DAS MEDBUCH ENT WICKLUNGEN DER MEDIZINTECHNIK - STEUTE

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DAS MEDBUCH ENT WICKLUNGEN DER MEDIZINTECHNIK - STEUTE
//   Das MeDbuch
             ent w ick lungen Der MeDizintechnik
DAS MEDBUCH ENT WICKLUNGEN DER MEDIZINTECHNIK - STEUTE
DAS MEDBUCH ENT WICKLUNGEN DER MEDIZINTECHNIK - STEUTE
//   Das Medbuch
             Ent w ick lungen der Medizintechnik

             Herausgegeben von steute Schaltgeräte GmbH & Co. KG.,
             Geschäftsbereich Medizintechnik, mit einer Einführung von
             Univ.-Prof. Dr. med. Dipl.-Ing. Thomas Schmitz-Rode
DAS MEDBUCH ENT WICKLUNGEN DER MEDIZINTECHNIK - STEUTE
Vorwort                 4

         Einführung              6

         Chirurgie               8

         Orthopädie              30

         Diagnostik              46

         Ophthalmologie          66

         Zahnmedizin             82

         steute im Kurzporträt   98

         Bildnachweis/           100
Inhalt   Quellenverzeichnis

         Impressum               108
DAS MEDBUCH ENT WICKLUNGEN DER MEDIZINTECHNIK - STEUTE
Die Ärzte werden millimetergenau im Gewebe navigieren           tun, machen wir gründlich und weil es zu unseren Grundsät-
                                                                      und viele Krankheiten dank neuer bildgebender Verfah-           zen gehört, auch über unsere eigentliche Aufgabe hinauszu-
                                                                      ren auch besser erkennen können. Damit sind schonendere         denken, haben wir das vorliegende Buch geschrieben. Es soll
                                                                      Eingriffe möglich. Sie werden Gewebe nicht mehr trans-          Sie – den Leser bzw. die Leserin – informieren und unterhal-
                                                                      plantieren, sondern im Körper züchten. Man wird seltener        ten.
                                                                      konventionell operieren, weil es möglich ist, miniaturisierte
                                                                      Operations-Roboter in den Körper zu entsenden. Außerdem         Uns hat es Freude bereitet, in die Historie der Medizintechnik
                                                                      werden wir zunehmend in der Lage sein, menschliche Funk-        einzutauchen und auch einen Blick in die Zukunft zu wagen.
                                                                      tionen nachzubilden und mechanische Funktionen über das         Was uns dabei besonders gefreut hat: Wir sind bei der Re-
                                                                      Nervensystem anzusteuern. Die künstliche Netzhaut ist           cherche in unserem Kundenkreis auf viele Experten gesto-
                                                                      nur ein Anfang, vom Menschen gesteuerte Prothetik ist der       ßen, die uns mit Fachwissen unterstützt und unser Projekt
                                                                      nächste Schritt.                                                begleitet haben. Bei ihnen bedanken wir uns herzlich für ihre
                                                                                                                                      Beiträge.
                                                                      Unabhängig von diesen Entwicklungen wird es auch künftig
                                                                      Interaktion zwischen Arzt und Patient geben. Das ist gut so.    Dipl.-oec. Stefan Schmersal
                                                                      Denn neben der Behandlung fördern auch Information, Zu-
                                                                      spruch und Zuwendung die Heilung. Und letztlich steht im-       Geschäftsführender Gesellschafter
Vorwort                                                               mer der Mensch im Mittelpunkt der Medizin und somit auch        steute Schaltgeräte GmbH & Co. KG                                5
                                                                      der Medizintechnik.

Die Medizintechnik erlebt in den letzten Jahren große Entwicklungs-   Auch in unserer Arbeit steht in erster Linie der Mensch im
                                                                      Mittelpunkt, nämlich jener, der das medizintechnische Ge-
sprünge. Wenn man Technologie-Exper ten Glauben schenk t – und dazu
                                                                      rät bedient. Denn wir sind Experten für die Schnittstelle von
besteht aller Grund –, wird es in den kommenden zehn, zwanzig oder    Mensch und Maschine. Wenn die für die Handhabung der
                                                                      Apparatur verantwortliche Person optimal arbeiten und das
dreißig Jahren weitere umwälzende Veränderungen geben.
                                                                      medizintechnische Gerät intuitiv bedienen kann, dann sind
                                                                      die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sie sich auf den
                                                                      Patienten konzentriert.

                                                                      Deshalb denken wir an den mit dem Umgang des Gerätes
                                                                      Betrauten wie natürlich auch an den Patienten, wenn wir Be-
                                                                      diensysteme für die Medizintechnik entwickeln. Das, was wir
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Schon diese drei Beispiele zeigen, dass der Maschinenbau der     terstützt hat, gibt einen interessanten Überblick über 2500
                                                                           Medizintechnik wesentliche Impulse geben kann und dass           Jahre Medizintechnik und zeigt dabei auch, wie groß die Fort-
                                                                           die Verbindung von medizinischer Forschung und Engineer-         schritte sind, die unser Forschungsgebiet gerade in den letz-
                                                                           ing-Kompetenz in den Ingenieursdisziplinen hohen Nutzen          ten Jahren gemacht hat.
                                                                           bringt. Sie zeigen auch, dass der medizinische Fortschritt in
                                                                           hohem Maße auf der Entwicklung von neuen medizintechni-          Von den Fortschritten profitieren in erster Linie die Patienten,
                                                                           schen Geräten beruht. Wer sich dieser Aufgabe verschreibt,       die dank besserer Diagnose früher und dank neuer Therapie-
                                                                           braucht Ingenieurskompetenz.                                     formen auch besser behandelt werden können. Aufgrund
                                                                                                                                            von minimal-invasiver Operationstechnik mit begleitender
                                                                           Diese Kompetenz ist auch erforderlich, um die Technologien       Bildgebung sind die Eingriffe weniger belastend, und mit ge-
                                                                           und Geräteprototypen, die z. B. an unserem Institut für An-      zielter, computergestützter Rehabilitation lassen sich Opera-
                                                                           gewandte Medizintechnik entwickelt werden, in serientaug-        tionsfolgen schneller beseitigen.
                                                                           liche Geräte für Kliniken und Arztpraxen zu überführen. Hier
                                                                           spielen Faktoren wie Gebrauchstauglichkeit, Ergonomie und        Ob die Zukunftsvisionen, die das Buch am Ende der einzelnen
                                                                           ein flexibles Bedienkonzept eine wesentliche Rolle.              Kapitel entwirft, zutreffend sind, wird sich zeigen. Sie regen
                                                                                                                                            jedenfalls ebenfalls zum Nachdenken an – und sie ermutigen
                                                                           Im Zuge des Prozesses von der Entwicklung über Labormus-         alle, die an der Weiterentwicklung der Medizintechnik arbei-
Einführung                                                                 ter bis zur Serienproduktion sind dann Hersteller und Zuliefe-   ten, ihre Tätigkeit zum Nutzen der Patienten fortzusetzen,         7
                                                                           rer gefragt, die nicht nur die hohen normativen Anforderun-      damit Visionen wie langlebige künstliche Organe oder eine
                                                                           gen der Medizintechnik-Produktion erfüllen, sondern auch         frühzeitige Erkennung von Gewebeveränderungen Wirklich-
Im OP kommen Diagnose-Roboter mit neuar tiger Kinematik zum Ein­­          die Abläufe im OP, in der Arztpraxis oder in der Reha-Klinik     keit werden.
                                                                           kennen.
satz. Im Dentallabor ver wendet man CNC-Bearbeitungstechnologien
                                                                                                                                            Univ.-Prof. Dr. med Dipl.-Ing. Thomas Schmitz-Rode
und die Ver fahren des »Rapid Prototyping« zur automatisier ten Herstel-   Der Mensch-Maschine-Schnittstelle kommt dabei besondere
                                                                           Bedeutung zu. Für die Akzeptanz neuer Technologien ist es        Direktor des Lehrstuhls für Angewandte
lung von Zahnersatz. Und die Kunstherzen der nächsten Generation
                                                                           daher wünschenswert, dass sich spezialisierte Unternehmen        Medizintechnik, Helmholtz-Institut, RWTH Aachen
ver wenden neuar tige verschleißarme Linearantriebe, die eine wesent-      mit Medizintechnik-Kompetenz dieser Aufgabe widmen. Und
                                                                           wenn sich ein solches Unternehmen – in diesem Fall steute
lich höhere Lebensdauer des künstlichen Organs zur Folge haben.
                                                                           – auf unterhaltsame Weise mit der Geschichte und Zukunft
                                                                           der Medizintechnik beschäftigt, verbindet sich das Angeneh-
                                                                           me mit dem Nützlichen: Das vorliegende Buch, dessen Ent-
                                                                           stehen unser Institut gern durch Informationsgespräche un-
DAS MEDBUCH ENT WICKLUNGEN DER MEDIZINTECHNIK - STEUTE
Chirurgie
Chirurgie: griechisch, umgangs-                   Was Arzneien nicht heilen, heilt das Messer;
sprachlich, die handwerkliche Kunst               was das Messer nicht heilt, heilt (das) Brennen;
                                                  was aber das Brennen nicht heilt,
                                                  das muss als unheilbar angesehen werden.

