     gegenseitig deutlich, auf welche Erfahrungen und Beispiele Sie sich
     stützen. Klären Sie Gemeinsamkeiten und Widersprüche.
  2. Halten Sie gemeinsame, vor allem aber strittige Sichtweisen auf Wirt-
     schaft und ökonomisches Handeln auf Moderationskarten fest.
  3. Bereiten Sie sich auf eine Vorstellung und Diskussion im Plenum vor.

Ziel dieser Phase ist, dass sich die Studierenden der diversen Quellen, Ver-
wertungsinteressen und Widerspruchspotenziale unterschiedlicher Verständnisse
von Wirtschaft bewusstwerden. Eine Lösung der Widersprüche ist an dieser
100                                                                      Anhänge

Stelle noch nicht beabsichtigt, stattdessen soll ein Resonanzraum für kognitive
Konflikte entstehen. Im folgenden Gesprächskreis werden die subjektiven Über-
zeugungen dann typischen Denkstilen gegenübergestellt, in Form von Archetypen
ökonomischer Haltungen.

   Lernimpuls 3: Archetypen ökonomischer Haltungen
   Zeit: 90 Min.
   1. Zweiergruppen (ca. 10 Minuten)
   Lesen Sie die Aussagen und Zitate zu den verschiedenen Archetypen.
   Machen Sie sich Notizen:
   a) Welchen Aussagen würden Sie zustimmen, welchen widersprechen?
       Welche Aussagen regen Sie zum Denken an oder erzeugen Emotionen?
   b) Haben Sie Erfahrungen mit Personen gemacht, die diese oder ähnliche
       Aussagen verwenden? Wie haben Sie sich zu jenen Personen verhalten?
   c) Können Sie sich zu einem Archetyp oder einer Mischung aus mehreren
       zuordnen?
   d) Fallen Ihnen weitere Archetypen bestimmter ökonomischer Haltun-
       gen und typische Aussagen ein (historische oder fiktionale Figuren,
       Wissenschaftler, Politiker, ‚Typen‘, die jeder kennt)?
      Diskutieren Sie Ihre Überlegungen mit einem Partner.
   2. Vierergruppen (ca. 20 Minuten)
   Arbeiten Sie heraus, welche Kernideen hinter den unterschiedlichen Arche-
   typen stehen und wie sich diese zueinander verhalten. Visualisieren Sie dies
   auf einem Flipchart.
   3. Plenum (ca. 60 Minuten)
   Stellen Sie Ihr Flipchart im Plenum vor und beantworten Sie Rückfragen
   der anderen Teilnehmenden.

Die vorgestellten ‚Archetypen‘ sind als idealtypische Vertreter*innen zu verste-
hen, als merkmaltragende Figuren, die tradierte bzw. typische Denkstile reprä-
sentieren (oder direkt kritisieren). Auf je einem DINA4-Blatt sind Name, Portrait
und Zitate der ‚Archetypen‘ ausgehängt. Im Folgenden sind [in Klammern] die
jeweiligen Denkstile ergänzt, die sich an diesen Beispielen thematisieren lassen:

• Milton Friedman [Neoliberalismus]
• Gordon Gecko (aus dem Film Wallstreet) [Materialismus/Egoismus]
Anhänge                                                                     101

• Johann Buddenbrook (aus Thomas Manns Roman) [klassische (hanseatische)
  Kameralisten/ehrbare Kaufleute]
• Götz Werner [humanistische/progressive Unternehmer]
• Familie Müller-Malewski (fiktionale moderne Familie aus sozialökologi-
  schem Milieu mit einer Collage aus Popkultur-Zitaten) [Postmodernis-
  mus/Bricolage/Eklektizismus]
• Oscar Wilde [Hedonismus]
• Arno Dübel (Trash-TV-Hartz-IV-Promi aus Hamburg) [Opportunismus, Tritt-
  brettfahrertum]
• Dagi Bee (Youtube-Star) [Individualismus, klassischer American Dream]
• Ariadne von Schirach (mit Zitaten aus ihrem Buch „Du sollst nicht funktio-
  nieren“) [(Anti-)Konformismus]
• Karl Marx [(Anti-)Kapitalismus]

Diese Liste ist bewusst offen, um die Studierenden zur Ergänzung zu provozie-
ren. Sie wird jährlich leicht verändert. Im Gespräch über die Archetypen soll
klar werden, dass es Begriffe und Traditionen für bestimmte Denkstile gibt, und
dass sich diese Stile oft konkurrierend gegenüberstehen. Dies leitet über in die
Auseinandersetzung mit Dilemmata.

   Lernimpuls 4: Dilemmata
   Zeit: 30 Min.
   Dilemma: „Die Wahl zwischen zwei Verhaltensalternativen, wenn beide
   eigenen moralischen Prinzipien widersprechen und es keine dritte Alter-
   native gibt.“ (Lind, 2009, S. 79).
   Bilden Sie Vierergruppen. Lesen Sie die drei Dilemmata auf der Rückseite
   und entscheiden Sie sich für eines, dass Sie gemeinsam besprechen wollen.
   Diskutieren Sie unter den Leitfragen:
   a) Worin genau besteht das Dilemma bzw. der unauflösliche Widerspruch?
   b) Welche Handlungsoptionen bestehen? Welche Vor- und Nachteile sind
      damit verbunden?
   c) Wie würden Sie sich verhalten und warum? Entspricht dieses Verhal-
      ten den Kriterien und Maximen, welche Sie in Studium und Beruf
      kennengelernt haben?
102                                                                      Anhänge

   Halten Sie Stichworte fest, um den anderen Gruppen später einen zusam-
   menfassenden Einblick in Ihre Diskussion geben zu können. […]

An dieser Stelle soll eines der drei Dilemmata als Beispiel genügen:

   […] 3. Umweltsiegel
     Jasmin ist Verkäuferin in einem Drogerie-Einzelhandelsgeschäft. Im Sor-
     timent befindet sich eine umsatzstarke Spielzeug-Produktlinie mit hoher
     Marge und GS-Gütesiegel. Sie verfolgt die Webseite change.org und
     liest dort seit einiger Zeit Aufrufe zu Petitionen, die darauf hindeu-
     ten, dass der Hersteller das Gütesiegel zu Unrecht verwendet: Es sollen
     gesundheitsgefährdende Weichmacher im Spielzeug enthalten sein. Von
     der Geschäftsleitung erhält Jasmin weiterhin hohe Umsatzziele für die
     margenstarken Produkte. Von der Erreichung dieser Ziele hängt ihre
     Bonuszahlung ab. Sie selbst hat zwei kleine Kinder und achtet beim Kauf
     von Spielzeug akribisch darauf, mögliche Schadstoffe auszuschließen.

