Audit Committee Quarterly - i / 2017 audit committee institute e.v.
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Audit Committee Quarterly I / 2017 das magazin für corporate governance Gefördert durch Audit Committee Institute e.V. Krisen
EDITORIAL Die Welt ist aus den Fugen geraten … Mit diesen Worten bekräftigt Hamlet, er werde es sein, der die Staatsverhältnisse in Ordnung bringen und des- halb herausfinden müsse, wer die aktuellen Entwicklun- gen verursacht habe, für die nun die geeigneten Maß- nahmen zu treffen seien. Heute, da Krisen in jeglicher Ausprägung begegnen, scheint es schwieriger denn je, die Welt wieder in geordnete Bahnen zu bringen. Politi- sche Fundamente werden verrückt, lang geübtes Ver- halten über Nacht obsolet und geläufige Erklärungen überzeugen nicht länger. »Krise« bedeutet nach seiner griechischen Wurzel »Ent- scheidung«, also die Notwendigkeit, Entscheidungen zu treffen – und dies unter noch größerer Unsicherheit als gewöhnlich. Auch der Aufsichtsrat ist in Krisenlagen mannigfach gefordert. Deshalb sollen im vorliegenden Heft aktuelle Krisenherde in den Blick genommen wer- den, um Einflussfaktoren auf konkretes unternehmeri- sches Handeln aufzuzeigen und dafür den einen und anderen Denkanstoß zu geben. Im Fokus stehen heute nicht länger allein Einzelthemen, sondern allgemeine Grund- satzfragen; sie zu erkennen, zu reflektieren und zu ihnen Position zu beziehen, ist Aufgabe auch der Aufsichtsräte. Denn »der Staat kann nicht«, wie Ralf Dahrendorf zutreffend festgestellt hat, »sinnvoll das Ziel der Hoffnung auf Lösung der Fragen sein. Eigenverantwortung des Unternehmers ist gefordert.« Für die aktuellen Herausforderungen möchte das Audit Committee Institute (ACI) sensibilisieren. Im Mittelpunkt dieser Ausgabe des Audit Committee Quarterly stehen deshalb die R eflexion des unternehmerischen Handelns in politisch unsicheren Zei- ten (Sven Afhüppe), die Bedeutung von persönlichem Engagement und politischem Schulterschluss für stabile europäische und transatlantische Beziehungen (Friedrich Merz) sowie ein Blick auf die Eurokrise und ihre Herausforderungen (Gespräch mit Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Hans-Werner Sinn). Diese und weitere Beiträge in dieser Quar- terly-Ausgabe rücken das Risikomanagement noch stärker in das Überwachungszen- trum des Aufsichtsrats; dem widmet sich Prof. Dr. Theo Siegert. Das aktuelle Krisenszenario zwingt die Leitungsorgane im Unternehmen und die A bschlussprüfer zum Bemühen, die politischen, wirtschaftlichen und finanziellen Zusammenhänge noch besser zu verstehen. Dazu möchte das ACI einen Beitrag leisten. Die Zivilgesellschaft und die Unternehmen in ihr müssen sich wieder stärker auf die gemeinsamen Grundwerte besinnen und sie tatkräftig umsetzen. Werte kann man nicht aufzwingen; aber man kann sie, mit Heinrich August Winkler, desto glaub- würdiger gestalten, je selbstkritischer man an ihnen festhält. Dem Leser dieses Quarterly wünsche ich spannende und förderliche Lektüre. Prof. Dr. Kai C. Andrejewski 2 Audit Committee Quarterly I/2017
i n h a lt 2 Editorial 42 S ta n d p u n k t | •| Prof. Dr. Kai C. Andrejewski 42 Cyber Security – Orientierung für den Aufsichtsrat Wilhelm Dolle 4 Sc h w e r pu nk t: Krisen 4 on den USA über Europa bis China – unsichere V 44 Ak t u e l l e R e c h t s p r e c h u n g Zeiten für deutsche Unternehmenslenker Sven Afhüppe 44 Verstoß gegen aktienrechtliche Sorgfaltspflicht ist im Strafrecht immer »gravierend« 8 Aktives Krisenmanagement – persönliches Engage- ment, Schulterschluss, Verlässlichkeit Friedrich Merz 46 Kurzmeldungen 10 Deutschland – Wirtschaft, Euro, Europa und die Welt Mitschrift eines Gesprächs mit Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Hans-Werner Sinn 50 F i n a n c i a l R e p o r t i n g U p d at e | Ta x 15 US-Steuerreform: Auswirkungen auf Supply Chain 50 Handlungsoptionen für die Finanzierung von und Geschäftsmodell im Auge behalten Pensionsverpflichtungen im Niedrigzinsumfeld Franz Prinz zu Hohenlohe Andreas Johannleweling 17America first! Populism being fed from a disaffected 52 Billigung von Nicht-Prüfungsleistungen im minority base. Sound familiar? Mehr-PIE-Konzern Warren Marine Georg Lanfermann und Astrid Gundel 18 rexit-Risiken minimieren und den europäischen B 55 Auswahl des Abschlussprüfers im PIE-Konzern – Kapitalmarkt stärken sind Sie vorbereitet? Michaela Hohlmeier Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Peter Hommelhoff, Georg Lanfermann und Astrid Gundel 20 er »Brexit« aus der Perspektive des Aufsichtsrats – D rechtliche Implikationen rechtzeitig erkennen 56 Transparente Überleitung im Fokus der DPR Lars-Alexander Meixner, LL. M. Olaf Haegler 23 China – der Weg führt über Europa 58 Angabepflichten in einem EU-IFRS-Konzern Andreas Feege abschluss zum 31.12.2016 für neue oder geänderte Standards und Interpretationen 24 ie Zukunft Europas – keine gemeinsamen Werte, D Irina Hasbolat keine gemeinsame Vision? Zusammenfassung des Transatlantischen Dialogs von 59 Investmentsteuerreform betrifft alle Unternehmen Katja Gloger, James Kirchick und Dr. Richard Herzinger Sebastian Meinhardt 26 raxisbericht Schaeffler: Umgang mit Sanktionen P 60 Ausweis von Restricted Cash – aktuelle Anwen- gegen Russland dungsfälle Interview mit Prof. Dr. Rainer Lindner Ingo Rahe 28 olitische Krisen in ihrer Auswirkung auf die P 62 Vorzüge eines Tax Compliance Management-Systems Finanzberichterstattung Ellen Birkemeyer WP StB Prof. Dr. Bettina Thormann 30Krise ist der Normalfall – Zukunftsfähigkeit 64 P u b l i k at i o n e n erfordert Kulturwandel Dr. Jörg Habich 34 hancen darstellen: Wider die asymmetrische C 65 A u s g e w ä h lt e Z e i t s c h r i f t e n a r t i k e l Risiko-Orientierung oder Heisenberg und Gigerenzer im Aufsichtsrat? Prof. Dr. Theo Siegert 66 Impressum 41 trategisches Investitionsziel Ukraine: lohnende S Renditen bei höherem Risiko Oleg Brodski 67 Bestellformular Audit Committee Quarterly I/2017 3
Sc h w e r pu nk t: k r i s e n Sven Afhüppe Von den USA über Europa bis China – unsichere Zeiten für deutsche Unternehmenslenker 4 4 Audit AuditCommittee CommitteeQuarterly QuarterlyI/2017 I/2017