                                                  Hippokrates von Kós, um 460 v. Chr. – um 375 v. Chr.,
                                                  Aphorismoi 7,87, Schluss
DAS MEDBUCH ENT WICKLUNGEN DER MEDIZINTECHNIK - STEUTE
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                                                               3                                                                                                                       5

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10   Ein geöffneter Schädel (3) mit Heilungsprozessen an den Knochenrän-    Inzwischen hat man an über 500 von knapp 750 gefundenen          v. Chr. ist Opium (5) als Schmerzmittel nachgewiesen: offen-   11
                                                                            Schädeln (3) solche Heilungsprozesse festgestellt. Die Überle-   bar der Beginn der Narkose.
     dern : Dieser Fund lieferte dem Anthropologen Paul Broca 1873 den
                                                                            benschancen für diese Operation lagen also – über verschie-      Erst mit der ägyptischen Hochkultur setzte eine Entwicklung
     Beweis, dass die Steinzeitmenschen die Trepanationen (Schädelöffnun-   dene Kulturen und Erdteile hinweg – bei knapp 70 %. Vermut-      ein, die man als Beginn der Medizintechnik bezeichnen kann.
                                                                            lich wollte man mit der Operation böse Dämonen vertreiben        Diese Entwicklung ermöglichte erhebliche Fortschritte der
     gen) überlebten, die an vielen Schädeln sichtbar waren und für die
                                                                            oder guten Geistern Einlass in den Körper verschaffen.           Medizin, und sie verbesserte die Gesundheit und das Wohl-
     man primitive Werkzeuge wie Faustkeile (1) verwendete.                 Für die Heilung von Krankheiten verließ man sich eher auf        befinden der Menschen.
                                                                            nicht-technische Methoden wie Beschwörungen oder auch            Im Gesetzeswerk »Codex Hammurapi« (4), das um 1800
                                                                            Tätowierungen: Die gut erhaltene Haut von »Ötzi« weist           v. Chr. in Ägypten entstand, werden schon Ärzte erwähnt, de-
                                                                            Markierungen z. B. am Rücken auf, die man als steinzeitliche     nen ein reiches Repertoire an chirurgischen Instrumenten zur
                                                                            Schmerzbehandlung durch Tätowierung deutet.                      Verfügung stand.
                                                                            Das Thema Schmerzbehandlung dürfte auch damals schon
                                                                            eine Rolle gespielt haben. Aber da es keine schriftlichen Auf-
                                                                            zeichnungen gibt, wissen wir darüber nichts. Immerhin hat
                                                                            die Anästhesiologie eine lange Tradition. Schon für 1300

             6000 v. Chr.                                                                                  1300 v. Chr.
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3                       4                                                                                                 6

                                                                                                                                            5

            1            2

12   Im gesamten Altertum waren die »Starstecher« gefragt. Ihre Instru-       Um 420 v. Chr. gab es offenbar in Ceylon (heute Sri Lanka) die    te im vierten vorchristlichen Jahrhundert. Er legte größten   13
                                                                              ersten Krankenhäuser. Dass die Rhinoplastik (4) – d. h. Opera-    Wert auf Anamnese und Diagnose und empfahl auch die Be-
     mente (2) sieht man z. B. auf den steinernen Wandreliefs des Kom
                                                                              tionen zur Wiederherstellung der Nase – damals ein gefrag-        rücksichtigung der psychischen Situation des Patienten: Ein
     Ombo-Tempels (3) in Oberägypten, wo sich eine ganze Wand mit Dar-        tes Aufgabenfeld war, hatte einen einleuchtenden Grund: In        (fast) ganzheitlicher Ansatz, der dem antiken Menschenbild
                                                                              Indien wurden Verbrechen dadurch geahndet, dass man dem           entsprach. Und er befasste sich mit den ethischen Grundla-
     stellungen chirurgischer Instrumente findet. Einige Wissenschaftler
                                                                              Täter Nase, Ohren oder Lippen abschnitt. Schon zu dieser          gen des Arztberufes.
     halten diesen Teil des Tempels für eine Art altägyptischer Arztpraxis.   Zeit entwickelte man Techniken, mit den Methoden der – wie        Doch auch nach der Blütezeit der Antike war die indische
                                                                              man heute sagen würde – plastischen Chirurgie eine Nasen-         Heilkunst der europäischen zumindest in der Chirurgie noch
     Indische Ärzte beherrschen um 700 v. Chr. schon schwere Magen- und
                                                                              kontur zu formen. Dazu bildete man einen Schwenklappen            voraus.
     Bruchoperationen, und sie haben genaue Kenntnisse der Anatomie           aus der Stirn, der zunächst noch mit der Stirn verbunden blieb
                                                                              und erst später abgetrennt wurde: eine »sanftere« Methode
     und des Blutkreisl aufs.
                                                                              als die Transplantation von Haut aus anderen Körperzonen.
                                                                              Zur selben Zeit, um 400 v. Chr. entwickelte sich auch in Grie-
                                                                              chenland die Heilkunst. Hippokrates (6), der als Begründer
                                                                              der wissenschaftlichen Medizin gilt, lehrte, heilte und forsch-

                                              700 v. Chr.                                                                                                 400 v. Chr.
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                                                                                                                                              4

     1

                                                                  3

14   In der Antike war man neugierig: Mediziner sezierten häufig Tiere          Im »finsteren Mittelalter« konnte sich die Medizintechnik in       Klerikern und Mönchen – das waren nahezu die einzigen Ge-      15
                                                                                Europa nicht wesentlich weiterentwickeln. Erst die Renais-         lehrten – die chirurgische Tätigkeit ausdrücklich untersagt:
     und sogar – wenn auch sehr selten – Menschen. Ein häufig angewen-
                                                                                sance entdeckte das Wissen der antiken Medizin wieder – auf        »Brennen und Schneiden« war ihnen verboten.
     detes »Heilverfahren« war der Aderl ass (1) . Und, so zynisch es klingt,   dem Umweg über den arabischen Sprachraum.                          Das Bild 4 zeigt, dass kriegerische Auseinandersetzungen
                                                                                Zum Beispiel hatte der persische Arzt und Philosoph Ibn Sina       der Chirurgie ein breites Betätigungsfeld boten. Hans von
     Kriege und Gl adiatorenk ämpfe boten den Ärzten reichlich Praxisbei-
                                                                                Avicenna im 11. Jahrhundert den »Qanun al-Tibb« (»Kanon            Gersdorff beschrieb 1517 in seinem »Feldbuch der Wundartz-
     spiele. Davon profitierten Medizin und Medizintechnik. Galen (Gale-        der Medizin«; 3) niedergeschrieben. Avicenna lehrt z. B., dass     ney« die verschiedenen Arten von Kriegsverletzungen, die
                                                                                man Krebserkrankungen möglichst frühzeitig behandeln und           Behandlung von Stichwunden sowie das Durchführen von
     nos von Pergamon; 2) war als Sport- und Wundarzt der Gl adiatoren
                                                                                das kranke Gewebe vollständig entfernen soll. Er beschreibt        Amputationen. Gersdorff selbst soll mehr als 200 Amputa-
     in Pergamon tätig und begründete die Allopathie.                           auch, ganz systematisch, 760 Medikamente mit ihren An-             tionen durchgeführt haben, sein Buch war das Standardwerk
                                                                                wendungsfeldern und Wirkungen, und er gibt Verfahren zur           für viele Generationen von Wundärzten.
                                                                                Prüfung neuer Medikamente an.
                                                                                1224 wurde an der Universität Neapel, die unter der Herr-
                                                                                schaft Friedrichs II. stand, erstmals die Chirurgie als Lehrfach
                                                                                erwähnt. Allerdings hatte Papst Innozenz III. im Jahr 1211 den

                           200 n. Chr.                                                           1220
2
                                                                                               3                       4

                                   1                                                                                                             5                                                                6

