Bedrohung durch gebietsfremde Arten
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Nr. 462 vom 8. Mai 2014 Bedrohung durch gebietsfremde Arten ZUSAMMENFASSUNG. Die meisten gebietsfremden Pflanzen und Tiere sind harm- los, sie leben in friedlicher Koexistenz mit der heimi- schen Flora und Fauna. Doch manche Fremde wurden do- minant – und schaffen grosse Probleme. Eveline Dudda, Dipl.Agr.Ing., Agrarjournalistin Neophyten ist die Bezeichnung für Pflanzen, die erst seit der Entdeckung Amerikas (1492) bei uns vorkommen. Der Riesenbärenklau ist ein bekanntes Beispiel eines Neophyten. Er kann Neozoen sind das Pendant dazu im beim Menschen Verbrennungen hervorrufen. (ji) Tierreich. Die meisten Neuzuzüger sind friedlich und leben bestens integriert. Dem Artenschutz verpflichtet Willkürliche Artenliste Doch manche verwildern, breiten sich Die Schweiz hat sich 2010 mit der Un- Da eine klare Strategie fehlt ist die stark aus, bedrängen die einheimische terschrift unter das Aichi-Protokoll in Wirkung der Freisetzungsverordnung Flora und Fauna oder sind sogar ge- Nagoya verpflichtet, invasive gebiets- bescheiden. Zumal es für die Bekämp- sundheitsgefährdend. Diese Problem- fremde Arten zu kontrollieren oder zu fung vieler häufig verwendeter Arten pflanzen und Problemtiere bezeich- beseitigen, sowie präventive Mass- an Akzeptanz fehlt. Bislang scheint net man als invasive Neobioten. In nahmen zu ergreifen. 2008 wurde die sich nur einer konsequent an die Ver- der Schweiz hat es einige davon: Das Freisetzungsverordnung (FrSV) revidiert ordnung zu halten: Der Amerikanische Drüsige Springkraut oder der Japani- und in der Schweiz eine rechtliche Ochsenfrosch (Rana catesbeiana). Er sche Knöterich sind den meisten schon Grundlage für den Umgang mit Neo- ist im Anhang der Verordnung als ver- einmal begegnet, mit dem Asiatischen bioten geschaffen. Allerdings hat der botene Art aufgeführt und nimmt das Marienkäfer oder dem Buchsbaum- Bund bis heute noch keine nationale offenbar so ernst, dass er erst gar nicht zünsler hatten viele auch schon Kon- Strategie vorgelegt, so dass die Kanto- in die Schweiz eingewandert ist. takt. Diese invasiven Arten breiten sich ne das Thema ganz unterschiedlich und nicht zuletzt in Naturschutzgebieten nicht selten widersprüchlich angehen. stark aus. Die fremden Tier- und Pflan- In der Praxis wird das Thema ebenfalls zenarten stellen nach Ansicht von Bio- kontrovers diskutiert: Muss man wirk- logen die zweitwichtigste Bedrohung lich sämtliche Kirschlorbeerhecken aus- für die weltweite Artenvielfalt dar, reissen und in der Kehrichtverbrennung gleich nach dem Lebensraumverlust. entsorgen? Ist Aushubmaterial, das Samen von Neophyten enthält, wirklich eine Art Sondermüll? Kann man Trilliar- den Asiatische Marienkäfer überhaupt noch ausrotten? Redaktion: Markus Rediger (mr), Michael Wahl (mw), Jonas Ingold (ji) | redaktion@lid.ch Das Dossier erscheint sechsmal pro Jahr | Online-Archiv unter www.lid.ch
Neobioten 3 Inhalt Bedrohung durch gebietsfremde Arten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Stichtag: 31. Dezember 1492 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2. Einheimische und eingewanderte Pflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.1 Situation in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2.2 Neophyten weltweit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.2.1 Von der Zierde zum Monster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.3 Merkmale invasiver Pflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2.4 Neophyten als Nutzpflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2.4.1 Futterpflanze Topinambur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2.5 Bei Bienen beliebt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2.5.1 Trachtpflanze Schmetterlingsstrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2.6 Probleme und Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2.6.1 Nicht Neo, trotzdem invasiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.7 Bekämpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3. Fremde Tiere: Neozoen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3.1 Waldschädlinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3.2 Eingeführt oder eingeschleppt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 3.3 Verbotene Lebewesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 3.3.1 Vom Gewächshaus ins Freie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 4. Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 4.1 Fehlende Strategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 4.2 Unkoordinierte Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 4.3 Akzeptanzschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 5. Die Schweiz ist keine Insel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 6. Literatur / Quellen / Links . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 LID Dossier Nr. 462 vom 8. Mai 2014
