BESCHÄFTIGUNG 43 Erfolgsmodelle für Menschen mit Behinderungen - Wie Inklusion gelingt: Beispiele aus der Praxis
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BESCHÄFTIGUNG 43 Erfolgsmodelle für Menschen mit Behinderungen Wie Inklusion gelingt: Wie Unternehmen Arbeitsplätze Beispiele aus der Praxis für Menschen mit Behinderung schaffen IN KOOPERATION MIT
Chancengleichheit – unser Grundwert Erst die Vielfalt und die unterschiedlichen Begabungen und Stärken unserer MitarbeiterInnen machen unser Unternehmen erfolgreich. Daher: Werden auch Sie Teil unseres Teams und bewerben Sie sich jetzt. Wir suchen qualifizierte MitarbeiterInnen für die Zentralberei- che der REWE International AG. rewe-group.com/karriere
I N H A L T Mehr Ressourcen für die Inklusion: Spannende Gut für Moral und Business: Welche Chancen die Diskussion im Wiener „Haus der Philanthropie". Beschäftigung Behinderter für Unternehmen bietet. Cover 16 06 10 20 24 Gebärden- statt Lautsprache: In der Marienapotheke arbeitet ein gehörloser Apotheker äußerst erfolgreich. Eines von vier Porträts von Menschen mit Behinde- rung, die vermeintliche Einschränkungen Hightech gegen Barrieren: Innovationen machen Best Practice: Inklusion funktioniert zum Vorteil in beruflichen Erfolg umgemünzt haben. Menschen mit Behinderung das Leben leichter. von Unternehmen und Menschen mit Behinderung. V O R W O R T Arbeitsplätze für Menschen mit Behinde- das Zero Project (www.zeroproject.org) ins rung, speziell im ersten Arbeitsmarkt, sind Leben gerufen. Mit tatkräftiger Unterstüt- ein wichtiges gesellschaftliches Anliegen. zung der Tageszeitung „Die Presse“ wurde Mehr als . Menschen in Österreich die vorliegende Beilage „Beschäftigung – In- haben derzeit keine reale Chance auf einen klusion“ gestaltet, um Erfolgsbeispiele von Arbeitsplatz, obwohl sie gerne arbeiten gelungener Inklusion aus Österreich zu sam- möchten und unter den richtigen Rahmen- meln und vor den Vorhang zu holen. Mit Impressum bedingungen auch volle Leistung bringen. dem klaren Ziel, noch viel mehr heimische Umgekehrt entgeht Unternehmen ein rei- Arbeitgeber dazu zu motivieren, sich die Medieninhaberin und Herausgeberin: Essl Foun- ches Potenzial und eine Vielfalt an Talen- Frage zu stellen, ob Mitarbeiterinnen und dation, c/o Haus der Philanthropie, Schottenring ten. Die Gründe dafür sind uralte Vorbehal- Mitarbeiter mit Behinderung nicht auch für 16/3, 1010 Wien. Produktion: „Die Presse“-Verlags-GmbH & Co te, und ein Sozial- und Bildungssystem, das sie eine Bereicherung darstellen. KG, Hainburger Straße 33, 1030 Wien. nicht voll an Inklusion glaubt. Dabei gibt es Diese Publikation ist auch Teil des Projektes Geschäftsführung: Mag. Herwig Langanger, Dr. Rudolf Schwarz. unzählige Beispiele für gelungene Inklu- „Zero Project Unternehmensdialoge“, die die Umsetzung: „Die Presse“-Spezialredaktion, Mag. sion von Menschen mit Behinderung, die Essl Foundation gemeinsam mit Partnern in Astrid Müllner, Mag. Michael Köttritsch, MA. Koordination: Wolfgang Pozsogar, MMag. Da- Unternehmen und Organisationen nicht österreichischen Landeshauptstädten orga- niela Tomasovsky. nur aus sozialem „Gutes tun“, sondern auch nisiert und das vom Bundesministerium für Art Direction: Matthias Eberhart. Grafik/Produktion: Thomas Kiener, Christian aus handfesten betrieblichen Vorteilen, Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz ge- Stutzig, Patricia Varga, Viktoria Riegler, Alexan- FOTOS: BEIGESTELLT realisierten. fördert wird. der Schindler. Druck: DruckStyria GmbH & Co KG, Styriastraße Die Essl Foundation konzentriert sich in 20, 8042 Graz. ihrer Arbeit auf Innovationen, die Menschen Martin Essl, Die in diesem Magazin angeführten Informatio- nen zu den Best-Practice-Beispielen beruhen auf mit Behinderungen unterstützen, und hat Gründer der Essl Foundation Angaben der jeweiligen Unternehmen. Beschäftigung - Inklusion 3
Inklusion international Die inklusive Autoproduktion D ass Menschen mit Behinderungen her- vorragende Arbeit leisten können, be- weist ILUNION Automoción in Spanien. Das der neuen Ford-Modelle durchführen, die den hohen Standards des Automobilprodu- zenten entsprechen. ILUNION ist heute einer von der ONCE Foundation und Ford ins der leistungsfähigsten Zulieferer der spani- Leben gerufene Projekt ist Zulieferer von schen Autobranche. Die Mitarbeiter sind Ford Spanien. Ende wurden in mittler- für die Lagerverwaltung und pünktliche Lie- weile neun Produktionsstätten rund um das ferung der Teile ans Fließband verantwort- Ford-Werk Almussafes (Valencia) Mit- lich und sie montieren Fahrzeugteile wie Mo- arbeiter beschäftigt, davon mit Behinde- toren oder Getriebe. Eine Evaluierung zeigte, rungen. Durch die Adaptionen der Arbeits- dass die positiven Auswirkungen des Projek- plätze können diese Menschen selbst tes den Mehraufwand für die Adaption der anspruchsvolle Arbeiten an kritischen Teilen Arbeitsplätze bei weitem übertrifft. Serviceleistungen für Möbelhaus I m „recovery department“ der IKEA-Ge- schäfte machen geschickte Handwerker be- schädigte oder retournierte Produkte wieder dort bereits tätigen Mitarbeiter mit Kursen in Gebärdensprachen und anderen Informatio- nen auf ihre neuen Kollegen vorbereitet. fit für den Verkauf, um den Abfall gering zu Ebenso wurden die neuen Mitarbeiter mit halten. In der IKEA-Niederlassung Hamburg Behinderung auf ihren Job vorbereitet, etwa Altona arbeiten in dieser Abteilung Mit- indem sie den richtigen Umgang mit Kunden arbeiter, davon Menschen mit Behinde- lernten. Heute klappt die Arbeit des Teams rung. Ins Leben gerufen wurde das Projekt bestens. Einige Tätigkeiten, wie der Verkauf von Alsterarbeit, einem Non-Profit-Unter- von leicht beschädigten oder ausgelaufenen nehmen, gemeinsam mit IKEA. Alsterarbeit Artikeln, werden ausschließlich von Men- und IKEA haben beim Start des Projektes die schen mit Behinderungen durchgeführt. Betroffene als Uni-Lehrer M enschen mit Behinderung können an vielen Universitäten zwar studieren, aber kaum lehren. Menschen mit intellek- ) begannen die ersten Graduierten be- reits ihre Tätigkeit als Bildungsfachkräfte an der Universität Kiel. Sie lehren vor allem über tuellen Einschränkungen sind vom universi- die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit tären Bildungssystem fast völlig ausgeschlos- intellektuellen Einschränkungen. Die neuen sen. Das soll sich jetzt ändern – zumindest in Bildungsfachkräfte arbeiten selbstständig Deutschland. Das Institut für Inklusive Bil- und sollen nicht nur lehren, sondern auch an dung möchte Menschen mit intellektuellen Konferenzen zum Thema teilnehmen und FOTOS: BEIGESTELLT Einschränkungen für Lehrtätigkeiten an Uni- Workshops leiten. Der Bedarf an solchen spe- versitäten und Hochschulen qualifizieren ziellen Vortragenden ist groß, an kaum einer und ihnen entsprechende Jobs vermitteln. Universität wird über die Bedürfnisse von Nach einem dreijährigen Seminar ( bis Menschen mit Behinderung informiert. 4 Beschäftigung - Inklusion