Dieser Impuls ist zunächst an die Dilemmamethode von Lind (2009), zurückge-
hend auf Kohlberg (1996), angelegt. Die Studierenden sollen erkennen, dass es für
wirtschaftliches Handeln selten eine eindeutig optimale Lösung gibt. Der folgende
Gesprächskreis geht dann über die Grenzen der Dilemmamethode hinaus, indem
er den Raum des Gestaltbaren öffnet. Wo alle gegebenen Alternativen unbefrie-
digend sind, kann es sich nicht um ein Entscheidungsproblem handeln, sondern
um ein Gestaltungsproblem: Statt möglichst rational zwischen Gegebenem abzu-
wägen, gilt es, Synthesen und neue Wege zu erdenken. Moralische Dilemmata
haben in diesem Sinne eine politische Dimension. Indem die Studierenden diese
gestaltungsorientierte Dialektik auf das Erkenntnispotenzial der Wirtschaftswis-
senschaften beziehen, sollte deutlich werden, dass wirtschaftliches Handeln nicht
allein mit Rationalmodellen zu erklären ist. Stattdessen ist Wirtschaft, als „Mit-
telsystem zur Selbstverwirklichung des Menschen“ (Nell-Breuning, 1980, S. 142)
verstanden, stets an individuelle und gemeinschaftliche Absichten, Gestaltungs-
interessen und Sinnfragen gebunden. Daher schließt auch der erste Blocktag mit
einer kreativen Auseinandersetzung mit der Sinnfrage:
Anhänge                                                                      103

  Lernimpuls 5: Der Sinn des Wirtschaftens – mein Bild
  Zeit: 75 Min.
  1. Einzelarbeit (ca. 30 Minuten)
  Was ist der Sinn des Wirtschaftens? Visualisieren Sie Ihre Gedanken auf
  einem DIN-A3-Bogen und lassen Sie die Gespräche des heutigen Tages
  einfließen. Arbeiten Sie so kreativ, unabhängig und assoziativ, wie Sie
  möchten. Sie können auch „Mosaiksteine“ für eine Collage nutzen.
  2. Partnerarbeit (ca. 15 Minuten)
  Stellen Sie Ihr Bild einem selbstgewählten Partner vor. Vergleichen Sie Ihre
  beiden Arbeiten. Was ist anders, was ist gleich? Fragen Sie nach, wenn
  Ihnen Aspekte undeutlich oder auffällig sind. Klären Sie im Gespräch,
  inwieweit Sie Übereinstimmungen finden.
  3. Gallery Walk (ca. 30 Minuten)
  Stellen Sie Ihr Bild im Raum auf. Sehen Sie sich die Bilder der anderen an
  und kommen Sie ins Gespräch.

Als ‚Mosaiksteine‘ werden Zitatsammlungen und eine Auswahl an Cartoons
und Illustrationen zur Verfügung gestellt. Dieser Impuls schafft eine kreativ
verdichtende und tendenziell kognitiv entlastende Zusammenfassung des ersten
Tags.
Es folgt die Phase der Gastvorträge zwischen den beiden Blocktagen. Diese
wird von zwei Impulsen mit Leseaufträgen begleitet, wobei die Online-Plattform
EduCommSy als Forum genutzt wird.

  Lernimpuls 6: Lektüre und Kommentar zu Graupe (2013) und Engelhardt
  (2016)
  Zeit: während der Vorlesungsphase, ca. 2 – 3 Wochen
  Lesen Sie die bei EduCommSy unter „Diskussionen“ eingestellten Texte
  von Graupe (2013) und Engelhardt (2016). Tragen Sie mit einem Kom-
  mentar zur Diskussion bei, indem Sie zu folgenden Aspekten Stellung
  beziehen:
  1. Was sind Ihrer Meinung nach die zentralen und diskussionswürdigsten
     Aussagen der Texte?
104                                                                   Anhänge

  2. Inwieweit spiegeln die Überlegungen in diesen Texten Ihre Erfahrungen
     aus Schule, Beruf und Studium?
  3. Welche Beispiele für und gegen das dort beschriebene Ökonomie-
     Verständnis kennen Sie? Berichten Sie mindestens von einem.
  Sie können gern auf die Kommentare anderer Teilnehmenden reagie-
  ren, sollten dabei aber nicht versäumen, die drei Fragen individuell zu
  beantworten („Ich schließe mich dem Vorredner an“ ist keine Option).

Hier setzen sich die Studierenden mit zugänglichen Texten zur Kritik am neoli-
beralen Mainstream und der Lehrbuchökonomik auseinander. Im Anschluss daran
folgt der zweite Impuls mit Leseauftrag.