Neobioten 4 1. Stichtag: 31. Dezember 1492 Neophyten sind eigentlich nichts anderes als „neue Pflanzen“, und Neozoen sind „neue Tiere“. Neu ist dabei jeweils rela- tiv, denn diese Pflanzen und Tiere gibt es schon lange. Nur nicht bei uns, bzw. nicht in jenen Ländern, in denen sie sich als Neobioten ausbreiteten. Manche unter den Neuen sind sehr neu, das heisst sie wurden erst in den letzten Jahren bei uns gesichtet. Wie zum Beispiel der Asiatische Laubholz- bockkäfer (Anoplophora glabripennis), der 2011 erstmals in der Schweiz nachgewie- sen wurde. Oder das Erdmandelgras, das vor rund zehn Jahren hierzulande noch kein Problem darstellte. Andere Neobio- ten sind weniger neu, zum Beispiel der Höckerschwan oder der Kirschlorbeer, der schon seit Hunderten von Jahren seinen festen Platz in Tausenden von Gärten und öffentlichen Grünanlagen einnimmt. Um die Definition zu erleichtern, wann etwas Neo ist und wann nicht, hat man sich auf einen Zeitpunkt geeinigt: Es ist 1492 – das Jahr in dem Amerika entdeckt wurde. Seit- her haben die weltweiten Handelsströme Was nach der Ankunft von Christoph Kolumbus im Jahr 1492 in die Schweiz kam, gilt zugenommen. Mit ihnen traten auch zahl- als Neobiot. (PD) reiche Tiere und Pflanzen die Reise in eine für sie neue Welt an. Alles, was nach 1492 Arten auf. Er stellt darin aber auch 107 in die Schweiz kam, gilt als Neobiot. Problemarten vor: fünf Säugetiere, vier Die Einwanderer kamen auf verschie- Vögel, ein Reptil, drei Amphibien, sieben denen Wegen in die Schweiz: Manche Fische, vier Weichtiere, sechzehn Insekten, wurden bewusst eingeführt, sei es als sechs Krebstiere, drei Spinnen, zwei „Wür- Zierpflanze, zu Forschungszwecken oder mer”, sieben Pilze, ein Bakterium und 48 aus Liebhaberei. Andere kamen als blinde Pflanzen. Nicht alle von ihnen sorgen für Passagiere oder siedelten sich auf natürli- Ärger. Doch um diese Minderheit geht es che Weise bei uns an. Die meisten dieser in diesem Dossier. gebietsfremden Pflanzen und Tiere sind harmlos. Ein Bericht des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) aus dem Jahr 2006 über die gebietsfremden Arten der Schweiz listet über 800 etablierte gebietsfremde LID Dossier Nr. 462 vom 8. Mai 2014
Neobioten 5 2. Einheimische und eingewanderte Pflanzen Vor rund 2,6 Millionen Jahren waren grosse und Nutzpflanzen in botanische und priva- zen Liste“ werden jene invasiven Neophyten Teile Europas mit einer Eisschicht bedeckt. te Gärten. Viele dieser Arten waren auf die der Schweiz aufgeführt, die in den Bereichen Die meisten Pflanzenarten starben aus oder speziellen Bedingungen in Gewächshäu- Biodiversität, Gesundheit und Ökonomie zogen sich in die wenigen eisfreien Gebiete sern angewiesen, andere gediehen mühe- Schäden verursachen. Ihre Ausbreitung soll auf Berggipfeln und in südlichen Regionen los auch im Freiland. Einige Neophyten verhindert werden. Auf der „Watch-Liste“ zurück. Vor rund 16’000 Jahren, also nach wurden auch unabsichtlich verschleppt, werden weitere 20 Neophyten aufgeführt, der Eiszeit, verliessen die ersten Pflanzen meistens mit Sämereien. Die hohe Mo- die das Potential haben, Schäden zu verursa- diese Gebiete wieder. Zudem wanderten bili-tät und der rege globale Waren- und chen. Im benachbarten Ausland verursachen Steppenpflanzen aus dem Osten ein und Reiseverkehr haben diese Entwicklung einige dieser Arten bereits Schäden. Ihre siedelten sich in den eisfreien Regionen an. beschleunigt. Bestände sollen deshalb überwacht und Diese Pflanzenarten gehören inzwischen wenn nötig eingedämmt werden. alle zur einheimischen Flora. Invasive Neophyten Der Grossteil der gebietsfremden Pflan- Invasive gebietsfremde Neophyten sind zenarten in der Schweiz stammt aus Nord- Archäophyten nicht-einheimische Pflanzen, die sich in amerika, Asien und dem Mittelmeerraum. Als Archäophyten bezeichnet man Pflan- der Natur auf Kosten einheimischer Arten Eher wenige kommen aus Afrika, Australien zenarten, die vor 1492 – also vor den ausbreiten. Sie verursachen oft ökologi- oder Zentral- und Südamerika. Denn dort Neophyten – eingeführt wurden und sich sche, ökonomische und manchmal sogar herrschen andere klimatische Verhältnisse, hierzulande etablierten. Mit Ackerbau und gesundheitliche Probleme. Sie wurden in- so dass sich die Pflanzen, die dort gedeihen, Viehzucht gelangten z.B. etliche Arten wie vasiv, weil sie hierzulande entweder keine in Mitteleuropa eher schlecht zurecht- Klatschmohn, Kornblume, Echte Kamil- Feinde haben, oder andere Pflanzen durch finden. Biologische Invasionen werden le und Kornrade aus dem mediterranen die Abgabe von chemischen Substanzen in in Zukunft vermutlich noch zunehmen. Raum und den angrenzenden Gebieten ihrem Wachstum beeinträchtigen oder ganz Der Klimawandel und Landnutzungs- Südosteuropas und Westasiens nach Mit- einfach, weil sie übermässig von Klima- und Änderungen, wie auch die wachsende teleuropa. In der Antike wurden viele Ar- Landnutzungsänderungen profitieren. Globalisierung und der stets wachsende ten entlang von Handelsrouten verbreitet. weltweite Handel sowie Fernreiseverkehr Apfel- und Birnbäume kamen über die 2.1 Situation in der Schweiz leisten den Neophyten Vorschub. Seidenstrasse nach Griechenland und ge- In der Schweiz langten von dort in die Gärten der Römer, gibt es rund die diese Kulturpflanzen nach Mitteleuropa 2’600 ein- brachten. Archäophyten zählt man heute heimische ebenfalls zur einheimischen Flora obwohl Pflanzenarten sie ursprünglich eingeführt worden sind. und etwa 550 Neophyten. Neophyten Von den letzt- Neophyten sind dagegen Pflanzen, die erst genannten nach 1492 eingeführt wurden. Die Einfuhr gelten 24 war oft Absicht. Die Forscher sammelten Pflanzenarten auf ihren Überseereisen exotische Pflan- als invasiv. In zenarten und brachten diese dann als Zier- der „Schwar- Herkunft gebietsfremder Pflanzenarten in der Schweiz Quelle: Botanischer Garten Bern, 2012 LID Dossier Nr. 462 vom 8. Mai 2014
