Authentische Berufsorientierung Jenseits von "Career Management Skills" - dvb-fachverband.de
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Authentische Berufsorientierung Jenseits von „Career Management Skills“ Ronald G. Sultana (Übersetzung: Barbara Knickrehm) Abstract Ein Großteil der in neoliberalen Volkswirt- Dieses Papier befasst sich mit der schulischen schaften verfügbaren Arbeit ist jedoch zuneh- Berufsvorbereitung und untersucht, wie diese mend die Ursache von Leiden, Not, Ausbeutung so konzipiert werden kann, dass sie zum Gedei- und Missbrauch. Es werden Argumente für eine hen und Wohlbefinden der SchülerInnen in glaubwürdige Berufsorientierung vorgebracht, einer Demokratie beiträgt. Zunächst bietet es die den Schülerinnen und Schülern hilft, das einen Überblick über die jüngsten Entwick- Wesen sinnvoller Arbeit zu verstehen, danach lungen im Bereich „Career Learning“ weltweit zu streben und die Ursachen zu entschlüsseln, und weist auf die zunehmende Bedeutung hin, die den Zugang zu dieser Arbeit behindern. Es die diesen als Beitrag zur Verbesserung der wird dargelegt, dass glaubwürdige Berufsvor- Wettbewerbsfähigkeit in wissensbasierten bereitung - wie alle aufklärerischen Unterneh- Volkswirtschaften beigemessen wird. Der mungen - die intellektuellen Werkzeuge zur Beitrag verdeutlicht, warum eine zentrale Rolle Verfügung stellen und zu moralischer Ent- der Arbeit im Lehrplan gerechtfertigt ist: Trotz schlossenheit ermutigen sollte, sich sozial bedeutender gesellschaftlicher und techno- gerechtere und erfüllendere Formen des logischer Veränderungen, die eine „Post- Zusammenlebens vorzustellen und ein Maß an Arbeitsgesellschaft“ vorhersagen, behält „sinn- individueller und kollektiver Kontrolle über die volle Arbeit" ihre Bedeutung als Quelle der Kräfte zu erlangen, die das Leben formen. Erfüllung und des Wohlbefindens sowie als Kennzeichen für ein gelingendes Leben. 1
Einführung: Wie die Berufsorientierung Mitunter wird ein solches Szenario idealistisch aufgestellt ist dargestellt, es führe die Menschheit an die In ganz Europa und in vielen Ländern der Welt Schwelle einer „schönen neuen Welt“. Andere ist die Politik nach Ansicht einiger Autoren Stimmen äußern ernste Besorgnis hinsichtlich zunehmend bestrebt, die formale Bildung an der Fähigkeit von Schulen, die nächste Genera- die „Bedürfnisse“ des Arbeitsmarktes anzu- tion auf das, was kommen wird, vorzubereiten, passen und die Schülernnen auf die „Arbeits- denn deren formale und informelle Lehrpläne welt“ vorzubereiten (Grubb & Lazerson, 2004) gingen auf eine „fordistische“ Mentalität zu- Kuhn & Sultana 2006; Mazawi 2007; Vally & rück, die Schule ebenso wie die Massen- Motala 2014; Allais & Shalem 2018). Solche produktionssysteme geprägt habe. Sowohl globalen politischen Prioritäten und Diskurse Hoffnungen als auch Befürchtungen haben werden zwar durch den nationalen Kontext umfassende Reformanstrengungen nach sich bestimmt, prägen dennoch das gesamte gezogen, darunter das, was Sharma (2016) als Bildungswesen und üben einen „STEM-ification“ 1 der Lehrpläne bezeichnet, homogenisierenden Einfluss aus (Mundy et al., dabei gewinnen Wissenschaft, Technologie, 2017). Ingenieurwesen und Mathematik an Bedeu- tung. Man argumentiert, dass diese Themen Dieser Lehrplan wird meist von nationalen die Grundlage für das Wissen und die Fähig- Regierungen, supranationalen Organisationen keiten bilden, aus denen innovative Techno- (wie der OECD, der Europäischen Union und logien entwickelt werden können und die den der Weltbank), einflussreichen Denkfabriken Ländern und Regionen daher einen Wettbe- und „politischen Unternehmern“ gestaltet, werbsvorteil gegenüber anderen verschaffen. ihm zufolge müssen junge Menschen in einer wissensbasierten Wirtschaft eine Reihe von Schulen erhalten zudem die Aufgabe, dieses „Karrieremanagement-Fähigkeiten“ entwic- Kerncurriculum mit einem Gerüst von „Fähig- keln. Diese sollen ihnen dabei helfen, zwischen keiten des 21. Jahrhunderts“ und mit Haltun- Ausbildung und Erwerbstätigkeit komplexe, gen wie unternehmerische Einstellung und nichtlineare und unvorhersehbare Übergänge Kompetenzen, digitale Kompetenz, innovatives zu meistern, in denen die traditionellen und kritisches Denken, Kommunikationsfertig- Grenzen zwischen den Bereichen Bildung, keiten und selbstreguliertes Lernen zu stärken. Ausbildung, Arbeit und Freizeit zunehmend All dieses werde die nächste Generation in der verschwimmen (Sultana 2012a). Wichtig, wenn neuen Wirtschaftswelt arbeits- und "beschäfti- auch etwas widersprüchlich an dieser gungsfähig" machen (Kuratko, 2005; Griffin, Entwicklung ist zusätzlich, dass wir eigentlich McGraw & Care, 2012; van de Oudeweetering nicht viel darüber wissen, wie die „reale & Voogt, 2018). Arbeitswelt“ in der Zukunft aussehen wird und welche Fähigkeiten dafür benötigt werden – Vorteile des beruflichen Lernens abgesehen von der Einstellung und dem Es ist leicht zu erkennen, dass in diesem Narra- Einsatz, in einem lebenslangen Prozess der tiv das Angebot von „Karrieremanagement- Selbsterschaffung „lernen zu lernen“, und Fähigkeiten“ und „Berufsberatung“ für Schüler damit auf die ständigen Veränderungen zu zwangsläufig an Bedeutung gewinnen wird, da reagieren, die mit technologischen Innova- es verspricht, jungen Menschen zu helfen, tionen wie Automatisierung und künstlicher durch die Wechselfälle des Lebens zu navigie- Intelligenz einhergehen (Hooley, 2018). ren und sie in Richtung einschlägiger Lernin- halte zu steuern. So wird eine dauerhafte Ver- 1 STEM für eng. Science, Technology, MINT: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Engineering, Mathematics, im Deutschen in etwa Technik, also „MINT-isierung“ (Anm. d. Übs.) 2
