Audit Committee Quarterly - I /2022 Audit Committee Institute e.V - Unternehmenskultur

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Audit Committee Quarterly - I /2022 Audit Committee Institute e.V - Unternehmenskultur
Audit Committee
                  Quarterly                                        I   / 2022
                  das magazin für corporate governance

                                                                  Gefördert durch

Audit Committee
Institute e.V.

                       »One person’s craziness

                    i s a n o t h e r p e r s o n ’ s r e a l i t y.«

                                       Tim Burton

                              Unternehmenskultur
Audit Committee Quarterly - I /2022 Audit Committee Institute e.V - Unternehmenskultur
EDITORIAL

© 2022 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht
und einem Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company
Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Audit Committee Quarterly - I /2022 Audit Committee Institute e.V - Unternehmenskultur
Schweren Fällen von Wirtschaftskriminalität folgt regelmäßig der
         Ruf nach strengeren Gesetzen und mehr Regulatorik. So waren über
         die letzten Jahrzehnte gesetzliche Verschärfungen im Bereich der
         Corporate Governance häufig unmittelbare Folge von Unternehmens-
         skandalen. Inwieweit die Unternehmenskultur rechtswidriges Verhal-
         ten mitverursachte oder ermöglichte, spielte dabei in der öffentlichen
         Diskussion zur Prävention eine untergeordnetere Rolle. Ebenso
         ­betreffen unternehmerische Maßnahmen zur Optimierung der Unter-
          nehmensperformance selten direkt die Unternehmenskultur – und
          wenn doch, dann eher unfreiwillig und mit zweifelhaftem Erfolg.
          ­Indes zeigen Studien, dass eine gute Unternehmenskultur entschei-
           dend zur Compliance und Unternehmensperformance beiträgt.
           Auch der europäische Gesetzgeber scheint der Unternehmenskultur
           im Zusammenhang mit dem Übergang in eine nachhaltigere Wirt-
           schaft einen größeren Stellenwert einräumen zu wollen: Gemäß
           dem Entwurf der CSRD-Richtlinie müssen bestimmte Unternehmen
           künftig über Unternehmensethik und Unternehmenskultur öffentlich
           berichten.

         Als Aufsichtsratsthema wurde Unternehmenskultur bislang gleich-
         falls recht stiefmütterlich behandelt. Doch auch der Aufsichtsrat
         muss sich mit Kulturfragen im Rahmen seiner Überwachung der
         Rechtmäßigkeit, Ordnungsgemäßheit und Zweckmäßigkeit der
         ­Geschäftsführung des Vorstands befassen. Als integraler Bestand-
          teil einer langfristig erfolgreichen Unternehmensstrategie sollten sie
          insbesondere Gegenstand der Strategieberatung des Aufsichtsrats
          sein. Es gilt der Spruch »culture eats strategy for breakfast«.

         Vor diesem Hintergrund widmet sich diese Ausgabe des Audit
         ­Committee Quarterly dem Schwerpunktthema Unternehmenskultur
          und diskutiert, an welchen Stellschrauben angesetzt werden kann,
          um Unternehmenserfolg und Compliance nachhaltig zu verbessern.
          Der Fokus der Artikel ist dabei die tatsächlich im Unternehmen
          ­gelebte und erlebte Kultur.

         Ich wünsche Ihnen eine kurzweilige Lektüre!

         Ihre

         Angelika Huber-Straßer
         Leiterin des Audit Committee Institute e.V.,
         Regionalvorstand Süd der
         KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

© 2022 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht
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i n h a lt

       2 E ditorial                                                                 36	Keine Exzellenz ohne Ethik!
      		Angelika Huber-Straßer                                                          Der Zusammenhang von unethischem Verhalten
                                                                                        und Führungsebene und daraus entstehende
                                                                                        ­Implikationen für Unternehmen
            S c h w er p u n k t                                                   		  Ass.-Prof. Dr. Sandra Diller und Prof. Dr. Dieter Frey
            Unternehmenskultur                                                      41	Die Dämmerung der Herrscher:
                                                                                        neue CEOs für die Unternehmen von morgen
       6	Twin Transformation Culture                                               		 Dr. Kati Najipoor-Smith, Marta Kowalska-Marrodán
      		 Prof. Dr. Dr. Alexander Brink                                                 und Dr. Kathrin Heinitz
      10	Unternehmenskultur:                                                       43	Menschen machen die Kultur
          Wissensmanagement als Skandalprävention                                   		 Ana-Cristina Grohnert
      		 Prof. Dr. Jan Lies
                                                                                    46	Die Erhöhung der Diversität im Aufsichtsrat
      13	
         Unternehmenskultur ist mehr als Purpose!                                       ist ein kultureller Professionalisierungsprozess
      		Rainer Krumm                                                               		 Dr. Philine Erfurt Sandhu
      16	Culture and strategy eat breakfast together                               48	Diversität in Unternehmen und deren Auswir-
      		 Sandra Freimuth                                                               kung auf die Unternehmensperformance
                                                                                    		 Victoria Wagner
      19Wie fördern Unternehmen Innovationen
        in Zeiten des Klimawandels?                                                 50	»So läuft das eben bei uns« – Der Einfluss von
        Prof. Dr. Dieter Frey und Melanie Vilser
      		                                                                               Unternehmens- und Risikokultur auf Fehlverhal-
                                                                                        ten und Compliance-Verstöße
      22 ooperation als Funktion von Macht und
        K
                                                                                    		 Tatjana Schulz und Markus Quick
        ­Vertrauen
      		Prof. Dr. Erich Kirchler                                                    56	Whistleblowing: Organisationskultur zentral
                                                                                        für internes Meldeverhalten
      25	Wie man die Zusammenarbeit zwischen
                                                                                    		 Prof. Dr. Ralf Kölbel und Dr. Nico Herold
          ­Mitarbeitern und Führungskräften optimal
           ­gestaltet                                                               58	Dunkelfeld im Compliance-Management –
      		   Thomas Kottmann und Dr. Kurt Smit                                           Deutschland und China
                                                                                    		 Prof. Dr. jur. Kai-D. Bussmann
      28	So etablieren Sie eine gute Fehlerkultur
          in Ihrem Unternehmen                                                      60	Keine Kapitalmarkt-Story ohne Kultur
      		 Prof. Dr. Christoph Seckler und                                           		 Dr. Jochen Schmitz
          Prof. Dr. Ulfert Gronewold
                                                                                    62	Eine Frage der Haltung!
      30	Die Motivationsfaktoren der Zukunft                                           Die grüne Transformation erfordert eine Kultur
      		 Prof. Dr. Jutta Rump                                                          der Risikobereitschaft, des Muts und einer
                                                                                        ­dezentralen Führung und Kommunikation
      32	Die neue Suche nach Sinnhaftigkeit
                                                                                    		  Pascal Frank
      		 Prof. Dr. Stefan Kühl
                                                                                    64	Die soziale Taxonomie:
      35     v irt u elle k o n f ere n z                                              Warum sie nötig ist und wie sie funktioniert
              KPMG Zukunftsgipfel                                                   		 Antje Schneeweiß

4   Audit Committee Quarterly I/2022
                                          © 2022 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht
                                          und einem Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company
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I n ter n atio n al B u si n ess O u tloo k s                                                             		Cor p orate Go v er n a n c e a k t u ell

66	Business Destination Germany 2022                                                                      82	Vorschlag zur Änderung des
    Deutsche Unternehmen in den USA und China:                                                                 Deutschen Corporate ­Governance Kodex
    Enthusiasmus vs. Realismus                                                                             		 Dr. Astrid Gundel
		 Andreas Glunz
                                                                                                           85	Virtuelle Hauptversammlung –
                                                                                                               Referentenentwurf vorgelegt
		sta n d p u n k t                                                                                        		 Dr. Astrid Gundel

70	Zusammenfassung: Sind Joint Audits effektiv                                                            87	Kurzmeldungen
    und effizient? – State of the Art und Einschät-                                                        		Zusammengestellt von Dr. Astrid Gundel
    zungen von Prüfungsausschussvorsitzenden
    in Deutschland
		 Prof. Dr. Annette G. Köhler und                                                                        		
                                                                                                             D ie w elt der Cor p orate
    Prof. Dr. Nicole V. S. Ratzinger-Sakel                                                                           ­Gov er n a n c e : E U

