Das Verhältnis zwischen Staat und islamischen Religionsgemeinschaften - Der Hamburger Staatsvertrag aus Praxisperspektive
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Das Verhältnis zwischen Staat und islamischen Religionsgemeinschaften Der Hamburger Staatsvertrag aus Praxisperspektive
AIWG-Expertise Das Verhältnis zwischen Staat und islamischen Religionsgemeinschaften Der Hamburger Staatsvertrag aus Praxisperspektive
Über den Autor Norbert Müller ist als Rechtsanwalt in Hamburg. Während der Verhandlungen zum Hamburg tätig. Er ist Vorstandsmitglied Staatsvertrag in Hamburg war er Mitglied der bei SCHURA – Rat der Islamischen Verhandlungskommission der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e. V.. Dort Verbände. Ferner ist er Mitglied des Boards ist er für Rechtsangelegenheiten zustän- der Akademie für Islam in Wissenschaft und dig und Beauftragter der islamischen Gesellschaft (AIWG). Religionsgemeinschaften bei Senat und Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Norbert Müller
Inhaltsverzeichnis Einführung 2 1. Vorbedingungen für den Verhandlungsprozess zwischen Staat und Muslim_innen 6 1.1 Binnenislamische Aushandlungsprozesse und die Ausbildung eines islamischen Landesverbands6 1.2 Die Verabschiedung des SCHURA Grundsatzpapiers 11 1.3 Öffentliches Klima und parteipolitische Rahmenbedingungen in Hamburg 12 2. Staatsvertrag zwischen dem Hamburger Senat und islamischen Religionsgemeinschaften14 2.1 Aufnahme der Verhandlungen 14 2.2 Gegenstand der Gespräche 14 2.3 Prüfung der Voraussetzungen für die Anerkennung als Religionsgemeinschaften 18 2.4 Abschluss des Hamburger Staatsvertrags 19 2.5 Kooperation zwischen Staat und islamischen Religionsgemeinschaften 20 3. Das Hamburger Modell im Kontext der Entwicklungen in anderen Bundesländern 25 3.1 Ausbildung islamischer Landesverbände 25 3.2 Der Seevetaler Einheitsprozess und die Gründung des Koordinationsrats der Muslime (KRM) 25 3.3 Aufnahme von Gesprächen mit Muslim_innen in verschiedenen Bundesländern 26 4. Hindernisse auf dem Weg – Diskursive Reproduktion ausländischer Konflikte 30 4.1 Gefährdung des Staatsvertrags aufgrund (außen-)politischer Agitation und Verflechtung 30 4.2 Die „Facebook-Affäre“ 31 4.3 Der Al-Quds-Tag 32 5. Der Staatsvertrag als Objekt politischer Kontroversen 34 6. Fazit: Von der Religionsgemeinschaft zur Körperschaft? 36 7. Literaturverzeichnis 39 Impressum46
2 AIWG-Expertise: Das Verhältnis zwischen Staat und islamischen Religionsgemeinschaften Einführung Das Verhältnis zwischen Staat und Islam in Deutschland Dr. Raida Chbib Geschäftsführerin an der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft Die vorliegende Expertise der AIWG gewährt anhand religiösen Traditionen über die individuelle Alltags eines Beispiels aus dem Bundesland Hamburg einen praxis der jeweiligen Religionsanhänger_innen gesell- ausführlichen Einblick in die praktische Ausgestaltung schaftlich verankert. des Verhältnisses zwischen Staat und islamischen Insofern tangiert dieser Beitrag grundsätz Religionsgemeinschaften in Deutschland, und zwar aus liche Fragen der Entwicklung von Religion im der Perspektive des Juristen und Vorstandsmitglieds Kontext von Immigration, innere Aushandlungs- des islamischen Landesverbands SCHURA Hamburg und Wandlungsprozesse im Rahmen religiöser e. V., Norbert Müller. Über eine Rekonstruktion der Traditionen und damit konnotierter Praktiken, mehrjährigen kommunikativen Prozesse in dich- Institutionalisierungsweisen nicht kirchlich organi ter Beschreibung der sich wandelnden politischen sierter Religion, Fragen transnationaler und politischer Kontextbedingungen, glaubensgemeinschaftlicher Verflechtungen mancher islamischer Gemeinschaften, Entwicklungen und gesellschaftlich-öffentlicher aber auch Fragen nach Adaptionsprozessen islamisch- Rahmenbedingungen in Hamburg, liefert Norbert religiöser Traditionen, nach religiösen Praktiken so- Müller