Österreich zum Vorbild für inklusive Beschäftigung machen D ie gemeinnützige Essl Foundation konzentriert sich auf Wie wollen Sie das erreichen? Menschen mit Behinderung. International zählt das Zero Essl: Durch gute Beispiele und vorbildliche Lösungen. Unter- Project mit seinen Konferenzen in der UNO-City in Wien zu nehmen orientieren sich immer an Vorbildern und Bench- den bekanntesten Initiativen weltweit zur Förderung von Innova- marks in der Wirtschaft und speziell denen aus ihrer Branche. tionen, die die Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte von Wir tragen laufend die interessanten Strategien der besten Menschen mit Behinderung unterstützen. In Ös- Unternehmen zusammen, wobei es immer terreich steht für die Essl Foundation die Umset- auch um den betrieblichen Nutzen von inklusi- zung der UN-Konvention (Beschäftigung, Bildung, ver Beschäftigung geht, und nicht nur darum, Barrierefreiheit, selbstbestimmtes Leben und poli- sozial zu agieren, denn das allein ist nicht nach- tische Teilhabe) im Mittelpunkt. Man ist durch viel- haltig. fältige Aktivitäten bestrebt, Österreich zu einem Wir publizieren dann diese Informationen, und Musterland für Inklusion zu entwickeln. Martin wir organisieren Zero Project Unternehmens- Essl, Gründer der Essl Foundation und Initiator des dialoge in den Landeshauptstädten, zu denen Zero Project, zu den wichtigsten Fragen über seine wir österreichische und internationale Themen- Intentionen. führer einladen. Wir unterstützen außerdem innovative Be- Warum konzentriert sich die Essl Foundation auf schäftigungsmodelle wie Specialisterne (Be- die Anliegen von Menschen mit Behinderung? schäftigung von Menschen mit Autismus) oder Essl: Die bauMax AG, die meine Familie aufge- Discovering Hands (Beschäftigung blinder baut hat und vor zwei Jahren verkaufen musste, Frauen). beschäftigte bis zuletzt in Österreich mehr als Martin Essl: „Die Barrieren in MitarbeiterInnen mit Behinderung mit vollwerti- Woran messen Sie den Erfolg Ihrer Stiftung? den Köpfen abbauen." gen Arbeitsplätzen zum Kollektivvertrag. Ich weiß Essl: Den Erfolg mit dieser Initiative messe ich um die vielen Chancen und den Nutzen davon daran, wie viele neue Arbeitsplätze für Men- für Unternehmen und ich sehe gleichzeitig, wie die meisten schen mit Behinderungen geschaffen werden, oder ob es daran vorbeigehen und sich von den vielen Vorurteilen ab- einen Paradigmenwechsel bei großen und kleinen Unterneh- schrecken lassen. Mit den Zero Project Unternehmensdialogen men in unserem Land und schlussendlich in der österreichi- möchte ich einen Beitrag leisten, diese Barrieren, die es haupt- schen Wirtschaft gibt, denn das hängt damit unmittelbar zu- sächlich in den Köpfen gibt, abzubauen. sammen. Inklusive Jobs in der Altenpflege U m Menschen mit intellektuellen Behin- derungen den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt zu erleichtern, werden in Bel- Training on the Job findet in Betrieben nahe dem Wohnort statt und ist von der Dauer her den Möglichkeiten der Teilnehmer ange- gien spezielle Schulungen und Praktika an- passt. Rund junge Menschen mit Behinde- geboten. Organisiert werden die Kurse von rung werden pro Jahr trainiert. Die Kosten LetsCo, einem Ausbildungszentrum für dafür trägt die flämische Verwaltung. Wobei junge Menschen mit Behinderung. Die Kurse sich die Investitionen bezahlt machen: Die umfassen Praktika in realer Arbeitsumge- Erfolgsrate des Projekts liegt bei Prozent! bung in Betrieben, aber auch Kindergärten Es gibt jungen Erwachsenen eine Zukunfts- und Seniorenzentren. Die Teilnehmer entwi- perspektive und eine Chance auf eigenstän- ckeln dabei ihre beruflichen Fähigkeiten, dige Arbeit. Andernfalls würden sie auf Le- entdecken ihre Stärken und Talente. Das benszeit Sozialhilfe beziehen. Beschäftigung - Inklusion 5
Diskutanten Im Haus der Philanthrophie: (v. l. n. r.) Johannes Kopf, Wolfgang Kowatsch. Michael Fembek, Claudia Schneider, Elmar Fürst und Melanie Wimmer. 6 Beschäftigung - Inklusion
Mehr Ressourcen für die Inklusion Im „Haus der Philanthropie“ diskutierten Experten, wie mehr Menschen mit Behinderung im ersten Arbeitsmarkt beschäftigt werden können. Übereinstimmende Aussage: Es gibt auf diesem Gebiet noch viel zu tun. P rominente Teilnehmer trafen sich ten vor, dass sich jemand beschwert, weil er im August am Wiener Schottenring: als nicht arbeitsfähig eingestuft wird. Wenn Johannes Kopf, Vorstand des AMS, es Diskussionen um Arbeitsfähigkeit gibt, Elmar Fürst, Vorstandsvorsitzender dann eher umgekehrt. Hier hat sich eine der Hilfsgemeinschaft der Blinden Schutzmaßnahme leider ins Gegenteil ver- und Sehschwachen, Wolfgang Kowatsch, kehrt, aber fein, wenn der konkrete Fall myAbility Social Enterprise GmbH, Claudia dann doch noch gelöst werden konnte. Schneider und Melanie Wimmer, Atempo Fembek: Herr Kowatsch, aus der Sicht von Jobcoaching, diskutierten das Thema Inklu- Unternehmen, für die Sie tätig sind, was sind sion. Das Gespräch leitete Michael Fembek, die Barrieren bei der Inklusion? Geschäftsführer von Zero Project. Hier die Kowatsch: Es gibt in Österreich und den wichtigsten Passagen der neunzigminütigen neun Ländern eine sehr unübersichtliche Diskussion. Landschaft an Fördermöglichkeiten und Regelungen. In unseren vielen Gesprächen Fembek: Der Berufseinstieg ist für Men- mit Unternehmen stellen wir immer wieder schen mit Behinderung noch immer schwer. fest, dass man eine Servicestelle wünscht, Was können wir tun, um ihn zu erleichtern, die den Überblick hat. Aber das gibt es noch um Mainstream-Unternehmen die Chancen nicht. Es gibt viele Spezialisten und Unter- und Vorteile von Menschen mit Behinderung nehmen werden von einem zum anderen als Mitarbeiter bewusst zu machen? geschickt. Wenn es für die Wirtschaft eine Schneider: Ich bin seit Jahren auf diesem klare erste Andockstelle gäbe, an die man Gebiet tätig. Ein wesentliches Hindernis bei die ersten Fragen bundesübergreifend und der Inklusion von Menschen in den Arbeits- behinderungsübergreifend richten kann, prozess ist nicht die Behinderung, sondern wäre das eine