Neobioten 6 2.2 Neophyten weltweit Eingeschleppte, gebietsfremde Pflanzen und Tiere sind nicht nur in der Schweiz ein Problem, sondern kommen weltweit vor. Die Weltnaturschutzunion (IUCN) hat eine Liste der weltweit 100 schlimmsten invasi- ven Organismen erstellt. Dazu zählen auch Pflanzen und Tiere, die in Europa einhei- misch sind – aber auf anderen Kontinenten ein grosses Problem darstellen. Besonders grosse Probleme verursa- chen invasive Pflanzen in tropischen und warmen Regionen mit sensiblen Ökosys- temen, sowie auf Inseln und in Bergregio- nen, welche aufgrund einer langandau- ernden geographischen Isolation viele en- demische Arten beherbergen, also Arten, die nur dort vorkommen. Etliche invasive Neophyten anderer Länder haben ihre ur- sprüngliche Heimat in der Schweiz oder Die 100 gefährlichsten invasiven Neobioten. (IUCN) in Mitteleuropa. Sie verhalten sich bei uns unauffällig und leben hier mit anderen Neophyten vor, denn dort herrscht ein bio- Weiden oder Ruderalflächen (z.B. Kiesplatz Arten im Gleichgewicht. In anderen Teilen logisches Gleichgewicht. Gestörte Lebens- oder Wegrand) werden dagegen besonders der Welt treten sie dagegen als Invasoren räume wie Sekundärwälder, Plantagen, häufig von invasiven Neophyten dominiert. auf und werden berühmt-berüchtigt oder so- gar hochproblematisch wie z.B. der Blutwei- 2.2.1 Von der Zierde zum Monster derich (Lythrum salicaria) in Nordamerika, Das Wandelröschen (Lantana camara) ist in der Region Kolumbien bis Mexiko heimisch. Australien und Neuseeland, die Dach-Trespe Dort wird der Strauch über vier Meter hoch und blüht und fruchtet ganzjährig. Im 18. (Bromus tectorum) in Nord- und Südameri- Jahrhundert wurde das Wandelröschen nach Europa gebracht und in Gewächshäusern ka, Südafrika und Australien oder das Echte kultiviert. Ab dem 19. Jahrhundert verkaufte man die attraktive Garten- und Hecken- Johanniskraut (Hypericum perforatum) in pflanze in die ganze Welt. Auch in der Schweiz werden Wandelröschen als Zierpflanzen Nordamerika, Südafrika und Australien. angeboten. Tropische Inseln, wie La Réunion, die 1841 gelangte die Pflanze in den Botanischen Garten von Adelaide in Australi- Seychellen und Hawaii, deren einheimische en, von wo es verwilderte und sich 20 Jahre später im Freien etablierte. Der Strauch Pflanzenwelt sich über lange Zeit isoliert wuchert stark, bildet dichte Bestände und verdrängt teilweise die gesamte natürliche entwickelt hat, sind stark betroffen. Ein- Vegetation. Ausser den reifen Beeren ist die ganze Pflanze giftig. In über 60 Ländern ist geschleppte Neophyten wie Riesenschilf, das Wandelröschen inzwischen ein gefürchteter invasiver Neophyt. Kleine Populationen Schmetterlingsingwer, Wassersalat oder die können durch sorgfältiges Ausgraben beseitigt werden, doch bei grösseren Beständen dickstielige Wasserhyazinthe prägen dort ist eine Bekämpfung nahezu unmöglich. Versuche mit biologischer Schädlingsbekämp- grossflächig das Landschaftsbild. Sie ha- fung schlugen bislang fehl, obwohl über 40 Insektenarten gegen diese Pflanze einge- ben etliche alteingesessene Pflanzenarten setzt wurden. In letzter Zeit lassen Versuche mit pilzlichen Krankheitserregern hoffen, verdrängt. In ungestörten Regenwäldern sie scheinen die Pflanzen schwächen zu können. kommen dagegen kaum Invasionen durch Quelle: Global invasiv species database, IUCN LID Dossier Nr. 462 vom 8. Mai 2014
Neobioten 7 2.3 Merkmale invasiver • sich vegetativ über Ausläufer vermehren, 2.4 Neophyten als Pflanzen • deren Samen sich mit Wind oder Wasser Nutzpflanzen Wie sehr sich gebietsfremde Pflanzen in verbreiten kann, Seit Jahrtausenden bringt der Mensch ihrer neuen Umgebung etablieren hängt • oder die vom Menschen verbreitet bewusst Nutz- und Nahrungspflanzen in von allerhand Faktoren ab, nicht zuletzt werden, z.B. als Zierpflanzen oder als neue Gebiete. So brachten beispielswei- von den Eigenschaften der betreffenden Bienenweide. se die Römer vor rund 2’000 Jahren die Pflanzen. Besonders erfolgreich in Sachen Edelkastanie (Castanea sativa) oder den Ausbreitung sind jene Pflanzen die Die Beobachtung der Bestandsentwick- Echten Walnuss-Baum (Juglans regia) nach • geringe Ansprüche an die Umweltbe- lung und Ausbreitung bereits eingeführter Mitteleuropa und bereicherten damit unser dingungen stellen, invasiver Neophyten ist für Kontroll- oder Nahrungsangebot. Auch etliche Neophyten • schnell wachsen, Bekämpfungsmassnahmen wichtig. Eigene wurden absichtlich eingeführt. Die meisten • viel Samen produzieren, Fundmeldungen können der InfoFlora mit- dienen in der Landwirtschaft als wertvolle • eine hohe Keimrate haben, geteilt werden (www.infoflora.ch). Nahrungspflanzen und überleben nur dank • Licht, Wasser und Nährstoffe besonders der jährlichen Aussaat, wie z.B. die Kar- effizient nutzen, toffel oder die Sonnenblume. Einige Neo- • giftige Stoffe absondern, die andere phyten, die als Nutzpflanzen eingeführt Pflanzenarten beeinträchtigen, wurden, schafften jedoch den Sprung in • hohe Regenerationsfähigkeit haben, also die freie Natur, etablierten sich und wur- z.B. aus kleinsten Wurzelstücken wieder den invasiv wie z.B. das Erdmandelgras, die ausschlagen können, Vielblättrige Lupine, die Topinambur oder die Armenische Brombeere. Die Wege von invasiven Neophyten sind vielfältig und haben wegen der Globalisierung noch zugenommen. Quelle: Botanischer Garten Bern, Broschüre „Schöne neue Pflanzenwelt?”, 2012 LID Dossier Nr. 462 vom 8. Mai 2014