Foto © Frank Schemmann Sven Afhüppe, Chefredakteur Handelsblatt Transatlantische Beziehungen Stein des Anstoßes: Handelsbilanzüber- schüsse Das transatlantische Verhältnis ist – gemessen am ge- sprochenen Wort – auf einem historischen Tiefpunkt. Deutschlands Exportüberschüsse werden nicht nur von Unschwer zu erkennen an Äußerungen von Donald den USA, sondern auch anderen europäischen Staaten Trump im US-Wahlkampf, den Vorwürfen der Manipu- und dem IWF kritisch gesehen. Zu Recht! Die Über- lation der Wechselkurse, der Aufkündigungsdrohung schüsse und daraus resultierenden Wohlstandsgewinne der NATO, die Infragestellung und Ablehnung von Frei- Deutschlands gehen ja immer zulasten der anderen. handelsabkommen, WTO etc. In dieser Ausprägung Dies ist nicht beliebig ausbaubar. Es ist auch nicht im hat es das Infragestellen der transatlantischen Bezie- Interesse der deutschen Volkswirtschaft, bestimmte hungen vonseiten der US-Politik ewig nicht gegeben. Länder ökonomisch »unter Wasser« zu halten, indem Sowohl wirtschaftlich als auch sicherheitspolitisch. wir sie mit deutschen Gütern überschwemmen, wenn Man muss schon von einer ernsthaften Krise sprechen. wir innerhalb Europas dann Transfers leisten müssen, um die Länder zu retten. Die realwirtschaftlichen transatlantischen Beziehungen sind demgegenüber intakt und sogar sehr gut, was Deutschland müsste also etwas ändern, aber nicht allein. gegenseitigen Warenaustausch, Investitionen, Siche- Es gibt keine Einbahnstraße, in der Deutschland einsei- rung und Aufbau von Arbeitsplätzen etc. angeht. Und tig sein Geschäftsmodell reformiert: auf die Export- das trotz Dieselgate! Dies hatte zum Glück keine Aus- bremse treten, die Binnenwirtschaft ankurbeln, öffent strahlungseffekte auf »Made in Germany« auf den US- liche Investitionen verstärken, Löhne erhöhen, Steuern Markt insgesamt. Hier gibt es eine sehr stabile ökono- senken und Realeinkommen erhöhen. Die anderen mische Grundlage! Länder müssten ebenfalls aktiv werden, um wettbe- werbsfähiger zu werden. Ein Bündel aus Innovationen, Die Unberechenbarkeit sorgt indes auch unter erfahre- Digitalisierung, wettbewerbsfähigen Löhnen etc. einlei- nen Unternehmenslenkern in Deutschland für Verunsi- ten, Schritte, die Deutschland in den letzten 15 Jahren cherung, wenn es z. B. um geplante Investitionen in den getan hat, aber andere Länder nicht. Unterm Strich USA, Mexiko oder Kanada geht. Sie bereiten gute Argu- wäre der globale Handel dann ausgeglichener. mente vor, zeigen auf, welche Investitionen sie bereits getätigt haben, welchen Beitrag sie auch jetzt schon Außerdem ist auch der Anteil der industriellen Wert- zum Wohlstand in den USA geleistet haben. Bei bereits schöpfung in Deutschland viel größer als in anderen geplanten, aber bislang nicht kommunizierten neuen Ländern – insbesondere als in den USA. Bei Maschi- Investitionen stellen sich die Unternehmen demgegen- nenbau und Automotive sind deutsche Firmen den über derzeit sehr strategisch auf, es wird taktiert und US-amerikanischen überlegen. Die Verlagerung in den abgewartet. Die Kommunikation der Pläne wird strate- Digitalsektor, in dem die USA sehr stark sind, verringert gisch auf dem Zeitstrahl verschoben. natürlich auch den Anteil des klassischen Industriesek- » Audit Committee Quarterly I/2017 5
Schwerpunkt: Krisen tors. Wobei der Digitalsektor in der Handelsbilanz nicht sogar enger werden; zumindest, wenn sich die USA vollständig berücksichtigt ist. Dabei sucht das, was im von Deutschland und der übrigen Welt abwenden. Die Silicon Valley an Wertschöpfung und Arbeitsplätzen Chinesen nehmen nüchtern Geschäftserfolge wahr, geschaffen wird, ja weltweit seinesgleichen. wo sie entstehen. Die Rede des Staatspräsidenten auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos war sehr westlich Die Frage ist, ob in Zeiten der digitalen Revolution die und hoch professionell auf die politische Gemengelage Betrachtung des klassischen Industriesektors über- amerikanischer Abschottung gemünzt. Wo sich eine Tür haupt die richtige Messgröße für den wirtschaftlichen schließt, werden die Chinesen eine Tür öffnen – aller- Erfolg einer Volkswirtschaft darstellen kann? dings zu ihren Bedingungen. Sie sind weiter dabei einzukaufen, haben gerade den Bankensektor für sich entdeckt. Der Finanzsektor ist stärker in den Fokus Wie können die Unterschiede abgebaut gerückt, mit dem Ziel, an den Mittelstand, Daten und werden? Transfermechanismus in Europa Firmenkontakte zu kommen. In Europa wird seit der Finanzkrise im Jahr 2008 der Ruf Hier ist die Politik gefragt – nicht um generell zu verhin- nach einer Fiskalunion immer lauter – dabei wird einem dern, dass chinesische Investoren deutsche Unterneh- – mit Blick auf die Verletzung des Stabilitätspakts und men kaufen – sondern um gleiche faire Bedingungen Nichteinhaltung der Maastricht-Kriterien – angst und für alle Seiten zu schaffen. Es geht nicht, dass chinesi- bange! sche Investoren Unternehmen in Deutschland erwer- ben können, während uns der Marktzugang in China Aber der Weg in die Fiskalunion scheint für viele der verwehrt ist bzw. Unternehmen nur dadurch Markt leichtere Weg zu sein, mit Eurobonds, Eurobonds light, zugang in China bekommen, dass sie an chinesische mehr Fiskaltransfers etc. Aber aus deutscher und angel- Investoren verkauft werden! Diesen Preis sollte man sächsischer Sicht – leider sind die Briten ja bald nicht nicht zahlen! mehr dabei! – kann diese Union nur funktionieren, wenn die Grundregeln des Haushaltens eingehalten werden. Wobei nicht auf Basis von Einzelfalldekreten entschie- Um auch der EZB den Druck zu nehmen. Allerdings ist den werden sollte. Nachvollziehbar ist vielmehr die die Europäische Kommission zu politisch geworden, Diskussion darum, das Außenwirtschaftsgesetz um um ein neutraler Spieler / Kontrolleur zu sein. Die echte weitere schützenswerte Bereiche – sicherheits-, infra- Sanktionierung der Budgetfunktion müsste aus der strukturrelevant – zu ergänzen. Diese Diskussion sollte Kommission herausgelöst werden. auch geführt werden. Insgesamt ist ein kontinuierlicher Prozess der Politik gefordert, um ein Level Playing Field auf offenen Märkten zu gewährleisten (Stichwort Rezi- China pflegt Wirtschaftsbeziehungen – prozität). Dies ließ die Politik viel zu lange schleifen. zu seinen Bedingungen Wenn deutsche Autobauer im chinesischen Markt wei- Perspektivwechsel Deutschland: ter erfolgreich sein wollen, müssen sie extrem viel in Auswirkungen der Wahl auf die E-Mobilität investieren und dort eine große E-Flotte vor- deutsche Wirtschaft halten. Dieser Druck der chinesischen Politik auf die E-Quote richtet sich allerdings auch an die chinesischen Brexit, US-Wahl, Türkei, Russland, Eurokrise – das Aus- Autobauer. Dahinter steht das Ziel, die Lebensqualität land hat in den vergangenen Monaten unsere Auf der eigenen Bevölkerung durch Klimaschutz zu steigern. merksamkeit stark auf sich gezogen. Doch wesentliche Das Commitment der Chinesen, die Klimaziele einzu- Auswirkungen wird in Deutschland der Ausgang der halten, war ein extrem wichtiges Zeichen. Dieses wird Bundestagswahl im Herbst haben. Eine Fortsetzung nun in konkrete Politik und Politiksteuerung umgesetzt; der Großen Koalition unter einem Kanzler Martin Schulz E-Mobilität gehört zuvorderst dazu. hätte deutlich gemäßigtere Auswirkungen als eine rot- rot-grüne Regierung. Letztere würde einen System- In all den Diskussionen um Handelsbeziehungen und wechsel bedeuten, weg vom Erwirtschaften, weg von -barrieren zwischen den USA, Europa und Deutschland Chancen hin zur Umverteilung. Wobei allein die Regie- tritt mit einem hoch professionellen, unerwarteten Plä- rungsbeteiligung zahlreicher mit Stasivergangenheit doyer für Freihandel China in die neu entstehende belasteter Linken-Politiker nicht ertragbar ist. Auch viele Lücke. Das Verhältnis zu China wird künftig vielleicht SPD-Politiker trauen sich dieses Bündnis nicht zu. 6 Audit Committee Quarterly I/2017