16   Zur gleichen Zeit befasste sich Leonardo da Vinci intensiv mit der       Berühmt sind die anatomischen Untersuchungen damaliger             Bis dahin hatte es bei chirugischen Eingriffen nur ein Mittel    17
                                                                              Ärzte u. a. durch das Bild »Die Anatomie des Dr. Tulp« (3), das    gegen den Schmerz gegeben: die Geschwindigkeit. Ein Bein
     menschlichen Anatomie. Eine Zeichnung aus seinen anatomischen Stu-
                                                                              Rembrandt im Jahr 1632 malte. Es zeigt einen der bekanntes-        wurde grundsätzlich in weniger als einer Minute amputiert.
     dien (1) ziert noch heute jede deutsche Krankenversichertenk arte.       ten Ärzte des 17. Jahrhunderts, Nicolaes Tulp, bei einer öffent-   Das führte nicht selten zum Tod durch Schock. Und wer die
                                                                              lichen Obduktion. Auch Tulp durfte nur öffentlich hingerich-       Operation selbst überlebte, der starb häufig an Wundent-
     Auch andere Wissenschaftler untersuchten den Körper und erarbei-
                                                                              tete Verbrecher sezieren. Die sehr beliebten Veranstaltungen       zündungen – bis Joseph Lister (6) 1870 die Antisepsis mit Car-
     teten eine chirurgische Systematik – zum Beispiel Andreas Vesalius mit   waren für die Zuschauer kostenpflichtig. Mit den genaueren         bolsäureester einführte.
                                                                              Kenntnissen der Anatomie legten die Mediziner der Renais-          Durch diese beiden Fortschritte – Narkose und Antisepsis –,
     seinem Werk »De humani corporis fabricca« (2) . Er sezierte ab 1536 an
                                                                              sance z. B. die Grundlage für eine verbesserte Prothetik. Auch     die zeitlich rasch aufeinanderfolgten, wurden die Heilungs-,
     der Universität Leuven und später, als Professor für Chirurgie, in       die plastische Chirurgie machte im 16. Jh. Fortschritte.           und Überlebenschancen von Verletzten deutlich erhöht. Lei-
                                                                              Ein Meilenstein der chirurgischen Medizintechnik war sicher-       der mussten diese Errungenschaften nur wenige Jahrzehn-
     Padua die Leichname von Verbrechern. Ein Skelet t, das er präparierte,
                                                                              lich die Einführung der Narkose im Jahr 1846: W. T. Green          te später, im Ersten Weltkrieg, intensiv eingesetzt werden:
     ist bis heute erhalten geblieben.                                        Morton betäubte seine Patienten erstmals mit Äther (4),            Nicht nur die Medizin und die Medizintechnik, auch die Tech-
                                                                              seit 1847 verwendete man Chloroform. Wenig später wurden           nologien der Kriegführung und die Entwicklung von Waffen
                                                                              schon Narkosemasken und -apparate (5) eingesetzt.                  hatten Fortschritte gemacht.

                           1519                                                                                        1846
3                                                                                                                               9

                                            2

                  1
                                                                                                                               4          5     6   7                       8

18   Minimaler Eingriff, maximaler Erfolg                              Neue Verfahren                                                                   Arbeitsgang operieren. Das spart Zeit und lässt auch den Pa-     19
     Im Zentrum der Chirugie steht heute der Gedanke des mini-         Letztlich dienen diese Instrumente immer dazu, Energie in                        tienten nicht lange über einen Befund im Ungewissen.
     mal-invasiven Eingriffs: Man möchte Heilungserfolge erzie-        den Körper einzubringen. Dazu kann man auch andere Ver-
     len und dabei möglichst wenig in die gesunden Funktionen          fahren verwenden – zum Beispiel die Wasserstrahl-Technolo-                       Aufgeweckte Patienten
     eingreifen. Hinter dieser Idee steckt nicht nur der alleinige     gie. Sie wird bereits in der Gastroenterologie genutzt, um bei                   Die Fortschritte der Anästhesie (3) tragen maßgeblich zum
     Wunsch nach schneller und vollständiger Genesung des Pa-          einer Dissektion die Schleimhaut nadellos und ohne Instru-                       Erfolg der Chirurgie bei. Manchmal aber ist die Narkose hin-
     tienten, sondern immer häufiger auch der Kostenaspekt: Die        mentenwechsel abzutrennen. Auch für die Ultraschall-Thera-                       derlich – zum Beispiel bei Hirnoperationen (5 – 8). Hier setzt
     Verweildauer des Patienten spielt eine wichtige Rolle bei der     pie sieht man neue Anwendungsmöglichkeiten.                                      man neuerdings bewusst die Narkose aus, um den Patienten
     Beurteilung der Effizienz eines Krankenhauses.                                                                                                     um die Ausführung bestimmter Bewegungen zu bitten oder
                                                                       Kombination von Diagnose und Therapie                                            ihm einfach nur Fragen zu stellen. So kann man definierte
     Das Ziel: Keine Narben                                            Ein weiterer aktueller Trend ist die Kombination von Diagnose                    Hirnareale testen und die Operation so planen, dass nur ein
     Die Lösung sind endoskopische Eingriffe. »No scar«-Operati-       und Therapie. So kann man – um wiederum ein Beispiel aus                         Minimum an Funktionen beeinträchtigt wird.
     onen durch die Körperöffnungen sind heute an der Tagesord-        der Gastroenterologie zu geben – eine Endoskop-gestützte
     nung. Und das Skalpell (2) wird z. B. durch chirurgische Laser-   optische Biopsie (4) vornehmen (sofern man auf einen pa-
     oder Hochfrequenz-Instrumente ersetzt.                            thologischen Befund verzichten kann und will) und im selben

                                                                                      Chirurgie                                         heute
8

                   1
                            2                          3                                                                                      7

                                                                     4                            5                      6

20   Immer kleiner, immer feiner: Das ist ein zentraler Trend in der Chirurgie.   Wer ist die Schönste im ganzen Land?                            rationen am Rechner durchführen – auf der Basis des realen     21
                                                                                  Wem die eigene Nase zu krumm, der Bauch zu dick, die Brust      Datenmaterials. So kann der Arzt sehr genau planen, wie er
     Minimal-invasive oder endoskopische Eingrif fe verlangen nach ex trem
                                                                                  zu flach oder die Lippe zu dünn ist, dem kann die Chirurgie     operiert.
     präzisen Instrumenten wie z. B. Laserskalpellen (2) und einem bildge-        helfen. Die Schönheits-Chirurgie (5–7) boomt – und provo-
                                                                                  ziert ethische Fragen nach dem, was die Medizin kann und        Ein Datenpool für Operationen
     stützten Navigieren (1, 3) . Hier ist das Ende der Entwicklung noch lange
                                                                                  darf. »Design yourself« ist offenbar modern.                    Der nächste Schritt ist noch nicht verwirklicht. Denkbar –
     nicht erreicht. In der nahen Zukunf t werden Diagnose und Therapie auf                                                                       und ansatzweise schon Realität – ist eine strukturierte Da-
                                                                                  »Gute Planung ist die halbe Arbeit«                             tensammlung von Operationen. Ein Beispiel: Wenn ein Arzt
     der Geräteebene noch stärker verbunden sein. Und schon jetzt kann man
                                                                                  Jeder Mensch ist anders: Diese simple Weisheit verhindert       vor der Aufgabe steht, die Gallenblase einer 70-jährigen,
     auf Nano-Ebene operieren. So lassen sich Chromosomen mit dem Laser-          bislang in vielen Fällen einen Einsatz von industrialisierten   65 kg schweren Diabetikerin mit Herz-Kreislauf-Erkrankun-
                                                                                  Verfahren in der Medizin- bzw. Operationstechnik. Der Ein-      gen zu entfernen, dann lädt er sich (anonymisierte) Kranken-
     skalpell gezielt bearbeiten – nicht im Krankenhaus, aber im Forschungs-
                                                                                  satz von modernsten bildgebenden Technologien (8) und           akten von ähnlichen Fällen aus einer Datei und kann die Ope-
     labor (4) .                                                                  leistungsfähiger Informationstechnik (IT) schafft die Vor-      ration am Rechner genau planen.
                                                                                  aussetzung dafür, dies zu ändern: Ähnlich wie man ein Auto-
                                                                                  rennen am PC fahren kann, so lassen sich auch virtuelle Ope-

                                                    Chirurgie                     heute
3                                                                                                                                                          10

                                                                                                                                                                           7

                                        2                          4                                 5                                             6                                               8

                 1                                                                                                                                                                                                    9

22   Auf der Suche nach Qualität                                   individuell und variabel mit verschiedenen Instrumenten,        Arzt an einer Bedienkonsole, der bildschirmgestützt die Ro-     wie das Helmholtz-Institut für Angewandte Medizintechnik      23
     Hinter diesen Projekten steht das Ziel, höhere Qualität und   die ebenfalls intelligent sind, unterschiedlicher Software      boterbewegungen ausführt. Dies geht sehr viel genauer als       (AME) in Aachen arbeiten an neuartigen künstlichen Herzen
     bessere Reproduzierbarkeit in die Prozesse der operativen     und diversen Zusatzfunktionen ausgestattet werden kön-          auf dem konventionellen Operationsweg – ein gutes Verfah-       (3) mit innovativen Antrieben, die weniger dem Verschleiß
     Medizin zu bringen. Immer genauere bildgebende Verfahren,     nen. Für die nahe Zukunft stellt sich die Frage, wie weit die   ren vor allem dann, wenn es auf Genauigkeit ankommt bzw.        unterliegen und daher deutlich längere Standzeiten errei-
     verbesserte Kooperation unter den Herstellern von medizin-    Automation fortschreiten soll. Technologisch machbar ist        wenn umliegendes Gewebe geschädigt werden kann.                 chen. Künftig werden auch »hybride« Strukturen zum Einsatz
     technischen Geräten und die Möglichkeiten der Datenverar-     sie ohne Zweifel. Unsere Kunden – die Krankenhäuser, Ärzte                                                                      kommen – zum Beispiel Herzklappen mit angezüchtetem
     beitung schaffen dafür die Voraussetzung. So ist der Opera-   und natürlich auch die Patienten – müssen entscheiden, in       Kunststoff statt Gewebe                                         Zellgewebe vom Patienten (1).
     teur besser informiert – vor und während der Operation.       welcher Weise sie diesen Weg gehen wollen.                      Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind noch immer die Todesur-        In anderen Bereichen der Medizin gibt es bereits dauerhaft
                                                                       Christian O. Erbe, geschäftsführender Gesellschafter der    sache Nummer Eins und künstliche Herzklappen sind schon         funktionsfähige biomechanische »Ersatzteile« – zum Beispiel
     Die Intelligenz der medizintechnischen Geräte in der Chi-                            Erbe Elektromedizin GmbH, Tübingen       seit vielen Jahren Stand der (Medizin-)Technik. Nun arbeiten    Cochlea-Implantate und künstliche Retinae.
     rurgie und anderen Disziplinen nimmt immer mehr zu. Die                                                                       Forscher am künstlichen Herzen. Es funktioniert schon sehr
     Geräte werden immer komplizierter in ihren Funktionalitä-     Der Roboter als Operateur                                       zufriedenstellend. Seine Lebensdauer lässt allerdings noch zu
     ten. Sie aktivieren z. B. eigene Software, geben dem Bedie-   Mehr als 400 Prostata-Operationen wurden bereits mit            wünschen übrig, so dass es vor allem zur Überbrückung ein-
     ner Feedback und sind zudem immer flexibler. Deshalb fa-      dem »Da Vinci«-Robotersystem (9) durchgeführt. Der Robo-        gesetzt wirdww bis ein echtes »Spenderherz« für die Trans-
     vorisieren wir das Workstation-Prinzip, bei dem die Geräte    ter operiert natürlich nicht selbsttätig. Neben ihm sitzt ein   plantation zur Verfügung steht. Forschungseinrichtungen