pflichtung auf Weiterbildung und Schulung und für das Arbeitsumfeld ein Bewusstsein gefördert, um den „menschlichen Vorrat“ an sowie eine Reihe von metakognitiven Fähigkei- benötigten Fertigkeiten zu verbessern, und um ten entwickeln, die ihnen helfen, Pläne zu bestimmte Orientierungen gegenüber dem machen und Entscheidungen für ihr Leben zu Arbeitsmarkt sowie Verbindungen hierzu zu treffen. Im besten Fall ermutigen solche entwickeln. arbeitsbezogenen Lern- und Beratungsange- bote die Schüler dazu, sich darüber bewusst zu Da die Erfahrung einer falschen Passung („Mis- werden, dass Faktoren wie ihr sozialer Hinter- matching“) sowohl der Wirtschaft als auch grund, ihr Geschlecht und ihre ethnische Zuge- dem Einzelnen in vielerlei Hinsicht schaden hörigkeit ihr eigenes Streben beeinflussen kann (Kalleberg, 2007), kann man die (Appadurai, 2004). Dies kann zu einem besse- Behauptung aufstellen, dass eine Lauf- ren Verständnis davon führen, wie der eigene bahnplanung eher zu glücklicheren und damit Handlungshorizont (Hodkinson, Sparkes & produktiveren Arbeitskräften führt und zu Hodkinson, 1996) sozial eingeschränkt wurde, weniger Vergeudung öffentlicher Gelder und so die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass aufgrund von Ausfällen. SchülerInnen, die ihre „Anpassungspräferenzen“ (Nussbaum, 2001) Bildungs- und Ausbildungswege mit Bedacht in Frage gestellt werden. Auf diese und andere wählen und ein Lebensprojekt entwickeln, Weise kann die Laufbahnarbeit daher auch für werden seltener ihre Ausbildungsgänge wech- sich in Anspruch nehmen, die Agenda für seln oder abbrechen. Sie neigen eher dazu, sich soziale Gerechtigkeit voranzutreiben (Sultana, gezielt mit dem Lernen zu beschäftigen, 2014; Hooley, Sultana & Thomsen, 2018a). motiviert zu bleiben und bessere Leistungen zu erbringen. Forschungsergebnisse, die den wirtschaft- Internationale Entwicklungen in den lichen und erzieherischen Nutzen von Berufs- Programmen zur Berufsorientierung und Bildungsberatung bestätigen (u.a. Killeen Aufgrund des internationalen Interesses an & Kidd, 1991; Hughes et al., 2002; Bowes, den potenziellen Wirkungen der CEG haben Smith & Morgan, 2005; Hooley & Dodd, 2015), mehrere Länder Initiativen ergriffen, unter sowie das Interesse nationaler und regionaler anderem die Berufsorientierung verbindlich in Akteure an ihrer wirtschaftlichen Leistungs- die Lehrpläne zu integrieren, vom Grundschul- fähigkeit haben zu einem bemerkenswerten bereich (z. B. Magnuson, 2000; Welde et al., Wiederaufleben des politischen Interesses an 2016) bis zur Hochschulbildung (z. B. Foskett & Berufsorientierung und Berufsberatung Johnston, 2006; Frigeiro, Mendez & McCash, (Career Education and Guidance - CEG) 2012; Rott, 2015). Zu diesen Initiativen gehörte geführt, es gibt eine internationale Übersicht auch die Einführung oder Stärkung von arbeits- zu den Angebotsstrukturen in über 55 Ländern bezogenem Unterricht im Lehrplan durch der ganzen Welt (Watts, 2014). „neue“ Unterrichtsthemen (z. B. „persönliche Kompetenzen“). Dabei greifen etablierte Fä- Ein großer Teil der beraterischen Arbeit be- cher arbeitsbezogene Themen und „Karriere- steht daraus, den SchülerInnen zu helfen, über Management-Kompetenzen“ auf, z.B. erfolg- die Welt der Arbeit nachzudenken, über ihr reiche Bewerbungsgespräche im Unterricht aktuelles Verständnis davon und über ihre „Darstellendes Spiel“; Verfassen eines Bewer- zukünftige Beziehung zu ihr. Die arbeitsbe- bungsschreibens oder eines Lebenslaufs im zogene Bildung – auch als „Laufbahnentwick- Sprachunterricht. Zudem wurden unterneh- lungslernen“, „Übergangslernen“, „Karriere- merische Fähigkeiten durch die Gründung von Management-Fähigkeiten“ und „Berufsorien- Schülerfirmen gefördert, die von erfahrenen tierung“ bezeichnet – zielt im allgemeinen Mentoren aus der Wirtschaft betreut werden, darauf ab, dass die SchülerInnen für sich selbst 3
es wurden Praktika und Hospitationen organi- rung auf Berufsinformation und Bildungs- siert und vieles mehr. beratung hin zur ganzheitlicheren und kriti- scheren Betrachtung von Bildung für Arbeits- Des Weiteren wurde die Frage erörtert, was leben und staatsbürgerliche Tugenden (Simon, ein Curriculum für die Karrierebildung Dippo & Schenke, 1991; Pouyaud & Guichard, enthalten sollte (z. B. Hooley et al., 2013; 2018; Irving, 2018; Midttun & McCash, 2018). Thomsen, 2014; Education Scotland, 2015) und wie am besten vorzugehen wäre, um „Karriere- All diese „Geschäftigkeit“ rund um die Berufs- Management-Fähigkeiten“ zu vermitteln und orientierung und Berufsberatung, die zum Auf- zu bewerten (z.B. Law, 1999; Sultana, 2013). bau von transnationalen Netzwerken für Bera- Berufswahl-Curricula können in Bezug auf tungspolitiken2 und für die akademische Aus- Begründungen, Inhalte, Lerntheorien, päda- bildung3 von Praktikern geführt hat, ist sowohl gogische Ansätze und Beurteilungsansätze bedeutsam als auch aufschlussreich. Beschrei- unterschiedlich anspruchsvoll ausgestaltet bungen dieser Initiativen gibt es in Hülle und sein, ihr wesentlicher Ansatz besteht aber Fülle. Sie werden häufig als „Good Practice-Bei- darin, die drei Ziele der Selbstentwicklung, der spiele“ dargestellt, Beratungspraktiker schät- Laufbahnerforschung und des Karriere- zen sie sehr aufgrund ihrer Greifbarkeit, ihres managements zu wiederholen, wie sie im Nutzens für die Studierenden und ihrer Hand- DOTS-Modell dargelegt sind (Law & Watts, lungsorientierung sehr. Dies sollte jedoch 1977; Law, 1999). In diesem Zusammenhang keine Evaluation ersetzen, in der umfassen- wurden wichtige Aufsätze veröffentlicht (z. B. dere Kontextbeziehungen sorgfältig geprüft Barnes, Bassot & Chant, 2011; McCowan, werden. Zu diesen Überlegungen kommen wir McKenzie & Shah, 2017) sowie Handbücher, jetzt. webbasiertes und digitales Material und eine Fülle von Ressourcen, einschließlich Anlei- tungen, wie CEG-Dienste in Schulen verbessert Was ist das Problem, auf das Berufs- werden können (Gatsby Charitable Founda- orientierung die Antwort ist? tion, 2014; NCGE, 2017; Sultana, 2018a). Wie politische Initiativen und Trends sowie die In der zuvor genannten internationalen Litera- umfassendere Matrix von Machtbeziehungen, tur wurde auch festgestellt, dass sich die einschließlich des komplexen Zusammenspiels schulische Berufsorientierung in vielen Berei- zwischen lokaler und globaler Ebene, zusam- chen weiterentwickelt hat: von einer einmali- menhängen, wird durch diese Frage deutlich: gen Intervention, die hauptsächlich auf einen Was ist das Problem, auf das eine bestimmte oder mehrere wichtige Übergangszeitpunkte Politik oder ein Bündel von politischen Aktio- abzielte, zu einem eher entwicklungsorientier- nen eine Antwort gibt? Der Tradition der ten Aufgabenbereich; von der Ausrichtung auf kritischen Politikanalyse folgend bringt uns die Jugendliche zur Einsicht, dass man beginnen Frage, was genau als „Problem“ dargestellt sollte, die Bausteine früher zu setzen, min- wird und wie solche Darstellungen die Art der destens schon bei älteren Grundschulkindern; entwickelten Richtlinien und Praktiken beein- vom Abzielen auf Einzelpersonen (v. a. solche flussen, dazu, nicht in den Annahmen des mit Problemen), bis hin zu einem uni- jeweiligen Feldes, politischen Kontext oder der verselleren Programm, das ganze Klassen und betrachteten Praxis gefangen zu bleiben Jahrgänge einbezieht; und von der Fokussie- (Simons, Olssen & Peters, 2009; Bacchi, 2009). 2 3 z. B. dem the European Lifelong Guidance Policy z.B. das Network for Innovation in Career Network ELGPN, dem International Centre for Guidance and Counselling in Europe NICE Career Development and Public Policy ICCDPP; CareersNet 4