extreme Hilfe für unsere das System, das nicht so funktioniert wie es Arbeit. Wir glauben auch, dass das AMS funktionieren sollte. Ich coache eine -jäh- dafür gut geeignet wäre. rige Frau, die ab September die Möglichkeit Und zu ihrer Eingangsfrage. Wir sehen das hätte, für Stunden in der Woche in einem größte Problem bei der Inklusion von Men- Gastronomiebetrieb zu arbeiten und hoch schen mit Behinderung in die Arbeitswelt in motiviert ist. Nun wurde diese Dame amt- den zum Großteil unbegründeten Vorbehal- lich als nicht arbeitsfähig eingestuft, womit ten der Arbeitgeber punkto Minderleistung, für die Firma sowohl der Lohnkostenzu- Krankenstände, persönliche Ängste. Das ist schuss als auch die Anrechnung auf die eine große Hürde und wir glauben, dass es Ausgleichstaxe wegfallen. Weder die Betrof- vieler individueller Initiativen wie Atempo fene noch ich wissen warum. Mit viel Mühe oder myAbility als Ergänzung der öffentli- haben wir nun eine Sonderlösung mit dem chen Initiativen bedarf, sowie einer intensi- Sozialministerium gefunden. Und das ist ven Interaktion mit Unternehmen, um be- kein Einzelfall. wusst zu machen, dass es bei der Inklusion Kopf: Ich kenne den Fall nicht, aber da ist of- von Menschen mit Behinderung vor allem FOTOS: ÀKOS BURG fenbar etwas schlecht gelaufen. Ich glaube auch um Potenzial und wirtschaftliche jedoch nicht, dass es sich um ein systemati- Chancen für den Betrieb geht. Und das ist sches Problem handelt. Es kommt sehr sel- nicht nur ein CEO-Thema, die Abteilungen Beschäftigung - Inklusion 7
Michael Fembek: Wo kann man Unternehmen Claudia Schneider: Die öffentliche Hand erspart Elmar Fürst: Behinderte Menschen bringen am abholen, damit sie den ersten Schritt setzen? sich bei gelebter Inklusion viel Geld. Arbeitsplatz teilweise bessere Leistungen als andere. mit ihren Teams sind ebenfalls einzubinden. Kopf: Ich versichere Unternehmen, dass es wie eine Supermarktkette, eine Bank, eine Kopf: Sie haben angesprochen, dass bei der für sie bei nahezu allen Themen, abhängig Versicherung. Es gibt Studien, die genau Integration von Menschen in den Arbeits- von der individuellen Problemlage, die not- rechnen, wie sich das Kaufverhalten verbes- markt die Vielfalt an Zuständigen schwierig wendige Unterstützung gibt. Wir signalisie- sert, wenn Produkte oder Dienstleistungen ist, das stimmt leider und hat auch mit ren, dass mit Unterstützung auch alles barrierefrei zugänglich oder zu konsumie- unserem föderalen System zu tun. Es gibt schaffbar ist. Natürlich ist dieses Türöffnen ren sind. Selbst bei sehr konservativer Rech- Länder- und Bundesförderungen, beim immer eine Herausforderung. Eine zweite nung kommt eine beeindruckende Zahl he- Bund gibt es das Sozialministeriumsservice, Person mit Behinderung in einem Unter- raus, weil nicht nur die % der Gesellschaft, das AMS, dazu kommen Programme und nehmen unterzubringen ist vielfach leichter angesprochen werden, die eine Behinde- Vereine, die aktiv sind. Es sind aber auch die als die erste. rung haben, sondern auch ihr Umfeld. Das Probleme bei der Integration von Menschen Kowatsch: Wichtig ist auch, den Unterneh- ist dann ein Drittel der Gesellschaft. mit Behinderung in den Arbeitsmarkt vielfäl- men die wirtschaftlichen Vorteile bewusst Fürst: Es wird immer diskutiert, dass an- tig und nicht nur rein arbeitsmarktpolitisch. zu machen. Etwa aufzuzeigen, dass sich geblich nur Kinder aus Akademikerhaus- Natürlich ist es theoretisch denkbar, eine Art eine bessere Erfüllung der Einstellungs- halten studieren können. Bei Menschen Superinstanz zu schaffen, die alle diese mit Behinderung hängt es tatsächlich Dinge zusammenbringt. Wir bemühen uns meist davon ab, in welchem Elternhaus sie aber um einen realistischeren Weg, in Rich- WICHTIG IST AUCH, DEN aufwachsen und wie sie von den Eltern ge- tung eines Case-Managements, eine Beglei- fördert werden. Ob sie als behinderter, be- tung der Personen durch diese Institutionen. UNTERNEHMEN DIE mitleidenswerter Mensch behandelt wer- Bei unserer Arbeit haben wir drei Ansätze. den. Oder als Mensch, der alle Einmal den klassischen Arbeitssuchenden, WIRTSCHAFTLICHEN Möglichkeiten hat und nur in einem Punkt hier unterstützen wir aktuell rund . eine überwindbare Einschränkung. Dazu vorgemerkte begünstigte Menschen bei VORTEILE AUFZUZEIGEN. braucht es Eltern, die Biss haben, denn es ihrer Jobsuche. Der zweite Ansatz: Ein Be- gibt Hürden zu überwinden, es gibt Res- trieb sucht spezifisch einen Menschen mit WOLFGANG KOWATSCH sentiments an allen Ecken. Das fängt im Behinderung, aus sozialem Engagement Kindergarten an und geht über die Schule. und auch um keine Ausgleichstaxe mehr pflicht bezahlt macht. Das ist ein wichtiges Ich kenne Fälle, wo Jugendliche einfach zahlen zu müssen. Das ist eher selten. Der Argument beim Einstieg, weil man es mes- abgelehnt worden sind. klassische Fall ist, jemand meldet uns eine sen kann. Und dann gibt es noch zwei zu- Aber Eltern sind Glückssache, deshalb Stelle, wir schicken Arbeitssuchende hin, sätzliche Rechnungen, die vom Volumen brauchen wir eine Kultur, in der Behinde- auch jemand, der eine Behinderung hat her noch attraktiver sind als die Einstel- rung nicht Grund ist, einen Menschen in und informieren gleichzeitig den Betrieb lungspflicht. Eine ist die Produktivität. eine Ecke zu stellen und abzuqualifizieren. über alle Unterstützungsmöglichkeiten. Wir Wenn man durch eine offene Unterneh- Das betrifft auch den Arbeitsmarkt. Wir wis- sind einfach der wichtigste Ansprechpart- menskultur – und darum geht es unserer sen, dass behinderte Menschen am Arbeits- ner für Betriebe bei der Stellenbesetzung. Meinung nach – die Arbeitsproduktivität platz teilweise bessere Leistungen bringen Fembek: Aber geht es nicht auch um die durch geringere Krankenstände oder höhe- als andere. Das Gleiche gilt in der Schule. Frage, welche Serviceleistungen Unterneh- re Motivation um zehn Prozent verbessert, Kopf: Wenn nur durch die Unterstützung men brauchen, damit sie überhaupt den ers- kann man beachtliche Produktivitätsgewin- der Familie viel gelingt, dann haben wir FOTOS: ÀKOS BURG ten Schritt setzen? Wo kann man Unterneh- ne erzielen. Die zweite Schiene ist das auch ein strukturelles Problem. Damit ist men abholen, damit sie sich für das Thema Thema Kunden, das betrifft vor allem Unter- unsere Gesellschaft sozial unfair und da engagieren? nehmen, die mit Endkunden zu tun haben stellt sich meines Erachtens schon die Auf- 8 Beschäftigung - Inklusion