Sofern Angela Merkel Kanzlerin bleibt, gibt es außer des Durchschnittseinkommens, statt beim 17-Fachen einer Fortsetzung der Großen Koalition keine Chancen wie in den 1960er- oder etwa dem 2,5-Fachen vor ca. auf ein Zweierbündnis, es wird immer eine Dreierehe 20 Jahren. Hier hat nie eine Anpassung an die Gehalts- erforderlich sein. Die Bildung einer Jamaika-Koalition entwicklung stattgefunden. Die Einkommensumver schätze ich als sehr unwahrscheinlich ein; dies wird teilung ist in Deutschland besser als in vielen anderen sehr auf das FDP-Ergebnis ankommen. Ländern. Aber dennoch haben wir es »verpennt«, das Steuersystem an das wachsende Wohlstands- und Ein- kommensniveau anzupassen. Ungewisse Perspektiven für Wachstum und Wohlstand in Deutschland Leidtragend ist die Mittelschicht, die voll bei Steuern und Sozialabgaben belangt wird und keine Subventions Innenpolitik im guten Sinne findet eigentlich schon seit leistungen erhält. Sowie diejenigen, die ganz gering ver- Jahren nicht mehr statt. Wirtschaftsfreundliche Gesetze dienen: Im Anschluss an die Minijobs geraten sie in der muss man suchen. Auf der einen Seite werden Wachs- regulären Beschäftigung an die »Eigernordwand« der tumschancen durch bürokratische Monster ausge- Abgaben. Fehlanreize und Übersteuerung sind das bremst – siehe Gesetzentwurf zum Automatisierten Resultat. « Fahren. Die These, wonach das erste autonome Fahr- zeug in Deutschland gebaut wird, aber in Amerika oder sonst wo auf der Welt fährt, weil bei uns zu hohe Auf lagen gelten, teilen viele Experten. Mit zu strengen, zu ängstlichen Vorschriften nehmen wir uns selbst Wachs- tumschancen. Parallel werden Arbeitnehmer durch stei- gende Umverteilungen weiter belastet. Auch Gesetzesvorlagen, die das Ziel haben, Wachstum und Wohlstand zu fördern, gibt es absehbar nicht – und auch dafür trägt Angela Merkel Verantwortung. Bei allen sonstigen außenpolitischen Herausforderungen, die unbestritten das Tagesgeschäft der vergangenen Jahre bestimmt haben, kann man sich als Bundesregierung nicht darauf verlassen, dass die Wirtschaft und wirt- schaftlichen Voraussetzungen in Deutschland sich gut entwickeln, ohne dass die Politik hier etwas dazu tut. Auf der anderen Seite nehmen die Belastungen für die Gesellschaft durch steigende Umverteilungen zu. Wenn es nach Kanzlerkandidat Schulz geht, wird hier künftig noch mehr umverteilt. Ich weiß bei ihm auch nicht, ob er das Umfeld schaffen kann, was Digitalisierung etc. braucht, damit Deutschland hier weiter vorwärtskommt. Für Wachstum und Wohlstand sehe ich derzeit egal in welcher Konstellation keine gute Perspektive. Wenn die CDU auch das Thema Gerechtigkeit angehen würde, auch mit Blick auf unser Steuersystem, das einige Ungerechtigkeiten und Ungereimtheiten enthält, könnte sie viele Wähler für sich gewinnen. Bliebe die CDU in Regierungsverantwortung, müsste sie dringend die Ungerechtigkeiten im Steuersystem angehen. Sie hat über Jahre schleifen lassen, dass das Steuersystem an die Wirklichkeit angepasst wird. Aktu- ell greift der Spitzensteuersatz schon beim 1,5-Fachen Audit Committee Quarterly I/2017 7
Schwerpunkt: Krisen Friedrich Merz Aktives Krisenmanagement – persönliches Engagement, Schulterschluss, Verlässlichkeit Steueränderungen, Strafzölle, Deregulierung des Finanz- Auswirkungen der neuen US-Regierung sektors, Infragestellung der NATO und der EU – die Aus- sagen des neuen US-Präsidenten beunruhigen große 1. Handelspolitik Teile der deutschen Bevölkerung und der Wirtschaft. Tektonische Verschiebungen des Macht- und Einfluss Dazu kommen Herausforderungen durch Migration, zentrums in der Welt stehen bevor. Die Ablehnung von Unsicherheiten durch den Brexit, Entwicklungen z. B. in Handelsabkommen durch die USA, insbesondere das der Türkei und Russland sowie die bevorstehenden Transpazifische Partnerschaftsabkommen (TPP), kann Wahlen in Frankreich, den Niederlanden und nicht zu- zu einer Machtverschiebung in Richtung Pazifik führen. letzt Deutschland. Wie gehen wir als Gesellschaft – China z. B. treibt ein regionales Handelsabkommen in Unternehmen, Mitmenschen, Politiker – damit um? Wir der pazifischen Region voran (Regional Comprehensive sollten nicht abwarten, was die USA tun, sondern Economic Partnership / RCEP), dem sich auch Japan selbst aktiv werden! nicht verschließen kann. RCEP wird 30 Prozent des welt- weiten Bruttoinlandsprodukts umfassen und 50 Pro- zent der Weltbevölkerung. Die aktuellen Entwicklungen sollten ein Weckruf für Europa sein! Daneben provozieren die deutschen Handelsbilanz- überschüsse härtere Auseinandersetzungen. Aber auch Man kann es nicht oft genug in Erinnerung rufen: Europa hierfür können Lösungen gefunden werden – mit einer ist eine Erfolgsgeschichte! Den heute bestehenden europäischen Einigung. Wohlstand verdanken wir dem Frieden und Zusammen- schluss auf unserem Kontinent. Doch der wirtschaftli- 2. Finanzpolitik che Erfolg in Europa und insbesondere in Deutschland Die Deregulierung der Banken in den USA trifft Deutsch- kann nur gesichert werden, wenn sich die gesamte land und Europa stark. Denn nach der durch den Staat Gesellschaft für die EU einsetzt, nicht nur eine Handvoll angeordneten Zwangsrekapitalisierung sind die US- Politiker, sondern jeder Einzelne. Sonst stehen wir vor Banken, die die Krise überlebt haben, stärker denn je. schwer kontrollierbaren Konsequenzen. Eine solche Kapitalisierung hat keine europäische Bank. Dazu zählt auch, das Feld nicht den Extremen zu über- Weitere Wettbewerbsvorteile für amerikanische Unter- lassen. Vor den anstehenden Wahlen in diesem Jahr – nehmen werden sich voraussichtlich aus der US-Steuer- sei es in Frankreich, den Niederlanden und natürlich in reform ergeben. Deutschland – sollten die Unternehmen ihre Beleg- schaft ausdrücklich bitten, zur Wahl zu gehen! 3. Außen- und Sicherheitspolitik Im Grunde ist schon seit Jahren klar, dass die amerika- Das ist ein Beitrag zur Stabilität – in Deutschland, in nische Bevölkerung nicht mehr bereit ist, überwiegend Europa und auch gegenüber aktuell schwer einzuschät- für alle Konflikte weltweit aufzukommen. Insbesondere, zenden Verbündeten in den USA. da die meisten Krisenregionen – Nordafrika, Israel, Naher Osten etc. – geografisch viel näher an Europa liegen als an den USA, findet die Forderung, dass die Europäer einen größeren Beitrag zur Lösung der Konflikte tragen 8 Audit Committee Quarterly I/2017