Neobioten 8 2.4.1 Futterpflanze Topinambur 2.5.1 Trachtpflanze Topinambur (Helianthus tuberosus) ist eng mit der Sonnenblume verwandt. Die ausdau- Schmetterlingsstrauch ernde Staude wird rund drei Meter hoch. Bei den Indianern Mittel- und Nordamerikas Der Sommerflieder oder Schmetterlings- war die „Sonnenknolle“ eine wichtige Kulturpflanze, die als Gemüse und Viehfutter strauch (Buddleja davidii) ist eine belieb- verwendet wurde. 1607 gelangte sie als Kulturpflanze nach Paris und in der ersten te, weil anspruchslose Gartenpflanze. Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde sie in verschiedenen Teilen Europas kultiviert. Bis Der Strauch kommt ursprünglich aus heute wird Topinambur als Gartenpflanze, Bienenweide, als Viehfutter, zur Produktion China. Er besiedelt aber auch Pionier- von Schnaps und als nachwachsender Rohstoff angebaut. standorte und Auengebiete. Er kann An Flussufern kann Topinambur Reinbestände bilden. Die oberirdischen Triebe ster- dichte Bestände bilden und damit im ben im Winter ab, die Böschungen sind dann vegetationsfrei und der Erosion ausge- Wald das Aufkommen von Naturverjün- setzt. Weil die Knollen von Tieren ausgegraben werden, erhöht sich die Erosionsgefahr. gung verhindern. Sein Ausbreitungspo- Topinambur steht im Verdacht, invasiv zu werden und ist deshalb auf der Watch-Liste tenzial ist hoch, der Samen kann über aufgeführt. grosse Distanzen transportiert werden. Quelle: Infoflora 2012 Der Handel mit Buddleja ist nicht verboten. Man sollte aber Vorsichts- 2.5 Bei Bienen beliebt einheimische Alternativen auszuweichen, massnahmen walten lassen, um seine Einige Neophyten wurden und werden als die etwa zur gleichen Zeit blühen und mit Ausbreitung zu verhindern. Dazu sollte Bienenweide kultiviert, d.h. sie werden den den Neophyten bezüglich Nektar- und man die Blütenstände vor der Samen- Bienen zuliebe angebaut oder zumindest Pollenproduktion mithalten können. reife abschneiden, hohe Sträucher zu- gefördert. Trachtpflanzen sind Pflanzen, die Das ist nicht immer möglich, bei drei rückschneiden und Pflanzenteile mit of- besonders viel Nektar und Pollen produzie- Neophyten steht nämlich kein gleichwer- fenen Samenkapseln und Wurzelteile in ren und deswegen von den Honigbienen tiger einheimischer Ersatz zur Verfügung. geschlossenen Behältern dem Kehricht häufig angeflogen werden. Das bringt die Das ist die Syrische Seidenpflanze (Asc- zuführen. Junge Pflanzen lassen sich Imker in Clinch: Einerseits wollen sie ihren lepias syriaca), der Sommerflieder oder ausreissen. Grössere Sträucher müssen Bienen Nahrung bieten und auf der ande- Schmetterlingsstrauch (Buddleja davidii) mit den Wurzeln ausgegraben werden, ren Seite die Natur schützen. und die Paulownie oder Blauglockenbaum da sich der Sommerflieder auch über Gemäss Freisetzungsverordnung sind (Paulownia tomentosa). Hier werden an- unterirdische Ausläufer ausbreitet. folgende Trachtpflanzen verboten: Riesen- dere, nicht einheimische Arten als zweit- Quelle: Unternehmerverband der Gärtner Schweiz, Jardin Suisse Bärenklau (Heracleum mantegazzianum), beste Lösung empfohlen. Drüsiges Springkraut (Impatiens glandulife- ra), Asiatische Staudenknöteriche (Polygo- 2.6 Probleme und Gefahren • Erdmandelgras, Ausläuferbildendes Fett- num spp. und Reynoutria spp.), Essigbaum Die Probleme und Gefahren durch invasive kraut und Ostasiatischer Beifuss verur- (Rhus typhina) und Amerikanische Goldru- Neophyten sind vielfältig. Sie betreffen so- sachen wirtschaftliche Schäden durch ten (Solidago canadensis und S. gigantea). wohl den Menschen als auch Ökosysteme: Ertrags- und Qualitätseinbussen in der Noch nicht verboten, aber als invasiv gel- • Pflanzen wie Ambrosia, Mahonie oder Land- und Forstwirtschaft, ten vier Trachtpflanzen in der Schwarzen Riesen-Bärenklau gefährden durch Aller- • Götterbaum, Paulownie und Stauden- Liste und sieben, die in der Watch-Liste gien oder Gifte zum Beispiel die men- knöteriche schädigen Bauten, verursa- aufgeführt sind. Gerade der Schmetter- schliche Gesundheit, chen Mehrkosten beim Unterhalt von lingsbaum, das Drüsige Springkraut oder • Staudenknöteriche, Amerikanische Gold- Strassen, Gleisanlagen, Uferböschungen das Japanische Geissblatt sind bei Bienen ruten, Robinie und Kopoubohne ver- und Grünanlagen, sehr beliebt. Diese Arten sollten trotzdem drängen einheimische Arten und verrin- • Dickstielige Wasserhyazinthe oder Was- nicht mehr als Trachtpflanzen angepflanzt gern durch ihre Konkurrenz um Raum, sersalat beeinträchtigen die Jagd und werden. Stattdessen wird empfohlen auf Nährstoffe und Licht die Artenvielfalt, Fischerei, LID Dossier Nr. 462 vom 8. Mai 2014
Neobioten 9 • in Grossbritannien kreuzen sich Greis- 2.6.1 Nicht Neo, trotzdem invasiv kräuter oder Schilfrohr mit einheimi- Es gibt nicht nur fremde, sondern auch schen Populationen, was zu einem einheimische Pflanzen, die lokal so massiv Verlust der genetischen Diversität ein- auftreten, dass sie sich unbeliebt machen. heimischer Arten und zur Bildung gänz- Dazu gehört z.B. das Jakobskreuzkraut. Wie lich neuer Arten führt. die meisten Kreuzkräuter ist es für Pferde, Rinder, Kühe und Schafe stark giftig. Es Die Ausbreitung gebietsfremder Arten er- breitet sich vor allem in Ökoflächen aus. Christian Fischer/CC BY-SA 3.0 folgt fast immer unbewusst. Deshalb ist Die spätblühende Art profitiert nämlich vom Aufklärung wichtig. Die weitere Ausbrei- späten Schnittzeitpunkt. Auch Rationalisie- tung gebietsfremder Arten liesse sich ver- rungs- und Ökologisierungsmassnahmen im hindern, wenn Privatleute oder betroffene