Informationen und Einschätzungen zum wie nach den Selbstverständnissen islamischer Prozess der Verständigung zwischen staatlichen und Institutionen in Deutschland und der muslimischen islamisch-religiösen Akteuren. Der von ihm dargelegte Gläubigen vis-à-vis ihrem gesellschaftlichen Umfeld. Aushandlungsprozess ist in einen Staatsvertrag gemün- Nobert Müller wirft in seinem Text exemplarisch det, der die Grundlage für die weitere Zusammenarbeit Licht auf die Bemühungen des Staats, mit religiö- zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg, dem sen Alltagsbelangen der muslimischen Bevölkerung DITIB-Landesverband Hamburg, der SCHURA – Rat der in Kooperation mit ihren bestehenden Institutionen Islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem regulativ umzugehen. Wie voraussetzungsreich, Verband der Islamischen Kulturzentren und für ihr poli unwegsam, kontrovers und fragil der Prozess der tisches Handeln geschaffen hat. Parallel dazu hat der Vertrauensbildung und der politischen Ausgestaltung Hamburger Senat mit der Alevitischen Gemeinde ei- des Religionsfeldes Islam unter wechselnden nen weiteren Staatsvertrag abgeschlossen sowie der Bedingungen ist, wird in dieser Expertise deutlich. Ahmadiyya Muslim Jamaat den Status als Körperschaft Hierbei wird auch ein Blick auf die Diskussionen un- des öffentlichen Rechts verliehen. ter den Muslim_innen im Kontext der religionsrecht- Aus einem erweiterten Betrachtungswinkel he- lichen Integration geworfen. Diese finden statt, raus bietet sich das dargelegte Länderbeispiel als können strittig sein und betreffen besonders das Anschauungsmaterial für rechtliche und politische Selbstverständnis des/der einzelnen innerhalb der Regulierungsansätze in Anpassung an den Wandel im deutschen Gesellschaft. religiösen Handlungsfeld an. Im Zuge von Migration Dabei hat Hamburg, anders als manch ande und gesellschaftlichen Veränderungen hat sich re Bundesländer, im Umgang mit islamischen das religiöse Gefüge hierzulande ausdifferenziert: Glaubensgemeinschaften keinen Sonderweg be- Weitere religiöse Gemeinschaften, darunter welche schritten oder provisorische Einzelmaßnahmen er- ostasiatischen Ursprungs sowie aus dem freikirchlich- griffen, sondern ist den religionsrechtlich verbrieften christlichen und dem islamischen Spektrum, haben Weg des Abschlusses einer umfassenden Ver sich in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik einbarung gegangen, wie er üblicherweise auch in Deutschland institutionalisiert und die dazu gehörigen Zusammenarbeit mit kirchlichen Gemeinschaften
Der Hamburger Staatsvertrag aus Praxisperspektive 3 eingeschlagen wird. Fragen des Arrangements von jedwede Zusammenarbeit und für stabile Verhältnisse Staat und Religion sind in Deutschland über eine his- im religionspolitischen Handeln mit den islamischen torisch gewachsene und verfassungsrechtlich ver- Gemeinschaften darstellen: briefte Form der Trennung zwischen Staat und Kirche Erstens stellt sich die Frage nach dem Umgang mit mit kooperativer Ausgestaltung religiös konnotier- der binnenmuslimischen organisatorischen Pluralität ter Handlungsbereiche geregelt. Zur gemeinsamen angesichts der migrantischen Prägung der meisten Ausgestaltung religiöser Belange, die sich vor allem islamischen Gemeinschaften mit Anhänger_innen im öffentlichen Raum ergeben, bedarf es der etab- verschiedener konfessioneller und sprachlicher Hinter lierten Religionsgemeinschaften als stabile korpora- gründe. Dies stellt sowohl die Politik als auch die tive Partner. In Hamburg ist es gelungen, mit allen Muslim_innen selbst vor Herausforderungen. Das bestehenden Moscheegemeinschaften und weiteren Anwachsen einer deutsch geprägten Generation aus muslimischen Vereinen der großen sunnitischen wie deutschen Konvertit_innen und Staatsbürger_innen auch der schiitischen Konfessionen über einen großen nachfolgender Generationen der ersten Migrant_innen multiethnischen