Johannes Kopf: Es gibt bei nahezu allen Themen die Melanie Wimmer: Ich habe in der Hauptschule viel Wolfgang Kowatsch: Unternehmen wünschen eine notwendige Unterstützung für Unternehmen. Mobbing erfahren. Servicestelle, die den Überblick hat. gabe, möglichst jeden individuell zu fördern wolle mich als Opfer darstellen. Hilfe kam Stunden anwesend ist, man den Rest der und zu unterstützen. Aber natürlich kommt letztlich von einer Psychologin, die mein Zeit herumsitzt und nicht weiß, was man es immer auf die Personen an, es gibt ja Potenzial erkannt hat und mir gegen die Wi- tun soll. Da fühlt man sich nicht so leis- auch engagierte Lehrer und Lehrerinnen, derstände der Lehrerin bis zum Schulab- tungsfähig, man kann ein Gefühl der Min- die Kinder im Leben erfolgreich machen schluss geholfen und mich dann zu Atempo derwertigkeit bekommen. und solche, die es weniger gut machen. vermittelt hat. Schneider: Meiner Meinung nach müssten Fürst: Genau das wollte ich zum Ausdruck Fürst: Ich möchte noch einfügen, dass aus mehr Ressourcen in die Inklusion gesteckt bringen. Nicht alles kann von einer Behörde meiner Sicht die Integration in eine Regel- werden, vor allem in den Ausbildungsbe- übernommen werden. Man muss den El- schule nicht in jedem Fall das Mittel der reich. Die öffentliche Hand erspart sich tern helfen und sie ermutigen, sich zu enga- Wahl darstellt. Ich zum Beispiel war in der durch gelebte Inklusion sehr viel Geld. Wir gieren. Ohne die unmittelbaren Bezugsper- ersten Volksschulklasse zunächst in einer haben das am Beispiel von Frau Wimmer sonen wird es nicht gehen. Aber ebenso Regelschule, danach kam ich in eine Volks- durchgerechnet. Wäre sie von der Schule in gehört das Umfeld so verändert, dass die schule für sehbehinderte Kinder. Ich glau- eine Tageswerkstätte gekommen, hätte sie Aktivitäten der Eltern auf positiven Wider- be, in diesem Umfeld habe ich das Rüstzeug nicht die Möglichkeit gehabt, einen Führer- hall, auf günstige Bedingungen treffen. schein zu machen und müsste einen Fahr- Dazu kommt: Je individueller die Bildung dienst benutzen, sie wäre dann irgendwann und Ausbildung eines Menschen, umso GELEBTE INKLUSION einmal von zu Hause in ein Vollzeit betreu- besser ist sie. Je besser auf den Einzelfall tes Wohnen gezogen. Tatsächlich steht sie eingegangen werden kann, umso besser ERSPART DER heute im Berufsleben, bekommt zwar eine wird das Ergebnis sein. Das ist bei einem Leistung vom Land Steiermark weil sie behinderten Kind genauso wie bei einem ÖFFENTLICHEN HAND VIEL Unterstützung bei der Arbeit braucht, aber hochbegabten oder hypersensiblen. sie fährt selbstständig in die Arbeit und will Wimmer: Ich habe tolle Eltern mit sehr viel GELD. künftig selbstständig leben. Wenn wir uns Biss. Kindergarten und Volksschule haben nur den Arbeitsbereich anschauen vom auch sehr gut geklappt. Anders in der Haupt- CLAUDIA SCHNEIDER Zeitpunkt, an dem Frau Wimmer zu Atem- schule. Es hat nur eine barrierefreie Haupt- po gekommen ist bis zu ihrem . Lebens- schule gegeben, mit mir waren noch drei an- bekommen, um mich gut entwickeln zu jahr, erspart sie durch die gelungene Inklu- dere Burschen mit Behinderung in der können und danach in ein gemischtes Um- sion der öffentlichen Hand . Euro. Klasse, wir hatte eine Integrationslehrerin. feld, ein Realgymnasium, überzutreten. Fürst: Es gibt in unserem Verein einige Das Problem war die Klassenvorständin, sie Fembek: Einwand aus der Sicht der Men- junge, sehr gut ausgebildete Menschen, die sagte, das sei ihre erste Klasse mit Kindern schenrechte: Wenn blinde Kinder nicht in die im Berufsleben viel zu geben hätten. Aber mit Einschränkungen, sie wurde ins kalte normale Schulklasse gehen, dann fehlt nicht niemand bietet ihnen eine Chance. Das ist Wasser geworfen und sie wisse nicht, wie sie nur bei diesen, sondern auch bei allen anderen dramatisch für die Betroffenen. Politik, Ins- damit umgehen solle. Ich habe in dieser Schülern das Bewusstsein, zusammenzugehö- titutionen, Unternehmen und sonstige Ein- Schule viel Mobbing erfahren, war unglück- ren und der gelebte Umgang miteinander. richtungen dürfen dieses Thema nicht igno- lich und sagte dieser Lehrerin: Ich kann nicht Fürst: Ein schwieriges Thema. In der Volks- rieren. Ich lade alle Entscheidungsträger mehr. Von ihr kam die Antwort, ich müsse schule für Sehbehinderte erlebt man, dass ein, diese Menschen kennenzulernen, sich lernen, dass Menschen mit Behinderung auf es andere mit der gleichen Einschränkun- selbst von ihren Qualifikationen zu über- Ablehnung stoßen. Natürlich haben meine gen gibt. Es wird dort auch besser auf einen zeugen und ihnen eine Chance zu geben. Eltern alles versucht, um die Situation zu ver- eingegangen als in der normalen Schule, wo Fembek: Vielen Dank für die spannende Dis- bessern. Das Argument der Lehrerin war, ich der Integrationslehrer vielleicht nur zwei kussion. Beschäftigung - Inklusion 9
W Bereicherung. Bei Sonnentor arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung sehr gut zusammen. er nach den Stichworten „richtiges Vorstellungsge- spräch“ googelt, bekommt fast eine halbe Million Tref- fer. Unter den unzähligen Tipps für ein erfolgversprechendes Gespräch mit dem Human Resource Manager finden sich selbst Hinweise auf die passende Klei- dung oder das richtige Sitzen. Verbessern solche Ratschläge tatsächlich die Chancen auf einen Job? Mitunter schon, meint Mi- chael Pichler, Personalmanager mit langjäh- riger Erfahrung bei großen Unternehmen, Inklusion: zuletzt für Baumax sowie Obi tätig: „Es hat sich ein Mainstream-Recruiting entwickelt. Wirkt ein Bewerber jung, dynamisch, elo- Gut für die Moral quent und kommunikativ, dann passt er.“ Pichler, von der Branche als „interessan- teste Human-Resources-Person des Jahres“ und fürs Business ausgezeichnet, sieht diese vordergründige Jagd nach dem dynamisch wirkenden Mit- arbeiter kritisch: „Die Wirtschaft steht vor großen Veränderungen, wir werden viele Ta- lente und auch andere Fähigkeiten brauchen, Die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung sehen viele um die kommenden Herausforderungen zu FOTOS: BEIGESTELLT, SONNENTOR bewältigen“, meint er im Hinblick auf die Di- Betriebe noch immer kritisch. Dabei tut sie nicht nur dem gitalisierung. Und er weist auf „unglaublich CSR-Bericht gut, sondern bringt engagierte Mitarbeiter gut ausgebildete Bewerber mit phantasti- schen Kompetenzen“ hin, die bei gängigen und viele andere wirtschaftliche Vorteile. Vorstellungsgesprächen nur wenig Chancen TEXT: WOLFGANG POZSOGAR haben: Menschen mit Behinderungen. Wäh- 10 Beschäftigung - Inklusion