Strassen- und Bahnunterhaltsdienst haben Berufsgruppen wie Land- und Forstwirte, dazu beigetragen, dass das Jakobskreuz- Gärtner, Strassenbauer und Imker bewuss- kraut ungehindert versamen und sich in ter mit ihnen umgehen würden: Dazu ge- landwirtschaftlich genutzten Flächen ausbreiten kann. Die ganze Pflanze ist stark giftig. hört zum Beispiel der Verzicht auf Pflan- Die Giftstoffe (Alkaloide) wirken auch noch im Heu und in der Silage. Die junge Pflanzen zen, die auf der Schwarzen Liste und der sind am giftigsten. Die meisten Tiere fressen auf der Weide zwar kein Jakobs-Kreuzkraut, Watch-Liste stehen. Nicht überall, aber in vor allem junge Tiere „wissen“ aber noch nicht, dass die Pflanze giftig ist, und fressen den meisten Fällen stehen geeignete Alter- sie im Rosettenstadium. Im Heu oder der Silage können die Tiere nicht mehr wählen, da nativ-Pflanzen zur Verfügung. Wenn keine fressen sie die Pflanze immer mit. Die Vergiftung kann zum Tod führen. Bei chronischer Gartenabfälle mehr in der Natur entsorgt Vergiftung bestehen nur sehr geringe Heilchancen. Die Tiere verenden manchmal erst würden, liessen sich die Invasionen eben- nach mehreren Monaten. falls besser im Schach halten. Und last, but Quelle: Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Futterbaues (AGFF) not least liesse sich die unbeabsichtigte Ausbreitung von gebietsfremden Arten reduzieren, wenn weniger Erde zusammen vernichtete Pflanzenmaterial fachgerecht aus, um die Keimfähigkeit zu unterbinden. mit Samen und Pflanzenteilen von invasi- entsorgt wird und dass der Ort, wo Neo- Arbeitsgeräte wie Traktoren oder Maschi- ven Pflanzen verschoben würde. phyten eliminiert worden sind, rasch wie- nen sollte man nach dem Einsatz reinigen, der mit einheimischen Ersatzpflanzen oder um die Ausbreitung von Samen oder Pflan- 2.7 Bekämpfung anderen geeigneten Arten angesät oder zenteilen zu vermeiden. Die Bekämpfungsmassnahmen unterschei- bepflanzt wird. Anschliessend sollte der Ort Herbizide stellen nur selten eine Lösung den sich je nach Pflanzenart. Ambrosia, einige Jahre überwacht werden. dar. Auch die biologische Kontrolle von Neo- Riesen-Bärenklau, Drüsiges Springkraut, Eine Massnahme ist z.B. das sorgfälti- phyten durch die Ausbringung natürlicher Essigbaum, Schmalblättriges Kreuzkraut ge Ausgraben und Entsorgen der gesamten Gegenspieler, wie Frassfeinde oder Parasi- und alle Staudenknöterich- Arten sollten Pflanze. Dabei müssen sämtliche Triebe ten, ist riskant. Meistens werden von diesen wenn möglich überall bekämpft werden; und Wurzelstücke vollständig entfernt nämlich auch einheimische Arten befallen. bei anderen Arten, wie z.B. Schmetter- werden. Stockausschläge (erneutes Aus- Solche Methoden wurden bislang vor allem lingsstrauch, Kirschlorbeer, Robinie, Seidi- treiben) müssen so lange entfernt werden in Nordamerika und Australien praktiziert. ger Hornstrauch oder den Amerikanischen bis die Pflanze keine Kraft mehr hat neue Goldruten sollte von Fall zu Fall entschie- zu bilden. Sämtliche Blütenstände sollten den werden. Bei gesundheitsgefährden- vor der Fruchtbildung oder Samenreife ent- den Neophyten muss man sich während fernt und mit dem Kehricht entsorgt wer- der Arbeit schützen. Wichtig ist, dass das den. Kompostieren reicht in der Regel nicht LID Dossier Nr. 462 vom 8. Mai 2014
Neobioten 10 3. Fremde Tiere: Neozoen Das Pendant zu den Neophyten im Pflan- zenreich, sind die Neozoen der Tierwelt. Bei ihnen handelt es sich um Tiere, die eben- falls erst seit der Entdeckung Amerikas (1492) bei uns vorkommen. Die meisten von ihnen sind harmlos. Etwa ein Vier- tel der 510 in der Schweiz beobachteten Vogelarten sind gebietsfremd. Darun- ter auch der Höckerschwan oder Kor- moran. Auch an andere Neozoen hat man sich längst gewöhnt, wie z.B. die Regenbogenforelle. Nur wenige Tierarten verhalten sich invasiv: Sie verwildern, breiten sich stark Der Kamberkrebs ist in Europa mittlerweile stark verbreitet und verdrängt einheimische Krebsarten. Im Bild ein Exemplar im Bodensee. (Astacoides/CC BY-SA 3.0) aus und bedrängen die einheimische Fau- na. Bestimmte Neozoen sind gefährlich ser lebende invasive Art ist die Wander- Schweiz im letzten Jahrzehnt millionen- für unsere Gesundheit, andere schleppen muschel: Sie stammt ursprünglich aus der schwere Bekämpfungsprogramme nötig. Krankheiten und Parasiten ein oder richten Gegend des Kaspischen und Schwarzen Während der Buchdrucker zu den einheimi- wirtschaftlichen Schaden an, wie zum Bei- Meeres. Sie kann Leitungen verstopfen und schen Schadorganismen zählt, gehört der spiel der Kartoffelkäfer. Früher hat er gan- den Schiffsverkehr behindern. Unterhalb Feuerbrand zu den eingeschleppten „be- ze Ernten vernichtet. Heute wird er dank der Schiffsschleuse Port bei Biel mussten sonders gefährlichen Schadorganismen”. Insektiziden und anderen Massnahmen in z.B. einmal tausend Kubikmeter Muschel- Ein erhebliches Schadenspotenzial für den Schach gehalten. schalen ausgebaggert werden. Auch der Schweizer Wald respektive für hiesige Wald- Die Neozoen werden meistens weniger Buchsbaumzünsler gehört streng genom- bäume und -sträucher stellen auch der beachtet als die Neophyten. Das liegt ver- men zu den invasiven Neozoen. Das Grau- pilzähnliche Organismus Phytophthora ra- mutlich daran, dass viele von ihnen klein hörnchen oder die Schwarzkopfruderente morum, der Asiatische Laubholzbockkäfer sind. Es handelt sich oft um Wassertiere bereiten Naturschützern und Behörden (Anoplophora glabripennis Motschulsky), oder Insekten. 