Friedrich Merz ist Vorsitzender des Vereins Atlantik-Brücke e.V. sowie u. a. Chairman der BlackRock Asset Management Deutsch- land Aktiengesellschaft; Vorsitzender des Verwaltungsrats und Mitglied des Auf- sichtsrats der HSBC Trinkaus & Burkhardt Aktiengesellschaft. müssen, eine breite Unterstützung in der US-Bevölke- Eine Möglichkeit wäre, im Kleinen anzufangen – z. B. rung. Abgesehen von Griechenland und Großbritannien deutsch-französische Beziehungen stärken, ggf. ein hält sich keine Nation an die vereinbarten 2 Prozent bilaterales Arbeitsrecht für Tarifverträge mit Frankreich des Bruttoinlandsprodukts zur Finanzierung der NATO. ausloten –, wir sollten einfach mal etwas versuchen. Europa muss zu einer gemeinsamen Außen- und Sicher- heitspolitik zusammenfinden. Abschließend gehört zum gemeinsamen Einstehen auch, dass die Europäer einen größeren Anteil an der Lösung von Krisen übernehmen. Dies gilt finanziell und Gemeinsam strategische Antworten durch Übernahme von Verantwortung. vertreten Insgesamt gibt es mehr Chancen als Risiken – wenn Wichtig ist jetzt, wieder auf Basis von Fakten statt jeder in der Gesellschaft seinen Beitrag leistet. Emotionen zu handeln und zu entscheiden. Europa und Amerika verbindet ein gemeinsames Wertesystem; auf diesem Fundament sollten gemeinsame Standards und Regeln möglich sein. Praktische Möglichkeiten Dafür ist aber auch erforderlich, dass die Europäer Ab- i m U n t e r n e h m e n : stand von isolierter Wirtschaftspolitik im eigenen Land nehmen. Die Europäische Union muss als Einheit zu- • Vor den anstehenden Wahlen in diesem Jahr – sei es in sammenstehen, mit einem klaren Bekenntnis zu E uropa Frankreich, den Niederlanden und natürlich in Deutschland – sollten die Unternehmen ihre Belegschaft ausdrücklich und seinen Werten. Das Gleiche gilt für die Außen- und bitten, zur Wahl zu gehen! Sicherheitspolitik. Nationale Alleingänge und isoliertes Durchsetzen von Interessen müssen unbedingt ver- • Mit gutem Beispiel vorangehen: Jeder Einzelne kann – und mieden werden. Sie gefährden die Gemeinschaft und muss – seinen Beitrag leisten. Mit einem klaren Bekenntnis das Vertrauen. Wir müssen gemeinsam strategische zu Europa und seinen Werten. Die gesamte Gesellschaft Antworten gegenüber den USA, Russland sowie ande- muss sich für die EU einsetzen, nicht nur eine Handvoll Poli- ren Nationen und Bündnissen vertreten. In der Vergan- tiker, sondern jeder Einzelne – Unternehmen, Belegschaft genheit hat sich gezeigt, wie stark Europa sein kann, etc. wenn es gemeinsam deutlich Position bezieht. • In der EU: einfach mal was machen – z. B. ein bilaterales Arbeitsrecht für Tarifverträge mit Frankreich. Dabei müssen Deutschland und Frankreich ihre Füh- rungsrolle in Europa annehmen und ausfüllen. Dazu zählt • Unternehmen, die in den USA tätig sind, wären gut beraten, auch, dass man das Ansehen Deutschlands in Europa sich gut mit den lokalen Behörden zu vernetzen, Ansprech- nicht beschädigen darf. Es wird wichtig sein, behutsam partner zu identifizieren, den Kontakt zu pflegen. Arbeits kräfte lokal ausbilden, ggf. von der IHK prüfen zu lassen – das mit den europäischen Nachbarn umzugehen und Kon- sind ganz praktische Möglichkeiten, Stabilität in unsicheren flikte zu vermeiden, wo sie nicht unbedingt notwendig Zeiten zu schaffen. « sind. Allerdings ohne alle Grundsätze über Bord zu wer- fen. Audit Committee Quarterly I/2017 9
Schwerpunkt: Krisen Mitschrift eines Gesprächs mit Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Hans-Werner Sinn am 1.3.2017; das Gespräch führten und geben hier wieder: Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Peter Hommelhoff und Prof. Dr. Kai C. Andrejewski Deutschland – Wirtschaft, Euro, Europa und die Welt 10 Audit Committee Quarterly I/2017
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts a. D., Profes- sor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft an der Universität München Umgeben von politischen Großkrisen (von der Türkei »Die Zeit der Exportlastigkeit und Russland bis hin zu USA und Brexit) ist Deutsch- land derzeit noch ein Hort der Stabilität und des wirt- wird zu Ende gehen. 9 Prozent schaftlichen Wachstums. Aber dies wird so nicht dau- erhaft Bestand haben können. Denn durch Brexit und Handelsbilanzüberschuss US-Entwicklung sind der größte und der drittgrößte Exportmarkt Deutschlands betroffen! sind zu ungesund, darauf sollte Gefährlich ist zunächst der US-amerikanische Protek man nicht bauen!« tionismus. Wobei die angekündigte US-Steuerreform im Grunde einer europäischen Mehrwertsteuer ent- spricht; mit den Eckpunkten: Sofortabschreibungen für Investitionsgüter, Abschaffung des Zinsabzugs, Besteu- Die aktuelle Lage der Exportüberschüsse scheint zwar erung der Importe und Steuerfreiheit der Exporte. Dies aus Unternehmenssicht positiv zu sein – volkswirtschaft- belastet definitiv die Konsumgüterindustrie, während der lich ist sie das jedoch nicht, denn der niedrige Außen- Effekt für die Ausrüstungsindustrie, Maschinenbauer wert des Euro, der dafür die Ursache ist, schadet den u. Ä. eher positiv sein wird. Sie werden an der Grenze Verbrauchern, die für die Importe zu viel bezahlen müs- zwar besteuert, doch kann der Käufer die Steuer sofort sen. Außerdem ruft der Überschuss den Protektionis- wieder absetzen. Und da die Besteuerung der Konsum- mus anderer Nationen hervor. » güter zu einer Dollar-Aufwertung führt, haben die Inves- titionsgüter per Saldo sogar noch ein Plus. Die Brexit-Strategie der EU (keine Rosinen-Pickerei, kein GLOSSAR Freihandel ohne Arbeitnehmerfreizügigkeit) ist für den Holländische Krankheit deutschen Außenhandel ebenso gefährlich wie die US- Entwicklung. »Die Holländische Krankheit tritt auf, wenn ein Land Güter (zumeist Rohstoffe) in großem Umfang exportiert. Dadurch entstehen Außenhandelsüberschüsse, durch die es zu Die Beschränkung des Finanzplatzes London durch die einer Aufwertung der Währung des Landes kommt. Dies EU wird zu einer dauerhaften Pfund-Abwertung für bringt Absatzprobleme von Gütern der übrigen exportie- Großbritannien führen, weil der Finanzsektor weniger renden Industrien mit sich. Der sinkende Export dieser zu exportieren hat. Davon profitiert das Verarbeitende Güter führt dann zum Rückgang oder Verschwinden der Gewerbe. Dies wird eine Gegenbewegung zu den ver- betroffenen Industrien und somit zu grundsätzlichen ökono- mischen Problemen wie z. B. Arbeitslosigkeit.« (Wikipedia) gangenen 40 Jahren sein, während derer die City die Industrie über eine Pfund-Aufwertung zurückdrängte. Der Name dieser »Krankheit« stammt aus den 60er- / 70er- Die Sektoren im Außenhandel stehen wegen der endo- Jahren, als Holland plötzlich ein großes Gasvorkommen entdeckte und die eingenommenen Gelder umgehend genen Wechselkurseffekte und auch über den Arbeits- in Krankenhäuser, soziale Leistungen und Straßen steckte. markt in Konkurrenz zueinander. Wenn ein Sektor Die Folge war ein Wegbrechen der Industrie durch eine wächst, verdrängt er einen anderen (»Holländische starke Währung und extrem hohe Arbeitslosigkeit. Krankheit«). Audit Committee Quarterly I/2017 11