Diese Art, Fragen zu stellen, ist besonders markt zugeschoben (Brunila 2013; Brunila & wichtig in Bezug auf die Berufsorientierung Ryyännen 2017). Mit dem auf diese Weise defi- und -beratung, denn sie hat auf politische Ent- nierten Problem neigen Berufsorientierung scheidungsträger eine geradezu ideologische und -beratung dazu, eine „technokratische“ Anziehungskraft. Denn sie liefert ein Narrativ, Denkweise zu übernehmen (Sultana, 2018b). das dazu dient, Systemversagen zu verdecken Praktiker sehen daher ihre Rolle hauptsächlich oder die Ursache des Versagens dem Falschen darin, die Bindungen zwischen Schule und in die Schuhe zu schieben. In einem Umfeld, in Arbeitswelt zu festigen und den Schülern dabei dem die vermeintliche „Heilung“ einer wirt- zu helfen, diese vermeintlich fehlenden Quali- schaftlichen Rezession – erhöhte Investitionen täten zu entwickeln, so dass sie für Arbeitgeber in die allgemeine und berufliche Bildung – sich attraktiver werden. Wenn hingegen das Pro- sowohl für Jugendliche als auch Erwachsene blem schwieriger, verzögerter und abgebro- immer weniger rentieren (Collins, 2000; chener Übergänge darin begründet liegt, auf Tomlinson, 2008; Brown, Lauder & Ashton, welche Art und Weise die Wirtschaft organi- 2010; Sukarieh & Tannock, 2017) kann die CEG siert ist und welchen Wert sie dem beimisst, dazu beitragen, die neoliberale Agenda der dann wird die Laufbahnorientierung und -bera- „Eigenverantwortung“ zu stärken (Kelly, 2001; tung mit großer Wahrscheinlichkeit eine ande- Hooley, Sultana & Thomsen, 2018b). Dabei re, „emanzipatorische“ Rolle annehmen – und werden strukturelle, systemische Probleme diese Rolle wird zu der umfassenden pädagogi- wie Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung schen Unternehmung beitragen, Schüler dabei von Absolventen als Probleme von Individuen zu unterstützen, dass sie die Welt, in der sie dargestellt, die an ihrem Unglück selbst schuld leben, einschließlich der Arbeitswelt, begreifen sind (Savelsberg, 2010). Wenn sie nur bessere können. Dazu gehört auch, dass sie verstehen „Karriere-Management-Fähigkeiten“ hätten, lernen, wie die Gesellschaft daran scheitert, wenn sie nur bessere schulische und berufliche ihnen Zugang zu anständigen Lebensgrund- Entscheidungen getroffen hätten, wenn sie nur lagen zu verschaffen, obwohl der Staat sie in mehr an ihrem Lebenslauf, ihren Manieren und den besten Jahren ihres Lebens zwischen den gar ihrem Aussehen gearbeitet hätten (Hakim, vier Wänden der institutionalisierten Schul- 2010; Yates, Hooley & Kaur Bagri, 2016) – dann pflicht einengt – was eigentlich als Vorberei- hätten sie den Job bekommen. In diesem tung auf ein unabhängiges und produktives Narrativ fördert die CEG die Vorstellung, dass Leben gedacht ist. Ein Beispiel ist das Vereinig- das Individuum ein „Unternehmer“ des Selbst te Königreich, in dem 2017 die Hälfte der for- sei (Peters, 2016; Irving, 2018), eingebunden in mal qualifizierten Absolventen offiziell als einen „Prozess des Lebensdesigns“ (Savickas et ungelernt arbeitend eingestuft wurde al., 2009), und mit einer Berufsorientierung, (Beckett, 2018). die sich sowohl in den Schulen als auch bei Dieser Beitrag legt dar, dass eine berufliche öffentlichen und privaten Arbeitsmarktdienst- Bildung anderer Art wichtig, möglich und not- leistern ihre Rolle zurechtschneidet. wendig ist - das heißt eine Form glaubwürdiger In vielen Ländern gibt es Defizit-Narrative, die Laufbahnerziehung, die den Schülern hilft, das, sowohl Schulen als auch junge Menschen was um sie herum geschieht, zu deuten und sie pathologisieren, wobei erstere als veraltete mit dem Wissen, den Fähigkeiten und Haltun- Institutionen dargestellt werden, die nicht auf gen auszustatten, nach einer Welt zu streben, die „Bedürfnisse“ der Industrie eingehen, und in der alle gedeihen und Wohlbefinden errei- letztere als „mangelhaft“ in Bezug auf Charak- chen können. In den folgenden Abschnitten ter, Kompetenz und Engagement. Ihnen wird werde ich zunächst erläutern, warum es die Schuld an den hinausgezögerten Über- meiner Meinung nach wichtig ist, dass die gängen und ihrer Marginalisierung im Arbeits- Arbeitswelt in den Lehrplänen der Schulen eine 5
wichtige Rolle spielt. Ich werde sodann Argu- bleibt für das Gedeihen des Menschen von mente für eine kritische Berufsorientierung an- zentraler Bedeutung und gibt ihm – neben dem führen, die notwendig ist, wenn das „Blühen“ Lebensunterhalt – Status und Identität, und „Wohlbefinden“ aller Schüler tatsächlich gemeinsame Erfahrungen, Zeitstruktur, Sinn. das Ziel und der Daseinsgrund unserer Schulen Veltman (2016) bietet einen beeindruckenden sein sollen. und umfassenden interdisziplinären Überblick über den Stellenwert sinnvoller Arbeit in uns- Schule und Arbeitswelt erem Leben. Er enthält eine Reihe von Behaup- Das Argument, Schulcurricula sollten die tungen, die ich in Kasten 1 umschreibe und Bedeutsamkeit der Arbeitswelt betonen, ist in zusammenfasse. vielerlei Hinsicht leicht zu belegen: Arbeit Kasten 1: Warum sinnvolle Arbeit für das menschliche Gedeihen notwendig ist Arbeit: • bietet Zugang zu einer Existenzgrundlage und sorgt im besten Fall für Sicherheit und Unabhängigkeit. Sie definiert das Erwachsenenalter, verleiht Individuen einen Titel, eine Rolle und einen Status und unterstützt (oder untergräbt) ein Gefühl der Selbstwirksamkeit; • nimmt normalerweise einen großen Prozentsatz unseres Wachlebens in Anspruch, so dass unsere daraus erwachsende Erfüllung oder Frustration auf andere Aspekte unseres Lebens übergeht und diese stark beeinflusst. Gewohnheiten und Orientierungen, die bei der Arbeit entwickelt wurden, wirken sich auch auf die Nichtarbeitszeit einschließlich der Freizeit aus; • übt und fordert einige unserer Fähigkeiten als Menschen - ob Intelligenz, Emotionen, Charakter, Kompetenz oder Kreativität - und formt uns so tiefgreifend; • hilft uns, verschiedene Aspekte des Selbst zu entwickeln, was