Landesverband und zwei türkisch- bringt weitere Interessen und eine Diversifizierung im islamische Organisationen nach gutachterlicher islamisch-organisatorischen Feld hervor. Prüfung einen Staatsvertrag abzuschließen. Dass dies In Hamburg konnte über eine innerislamische Ver für keine Seite ein leichtes Unterfangen war, liegt in ständigung und Zusammenarbeit der Landesverband der Natur der Sache. SCHURA Hamburg e. V. entstehen, in dem sich eine Über die Verhandlungen im Vorfeld und die Eini Vielfalt an Vereinigungen zusammengeschlossen hat. gung auf die grundlegenden Inhalte des Vertrags Für die staatliche Seite wurde die Zusammenarbeit konnten wichtige Fragen des Zusammenlebens, dadurch vereinfacht. Doch für die Leitungsebene ei- wie zum Beispiel die Bestattung von Muslim_in- ner solchen pluralen Gemeinschaft, die zudem per- nen nach islamischem Recht auf Hamburger Fried sonell und finanziell recht schwach ausgestattet ist, höfen, die Umsetzung von Projekten, hierunter war und ist eine solche innere Heterogenität nicht die Etablierung islamtheologischer Studien an der einfach zu handhaben. Global wird die Organisation Universität Hamburg, nachhaltig und für alle in- mit ihren zahlreichen unterschiedlichen Mitgliedern volvierten Partner_innen tragbar geregelt werden. in den Krisenmodus katapultiert, sobald einzelne Damit wurde für alle Seiten eine Bezugsgrundlage Mitglieder fragwürdigen politischen Aktivitäten nach- geschaffen; Ansprechpartner_innen waren für ver- gehen. Schwierige innere Aushandlungsprozesse schiedene Fragen verfügbar, um sie in verschiede müssen vollzogen werden, von außen her kommt der ne Aktivitäten im Stadtstaat einzubeziehen. Die Landesverband in Gänze in Bedrängnis, selbst wenn Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung war die meisten Mitglieder nicht in die Konfliktsache in von Diskussionsprozessen unter den Muslim_innen volviert sind. Beispielhaft wird dies geschildert anhand in Hamburg begleitet, welche ihr Engagement für die der Teilnahme einzelner Mitglieder des Islamischen deutsche Gesellschaft betrafen und zugleich Fragen Zentrums Hamburg an Demonstrationen des soge- hinsichtlich ihres Verhältnisses zu anderen Staaten und nannten al-Quds-Tags und der Stellungnahmen von ihrer Haltung zu politischen Ereignissen in Deutschland SCHURA-Vertretern zu Ereignissen in der Türkei. und im Ausland berührten. Die vorliegende Expertise Es zeigt sich, dass sich in den vergangenen Jahren gibt auch hier einen Einblick in die transformative bei diesen inneren Aushandlungsprozessen des Wirkungsweise von Verantwortungsübernahme, wel- heterogenen Landesverbands letztlich jene Kräfte che oft aus dem öffentlichen Blick gerät. durchsetzen konnten, die radikale Positionen ab Was sich mit einfachen Worten zusammenfassen lehnen und die sich für eine gesellschaftszuträgliche lässt, bleibt dennoch durchgehend kompliziert. Positionierung des Gesamtverbands eingesetzt haben. Obwohl das Land Hamburg im bundesweiten Maßstab Insgesamt hat es die Organisation – als einer der we- die Gleichstellung islamischer Gemeinschaften weit nigen islamischen Landesverbände in Deutschland – vorangetrieben und mit dem Abschluss eines Staats geschafft, im Konsens alle ihre Mitglieder dazu zu be- vertrags ein rechtliches Fundament für ein Verhältnis wegen, sich aktiv mit Fragen des Selbstverständnisses auf Augenhöhe und für islambezogene politische und der Selbstverortung in Bezug auf Staat und Entscheidungen gelegt hat, bleibt die Lage dort durch- Grundgesetz auseinanderzusetzen und sich grund- gehend angespannt. Dies liegt besonders an drei sätzlich auf ein Bekenntnis zur Werteordnung der Spannungsfeldern, die eine Herausforderung für deutschen Verfassung zu verpflichten, was dann