                                                                                  Chirurgie                                        heute
10 : 13 : 47 Eastern Time                                                                            19 : 13 : 47 CET
     Patient                                                                                                    Surgeon
     Ohio/USA                                                                                       Dresden /Germany

24                               12. Mai 2025. Prof. Dr. Andreas Menzel, Spezialist für die
                                 Thoraxchirurgie, bereitet sich im St.-Friedrichs-Hospital in
                                 Dresden auf seine nächste Operation vor. Er verlässt den OP
                                 und betritt einen Raum, der an den Ü-Wagen einer Fernseh-
                                 übertragung erinnert. An der Wand befinden sich zahlreiche
                                 Bildschirme, auf einem Bedienpult sind Joysticks und Taster
                                 angeordnet, die von Assistenzärzten bedient werden. Dr.
                                 Menzel setzt einen Datenhelm auf, zieht Datenhandschuhe
                                 an und beginnt nach Rücksprache mit den Kollegen mit der
                                 virtuellen Operation an einem realen Patienten, der sich in
                                 einem OP in Ohio/USA befindet. Diese Art der Tele-Medizin
                                 war vor zehn Jahren noch weiter verbreitet. Es hat sich aber
                                 gezeigt, dass der Aufwand bei Standardoperationen zu groß
                                 ist. Bei komplizierteren Eingriffen wird die »virtuelle Operati-
                                 on« aber nach wie vor häufig eingesetzt.

           2025
process screening

 Mode                                             E n e rg y L eve l
 A                                                              01
 B                                                              02
 C                                                              03
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 -                                                              10

 Target Area cover -------------------------
 F ile: XC-10 05-54c b/1 - - - - - - - - - - - - loaded - -

26   »Es gab Zeiten, da operierte man ohne Narkose und mit dem
     Messer.« So beginnt Paula Mitkovic, Medizinprofessorin an
     der Universität München, ihre Einführungsvorlesung zur
     Geschichte der Chirurgie – und die Studenten staunen. »Die
     Narkose wurde erst 1867 eingeführt,« fährt Prof. Mitkovic
     fort, »und bis etwa 2050 war das Messer bzw. das Skalpell
     das wichtigste Instrument der Chirurgen. Dann wurde es
     durch andere Verfahren wie z. B. den Laser ersetzt. Erst seit
     etwa 50 Jahren kann man zumindest bei der Tumorbehand-
     lung fast gänzlich auf invasive Verfahren verzichten.« Statt
     dessen nutzt die Medizin nun – im Jahr 2133 – Strahlenthe-
     rapien auf zellulärer und molekularer Ebene. Und nicht nur
     Gewebeveränderungen, auch Stoffwechselfunktionen lassen
     sich auf diese Weise lokal beeinflussen.

                                                                       2088
Biochemistry process control monitor

                                                                               D N A u n i t i d : A M/10 01110 0 0101/ k e 8 9 - 0 0 01/π

                                                                                 St a t u s           Mode         P ro ce s s co n t ro l t o o l
                                                                                 1                    A
                                                                                 2                    B
                                                                                 3                    C
                                                                                 4                    -
                                                                                 5                    -
                                                                                                      -
                                                                                                      -
                                                                                P rof i l e           -
                                                                                2C/C A                -
                                                                                                      -            St a t u s : o n
28   Den Anfang machte die Krebsforschung. Ihr gelang es zu-
     nächst, Gewebeveränderungen zu markieren. Dann folgte der
     Schritt von der Diagnose zur Therapie. Man entwickelte Phar-               Report                             Re fe re n ce v a l u e s c re e n
     mazeutika, die die derart markierten Zellen erkennen und                   Mutation detected.
     zerstören. Ein echter Entwicklungssprung war die Nutzung                   Irregularities of CC and CF data
                                                                                in zone 446. Surrounding
     der Gentechnik für die Krebsbekämpfung: Veränderte Zellen                  tissue not affected. Repair of
     werden frühzeitig erkannt, entnommen und nach einer Ent-                   chromosomes in area XCV 552
                                                                                in process. Reference values
     fernung des Gens, das die Mutation hervorruft, wieder ein-                 comparable to patient status.
     gesetzt. Inzwischen ist es auch möglich, bestimmte Gewebe                  Monitoring shows no
                                                                                irregularities. Expected
     z. B. des Herzens ohne operative Eingriffe sehr gezielt zu stär-           termination of repair:
     ken bzw. zu erneuern. Und zurzeit arbeitet man am nächs-                   11.31 p.m.

     ten Entwicklungssprung: Man hat die Stoffe entdeckt, die die
     Zellalterung bewirken. Die Unsterblichkeit rückt näher – mit
     allen Vorteilen und Problemen, die dies in der Praxis für den                                                 St a t u s : –
     Planeten Erde mit sich bringt.

                                                                        2115
Orthopädie
Orthopädie, von griechichisch:                 Falls jemand am Oberarm den oberen Schulterbereich durch            31
»orthos«, richtig, aufrecht und                Entfernen der fleischigen Teile freilegt, (ihn) freilegt, wo sich
»paideir«, erziehen.                           der Muskel erstreckt, und die Sehne freilegt, die sich an der
                                               Achselhöhle und dem Schlüsselbein zur Brust hinzieht, so
                                               dürfte deutlich sichtbar werden, dass der Oberarmkopf stark
                                               nach vorn hervorragt, obwohl er nicht ausgerenkt ist.

                                               Galenos von Pergamon, griechischer Arzt und
                                               Anatom, 129 – 216 n. Chr., im Kommentar zu Hippokrates
                                               »Über die Gelenke«
1
                                Halswirbel

                                              Brustwirbel

                                                            3

                             Lendenwirbel
                                                                                                                                                                                                     6
                                                                                                               4
                                                2                                                                                                                                      5

                                 Kreuzbein

                                             Steißbein

32   Eine Geschichte der Orthopädie k ann streng genommen erst 1741 be-   Und diese Erkrankungen gab es in reicher Anzahl. Denn            sehr brachial – um. Um 460 v. Chr. beschrieb Hippokrates         33
                                                                          wenn die Menschen sich von körperlicher Arbeit statt von         von Kos (3) die erfolgreiche Behandung einer Schulterluxati-
     ginnen, denn in jenem Jahr wurde der Begriff erstmals verwendet.
                                                                          Schreibtischtätigkeit ernähren, gibt es vielleicht weniger Rü-   on das heisst, das Einrenken des Schultergelenks (4) mit Hilfe
     Aber natürlich gab es auch vorher schon Therapien und Untersu-       ckenschmerzen und Muskelverspannungen, dafür aber umso           einer Leiter (1) .
                                                                          mehr Verletzungen wie Luxationen und Brüche.                     Die römischen Gladiatoren boten reichlich Anschauungs-
     chungen zu den Erkrankungen und Verletzungen des Halte- und Be-
                                                                          Viele Erkenntnisse der Chirurgie und Orthopädie wurden           material für Ärzte, die sich mit dem Bewegungsapparat be-
     wegungsapparates.                                                    von den Wund- und Feldärzten in Kriegen gewonnen. So ge-         fassten. Heute würde man von Sportverletzungen sprechen.
                                                                          ben Homers Beschreibungen des Trojanischen Krieges in der        Galen, der von 129 bis 216 n. Chr lebte, sammelte als Arzt der
                                                                          Odyssee Aufschluss über die Behandlungsmethoden der alt-         Gladiatoren reiche Erfahrungen auf diesem Gebiet und gilt
                                                                          griechischen Orthopädie.                                         daher als Vater der Sportmedizin, der umfassende Untersu-
                                                                          Diese Methoden waren allerdings recht eingeschränkt. Häu-        chungen des Skelettes und der Muskeln veröffentlichte. Da-
                                                                          fig verordnete man Luftkuren und Bäder, und angeborene           bei stützte er sich auch auf die Ergebnisse von Sektionen, die
                                                                          Schäden des Bewegungsapparates hielt man gar für unheil-         er an Schweinen, Affen und Hunden durchführte.
                                                                          bar. Mit einfacheren Muskel- und Knochenverletzungen ging
                                                                          man hingegen ganz pragmatisch – und aus heutiger Sicht