weit über berufsbezogene Fähigkeiten hinausgeht und eine Reihe von Lebenskompetenzen einbezieht, die uns helfen können, in Bereichen außerhalb der Arbeit zu wachsen; • gibt uns einen Kontext, in dem wir die erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten in die Praxis umsetzen, so dass sie zu einer Quelle der Freude und der Erfüllung wird. Sinnvolle Arbeit ist ein wichtiges Instrument für die kreative Selbstdarstellung, durch die wir zur kollektiven Aufgabe beitragen, unsere Welt zu errichten und den Nutzen des gesellschaftlichen Miteinanders zu erwidern, indem wir uns in den Dienst unserer Gemeinschaften stellen; • erzeugt Respekt bei den Menschen um uns herum, die die Anstrengungen anerkennen, die wir in die Entwicklung und Umsetzung von Kompetenz investiert haben. Dies verstärkt unser Selbstwertgefühl; • scheint für die Entwicklung einer positiven Wahrnehmung der eigenen Identität von entscheidender Bedeutung zu sein, und zwar so sehr, dass mangelnde Arbeitserfolge diese schwierig oder sogar unmöglich machen. In vielen Fällen definieren sich Menschen in Bezug auf die von ihnen geleistete Arbeit; • beeinflusst unsere physische und psychische Gesundheit auf vielfältige Weise: Unzufriedenheit führt zu einer Reihe von Beschwerden, die sich negativ auf Stimmung, Wohlbefinden und positive Selbstachtung auswirken. Mangel an Arbeit oder menschenwürdiger Arbeit führt zu Kontexten, in denen eher soziale Spannungen auftreten; • gibt uns die Möglichkeit, persönliche Werte wie Ehre, Stolz, Würde und Selbstdisziplin zu entwickeln und zu stärken; • befriedigt zwei Hauptquellen des menschlichen Glücks: Sinn für Zweck und Verbindung. Wenn unsere Arbeit als sinnvoll erlebt wird, profitieren wir von einer dritten Quelle des Glücks, die aus einer Leidenschaft für das, was wir tun, entsteht. 6
Wenn sinnvolle Arbeit ein wesentlicher Aspekt Die dunkle Seite der Arbeit unseres Lebens ist, kann man erwarten, dass Wenn Veltman (2016) die Bedeutung der Bildung die nächste Generation darauf vor- Arbeit im Leben der Menschen feiert, spricht bereitet. Wie Collins (2000) feststellte, war die sie natürlich über sinnvolle Arbeit. Sie wendet Menschheit in der Tat immer damit beschäf- einen großen Teil ihres Buches dafür auf darzu- tigt, die Jungen auf die Aufgabe vorzubereiten, stellen, dass Arbeit für viele alles andere als das Rad weiterzudrehen. Es ist nur so, dass sinnvoll oder erfüllend ist, und argumentiert historisch und anthropologisch betrachtet – weiter, dass angesichts der komplexen Arbeits- d. h. durch Zeit und Raum – Kulturen unter- teilung in heutigen Gesellschaften eine sinn- schiedliche Wege eingeschlagen haben, um volle Arbeit, die das Gedeihen des Menschen junge Menschen in die Arbeit einzuführen. unterstützt, tragischerweise nicht für alle Men- Hierzu wurde nach einem Muster vorgegan- schen verfügbar sein kann, selbst wenn ihre gen, das Sozialisation4 umfasst, Lehrlingsaus- Arbeit gesellschaftlich notwendig ist. Dies steht bildung5, professionelle Akkreditierung6 und nicht im Widerspruch zu ihrer Behauptung, planmäßige Beschulung7. Die jeweilige Kombi- dass die Arbeit dennoch eine zentrale Rolle in nation zwischen diesen Weberschen Ideal- unserem Leben als Menschen spielt, zumal die typen hängt vom Zusammenspiel zwischen meisten unserer Ausbeutungserfahrungen dar- lokalem Kontext und globalen Ideologien und auf zurückgeführt werden können, sei es in Trends ab. Form von unfairer Bezahlung, Respektlosigkeit oder Verwertung der Ergebnisse unserer Arbeit Wenn Arbeit für das Gedeihen des Menschen zum unverhältnismäßigen Vorteil derjenigen, so wichtig ist, sollte eine Bildung, die darauf die bereits über ein höheres Maß an Macht, abzielt, dies zu fördern und zu entfalten, Status und Wohlstand verfügen. konsequenterweise alle Schüler darauf vor- bereiten, damit sie so möglichst umfassend von Die heutige Arbeitswelt zu beschreiben, ist um- dem daraus entstehenden Nutzen profitieren. stritten, da die Arbeitserfahrung sehr davon Hierin liegen jedoch mindestens zwei Haupt- abhängt, was jemand tut und wo er es tut. In probleme: erstens das Wesen der Arbeit in der der Zusammenschau können wir dennoch mit heutigen Welt; zweitens das Wesen der Arbeit Recht behaupten, dass Arbeit im 21. Jahrhun- in der Welt, die noch kommen wird. Das erste dert für viele ein Fluch ist: eine Gallup-Studie, besteht darin, dass Arbeit für weite Teile der die 2013 durchgeführt wurde und 230.000 Bevölkerung alles andere als sinnvoll ist; das Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte in 142 Län- zweite prognostiziert, dass die Automa- dern betraf, gibt wieder, dass sich nur 13% der tisierung die menschliche Arbeit überflüssig Menschen durch ihre Arbeit beteiligt und er- machen wird. Beide Probleme haben erheb- füllt fühlen. Unter Berufung auf diesen Bericht liche Auswirkungen auf die Art der schulischen kommt Schwartz (2015) zu dem Schluss, dass Berufsorientierung, wie wir weiter unten „Arbeit für mehr als 90% der Arbeitnehmer der feststellen werden. Welt eher frustrierend als erfüllend ist. Man denke an die soziale, emotionale und vielleicht 4 6 durch enge, tägliche, nachahmende Interaktion die das geheime Wissen in Theologie, Recht und zwischen den Jungen und den eingeweihten Medizin - und später in den sogenannten "neuen Erwachsenen, oft in Gemeinschaftssituationen. Berufen" - an eine Zulassung gebunden hat. 5 7 die als Lernform im 18. Jhd. v. Chr. in den Kodex mit ihrer Rangliste von Noten, Prüfungen und von Hammurabi aufgenommen wurde, die aber Zertifizierungen, die Kennzeichen moderner Bil- ihren Charakter einer Handwerksgilde im 12. Jhd. n. dungssysteme weltweit sind. Chr. in Europa angenommen hat, und die derzeit in vielen Ländern ein Comeback erlebt. 7