4 AIWG-Expertise: Das Verhältnis zwischen Staat und islamischen Religionsgemeinschaften das Bezugsmoment in Krisenmomenten bildete. abgesprochen oder dass ihre Verfassungskonformität Dieser Prozess ist nicht linear und für alle Zeiten ab- angezweifelt wird, sofern Verbindungen ihrer Lei geschlossen. Die Expertise wirft ein differenziertes tungsebene oder eine strukturelle Anbindung zu aus- Bild auf die innere Transformation durch öffentliche wärtigen Institutionen bestehen, nicht immer, doch Verantwortung und auf die Störquellen. besonders dann, wenn die politische Lage zu den Ein zweites Spannungsfeld bilden wieder- jeweiligen Ländern angespannt ist. Dies betrifft in kehrende Kontroversen rund um Fragen der Hamburg in den letzten Jahren besonders den DITIB- Legitimität islamischer Dachverbände als korpora Landesverband, aber auch immer das weiterhin vom tive Ansprechpartner für übergreifende muslimische Verfassungsschutz beobachtete Islamische Zentrum Religionsbelange und, oft damit verbunden, öffent- Hamburg. lich heftig geäußerte Zweifel an der Loyalität islami- Die Beschreibungen und Einschätzungen Norbert scher Dachorganisationen in Deutschland zum deut- Müllers zu Hamburg, die stellenweise von Raida schen Staat. Die damit verwobenen Debatten kreisen Chbib um Informationen und Einordnungen im dabei besonders häufig um sicherheitspolitisch bundesweiten Maßstab erweitert wurden, zeigen konnotierte, oftmals jedoch unscharfe Begriffe, Problemlagen auf, skizzieren zugleich aber auch wie zum Beispiel früher um den des „islamischen Herangehensweisen und gemeinsame Arbeitsfelder, Fundamentalismus“, später den des „Islamismus“ die in konstruktiver Kooperation und Lösungsfindung und heute den des „politischen Islams“. Mit einzel- zu nachhaltigen Ergebnissen im religionspolitischen nen Vorfällen verknüpft, wie unter anderem mit Bereich geführt haben. Anschlägen durch Terrorist_innen, die sich und ihre Das Besondere an dem vorliegenden Beitrag Taten über eine Instrumentalisierung islamischer ist: Elementare Grundfragen des Verhältnisses zwi- Religion legitimieren, werden grundsätzlich und pau- schen Islam und säkularem Staat, die häufig ab- schal Staats- und Verfassungsloyalität und -konfor- strakt diskutiert werden, werden über eindrück- mität bestehender islamischer Gemeinschaften oder liche Schilderungen von konkreten Ereignissen Gruppierungen in Frage gestellt, was ein öffentli- in beispielhafter Form zu Tage gefördert und er- ches Klima erzeugt, welches die Sacharbeit und pro- halten hierbei ihre lebenswirkliche Kontur. Dabei duktive Austauschprozesse vor Ort erschwert oder werden exemplarisch Wege aufgezeigt, wie sol- Dialogprozesse zunichtemacht. che Grundfragen im Falle Hamburgs konkret ge- Auch am Beispiel Hamburgs zeigt sich, dass mit löst werden konnten. In plastischer Weise zeigt die pauschalen Islamismusvorwürfen, oft verbunden Expertise auf, wie wichtig verlässliche Akteur_innen mit konkreten Vorfällen, rasch die Zuspitzung hin und Vertrauensbildung untereinander sowie eine auf zur politischen Forderung nach einer Aufkündigung Nachhaltigkeit ausgerichtete Politik sind, um dau- des Staatsvertrags erfolgt, häufig von Seiten be- erhafte Strukturen und Rechtssicherheit in diesem stimmter Akteuren_innen aus Parteien, die schon im- Politikfeld zu gewährleisten, und wie wichtig für die mer und grundsätzlich einer Kooperation ablehnend Stabilität eines solchen Vertrauensverhältnisses die gegenüberstanden. Abwehr von Schnellschüssen gegen eine langwieri- Mit dem kritischen Loyalitätsdiskurs verbunden ge Sacharbeit ist. Ein vorausschauender und diffe- stellt sich als drittes Spannungsfeld seit Entstehung renzierter Umgang mit islamischen Gemeinschaften größerer islamischer Gemeinschaften in Deutschland über eine solche kooperative und rechtliche Basis, die Frage des Auslandsbezugs: Zu welchen Akteur_ so wird anhand des Beispiels deutlich, stärkt Kräfte innen, Institutionen oder Regierungen eine Orga im islamischen Feld, die an der Übernahme gesell- nisation in welchem Maße Verbindungen pflegt, wel- schaftlicher Verantwortung und an einem friedvollen che (politischen) Ideologien hierbei intern zirkulieren Zusammenleben in Deutschland interessiert und ge- und wie sie entsprechend einzuordnen ist, ist nicht gen außenpolitische Einflussnahmen eingestellt sind, abschließend geklärt und wirft regelmäßig kritische und schwächt wiederum Segregationsbestrebungen Fragen auf. Die Diskussion geht so weit, dass islami- und Radikalisierungstendenzen unter einzelnen musli- schen Institutionen per se ihre religiöse Eigenschaft mischen Gruppen.