1994 hatte sich die Biomas- zunehmend Kopfzerbrechen, mehr als das der Citrusbockkäfer, der Kiefernholznema- se der Kleintierwelt am Rheingrund z.B. im Wallis eingewanderte Mufflon oder der tode (Bursaphelenchus xylophilus) oder noch zu mehr als 90 Prozent aus einheimi- Sika-Hirsch, der sich am Randen im Kanton die Edelkastaniengallwespe (Dryocosmus schen Arten zusammengesetzt. Heute sind Schaffhausen tummelt. kuriphilus) dar. Um den Schweizer Wald die Verhältnisse ziemlich genau umgekehrt, vor schädlichen Auswirkungen durch be- wie eine Untersuchung im Jahr 2005 ergab. 3.1 Waldschädlinge sonders gefährliche Schadorganismen zu Amerikanische Flusskrebse wie der Manche Insekten, Fadenwürmer (Nemato- schützen, ist deren Einschleppung und Kamberkrebs brachten z.B. den einheimi- den), Phytoplasmen, Bakterien, Pilze, Viren Ausbreitung zu verhindern. Die Holzschäd- schen Flusskrebs in Not, weil sie die Krebs- und Viroide bedrohen Waldbäume und linge werden oft mit Holzverpackungen pest einschleppten. Sie sind gegen diese -sträucher innerhalb und ausserhalb des und Paletten eingeschleppt. Deswegen Pilzkrankheit immun, die heimischen Arten Waldes. Beispiele besonders gefährlicher wurde ein internationaler Standard für sind es nicht. Dieser Umstand hat lokal be- und gefährlicher Schadorganismen sind pflanzengesundheitliche Massnahmen für reits zum Verschwinden des einheimischen der Buchdrucker („Borkenkäfer”) und der Holzverpackungsmaterial geschaffen. Wei- Flusskrebses geführt. Eine andere im Was- Feuerbrand. Beide Fälle machten in der tere Möglichkeiten für die Einschleppung LID Dossier Nr. 462 vom 8. Mai 2014
Neobioten 11 und Verbreitung sind der Handel mit befal- Die meisten eingeführten Arten brauchen lenem Pflanzen, mit Pflanzenmaterial (z.B. lange Zeit, bis sie sich stark ausbreiten Rinde, Samen) oder die Mitreise als „blinde und überhaupt als Problemart registriert Passagiere” an und in Transportmitteln. werden. Diese Verzögerungen machen Vor- hersagen über die invasiven Eigenschaften 3.2 Eingeführt oder von gebietsfremden Arten schwierig. Eine eingeschleppt Art, die heute keinerlei Schaden anrichtet, Man unterscheidet versehentlich einge- kann im Zusammenhang mit anderen welt- schleppte Arten und bewusst eingeführte weiten Veränderungen morgen dennoch zu Arten. Die meisten aquatischen und terres- einer Problemart werden. trischen Wirbellosen und Krankheiten wur- den versehentlich eingeschleppt, während 3.3 Verbotene Lebewesen Pflanzen und Wirbeltiere meist eingeführt Laut der Freisetzungsverordnung ist in worden sind. 15 der 20 Neophyten auf der der Schweiz der Umgang mit drei Arten „Schwarzen Liste“ wurden als Zierpflanzen verboten: Der asiatische Marienkäfer, die eingeführt und 35 der 37 Wirbeltiere wur- Rotwangen-Schmuckschildkröte und der de ebenfalls bewusst importiert, meistens Amerikanische Ochsenfrosch. Wie die mit der Begründung die Landschaft mit Rotwangen-Schmuckschildkröte frisst Zierpflanzen und Wasservögeln „berei- auch der Ochsenfrosch alles, was er erbeu- chern“ zu wollen. ten kann, auch einheimische Amphibien. Eine indirekte Einführung kann bei- Diese Arten haben bei uns keine natürli- spielsweise durch den Bau eines Kanals ge- chen Feinde. schehen, eine direkte Einführung wiederum kann bewusst (Import) oder versehentlich (Einschleppung) erfolgen. Einführungen 3.3.1 Vom Gewächshaus ins Freie können von einer Schweizer Region in eine Der Asiatische Marienkäfer (Harmonia axyridis) wurde ursprünglich zur biologischen andere oder vom Ausland in die Schweiz Bekämpfung von Blattläusen in Gewächshäusern eingeführt. Von dort hat der Winzling stattfinden, wobei die für eine Art zuvor den Weg nach draussen gefunden. Heute ist er fast überall. Er ist mit 6-8 mm Län- unüberwindbaren Hindernisse bezwungen ge etwas grösser als die meisten einheimischen Marienkäfer und hat eine M-förmige werden. Das für die Arten der Schweiz Zeichnung auf seinem Halsschild. offensichtlichste natürliche Hindernis sind Der kleine Käfer ist sehr aggressiv und verdrängt die einheimischen Marienkäfer. die zwischen dem Tessin und den übrigen In vielen Gegenden findet man heute praktisch keine einheimischen Marienkäfer mehr. Landesteilen gelegenen Alpen, aber auch Der Asiat frisst unter anderem Weintrauben, verkriecht sich darin und hinterlässt einen die diversen Wasserscheiden zwischen unangenehmen Geschmack. Ein Asiatischer Marienkäfer auf ein Kilogramm Trauben ge- der Nordsee, dem Schwarzen Meer und nügt, um den Wein ungeniessbar zu machen! dem Mittelmeer. Zur Überwinterung versammelt sich oft eine grosse Anzahl Käfer in Häusern. Ihre Zur bewussten Einführung zählen alle Ausdünstungen können bei empfindlichen Leuten Nasenschleimhautentzündungen vom Menschen absichtlich vorgenommene verursachen. Zur Bekämpfung können die Käfer mit einem Staubsauger aufgesaugt Einführungen einer Art in ein neues Gebiet. und der Staubsack anschliessend für mehrere Stunden in den Tiefkühler gelegt werden. Auch der Import von Arten, die in geschlos- Quelle: www.neozoen.ch, 2014 senen Lebensräumen wie beispielsweise in Aquarien oder Zoos gehalten werden. LID Dossier Nr. 462 vom 8. Mai 2014