Schwerpunkt: Krisen Zum anderen muss man hinterfragen: Sind die Vermö- • die Länder Südeuropas wurden bereits vor Entste- genstitel, die dem Export gegenüberstehen, etwas hung der Kreditblase in 2008 zu teuer. wert? Denn Exportüberschuss bedeutet: Wir liefern Waren ins Ausland, erhalten aber keine werthaltigen Im Wesentlichen könnte nur die EZB hier eingreifen – Güter dafür, sondern Schuldscheine. Während der Euro- durch Erhöhung der Zinsen und Rückführung der Staats- Krise überwiegend sogar Buchforderungen gegen anleihekäufe. Aber darunter werden die südlichen Euro- Notenbanken. Staaten leiden. Es ist eine unlösbare Aufgabe! Die Deutsche Bundesbank weist aktuell rund 800 Mrd. EUR offene Target-Kreditpositionen gegenüber ande- Nationale Lösungsmöglichkeiten ren Notenbanken aus; diese akkumulierten Forderun- gen liegen bei der EZB bei einem Refinanzierungszins Deutschland könnte theoretisch durch Inflationieren von 0 Prozent und ob diese Ausgleichsforderungen rea- eingreifen – aber dies ist eine sehr gefährliche Strategie! lisierbar sind, ist nicht sicher. Und sie sollte nicht gewählt werden, denn dadurch ge- winnen nur die Schuldner, während unschuldige Sparer und Gläubiger verlieren. »Die Opfer des Export- Vielleicht wird Deutschland sich in zehn Jahren die überschusses sind der Staat Frage des Euro-Austritts stellen. Wenn die Lasten aus der europäischen Transferunion mit den absehba- und die Bürger!« ren Schwierigkeiten der umlagefinanzierten Rentenver- sicherung zusammentreffen, wird eine große Unzufrie- denheit herrschen. Dann wird sich der Zorn auch gegen Die Forderungen der Deutschen Bundesbank sind For- den Euro richten, doch dann ist das Geld schon weg. derungen der Bürger; Überschüsse werden an das Jeder Einzelne sollte nicht so lange warten wie der Staat Finanzministerium ausgeschüttet. Analog dazu übertra- und selbst aktiv werden. gen sich Verluste der Deutschen Bundesbank in einen Vermögensverlust der Bürger, die die Budgetdefizite mit Steuern ausgleichen müssen. Wenn Italien austritt Die Bürger sollten die reale Kapital und die Banc D’Italia pleitegeht, verlieren wir schät- bildung vorantreiben! zungsweise bis zu 100 Mrd. EUR. Sollte der Euro plat- zen, verlieren wir vielleicht die gesamten 800 Mrd. Für die Zukunftsabsicherung des Einzelnen ist Eigen- vorsorge unabdingbar. Aber die Bereitschaft hierzu Bei Abschreibungen auf die Target-Forderungen erhält nimmt durch das staatliche Umlagesystem und die das Finanzministerium weniger Mittel und schließlich Nullzinsen kontinuierlich ab. Dabei kann die Alternative müssen die Steuerzahler die zusätzliche Last tragen, doch nicht sein, keine Vorsorge zu treffen. Insbesondere werden also doppelt belastet. Insbesondere natürlich, sollten die Bürger in Wohneigentum investieren – das wenn Notenbanken ausfallen. Eigenheim als Teil der Altersvorsorge nutzen, wie in den meisten europäischen Staaten schon üblich. Auch Die politische Forderung müsste lauten: Der Leistungs- Investitionen in Aktien oder Fonds sind sinnvoll. bilanzüberschuss muss um ein Drittel reduziert werden; 3 Prozent statt aktuell 9 Prozent wären m. E. vertretbar. Die Riester-Rente war ein guter Ansatz – sie nicht zur Pflicht zu machen, war ein großer Fehler, denn wer arm Die Ursachen des deutschen Leistungsbilanzüber- ist und nicht spart, fällt später dem Staat zur Last, und schusses sind: wer ohnehin spart, den kann der Sparzwang auch nicht stören. • die Unterbewertung des Euro; dieser liegt aus deut- scher Sicht um ca. 20 Prozent unter der Kaufkraftpa- Der Staat sollte lediglich die Pflicht zur Vermögensbil- rität; Grund ist die Schwemmung mit Euro durch die dung durchsetzen und sich ansonsten heraushalten. Ein EZB; Hund legt sich keinen Wurstvorrat an. • Deutschland ist im Euro unterbewertet; die Preise in Deutschland sind zu niedrig; 12 Audit Committee Quarterly I/2017
Man sollte die Krise als Chance begreifen; Käme es zu einem Austritt Griechenlands, wären speku- denn in der Krise steigt die Bereitschaft, lative Attacken gegenüber Portugal und Spanien wahr- Dinge zu ändern scheinlich. Positiv könnte man sehen, dass diese Län- der dann versuchen würden, sich den Alternativen zu Nur der Euro ist gescheitert, nicht die Europäische stellen: Union! Aber man kann den Euro durch mutige Refor- men retten. Dazu gehört es, (temporäre) Austritte zu Für die in Schieflage geratenen Euro-Länder gibt es drei ermöglichen. Alternativen: Aus meiner Sicht sollten südliche Länder in Schief- 1. reale Abwertung in Euro durch Preissenkung dort lage – Griechenland, Portugal und Spanien – die Mög- oder Inflationierung Deutschlands, aber Verbleib im lichkeit haben, aus dem Euro auszutreten, um wett Euro, bewerbsfähig zu werden. Dies ist wesentlich besser als im Euro zu verharren! Denn man sieht folgende Ent- 2. Austritt aus dem Euro, Abwertung der lokalen Wäh- wicklung: rung, • Unzufriedenheit der Bevölkerung wächst 3. Transfers auf dem Wege der Fiskalunion, wie sie den Franzosen vorschwebt. • Arbeitslosigkeit steigt • Transfers nehmen zu Wenn der Euro auseinanderbricht, könnten einzelne Notenbanken in • Verlust der Unabhängigkeit aufgrund von Auflagen Konkurs gehen durch die anderen Euro-Nationen Die Umstellung auf eine neue heimische Währung Spanien hat ein Riesenproblem! Die Wachstumszahlen führt zur Abwertung gegenüber dem Euro; die Schul- Spaniens beruhen nicht auf nachhaltigem Wachstum. den der Notenbanken bleiben in Euro bestehen, doch Sie basieren nur auf erneuter Verschuldung und Ausga- die Forderungen gegen den Staat und die Banken wer- ben des Staats! den in die abwertende nationale Währung verwandelt. Dann wird die Notenbank in Konkurs gehen. Die Rettung Portugal hat in zehn Jahren Krise nichts gemacht, um durch den Staat ist in diesem Szenario ausgeschlossen, seine Wettbewerbsfähigkeit zu steigern; das Land hat da es keine Nachschusspflicht der Staaten für die Noten- sich nur durch Neuverschuldung über Wasser gehalten. banken gibt. Denkbar ist vielmehr, dass die Notenbank Wenn es zu einem Grexit käme, müsste Portugal aktiv pleitegehen wird und sofort eine neue nationale Noten- werden, um