  Lernimpuls 7: Lektüre und Kommentar zu Ulrich (2001) und Homann (2008)
  Zeit: während der Vorlesungsphase, ca. 2–3 Wochen
  Lesen Sie die bei EduCommSy unter „Diskussionen“ eingestellten Texte
  von Ulrich (2001) und Homann (2008). Tragen Sie mit einem Kommentar
  zur Diskussion bei, indem Sie zu folgenden Aspekten Stellung beziehen:
  […]

Bis auf die neuen Texte/Themen ist dieser Auftrag identisch zum vorigen. Bei
Ulrich (2001) und Homann (2008) werden Institutionenethik und Individualethik
gegenübergestellt, Ulrich (2001) erwähnt auch das Spannungsfeld Aspektlehre
– Bereichslehre. Jedes Jahr werden Lektüre und Gastvorträge aufeinander abge-
stimmt, sodass ein roter Faden entsteht, der sich von den eigenen Erfahrungen
mit ökonomischer Bildung bis zur künftigen Lehrtätigkeit und deren Gestaltungs-
fragen zieht. In diesem Sinne leiten wir auch den zweiten Blocktag mit einem
Schreibauftrag ein, der einen reflexiven und einen konstruktiven Teil verbindet
und in den Kontext des Seminarverlaufs stellt:

  Lernimpuls 8: Bildende Momente und mein Verständnis von kaufmännisch-
  ökonomischer Bildung
  Zeit: zwischen der letzten Vorlesung und dem zweiten Block, ca. 3 – 4
  Wochen
Anhänge                                                                     105

  1. Erzählen Sie von einer Erfahrung, durch die Sie „wirtschaftlich gebil-
     det“ wurden. Vielleicht möchten Sie auch von einem Impuls durch einen
     besonderen Menschen berichten. Sie können sowohl positive als auch
     negative Erfahrungen schildern. Leitfragen für Ihren Text können sein:
     • Was ist geschehen, wann, wo und mit welchen Beteiligten?
     • Was war das „Bildende“ an dieser Erfahrung?
     • Wie hat sich Ihre Einstellung zu Wirtschaft bzw. Ihre Haltung in
        wirtschaftlichen Situationen dadurch verändert?
  Gestalten Sie Ihren Text biographisch-erzählend (wie z. B. einen Tage-
  bucheintrag, einen Brief an einen Freund oder eine Kurzgeschichte), kreativ
  und detailreich. Bitte schreiben Sie hierzu ca. eine DIN A4-Seite.

  2. Was ist Ihr subjektives Verständnis von „Kaufmännisch-Ökonomischer
     Bildung“? Formulieren Sie dieses Bildungsverständnis als Grundlage für
     die Gruppenarbeit im zweiten Block aus. Berücksichtigen Sie hierbei
     • Ihr Erfahrungswissen (wie es beispielsweise unter 1. zur Geltung
        kommt),
     • Ihre Reflexionen und Diskussionen über ökonomisches Handeln im
        ersten Blockseminar,
     • die Impulse der vier Vorlesungen und
     • die Überlegungen und Argumentationen der Texte (aus den Lernim-
        pulsen: Ulrich, Homann, Graupe und Engelhardt).
        Schreiben Sie in Ihrer Sprache, meiden Sie Leerformeln und direkte
        Zitate. Der Text sollte Ihnen als Richtschnur Ihres eigenen didak-
        tischen Handelns dienen können (Was will ich als Wirtschaftspäd-
        agog*in bei meinen Lernenden erreichen? Worin zeigt sich die
        Qualität meiner Bildungsarbeit?). Bitte schreiben Sie auch hierzu ca.
        eine DIN A4-Seite.
        Wir bitten Sie, beide Texte in einem offenen Format (.doc oder ähn-
        liches) in EduCommSy einzustellen (unter Angabe Ihres Namens)
        und im Blockseminar verfügbar zu haben (ausgedruckt oder digital).
        Wir würden diese Beiträge gern zu Forschungszwecken anonymisiert
        auswerten. Bitte kennzeichnen Sie zu Beginn Ihres Dokuments, wenn
        Sie nicht möchten, dass Ihr Text hierfür genutzt wird.
106                                                                     Anhänge

Dieser Lernimpuls (bzw. seine Abwandlungen in Vorjahren) ist gleichzeitig Basis
der qualitativen Forschungsstränge zu WIGÖB. Der zweite Blocktag setzt hier an
und beginnt analog zum ersten Blocktag mit der Suche nach einem gemeinsamen
Verständnis:

   Lernimpuls 9: Gemeinsames Bildungsverständnis
   Zeit: 60 Min.
   1. Tauschen Sie sich mit einem Partner über Ihr subjektives Bildungs-
      verständnis aus, wie Sie es im Rahmen von Lernimpuls 8 zu heute
      vorbereitet haben. Klären Sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten und
      prüfen Sie, ob Sie sich auf ein gemeinsames Verständnis einigen können.
   2. Setzen Sie Ihr jeweiliges Bildungsverständnis in Bezug zum Bildungs-
      auftrag des Hamburger Schulgesetzes und zum Bildungsauftrag der
      Berufsschule, auf den sich die KMK verständigt hat [hierzu werden
      Handouts ausgeteilt].
   3. Bilden Sie drei Gruppen und versuchen Sie, sich auch in Ihrer Gruppe
      auf ein gemeinsames Bildungsverständnis zu verständigen. Falls Ihnen
      dies nicht gelingen sollte, halten Sie fest, wo Ihre Gemeinsamkeiten und
      wo Ihre Differenzen liegen.
   4. Formulieren Sie Ihr gemeinsames Bildungsverständnis so, dass es Ihnen
      als Bezugspunkt für Unterrichtsplanung dienen kann. Visualisieren Sie
      Ihr Arbeitsergebnis auf Flipchartblättern, um es im Anschluss im Plenum
      vorstellen zu können.