73	Russland-Sanktionen als Herausforderung für                                                             88	Der föderale europäische Bundesstaat als
    Unternehmen und das eigene Geschäftsmodell                                                                  ­Zukunft der Europäischen Union?
		 Interview mit Anne-Kathrin Gillig und                                                                   		  Prof. Dr. Markus Ludwigs
    Dr. Benedikt Herles

                                                                                                               Fi n a n c ial R e p orti n g U p date | Ta x
                                                                                                            		
		Fa m ilie n u n ter n e h m e n
                                                                                                            91	Das weltweite Steuerrecht im Wandel – ­
76	Gute Beiräte in Familienunternehmen                                                                         Umsetzung einer globalen Mindestbesteuerung
    Unabhängig. Unbequem. Unbeugsam.                                                                            ab Januar 2023
		 Ulvi Aydin                                                                                              		 Dr. Andreas Ball, RA / StB, und Claus Jochimsen

		 A k t u elle R e c h ts p re c h u n g                                                                   94       P u bli k atio n e n

78	Grenzüberschreitende Konzern­verantwortung
    für Menschenrechte und Klimaschutz
		 Prof. Dr. Christoph Teichmann                                                                           96       Ausge wählte Zeitsch rif tenartikel

                                                                                                            97       Impressum

                                                                                                            98       Bestellformular

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© 2022 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht
und einem Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company
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S c h w e r p u n k t Unter nehmenskultur

                Twin Transformation Culture
                Autor: Prof. Dr. Dr. Alexander Brink

                                                                                                  Wie mit einer Werteorientierung

                                                                                                                 die Zwillingstransformation

                                                                                                                                                   gelingen kann!

6   Audit Committee Quarterly I/2022
                                            © 2022 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht
                                            und einem Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company
                                            Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Audit Committee Quarterly - I /2022 Audit Committee Institute e.V - Unternehmenskultur
Prof. Dr. Dr. Alexander Brink, geb. 1970 in
                         ­Düsseldorf, ist Professor für Wirtschafts-
                          und U ­ nternehmensethik im renommierten
                          »Philosophy & Economics«-Programm der
                          ­Universität Bayreuth. Er lehrt und forscht
                           seit 20 Jahren an der interdisziplinären
                           Schnittstelle von Ökonomie und Philosophie.
                           Seit 2021 leitet er das dortige Institut für
                           Ethik und ­Management. Im Jahre 2010 grün-
                           dete ­A lexander Brink die concern GmbH.
                           Der Autor und Herausgeber von über 300 Ver­
                           öffentli­c hungen berät namhafte Unternehmen.

                         1. Das Phänomen Unternehmens­                                                                       Dass Werte und Kultur Menschen prägen, ja für
                         kultur ist nicht neu                                                                                ­unsere persönliche Entwicklung wesentlich sind, ist
                                                                                                                              aber keine neue Beobachtung von Manager*innen,
                          Oswald Neuberger und Ain Kompa haben in ihrem                                                       Berater*innen oder Wissenschaftler*innen. Unter dem
                          Buch Wir, die Firma im Jahre 1987 eine unterhalt­                                                   Begriff ergon beschreibt der griechische Philosoph
                         same Lektüre vorgelegt. Die Leser*innen erfahren                                                     Aristoteles in seiner Nikomachischen Ethik schon vor
                         darin, inwieweit die Sitzordnung in Kantinen, die                                                    ca. 2.000 Jahren das, was einer Entität ­wesentlich ist
                         ­Orchestrierung von Statussymbolen oder die Kunst                                                   und was zum Erfolg gebracht werden muss. Mit dem
                          der Graffitis auf den Herrentoiletten von Automobil-                                               zoon politikon rückte Aristoteles die Menschenliebe
                          herstellern die Kultur einer Firma prägen. Es ist die                                              und die soziale Interaktion ins Zentrum. Vieles von dem,
                          »Summe der Überzeugungen, Regeln und Werte,                                                        was heute unter Unternehmenskultur gefasst wird,
                          die das Typische und Einmalige eines Unternehmens                                                  entstammt einer alten Tradition. Wir erleben ­gerade
                          ausmachen«.1                                                                                       deren Renaissance, wenn es um die Gestaltung der
                                                                                                                             Zukunft geht. Im Zeitalter der digitalen und nachhalti-
                           In den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts boomte                                                gen Transformation (Twin Transformation) benötigen
                           die Unternehmenskultur. Es war die Zeit, als Tom                                                  wir eine besondere Kultur.
                           ­Peters, der Red Bull of Management Thinkers, mit
                            seinem Buch In Search of Excellence sog. weiche
                            Faktoren identifizierte.2 Gemeinsam mit seinen Kol­                                              2. Der Webfehler:
                         legen der US-Strategieberatung McKinsey zeigte er                                                   der Homo Oeconomicus löst den
                         durch vergleichende Forschungen auf, inwieweit
                         ­Werte und Kultur auf den Unternehmenserfolg wirk-                                                  Ehrbaren Kaufmann ab
                          ten. Der US-Wissenschaftler Edgar H. Schein sensibi-                                               Anfang des 20. Jahrhunderts führte der Ökonom
                          lisierte im Sloan Management Review Führungskräfte                                                 ­Vilfredo Pareto eine Kunstfigur ein, die bei gegebenen
                          zeitgleich zu mehr Kulturbewusstsein.3 Kultur dürfe –                                               Präferenzen auf sich verändernde Restriktionen rea­
                          so die Kernbotschaft aus Coming to a New Awareness                                                  giert. Dieser Gedanke wurde in der Ökonomik, vor
                          of Organizational Culture – nicht nur beschrieben                                                   ­allem in der Neoklassik und in der Rational Choice-
                          ­werden, man müsse auch deren Entwicklungen und                                                      Theorie, aufgenommen und wird heute weltweit an
                           Veränderungen erkennen.                                                                             den Universitäten gelehrt. Die Figur des homo oeco-
                                                                                                                             nomicus wird auf Präferenzen und Restriktionen redu-
                                                                                                                             ziert. Eine Verhaltensveränderung lässt sich eindeutig
                         1 Vgl. Neuberger, O. / Kompa, A. (1987): Wir, die Firma. Der Kult um die                            auf eine Veränderung von Restriktionen bei Konstanz
                           ­Unternehmenskultur, Weinheim und Basel: Beltz, S. 17                                             von Präferenzen zurückführen.
                         2 Vgl. Peters, T. / Waterman, R. H. Jr. (1982): In Search of Excellence,
                           New York and London: Harper & Row
                         3 Vgl. Schein, E. H. (1984): Coming to a New Awareness of Organisational
                           Culture, in: Sloan Management Review, 25(2), S. 3 –16

                                                                                                                                                   Audit Committee Quarterly I/2022 7
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Schwerpunkt Unternehmenskultur

                Der homo oeconomicus löste damit den Ehrbaren                                             Wer eine werteorientierte Transformation einleiten will,
                 Kaufmann ab. Dessen Ursprung liegt in der italieni-                                      der muss an die Normen und Werte, also die mittlere
                schen Renaissance, im Städtebund der Hanse. Der                                           Ebene der Kultur. Hier liegt die Stunde des normativen
                Ehrbare Kaufmann hatte nicht nur ein Interesse am                                         Managements. Die Einheit von normativem, strategi-
                Erfolg seines Unternehmens, sondern auch an der                                           schem und operativem Management wurde von dem
                Gesellschaft. Dies geschah aus einem wohlverstan-                                         St. Galler Ökonomen Knut Bleicher im Rahmen der
                denen Eigeninteresse: Nur so konnte er erfolgreichen                                      Weiterentwicklung des St. Galler Management-­
                Handel betreiben. Der Ehrbare Kaufmann galt als                                           Modells erstmals in dieser Präzision formuliert.6 Es gibt
                ­tugendhaft und werteorientiert. Sein Ruf war ausge-                                      zwei nun grundlegende Möglichkeiten, wie man die
                 zeichnet.                                                                                Normativität über das strategische in das operative
                                                                                                          Management überführt: Compliance und Integrität.