nicht in die Schusslinie der Spekulanten zu bank anstelle der alten errichtet wird – jedoch ohne die geraten. Schuldenlast der Vorgängerin. In Griechenland gab es schon spürbare Einschnitte – Die Forderungen der Deutschen Bundesbank müssten die Preise wurden relativ zum Rest der Euro-Zone um dann abgeschrieben werden. Eventuell könnte man 10 Prozent gesenkt. Aber dies war nicht ausreichend. noch mit den restlichen im Euro verbliebenen Staaten Eine Absenkung um 30 Prozent wäre erforderlich! Die die Last teilen. Löhne in Griechenland liegen immer noch deutlich über den Stundensätzen in Polen! Wenn Griechenland pleite- Aber was passiert dann? – Es ist zu viel Geld für die geht, bleibt nichts anderes übrig, als den Konkurs zu restlichen Euro-Länder im Umlauf. Dann kann man ent- akzeptieren und die Forderungen abzuschreiben. Den weder die Inflation akzeptieren oder neue Anleihen Konkurs zu akzeptieren, aber Griechenland im Euro zu begeben, um Geld abzuziehen. halten, ist keine Lösung, denn dann geht die Verschul- dung in Kürze wieder von vorn los. Nur eine Abwertung Den Preis der Vermögensverluste zahlen wir bei jedem macht Griechenland wettbewerbsfähig und verhindert Szenario! Aber: Es ist wie bei einer Bank, die dem säu- die Neuverschuldung. Bei einem Austritt aus dem Euro migen Schuldner immer wieder neue Kredite gewährt, würde die Drachme vielleicht um 50 Prozent oder mehr damit die ursprünglichen Kredite nicht ausfallen – es gegenüber dem Euro abgewertet werden. verlagert das Problem nur, es löst es nicht. Je länger es dauert, desto schlimmer sind die Effekte. » Audit Committee Quarterly I/2017 13
Schwerpunkt: Krisen Darum muss auch der direkte Ankauf von Wertpapie- Fiskalunion – katastrophale Aussichten ren durch die Notenbanken (Quantitative Easing, QE) für Europa gestoppt und der Euro auf Kern-Euro-Länder reduziert werden. Ich prognostiziere, dass nach den Wahlen in diesem Jahr die südeuropäischen Euro-Staaten – inklusive Frankreich – in 2018 eine Initiative für ein europäisches Fiskalsystem starten werden. Frankreich wird zusam- men mit den südlichen Euro-Ländern versuchen, eine solche Fiskalunion zu erzwingen. Dies wird in einen dauerhaften Transfer der nordischen Länder zugunsten der südeuropäischen Länder münden, wobei die Zinsen für Südeuropa gleich null sind. – Eine Katastrophe! Exporterlöse dürfen nicht durch Transfers ersetzt wer- den – dies zementiert nur das Leben über die Verhält- nisse. Es entsteht keine wettbewerbliche Wirtschaft, sondern man lebt über die eigenen Verhältnisse, weil die Transfers Lebensstandard und Löhne auf einem Niveau halten, das die Ansiedlung wettbewerbsfähiger Firmen verhindert. Der italienische Mezzogiorno würde in ganz Südeuropa Einzug halten. Zum anderen läuft die Fiskalunion auf eine Vergemein- schaftung von Schulden hinaus. Diese hat zur Folge, dass die Kreditwürdigkeit der überschuldeten Staaten künstlich gestützt und der Zins, zu dem sie sich Geld leihen können, künstlich gesenkt wird. Das ruft einen Das ifo Institut hat in einer aktuellen Studie unter- übermächtigen Anreiz hervor, sich noch weiter zu ver- sucht, mit welchen Folgen zu rechnen wäre, wenn die USA zu Zöllen oder nicht tarifären Handels- schulden. hemmnissen gegenüber einzelnen oder allen Handelspartnern greifen würden, um den heimi- schen Markt abzuschotten, und den Effekten, »Eine Fiskalunion wäre der wenn die Handelspartner sich wehren, es also zu einem Handelskrieg kommt. Das Ergebnis: Wenn zweite große Fehler nach die USA einen globalen Handelskrieg provozie- ren, trifft dies ökonomisch vor allem: sie selbst. der Einführung des Euro!« Presseartikel von Clemens Fuest, in: Wirtschafts Woche, 3.3.2017, S. 37; http://www.cesifo-group.de/ de/ifoHome/policy/Staff-Comments-in-the-Media/ Ralf Dahrendorf hatte schon 1998 recht mit seinen Ver- Press- articles-by-staff/Archive/Eigene-Artikel-2017/ mutungen, dass der Euro Europa spalten werde. Dies medienecho_ifostimme-wiwo-03-03-2017.html heißt aber nicht, dass man den Euro abschaffen sollte! « 14 Audit Committee Quarterly I/2017
Franz Prinz zu Hohenlohe US-Steuerreform: Auswirkungen auf Supply Chain und Franz Prinz zu Hohenlohe ist Partner der KPMG AG Wirtschaftsprüfungs gesellschaft und Leiter Geschäftsmodell der Service Line Interna- tional Tax. im Auge behalten Durch die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der perschaftsteuersatzes auf 20 Prozent sowie Elemente Vereinigten Staaten stellt die Republikanische Partei seit einer Verbrauchsteuer vor, das als eine Ausprägung die 2006 zum ersten Mal wieder den Präsidenten und hat sog. »Border Adjustability« vorsieht. Dies bedeutet im die Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat – Wesentlichen: Umsätze aus Exporten sollen steuerfrei- eine gute Voraussetzung, wesentliche Gesetzesvorha- gestellt werden, während Aufwendungen für Importe ben wie die einer Steuerreform auch tatsächlich verab- steuerlich nicht zum Abzug gebracht werden können. schieden zu können. Weiter sieht der »Blueprint« vor, dass Zinsaufwen dungen nur bis in Höhe von Zinserträgen steuerlich in Der Sprecher des Repräsentantenhauses, Paul Ryan, Abzug gebracht werden dürfen und Investitionen für war schon maßgeblich an dem sog. »Blueprint« der Anlagevermögen grundsätzlich – sofern diese nicht in Steuerreform beteiligt, der im Sommer 2016 veröffent- Grundvermögen bestehen – sofort in Abzug gebracht licht wurde. Dieser sieht bereits eine Reduktion des Kör- werden können. Schließlich sieht der »Blueprint« einen » Audit Committee Quarterly I/2017 15
Schwerpunkt: Krisen Wechsel der Besteuerung des Welteinkommens (sog. Die US-Steuerreform befindet sich noch in einer sehr Welteinkommensprinzip) hin zu einer Besteuerung le- frühen Phase. Präsident Trump hat sich bisher noch diglich des Einkommens vor, das in den USA erwirt- nicht klar zum »Blueprint« des Repräsentantenhauses schaftet wird (sog. Territorialitätsprinzip). geäußert. Insbesondere ist noch unklar, ob er hinter dem Vorschlag der »Border Adjustability« steht. Allerdings Hintergrund für diese wesentlichen Änderungsvor- hat Präsident Trump schon bei mehreren Gelegenhei- schläge im US-Steuerrecht ist, dass das derzeitige US- ten klargestellt, dass auch er eine Steuerreform unter- Steuerrecht seit ca. 30 Jahren weitestgehend unverän- stützt und dass der Steuersatz wesentlich zu reduzie- dert und nicht mehr wettbewerbsfähig ist. So beträgt ren ist. Er hat von einem Steuersatz i. H. v. 15 Prozent der derzeitige Steuersatz 36 Prozent und ist damit der gesprochen. Wie die Gegenfinanzierung erfolgen soll, höchste Körperschaftsteuersatz der wesentlichen Indus- ist bisher von Präsident Trump noch nicht klar kommu- triestaaten. Weiter sieht das US-Steuerrecht derzeit vor, niziert