Diese Bildungsverständnisse sollen also im Laufe des Tages ausgearbeitet wer-
den, bis sie als Orientierung für die berufs- und wirtschaftspädagogische Praxis
dienlich sind. Der nächste Schritt ist der Bezug auf verschiedene Diskurse um
ökonomische Bildung, beginnend mit einem kurzen Gesprächsimpuls zu den
curricularen Relevanzkriterien Wissenschaftsorientierung, Situationsorientierung
und Subjektorientierung nach Reetz (1984). Im Anschluss daran setzen sich die
Teilnehmenden im Gruppenpuzzle mit Literaturauszügen auseinander.
Anhänge                                                                    107

  Lernimpuls 10: Leitbilder ökonomischer Bildung
  Zeit: 105 Min.
  1. 45 Min. in Expertengruppen: Verteilen Sie die Mitglieder Ihrer Gruppe
     auf die drei angebotenen Leitbilder ökonomischer Bildung („Kaufmän-
     nische Bildung“, Reinisch, 2013; „Ökonomische Bildung“, May, 2007
     und „Sozio-Ökonomische Bildung“, Engartner, 2018). Diskutieren Sie
     und halten Sie in Stichpunkten fest:
     • Was sind die Kernaussagen, Kategorien und Argumente des jeweili-
        gen Leitbildes?
     • Wie verhält sich das Leitbild zur Wirtschaftswissenschaft/den Inhal-
        ten Ihres wirtschaftswissenschaftlichen Studiums?
     • Inwieweit ist das Leitbild vereinbar mit Ihrem eigenen Bildungsver-
        ständnis und dem Bildungsauftrag (gem. HambSG und KMK)?
     • Welche Impulse für die kaufmännische Berufsbildung ergeben sich
        daraus?
  2. 60 Min. in Stammgruppen: Kehren Sie zurück in Ihre Stammgruppen
     und stellen Sie sich dort gegenseitig alle Texte und die Diskussionser-
     gebnisse vor. Diskutieren Sie dann:
     • Wie verhalten sich die drei Leitbilder zueinander? Wo sehen Sie
        Ergänzungen, wo Widersprüche?
     • An welchen Punkten ist es notwendig, sich zu entscheiden/Stellung
        zu beziehen? Welche Positionen gibt es dazu in Ihrer Gruppe?

Durch diesen Gesprächskreis soll das subjektive Verständnis kaufmännisch-
ökonomischer Bildung theoriebezogen ausdifferenziert werden. Im letzten inhalt-
lichen Impuls folgt der Realitätscheck: Wie können die diskutierten Ansprüche
und Orientierungen Eingang in die Unterrichtspraxis beruflicher Bildung finden?

  Lernimpuls 11: Vom Bildungsverständnis zu Unterrichtszielen
  Zeit: 60 Min. Gruppenarbeit + 30 Min. Präsentation und Diskussion als
  Galeriegang
  Bearbeiten Sie in Vierergruppen den folgenden Fall:
     Sie unterrichten an einer beruflichen Schule. Eine Kollegin hat Sie
  für die kommende Woche mit einem 90-minütigen Vertretungsunterricht
108                                                                       Anhänge

   betraut. Die Schüler des Ausbildungsgangs „Kaufleute für Büromanage-
   ment“ befinden sich zurzeit in Lernfeld 5 „Kunden akquirieren und binden“.
   Ihre Kollegin bittet Sie, mit der Klasse das Thema „Preisdifferenzierung“
   zu behandeln.
      Formulieren Sie klare Effektziele*, die Ihrem heute entwickelten Bil-
   dungsverständnis gerecht werden:
   • Welche Fähigkeiten, Erkenntnisse, Haltungen sollen bei den Schü-
      ler*innen entwickelt werden?
   • Welches Wissen muss hierfür aufgebaut werden?
   • Wie lassen sich diese Ziele bündeln, ordnen und im Kontext Ihres
      Bildungsverständnisses als bedeutsam begründen?
   Visualisieren Sie Ihre Ziele mit Bezug auf Ihr Bildungsverständnis.
   * Bitte formulieren Sie keine Prozessziele („Was sollen die Lernen-
   den im Unterricht tun?“), sondern Effektziele („Was ist das angestrebte
   innere Ergebnis nach dem Unterricht, was sollen die Lernenden für sich
   mitnehmen?“)

Hier zeigt sich, ob die Studierenden curricular-didaktische Entscheidungen über
das in WiGÖB ausdifferenzierte Bildungsverständnis begründen können. Als
zusätzliches Material halten die Dozenten u. a. Schulbuchauszüge (z. B. Be Part-
ners von Bodamer et al., 2014), Internetmaterial (z. B. von der Webseite www.
wirtschaftundschule.de) und ein Handout zum Hamburger Lernhandlungsmodell
bereit (Tramm & Naeve, 2007; Augsdörfer & Casper, 2018; Casper, Augsdör-
fer, & Benton, 2019). In der Diskussion sind insbesondere Schwierigkeiten und
Herausforderungen herauszugreifen und gemeinsam zu reflektieren. Am Ende der
Veranstaltung steht die Frage, wie sich unterschiedliche Modellierungen von Wirt-
schaft auf die Modellierungen von Lerngegenständen auswirken. Dies führt zu
einer abschließenden Gesamtreflexion von WiGÖB:

   Lernimpuls 12: Reflexion der Veranstaltung und persönliche Ausblicke
   Zeit: 15 Min.
   Think, Pair, Share: Beschäftigen Sie sich zunächst allein mit den Teilfragen,
   diskutieren Sie dann mit einem Partner und zuletzt im Plenum.
      Reflektieren Sie den Verlauf der Veranstaltung entlang der einzelnen
   Termine sowie rückblickend als Ganzes:
Anhänge                                                                          109

   • Was war neu und interessant für Sie, worüber haben Sie sich gewundert?
   • Was sind ihre zentralen Erkenntnisse der einzelnen Veranstaltungen und
     von „WiGÖB“ insgesamt?
   • Welche Fragen und Interessen nehmen Sie für Ihre weitere Entwicklung
     mit?

Klausur
Als abschließende bewertete Studienleistung wird in WiGÖB eine 90-minütige
Klausur in Form eines Essays geschrieben. Die Gegenstände ändern sich jährlich,
doch die Struktur bleibt ähnlich: Es sind ein bis zwei Textauszüge mit kontrastieren-
den Positionen zu einem Gegenstand aus dem Kontext der Veranstaltung gegeben.
In drei Teilfragen sollen

1. die Kernaussagen und Intentionen der Texte sowie das mit ihnen markierte
   Spannungsfeld identifiziert werden (multiperspektivischer Anspruch),
2. diese mit Bezug auf eine persönliche Erfahrung beurteilt werden (kritisch-
   reflexiver Anspruch)
3. und in Konsequenz daraus Handlungsempfehlungen/Selbstansprüche an beruf-
   liche Bildung formuliert werden (gestaltungsorientierter Anspruch).