                3. Normatives Management
                ist wieder auf dem Vormarsch                                                              4. Von der Kultur der Regel-
                                                                                                          orientierung zur Kultur der
                Unternehmenskulturen übernehmen im Wesentlichen
                vier Funktionen: als Identifikationsfunktion stärken sie                                  ­Werteorientierung
                das Wir-Gefühl der Mitarbeitenden, als Koordinations-                                     Die verstärkte Forderung nach Compliance ist eine
                funktion stimmen sie strategisches und operatives                                         Reaktion auf die vielfältigen Unternehmensskandale:
                Handeln mit den gemeinsam geteilten Werten und                                            Enron, Worldcom, Volkswagen und Wirecard, um
                Normen ab. Als Motivationsfunktion stimulieren sie                                        ­einige prominente Beispiele zu benennen.7 Unter
                die Handlungen von Mitarbeitenden und als Integra­                                         Compliance versteht man die Einhaltung und Befol-
                tionsfunktion stärken sie die Identifikation aller Beteilig-                               gung von Regeln bzw. Regeltreue oder Regelkonfor-
                ten.4 Während J. Chandler in den 1960er-Jahren noch                                        mität. Regeln steuern unser menschliches Verhalten
                kulturfrei argumentierte, dass die S  ­ truktur der Strate-                                über extrinsische Motivation. Formale und informale
                gie zu folgen habe, prägten die McKinsey-Berater den                                       Governance-Strukturen helfen bei der Prävention und
                provokativen Spruch: Culture Eats Strategy for Break-                                      Aufdeckung von organisationalem Fehlverhalten. Im
                fast. Unternehmenskulturen sind nach dem Stand                                             Rahmen einer zunehmend komplexen, unsicheren und
                heutiger Forschung ein hoch­gradig interdisziplinäres                                      ambivalenter werdenden Zukunft stößt die Steuerung
                Phänomen, das mittlerweile von unterschiedlichen                                           über Regeln an die Grenzen.
                wissenschaftlichen Disziplinen e ­ rforscht wird, darunter
                die Sozialpsychologie, die ­Organisationstheorie, die                                      Neben der Compliance, also der Regelkonformität
                Managementwissenschaften, aber auch die Neuro-                                             durch ein umfangreiches Set von Maßnahmen wie
                wissenschaften. Unternehmenskulturen lassen sich                                           bspw. Verhaltenskodizes, Compliance-Standards,
                traditionellerweise auffächern in                                                          Whistle­blowingsystemen und Hotlines gibt es als
                                                                                                           ­Alternative, menschliches Verhalten zu beeinflussen:
                • eine bewusste Ebene (Artefakte),                                                          Integrität. Sie bezieht sich auf die Konformität mit
                                                                                                            ­unseren eigenen Werten und Prinzipien, Einstellun-
                • eine unterbewusste Ebene (Werte und Normen)                                                gen oder Haltungen. Es empfiehlt sich der Wechsel
                  und                                                                                        von einer rein regelorientierten Kultur in eine stärker
                                                                                                             werteorientierte Kultur: Comply with Values (moral
                • eine unbewusste Ebene (Basisannahmen).5                                                    compliance) statt Comply with Rules, Laws and
                                                                                                          ­Regulations (legal compliance). In einem Ethikkodex
                Die Ebene der Artefakte lässt sich leicht verändern,                                       werden Werte und Normen verschriftlicht. Die Harvard
                z. B. über Namen und Logos (aus Facebook wird                                              Professorin Lynn Sharp Paine hat sich in einem bahn-
                Meta), die Ebene der Werte und Normen ist mit eini-                                        brechenden Aufsatz auf diese Unterscheidung zwi-
                gem Aufwand zu erreichen, an die Basisannahmen                                             schen Compliance und Integrity bezogen.8
                kommt man fast nicht heran. Kulturveränderung ist
                schwer.
                                                                                                          6 Vgl. Bleicher, K. (1991): Das Konzept Integriertes Management, Frankfurt:
                                                                                                            Campus
                                                                                                          7 Vgl. Brink, A. / Fries, A. (2016): Über Tugenden, Haltungen und Anreize.
                                                                                                            Experteninterview mit Prof. Dr. Dr. Alexander Brink und Dr. Anne Fries, in:
                                                                                                            Niewiarra, K. / Segschneider, D. (Hrsg.): Balanceakt Compliance:
                4 Vgl. Berkel, K. / Herzog, R. (1997): Unternehmenskultur und Ethik,                        Recht und Gesetz sind nicht genug – Ein interdisziplinärer Leitfaden für
                  ­Heidelberg: Sauer                                                                        Entscheider, Frankfurt: F.A.Z. Verlag, S. 105 –124
                5 Vgl. Schein, E. H. (1995): Unternehmenskultur. Ein Handbuch für                         8 Vgl. Paine, L. S. (1994): Cases in Leadership, Ethics, and Organizational
                  ­Führungskräfte, Frankfurt am Main: Campus Verlag                                         ­Integrity: A Strategic Perspective, Burr Ridge, IL: Richard d’Irwin

8   Audit Committee Quarterly I/2022
                                                        © 2022 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht
                                                        und einem Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company
                                                        Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Audit Committee Quarterly - I /2022 Audit Committee Institute e.V - Unternehmenskultur
Der wesentliche Unterschied liegt also darin, dass                                                  6. Auf der Suche nach dem
Compliance primär auf die Verhinderung von rechts-                                                  Blue Ocean der Werte
widrigem Verhalten abzielt (restriktionsbasiert), Inte­
grity auf die Förderung moralischen Handelns (prä­                                                  Unternehmen, die über eine besondere Unterneh-
ferenzbasiert): Werte sind der Kompass, Regeln                                                      menskultur verfügen, heben sich vom Wettbewerb
präzisieren.                                                                                        ab. Sie verfolgen eine Blue Ocean-Strategie. Es geht
                                                                                                    um eine holistische Kreation einer neuartigen Gestal-
                                                                                                    tung von Produktion, Dienstleistungen bzw. idealer-
5. Twin Transformation Culture –                                                                    weise ganzer Geschäftsmodelle, die den Unterneh-
ein Modell für die Zukunft?                                                                         men attraktive, neue Märkte eröffnen. Das Konzept
                                                                                                    der Blue Ocean-Strategie wurde von W. Chan Kim und
Mindestens vier jüngere Nachhaltigkeitsinitiativen auf                                              Renée Mauborgne an der INSEAD Business School
europäischer Ebene werden gerade mit Aufmerksam-                                                    entwickelt.13 Die Twin Transformation gelingt über
keit verfolgt und erfordern eine gravierende Kulturtrans-                                           eine Blue Ocean-Strategie der Werte.14 Sie orientiert
formation: Die EU-Taxonomie im Rahmen von Sustai-                                                   sich an dem Dreiklang aus Haltung, Handlung und
nable Finance, die Corporate Sustainability R ­ eporting                                            Wirkung. Folgende drei Schritte bieten sich für die
Directive, das Gesetz über unternehmerische Sorg-                                                   Umsetzung an:15
faltspflichten in Lieferketten und Sustainable Corpo-
rate Governance. Die Digitalisierung spielt in diesem                                               1.	Schritt: Wofür stehen wir?
Zusammenhang eine, wenn nicht die zentrale Rolle.9                                                      Werte erkennen – Haltung stärken

Der Begriff Twin Transformation (dt. Zwillingstransfor-                                             2.	Schritt: Warum tun wir die Dinge?
mation) wurde von der Unternehmens- und Strategie-                                                      Werte umsetzen – Handlung fokussieren
beratung Accenture im Jahre 2021 eingeführt. Twin
Transformers sind in einem zweifachen Sinne beson-                                                  3.	Schritt: Was wollen wir bewirken?
ders: »Twin Transformers are pioneers in technology                                                     Werte kommunizieren – Wirkung erzeugen
AND pioneers in sustainable practices.«10 Die Studie
legt offen, dass gerade an der Schnittstelle der beiden                                             Der Studie von Accenture folgend, investieren 61 Pro-
Entwicklungen, also in der Verbindung von Digitalisie-                                              zent der Twin Transformers bereits mehr als 10 Prozent
rung und Nachhaltigkeit, erheblicher Wert generiert                                                 ihres Jahresumsatzes an der Schnittstelle von Digitali-
werden kann.11 Die europäischen Unternehmen sind                                                    sierung und Nachhaltigkeit. 80 Prozent werden dies in
insgesamt gut aufgestellt, da die meisten die Themen                                                den kommenden drei Jahren tun.16 Die Geschwindig-
Nachhaltigkeit und Digitalisierung in ihren Strategien                                              keit der digitalen Transformation spielt eine wichtige
verankert haben. Empirisch sind die Twin Transformers,                                              Rolle. So kann der Beitrag digitaler Technologien zum
so Accenture, mit einer 2,5-fachen Wahrscheinlichkeit                                               Klimaschutz bei einer beschleunigten Digitalisierung
unter den »tomorrow’s strongest-performing busi­                                                    um etwa 50 Prozent erhöht werden.17 Twin Transfor-
nesses«,12 während die reinen Nachhaltigkeitsvorreiter                                              mation Management erfordert eine Twin Transforma-
sowie die reinen Digitalisierungsvorreiter jeweils nur                                              tion Culture. Durch eine deutliche Wertepositionierung
eine 1,5-fache Wahrscheinlichkeit haben, dieser Top-                                                stärken die Unternehmen nicht nur die Resilienz in tur-
gruppe anzugehören.                                                                                 bulenten Zeiten, sondern auch ihren ökonomischen
                                                                                                    Erfolg.