sogar wirtschaftliche Verschwendung, die die- neuen Arbeitstrends, über die „The Economist“ se Statistik widerspiegelt. Neunzig Prozent der berichtet, zählen die Bemühungen des Erwachsenen verbringen die Hälfte ihres Managements, die Gemütszustände der Mit- Wachlebens damit, Dinge zu tun, die sie lieber arbeiter zu regulieren, „sodass Glück zu einem nicht tun würden, an Orten, an denen sie lieber Instrument der Unternehmenslenkung wird“ nicht wären“ (S.3). Die Berichte der Internatio- (2016, S. 1). nal Labour Organization (1999, 2016), in denen Wir sind praktisch und emotional von der differenzierte Portraits der Arbeitserfahrungen Arbeit abhängig, finden aber Jobs (wenn wir im globalen Norden und Süden präsentiert überhaupt das Glück haben), die schlicht zu werden, wiederholen eine solch pessimistische klein für unseren Geist sind – das ist nicht über- Schlussfolgerung. Die Daten der ILO zu „men- raschend, da Arbeitsplätze allzu oft nach Effi- schenwürdiger Arbeit“ auf der ganzen Welt zienzzielen gestaltet sind, anstatt das mensch- sind für immer mehr Menschen in Bezug auf liche Wohlergehen im Sinn zu haben. Wir sind die vier Indikatoren Beschäftigung, Sozial- darin geschult worden, kreativ und gesellig zu schutz, Arbeitnehmerrechte und sozialen Dia- sein, verbringen aber unsere Tage in Berufen, log zunehmend negativ. Dies führt zu einer in denen gegenseitige Bestärkung, Gemein- weltweiten Desillusionierung der Menschen samkeit und Lebendigkeit fehlen. Die Bürger aufgrund der eigenen Erfahrung mit Arbeit, ob werden ständig ermahnt, ein Gleichgewicht sie den Ausschluss vom Arbeitsmarkt betrifft, zwischen Beruf und Privatleben – Work-Life- schlechte Arbeitsbedingungen, niedrige Löhne, Balance – zu finden, als wäre dies ein für uns Gefährdung und Unsicherheit oder die Arbeits- fremdartiges Streben, das angestoßen werden platzqualität (Ryder, 2017, S. 1). müsste, während in Wahrheit das Recht auf Eine Synthese der Merkmale und Trends, die Unterbrechung längst verloren ist. Jugendliche, die heutige Arbeitswelt kennzeichnen, liest sich die verzweifelt versuchen, einen Job zu finden, deprimierend: Arbeit ist, in vielen Kontexten, nachdem sie sich jahrelang verschuldet haben, schwer zu finden und leicht zu verlieren. Sie um für ihr Studium zu zahlen, bearbeiten erfordert lächerlich lange Ausbildungszeiten, unerbittlich ihren Lebenslauf und sich selbst während gleichzeitig alles darangesetzt wird, und springen über jedes Stöckchen – ein- Fähigkeiten zu automatisieren, entweder den schließlich der neuesten Form der Ausbeutung, Menschen obsolet zu machen oder ihn dazu zu unbezahlter „Praktika“ –, um ihre „Beschäfti- bringen, immer härter zu arbeiten, um den gungsfähigkeit“ zu verbessern. durch arbeitsplatzersetzende Technologien All dies mag phrasenhaft und sogar melodra- entgangenen Verdienst auszugleichen. Sie ver- matisch klingen. Man muss jedoch nur die langt Loyalität, gibt aber wenig zurück. Sie ist jüngste Reihe von Büchern über die Natur der zunehmend gekennzeichnet durch Intensivie- Arbeit in neoliberalen Zeiten konsultieren, um rung, durch Unsicherheit, durch prekäre Ver- sich in die empirischen Beweise einzuarbeiten, träge und durch informelle Vereinbarungen, die dieser grimmigen Darstellung Substanz ver- die Arbeitsgesetze und Gewerkschaften umge- leihen (u.a. Sennett, 1998; Procoli, 2004, hen (z. B. Uber). Oft werden Löhne unterhalb Cederström & Fleming, 2012; Frayne, 2015; des Existenzminimums gezahlt, was zu einer Fleming, 2015). Alle diese Autoren, und noch neuen Klasse der „Working Poor“ führt. viele darüber hinaus, bekräftigen den Stand- Arbeitsstätten wurden mit der neuen Techno- punkt einer langen Reihe von Kapitalismuskriti- logie ausgestattet, um auf der Grundlage von kern, angefangen bei Marx und Gorz bis hin zu Mikro-Managementstrategien Disziplinar- und Standing (2011), der bei der Diskussion über Überwachungsregimes zu installieren, die mit einem Lächeln fesseln. Von den Arbeitnehmern wird erwartet, dass sie zurücklächeln: Zu den 8
das „Prekariat“ „Arbeit“8 von „entfremdeter schaffen werden, während andere zerstört Arbeit“9 unterscheidet. Diese Unterscheidung werden, und neue Fähigkeiten die alten er- wurde durch die Überhöhung der bezahlten setzen. Beschäftigung während der letzten zwei Jahr- Ein Team des MIT Technology Review hat meh- hunderte verschleiert, wobei sogar fortschritt- rere Prognosen von Unternehmen, Think Tanks liche Kräfte die Auffassung übernahmen, dass und Forschungseinrichtungen über den voraus- ein „Job“ uns „Würde“, „Status“ und ein Gefühl sichtlichen Verlust (und einige Gewinne) von der Zugehörigkeit zur Gesellschaft bringe Arbeitsplätzen in den Bereichen Automatisie- (Standing, 2018). rung, Robotik und KI untersucht und kam dabei Wird es genug Arbeit geben? zu dem Schluss, dass es so viele Meinungen wie Eine zweite Überlegung betrifft die heikle Experten gibt. Die Vorhersagen reichten „von Frage, ob Arbeit – sinnvoll oder nicht – für die optimistisch bis hin zu verheerend, mit Abwei- Mehrheit unserer Schüler und Schülerinnen zur chungen von zig Millionen Jobs, auch wenn sie Verfügung stehen wird, wenn wir in ein Zeit- ähnliche Zeiträume verglichen haben… Kurz alter weitreichender Automatisierung und gesagt, obwohl diese Vorhersagen von Dutzen- künstlicher Intelligenz vorstoßen. Hier werden den globaler Experten für Wirtschaft und wir als Geiseln gehalten durch Vorhersagen, die Technologie gemacht werden, scheint nie- von euphorischen Szenarien auf der einen Seite mand die gleiche Auffassung zu haben. Es gibt bis hin zu höchst abschreckenden Untergangs- wirklich nur eine sinnvolle Schlussfolgerung: darstellungen reichen. Einige begrüßen die An- Wir wissen nicht, wie viele Arbeitsplätze durch kunft eines neuen goldenen Zeitalters der den technologischen Fortschritt tatsächlich Muße, einer idyllischen arkadischen Gesell- verloren gehen werden“ (Winick, 2018). schaft, in der alle Bedürfnisse dank technolo- gischer Zauberei und persönlicher Roboter erfüllt werden, die die menschliche Arbeit Authentische Berufsorientierung überflüssig machen. Einige argumentieren, Wir sind daher mit der Tatsache konfrontiert, eine Ausbildung für die Muße und nicht für dass vieles, was heutzutage als Arbeit be- Arbeit sei hierzu relevant, die an die Lyzeen und zeichnet wird, für das Gedeihen des Menschen Gymnasien des klassischen Griechenlands erin- kaum förderlich ist, und dass es darüber hinaus nert, wo die Elite, die die Arbeit auf Sklaven schwierig ist zu wissen, wie die Zukunft der übertragen hatte, sich der Demokratie, der Arbeit aussehen wird in einer Welt, die mögli- Philosophie und den Feinheiten des Lebens cherweise ohne Arbeit sein wird. Dies macht widmen konnte (Hemingway, 1988; Kleiber, jedoch die berufliche Bildung nicht irrelevant. 2012). Andere Berichte zeigen ein Bild des Wenn überhaupt so viel dabei auf dem Spiel Schreckens und prognostizieren das Aufkom- steht, den Zugang zu einem fruchtbaren und men menschenleerer Arbeitsstätten, wodurch sinnvollen Leben zu bekommen, ist es vernünf- sich der Abgrund zwischen einer technologi- tig, dass alle Lernenden das Recht auf ein schen Elite und den übrigen Menschen vertieft. vertrauenswürdiges Berufsorientierungspro- Andere wiederum erinnern daran, dass die gramm bekommen, das ihnen hilft, zu erken- Menschheit nicht zum ersten Mal technologi- nen und zu verstehen, wie Arbeit derzeit aus- sche Innovationen überlebt hat, durch die gestaltet ist und wie sie in der Zukunft gleichzeitig neue Arbeitsmöglichkeiten ge- aussehen könnte. Die Frage, die wir uns jetzt 8 9 die, so sagt er, sowohl die Aktivitäten der deren Funktion darin besteht, marktfähige Notwendigkeit, des Überlebens und der Fort- Produkte oder Dienstleistungen zu produzieren, pflanzung, als auch der persönlichen Entwicklung wobei diejenigen, die die Arbeit kontrollieren, oft umfasst. diejenigen unterdrücken und ausbeuten, die diese ausführen. 9