                         460 v. Chr.
2

                                                                                                                                                                                                                         9
                                                                                            4                                                             5                      6

                                                                                                                                                                                  7                       8
                  1                                                                                                                                                                                                                                    10

                                           3

34   Um 25 v. Chr. beschrieb Aulus Cornelius Celsus verschiedene        eine ruhige Hand. Denn viele Ärzte waren zugleich als Bar-        Knopfdruck konnte man alle Finger strecken oder schließen.      Begriff geboren, es eröffneten sich auch ganz neue Betäti-     35
     Formen der Luxation. Und dann kam das »Finstere Mittelal-          bier tätig – oder, umgekehrt, ein umherziehender Bader oder       Lorenz Heister (5) beendete Anfang des 18. Jahrhunderts         gungsfelder für die Orthopädie.
     ter«, in dem die Medizin(technik) zumindest in Europa keine        Barbier kurierte auch Brüche, zog Zähne und entfernte Bla-        die strikte Arbeitsteilung zwischen akademischem Arzt und       Ab dem Ende des 18. Jahrhunderts begann die Institutiona-
     Fortschritte machte.                                               sensteine.                                                        handwerklich geprägtem Wundarzt. Obwohl Professor der           lisierung der Orthopädie. 1780 eröffnet der Arzt Louis-Jean
     Ein Zeitgenosse Luthers, Hans von Gersdorff, beschrieb in          Der Franzose Ambroise Paré (1) beispielsweise wurde im 16.        Chirurgie, beschrieb er in einem Lehrbuch gängige Opera-        Samuel Venel in der Schweiz die weltweit erste orthopädi-
     seinem »Feldbuch der Wundartzney« unter anderem ver-               Jahrhundert zunächst Lehrling eines Barbiers und Chirurgen,       tionsmethoden und die dafür notwendigen »neu erfundenen         sche Heilanstalt. Und 1816 gründete Johann Georg Heine
     schiedene Arten von Hieb- und Stichwunden: Es war eine             bevor er als Armeechirurg (2) arbeitete. Er beschrieb 1564        und dienlichen Instrumente« (6–9).                              das »Carolinen-Institut« in Würzburg, das Patienten aus ganz
     kriegerische Zeit. Wenig später, 1543, stellte der Arzt Andreas    Therapiemethoden, die für damalige Verhältnisse sehr mo-          1741 prägte – wie eingangs erwähnt – der Pariser Kinderarzt     Europa anzog. Ursprünglich hatte Heine »nur« orthopädische
     Vesalius (4) in seinem Werk »De humani corporis fabricca«,         dern waren, und entwickelte verschiedene medizintechni-           Nicolas Andry den Begriff »Orthopädie«. Aber nicht nur das:     Apparate angefertigt. Aber nach den napoleonischen Krie-
     eine chirurgische Systematik auf, in der er u. a. Ligaturen, Am-   sche Instrumente sowie Prothesen aus Stahl (3), die zumeist       Er empfahl, Verkrümmungen der Wirbelsäule und der Beine         gen war der Bedarf an medizinischer Hilfe groß, und er führ-
     putationen, das Phänomen des Phantomschmerzes und den              aus kosmetischen Gründen zum Einsatz kamen.                       durch Schienen zu korrigieren. Das war eine Revolution, denn    te auch selbstständig Behandlungen durch. Für die Heilung
     »Stand der Technik« in der Prothetik beschrieb.                    Berühmt wurde die »Eiserne Hand« des Ritters Götz von Ber-        bis dahin galten Verkrüppelungen als gottgegeben und nicht      komplizierter Knochenbrüche verwendete er zunächst das
     Zu jener Zeit war die Orthopädie eher ein Handwerk als eine        lichingen, die er anfertigen ließ, nachdem ihm 1504 eine Artil-   beeinflussbar. Andry hingegen hatte festgestellt, dass das      damals übliche »Streckbett« und anschließend so genannte
     Wissenschaft, denn die eigentlichen Ärzte konzentrierten           leriekugel die rechte Hand abschoss. Die voll bewegliche Pro-     natürliche Wachstum der Knochen die Fehlstellungen (10)         »Tragmaschinen«, die den Patienten beim Gehen unterstüt-
     sich auf die Diagnose. Hilfreich war bei diesen Tätigkeiten        these bestand angeblich aus mehr als 200 Einzelteilen. Per        beeinflusst, wenn man sie korrigiert. Damit war nicht nur ein   zen – ein früher Vorläufer des »Rollator«.

                                               1550                                                                                                                                                                               1750
6

 1
                          2            3                                                                                                     7                       8

                                                               5

                                       4

36   Nun war es offenbar auch Zeit für die allmähliche wissenschaftliche     Bernhard Heine (3) erfindet und entwickelt orthopädische        Entdeckung war auch ganz praktischer Natur: Am 22.12.1895       37
                                                                             Bandagen und Werkzeuge, darunter das »Osteotom« (4) –           machte Röntgen das erste »Röntgenbild«. Als Motiv wählte er
     Würdigung der Orthopädie. 1824 wird Johann Georg Heine (1) zwar
                                                                             eine Art Kettensäge – zur schonenden Durchführung von           die Hand seiner Frau, die das Foto zwei Tage später als Weih-
     noch nicht zum Orthopädieprofessor, aber doch immerhin zum »De-         Knochenoperationen.                                             nachtsgeschenk bekam. 1901 erhielt Röntgen den Nobelpreis
                                                                             Viele Chirurgen entwickelten neue Hilfsmittel und Gerä-         für seine Entdeckung.
     monstrator der orthopädischen Maschinenlehre« ernannt. Damit
                                                                             te – zum Beispiel Rollstühle (2). Von Emil Theodor Kocher (7)   Auch auf der kurativen und operativen Ebene machte die Or-
     erkennt man zugleich die medizinische Bedeutung der Orthopädie an       stammt die Kocher-Klemme, die noch heute verwendet wird.        thopädie um die Jahrhundertwende Fortschritte. 1900 nutz-
                                                                             1909 erhielt er den Nobelpreis (6) für Medizin.                 te Sir William Arbuthnot Lane erstmals interne Fixierungen
     und grenzt sie von der Schönheitskorrektur ab.
                                                                             Fortschritte ergeben sich auch durch neue Methoden der          aus Silberdraht und Nägeln zur Heilung von Brüchen – eine
     1838 wird in Deutschl and – genauer gesagt in Würzburg – der erste      Narkose und der Operationshygiene. So führt W. T. Green         Methodik, die in den kommenden Jahrzehnten noch deutlich
                                                                             Morton 1846 die Äthernarkose ein und 1870 Joseph Lister die     verfeinert werden sollte. Auch die Anfänge des Bodybuild-
     Lehrstuhl für Orthopädie und Operationslehre eingerichtet, den
                                                                             Antisepsis mit Carbolsäureester.                                ings datieren aus dieser Zeit: Der schwedische Arzt Gustav
     Bernhard Heine (3; ein Neffe von Johann Georg Heine) als erster inne-   Ab 1895 wurde die Diagnose in der Orthopädie bedeutend          Jonas Zander entwickelt um 1900 die ersten Maschinen für
                                                                             einfacher. Denn Carl Wilhelm Röntgen entdeckte die »X-          physiotherapeutische Widerstandsübungen (8).
     hat.
                                                                             Strahlen«, die später Röntgenstrahlen genannt wurden. Diese

                                        1830
2                                               4

 1                                                   3                                        5
                                                                                                                                                          8                         9

                                                                                              6                                                            7                                                                        11