9 Vgl. Accenture (2021): The European Double Up. A Twin Strategy
  That Will Strengthen Competitiveness, https://www.accenture.com/
  _acnmedia/PDF-144/Accenture-The-European-Double-Up.
  pdf#zoom=50 (Abrufdatum: 1.3.2022) und Brink, A. [2022b]: Twin Trans-
                                                                                                    13 Vgl. Kim, W. Ch. / Mauborgne, R. (2004): Blue Ocean Strategy, in: Harvard
  formation Management. Ethik als Schlüsselfaktor für die erfolgreiche
                                                                                                       Business Review, 82(10), S. 76 – 84
  Zwillingstransformation!, in: Herberger, T. (Hrsg.): Digitale Transformation
  und Nachhaltigkeit in der globalen Finanzwirtschaft, Baden-Baden: Nomos                           14 Vgl. Brink (2022b): a. a. O.
  [im Erscheinen]
                                                                                                    15 Vgl. im Folgenden Brink, A. [2022a]: Haltung gibt Halt!? Über echte Werte
10 Vgl. Accenture (2021): a. a. O.                                                                     und bloße Augenwischerei, in: Alsterdorf Magazin, S. 38 – 41 [im Erschei-
                                                                                                       nen] und Brink (2022b): a. a. O.
11 Vgl. Ollagnier, J.-M. (2021): The European Double Up, in:
   https://www.accenture.com/us-en/insights/strategy/european-double-up                             16 Vgl. Macchi (2021): a. a. O.
   (Abrufdatum: 1.3.2022)
                                                                                                    17 Vgl. Bitkom (2022): Klimaeffekte der Digitalisierung. Studie zur Abschät-
12 Vgl. Ollagnier (2021): a. a. O. und Macchi, M. (2021): Digital and Sustainable:                     zung des Beitrags digitaler Technologien zum Klimaschutz,
   The Twin Transformation You’re Ignoring, https://bankingblog.accenture.                             https://www.bitkom.org/sites/default/files/2021-10/20211010_bitkom_
   com/digital-sustainable-twin-transformation (Abrufdatum: 1.3.2022)                                  studie_klimaeffekte_der_digitalisierung.pdf (Abrufdatum: 1.3.2022)

                                                                                                                                                       Audit Committee Quarterly I/2022 9
© 2022 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht
und einem Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company
Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Audit Committee Quarterly - I /2022 Audit Committee Institute e.V - Unternehmenskultur
Schwerpunkt Unternehmenskultur

Prof. Dr. Jan Lies ist promovierter und habilitierter Wirtschafts­
wissenschaftler. Seit 2013 ist er Professor für Betriebs­w irt­schafts­
lehre, insbesondere Unternehmenskommunikation und Marketing
an der FOM Hochschule für Oekonomie und ­Management. Zu sei-
nen Forschungs- und Beratungsgebieten gehören das Kommunika-
tions- und Veränderungsmanagement.

Unternehmenskultur:
Wissensmanagement als Skandalprävention
Autor: Prof. Dr. Jan Lies

                                                                                 Unternehmenskultur und Corporate Gover-
                                                                                 nance gelten nicht nur in Krisenzeiten
                                                                                 als wettbewerbskritische Erfolgsfaktoren.
                                                                                 Während die Corporate Governance die
                                                                                 ­regelgebundene Unternehmensverfassung
                                                                                 beinhaltet, ­bestimmt die Unternehmens­
                                                                                 kultur die Prinzipien und Werte, die das
                                                                                 ­Managementhandeln prägen. Dabei bildet
                                                                                 die Compliance-Kultur als gemeinsames
                                                                                 Wertebekenntnis zu Regeln und Vorschrif-
                                                                                 ten die Basis der Corporate Governance
                                                                                 und damit der Reputation.

10   Audit Committee Quarterly I/2022
                                                        © 2022 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht
                                                        und einem Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company
                                                        Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Abbildung: Ausgewählte Unternehmenskulturen

                                                                                                                                                                                  Führungskultur
                                          Die vor allem in US-amerikanisch geführten Unternehmen vorherrschende Kapitalmarkt-

                                                                                                                                                                                                                                                                                      Das auf die Beziehungspflege zu erfolgskritischen Anspruchsgruppen gerichtete Kultur-
                                                                                                                                Vor allem das Topmanagement und die Gründer von Unternehmen gelten als kulturprägende Instanzen.
                                          kultur mit dem Ziel der Optimierung (früher: Maximierung) des Unternehmenswerts.
                                                                                                                                Mit ihrem Entscheidungsverhalten prägen sie als Vorbild das Unternehmensverhalten insgesamt.

                                                                                                                                Risikokultur            Compliance-Kultur       Qualitätskultur            Digitalität                  Servicekultur
                                                                                                                                Die compliance-­         Die Etablierung         Die Entwicklung           Die Kultur, die die          Dass insbeson­dere
                                                                                                                                gerechte Abwä-          ­eines gemeinsa-         des Qualitäts­            Digitalisierung              Dienstleistungs­
                                                                                                                                gung positiver und       men Bekenntnisses       begriffs von der          prägt und von ihr            unternehmen
                                                                                                                                negativer Risiken.       zu Regeln und Vor-     ­Ergebnisqualität          geprägt wird.                ­oftmals als Teil der
                                                                                                                                Die Balance unter-       schriften, um die       zur Prozess- und          Sie gilt als Treiber          Servicewüste
  Shareholder-Kultur (»equity culture«)

                                                                                                                                nehmerischer             Corporate Gover-        Qualitätskultur           oder Verhinderer              ­gelten, ist begriff-
                                                                                                                                ­Risiken und das         nance als Werte­        spiegelt die              von Digitalisie-               lich paradox.
                                                                                                                                 kaufmännische           kultur zu fundieren.   ­Bedeutung der             rungsinitiativen               Als Ursache gilt
                                                                                                                                 Prinzip der Vor-                                ­Kultur für die           mit offenen Fragen             eine man­gelnde

                                                                                                                                                                                                                                                                 Stakeholder-Kultur

                                                                                                                                                                                                                                                                                      management wie der Kunden- oder Mitarbeiterkultur.
                                                                                                                                 sicht.                                           ­Aufbau- und             einer reputa­tions­            Kundenzentrierung.
                                                                                                                                                                                   Ablauf­organisation     gerechten Daten-
                                                                                                                                                                                   wider.                  kultur.

                                                                                                                                Markenkultur            Nachhaltigkeits-        Veränderungs­              Innovationskultur            Konfliktkultur
                                                                                                                                 Interaktives und       kultur                  kultur                      Die Bereitschaft,            Der Umgang und
                                                                                                                                ­dialogisches            Die Corporate           Der Erfolg von             sich für Neues zu            die Sichtweise
                                                                                                                                 ­Verhalten, das sich   ­Sustainability,         Changemanage-              engagieren. Die              von Konflikten als
                                                                                                                                  in der andauernden     ­C orporate Social      ment wird zentral          Kreativitäts- und            produktive Energie-
                                                                                                                                  Coronapandemie          Responsibility,        auch einer wand-           Konfliktkultur sind          quelle prägen
                                                                                                                                  als Erfolgsfaktor     ­C orporate              lungsbereiten              deshalb wichtige            ­positive Konflikt-
                                                                                                                                  im Krisenmarketing      Citizenship oder       ­Kultur (»Change           Teilbereiche der             kulturen. Defizite
                                                                                                                                  herausgestellt hat.     Corporate               Readiness«) zuge-        ­Innovationskultur.           geben Hinweise zur
                                                                                                                                                          Accounta­bility         schrieben, die                                         Change ­Readiness.
                                                                                                                                                          als Integritäts­      ­W iderstände mög-
                                                                                                                                                         strategien.              lichst verringert.