worden. dass das Welteinkommen besteuert wird, während die meisten Industriestaaten in den letzten Jahren auf ein Eine denkbare Variante und grundsätzlich logische Kon- Territorialitätssystem umgestellt haben und daher grund- sequenz der bisherigen Diskussionen zur US-Steuer sätzlich nur das Einkommen besteuern, das in dem je- reform wäre, dass in den USA eine Umsatzsteuer ein- weiligen Land erzielt wird, während Einkommen, das im geführt wird, die es bis dato noch nicht gibt. Allerdings Ausland erzielt wird, grundsätzlich von der Besteuerung haben sich die Republikaner bereits mehrfach klar gegen freigestellt wird. Mehrere große US-Konzerne haben eine Umsatzsteuer ausgesprochen. Diese gilt daher daher in den letzten Jahren versucht, ihren Sitz aus den derzeit als politisch nicht umsetzbar. USA in ein anderes, häufig europäisches Land zu ver legen. Ein bekanntes Beispiel ist der Pharmakonzern Wie eine Steuerreform in den USA konkret aussehen Pfizer, der mittels eines Mergers mit einem kleineren wird, ist derzeit noch unklar. Allerdings wird es aufgrund Konzern versuchen wollte, seinen Sitz in die EU zu ver- der Mehrheitsverhältnisse im Repräsentantenhaus und legen. Dieses Vorhaben konnte nur mittels kurzfristig im Senat sowie aufgrund des hohen politischen Drucks ergangener Verwaltungsanweisungen verhindert wer- und des veralteten und nicht mehr wettbewerbsfähi- den. Vor diesem Hintergrund haben Präsident Trump gen US-Steuersystems für wahrscheinlich gehalten, und die Republikaner als wesentliches Ziel verkündet, dass es zu einer Steuerreform kommen wird. Die wei- das US-Steuerrecht müsse wieder wettbewerbsfähig teren Entwicklungen sollten daher genau beobachtet werden. werden. Es empfiehlt sich, frühzeitig die finanziellen Auswirkungen zu ermitteln, die sich aus den vorge- Die Zielkonflikte der Steuerreform liegen zum einen schlagenen Änderungen ergeben können. Es sollte darin, dass die Reform aufkommensneutral sein muss, ebenfalls darüber nachgedacht werden, ob und wenn ja damit diese erfolgreich umgesetzt werden kann. Zum welche vertretbaren Anpassungen bei der Supply Chain anderen muss der Steuersatz wesentlich reduziert wer- oder dem Geschäftsmodell vorgenommen werden kön- den, damit die Reform die gewünschten Effekte erzielt. nen, um mögliche negative finanzielle Auswirkungen in Somit ist die Bemessungsgrundlage wesentlich zu ver- Grenzen zu halten. « breitern. Dies soll mittels der Einschränkung des Zins- abzugs, vor allem aber mittels der »Border Adjustability« erreicht werden. Inwiefern die »Border Adjustability«, die einen stark protektionistischen Charakter hat, mit den von der WTO aufgesetzten Grundsätzen im Ein- klang steht, wird derzeit sehr kontrovers diskutiert. Die Republikaner vertreten offenbar die Auffassung, dass dieses Element der Steuerreform einer europäischen Umsatzsteuer ähnlich sei und argumentieren daher, dass es zulässig sein sollte. 16 Audit Committee Quarterly I/2017
Warren Marine America first! Populism being fed from a disaffected minority base. Sound familiar? The first 40 days of the Trump administration have given everyone in the world with any kind of vested interest in the United States good reason to reevaluate their views of the country and its current direction. Behind the rhetoric which has understandably given most good reason to be concerned, if not alarmed, there looms broad business friendly policy initiatives which are largely shared by the Republican majority in Congress, including tax reform, rollbacks of federal regulations on business and new spending on infrastructure. It is still too early to tell how far changes in trade policies might go, although the direction is clear. Changes in immigra- tion policies will likely not present Europeans with signi Warren Marine is a US citizen ficant problems, and we should all be encouraged by and Head of Country Practice the judiciary’s blocking of an ill-advised travel ban. USA of KPMG Germany. Keeping abreast of political changes in the United States right now is very much like riding a roller coaster. Com- panies doing business in the United States need to keep constantly up to date with what is happening, as the pace of change is as unprecedented as it is unpre- dictable. Maintaining flexibility to adjust to current and future changes in this environment is essential. Entering into new, significant commitments may be for many, if not for most, reserved for the fool hearty. Although President Trump’s first congressional address on February 28 th was generally well received, less than 48 hours later new Russia-gate related reports surfaced and a new travel ban is eminent. Assuming Russia-gate or other scandal does not sidetrack the administration, we should expect broad far reaching policy changes over the next two years. « Audit Committee Quarterly I/2017 17
Michaela Hohlmeier Brexit-Risiken minimieren und den europäischen Kapitalmarkt stärken Der Brexit wird schwerwiegende Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft und Gesellschaft haben. Da die aktuelle Situation für alle Beteiligten von großer Unsi- 1. Verhandlungen sachlich und konstruktiv führen cherheit geprägt ist, hat das Deutsche Aktieninstitut Auch wenn der bevorstehende Austritt des Ver- das »Brexit-Projekt« ins Leben gerufen. Zusammen mit einigten Königreichs zu teilweise sehr emotions- rund 50 Vertretern seiner Mitgliedsunternehmen wer- beladenen Diskussionen geführt hat, müssen den im Rahmen des Projekts die Folgen des Brexit für die Brexit-Verhandlungen sachlich, kooperativ den europäischen Kapitalmarkt analysiert und konkrete und konstruktiv geführt werden. Dabei müssen Empfehlungen an die Verhandlungsführer erarbeitet. Vereinbarungen getroffen werden, die die Folgen Das Brexit-Projekt wird die kommenden Verhandlungen des Brexit abfedern, um Einschränkungen des der Europäischen Union mit dem Vereinigten König- grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs reich konstruktiv begleiten. möglichst zu vermeiden und die Nachteile für alle beteiligten Volkswirtschaften abzumildern. Wett- Zum Auftakt wurden mit dem Positionspapier »Austritt- bewerbsverzerrungen oder ein Deregulierungs- verhandlungen der Europäischen Union mit dem Ver wettlauf müssen vermieden und die europäische einigten Königreich: Brexit-Risiken minimieren und den Idee, die sich in den vier Grundfreiheiten des europäischen Kapitalmarkt stärken« erste Vorschläge europäischen Binnenmarkts manifestiert, ge- vorgelegt. schützt werden. 18 Audit Committee Quarterly I/2017