stellen müssen, lautet: Bekommen Schüler und Sie investieren einen großen Teil ihrer Ressour- Schülerinnen das? Und wenn nicht, wie würde cen in die Auswahl und Beurteilung von Indivi- eine solche ehrliche, authentische Berufsorien- duen, wodurch die Verteilung von „Händen“ tierung aussehen? und „Köpfen“ über das gesamte Spektrum der verfügbaren Stellen organisiert und diese Ver- Das wirft andere existentielle Fragen auf: Was teilung gleichzeitig legitimiert wird. Sie unter- bedeutet es, Mensch zu sein? Was bedeutet es, richten „Arbeit“ mittels des formalen Curricu- ein „gutes Leben“ zu führen? Wie können sich lums und noch mehr dank der Haltung, von der Menschen organisieren, um die Lebensbedarfe das Ethos der Schulen, ihre Routinen und auf eine Weise herzustellen und zu konsumie- Rituale sowie ihre institutionellen und pädago- ren, die die Harmonie untereinander und die gischen Kulturen geprägt sind. Natur berücksichtigt? Welche sozialen Vorkeh- rungen könnten bzw. sollten getroffen werden, Schulen erziehen damit zu Gewohnheiten wie damit jeder ein menschenwürdiges Leben füh- Zeitdisziplin, sie vereinheitlichen den Begriff ren kann, frei von Dominanz und Ausbeutung? der Autorität, erzwingen die Bereitschaft, die Bildungshistoriker haben dokumentiert, inwie- Befriedigung aufzuschieben, sie fordern die weit diese Art von Fragen an Bedeutung ge- Annahme eines Disziplinarregimes, das Körper- wonnen hat oder stattdessen von eher nutzen- bewegungen und körperliche Bedürfnisse orientierten Bedenken des „Lebensunterhalts“ externen Anforderungen unterwirft, sie verdrängt wurde. Wenig überraschend finden erwarten Anstrengung für extrinsische Beloh- wir hier ein wiederkehrendes Muster: Wirt- nungen (wie Noten) und nicht für intrinsische schaftliche Abschwünge tendieren dazu, (z.B. Lust, etwas zu tun), sie lehren, die sozial diejenigen Bildungsvisionen zu marginalisie- und historisch konstruierte Unterscheidung ren, die eine lange Reihe von Protagonisten im zwischen „Arbeit“'10 und „Spiel / Freizeit“11 als Bildungsbereich – von Sokrates bis Dewey und naturgegeben zu betrachten (Apple, 1995). Freire – vorangetrieben haben (Carnoy & Levin, Über all diese Wege vermitteln Schulen der 1985), stattdessen fördern diese einen jüngeren Generation machtvoll die hegemo- beunruhigenden Utilitarismus, der Bildung den nialen Vorstellungen darüber, wie sie in der wirtschaftlichen Imperativen unterordnet. Welt leben sollen. Pädagogen befinden sich Wie ich bereits in meinen Untersuchungen zu hier in einer Zwickmühle: Sollen sie für die Berufsorientierungs- und Berufsberatungs- Arbeit unterrichten und die Schüler dazu ermu- programmen in vielen Teilen der Welt fest- tigen, sich an den „neuen Geist des Kapitalis- gestellt habe, besteht eine ausgeprägte Ten- mus“ (Boltanski & Ciapello, 2007) anzupassen, denz, Lernende dazu anzuhalten, sich in die um in einer veränderlichen Welt eine bessere Arbeitswelt zu integrieren und sich „einzu- Chance zu haben, ihr unsicheres Auskommen speisen“, anstatt sie im Lichte bereits vorhan- zu sichern (Bauman, 2006). Oder sollten sie dener und möglicher Alternativen zu hinter- etwas über die Arbeit (und gegen die Plackerei) fragen (Sultana, 2012a, b). Jahrzehntelange lehren, indem sie die Schüler dabei unter- Forschung in der Bildungssoziologie hat aufge- stützen, Denk- und Handlungsinstrumente zu zeigt, dass bei diesem Vorhaben die gesamte entwickeln, um die Art und Weise, wie der Schule zusammenarbeitet: Schulen vermitteln neoliberale Arbeitsmarkt die Bürger im Stich die spezifischen Fähigkeiten (z. B. berufliche lässt, zu hinterfragen? Oder sollten Pädagogen und digitale Kenntnisse, Lesen und Rechnen) vielleicht beides tun? Prilleltensky & Stead und generische Kompetenzen (z.B. „Soft (2012) thematisieren dies in ihrem „Anpas- Skills“), die für die Wirtschaft zweckmäßig sind. sen/In-Frage-stellen“-Dilemma und zeigen auf, 10 11 als anspruchsvoll, oft langweilig, diszipliniert als Selbstdarstellung, Freiheit und Genuss - eine Gelegenheit, sich "neu zu erschaffen 10
dass Berufsorientierung Schüler dazu bringen „Anpassen/In-Frage-stellen“-Dilemma nicht kann, (a) sich gleichzeitig an das System anzu- ohne weiteres gelöst werden kann, müssen passen und es in Frage zu stellen, (b) sich an das Praktiker mutig das produktive Unbehagen System anzupassen, es aber nicht in Frage zu ertragen, wenn sie im Spannungsfeld zwischen stellen, (c) das System in Frage zu stellen, sich diesen beiden Polen arbeiten. Wenn sie offen aber nicht anzupassen, und (d) sich weder an bleiben für die offensichtlich widersprüch- das System anzupassen noch es in Frage zu lichen Fragen des Dilemmas, können neue Ein- stellen. sichten in emanzipatorisches Handeln gelin- gen, die die Versuchungen des Idealismus Dieses Dilemma wird hinreichend zur Kenntnis einerseits und des Pessimismus andererseits genommen. Diejenigen, die zum Thema Arbeit vermeiden. unterrichten, handeln wie jeder andere Päda- goge in loco parentis, d.h. sie berücksichtigen Dies führt uns zu einer Reihe abschließender ernsthaft das bekannte Dewey-Diktum, das Überlegungen in diesem Artikel, um eine besagt: „Was die besten und klügsten Eltern für Antwort auf die Frage zu finden: „Was würde ihr eigenes Kind wollen, das muss die Gemein- eine glaubwürdige Berufsorientierung in einer schaft wollen für alle ihre Kinder. Jedes andere Demokratie bedeuten?