                                                                                                                                                                                     Lernkultur
                                                                                                                                Das stete gemeinsame Lehren und Lernen von Unternehmenswerten als Metakultur für alle Teilkulturen von
                                                                                                                                ­Unternehmen (Corporate Education).

Unternehmenskultur: von der Rand­                                                                                                                                                  Zumindest in Kontinentaleuropa herrscht heute die
notiz zur Change Readiness                                                                                                                                                         Meinung vor, dass die Maximierung des Aktienkapi-
                                                                                                                                                                                   tals zulasten anderer Stakeholder-Werte geht, vor allem
Mit der sog. kulturellen Wende (»cultural turn«), die                                                                                                                              von Mitarbeitern, Kunden und Umwelt.2 Es wird ange-
seit etwa Ende des 20. Jahrhunderts die Wirtschafts-                                                                                                                               nommen, dass die Beachtung weicher Werte (z. B.
gesellschaft prägt, hat sich auch im Management die                                                                                                                                Akzeptanz, Identifikation) für die Optimierung harter
Unternehmenskultur (Corporate Culture) entwickelt.                                                                                                                                 Werte (z. B. Gewinn, Rendite) als Voraussetzung fun-
Auch wenn die Integritätskultur mit dem Corporate                                                                                                                                  giert, sodass beide Wertewelten einander bedingen
Good Citizenship (»das Unternehmen als guter Einwoh-                                                                                                                               (Stakeholder-Kultur). Dies wird vor allem im Change-
ner«) bereits in der Nachkriegsdebatte thematisiert                                                                                                                                management mit der Change Readiness als kultureller
wurde, war sie bis etwa zu den 1980er-Jahren besten-                                                                                                                               Voraussetzung für den erfolgreichen tiefgreifenden
falls eine Randnotiz des Managements. In schneller                                                                                                                                 Unternehmenswandel sichtbar.
Folge schwappten die Wellen der Kultureuphorie
(1980er; Kultur als Effizienzgewinn), Kulturtrivialisie-                                                                                                                           Seit einigen Jahren gilt die Unternehmenskultur laut
rung (1990er; Kultur als Äußerlichkeit) und des Kultur-                                                                                                                            diverser Studien als eines der wichtigsten Themen der
realismus (2000er; Phase des Kulturverstehens)                                                                                                                                     Unternehmensführung. Demnach werden Unterneh-
durchs Unternehmensmanagement.1                                                                                                                                                    men als Kultursysteme aufgefasst, die das Unter­
                                                                                                                                                                                   nehmenshandeln (Corporate Behaviour) prägen. Die
Mit der kulturellen Wende setzte zugleich ein Werte-                                                                                                                               »eine« Unternehmenskultur gibt es demnach nicht.
streit ein, der mit der Gegenüberstellung der Konzepte                                                                                                                             Vielmehr differenzieren sich die Kulturen entlang der
von Shareholder- und Stakeholder-Value besonders                                                                                                                                   zunehmenden Komplexität immer weiter aus (siehe
deutlich wird. Dabei steht der Shareholder-Value für                                                                                                                               Abbildung).
eine dominante Kapitalmarktkultur (»equity culture«).

                                                                                                                                                                                   2 Mills, R. W. / Weinstein, B. (2000): Beyond Shareholder Value –
                                                                                                                                                                                     ­Reconciling the Shareholder and Stakeholder Perspectives, Journal
1 Oechsler, W. A. / Paul, C. (2019): Personal und Arbeit – Einführung in das                                                                                                          of ­General Management, 25(3), S. 79 – 93;
  Personalmanagement, de Gruyter / Oldenbourg, Berlin / Boston, S. 175 f.                                                                                                             doi:10.1177/030630700002500306

                                                                                                                                                                                                                                  Audit Committee Quarterly I/2022 11
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Schwerpunkt Unternehmenskultur

               Kulturmanagement als Skandal­                                                               gemeinsam zu leben, ist ihr Management vor allem
               prävention                                                                                  auf partizipativ-analysierende und edukative Instru-
                                                                                                           mente wie Audits, Kulturbarometer und Fokusgruppen
               Das Handlungsfeld der Unternehmenskultur umfasst                                            gerichtet. Leitbildprozesse gelten als ein zentrales Kul-
               die Grundgesamtheit gemeinsamer Werte, Normen                                               turmanagementinstrument vor allem auf Führungs-
               und Einstellungen, welche die Entscheidungen, die                                           ebene. Es gilt aber, die gesamte Bandbreite des
               Handlungen und das Verhalten der Organisations­                                             Knowledge-Managements auszuschöpfen, um Kultu-
               mitglieder prägen. Das erfolgskritische Problem dabei                                       ren zu leben: von Anreizen über interaktive Lernkultu-
               ist, dass jedes Unternehmen wie abgebildet diverse                                          ren bis zum internen Campaigning. Das Ziel ist, eine
               Unternehmenskulturen hat. Die Frage ist, ob sie funk-                                       Lernkultur zu entwickeln, die das markengerechte
               tional oder dysfunktional arbeiten. So wird etwa die                                        Verhalten durchsetzt. Aktuell wird etwa ein süddeut-
               Bravado-Kultur des gegenseitigen Schulterklopfens                                           scher Käsehersteller aufgrund seines grünen Marken-
               und der Selbstüberschätzung auf Basis von zu viel                                           versprechens in den Social Media skandalisiert. Seine
               (Selbst-)Vertrauen kritisch gesehen.3 Damit einher                                          Produktionsweisen werden nach Ansicht von Verbrau-
               geht ein allgemeiner Mangel interner Kommunikations-                                        cherschutzorganisationen den versprochenen grünen
               strategien. Entsprechend ziehen einst renommierte                                           Werten nicht gerecht. Dies ist ein für das Unternehmen
               Konzerne eine Schneise moralisch-rechtlicher Verwüs-                                        schmerzhafter Hinweis auf das Auseinanderklaffen
               tung hinter sich her, wenn abseits aktueller Skandale                                       von Unternehmenskultur und äußerer Markenwahr-
               nur an Schlagzeilen von Enron oder Worldcom erinnert                                        nehmung. Das Unternehmensverhalten höhlt die Tradi-
               wird. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen ist es                                         tionsmarke von innen aus. Kultur und Marken arbeiten
               erstaunlich, in wie wenigen Unternehmen konkrete,                                           Hand in Hand.
               gesamthafte Initiativen zum Thema Unternehmens-
               kultur anzutreffen sind.4 Daraus lässt sich schließen,
               dass die Relevanz der Compliance-Kultur immer noch                                          Fazit: Kultur als unterentwickelte
               weitreichend unterschätzt wird.                                                             Management-Agenda
                                                                                                           Praktisch gesehen, ist Kulturmanagement angewand-
               Kulturmanagement als Wissens- und                                                           tes Wissensmanagement und prägt die Corporate
               Markenmanagement                                                                            Education. Sie zielt darauf ab, eine Compliance-Kultur
                                                                                                           für markengerechtes Verhalten zu etablieren, um so
               Aus analytischer Sicht hat es die Kultur schwer. Kultur                                     Reputation und Markterfolge nachhaltig zu sichern.
               wird durch weiche Werte bestimmt. Sie gelten als                                            Theoretisch hat sich die Tugendethik, die als Zeige­
               »weich« (z. B. Zustimmung, Akzeptanz), weil sie sich                                        fingermoral lange Zeit belächelt wurde, in eine
               personenübergreifend nicht ohne Weiteres messen                                             ­krisenrelevante Diskursethik verwandelt. Längst hat
               lassen.                                                                                      sich Kultur zu einer Marktchance für viele Unterneh-
                                                                                                            men entwickelt, etwa mit dem Erfolgspotenzial von
               Unterschieden werden zentral zwei Ebenen der                                                 nachhaltigen Positionierungen im Changemanage-
               ­Unternehmenskultur: die Tiefenstruktur als hand-                                            ment oder mit der Kursentwicklung ethischer Geld­
                lungsprägende Ebene (Conceptas: Werte, Normen,                                              anlagen.
                Einstellungen) sowie die Oberflächenstruktur, die von
                Unternehmensexternen beobachtbar ist (Perceptas).
                Wenn die Tiefenstruktur als handlungsprägender Rah-
                men der Oberflächenstruktur arbeitet, dann muss das
                Verhaltensmanagement dort ansetzen. Kultur ist dann
                das Management gemeinsamen und angewandten
                Wissens.5 Wenn Unternehmensgründer, Inhaber bzw.
               Führungskräfte mit ihrem Verhalten die Unterneh-
               menskultur prägen (Führungskultur), ist das Kultur­
               management nicht delegationsfähig. Um die Kultur