3. apital- und Finanzmarktrechtssetzung: K Drittstaatenregelungen erweitern und effi zienter ausgestalten Das Vereinigte Königreich wird nach den Äußerungen der briti- schen Regierung nicht nur die Europäische Union, sondern auch den Binnenmarkt verlassen. Nach diesem »harten Brexit« unterliegen Finanzdienstleistungen europäischer Unternehmen im Vereinigten Königreich britischem Recht. Für britische Unternehmen, die in der Europäischen Union Finanzdienstleis- tungen erbringen wollen, finden dann Drittstaatenregelungen Anwendung. Diese gewähren Unternehmen aus Drittstaaten einen einheitlich geregelten Zugang zu den EU-Märkten. Dritt- staatenregelungen können in Form eines sog. Äquivalenz- Regimes ausgestaltet werden. Danach werden Dritt- und EU- Staaten gleichbehandelt, wenn die rechtlichen Vorgaben und die Aufsicht der Finanzprodukte des Drittstaats als äquivalent zu den Regeln der Europäischen Union angesehen werden. Allerdings sind die damit einhergehenden Äquivalenz-Prüfun- gen meist zeitaufwendig, komplex und intransparent. Zudem bieten sie nur eingeschränkt Sicherheit, da die Äquivalenz leicht wieder aberkannt werden kann. Michaela Hohlmeier, Leiterin Kapitalmarkt- trends und Innovation, Deutsches Aktien Die bereits in den europäischen Verordnungen und Richtlinien institut e.V. existierenden Drittstaatenregelungen sind zu eng gefasst und decken nicht alle relevanten Themenbereiche ab. Drittstaaten- regelungen, die die Intensität der wirtschaftlichen Verflechtun- gen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union widerspiegeln, müssen deshalb ein entscheidender 2. Mit Übergangsrege- lungen Zeit gewinnen Punkt in den Brexit-Verhandlungen sein. Entweder sollten EU- Rechtsakte, die bislang kein »Äquivalenz-Regime« enthalten, mit einem solchen versehen oder aber gesetzesübergreifende Es ist nicht zu erwarten, dass inner- Drittstaatenregelungen beschlossen werden. Alternativ kann halb der nach dem EU-Vertrag dies auch über ein bilaterales Abkommen, ähnlich einem Frei- vorgesehenen zwei Jahre alle Fra- handelsabkommen, zwischen der Europäischen Union und dem gestellungen des Brexit in der Vereinigten Königreich erreicht werden. Grundsätzlich ist aber erforderlichen Detailtiefe bespro- darauf zu achten, dass EU-Anbieter im Vereinigten Königreich chen und Lösungen gefunden entsprechende Regelungen nutzen können (Reziprozität). werden können. Auch die Umset- zung neuer Vorgaben benötigt Zeit, da sich die Betroffenen ad- äquat auf die neue Rechtslage vorbereiten und z. B. Geschäfts- prozesse und -strukturen anpassen müssen. Eine zeitnahe Vereinba- 4. Gesellschaftsrechtliche Grundstrukturen: Funktions fähigkeit bewährter Rechtsformen sicherstellen rung von Übergangsregelungen Im Gesellschaftsrecht gibt es kein dem Drittstaatenregime vergleichbares ist deshalb essenziell. Diese stel- Instrument, mit dem sich die sich abzeichnenden Probleme übergreifend len sicher, dass nach dem Austritt lösen lassen. Ein Problemfeld ist beispielsweise die Anerkennung britischer des Vereinigten Königreichs aus Rechtsformen in der Europäischen Union. In einigen EU-Staaten werden der Europäischen Union Rechts- Rechtsformen aus Drittstaaten nicht anerkannt und Unternehmen mit briti- unsicherheiten vermieden wer- scher Rechtsform würden mit dem Brexit automatisch in nationale Rechts den. Eine praktikable und effektive formen »umgewandelt«. In Deutschland hätte dies zur Folge, dass z. B. die Übergangsregelung auf europäi- Gesellschafter einer britischen Limited aufgrund der anzuwendenden deut- scher Ebene wäre das Ziel. Sollte schen Rechtsformen (GbR bzw. oHG) unbeschränkt persönlich haften müss- eine solche nicht zu erreichen ten. Dies kann nicht gewollt sein. Es wird empfohlen, im Rahmen des Aus sein, müssten ggf. zwischen trittsabkommens zu vereinbaren, dass im Vereinigten Königreich wirksam Deutschland und dem Vereinigten errichtete Gesellschaften auch weiterhin anerkannt werden. Zumindest sollte Königreich bilaterale Übergangs ein Bestandsschutz für zum Zeitpunkt des Brexit bestehende Gesellschaften regelungen getroffen werden. (Grandfathering) oder ausreichend Übergangszeit vorgesehen werden. « Audit Committee Quarterly I/2017 19
Schwerpunkt: Krisen Lars-Alexander Meixner ist Partner der KPMG Rechts anwaltsgesellschaft mbH (KPMG Law) in Stuttgart, Lei- ter der Country Practice UK von KPMG Law und Mitglied der Brexit Task Force von KPMG, die zu allen Fragestel- lungen rund um den Brexit berät. Lars-Alexander Meixner, LL. M. Der »Brexit« aus der Perspektive des Aufsichtsrats – rechtliche Implikationen rechtzeitig erkennen Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Austritt – und dann? »Brexit«. Die Entscheidung der Briten, die EU verlassen zu wollen, löst europaweit Verunsicherung aus und Nachdem Theresa May am 29.3.2017 offiziell den Aus- macht es aus Sicht deutscher Unternehmen notwendig, trittsantrag gestellt hat, ist ein »Exit vom Brexit« nahezu dass sich die Geschäftsleitung, aber auch der Aufsichts- ausgeschlossen. rat, mit den Konsequenzen des »Brexit« auseinander- setzen. Was also passiert, wenn 2019 der Austritt wirksam wird? Wie werden die Rechtsbeziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und dem restlichen Europa »Brexit« und Aufsichtsrat aussehen? Welche rechtlichen Folgen sind für deut- sche Unternehmen konkret zu erwarten? Aufgrund der Ungewissheit darüber, wie der Austritt letztendlich abläuft, und was auf Unternehmen mit geschäftlichen Aktivitäten im Vereinigten Königreich Beziehung zwischen UK und EU zukommt, findet sich die Unternehmensleitung derzeit in einer schwierigen Situation wieder. Dies kann einer- Die Auswirkungen des »Brexit« auf deutsche Unter- seits zu übereilten und voreiligen Schritten führen, ande- nehmen werden am Ende stark davon abhängen, wie rerseits aber auch zu Untätigkeit, da die Entscheidungs- die Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich träger noch die weiteren Entwicklungen abwarten und der EU künftig ausgestaltet werden. Dabei gibt wollen – wovon jeweils abzuraten ist. es verschiedene Ansätze, um den Bruch mit der EU möglichst schonend zu gestalten (»weicher Brexit«). Auch der Aufsichtsrat muss sich einen Überblick darüber Theresa May hat jedoch bereits angekündigt, dass man verschaffen, welche voraussichtlichen Auswirkungen den Weg des »harten Brexit« gehen möchte. In diesem der »Brexit« auf das betroffene Unternehmen haben Fall würde das Vereinigte Königreich wohl ähnlich wie wird. Er muss sich hierzu vom Vorstand informieren las- ein Drittstaat nach WTO-Standard behandelt werden. sen, und zwar bereits jetzt und immer dann, wenn sich weitere wesentliche Verhandlungsergebnisse zwischen EU und UK abzeichnen. Der Vorstand muss die für den bevorstehenden »Brexit« in seinem Unternehmen not- wendigen Maßnahmen prüfen und zeitgerecht ergrei- fen. Darin hat ihn der Aufsichtsrat durch gezielte Fragen zu überwachen. 20 Audit Committee Quarterly I/2017
Sie können auch lesen