                                                                                                                                                                               10                                                                        12

38   Kennen Sie die »Bone & Joint Decade«? Die Weltgesundheits-       wachsenden Aufgabenfeld steht: Mit zunehmendem Alter                Bio-Engineering: Züchten statt operieren                          das die Qualität von Operationen verbessern kann. Hier spielt      39
     organisation hat die Jahre 2000 bis 2010 zum Jahrzehnt der       steigen die Anfälligkeit und der Verschleiß des Bewegungs-          Als Alternative kann man heute auch dem Patienten eigene          wieder die Informationstechnologie (IT) eine wichtige Rolle –
     Knochen und Gelenke ausgerufen, um über die zunehmen-            apparates. Der Bedarf an künstlichen Hüftgelenken (1–4) und         Bandscheibenzellen im Labor »nachzüchten« und wieder in-          sie ist ein wesentlicher Treiber auch für den Fortschritt in der
     den Erkrankungen und Verletzungen der Halte- und Bewe-           künstlichen Kniegelenken (5, 6) dürfte also wachsen.                jizieren. So repariert sich das Gewebe quasi selbst: ein Trend,   Orthopädie.
     gungsorgane zu informieren.                                                                                                          der in vielen Bereichen der Medizin erkennbar ist. Auch Knor-
                                                                      Laser und Wasserstrahl statt Skalpell                               pelersatzmaterial z. B. für Kniegelenke wird schon aus eige-      Biomechanik: Auf dem Weg zum »Cyborg«
     Kampf den »Volkskrankheiten«                                     Bei der Behandlung von Erkrankungen des Knochengerüstes             nem Körpermaterial nachgezüchtet.                                 Ein anderer Weg ist der Ersatz von natürlichen Funktionen,
     Damit reagiert die WHO auf den Trend, dass gerade im Auf-        gibt es neue Ansätze wie z. B. die Kryotherapie (8–10), die mit                                                                       Organen und Gliedmaßen durch immer intelligentere me-
     gabenfeld der Orthopädie echte »Volkskrankheiten« wie z. B.      Kälte »operiert«. Generell gilt, wie auch für die Chirurgie, dass   Qualitätssicherung im OP                                          chanische Hilfsmittel. Das künstliche Hüftgelenk ist nur ein
     Rückenschmerzen zu behandeln sind – zumindest in den             Skalpell und Schere durch alternative, weniger aufwändige           Ein auch über die Orthopädie hinaus interessantes Projekt         Vorbote dieser Entwicklung. Dass der Mensch zum »kyberne-
     Industrieländern. Der Trend von der Industrie- zur Dienst-       Verfahren wie z. B. den Laser ersetzt werden. So kann man           ist die »Orthomed«-Datenbank für Hüftoperationen. Als ein         tischen Organismus« (Cyborg) wird, ist keine Vision der Sci-
     leistungsgesellschaft wird diesen Trend nicht abfedern:          inzwischen durch eine Mikrolaserbehandlung Bandscheiben-            erster Schritt zum »Üben« bzw. zum besseren Planen von            ence Fiction-Literatur, sondern Bestandteil der medizinischen
     Dauerhaftes Sitzen ist aus orthopädischer Sicht nicht viel ge-   vorfälle minimal-invasiv operieren. Man führt nur noch eine         Operationen liefert die Datenbank verallgemeinerbare Infor-       Forschung. Neue Generationen von Prothesen sollen mit den
     sünder als das Tragen von Lasten. Auch die demographische        Faser in den Körper ein, über die der Laser zur betroffenen         mationen und gibt Hilfestellungen für die individuelle OP:        Nervenzellen verbunden werden und somit in der Lage sein,
     Entwicklung lässt erwarten, dass die Orthopädie vor einem        Stelle gelangt und dort z. B. Mikrorisse »verschweißt« (11–13).     Ein Thema, an dem die gesamte Branche interessiert ist und        auf den »Wunsch« des Patienten zu reagieren.

                                                                            Orthopädie                                                    heute
5                                          9

 1
                                                                                        6                                                                                     10
                                          3                                                                         7                                                                                 11

                  2                                                  4                                              8                                                                                                       12                  13                   14

40   Erste Praxisversuche der Verbindung von Prothesen mit dem       Prothetik: Größere Freiheitsgrade                               OP-Roboter, die Hüftgelenke einpassen, haben sich nicht be-      führen. Die Kraft des Roboters wird sukzessive zurückgenom-    41
     Nervensystem sind vielversprechend: Wenn sich der Pati-         Auch unabhängig von der Ansteuerung durchs Gehirn er-           währt. Das heißt aber nicht, dass die Robotik »out« ist. Viel-   men, wenn der Patient den Arm selbsttätig bewegen kann.
     ent z. B. darauf konzentriert, am PC einen Kreis zu zeichnen,   lauben moderne Prothesen allein aufgrund ihrer mechani-         mehr ist Zusammenarbeit von Arzt und Maschine gefragt.           Basis dieser neuen Reha-Methode ist ein Leichtbauroboter,
     zeichnet ein Sensor im Gehirn die Gehirnströme auf, und am      schen Konstruktion und der Verwendung von High-Tech-            So kann der Operateur z. B. mit dem Joystick einen Roboter       der nur 16 kg wiegt und den man somit zuhause einsetzen
     Bildschirm entsteht tatsächlich ein Kreis.                      Werkstoffen immer größere Freiheitsgrade. Der Fall des          steuern, der hochpräzise und ohne Zittern schneidet oder         kann.
     Das funktioniert im Prototypenstadium auch bereits bei          »Paralympics«-Sportlers mit zwei federnden Beinprothesen,       vernäht. Andere Entwicklungen sind weiter verfolgt worden,       In eine ähnliche Richtung geht ein zweites Projekt des
     Armprothesen, die die Steuersignale an Brust und Schulter       der die 100 Meter schneller absolviert als der Olympiasieger,   und die Operationstechniken werden immer genauer. Man            Helmholtz-Instituts für Angewandte Medizintechnik in
     des Patienten »lesen« können. Der Patient aktiviert z. B. ei-   ist hier eine Zäsur: Die Verbindung von Organismus und Ma-      kann inzwischen sehr präzise navigieren, um Prothesen in         Aachen: Künftig wird der Patient des Orthopäden z. B. ein
     nen bestimmten Brustmuskel, und die Prothese greift zu          schine hat den Menschen, im wahrsten Sinne des Wortes,          Knie und Hüfte zu implantieren. Der »Orthopilot« (2, 5) über-    Deuser-Band mit integrierter Sensorik nach Hause nehmen
     (7). Zwei bis drei Jahre sollen noch vergehen bis solche ge-    überholt. Und diese Entwicklung ist noch nicht am Endpunkt      nimmt hier (fast) die Funktion des Autopiloten im Flugzeug.      und Übungen machen, die der PC vorgibt. Der PC dokumen-
     dankengesteuerten Prothesen Serienreife erlangen. Die Ver-      angekommen.                                                                                                                      tiert die Übungen, und der Arzt kann feststellen, ob und wie
     suchspatienten sind dankbar: Sie konnten erstmals selbsttä-                                                                     Zukunftsmarkt: Der Reha-Roboter                                  der Patient Fortschritte gemacht hat.
     tig aus einem Glas trinken oder einen Teller aus einem Regal    Robotik: Ohne Arzt geht es nicht                                Ohne Zweifel sinnvoll ist auch der Einsatz von Robotik bei
     entnehmen – dank sieben Freiheitsgraden sogar mit fließen-      Ein Trend, der bereits zur Vergangenheit gehört, ist die Ro-    Reha-Maßnahmen (3, 8). Bei Schlaganfall-Patienten kann der
     den Bewegungen.                                                 botik als Ersatz für den Operateur. Die viel beschriebenen      Roboter den Arm des Patienten in vorgegebener Bewegung

                                                                           Orthopädie                                                heute
qertiopasdfghjklcbnm
        ER:S/C module

        extremity_ rehab: suit/control
        version: ER:S/C.01.1

        • A R RAY panel

        m ode • //X > 07/Y > 03/1 > 0 9          • ID

        moving sequence structu re               verify id index

        X 01 0 2 03 0 4 05 0 6 07 0 8 0 9 1 0    code:
                                                 //0111A BX9 …
        Y 01 0 2 03 0 4 05 0 6 07 0 8 0 9 1 0

        1 01 0 2 03 0 4 05 0 6 07 0 8 0 9 1 0

        t = 1 0 2:23:4 6

                    … starting moving sequence >>>>>>>>>>>>>>>>>>

42   Heute hat Vincent Rapp ernsthaft Pech. Schon morgens beim         also gibt es bei Ihnen praktisch keinen Muskelaufbau.« »Und
                                                                                                                                               moving sequence //Ab 1 _ 8.1/

     Zähneputzen ermahnt ihn eine freundliche Stimme, die aus          was bedeutet das?« »Das bedeutet zunächst mal, dass die
     seinem (von der Krankenversicherung im Badezimmer ins-            Versicherung Sie vermutlich aus dem Disease Management-
     tallierten) »Personal Health Companion« stammt, dass sei-         Programm ausschließt und Ihre Beiträge empfindlich erhöht.«
     ne Versicherungsbeiträge um 8 % steigern werden, wenn er          »Gibt es keine Chance, weiterzumachen?«
     nicht regelmäßiger und ausdauernder Zahnpflege betreibt.          Der Arzt überlegt. »Reden Sie mal mit Ihrer Versicherung.
     Der Orthopäde, bei dem er anschließend wegen der Nach-            Wenn Sie das `All Care´-Paket abschließen, drückt man viel-
     behandlung seines Bandscheibenvorfalls einen Termin hat,          leicht noch ein Auge zu.« Vincent Rapp ist empört: »Das
     gibt sich schon keine Mühe mehr, freundlich zu bleiben.           würde mich exakt die Hälfte meines Gehaltes kosten – nur
     »Herr Rapp, Sie haben pro Tag weniger als 20 Minuten geübt        für die Krankenversicherung.« Der Arzt nickt: »Ja, sicher. Die
     und gestern gar nicht.«. Vincent Rapp ist verblüfft. »Woher       hohen Kosten machen vielen meiner Patienten zu schaffen.
     wollen Sie das wissen?« »Der Funk-Transmitter Ihres Reha-         Aber heute bietet die Medizin auch einfach mehr Möglichkei-
     Anzugs sendet mir und Ihrer Versicherung die Daten mit den        ten und umsonst, so sagte man früher, ist der Tod!«
     Übungszeiten und den Bewegungsabläufen. Die pneumati-
     schen Muskeln des Anzugs arbeiten noch mit voller Leistung,

                                                                                                                                        2020   moving sequence //X 1 0 _ 8.2/
:structure
 regeneration _ matrix
  _ 01                                 _ 02                                                                                                     _ 05