               3 Cheng, Joey T. et al. (2000): Overconfidence Is Contagious, Harvard
                 ­Business Review
               4 Herget, J. / Strobl, H. (2018): Unternehmenskultur – Worüber reden wir?,
                 in: Herget, J. / Strobl, H. (Hrsg.), Unternehmenskultur in der Praxis,
                 ­Springer Gabler, Wiesbaden, S. 3 –18
               5 Schein, E. P. / Schein, P. (2016): Organizational Culture and Leadership,
                 Verlag Franz Vahlen München, John Wiley & Sons, Hoboken

12   Audit Committee Quarterly I/2022
                                                         © 2022 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht
                                                         und einem Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company
                                                         Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Rainer Krumm ist Managementtrainer, Berater und Autor. Er gilt als einer
                                                                                                                   der erfahrensten Berater für wertorientierte Veränderungsprozesse
                                                                                                                   und Kulturtransformationen. Mit seinem Team bei der axiocon GmbH
                                                                                                                   ­unterstützt er Unternehmen verschiedenster Branchen im Wandel.
                                                                                                                   Kontakt: www.axiocon.de

Unternehmenskultur
    ist mehr als Purpose!                                                                                                                  Autor: Rainer Krumm

Der Begriff Unternehmenskultur ist in aller Munde und der Begriff Purpose wird
oft als Allheilmittel verherrlicht. 94 Prozent der Geschäftsführer halten Unter­
nehmenskultur für einen wichtigen Erfolgsfaktor. Doch was genau versteht man
eigentlich darunter? Wie unterscheidet sich die Kultur erfolgreicher von der
­weniger erfolgreicher Unternehmen? Welche Rolle spielen Werte und Purpose –
aber auch andere Gestaltungselemente einer Organisation? Wie können
­Herausforderungen und Chancen erkannt und Veränderungen durchgeführt wer-
den, um ein Unternehmen zukunftsfähig aufzustellen?

                                                                                                                             Spätestens seit Simon Sinek seinen Golden Circle er-
                                                                                                                             folgreich vermarktete und jüngere Generationen das
                                                                                                                             Thema »Purpose« fast blaupausenhaft einfordern,
                                                                                                                             müssen sich Entscheidungsträger auch mit diesem
                                                                                                                             Thema beschäftigen. Veränderungen gab es schon
                                                                                                                             immer, aber aktuell auf vielen Ebenen und wesentlich
                                                                                                                             schneller als früher. Der Fachkräftemangel war lang
                                                                                                                             angedeutet – nun schlägt er elementar zu und Firmen
                                                                                                                             kämpfen um die Gewinnung und Bindung von Mit­
                                                                                                                             arbeitenden. Die jüngeren Generationen sind ja nicht
                                                                                                                             genetisch anders, aber sie werden in anderen Zeiten
                                                                                                                             zu Arbeitnehmenden und sie haben im Vergleich zur
                                                                                                                             Generation der aktuellen Vorstände und Geschäfts-
                                                                                                                             führenden, die meist der Babyboomer-Generation
                                                                                                                             ­angehören, viel mehr Auswahl und Freiheit bei der
                                                                                                                              ­Arbeitsplatzwahl. Das macht es Entscheidungsträgern
                                                                                                                               nicht einfacher.

                                                                                                                                                     Audit Committee Quarterly I/2022 13
© 2022 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht
und einem Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company
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Schwerpunkt Unternehmenskultur

                         Purpose allein reicht nicht                                                   Wichtig dabei ist jedoch, dass dies nicht nur »sinnhaft«
                                                                                                       im Sinne von Nachhaltigkeit oder Ökologie ist, sondern
                         Wie kann man eine Unternehmenskultur erreichen,                               für den Menschen selbst Sinn macht – oder anders
                         die attraktiv für Arbeitnehmende – auch im Sinne des                          formuliert, es muss passen. Hierbei kommen nun
                         Purpose ist?                                                                  Werte ins Spiel. Es gilt, sich Gedanken zu machen,
                                                                                                       was einem selbst wichtig ist und ob diese Werte mit
                         Corporate Purpose ist der höhere Zweck bzw. der Sinn                          denen des Unternehmens übereinstimmen.
                         einer wirtschaftlichen Organisation oder eines Unter-
                         nehmens, der über die Gewinnorientierung hinaus-                              Langzeitstudien von Collin / Porras zeigen klar, dass
                         geht. Diese Sinnorientierung spielt eben bei vielen                           ­ rfolgreiche Unternehmen einerseits offen sind für
                                                                                                       e
                         Menschen der neuen Generation, die in ein Unterneh-                           Wandel und Fortschritt, andererseits aber auch einen
                         men kommen, eine viel größere Rolle als bei den Vor-                          festen Kern an Werten haben. Diese Werte dürfen
                         gängergenerationen.                                                           aber keine Lippenbekenntnisse sein, sondern müssen

     • Nachhaltigkeit
     • Verantwortung für die
       Zukunft des Lebens
     • Handeln
     • Unternehmerische
       Verantwortung für die
       Gemeinschaft
     • Kollektive Intuition                                                            •    Individualität
                                                                                       •    Selbstreflexion
                                                                                       •    Multiperspektivität
     •   Kooperation                                                                   •    Kreativität                                                                 7-S-Modell
     •   Toleranz,                                                                     •    Persönliche Entwicklung
     •   Harmonie                                                                      •    Eigenverantwortung
     •   Konsens
     •   Dialog
     •   Partizipation
                                                                                       •    Leistung
                                                                                       •    Prestige
                                                                                       •    Verantwortung
     •   Recht und Gesetz                                                              •    Status
     •   Schuld und Unschuld                                                           •    Karriereorientierung
     •   Loyalität                                                                     •    Wettbewerb
     •   Ordnung
     •   Kontrolle
     •   Geduld
                                                                                       •    Durchsetzungsvermögen
                                                                                       •    Macht
                                                                                       •    Ansehen
     •   Tradition                                                                     •    Aggression
     •   Blutsverwandtschaft                                                           •    Stärke
     •   Brauchtum                                                                     •    Dominanz
     •   Heimat
     •   Rituale
     •   Respekt von Tabus

                                                                                        •   Überleben
                                                                                        •   Schutz
                                                                                        •   Wärme,
                                                                                        •   Sichern der
                                                                                            Grundbedürfnisse
                                             www.9levels.de