rend seiner Tätigkeit bei Baumax hat der HR- UNTERNEHMEN FEHLT Culinary – weltweit erfolgreicher Hersteller Manager mit solchen Mitarbeitern ausge- von CO-Kapseln für die Profiküche – zeichnete Erfahrungen gemacht und arbeiten im Betrieb in Floridsdorf Mit- engagiert sich heute voll für ihre Inklusion. ERFAHRUNG MIT arbeiter mit psychischen Beeinträchtigun- gen. Das Arbeitsmodell – die Mitarbeiter Von Kunden akzeptiert Bei Baumax gehörte MENSCHEN MIT sind bei der Firma ReIntegra angestellt – es zur Firmenphilosophie, Menschen mit hat sich seit mehr als einem Jahrzehnt be- Behinderungen in den Arbeitsprozess zu in- BEHINDERUNG. währt, erzählt Geschäftsführer Markus kludieren. Beschäftigt wurden nicht akade- GREGOR DEMBLIN Lang: „Wir sind mit der Zusammenarbeit misch ausgebildete Manager, die „bloß“ im sehr zufrieden, die Mitarbeiter sind sehr Rollstuhl saßen, sondern durchaus Perso- engagiert und sie freuen sich, dass sie hier nen, die aufgrund ihrer Beeinträchtigung tätig sein können.“ Ähnliches hört man bei von vielen HR-Verantwortlichen kaum eine dem Kräuter- und Teespezialisten Sonnen- Chance auf Anstellung bekommen hätten. tor, wo Menschen mit Behinderungen Zum Beispiel Personen mit Downsyndrom: beschäftigt werden: „Diese Kollegen arbei- „Sie haben eine unglaubliche Kundenorien- ten mit großer Freude. Sie sind stolz Son- tierung entwickelt, gehen offener als die nentorler zu sein und tragen das nach meisten anderen auf die Kunden zu und außen“, erzählt Edith Sagaster, Talente-För- werden von diesen auch voll akzeptiert“, derin in der Personalabteilung des Wald- schwärmt Pichler von „seinen“ Leuten. viertler Unternehmens. Ihr Resümee: „Es Ganz besonders streicht er die Loyalität der funktioniert super und wir wollen auf- Mitarbeiter mit Behinderung hervor, die grund unserer guten Erfahrungen weiter auch in den schwierigen Zeiten von Bau- Menschen mit Behinderung integrieren.“ max zur Firma hielten. Dass Unternehmen direkt von der Beschäf- So wie Pichler urteilen nahezu alle Mana- tigung von Menschen mit Behinderung pro- ger, die Menschen mit Behinderung in fitieren, zeigen nicht nur solche praktischen ihrem Unternehmen beschäftigen. Bei ISI Erfahrungen von HR-Managern, sondern Inklusion als Menschenrecht ist unser Auftrag Inklusion bedeutet Gleichwertigkeit eines Individuums – Normal ist die Vielfalt, das Vorhandensein von Unterschieden. E ine inklusive Gesellschaft zwingt die Menschen nicht dazu, bestimmte Normen zu erfüllen. Stattdessen schafft sie Struktu- gleichzeitig die Inklusion in die Gesellschaft. Generell zeigt sich auch auf dem österreichi- schen Arbeitsmarkt, dass Menschen mit Be- ren, in denen sich jede und jeder Einzelne, hinderung häufiger und länger von Arbeits- mit allen Besonderheiten, einbringen und auf losigkeit betroffen sind, als Menschen ohne seine oder ihre eigene Art wertvolle Leistun- Behinderung. Dieser Situation wirken wir mit gen erbringen kann. Alle Menschen haben gezielten Förderungen entgegen und helfen Potenzial – darauf vertrauen inklusive Ge- Menschen mit Behinderung, sich nachhaltig sellschaften und ermöglichen Menschen mit am ersten Arbeitsmarkt zu etablieren. Behinderung die uneingeschränkte Teilhabe Im vergangenen Jahr konnten wir – trotz Alois Stöger in Beruf und Alltag. Das ist unser Auftrag wirtschaftlich schwieriger Rahmenbedingun- Bundesminister für Arbeit, und das Ziel der Behindertenpolitik. gen – knapp 100.000 Menschen mit Behin- Soziales und Konsumentenschutz Ein wesentlicher Baustein dafür ist der wei- derung dabei helfen, einen Arbeitsplatz zu . tere Ausbau der Barrierefreiheit. Sie ist für erhalten bzw. ihren Arbeitsplatz zu sichern. zehn Prozent der Bevölkerung essentiell, für Gegenüber 2015 bedeutet das einen Anstieg 40 Prozent notwendig und für 100 Prozent um rund 8.000 Fälle. Dafür haben wir rund Inzwischen haben viele Unternehmen er- komfortabel. Barrierefreiheit alleine genügt 179 Millionen Euro aus dem Ausgleichstax- kannt, dass gelebte Vielfalt zum eigenen Er- aber nicht, um allen Menschen ein selbstbe- fonds (ATF), dem Bundeshaushalt und dem folg beitragen kann und durch die Beschäfti- stimmtes Leben zu ermöglichen. Dazu ist Europäischen Sozialfonds (ESF) für Projekt- gung von Menschen mit Behinderung hoch auch ein Arbeitsplatz erforderlich, der wirt- förderungen (Netzwerk berufliche Assistenz motivierte und leistungsbereite Mitarbeite- schaftliche Unabhängigkeit garantiert und z. B. Jugendcoaching, Arbeitsassistenz) und rinnen und Mitarbeiter gewonnen werden. berufliche Selbstentfaltung ermöglicht. Das für Individualförderungen (z. B. Lohnförde- Dieses Bewusstsein gilt es auf allen Ebenen ist der beste Schutz vor Armut und fördert rungen) aufgewendet. zu schaffen. Beschäftigung - Inklusion 11
unsichert, wie sie mit Betroffenen umgehen sollen.“ In den Schulungen von myAbility werden die damit zusammenhängenden Fragen offen angesprochen und Behinde- rungen simuliert, um die Welt aus einer an- deren Perspektive zu sehen. „Diese Selbst- erfahrung ist für Führungskräfte sehr wichtig. Sie erkennen, dass jeder Mensch besondere Bedürfnisse hat. Sie lernen, damit bewusst umzugehen.“ Positiv fürs Arbeitsklima Für HR-Manager Michael Pichler wirkt sich dieser bessere Umgang mit anderen Menschen, der im Zuge der Inklusion von Behinderten in den Tastsinn. Menschen mit Sehbehinderung nutzen ihr Talent bei der Brustkrebs-Früherkennung. Arbeitsprozess gefordert wird, sehr positiv Das Start-up-Unternehmen Discovering Hands bringt das Berufsbild der medizinischen auf das Klima im Unternehmen aus. An- Tastuntersucherin nach Österreich. fangs seien fast alle unbeholfen im Umgang mit Menschen mit Behinderung, erzählt er auch wissenschaftliche Arbeiten. Heike ist, könne nur Prozent Leistung erbrin- aus seinen Erfahrungen bei Baumax. Mit Mensi-Klarbach, Universitätsprofessorin an gen.“ Solche Vorurteile widerlegt Demblin – der Zeit springen sie über ihren Schatten der Wirtschaftsuniversität Wien, führt in er ist erfolgreicher Unternehmensberater – und lernen auf die Menschen zuzugehen. ihrer von der Essl Foundation beauftragten locker und mit einem herzlichen Lachen Dieser Prozess sei ideal für die Entwicklung Studie „Barrierefrei: Wege zur inklusiven am Beispiel seiner Person: „Behindert bin von Führungskräften: „Das empathische Organisation als Wettbewerbsvorteil“ fast ich durch bestimmte äußere Umstände. Hineinversetzen in die Situation anderer ein halbes Dutzend Untersuchungen an, die Habe ich ein barrierefreies Büro, bringe ich Menschen ist eine der wichtigsten Füh- die Zufriedenheit der Arbeitgeber ebenso Prozent Leistung.