Neobioten 12 4. Rechtliche Grundlagen Die Schweiz hat sich 2010 mit der Unter- schrift unter das Aichi-Protokoll in Nagoya verpflichtet, invasive gebietsfremde Arten zu kontrollieren oder zu beseitigen, sowie präventive Massnahmen zu ergreifen. Als Ziel für den Umgang mit diesen Arten ist dort Folgendes festgehalten: „Bis 2020 sind die invasiven gebietsfremden Arten und ihre Einschleppungswege identifiziert und nach Priorität geordnet. Als prioritär eingestufte Arten sind unter Kontrolle oder beseitigt und Massnahmen zur Überwachung der Einfalls- wege ergriffen, um eine Einschleppung und Ansiedlung zu verhindern.“ Die 2008 revidierte Freisetzungsver- ordnung (FrSV) bildet dazu die wichtigste rechtliche Grundlage. Aber auch das Um- weltschutzgesetz schreibt eine allgemei- ne Sorgfaltspflicht vor. Das Natur- und Heimatschutzgesetz regelt zudem das Aus- Die Aufrechte Ambrosia kann schwere Allergien verursachen. (Brunga Parlagfu/CC BY-SA 3.0) setzen von fremden Tier- und Pflanzenarten und verlangt eine Bewilligung. Die Futter- die Artenvielfalt erhalten wird. Mit dem In- Säugetiere und Vögel (Jagdverordnung JSV, mittelbuch-Verordnung verlangt beispiels- krafttreten der Verordnung Anfang Oktober ab 2012) verboten sind, dann existierten im weise seit März 2005, dass Vogelfutter 2008 sind in der Schweiz die Vermehrung, Jahr 2012 in der Schweiz 27 verbotene in- im Handel frei von Samen der Aufrechten die Freisetzung und der Handel von 16 vasive gebietsfremde Organismen. Weil aber Ambrosia (Ambrosia artemisiifolia) sein Pflanzen- und drei Tierarten verboten (sie- die Sorgfaltspflicht gilt, sind auch Arten, die muss. Die Pflanzenschutzverordnung zum he Liste im Anhang). Das heisst, dass diese nicht in diesen Verordnungen aufgeführt Landwirtschaftsgesetz schreibt zusätzlich Arten nicht gehalten, gepflanzt, vermehrt, sind, von den Bestimmungen betroffen. Das eine Melde- und Bekämpfungspflicht für verkauft, verschenkt, transportiert oder gilt z.B. für alle Arten der Schwarzen und die Aufrechte Ambrosia vor. irgendwie genutzt werden dürfen. Ausser- Watch-Liste, obwohl einige davon weiterhin dem darf Bodenaushub, der mit Neophyten im Handel erhältlich sind. Wer mit invasiven 4.1 Fehlende Strategie gemäss der Verordnung belastet ist, nur Arten handelt – ob wissentlich oder unwis- In der Freisetzungsverordnung steht, dass am Entnahmeort verwendet werden. Kon- sentlich – kann unter Umständen haftbar dem Bund eine strategische Aufgabe beim kret bedeutet das, dass das entsprechende gemacht werden. Umgang mit gebietsfremden Organismen Material als Altlast gilt und am selben Ort Problematisch ist bereits der Transport: zukommt, während die Kantone für die wieder eingebaut werden muss. Wer Neophyten entsorgen will und dazu rei- Umsetzung zuständig sind. Als Ziel ist de- Zählt man die Arten hinzu, die gemäss fe Pflanzen mit Samen z.B. auf einem Pickup finiert, dass die Verdrängung einheimischer Verordnung zum Bundesgesetz über die Fi- eines Fahrzeugs transportiert wird diese da- Arten eingedämmt, die Gesundheit von scherei (VBGF, ab 2011) und der Verordnung mit eher verbreiten, denn ihre Ausbreitung Mensch, Tier und Umwelt geschützt und über die Jagd und den Schutz wildlebender verhindern. Die Kompostierung reicht in vie- LID Dossier Nr. 462 vom 8. Mai 2014
Neobioten 13 len Fällen nicht aus, um die Samen und Rhi- anderen Kantone ergreifen zwar auch soll. Während einzelne Kantone aufgrund zome abzutöten. Höchste Vorsicht ist beim Massnahmen, aber ohne eine Strategie zu der Freisetzungsverordnung eine Bekämp- Umgang mit Asiatischen Knötericharten, mit verfolgen. Es fehlt an klaren Zielsetzungen, fungspflicht für ausgewählte Arten prokla- Erdmandel und Ambrosia geboten. einer Priorisierung der zu bekämpfenden mieren, herrscht mehrheitlich die Meinung invasiven Arten sowie an einer Definition vor, dass von der Freisetzungsverordnung 4.2 Unkoordinierte von Lebensräumen, in welchen die knap- keine Bekämpfungspflicht abzuleiten ist.” Aktivitäten pen finanziellen Mittel prioritär eingesetzt Nach wie vor fehlt eine für alle Kantone werden sollen. Oft werden z.B. häufigere 4.3 Akzeptanzschwierigkeiten verbindliche Strategie. Obwohl die Freiset- Arten in grossflächigen Beständen mit Es stellt sich zudem die Frage, was das Ziel zungsverordnung schon mehr als sechs Jah- grossem Aufwand und dem Ziel der voll- sein soll. Einige weitverbreitete Arten kön- re in Kraft ist, gibt es keinerlei verbindliche ständigen Elimination bekämpft, während nen praktisch nicht mehr ausgerottet wer- Handlungsanweisungen für die Kantone. auf die effizientere Kontrolle kleiner, isolier- den. Ohnehin erscheint die Artenliste in der Beim BAFU war auch nicht in Erfahrung zu ter Bestände verzichtet wird. Das kommt Freisetzungsverordnung reichlich zufällig. bringen, wann eine solche Strategie vorlie- einer Sisyphusarbeit gleich. Manche Kan- Warum z.B. die Rotwangen-Schmuckschild- gen wird. Die fehlende Strategie auf Stufe tone bekämpfen invasive Neophythen ent- kröte (Trachemys scripta elegans) in der Bund sorgt vor allem in Umweltschutzkrei- lang von Fliessgewässern, während andere Freisetzungsverordnung als verbotene Art sen zunehmend für Kritik. So bemängelt Kantone an den Oberläufen derselben Ge- aufgeführt ist, ist nicht klar. Sie kommt zwar Pro Natura zum Beispiel, dass die schlechte wässer nichts unternehmen. Ein nachhalti- in der Schweiz vor, kann sich aber in der Koordination und fehlende Prioritätenset- ger Erfolg wird damit verunmöglicht. Rund freien Natur nicht vermehren, sie geht im zung von Bund und Kantonen dazu führe, die Hälfte der Befragten führen zudem Winter ein. Der Amerikanische Ochsenfrosch dass mehr als die Hälfte der Bekämpfungs- keine regelmässigen und längerfristigen ist gar nicht erst eingewandert. Die