14   Audit Committee Quarterly I/2022
                                                     © 2022 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht
                                                     und einem Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company
                                                     Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
regelrecht im Unternehmen erlebbar sein. Sicher ken-                                                In den 70er-Jahren fragten sich Thomas J. Peters und
nen alle den Spruch: »Der Fisch stinkt vom Kopf!« Die                                               Robert H. Waterman, warum sich Organisationen
Unternehmensführung oder auch die Unternehmens-                                                     zwar in ihrem Aufbau und ihrer Strategie grundsätzlich
eigner sind hier in ihrer Vorbildrolle unabdingbar. Karl                                            sehr ähneln, aber damit sehr unterschiedlichen Erfolg
Valentin prägte den Satz: »Vergessen Sie Erziehung –                                                haben. Sie erklärten sich dies damit, dass es neben
Kinder machen eh alles nach!« Und dieser Satz ist pro-                                              »harten« Faktoren wie Strategie und Struktur auch
blemlos auf Werte in Unternehmen übertragbar. Ein in                                                ­erfolgskritische »weiche« Elemente wie Fähigkeiten
Gold gerahmter und von allen Seiten unterschriebener                                                 und Werte gibt. Zwar sind diese schwerer zu erfassen,
Unternehmenswert ist noch lange kein Erfolgsgarant                                                   aber nicht weniger wichtig für das Gesamtergebnis.
für einen Werteprozess.                                                                              Entsprechend dieser Erkenntnis definierten sie sieben
                                                                                                     Kernvariablen, die für die Gestaltung von Unternehmen
Purpose ist wichtig – Werte prägen jedoch stärker das                                                wesentlich sind:
erlebbare Verhalten und das Denken. Daher sollte
­gerade in den aktuellen Zeiten der schnellen Verän­                                                • Strategy (Strategie)
 derungen, starken Marktverschiebungen und des nun
 eintretenden Fachkräftemangels ein Werteprozess                                                    • Structure (Struktur)
 vorangetrieben werden. Werteorientierte (Unterneh-
 mens-)Führung ist hier der richtige Begriff. Je nach                                               • Systems (Tools)
 aktueller Unternehmenskultur muss dies ein Top-
 down-, Bottom-up- oder ein hybrider Prozess der                                                    • Shared Values (Werte)
 ­werteorientierten Organisationsentwicklung sein, um
  nachhaltig erfolgreich zu sein. Ein sehr etabliertes                                              • Style (Führung)
  ­Modell der Wertemessung ist das Modell der neun
   Levels of Value Systems, mit denen man das softe                                                 • Skills (Fähigkeiten)
   Thema Werte greifbar und messbar machen und einen
   klar zu erkennenden Entwicklungsweg beschreiten                                                  • Staff (Mitarbeiter)
   kann.
                                                                                                    Purpose-Orientierung wird direkt torpediert, wenn die
Die 9 Levels sind diagnostische Analysetools, die                                                   sieben Gestaltungselemente nicht dazu passen. Hier
­basierend auf der Forschung von Clare W. Graves                                                    ist die Unternehmensführung gefragt, alle Elemente
 Wertesysteme von Einzelpersonen, Teams und ganzen                                                  auszurichten, damit sie zum Sinn / Purpose passen. Der
 Organisationen sicht- und damit nutzbar machen. Sie                                                Werteprozess ist ein wichtiger Bestandteil davon. Oft
 ermöglichen es, ein neues Bewusstsein für Werte zu                                                 wird Kooperation und Teamarbeit gewünscht, aber
 schaffen und wirksame Maßnahmen für zielgerichtete                                                 weder die Struktur noch die Prozesse oder das Bezahl-
 Veränderung in zahlreichen Anwendungsfeldern zu                                                    system unterstützen kooperative Verhaltensweisen.
 identifizieren.
                                                                                                    Das Kernproblem ist: Märkte verändern sich, Kunden-
Das Wissen um diese Wertesysteme ist daher von                                                      bedürfnisse und Anforderungen sind nicht mehr die
unschätzbarem Wert für jeden, der Unternehmenskul-                                                  gleichen, neue Generationen suchen andere Arbeitsbe-
tur entwickeln will. Es ermöglicht ein ganz neues Ver-                                              dingungen und Jobmodelle. Vorstände und Geschäfts-
ständnis von Passung und Entwicklung – und zeigt                                                    führer unterstehen einem Leidensdruck, das Unter-
klare Richtungen und Impulse auf, um Veränderungen                                                  nehmen und seine Kultur verbessern zu müssen, weil
ganz pragmatisch, aber hochwirksam anzustoßen und                                                   sich der einstige Erfolg verflüchtigt hat. Zusätzlich
zu begleiten.                                                                                       kommen viele Unternehmen mit den veränderten
                                                                                                    ­Bedingungen nicht mehr klar. Dabei wird oft versucht,
                                                                                                     neue Probleme mit alten Lösungswegen zu meistern –
Werte müssen zum Purpose passen                                                                      das funktioniert größtenteils nicht. Den Entscheidern
                                                                                                     fehlt es jedoch häufig an einem grundlegenden Ver-
Wer Organisationsentwicklung nicht nur als softe                                                     ständnis der eigenen Unternehmenskultur und gleich-
­Disziplin versteht, sondern Unternehmen langfristig                                                 zeitig an Ansatzpunkten zur Veränderung dieser. Denn
 zukunftsfähig aufstellen will, muss sich die sieben                                                 Unternehmenskultur beruht auf gemeinsamen Über-
 ­Gestaltungselemente (7-S-Modell) von Organisatio-                                                  zeugungen, die vom Teilzeitpraktikanten bis zum Top-
  nen genauer anschauen: Diese sind die Stellhebel, um                                               management geteilt werden sollten.
  Unternehmenskulturen zu verändern.
                                                                                                    Die Zeit ist reif für neue SINN-hafte und WERT-volle
                                                                                                    Lösungswege! – Und das ist ganz klar Chefsache!

                                                                                                                                                   Audit Committee Quarterly I/2022 15
© 2022 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht
und einem Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company
Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Schwerpunkt Unternehmenskultur                         Sandra Freimuth verantwortet nach Stationen
                                                       als persönliche Referentin des Finanzvorstands
                                                       der Siemens AG und im Ministerbüro des bayeri-
                                                       schen Finanzministers seit 2014 den Bereich
                                                       Kommunikation & Marketing, seit 2017 außerdem
                                                       den Bereich Organisationsentwicklung & Talent
                                                       Management bei der Privatbank Hauck Aufhäuser
                                                       Lampe. Weiterhin ist die ehemalige Lehrerin
                                                       ­innerhalb ihres Ressorts auch für die Investoren­
                                                        betreuung zuständig und in dieser Funktion
                                                        ­A nsprechpartnerin für alle Belange des Eigen­
                                                         tümers Fosun International.

Culture and strategy
eat breakfast together                                                                        Autorin: Sandra Freimuth

               Culture eats strategy for breakfast – ein Gassenhauer, welcher dem ameri-
               kanischen Ökonomen Peter Drucker zugeschrieben wird, hat sich schon
               vielfach bewahrheitet. Kultur wird hier als der Strategie überlegener Erfolgs-
               faktor wirtschaftlichen Erfolgs dargestellt. Die Suche nach Objektivierung
               dauert nicht lang – exemplarisch sei hier nur ein repräsentatives Ergebnis
               ­eines Forschungsprojekts des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
               zitiert: Ȇber eine Regressionsanalyse konnte dann gezeigt werden,
               dass die einzelnen Aspekte der Unternehmenskultur in Kombination bis zu
               31 Prozent des finanziellen Unternehmenserfolgs erklären können. […]
               ­Insgesamt kann statistisch gezeigt werden, dass die Unternehmenskultur
               und das damit verbundene Mitarbeiterengagement einen sehr bedeut­
               samen Einfluss auf den finanziellen Unternehmenserfolg haben.«1 Mittler-
               weile ist der Forschungsstand zum Einfluss der Unternehmenskultur
               ­hinreichend breit, wenngleich beim Schlagwort Unternehmenskultur nach
               wie vor ein gediegenes Maß an Wohlfühlfaktor durchschimmert.

               1 Hauser, F., Schubert, A., Aicher, M., Fischer, L., Wegera, K., Erne, C., Böth, I. (2008): Unternehmenskultur, Arbeitsqualität und Mitarbeiterengagement in den
                 Unternehmen in Deutschland: Abschlussbericht Forschungsprojekt Nr. 18/ 05: ein Forschungsprojekt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Berlin:
                 Bundesministerium für Arbeit und Soziales; Psychonomics AG; Universität Köln, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Institut für Wirtschafts-
                 und Sozialpsychologie; Great Place to Work Institute; abrufbar unter https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-265713