   Die Klausur ist als open book exam gestaltet; jegliches Material aus der Ver-
anstaltung kann mitgebracht und genutzt werden. Es ist also weder nötig noch
sinnvoll, für diese Prüfung zu ‚büffeln‘, wenn man an den jeweiligen Veranstaltun-
gen teilgenommen hat. Dies hat den positiven Nebeneffekt, dass sich auch stark
anreizorientierte Studierende besser auf die reflexive Portfolioarbeit einlassen und
für sie selbst relevante Handlungsprodukte erstellen. Zur Bewertung wird ein stan-
dardisiertes qualitatives Raster genutzt, das im Rahmen von WiGÖB entwickelt
wurde. Kategorien sind hier z. B. „argumentative Stringenz“ oder „konkrete Bei-
spiele“. Auch dieses Raster und vergangene Klausuraufgaben sind auf Anfrage beim
Autor erhältlich.
110                                                                   Anhänge

Anmerkungen zu einer Online-Version der Veranstaltung

Im Jahr 2020 wurde WiGÖB aufgrund der COVID-19-Bedingungen in einer
Online-Version durchgeführt. Dabei handelte es sich um eine kurzfristige Not-
lösung im Sinne von Emergency Remote Teaching (= ERT, Hodges et al., 2020),
eine elaborierte Online-Version der Veranstaltung gilt es noch zu entwickeln.
Der Durchgang 2020 hat dafür jedoch eine Reihe eindrücklicher Erfahrungen
ermöglicht, auf die aufgebaut werden kann:

• Die Grundstruktur des Seminars mit zwei diskursiven Blöcken und vier
  Impulsen dazwischen konnte grundsätzlich beibehalten werden.
• Durch inverted classroom-Elemente (Sperl & Handke, 2012) wurden die
  synchronen Veranstaltungen zeitlich stark entlastet, um durchgängige Bild-
  schirmphasen möglichst kurz zu halten. So wurden die vier Vorlesungsimpulse
  von Gästen als Videoaufzeichnungen bzw. Foliensätze mit Audiokommentar in
  mehreren Teilen asynchron zur Verfügung gestellt. Zu jedem Gastbeitrag gab
  es dann eine kürzere synchrone Veranstaltung (im Schnitt ca. 60 Minuten)
  mit Interaktionsaufgaben, die von den Studierenden zunächst in Kleingrup-
  pen bearbeitet und schließlich im Plenum mit den Gästen der jeweiligen
  Impulse diskutiert wurden. Die Impulsgäste meldeten geschlossen zurück, dass
  das inverted classroom-Modell eine Kondensierung ihrer Beiträge unterstützte
  und die Studierenden setzten sich merklich intensiver und diskursiver damit
  auseinander, als es in den klassischen Vorlesungen der Vorjahre der Fall war.
• Die zwei „Blocktage“ wurden in Form synchroner Videokonferenzen durch-
  geführt, wobei auch hier durch asynchrone Elemente vor- und nachentlastet
  wurde, z. B. wurde die Lektüre der Leitbilder im zweiten Block durch einen
  entsprechenden asynchronen Auftrag vorgezogen. Beide Blockveranstaltungen
  wurden auf je 3 Stunden mit Pause reduziert, in denen die Arbeit in Klein-
  gruppen von 3–4 Studierenden und der Plenardiskurs in Gruppen von ca. 12
  Studierenden fokussiert wurden. Unterstützt wurde dies durch kollaborative
  Online-Tools wie virtuelle Whiteboards, Kartenabfragen sowie kollaborativ
  nutzbare Office-Software.
• Auch die Klausur wurde Online im Rahmen von zwei parallelen Videokon-
  ferenzen durchgeführt. Aufgrund des üblichen open book-Modus waren keine
  zusätzlichen Aufsichts- bzw. Überwachungstechniken notwendig, die Studie-
  renden schrieben ihre Essays bei eingeschalteten Webcams und Mikrofonen,
  aber ausgeschaltetem Sound, sodass die Umgebungsgeräusche der anderen
  keine Ablenkung darstellten. Die Aufgabenstellung wurde zu Beginn der Kon-
  ferenz über das Videokonferenzprogramm übermittelt. Die Klausuren wurden
Anhänge                                                                       111

   in Textverarbeitungsprogrammen verfasst und noch während der Klausurzeit
   als .pdf per Mail an die Klausuraufsicht gesandt. Die Leistungen befanden
   sich im üblichen Spektrum der Veranstaltung mit einem „guten“ Durchschnitt.

Das formative und summative Feedback der Studierenden zu diesem ERT-Format
war durchweg positiv und unterschied sich nicht merklich von den Evaluatio-
nen vorangegangener Jahrgänge, die WiGÖB in Präsenz erlebt hatten. Nach der
internen Evaluation der Anbieter in 2020 zeichnen sich drei merkliche Vorteile ab,
WiGÖB auch in Zukunft zumindest im Sinne eines blended learning mit digitalen
Elementen zu gestalten:

• Gute Impulse lassen sich materialisieren und in mehreren Kontexten verwen-
  den (z. B. Video-Gastbeiträge auch in Folgejahren)
• Die Vorproduktion asynchroner Impulse und deren gezielte Ergänzung um
  vorentlastete synchrone Formate steigert auf beiden Seiten die Qualität.
• Die Veranstaltung gewinnt durch mehr asynchrone Angebote für Studierende
  insgesamt an Flexibilität und fördert Eigeninitiative.
112                                                                                                                   Anhänge