Der Hamburger Staatsvertrag aus Praxisperspektive 5 Der Hamburger Staatsvertrag aus Praxisperspektive Die rechtliche und institutionelle Anerkennung für den Hinweis darauf nutzte, dass es in der Hanse des Islams beziehungsweise der islamischen Ge stadt so viele Muslim_innen wie Katholik_innen gebe meinden und Verbände in Deutschland hat insbe und ihnen auch auf dieser Ebene Gleichbehandlung sondere mit dem Beginn der im Jahr 2006 vom zustehe. Der Bürgermeister reagierte darauf positiv: Bundesinnenministerium etablierten Deutschen Islam Er könne sich einen Staatsvertrag durchaus auch mit Konferenz wesentliche Schritte nach vorne gemacht. Muslim_innen vorstellen und sei für Verhandlungen Nach Beobachtung der Islamwissenschaftlerin Riem offen. Diese begannen dann tatsächlich im Juli 2007.3 Spielhaus stagniere dieser Prozess jedoch seit etwa Der Beginn des Verhandlungsprozesses in 2016, und an manchen Orten seien sogar Rückschritte Hamburg lässt sich auf eine Reihe innermuslimi- zu registrieren.1 In der Beschreibung der Prozesse scher, gesamtgesellschaftlicher wie politischer der rechtlichen Anerkennung werden von ihr die in Voraussetzungen zurückführen, die scheinbar so nur den Stadtstaaten Hamburg (2012) und Bremen (2013) in der Hansestadt gegeben waren: Insbesondere mit den jeweiligen islamischen Landesverbänden die Existenz eines multiethnischen repräsenta- geschlossenen Staatsverträge hervorgehoben von tiven Landesverbands der Moscheegemeinden SCHURA, der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt in Hamburg bot sich mit seinen transparenten für Religion (DITIB) und dem Verband Islamischer Strukturen als Ansprechpartner an und hatte be- Kulturzentren (VIKZ). Insbesondere der Hamburger reits im Vorfeld der politischen Gespräche ein viel- Vertrag ist unter dem Aspekt gesellschaftlicher fältiges Engagement in diversen gesellschaftlichen Integration und Anerkennung von Muslim_innen im- und politischen Zusammenhängen vorzuweisen. mer wieder als beispielhaft und wegweisend gewür- Dadurch war eine erste Vertrauensgrundlage gera- digt worden – und dies aus unterschiedlichen gesell- de zur Politik vorhanden. Letztere war in vielen Teilen schaftlichen Bereichen.2 Deshalb sollen im Folgenden zum Zeitpunkt der Iftar-Rede des Bürgermeisters Voraussetzungen und Inhalte wie auch bisheri- Ole von Beust parteiübergreifend offen auch für in- ge Erfahrungen und mögliche Perspektiven dieses novative Wege hin zu einer besseren gesellschaft Vertrags näher betrachtet werden. lichen Integration von Muslim_innen. Dieses Zusam Als Initialzündung für die Staatsvertragsver menspiel zwischen muslimischer Zuwendung hin handlungen lässt sich der Besuch des damaligen zur Hamburger Stadtgesellschaft auf der einen Seite Hamburger Bürgermeisters Ole von Beust (CDU) sowie die Bereitschaft der Politik auf der anderen beim Empfang zum Fastenbrechen im muslimi- Seite, auf die Muslim_innen zuzugehen, bot eine gute schen Fastenmonat Ramadan (Iftar) in der Centrum- Voraussetzung und Grundlage für den nachfolgenden Moschee im Jahr 2006 anführen. Hamburg hat- Verhandlungsprozess. te gerade als letztes Bundesland Staatsverträge mit der Evangelisch-Lutherischen und der Katho lischen Kirche geschlossen, so dass der damali- ge Gemeindevorsitzende der Centrum-Moschee, Ramazan Uçar, in seiner Ansprache diesen Umstand 1 Spielhaus 2020. 2 TAZ 2012; Reimann 2012; Müller 2012. 3 Islamische Zeitung 2007.