16   Audit Committee Quarterly I/2022
                                                       © 2022 Audit Committee Institute e.V., assoziiert mit der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, einer Aktiengesellschaft nach deutschem Recht
                                                       und einem Mitglied der globalen KPMG-Organisation unabhängiger Mitgliedsfirmen, die KPMG International Limited, einer Private English Company
                                                       Limited by Guarantee, angeschlossen sind. Alle Rechte vorbehalten.
Unternehmenskultur als Transport­                                                                   Veränderungsbereitschaft und
mittel der Strategie                                                                                ­Gestaltungsfreiraum als Erfolgs­
Aber: Kultur ist letztlich kein weicher Aspekt, der aus
                                                                                                     faktoren
einer einzelnen Abteilung heraus abseits des Business                                               Besonders sichtbar, messbar und erfolgskritisch wird
wissend geformt und in schönen Manifesten verord-                                                   der Faktor Kultur bei Fusionen – also Situationen, in
net werden kann. Wir verstehen sie vielmehr als                                                     denen man sich der eigenen Kultur durch das Auf­
einen anderen Aggregatzustand der Strategie,                                                        einandertreffen mit bzw. die Spiegelung in der eines
die somit durch das Management auf Struktur,                                                        anderen Unternehmens besonders bewusst wird und
Prozess, Anreizsystem und Alltag in der Organi-                                                     diese sich verändern muss. Bei nicht wenigen Fusio-
sation bezogen und verhaltensrelevant gemacht                                                       nen wird ein Scheitern auf kulturelle Differenzen
wird. Unternehmenskultur ist das Transportmittel                                                    ­geschoben – bei gleichzeitig perfekt ausgearbeiteter
der Strategie – ist die Kultur agil, auf Innovation                                                  Unternehmensstrategie und strammem Businessplan.
angelegt und umsetzungsstark, wird die Strategie                                                     Aber: »Auch bei sehr unterschiedlichen und selbst bei
schnell und erfolgreich umgesetzt, was sich in                                                       geradezu polaren Kulturen kommt es bei gut geführ-
den Geschäftszahlen niederschlägt.                                                                   ten Integrationen selten zu unüberbrückbaren Kultur-
                                                                                                     konflikten, während bei schlecht gemanagten Integra-
                                                                                                     tionen auch zwischen ähnlichen Kulturen massive
                                                                                                     Reibungen und Konflikte entstehen.«2 Besonders
                                                                                                     notwendig ist aber gerade bei Fusionen die
                                                                                                     ­Veränderungsbereitschaft, die in der kritischen
                                                                                                      Situation Fusion mit Veränderungsnotwendigkeit
                                                                                                      konfrontiert wird – und dies scheint nach unserer
                                                                                                      Erfahrung der Schlüssel für den erfolgreichen
                                                                                                      Beitrag der Unternehmenskultur zum Geschäfts-
                                                                                                      erfolg zu sein.

                                                                                                    2 Berner, W. (2017): Systemische Post-Merger-Integration. Dem Culture
                                                                                                      Clash zuvorkommen und Unternehmenskulturen wirklich integrieren,
                                                                                                      Stuttgart

                                                                                                                                                   Audit Committee Quarterly I/2022 17
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Schwerpunkt Unternehmenskultur

In den vergangenen Jahren war unser Haus, Hauck                       Kultur speist sich aus wirtschaft­
Aufhäuser Lampe Privatbank AG, in verschiedener                       lichem Erfolg
­Dimension gefordert, die eigene Kultur zu hinterfragen
 bzw. zu transformieren. Bereits bei der 2016 erfolgten               Maßgeblich ist der notwendige – auch finanzielle –
 Übernahme durch Fosun International, unseren chine-                  Spielraum. Hier wiederum wirken sich der Unterneh-
 sischen Eigentümer, begegneten sich interkulturelle                  menserfolg und auch der Raum, den die Unterneh-
 Unterschiede wie auch organisationsspezifisch be-                    mensstrategie zulässt, positiv auf die Gestaltungs-
 dingte Differenzen – ein chinesisches Private Equity-                möglichkeiten der Unternehmenskultur aus. Denn
 Unternehmen trifft auf eine deutsche Privatbank. Die                 Mitarbeiterengagement speist sich nachweisbar da­
 Impulse und Freiheitsgrade, auch in Form von Venture                 raus, welche Entwicklungsmöglichkeiten, u. a. in Form
 Capital, die wir von unserem Eigentümer empfingen,                   von Fortbildungen, vor allem aber hinsichtlich des eige-
 haben unserem Haus außerordentlich gutgetan. Ins-                    nen Gestaltungsspielraums, gegeben werden – und
 besondere hinsichtlich des Innovationsmanagements                    dies erfordert bekanntermaßen gezielte Investition.
 und des Mutes, neue Geschäftsideen umzusetzen,
 gaben uns die Erwartungen unserer neuen Eigen­                        »Kultur entsteht als Reaktion auf die herrschenden
 tümer den entscheidenden Spin, insbesondere durch                     Verhältnisse«3 und hat damit eine Art dienende Funk-
 die – mit innovationszuträglicher Incentivierung unter-              tion: Sie soll den Mitarbeitenden ein produktives
 mauerte – Ermutigung, Ideen einzubringen und neue                    ­Umfeld schaffen und die richtigen Bedingungen für
 Produkte zu entwickeln. Es traf also Veränderungs-                    die optimale Leistungsfähigkeit des Unternehmens
bereitschaft bzw. die Erkenntnis, dass nur die                         ermöglichen. Zudem kann das Unternehmen Kultur
Veränderung zum Erfolg führt, auf viel Gestal-                         nicht fest- und nicht vorschreiben, sondern den Rah-
tungsraum.                                                             men vorgeben und durch Strukturen, System und vor
                                                                       allem Freiheitsgrade die Wahrscheinlichkeit erhöhen,
 Nicht nur die Erfahrungen des Eigentümerwechsels,                     dass diese Kultur gelebt wird.
 sondern auch die der ersten Übernahme verschiedener
 Einheiten der Privatbank Sal. Oppenheim 2017 / 2018                  Kultur ist also kein Selbstzweck – sie muss der
 zeigen, dass sich Kulturen positiv beeinflussen kön-                 Umsetzung der Strategie und dem Unterneh-
 nen. Der Eigentümerwechsel brach mit dem Kontrast                    menserfolg dienen, speist sich aber gleichzeitig
 der Kulturen Schranken im Kopf auf, der Zuwachs in                   auch aus dessen wirtschaftlichen Erfolgen. Denn
 Luxemburg wiederum brachte uns einen Talentpool                      auch diese Wirkrichtung ist denkbar: »Nicht zwingend
 mit vielen weiteren ambitionierten Kolleginnen und                   trägt eine positive Kultur zu unternehmerischem Erfolg
 Kollegen, die uns kulturell sehr ähnlich waren – jeweils             bei, sondern umgekehrt […] hat der Unternehmens­
 ein Glücksfall in Gestalt von Motivation und neuen                   erfolg einen erheblichen Einfluss auf die Ausgestaltung
­Ideen. Entscheidend aus Unternehmenssteue-                           der Unternehmenskultur in Unternehmen.«4 Auch die-
 rungssicht ist hier, den Freiraum, den richtigen                     sen Befund können wir aus der Praxis bestätigen:
 Rahmen für gute Arbeit und auch die Mittel zu                        ­Erfolg macht Freude, die geteilt werden möchte und
 geben – und die Erkenntnis, dass die Veränderung                      Energie, Dynamik und Wirksamkeitsüberzeugungen
 Positives mit sich bringt.                                            freisetzt. Und vielleicht sollte Peter Druckers Zitat
                                                                       dann eher lauten: Culture and strategy eat breakfast
Bei der vor Kurzem erfolgten Übernahme von Bank-                       together – und das Frühstück ist bekanntermaßen die
haus Lampe haben wir nun erneut die Chance, uns                        wichtigste Mahlzeit des Tages.
kulturell weiterzuentwickeln. Die durchgeführte Cultu-
ral Due Diligence zeigt, dass sich die Kulturen beider
Häuser durchaus ähnlich sind. Die identifizierten Gaps
zwischen gemessener Ist- und angestrebter Zielkultur
ermöglichen nun, geeignete Maßnahmen abzuleiten,
um diese zu erreichen. Ziel ist es nun, ein gemeinsa-
mes Verständnis der Gestaltungsrichtung entlang
­unserer Strategie zu definieren und nun allen Kollegin-
 nen und Kollegen gemeinsam die optimalen Rahmen-
 bedingungen für eine erfolgreiche Umsetzung der
 Strategie zu bieten.                                                 3 Kühl, St., Muster J. (2018): Kulturveränderung in Organisationen. So geht
                                                                        Wandel (nicht), managerSeminare, Heft 242, Mai
                                                                      4 Scholz, Ch., Eisenbeis, U. (2009): Unternehmenskultur und Unternehmens-
                                                                        erfolg. Bericht zum Projekt »Betriebsvergleich Unternehmenskultur«,
                                                                        Saarbrücken

18   Audit Committee Quarterly I/2022
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