Arbeitsblätter zur Lebendigen Wirtschaftsdidaktik

Werte- und Entwicklungsquadrat der Lebendigen
Wirtschaftsdidaktik

      „Lebendiges Lernen“                       Balance durch Dienst am           „Kompetenzorienerung“
      als Prinzip der Berufsbildung             Menschen als Lernenden               als Prinzip der Berufsbildung

               Metapher                       posives Spannungsverhältnis                       Definion
             Emoonalität                                                                       Raonalität
             Improvisaon                                                                         Struktur
             Übertreibung

                                                                                                       Übertreibung
             entwertende

                                                                                                       entwertende
                                                  konträre Gegensätze

                Ubiquität                          Überkompensaon                           Redukon
              Irraonalität                                                                 Verzweckung
                 Willkür                                                                      Starrheit

                            Werte- und Entwicklungsquadrat zur Lebendigen Wirtschaftsdidaktik

   „Achtung vor dem Leben ist wichtig. Fähigkeiten und Wissen sind wichtig. Wissen
   ohne Achtung vor den Menschen baut Gaskammern und Napalmfabriken. Menschlich-
   keit ohne Wissen kann kein Brot backen, keine Häuser, Spitäler oder Schulen bauen
   und keine gebrochenen Knochen oder Seelen heilen.“ (Cohn, 2016, S. 109)

Mit einem Werte- und Entwicklungsquadrat lassen sich Übertreibungen iden-
tifizieren und wieder ins Gleichgewicht bringen (vgl. Schulz von Thun,
2018/1989). Ein Beispiel für übertriebene ‚Kompetenzorientierung‘ wäre eine
dogmatisch verfolgte Geschäftsprozessorientierung, die den Lernenden letzt-
endlich als Geschäftsprozess-des-orientierung erscheint: Wenn Lernfelder im
kaufmännischen Unterricht ausschließlich als Lernbüros oder -firmen umgesetzt
werden, die Arbeits- und Geschäftsprozesse abbilden und deren technisch-tüchtige
Bewältigung trainieren, so mögen Struktur, Definition und Verwertbarkeit für
Anhänge                                                                                                       113

betriebliche Interessen gegeben sein – allerdings in ihren entwertenden Über-
treibungen: Die Lernenden erleben reduzierte statt vieldeutige Lernsituationen,
eine mechanische Verzweckung ihres Könnens für betriebliche Prozesse und ein
starres Regelwerk, das Kreativität eher bestraft als belohnt. Hier kann durch
die „Schwestertugenden“ des Lebendigen Lernens eine neue Balance hergestellt
werden: Durch Metaphern (die nicht ubiquitär sind, also „alles-und-nichts“ bedeu-
ten!), durch Emotionalität (die nicht irrational ist!) und durch Improvisation (die
nicht willkürlich ist!). Schon einfache Reflexionsimpulse können im laufenden
Unterricht Anstöße hierfür sein:

• Womit kann man das vergleichen (Metapher)?
• Was fühlst du dabei (Emotionalität)?
• Was könnten wir hierbei mal ganz anders versuchen (Improvisation)?

                                       positives Spannungsverhältnis              Positiver Gegenwert
          Positiver Wert
                                                                                  („Schwestertugend“)
       (z. B. Sparsamkeit)
                                                                                   (z. B. Großzügigkeit)
          Übertreibung

                                                                                               Übertreibung
          entwertende

                                                                                               entwertende
                                            konträre Gegensätze

                                             Überkompensation
               Unwert                                                                 Gegen-Unwert
             (z. B. Geiz)                                                        (z. B. Verschwendung)

          Grundmodell des Werte- und Entwicklungsquadrats (nach Schulz von Thun, 2018/1989, S. 44)

Wenn sich Ihr Unterricht anfühlt, als wären Sie in eine Sackgasse geraten, suchen
Sie nach positiven Werten. Versuchen Sie, sich weg von Übertreibungen und hin
zur balancierten Spannung zu bewegen. Diese Blanko-Version eines Werte- und
Entwicklungsquadrat können Sie nutzen, um die Übertreibungen und positiven
Werte in einem konkreten Fall zu benennen, der Sie beschäftigt.
114                                                                            Anhänge

Didaktische Analyse mit der„Acht der Macht“ und der
„Unterdrückungsunterscheidung“

Worin liegt die Bedeutung eines gegebenen Unterrichtsgegenstands für die Ler-
nenden, heute und in Zukunft? Welche fundamentalen Fragen und welche Formen
von Entfremdung sollten besprochen werden? Für eine kritisch-emanzipatorische
didaktische Analyse können die „Acht der Macht“ und die „Unterdrückungsun-
terscheidung“ genutzt werden.

                      Abhängigkeit
                     von Natur und
                       Herrschaft
                     von Menschen
                     über Menschen
  Freiheit VON                               Macht ÜBER     Spirale irrationaler Autorität
 (Emanzipation)                              (Herrschaft)

                       Freiheit ZU
                    (Ermächtigung)
                    als persönliches
                        Potenzial

 Freiheit VON                                 Macht ZU
(Emanzipation)                              (Kompetenz)     Spirale rationaler Autorität

                     Teilautonomie
                      in der freien
                     Gemeinschaft

                                       “
                                        Acht der Macht“

Analyse der Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung des Unterrichtsgegenstands
mit der „Acht der Macht“:

a) Von welchen Abhängigkeiten können sich die Lernenden befreien, wenn sie den
   Unterrichtsgegenstand durchdrungen haben (Freiheit VON)?
b) Welches Potenzial wird dadurch in ihnen geweckt, wozu werden sie ermächtigt
   (Freiheit ZU)?
c) Wie kann dieses Potenzial kompetent und verantwortlich ge-braucht werden
   (Macht ZU)?
d) Welche Möglichkeiten eines unverantwortlichen Miss-brauchs dieses Potenzials
   sollten kritisch diskutiert werden, um die Lernenden davor zu bewahren, in die
   Spirale irrationaler Autorität zu fallen (Macht ÜBER)?
Anhänge                                                                                              115