“ Die folgenden Über- Ideal für unsere Schulen wäre engstirnig und legungen sollen dazu eher kritische Gespräche unschön, und es zerstörte unsere Demokratie, ermöglichen als in irgendeiner Art und Weise wenn wir danach handelten“ (1907, S.19). Die eine Handlungsanleitung sein. meisten Eltern – selbst diejenigen, die den Vom gesunden Menschenverstand zum guten Status Quo am kritischsten betrachten – möch- Menschenverstand ten dennoch, dass ihre Kinder Zugang zu einem Zunächst einmal ist es von entscheidender Auskommen haben, auch wenn dies einen Bedeutung, dass eine authentische Berufs- zeitweiligen Kompromiss mit sich bringt, auf orientierung die Annahmen und den „Präsen- dessen Grundlage man dann einen stabileren tismus“12, auf denen sie beruhen, untersucht. Zugang zu einem besseren Status erhält und Die derzeitige globale Sprache verwendet eine Handlungsmöglichkeiten, die sozialen Aufstieg Reihe von Euphemismen wie „lebenslanges bringen. Lernen“ und „lebensbegleitende Beratung“ Eine glaubwürdige Bildung kann sich jedoch und dient dazu, „Probleme" zu identifizieren, nicht einfach darauf beschränken, den Schü- darüber auf bestimmte Weise zu sprechen und lern bei der Anpassung zu helfen. Man kann „Lösungen“ anzubieten (Simons, Olssen & sicher nicht erwarten, dass Schulen und Peters, 2009, S.46). Sie beschwört ein Bild einer Pädagogen systemische Probleme lösen, aber Wirtschaftswelt, die ständigen, schnellen und die Antwort ist nicht ein resignierter Rückzug letztlich „unvermeidlichen“ Veränderungskräf- vom Politischen, da dies an sich schon ein ten unterworfen ist, angesichts deren Indivi- politischer Akt und letztlich ein geheimes Ein- duen keine andere Wahl haben, als sich anzu- verständnis mit dem herrschenden Zustand passen, wenn sie überleben wollen - und dies wäre. Vielmehr sind wir als Pädagogen auf- während ihres gesamten Lebens. gerufen, den Spannungen und Widersprüchen Innerhalb dieses Diskurses werden die dyna- zu begegnen, die sich notwendigerweise in mischen weltweiten Kapitalströme, die zu einem „unordentlichen“ Praxisfeld ergeben, in Instabilitäten beitragen, welche auf nationaler dem Pragmatismus und Realismus die mora- Ebene immer schwieriger zu bewältigen sind lischen und ethischen Erfordernisse der (Bauman, 2017), tendenziell reifiziert - das Bildung beantworten müssen. Während das 12 Etwa „Gegenwartsbezogenheit“ lt. Foucault (Anm. d. Übers.) 11
heißt, sie werden oft als gegeben und nicht zu Ordnung „natürlich“, „normal“, „selbstver- hinterfragen betrachtet, ohne realisierbare ständlich“, „universell“ ist und dass sie im Alternative. Die Folgerung ist, dass es die Interesse aller wirkt - während sie gleichzeitig Individuen sind, die ihre Art zu leben anpassen Alternativen mystifiziert, ausschließt und müssen (Bengtsson, 2011, 2015), wobei Berufs- herabwürdigt (Eagleton, 1991). Es liegt aber orientierung und -beratung einer der Dienste genauso im Wesen einer glaubwürdigen Erzie- ist, die solche Anpassungen fördern, indem sie hung, diese Maskierung aufzudecken, die sich Information, Ratschläge und Unterstützung in sozialen Konflikten zeigt, in einem Zustand, hierfür bereitstellen, wo und wann immer der im Interesse der Mächtigen wirkt, aber von erforderlich, ein Leben lang. letzteren so dargestellt wird, als ob er die Inter- essen aller erfüllt. Es liegt in der Natur einer „Ideologie“, Men- schen zu überzeugen, dass die vorherrschende Kasten 2: Historische Erfolge der Arbeitskämpfe im Laufe der Zeit • Arbeitsentgelt • Krankenversicherung für Arbeitnehmer • Tarifverhandlungen • Diskriminierungsverbot am Arbeitsplatz • gleiches Entgelt für Frauen • Gesundheits- und Sicherheitsgarantien • garantierter Mindestlohn • Vorruhestandsregelungen • bezahlte Überstunden • Essenspausen • Zuschläge und Entschädigungen • Ruhepausen • Urlaubsanspruch im Trauerfall • Leistungen bei Arbeitsunfällen • bezahlter Jahresurlaub • Arbeitslosenversicherung • Urlaubsanspruch bei Krankheit des Kindes • Abfindung • Elternurlaub • Schichtzulage • Kinderarbeit illegal gemacht • Krankheitszeiten (bezahlt) • Recht, Gewerkschaften zu bilden • Pension / Renten • Schaffung der 40-Stunden-Woche • Kündigungsschutz • Schaffung des 8-Stunden-Arbeitstags • Zulage für Arbeitsbekleidung Eine Möglichkeit, den Schülern zu helfen, getan werden kann, um ein gewisses Maß sich der Abhängigkeiten ihres Verständ- an kollektiver Kontrolle über diese Kräfte nisses der Arbeitswelt bewusst zu werden, und Dynamiken zu erlangen. Es wird die besteht darin, eine historische Vor- Schüler an vergangene Kämpfe erinnern, in stellungskraft zu entwickeln. Ein authen- denen bis dahin untergeordnete Gruppen tisches Berufsorientierungsprogramm eine Reihe von Arbeitsrechten für sich würde daher den SchülerInnen helfen zu beanspruchten, die zwar alles andere als verstehen, wie Arbeit zu dem geworden ist, umfassend sind, jedoch einen erheblichen was sie ist: die Hoffnungen und Träume für Einfluss darauf hatten, dass eine Mehrheit ein angenehmes und würdiges Leben, die anständig leben kann. Kasten 2 erinnert an manchmal gediehen und manchmal einige der wichtigsten dieser hart erkämpf- zerstört wurden; die Interessen, die auf ten Rechte, die unter der gegenwärtigen dem Spiel stehen; wer gewinnt und wer neoliberalen Ordnung ständig bedroht verliert, wenn der Arbeitsplatz in einer sind, da das Kapital versucht, seine bestimmten Weise gestaltet wird, und was Privilegien zurückzuerlangen. 12
Es gibt Alternativen - eine andere Welt ist gesunde und direkt-demokratische Ökonomien möglich aufzubauen (Avelino et al., 2015). Eine weitere Möglichkeit, den Schülerinnen und Es handelt sich dabei nicht um spinnerte, kurz- Schülern zu helfen, sich der Abhängigkeiten ihres lebige Initiativen: Die Fülle der Konzepte und Verständnisses der Arbeitswelt bewusst zu Begriffe, die sich im Umlauf befinden, zeigt die werden, ist die Entwicklung einer anthro- pure Lebendigkeit einer Suche nach Sinn und pologischen/vergleichenden Vorstellungskraft. nach alternativen Wegen von Produktion und Mit anderen Worten, ein authentisches Berufs- Konsum: z.B. „grüne", „gemeinschaftliche", „kol- orientierungsprogramm würde die SchülerInnen laborative“, „teilende“, „inklusive“, „solida- auch dazu ermutigen, dass, wie uns der Aufruf rische“, „informelle“, „soziale“ und „Allmende- des Weltsozialforums erinnert, „eine andere basierte“ Wirtschaft. Wir sprechen hier also von Welt möglich ist“. Dies kann geschehen, indem einer Strömung lokaler, aber zunehmend global es die unzähligen erstaunlichen Basis- vernetzter Antworten auf die Einführung markt- bewegungen darstellt, die auf der ganzen Welt orientierter Umstrukturierungen (se Sousa entstanden sind, um „tote Arbeit“ in Frage zu Santos, 