6 AIWG-Expertise: Das Verhältnis zwischen Staat und islamischen Religionsgemeinschaften 1. Vorbedingungen für den Verhandlungsprozess zwischen Staat und Muslim_innen 1.1 Binnenislamische Aushandlungsprozesse und die Ausbildung eines islamischen Landesverbands Bereits in den 1990er-Jahren wies Hamburg – wie an- Die meisten dieser Moscheen pflegten bis in die dere westdeutsche Großstädte auch – eine sehr viel- 1990er-Jahre hinein weder Beziehungen unterein- fältige und sich wandelnde Moscheenlandschaft auf. ander noch zur sie umgebenden Stadtgesellschaft. Als Produkte von Migrationsbewegungen aus ver- Doch mit zunehmender Zahl an Muslim_innen und ih- schiedenen Ländern zu unterschiedlichen Zeiten wa- rer beständigen Präsenz in der Stadt begann man in ren die Moscheegemeinden meist durch die ethnisch- Öffentlichkeit und Politik auf verschiedenen Ebenen, die sprachliche Herkunft ihrer Mitglieder geprägt. Die Realität einer zunehmend pluralen Gesellschaft wahr- türkischislamischen Gemeinden gehören den mit zunehmen und sich damit auseinanderzusetzen. Dabei Institutionen oder Bewegungen in der Türkei ver- realisierten viele erstmals die dauerhafte Erscheinung bundenen Organisationen an, wie der Türkisch- einer muslimischen Minderheit. Umgekehrt wuchs in Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB), den Moscheegemeinden eine in Deutschland soziali- der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (IGMG) und sierte „zweite Generation“ der Kinder aus immigrier- dem Verband Islamischer Kulturzentren (VIKZ). Diese ten Familien heran, die sich als muslimisch und Teil wirkten lange Zeit als eine Art „Transmissionsriemen“ der deutschen Gesellschaft verstand, zunehmend den zwischen Herkunftsland und Muslim_innen in Wunsch nach Teilhabe entwickelte und diesbezüglich Deutschland. Daneben gründeten sich immer mehr Forderungen stellte.5 Gemeindebezogen wirkte sich Moscheen etwa von afghanisch-, afrikanisch-, pakis dies dahingehend aus, dass sich hierdurch ethnisch tanischstämmigen Muslim_innen ohne übergeord- übergreifende Aktivitäten junger Muslim_innen und nete organisatorische Einbindung. Gerade diese, die davon geprägte deutsch-muslimische Projekte heraus- tatsächliche Vielfalt des Islams in einer Großstadt bildeten. Zudem wuchsen die Moscheegemeinden und zunehmend bestimmenden, „dachverbandslosen“ übernahmen über die rituellen und lehrbezogenen Moscheevereine4 zeigten den Bedarf nach einer neu- Aktivitäten in den Gebetsräumen hinaus zunehmend en übergreifenden Institutionalisierung. Obwohl vielfältige Aufgaben in der Bildungs-, Jugend- und auch in Hamburg die Mehrheit der Moscheen sun- Frauenarbeit. Es entstand der Wunsch nach größeren nitisch geprägt und nur eine Minderheit schiitisch und auch repräsentativeren Räumen, wofür Gebäude war, erscheint die Relevanz des Schiitentums in gekauft und umgebaut oder auch Neubauten errichtet Hamburg sicherlich größer als in anderen Städten wurden. Damit stießen sie wiederholt auf Ablehnung oder Bundesländern. Dies lässt sich auf die relativ in der Nachbarschaft und die Konfliktfälle verdichte- große Zahl schiitischer Einwohner_innen Hamburgs ten sich zu sogenannten Moscheebaukonflikten, die und auf das Islamische Zentrum Hamburg als zentra- auf medialer und politischer Ebene diskutiert wurden.6 le Institution der Schia in Europa seit den 1960er-Jah- Mit zunehmender Verortung der Lebensperspektive ren zurückführen. auf Deutschland bekam die Schulbildung der 4 Vgl. hierzu Chbib 2017. 5 Zur Situation zum Zeitpunkt der Gründung der SCHURA s. Schura Hamburg e. V. 2021. Allgemein zum Wandel in islamischen Gemeinden s. Halm et al. 2012 und Rohe 2001: 199 ff. 6 Fels, Killguss und Puls 2012.