“ rungsqualifikationen“, behauptet er, „und es belegen wie geringere Abwesenheitszeiten Der quirlige Manager, der seit einem Unfall wird im Umgang mit Behinderten perfekt sowie den Fleiß der Mitarbeiter mit beson- vom fünften Halswirbel abwärts gelähmt ist, erlernt und trainiert.“ deren Bedürfnissen oder ihre loyale Einstel- will Unternehmen und Institutionen davon Das Lernen des richtigen Umgangs mit lung zum Arbeitgeber. Es gebe laut der Wis- überzeugen, dass Menschen mit Behinde- Menschen mit Behinderung sieht auch senschaftlerin keinerlei Hinweise, dass die rung wertvolle Mitarbeiter und auch wichti- Heike Mensi-Klarbach als großes Plus für Leistung von Menschen mit Behinderung ge Kunden sind, auf die allein aus wirt- die Firmenkultur und zugleich als die viel- grundsätzlich schlechter sei. „Natürlich“, so schaftlichem Interesse nicht verzichtet leicht entscheidende Herausforderung Mensi-Klarbach, „muss mitunter der werden sollte. Er betreibt gemeinsam mit beim Thema Inklusion. „Es braucht Unter- Arbeitsplatz angepasst werden, muss bei seinen Partnern das Consulting-Unterneh- stützung, um den richtigen Umgang zu er- bestimmten Leistungen auf Menschen mit men myAbility, das sich der Inklusion ver- lernen, eine gemeinsame Kommunika- Behinderung besondere Rücksicht genom- schrieben hat und der Wirtschaft umfassen- tionsbasis sowie gegenseitiges Verständnis men werden.“ Aber das treffe auch auf Mit- de Beratung und Coaching in diesem und Verstehen.“ So benötigen manche Men- arbeiter zu, die etwa Kinder oder Eltern be- Bereich bietet. Das sei seiner Meinung nach schen mit körperlichen Einschränkungen treuen müssen, erzählt die ein entscheidender Schlüssel, um die Integ- gewisse Pausen, die nicht verschiebbar Universitätsprofessorin weiter. ration von Menschen mit Behinderung in seien, erläutert sie: „Das bedeutet aber kei- unserer Gesellschaft zur Selbstverständlich- neswegs eine geringere Leistungsbereit- Hürde Rekrutierung Dass trotzdem nach keit zu machen. schaft, im Gegenteil, ich würde es sogar als wie vor viele Unternehmen auf das Poten- Denn es gehe darum, Wissen aufzubauen: eine Qualität sehen, die neue Perspektiven, zial von Menschen mit Behinderung ver- „Die meisten Manager und ebenso die Mit- einen anderen Umgang mit Ressourcen und zichten und „lieber“ die Ausgleichstaxe zah- arbeiter haben keine Erfahrung mit Men- Zeit ermöglicht, was für Unternehmen len, hat nach Meinung der Experten schen mit Behinderung, sie sehen deshalb durchaus positiv ist.“ mehrere Ursachen. Das beginnt beim Rek- nur die Probleme und sind noch dazu ver- rutierungsprozess, in dem meist der ge- Meist weniger Probleme In der Praxis ma- winnt, der sich besonders gut darstellt. chen solche Adaptionen des Arbeitsalltags „Menschen mit Behinderung sind hier ein- INKLUSION VON meist weniger Probleme als vermutet. Bei FOTOS: BEIGESTELLT, DISCOVERING HANDS deutig im Nachteil, bei ihnen liegt der Fokus Sonnentor im Waldviertel etwa wurden die auf jenen Dingen, die sie nicht können“, Pausenzeiten für Mitarbeiter mit Gehbehin- meint Mensi-Klarbach. Das bestätig auch MENSCHEN MIT derung erweitert, „sie brauchen schließlich einer, der die Sicht auf Menschen mit Be- ein bisschen länger zum Mittagstisch und hinderung aus eigener Erfahrung kennt: BEHINDERUNG zurück“, berichtet Edith Sagaster. Das ist im Gregor Demblin sitzt seit einem Unfall im Betrieb überhaupt kein Thema. Klaglos Rollstuhl: „Arbeitgeber sehen nur Behinde- FUNKTIONIERT SUPER. klappt dort auch die Kommunikation mit rung und denken, wer Prozent behindert EDITH SAGASTER einer gehörlosen Kollegin. Mit Lippenlesen 12 Beschäftigung - Inklusion
und in schriftlicher Form mache die Ver- von Personen mit Assistenzbedarf in den ständigung nicht die geringsten Probleme, Arbeitsprozess. Laufende Beratung und Be- wer etwas von ihr will, spricht die gehörlose treuung wird ebenso geboten wie Hilfe bei Kollegin nicht von hinten an, sondern klopft Konflikten am Arbeitsplatz. Bei Sonnentor ihr auf die Schulter: „Für unsere Mitarbeiter etwa organisiert die Arbeitsassistenz für den ist das selbstverständlich, weil wir schon alle zwei Monate stattfindende Informa- seit zehn Jahren Menschen mit Behinde- tionstag für Mitarbeiter einen Gebärden- rungen beschäftigen“, sagt Sagaster. sprachdolmetscher, damit die gehörlose Mitarbeiterin über alle wichtigen Entwick- Bedarf an Information Um Unternehmen fit lungen des Unternehmens informiert wird. für die Nutzung dieses Mitarbeiter-Poten- zials zu machen, bedarf es allerdings nicht Keine homogene Gruppe Das vielfältige Be- nur eines guten Willens. Die Beratungs- und ratungsangebot spiegelt auch die Vielfalt Unterstützungsleistungen sind groß und in des Themas wider. „Menschen mit Behinde- der Anfangsphase ist Engagement des HR- rung sind keine homogene Gruppe, es gibt Managements notwendig, um die richtigen ganz unterschiedliche Einschränkungen“, Ansprechpartner zu finden. Das Angebot erklärt Mensi-Klarbach. Unter den Begriff beginnt bei einem vielfältigen Paket an Be- fallen Akademiker mit Gehbehinderung ratungen und Förderungen von AMS UNTERNEHMEN SOLLEN ebenso wie Personen mit kognitiven Ein- (Arbeitsmarktservice) und SMS (Sozialmi- schränkungen. „Wünschenswert wäre es, nisteriumservice) geht über Organisationen BEI BEWERBUNG UND wenn Unternehmen hier proaktiv agieren wie die Caritas, Lebenshilfe oder Diakonie, und von sich aus überlegen würden, wo im Vereine wie ReIntegra, Autark, Chance B und atempo Jobcoaching bis zu Unterneh- JOB-DESCRIPTIONS Betrieb sie Menschen mit Behinderung ein- stellen könnten.