2006), die darstellen, was Dinerstein stellen und sinnvolle Arbeit einzuführen. (2014) „Hoffnungsbewegungen“ nannte. Diese Kritische Arbeitspädagogen würden den Lernen- artikulieren „eine breitere Konzeptualisierung den damit das intellektuelle Instrumentarium der Arbeit, nämlich würdevolle Arbeit, die sich und die moralische Entschlossenheit geben, von der traditionellen Trennung von Arbeit und nicht nur die Gegenwart zu beklagen, sondern Mühsal wegbewegt und sich eher mit der sich auch sozial gerechtere Formen des Möglichkeit beschäftigt, Arbeit als eine breitere Zusammenlebens vorzustellen und ihnen Bei- soziale Aktivität mit einer Vielzahl von Themen spiele zu liefern, wie solche Bestrebungen weder aufzufassen“ (Dinerstein, 2014, S.1049). Sie idealistische noch dystopische Wunschträume bieten daher „alternative Formen der Gemein- bleiben. Diese „neuen Volkswirtschaften“ brin- schaft, sozialer Beziehungen und Solidarität, der gen eine breite Palette von Ideen und Praktiken Lernprozesse, von Praktiken der Fürsorge und hervor, denen die Kritik eines mainstream- emanzipatorischer Horizonte“ an (Dinerstein, ökonomischen Denkens gemeinsam ist. Sie 2014, S. 1050). reichen ideologisch von „Verteidigungskämpfen“ (Dinerstein, 2014), die versuchen, den Kapita- Und dennoch beziehen sich nur wenige Lauf- lismus zu modifizieren und zu humanisieren, bis bahnbildungsprogramme auf solche sozialen hin zu Ansätzen, die Alternativen zum markt- und wirtschaftlichen Experimente. Nur wenige förmigen Denken artikulieren und sich diskutieren, was man nach Piketty (2014) als anschicken, eine bessere, post-kapitalistische „pragmatische Utopien“ bezeichnen könnte – Gesellschaft zu formen, in dem Glauben, dass wie etwa die 4-Tage-Woche, „Flexicurity“, das persönliches Gedeihen nur innerhalb der allgemeine Grundeinkommen und eine globale Normen und Institutionen des bürgerlichen Besteuerung von Vermögen –, wofür man eine Lebens wirklich möglich ist. Sie treten damit in Unterstützung von der Basis benötigen würde, den Wettbewerb mit neoliberalen Grundsätzen um eine progressive Besteuerung und die wie der „Fokussierung auf Wachstum als wirt- Sozialisierung des Profits in einer Welt zu errei- schaftliches Ziel, das Vertrauen in Märkte als effi- chen, in der das reichste Prozent bis 2030 zwei ziente Verteilungsmechanismen und die Rolle Drittel des globalen Wohlstands besitzen wird von Regierungen und Nationalbanken bei der (Frisby, 2018). Vergabe von Geld und Krediten“ (Avelino et al., Noch weniger werden die Experimente der "Soli- 2015, S. 5). Sie konkurrieren jedoch nicht nur, daritätsökonomie" diskutiert, die Alternativen sondern greifen auch auf Werte, kooperative sowohl zum Kapitalismus als auch zur Plan- Praktiken, gegenseitige Hilfe, Reziprozität und wirtschaft darstellen, bei denen es auf "Lebens- Großzügigkeit zurück, um vielfältige, ökologisch werte" und nicht auf "Gewinnwerte" (Miller, 2005) ankommt, und die daher tiefer gehend 13
verunsichern, herausfordern und Alternativen zu griechische Bedeutung „nirgendwo“ ist. Viel- den vorherrschenden Identitäten, Lebensstilen mehr handelt es sich um ein „irgendwo“, das von sowie politischen und institutionellen Bedin- realen Menschen in realen Situationen umge- gungen erzeugen. setzt wird und eine Reihe kollektiver Graswurzel- Methoden zur Organisation wirtschaftlicher Einige dieser „echten Utopien“13 sind in Kasten 3 Aktivitäten aufbietet. aufgeführt. Diese sind nicht „utopisch“ – dessen Kasten 3: „Pragmatische Utopien“ und „Territorien der Hoffnung“ • Die Mondragon-Genossenschaften im spanischen Baskenland, die uns daran erinnern, dass Effizienz sowie die Generierung (und Sozialisation) des Gewinns sich nicht gegenseitig ausschließen, wenn dank der Beteiligung der Arbeitnehmer am Eigentum und an der Verwaltung wirtschaftliche und nicht nur staatsbürgerliche Demokratie gelebt wird (Johnson, 2017). • Die argentinische Bewegung der Arbeitslosen (Movimento de Trabajadores Desocupados, MTD - auch Piquetero-Bewegung genannt), die kooperative Arbeitsformen und soziale Aktivitäten in den Stadtvierteln implementiert hat. Dazu gehörten Wohnungsgenossenschaften, Ausbildung und Bildung sowie Umweltprojekte, die in Zusammenarbeit mit anderen Volksbewegungen, sozialen Organisationen, lokalen Gewerkschaften und kleinen Unternehmen „dazu führten, ‚echte‘ und ‚würdige‘ Arbeit sowie demokratische und solidarische Praktiken zu schaffen” (Dinerstein, 2014, S. 1043). • Das Movimento Sin Terra (MST), das in den letzten drei Jahrzehnten eine Agrarreformbewegung mobilisiert hat, an der Hunderttausende landlose Bauern beteiligt sind, die unproduktive Landgüter besetzen und die Regierung unter Druck setzen, dieses Land an landlose Familien umzuverteilen. Sie bewirtschaften ihr eigenes Land mittels solidarwirtschaftlicher Genossenschaften (Wright & Wolford, 2003). • Die Stadt Porto Alegre, Brasilien, die seit Jahrzehnten partizipative Regierungsführung und direkte Demokratie fördert, indem sie beträchtliche Teile ihres Reichtums den Bürgern zuweist, die auf Konsensbasis entscheiden, wie und wo dieser innerhalb der örtlichen Gemeinschaften und Nachbarschaften genutzt wird (Baiocchi, 2005 All diese sozialen und ökonomischen Experi- Haltung ausgestaltet werden. Es ist eine Frage mente fordern die neoliberalen Gegebenheiten dieser Ethik, wie Werte mit sozialen Beziehungen heraus, die das Gemeinwohl nur als unbeab- verwoben sind (Davis & Dolfsma, 2008). In einem sichtigtes Ergebnis der individuellen Verfolgung solchen Kontext kann „Arbeit“ - selbst von privaten Interessen betrachten (Zamagni, bescheidene Arbeit – Bedeutung für den Einzel- 2014, S.193). Diese Bewegungen deuten nen erlangen. Indem sie solche Perspektiven auf stattdessen auf eine Welt, in der wirtschaftliche Mögliches erschließt, kann die Berufsorien- Werte untrennbar mit sozialen Werten tierung die betäubende Wirkung des klassischen verbunden sind, und in denen wirtschaftliche Karrierelernens aufheben, die die Schüler dazu Beziehungen und menschliche Aktivitäten, die bringt, sich einzufügen in ein System, das dem wir als „Arbeit“ bezeichnen, durch eine ethische Menschen nicht zuträglich ist. 13 auf die Olin Wright (2010) in einer Reihe von wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Buchprojekten verweist, in denen Wert, Prozesse und Projekten bewertet werden. Auswirkungen von wesentlichen und radikalen 14
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