                                   Schichten existenzieller Unterdrückung
                                 Realisierung: „der Wahrheit ins Auge sehen“,
                                  Ambiguitätstoleranz, Eigenverantwortung

   Hoffnung                                                                                     Rückzug
     Wille                                                                                       Zwang
Entschlusskraft                                                                                Hemmung
  Kompetenz          Leben                                                          Tod         Trägheit
    Treue         Gemeinschaft                                                  Einsamkeit   Zurückweisung
     Liebe                                                                                     Exklusivität
   Fürsorge                                                                                    Abweisung
   Weisheit                                                                                     Hochmut

                                    Schichten historischer Unterdrückung
                                        Überwindung: Emanzipation,
                                   Kompetenzentwicklung, Mitgestaltung

                                      „Unterdrückungsunterscheidung“

Analyse der exemplarischen Bedeutung mit der „Unterdrückungsunterschei-
dung“:

e) Von welchen Widersprüchen und Konflikten wird der Gegenstand bestimmt, für
   welche Probleme bietet er Lösungen?
f) Worin liegt der existenzielle Kern dieser Widersprüche, den man nicht dauerhaft
   lösen kann? Welchen ursprünglichen Aspekt des menschlichen Lebens trifft er
   (in Klafkis Sinne das ‚Fundamentale‘)?
g) Welche historischen, kulturellen, gesellschaftlichen Wege haben die Menschen
   gefunden, mit dem Problem (e) hinter dem Gegenstand umzugehen?
h) Inwieweit sind diese historischen, kulturellen, gesellschaftlichen Wege men-
   schenwürdig? Welche menschenwürdigeren Veränderungen und Alternativen
   wären denkbar (Bezug zu c und d)?
i) Welche Kompetenzen müssten gefördert werden, um menschenwürdige Alter-
   nativen zu ermöglichen (Zielformulierung, die über den einzelnen Unterrichts-
   gegenstand hinausweist)?
116                                                                                                            Anhänge

Gestaltungskriterien und Leitfragen für lebendigen Unterricht

                                        Lernende
                                        a) sind grundsätzlich
                                            neugierig und
                                            lernbereit

   Didaksche Planung                             Lernprozesse                                  Ergebnisse
   e) zielt auf selbstbesmmtes und               g) orieneren sich an Erfahrungen             i) sind nur parell
      eigenverantwortliches Lernen                    und Handlungen                                vorhersehbar
   f) berücksichgt die Unvorhersehbarkeit        h) nutzen die Gruppe als Lernquelle
      von Interakon

                                    Lehrende
                                    b) verantworten die dynamische Balance
                                       zwischen ICH, WIR und ES
                                    c) bauen zugunsten der Themen-
                                       zentrierung Abhängigkeiten ab
                                    d) sind immer auch Lernende

Leitbild des Lebendigen Lernens, eigene Darstellung nach Merkmalen von Stollberg und Schneider-Landolff (2010, S. 152-153)

Lernende

a) sind grundsätzlich neugierig und lernbereit:
   „Der Lehrer, der lebendiges Lernen fördert, fragt nicht, wie [Lernende] motiviert
   werden können, sondern wie er ihre Motivation finden kann. Die Ausgangsfrage
   des Lehrers lautet nicht: »Wie motiviere ich die Schüler?«, sondern: »Wo und wie
   leben sie?« »Woran sind sie interessiert?« »Woran liegt mir?« »Wo liegen die
   Interessen des Gemeinwesens, in dem wir leben, und der Gesellschaft?« (Cohn
   2016, S. 167)
   Eine Lebendige Wirtschaftsdidaktik vertraut auf die Lernbereitschaft des Men-
   schen und setzt interessante, relevante Probleme an den Anfang und in den Fokus
   des Unterrichts. Verschwenden Sie Ihre Energie nicht darauf, künstlich mit Tech-
   niken zu motivieren, wo keine ursprüngliche Motivation ist, sondern nutzen Sie
   diese Energie lieber dafür, das wirklich Interessante ausfindig zu machen.

Lehrende

b) verantworten die dynamische Balance zwischen ICH, WIR und ES:
   Lebendiger Unterricht lässt spontane Bewegungen zwischen Sachfokus, persön-
   licher Ansprache und Gruppenerlebnissen zu. Das kann über Methoden(wechsel)
Anhänge                                                                       117

   vorgeplant werden, hängt aber letztlich von der Erfahrung und dem daran
   gewachsenen Gespür der Lehrenden ab. Reflektieren Sie regelmäßig, wie gut
   Ihnen die dynamische Balance gelingt und suchen Sie nach Impulsen für Ihre
   weitere Professionalisierung.
c) bauen zugunsten der Themenzentrierung Abhängigkeiten ab:
   „Lebendiges Lernen ist emanzipatorisch, indem es die Selbstleitung und
   Eigenverantwortung für den Lernprozess fördert und die Abhängigkeit von
   der Lehrperson zugunsten der Themenzentrierung abbaut“ (Stollberg und
   Schneider-Landolf 2010, S. 153). Lebendige Wirtschaftsdidaktik ermöglicht den
   Lernenden eigene, forschende Zugänge zum Thema. Überprüfen Sie, ob Sie sich
   unbewusst ‚zwischen‘ die Schüler und den Lerngegenstand stellen (ein Symptom
   hierfür wäre z. B. ‚bohrendes Fragen‘).
d) sind immer auch Lernende:
   Wenn sich Lehrende als ‚Hüter der Wahrheit‘ verstehen, entstehen höchstens
   Echos, aber keine Resonanzen. Gehen Sie stattdessen gemeinsam mit den Ler-
   nenden auf die Suche: Was interessiert Sie selbst an einem Lerngegenstand, was
   können Sie selbst noch herausfinden, wie können Sie sich von den Lernenden
   begeistern und belehren lassen?