 1:1 0                                 1:1 0                                                                                                     1:1 0

                                                                                    _ 03.1
     10   5   0   5           10       10       5   0   5          10                                                                            10       5          0         5          10

                                                                                              1:2 0
                       ... X _10 0Xd                        ... X _10 0Xd                                                                                                          ... X _10 0Xd

  _ 03                                 _ 04

 1:1 0                                 1:1 0

44                                                                                                    Im Jahr 2052 werden – so die Prognosen von 2009 – Verkehrs-        arbeitet – ein Verfahren, das heute schon in der Industrie als   45
                                                                                                      unfälle die dritthäufigste Todesursache sein: eine negative        »Rapid Prototyping« bekannt ist. Erste Ansätze, dieses Ver-
     10   5   0   5           10       10       5   0   5          10                                 Folge der zunehmenden Motorisierung in den so genannten            fahren für das Wachstum von Körpergewebe nutzbar zu ma-
                                                                                                      Schwellenländern wie China und Indien. In diesem Zusam-            chen, gibt es bereits.
                                                                                                      menhang ist es gut zu wissen, dass die Prothetik in den kom-
                                                                                                      menden Jahren große Fortschritte machen wird. Das gilt vor
                       ... X _10 0Xd                        ... X _10 0Xd

                                                                                                      allem für die Einbindung der Prothesen in den Körper und
                                                                                                      ins Nervensystem. In nicht allzuferner Zukunft wird man
 //
                                                                                                      Prothesen direkt an die Nervenbahnen anbinden, so dass die
 3 _d _ regeneration                                                                                  Befehle des Gehirns tatsächlich im künstlichen Fuß oder Arm
                                                                                                     ankommen. Und bei komplizierten Knochenverletzungen
                                                                                                      und –erkrankungen nutzt man ebenfalls neue Methoden:
                                                                                                      Wissenschaftlern ist es gelungen, Knochen und Knochen-
                                                                                                      segmente aus körpereigenem Material zu erzeugen. Dazu
                                                                                                      verwendet man ein einfaches Gerät, das wie ein 3D-Drucker

                                                                            2052
Diagnostik
Diagnose: griechisch, jeweils heu-                     Ich bin der Doctor der Artzney /
tige Aussprache diágnosi, wörtlich                     An dem Harn kann ich sehen frey /
»die Durchforschung« im Sinne von                      Was kranckheit ein Menschn thut beladn /
»Unterscheidung«, »Entscheidung«;                      Dem kan ich helffen mit Gotts gnadn /
aus -, dia-, »durch-« und , gnósi, »die                Durch ein Syrup oder Recept /
Erkenntnis«, »das Urteil«                              Das seiner kranckheit widerstrebt /
                                                       Daß der Mensch wider werd gesund /
                                                       Arabo die Artzney erfund.

                                                       Hans Sachs, Das Ständebuch, 1568
5

                                                                                                                                          4
                                                                2                                                                                                                            7

                                                                                                                                          3

                                      1                                                                                                                               6

48   Die Lehre von den vier Körpersäften (Humoralpathologie) war damals     Beim Choleriker zum Beispiel ist die gelbe Galle zu stark ver-    gung und Beobachtung des Patienten gehört, ist auch heute        49
                                                                            treten, beim Phlegmatiker der Schleim. Und weil zu viel Blut      noch Teil jeder Krankenakte. Das war der Anfang der neuzeit-
     weit verbreitet und wurde auch in Bezug zur Astrologie gesetzt (4) .
                                                                            nach dieser Theorie in vielen Fällen die Krankheitsursache ist,   lichen Diagnosemethoden.
     Heute wird sie bestenfalls als Kuriosum der Medizingeschichte be-      wendet man Aderlässe an oder setzte Schröpfköpfe – und            Das heißt allerdings nicht, dass die Viersäftelehre »out« war.
                                                                            befördert häufig, aus heutiger Sicht, einen ohnehin schon         Galen (1) hat zwar viele moderne Diagnoseverfahren begrün-
     trachtet. Die Lehre besagt: Nur wenn die vier Körpersäfte Blut,
                                                                            geschwächten Patienten endgültig zum Tode.                        det – unter anderem empfahl er die genaue Untersuchung
     Schleim, gelbe Galle und schwarze Galle im Gleichgewicht zueinan-      Was die griechische Ärzteschule von Kos – deren bekann-           von Puls und Urin –, aber auch er hielt die Humoralpatholo-
                                                                            tester Vertreter Hippokrates von Kos ist (3) – zwischen 500       gie für grundlegend. Noch Albrecht Dürer hat im 16. Jh. diese
     der stehen, ist der Mensch gesund. Aus dem Ungleichgewicht hinge-
                                                                            und 400 v. Chr. lehrte, war damals ein immenser Fortschritt.      Theorie illustriert (2). Und der umfassende, jahrhundertelan-
     gen resultieren körperliche und seelische Krankheiten.                 Denn bis dahin glaubte man, dass übernatürliche Kräfte die        ge Gebrauch z. B. von Brenneisen (6) und Schröpfköpfen (5,
                                                                            Ursache für Krankheiten seien.                                    7) hat seinen Ursprung darin, dass man einen Ausgleich der
                                                                            Hippokrates und seine medizinischen Kollegen holten also          Körpersäfte zu erzielen suchte und den Körper gezielt reizen
                                                                            die Medizin auf die Erde – und zum Patienten. Und sie wa-         wollte.
                                                                            ren die ersten, die genaue Ursachenforschung betrieben: Die
                                                                            »Anam­nese«, zu der nach Hippokrates die sorgfältige Befra-

                                          129 n. Chr.
4                          5                                               6                                              8

        1                                                                                                                                 7
                                        3                                                                                                                                                              9

                                              2

50   Der Empfehlung von Galen, den Urin der Patienten zu untersuchen,        Im Mittelalter wurden Ärzte oft beim Betrachten eines Harn-      1668 bis 1738) bezeichnete den Arzt als »Diener der Natur«       51
                                                                             glases dargestellt. Das zeigt, dass das »Urinlesen« – die Uro-   und trieb an der Universität Leiden den Ausbau der klinischen
     folgte im Mit tel alter die »Schule von Salerno«, die zum Kloster von
                                                                             skopie – als Diagnosemethode hoch im Kurs stand (3). Dabei       Medizin voran.
     Monte Cassino gehörte. Sie k ann als eine der erste medizinischen       prüfte man, so hatte Galen es gelehrt, Dichte, Farbe, Geruch,    Eine wichtige Rolle kommt hier einem Schüler Boerhaeves (7),
                                                                             Geschmack und Sediment (2). Die Ergebnisse wurden häufig         dem österreichischen Hofmediziner Gerard van Swieten (8;
     Hochschulen bezeichnet werden und bemühte sich darum, die Er-
                                                                             in einer »Harnkarte« (4) festgehalten, die auch die körperli-    1700 bis 1772) zu. Als Leibarzt der österreichischen Kaiserin
     kenntnisse der griechischen Heilkunde nutzbar zu machen. Die Ärzte      che Verfassung und das Temperament des Patienten (natür-         Maria Theresia (9) kämpfte er gegen den Aberglauben und
                                                                             lich auf der Basis der Viersäftelehre) berücksichtigte.          suchte nach rationalen Ursachen nicht nur für Krankheiten,
     der Schule – unter ihnen auch arabische Gelehrte – führten u. a. ana-
                                                                             Im 16. Jahrhundert beließ man es jedoch nicht mehr beim          sondern auch für so genannte »übernatürliche« Phänomene
     tomische Studien an Schweinen durch.                                    Harnlesen. Johannes Baptista Montanus (5; 1498 bis 1551),        wie den damals weit verbreiteten Vampirglauben.
                                                                             der in Ferrara und Padua lehrte und auch als der »zweite         Die Welt wurde also rationaler, und bei der Diagnose von
                                                                             Galen« bezeichnet wird, griff auf die Autopsie und damit zu      Krankheiten wandte man zunehmend Methoden an, die
                                                                             wissenschaftlichen, praxisorientierten Methoden zurück. Ge-      auch aus heutiger Sicht als wissenschaftlich gelten können.
                                                                             nerell nutzten die Mediziner der Renaissance verstärkt die Er-   Ein wesentlicher Grund hier für ist, dass die Mediziner zuneh-
                                                                             kenntnisse der Naturwissenschaften. Herman Boerhaave (7;         mend Hochschulbildung besaßen.