Der Hamburger Staatsvertrag aus Praxisperspektive 7 Kinder eine größere Relevanz und damit verbun- Während die IGMG quasi Initiatorin des Gründungs den keimte auch der Wunsch nach einem islamischen prozesses war, nahmen DITIB und der Verband der Religionsunterricht auf. Schließlich wollten sich ver- Islamischen Kulturzentren (VIKZ) eine Sonderrolle mehrt Muslim_innen nach ihrem Tod nicht mehr im ein: DITIB-Vertreter hatten nur sporadisch an Herkunftsland der Eltern, sondern in Deutschland Vorbereitungssitzungen teilgenommen, während bestatten lassen, wodurch der Bedarf nach islami- VIKZ-Gemeinden dort noch engagiert mitwirk- schen Bestattungen auf muslimischen Gräberfeldern ten und auch zu den Gründungsmitgliedern ge- entstand. hörten. Wenige Monate später traten jedoch sämt- Mit der Zeit wuchsen also die Anliegen von Muslim_ liche VIKZ-Gemeinden wieder aus, was zeitgleich innen in Hamburg, die sie nur in Zusammenarbeit mit dem Austritt des VIKZ aus dem Zentralrat der mit öffentlichen Institutionen lösen konnten. Die da- Muslime (ZMD) zusammenfiel. Ihr Austritt aus mit verbundenen praktischen Schritte und gesell- dem Prozess der Gründung eines gemeinsamen schaftlichen Diskussionen konnten nicht von einzel- Landesverbands in Hamburg folgte damit einer grund- nen Moscheegemeinden bewältigt werden. Zudem sätzlichen Entscheidung der VIKZ-Bundeszentrale, waren staatliche Institutionen ohne muslimische ihre Gemeinden nicht in verbandsübergreifende isla- „Ansprechpartner“ nur sehr beschränkt handlungsfähig, mische Dachverbände einzubringen, sondern orga- um entsprechende Regelungen treffen zu können. nisatorisch, auch auf Länderebene, nur noch eigen- ständig zu agieren. Da DITIB und VIKZ in Hamburg Gründung und Etablierung der SCHURA Hamburg nur über jeweils sieben Gemeinden verfügten und Diese Umstände veranlassten Ende 1998 den regiona- zudem mit auf die deutsche Gesellschaft bezoge- len Zusammenschluss der IGMG-Gemeinden (Bündnis nen Aktivitäten wenig in Erscheinung traten, wa- der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland) die ren sie zwar Teil der Verhandlungen und am Ende Hamburger Moscheen zu einem Diskussionsprozess des Prozesses Vertragsunterzeichner, aber für die zwecks Gründung eines gemeinsamen Verbands ein- weitere Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen zuladen. Wenngleich die Resonanz beim ersten Treffen Staat, Gesellschaft und Muslim_innen in Hamburg im noch gering war, konnten in den folgenden Monaten Vergleich zum Engagement der SCHURA weniger aktiv. nahezu alle örtlichen Moscheen in einen intensiven Mit den 14 Gemeinden der DITIB und des VIKZ Diskussionsprozess um die Satzung und die Struktur bildeten die 42 Gründungsmitglieder von SCHURA einbezogen werden. Am Ende standen im Juli 1999 die das gesamte damalige Spektrum von Moschee Verabschiedung einer Satzung und die Gründung von gemeinden und islamischen Vereinen Hamburgs SCHURA Hamburg als Landesverband, zu dem sich ab. Prägend auch gerade für das eigene Selbst diverse Vereine von Muslim_innen unterschiedlicher verständnis waren der Zusammenschluss und Herkunft aus dem sunnitischen wie auch aus dem die Zusammenarbeit von sunnitischen wie auch schiitischen Spektrum zusammengeschlossen haben.7 schiitischen Gemeinden.8 „Maßgebliche Voraussetzung für Verhandlungen eines Staatsvertrags zwischen Muslim_innen und dem Hamburger Stadtstaat waren innerislamische Kooperations- und Verständigungsprozesse, insbesondere die damit verbundene Gründung von SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg e. V. im Juli 1999“. 7 Hierzu auch Spielhaus 2011. 8 Zum Gründungsprozess s. Müller 2000: 182.