Asiati- massnahmen gegen invasive, gebietsfrem- Nachkontrollen durch. schen Marienkäfer sind inzwischen so weit de Pflanzenarten als ineffektiv bezeichnet Pro Natura kommt zum Schluss, dass verbreitet, dass eine Ausrottung sinnlos er- werden müssten. Und der Schweizer Vogel- jährlich mindestens neun Millionen Fran- scheint. schutz und seine Mitgliedsorganisationen ken zur Neophytenbekämpfung vergebens Problematisch ist zudem der Handel fordern von den zuständigen Behörden, dass eingesetzt werden. Die Umweltorganisati- mit Haustieren (vor allem Aquarium und sie endlich konsequent dafür sorgen, dass on bemängelt zudem, dass manche Arten Terrarium), der immer wieder dazu führt, die heimische Fauna bedrohende Bestände wie Sommerflieder, Robinie oder Kirsch- dass Tiere ausgesetzt werden. Oder der von eingeführten, nicht-einheimischen Vo- lorbeer nicht im Anhang der verbotenen, Handel mit Zierpflanzen wie dem Kirsch- gelarten entfernt werden. gebietsfremden Arten stehen. Diese Arten lorbeer, der nach wie vor auch in vielen Pro Natura hat 2011 in fünf Kantonen werden in rund einem Drittel der Kan- öffentlichen Anlagen gepflanzt wird. Die (BL, TG, UR, VD, ZH) alle betroffenen kanto- tone bekämpft, während sie gleichzeitig Bekämpfung von derart beliebten und weit nalen Verwaltungsstellen und lokale Akteu- schweizweit immer noch im Handel ver- verbreiteten Arten wird sich kaum erfolg- re auf Stufe der Umsetzung zum Umgang kauft werden. reich umsetzen lassen, da der Widerstand mit Neophyten befragt. Insgesamt gaben Günter Gelpke, der Präsident des gegen Massnahmen viel zu hoch ist. 55 Personen Auskunft. Alle Akteure ver- Schweizerischen Verbandes der Neobita- langten eine Koordination auf Basis einer Fachleute (SVNF) fasste das Problem in nationalen, mit dem benachbarten Ausland einem 2013 erschienenen Artikel wie folgt abgestimmten Strategie. Da die nationa- zusammen: „In weiten Teilen bleibt die le Strategie seit Jahren ausbleibt, haben Verordnung sybillinisch vage, so dass die in den letzten Jahren 9 von 26 Kantonen unterschiedlichsten Ansichten kursieren, ihre eigene kantonale Neobioten-Strategie was diese Verordnung letztlich bedeuten erarbeiten lassen (Stand Ende 2011). Alle könnte und wie sie umgesetzt werden LID Dossier Nr. 462 vom 8. Mai 2014
Neobioten 14 5. Die Schweiz ist keine Insel In Neuseeland ist die einheimische Vogel- welt von invasiven Neozoen beinahe aus- gerottet worden. Doch Neuseeland ist eine Insel – die Schweiz ist es nicht. In Europa verlaufen die Probleme mit invasiven Arten in der Regel weniger dramatisch. Bislang wurde durch die Anwesenheit fremder Tier- und Pflanzenarten noch keine einheimische Art vernichtet. Auch wenn sehr viele invasi- ve Neobioten dominant auftreten, bleiben sie meistens lokal. Kirschlorbeer breitet sich nicht in allen heimischen Wäldern aus. Studien über Schäden an Uferböschungen durch Neophyten fehlen. Und manche Probleme erweisen sich im Nachhinein als weniger dramatisch, als angenommen. Hält sich bisher ans Verbot: Der Nordamerikanische Ochsenfrosch wurde bisher noch nie in der Schweiz gesehen. (Jerry Oldenettel/CC BY-SA-NC 2.0) So hat sich z.B. die Zebramuschel, die mit der Schifffahrt eingeschleppt wurde, bei Solange der Bund nicht eine klare Stra- uns zwar rasch verbreitet und stellenweise tegie verfolgt und die Kantone die massenhaft vermehrt. Die Befürchtung, Verordnung nur halbherzig und vor dass dadurch die der angestammten Le- allem sehr unterschiedlich umsetzen, ist bensgemeinschaften verdrängt werden, der Nutzen der Freisetzungsverordnung ge- hat sich aber nicht bewahrheitet. Vielmehr ring. Bislang hält sich nur einer konsequent scheint die Zebramuschel eine geschätz- daran: Es ist der Amerikanische Ochsen- te Mahlzeit für viele Enten und andere frosch (Rana catesbeiana). Er ist im An- Wasservögel geworden zu sein, was die hang der Verordnung als verbotene Art Anzahl der Wintergäste um das Vierfa- aufgeführt und nimmt das offenbar sehr che gesteigert hat. Oder nehmen wir ernst. Denn er wurde hierzulande noch Ambrosia: Forscher der Universität Frei- nie gesehen. burg haben Anfangs Jahr im Tessin einen Ambrosia-Blattkäfer ausgemacht der von Süden her einwandert und radikal mit Ambrosia aufräumt. LID Dossier Nr. 462 vom 8. Mai 2014
Neobioten 15 6. Literatur / Quellen / Links Gebietsfremde Arten in der Schweiz Bundesamt für Umwelt, BAFU, 2006 Hotspot: Biodiversität und invasive Arten Forum Biodiversität Schweiz, Mai 2002 Die biologische Invasion Hrsg. Bundesamt für Umwelt, Umwelt 3/2006 Schöne neue Pflanzenwelt – Invasive Neophyten von der Schweiz bis in die Tropen Botanischer Garten Bern, 2012 Kosten und Defizite im Umgang mit invasiven, gebietsfremden Pflanzen in der Schweiz Pro Natura, 2012 Umgang mit invasiven Neophyten Günther Gelpke, Compostmagazine 3/13 Neophyten: Segen für die Bienen oder Albtraum der Natur? Schweizerische Bienen-Zeitung 09/2013 Verordnung über den Umgang mit Organismen in der Umwelt (Freisetzungsverordnung, FrSV) vom 10. September 2008 (Stand am 1. Juni 2012) www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20062651/index.html IUCN: 100 of the World’s Worst Invasive Alien Species www.issg.org/worst100_species.html Schweizerischer Verband der Neobiota - Fachleute www.neobiota.ch Invasive Neophyten Dreisprachige Informationsplattform vom Unternehmerverband der Gärtner Schweiz, Jardin Suisse www.neophyten-schweiz.ch LID Dossier Nr. 462 vom 8. Mai 2014
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