                                        1550                                                                                                                          1700
1

                                                                     3                      4                                                         6                                                                          8

                                                                                            5                                                                                                                   7

                  2

52   Athanasius Kircher (1; 1602 bis 1680) nutzte ein vergleichs-    Marcello Malpighi 1661 erstmals die roten Blutkörperchen –       im Dunkeln. Einen wesentlichen Fortschritt erzielte hier der   Strahlen« nannte und die heute noch auf Englisch »X-Ray«        53
     weise einfaches Mikroskop zur Erforschung von Krankheits-       natürlich ohne ihre Funktion zu erkennen.                        preußische Landarzt Robert Koch. Ihm gelang es, die Erreger    heißt. Der praktische Nutzen: Mit diesen Strahlen ließen sich
     ursachen. So untersuchte er 1665 während einer Pestepide-       Eines der grundlegenden Instrumente der medizinischen            der Tierseuche Milzbrand nicht nur unter dem Mikroskop (5)     menschliche Körper durchleuchten und Knochen sichtbar
     mie den Eiter aus Pestbeulen und fand dort Lebewesen, die       Diagnose – das Stethoskop (3) – wurde um 1820 von René           zu identifizieren (das hatten schon andere Mediziner vor ihm   machen. Damit wurde zum ersten Mal ein Blick ins Innere des
     er für »kleine Würmer« hielt. Wahrscheinlich handelte es sich   Laennec (4) erfunden. Nicephore Niepce (6) schuf mit der         getan), sondern sie durch Farbstoffe im Blut sichtbarer zu     Menschen möglich. Röntgen verzichtete übrigens auf eine
     jedoch um rote oder weiße Blutkörperchen. Letztlich war sei-    Fotografie auch die Grundlage für heutige bildgebende Ver-       machen und zu fotografieren. Damit waren die bildgebenden      Patentierung der X-Strahlen, weil seine Erfindung sofort und
     ne Theorie zwar falsch, aber der Weg war richtig. Er bemühte    fahren, Wilhelm Herschel (7) entdeckte nicht nur den Uranus,     Verfahren in der medizinischen Forschung und Diagnostik        überall für die medizinische Diagnostik genutzt werden soll-
     sich um eine wissenschaftliche Diagnose und ging davon aus,     sondern auch die Infrarotstrahlung.                              etabliert. 1882 entdeckte und dokumentierte Koch auf diese     te.
     dass es sich um einen lebendigen Erreger handeln musste.        Damals glaubte man, dass schädliche Dünste (Miasmen) viele       Weise die Tuberkelbazillen, 1883 die Erreger der Cholera.
     Die Methodik der Mikroskopie wurde schnell verfeinert, u. a.    Krankheiten verursachten. Das war insofern naheliegend, als      Ende des 19. Jahrhunderts gab es eine einschneidende Ver-
     durch die Arbeit von Hans Lipperhey (2). Die Geräte von An-     es in vielen Städten mangels Kanalisation in der Tat nicht gut   besserung in der bildgebenden Diagnostik. Der Startpunkt
     toni van Leeuwenhoek zum Beispiel (1632 bis 1732) erlaub-       roch, und viele Erreger in diesem Mikroklima gut gediehen.       lässt sich exakt datieren. Es geschah am 8.11.1895, einem
     ten bis zu 270-fache Vergrößerung. In dieser Zeit entdeckte     Noch immer wusste man nicht, wie Infektionskrankheiten           Freitagnachmittag, »als sich keine dienstbaren Geister mehr
     man unter anderem Blutkörperchen und Bakterien. Nachdem         entstehen und sich verbreiten. Daher tappte man auch bei         im Hause fanden«. Da entdeckte der Physiker Wilhelm Con-
     William Harvey 1658 den Blutkreislauf beschrieben hatte, sah    der Diagnose und erst recht bei der Behandlung weitgehend        rad Röntgen (8) eine neuartige Art der Strahlung, die er »X-

                                                                                           1800
Natrium          135–145                       mmol/l                                                                                       8
                                                                    Kalium           3,6–5,0                       mmol/l
                                                                    Calcium          2,2–2,6                       mmol/l
                                                                    Chlorid          95–110                        mmol/l
                                                                    Magnesium        0,7–1,0                       mmol/l
                                                                    Glucose          3,33–5,55                     mmol/l
                                                                    Harnstoff-N      20–45                         mg/dl                                                                     5
                                                                    Kreatinin                  0,8–1,2 3 0,9–1,4   mg/dl
                                                                    Kreatinin-
© Fraunhofer IMS, Duisburg

                                                                    Clearance                  >85       >95       ml/min
                                                                    Harnsäure                  2,0–6,8             mg/dl
                                                                    Gesamteiweiß     6,0–8,0                       g/dl
                                                                    Triglyceride     60–180                        mg/dl
                                                                    Cholesterin      140–200                       mg/dl
                                       1                            Eisen            2         60–160    80–180    μg/dl                                               6                                            7                   9
                                                                    Ferritin         35–217    23–110    35–217    μg/l
                                                                    Myoglobin        ca < 70   19–56     21–98     ng/ml
                                                                    Troponin         0,01–0,08                     ng/ml
                                                                    Bilirubin gesamt < 1,2                         mg/dl
                                                                    Fructosamin      2,0–2,8                       mmol/dl
                                                                    Bilirubin direkt 42
                                                                                     35                 mg/dl
                                                                                                                   mg/dl
                                                                                                                             Der Schlüssel zur effektiveren Therapie                         Im Fokus: Die bildgebenden Verfahren (8)                        55
                                                                                                                             Mit immer genaueren Methoden lassen sich z. B. Gewebever-       Auch wenn diese Zahlen vielleicht zu hoch gegriffen sind:
                             desto schneller die Heilung: Das ist, verkürzt
                                                                    Ammoniak ausgedrück t, die 20–65Erklärung
                                                                                                         28–80     μg/dl
                                                                    Lactat           85     >95            ml/min
                                                                   Harnsäure                2,0–6,8                mg/dl
                                                                   Gesamteiweiß   6,0–8,0                          g/dl
                                                                   Triglyceride   60–180                           mg/dl
2                            3
                                                                                                                         4                                                                                                     6

                                                                                                                                                                                                                               7

                  1                                                                                                                                                           5                                                                       8

56   Eine deutliche Verbesserung ergibt sich zum Beispiel durch         zum Einsatz. Ein Beispiel ist die »C-Bogen«-Technologie. Hier      mographie (CT) ist seit einigen Jahren Standard. Beim Ein-    Kontrastmittel (3). Zum Beispiel arbeitet man aktuell daran,   57
     die »Dual Source«-Technology der Computertomographie.              kann man während der Operation CT-Bilder generieren. Ein           setzen von Herzklappen bringt die gleichzeitige Nutzung von   Krebszellen durch radioaktives Markieren zu erkennen. Dabei
     Durch den Einsatz von zwei Röntgenquellen mit verschie-            C-förmiger Roboterarm »umfährt« dabei den auf dem OP-              Kardiographie, Angiographie und Magnetresonanztomogra-        macht man sich zunutze, dass die Stoffwechselaktivität im
     denen Energien kann man z. B. Gefäßstrukturen hinter der           Tisch liegenden Patienten (4, 5, 8). Hier zählt auch die Robotik   phie (MRT) Vorteile. Ganz neu ist die Kombination von MRT     Bereich von Tumoren höher ist als in gesundem Gewebe.
     Schädelkalotte räumlich darstellen und erkennen (2). Ein           zu den Innovationstreibern im OP.                                  und PET. Mit dem 58 Tonnen schweren »Kombi-Tomogra-
     weiterer Vorteil ist die bessere Zeitauflösung, die z. B. schar-                                                                      phen« kann man z. B. den Stoffwechsel im Gehirn analysieren   Eine weitere Möglichkeit der Frühdiagnose ergibt sich aus
     fe Darstellungen der Herzkranzgefäße bei unterschiedlicher         Im Trend: Kombinationsverfahren                                    und neurologische Krankheiten wie Epilepsie oder Multiple     der Kombination von bildgebenden Verfahren wie PET mit
     Herzfrequenz erlauben. Vorteile ergeben sich auch durch den        Wenn während der Operation CT-Bilder aufgenommen wer-              Sklerose erforschen.                                          Bio-Markern. Und die Erkennung von Krebszellen auf Moleku-
     Einsatz minimal-invasiver Diagnosetechniken (6, 7).                den, kann sich der Operateur besser orientieren und mit ak-                                                                      larebene mit dem Fluoreszenzverfahren befindet sich gerade
                                                                        tuellen Bildaten arbeiten. Künftig wird man auch überlagerte       Diagnose auf Zell- und Molekülebene                           in der Industrialisierungsphase: Man gibt dem Patienten eine
     Bildgebung noch während der OP                                     Kamera- und CT-Bilder darstellen können. Dann ist die Basis,       Die höhere Genauigkeit der bildgebenden Verfahren führt       Substanz, die an die Krebszellen in der Harnblase andockt
     Diese Möglichkeiten nutzt man auch für eine optimierte OP-         auf der der Operateur arbeitet, nochmals fundierter.               dazu, dass man Frühdiagnosen auf zellulärer und sogar mo-     und kann über ein Endoskop mit blauem Laser die Fluores-
     Planung. Denn mit Hilfe der bildgebenden Verfahren kann            Weitere Verbesserungen ergeben sich aus der kombinierten           lekularer Ebene fällen kann. Dabei kommen auch nukleare       zenz der Stoffe anregen. Dieses Verfahren wird zurzeit auch
     sich der Operateur im Vorfeld besser vorbereiten. Auch im          Nutzung von zwei Verfahren. Die gemeinsame Nutzung von             oder biologische »Marker« zum Einsatz, die wesentlich dif-    für Lungentumore erprobt. Somit befindet sich die Diagnos-
     OP selbst kommen verstärkt hochmoderne Diagnosegeräte              Positronen-Emissions-Tomographie (PET) und Computerto-             ferenziertere Diagnosen erlauben als die heute verwendeten    tik auf dem Weg zur Molekularmedizin.

                                                                                Diagnostik                                                 heute
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