Didaktische Planung

e) zielt auf selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Lernen:
   Lebendiges Lernen braucht Raum zur Selbstbestimmung und Improvisation.
   Planen Sie genügend Freiheitsgrade ein? Können Lernende eigene Schwer-
   punkte verfolgen? Dürfen sie Fehler machen und aus diesen Fehlern wertvolle
   Erkenntnisse ziehen (statt gescholten zu werden)?
f) berücksichtigt die Unvorhersehbarkeit von Interaktionen:
   Ganz pragmatisch bedeutet das: Planen Sie nicht zu viel und mit großzügigen
   Zeiten, denn was und wie lange genau die Lernenden brauchen, entscheidet
   sich spontan. Unterricht zu voll zu stopfen führt vielleicht dazu, dass man mit
   ‚seinem‘ Stoff durchkommt – ob die Lernenden sich irgendetwas davon zu eigen
   machen können, sei dahingestellt.

Lernprozesse

g) orientieren sich an Erfahrungen und Handlungen:
   Können die Lernenden an eigene Erfahrungen anknüpfen oder während des
   Unterrichts neue Erfahrungen machen? Erleben sie sich dabei als Handelnde,
   die eigene Ziele verfolgen und ihren Fortschritt reflektieren? Entsteht Wissen,
118                                                                          Anhänge

   Können und Wollen, das den Lernenden zukünftig erfolgreichere, sinnvol-
   lere Handlungen ermöglichen? Alles im Unterricht, was nicht erfahrungs- und
   handlungsrelevant ist, könnte Ballast sein und sollte kritisch geprüft werden.
h) nutzen die Gruppe als Lernquelle:
   Einsam Lernen kann man auch an anderen Orten als der Schule. Erhalten die
   Lernenden Möglichkeiten, sich über Erfahrungen, Gedankengänge und Schwie-
   rigkeiten auszutauschen, gegenseitig zu beraten und an ihren Gemeinsamkeiten
   und Unterschieden zu wachsen?

Ergebnisse

i) sind nur partiell vorhersehbar:
   Dieser Punkt ist wohl der wichtigste für eine Lebendige Wirtschaftsdidaktik. In
   der wirtschaftlichen Realität gibt es sowohl „gut-strukturierte“ als auch „schlecht-
   strukturierte Situationen“ (die letzteren sind wesentlich häufiger). Entsprechend
   können im Unterricht „durch-strukturierte“ oder nur „an-strukturierte Aufgaben“
   bzw. Impulse gegeben werden (Gerdsmeier 2004, S. 31). Ist der Unterricht so
   gestaltet, dass er Freiheit in den Ergebnissen und Produkten ermöglicht? Fordert
   er zum Denken in Alternativen auf? Hält er eine positive Spannung im Sinne des
   Werte- und Entwicklungsrahmens, oder presst er die komplexen, denkwürdigen
   und zur Mitgestaltung aufrufenden Phänomene des Wirtschaftens in reduzierte,
   verzweckende, starre Modelle?
Anhänge                                                                                             119

Lebendige Methoden

                                      Methoden einer Lebendigen
                                        Wirtschasdidakk...

…betreffen das (eigene) Leben,                                                  …bejahen das Leben und
unterschiedliche Lebenswelten                                                  ermöglichen ehrfürchge,
     und Lebensentwürfe                                                         staunende Beziehungen
                                     …sind belebend, akv, sinnlich
                                        und abwechslungsreich

                 Dreifache Bestimmung für Methoden einer Lebendigen Wirtschaftsdidaktik

Lebendiges Lernen hat keine spezifischen Methoden. Stattdessen lassen sich alle
erdenklichen Methoden im Hinblick auf diese dreifache Bestimmung des Leben-
digen einschätzen. Es folgen ein paar Beispiele, die lediglich als Anstöße zu
verstehen sind:

• Reflexives Schreiben („Erinnere dich an… berichte von…“) ermöglicht Ler-
  nenden, über Erlebnisse und Erfahrungen zu reflektieren, implizites Wissen
  zugänglich zu machen und sich in Folge der Versprachlichung mit anderen
  auszutauschen.
• Das Eintauchen in fremde Lebenswelten kann nicht nur über eigene Texte
  geschehen, sondern über alle erdenklichen Kulturgüter: Film, Musik, Lite-
  ratur und Photographie als Lernmedien ermöglichen Lernenden nicht nur
  Weltverstehen und Orientierung in ihrer Kultur, sondern bieten Projektions-
  fläche für den eigenen Lebensentwurf. Hierzu kann es sich auch anbieten, sich
  an bestimmten „Typen“ und Klischees zu spiegeln, um den eigenen Stand-
  punkt auszuloten. Auch im wirtschaftsberuflichen Unterricht sind Deuten und
  Philosophieren bildende Tätigkeiten.
• Bewegung und Aufstellung sind gerade im kaufmännischen Unterricht ange-
  brachte Gegenpole zur Zivilisationskrankheit der Bürostarre. Neben Aktivie-
  rungsübungen und Rollenspielen lassen sich z. B. Meinungsbilder nutzen
  („stimme stark zu“ steht ganz rechts, „lehne stark ab“ steht ganz links), um
120                                                                  Anhänge

  abstrakt-kognitiven Prozessen mit geringem Aufwand ein körperliches Gegen-
  gewicht zu verleihen. Für die Auseinandersetzung mit komplexen und wider-
  sprüchlichen Sachverhalten können auch in der Berufsbildung systemische
  Aufstellungen genutzt werden.
• Kreativität durch Restriktion fördert nicht nur Problemlösungsfertigkeiten,
  sondern erlaubt das ästhetisch-sinnliche Durchdringen von Lerngegenstän-
  den. Beispiele hierfür sind das Erstellen von Collagen mit gegebenen Text-
  und Bild-Mosaiksteinen oder projektive Visualisierungsmethoden, z. B. mit
  Naturgegenständen, Knete, Spielzeug usw.
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© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch               121
Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021
M. Casper, Lebendige Wirtschaftsdidaktik, Sozioökonomische Bildung und
Wissenschaft, https://doi.org/10.1007/978-3-658-32751-4
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