“ Dazu braucht es Kreativi- mensberatungen wie myAbility (siehe Kas- tät und mitunter auch den Mut, Neues aus- ten). Die Arbeitsassistenz unterstützt auf ANSETZEN. zuprobieren. T-Mobile beschäftigt verschiedensten Ebenen die Integration HEIKE MENSI-KLARBACH beispielsweise eine Autistin als „System Erfolgreiche Inklusion durch berufliche Ausbildung Der Schlüssel zu guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt ist eine fundierte Ausbildung. D ie nachhaltige Integration von Men- schen mit Behinderung in die Berufs- welt ist nicht nur ein Ziel der UN-Men- dere das „Lernen in der Praxis für die Praxis“ leistet dabei einen entscheidenden Beitrag. Aufgrund der vielfältigen Lehrberufsland- schenrechtskonvention, sondern hat für Ös- schaft mit rund 200 Lehrberufen und den terreich sowohl soziale als auch wirtschaft- verschiedensten Gestaltungsmöglichkeiten liche Priorität. Es geht einerseits darum, al- können Personen entsprechend ihren indivi- len Menschen mit ihren individuellen Fä- duellen Fähigkeiten und Stärken ausgebildet higkeiten eine berufliche Perspektive zu ge- werden. Die „Integrative Berufsausbildung“, ben und ihre Potenziale auszuschöpfen, an- die im Berufsausbildungsgesetz verankert ist, dererseits hängen aber auch unsere Systeme sieht einerseits die Möglichkeit der „Teilqua- Harald Mahrer der sozialen Absicherung davon ab, dass lifizierung“, andererseits der „verlängerten Bundesminister für Wissenschaft, möglichst viele Menschen in aktiver Be- Lehre“ vor. Zur Unterstützung werden Lehr- Forschung und Wirtschaft schäftigung stehen. linge sowie Ausbilder/innen über die gesam- Seit 1990 hat sich – durch das steigende te Lehrzeit hinweg durch die Berufsausbil- Durchschnittsalter in der Bevölkerung – die dungsassistenz begleitet. Zahl der Menschen mit Behinderung in Ös- Zusätzlich werden sowohl vom Arbeits- und alle Betroffenen über die Unterstüt- terreich fast verdoppelt. Mit einer Erwerbstä- marktservice als auch im Rahmen der be- zungsstrukturen gut zu beraten. tigenquote bei behinderten Menschen von trieblichen Lehrstellenförderung eine Reihe Unser gemeinsames Ziel muss es sein, alle fast 62 Prozent nimmt Österreich dabei aber an Unterstützungsmöglichkeiten bereitge- vorhandenen Talente zu nutzen und indivi- eine internationale Spitzenposition ein. stellt, um auf die individuellen Herausfor- duelle Kompetenzen gezielt zu fördern. Nur Der Schlüssel zu guten Chancen auf dem derungen zu reagieren. Eine wesentliche wenn uns das gelingt, bleibt Diversität kein Arbeitsmarkt ist eine fundierte Ausbildung. Aufgabe liegt darin, die diversen Fördersys- einfaches Schlagwort, sondern wird zum Gerade die duale Ausbildung und insbeson- teme laufenden aufeinander abzustimmen Erfolgsrezept. Beschäftigung - Inklusion 13
SORGFÄLTIGE VORBEREITUNG IST GRUNDLAGE FÜR ERFOLGREICHE INKLUSION. MICHAEL PICHLER Analyst Charging & Billing“, sie findet in Mi- noch ein weiteres großes Thema auf: Kun- nuten Fehler, für die andere Menschen den mit Behinderung. In Japan haben durch Stunden brauchen (siehe Seite ). das Anwachsen der älteren Generation be- Personalmanager Michael Pichler sieht reits Prozent der Bevölkerung Einschrän- sorgfältige Vorbereitung ebenfalls als kungen beim Bewegen, Hören oder Sehen, Grundlage für eine erfolgreiche Inklusion erzählt er: „Diese Kunden optimal anzu- von Menschen mit Behinderung in den sprechen, ist ein entscheidender Wettbe- Arbeitsprozess. „Einfach zu sagen, wir stel- werbsvorteil.“ Disability Confidence, eine len Menschen mit Behinderung ein, ist zu Wirtschaft ohne Barrieren, sollte das lang- wenig und kann leicht scheitern“, meint er. fristige Ziel sein. In seinen Augen sind sol- Es gehe um einen Abgleich zwischen Kom- che Bestrebungen, ebenso wie die Einstel- petenzen und Einschränkungen sowie den lung von Menschen mit Behinderung, keine Anforderungen des Jobs. Man müsse das Sozialprojekte: „Es geht hier schlicht ums Aufgabenprofil für die entsprechenden Tä- normale Business, ums Geschäft“, meint der tigkeiten überprüfen und gegebenenfalls Unternehmensberater. Wer dieses Potenzial adaptieren, lautet einer seiner Ratschläge. nütze, werde erfolgreicher sein, ist Demblin Loyal. Menschen mit Behinderung schätzen ihren „Daraus ergibt sich auch die Chance, auszu- überzeugt. Arbeitsplatz besonders. misten und Dinge einfacher zu machen, was vielen Unternehmen ebenfalls gut tut.“ Klarere Abläufe und präzisere Anweisungen etwa machen Menschen mit und ohne Be- hinderung die Arbeit leichter. Wichtige Anlaufstellen für Fragen zur Inklusion von Wichtig sei, neben dem Management, auch Menschen mit Behinderung in den Arbeitsprozess: alle Mitarbeiter in Informations- und Schu- lungsaktivitäten einzubinden, meint Pichler: AMS mit der Beschäftigung von und Kunden ermöglicht. Bei „Es geht darum, sich Ängsten, Sorgen und Das Arbeitsmarktservice ist Behinderten verbundenen atempo einer Fachstelle zur Bedenken zu stellen und Lösungen zu fin- der richtige Ansprechpartner, erhöhten Aufwand. Integration von Menschen den. Dann klappt die Inklusion von Behin- wenn ein Unternehmen eine mit Behinderungen in die derten in den Arbeitsprozess innerhalb von Stelle zu besetzen hat und SOZIALMINISTERIUM Arbeitswelt, ist ein Schwer- drei bis vier Monaten.“ Natürlich gäbe es hier Menschen mit Behinde- Das Sozialministerium bietet punkt Bildung und Karriere. auch unter Behinderten Menschen, die nicht rung eine Chance geben will. das größte Angebot für die Specialisterne kümmert sich zum Unternehmen passen und sich nicht in Das AMS hat derzeit rund Inklusion von Menschen mit um die besonderen Fähig- die Firmenkultur und -struktur eingliedern 12.000 Menschen mit Be- Behinderung in den Arbeits- keiten von Autisten für die können. „Jede neue Einstellung ist ein Wag- hinderung, sogenannte Be- markt. Es reicht von finan- Arbeitswelt. ReIntegra ver- nis, es ist bei Menschen mit Behinderung ge- günstige vorgemerkt. Es bie- ziellen Förderungen für sucht Menschen mit psychi- nügend Zeit, um zu schauen, ob die Zusam- tet im Zusammenhang mit Unternehmen und Betroffene schen Beeinträchtigungen menarbeit gut funktioniert“, sagt der Einstellung der Person über Coaching und Arbeits- eine Arbeit zu vermitteln. Talente-Förderin Edith Sagaster von Sonnen- umfassende Informationen assistenz bis zur Personen- www.myability.org tor. Der besondere Kündigungsschutz für über alle Unterstützungs- und Betriebsberatung. www.atempo.at/ Menschen mit Behinderung gilt – abgesehen möglichkeiten. www.sozialministeriumser- at.specialisterne.com/ von einigen Ausnahmen – erst nach vier Jah- vice.at www.reintegra.at ren Betriebszugehörigkeit. BUNDESLÄNDER Der Aufwand für die barrierefreie Gestal- Alle neun Bundesländer ha- SOZIALE UNTERNEHMEN CARITAS tung des Arbeitsplatzes wird ebenfalls oft ben eigene Förderungspro- Private Unternehmen und Organisationen wie die Cari- überschätzt. Bei Sonnentor reichten Tisch gramme für die Inklusion von Organisationen bieten Be- tas bieten für Menschen mit und Stuhl, damit Menschen mit körperli- Menschen mit Behinderung ratung und Service. Die so- Behinderung ein breites An- chen Einschränkungen gut sitzen können. in den Arbeitsprozess, die ziale Unternehmensberatung gebot und führen auch ver- Für allenfalls notwendige Umbauarbeiten verschiedene Programme myAbility beispielsweise hat schiedene Arbeitsprojekte gibt es Förderungen. Das barrierefreie Büro vom Job-Coaching bis zur ein Disability Management durch, die Behinderte auf den kommt außerdem allen Mitarbeitern im Fall FOTOS: SONNENTOR Berufsausbildungsassistenz aufgebaut, mit dem es die Einstieg in die erste Arbeits- einer temporären Behinderung – etwa bei beinhalten, aber auch finan- Inklusion von Menschen mit welt vorbereiten sollen. einem Gipsfuß – zugute. Für Gregor Dem- zielle Förderungen für den Behinderung als Mitarbeiter www.caritas.at blin tut sich in diesem Zusammenhang 14 Beschäftigung - Inklusion
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Kommunikativ. Apotheker Sreco Dolanc V kommt auch mit hörenden Kunden bestens aus. iele Kunden der Marienapothe- ke im sechsten Bezirk wundern sich nicht mehr, wenn sie einen Pharmazeuten gebärden sehen. Der Apotheker Sreco Dolanc ist gehörlos und die Gebärdensprache seine Muttersprache. Gesprochene Sprache ver- steht er durch Lippenlesen, aber nur teilwei- Wo ein Wille ist, se. Trotz dieser Einschränkung gelang Dolanc etwas, das viele andere nicht schaf- fen: Ein Pharmaziestudium an der Universi- ist auch ein Weg tät in Ljubljana erfolgreich abzuschließen. Das Studium war nicht barrierefrei. „Es war sehr schwierig, aber ich wusste, dass ich es mit einem starken Willen, Beharrlichkeit und einer positiven Sichtweise schaffen kann“, er- Vier Porträts von Menschen mit Behinderung, zählt er im schriftlichen Interview. Lippen- die im Beruf Besonderes leisten, erzählen über lesen, Abschreiben von Mitschülern und Kol- FOTOS: ÀKOS BURG legen und sehr viel Zeit für die mühsame Karriere und Alltag, Erfolg und Misserfolg. Wiederholung der Inhalte waren die Grund- TEXT: WOLFGANG POZSOGAR lage seines Erfolgs. 16 Beschäftigung - Inklusion
„Es war enorm schwierig, denn als vertre- Glücksgefühl am Arbeitsplatz.“ Wer kann tungsberechtigter Apotheker muss man das noch von sich behaupten? ausreichend Deutschkenntnisse nachwei- sen“, berichtet sie. Gehörlosen fällt es außer- Besonderer Blick für Fehler dem noch schwerer als Hörenden, abge- Als Alexandra – sie will nur den Vornamen speichertes Wissen in einer anderen veröffentlicht wissen – noch nicht bei T-Mo- Sprache abzurufen. Aber wo ein Wille ist, ist bile war, saßen Spezialisten manchmal auch ein Weg: Mit viel Engagement und stunden- oder tagelang, um Fehler in end- Hilfe eines der Gebärdensprache mächtigen losen Tabellen zu finden. Für die junge Frau österreichischen Kollegen gelang es, alle ist das meist eine Angelegenheit von Minu- Hürden zu überspringen. Grund für das En- ten. Alexandra ist Autistin. Sie kann ein gagement von Karin Simonitsch war nicht komplexes Datengemenge innerhalb kür- allein ihre von Empathie geprägte Einstel- zester Zeit erfassen, die Zusammenhänge lung den Mitmenschen gegenüber. „Ich bin sehen und kleinste Fehler finden. Diese der Überzeugung, dass gerade angesichts Folge des Autismus kann sie in ihrem Beruf der jetzigen Entwicklung, Stichwort Medi- als „System Analyst Charging & Billing“ her- kamentenversand übers Internet, Apothe- vorragend einsetzen. ker gut beraten sind, ihr Geschäftsmodell Bis es soweit kam, musste Alexandra aber stärker an den Bedürfnissen des Kunden zu wie viele Menschen mit Einschränkungen orientieren.“ einige Hürden überwinden. Sie maturierte Für sie gehören dazu auch rund bis und studierte danach an der Uni und an der Wiener, deren Muttersprache Gebär- Fachhochschule. Das Studieren an sich be- den ist und für die Sreco Dolanc als idealer reitete ihr keine Schwierigkeit, nur die Berater agiert. Die Marienapotheke ist bei „Non-Struktur“, die unklaren Strukturen an Gehörlosen aus ganz Wien bekannt. Sreco der Universität und bei den Bachelor- und Dolanc tut noch einiges mehr für diese Masterarbeiten machten ihr zu schaffen. Gruppe: „Ich halte viele Vorträge für Gehör- Mit der Bewerbung für einen Job tat sie sich „DASS ICH TROTZ MEINER GEHÖRLOSIGKEIT DEN MENSCHEN HELFEN KANN, ERFÜLLT MICH MIT GROSSER FREUDE.“ SRECO DOLANC, APOTHEKER Und offensichtlich hat er auch die Kraft, lose in den Gehörlosenvereinen, nicht nur ebenfalls nicht leicht. „Ich vermute, die schwierige Hürden zu überspringen. Nach in Wien, sondern auch in Niederösterreich Unterlagen waren zu minimalistisch, weil seinem Studium blieb Sreco Dolanc nicht oder Deutschland, ich mache zahlreiche Vi- ich Dinge als selbstverständlich und nicht in Slowenien, sondern kam nach Wien. In deos zu verschiedenen Gesundheitsthemen erwähnenswert ansehe, die es für andere der Marienapotheke im sechsten Bezirk in Gebärdensprache mit Untertiteln und eben nicht wären“, erzählt sie über ihre ein- traf er auf die Apothekerin Karin Simo- vieles mehr.“ Mit den Kunden in der Marien- zige erfolglose Bewerbung. nitsch. „Plötzlich steht einer vor mir, der apotheke kommuniziert er mit Hilfe eines Das spezielle Denken, das mit Alexandras Englisch redet und sagt, er ist Pharmazeut Gebärdensprache-Dolmetschers, berichtet Autismus verbunden ist, ließ sie vor vielen und Gehörlos“, erzählt sie rückblickend er: „Der Umgang mit hörenden Kunden mit Bewerbungen zurückschrecken: „Das Prob- über die erste Begegnung mit dem frisch- Hilfe des Dolmetschers läuft toll. Viele sind lem ist, dass wir die Stellenausschreibungen gebackenen slowenischen Apotheker. Si- von der einzigartigen Kommunikationsform wörtlich nehmen“, erläutert sie. Kleine Dif- monitsch, die selbst Pharmazie studiert in unserer Apotheke begeistert.“ ferenzen zwischen eigenem Können und hatte, erkannte sofort, welches Engage- Karin Simonitsch freut es zu sehen, dass der Stellenausschreibung zu überspielen, ment und welche Begeisterung der junge sich Dolanc bei seiner Arbeit voll einsetzt. wie das fast alle Bewerber tun, sei für sie Mann für seinen Traumberuf aufbringt. Sie Ein ganz wesentlicher Grund dürfte sein, kaum möglich, erklärt sie: „Wenn jemand war bereit, ihm eine Chance zu geben und dass Sreco Dolanc das gegen viele Wider- ABCDEF sucht und ich ABcdE anbiete, mit ihm gemeinsam die vielen weiteren stände Erreichte besonders schätzen kann: würde ich das als ‚ich habe den Text nicht Hürden, vom Erlernen der österreichi- „Es gefällt mir sehr, dass ich trotz meiner verstanden‘ deuten oder als ‚ich hab’s ge- schen Gebärden- und Schriftsprache bis Gehörlosigkeit den Menschen helfen kann. lesen und ignoriere es bewusst‘.“ Das signa- zur Anerkennung des Studiums, zu über- Das erfüllt mich mit großer Freude und da lisiere mangelnde Auffassungsgabe oder re- springen. spüre ich einfach oft auch ein richtiges spektlose Interpretation, meint sie. Beschäftigung - Inklusion 17
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