8 AIWG-Expertise: Das Verhältnis zwischen Staat und islamischen Religionsgemeinschaften SCHURA – Rat der islamischen Gemeinden in Hamburg e. V. Der SCHURA – Rat der islamischen Gemeinden in Laut Satzung ist Ziel und Zweck des Zusammen Hamburg ist ein eingetragener Verein, der sich schlusses, das muslimisch-religiöse Leben in als ein Zusammenschluss verschiedener mus Hamburg durch die Ausbildung von Lehrkräften, limischer Gemeinden der Stadt Hamburg ver die Beteiligung an der Gestaltung des islam steht. Das Besondere an der SCHURA ist, dass es ischen Religionsunterrichts in den Schulen und die Moscheegemeinden unterschiedlicher ethnischer Organisation von öffentlichen Diskussions- und Zusammensetzung und Glaubensrichtungen sowie Informationsveranstaltungen zu fördern.9 weitere muslimische Vereine (wie Frauen- und Jugendvereine) der in Hamburg lebenden Muslim_in Der SCHURA sind 39 Moscheegemeinden und nen vereint. Dazu zählen Moscheegemeinden tür 24 weitere muslimische Vereine in Hamburg ange kischer, arabischer, albanischer, bosnischer, iranis schlossen, darunter Jugend-, Frauen-, Bildungs- und cher, kurdischer, pakistanischer und afrikanischer Studentenvereine.10 Der Rat ist seit 2012 im Rahmen Herkunft sowohl sunnitischer als auch schiitischer des Staatsvertrags mit der Stadt Hamburg einer Ausrichtung. der Kooperationspartner des Landes und damit als Religionsgemeinschaft anerkannt. Bei der Gründung und Etablierung der SCHURA Die Annahme Dietrich Thränhardts et al. bezogen Hamburg wirkten im Grunde zwei gegensätzliche auf plurale Migrantenselbstorganisationen, sol- Entwicklungstendenzen innerhalb des islamischen che Formen also, in denen sich Migrantengruppen Organisationsfeldes zusammen: Einerseits eine weitere aus verschiedenen Herkunftsländern zusammen- Pluralisierung der Moscheenlandschaft anhand spezifi- schlossen und so aufgrund ihrer internen Vielfalt in- scher ethnischer und kultureller Kriterien, die zum Teil tegrativ zur Gesamtgesellschaft hin wirkten,12 be- auch Konfliktlinien in den Herkunftsländern widerspie- wahrheitete sich bei SCHURA. Die nachfolgenden gelten. So gründeten beispielsweise kurdische Muslim_ Jahre brachten eine Annäherung sehr unterschied- innen aus der Türkei oder afrikanische Muslim_innen licher Moscheegemeinden auf Basis eines gemein- in den 1990er-Jahren eigene Moscheegemeinden, samen religiösen und gesellschaftspolitischen was insgesamt zu einer Fragmentierung der Selbstverständnisses mit sich. Von Anfang an wur- Moscheenlandschaft entlang ethnischer, kultureller, de daran gearbeitet, erstens möglichst alle Moscheen konfessioneller oder ideologischer Organisationslinien vor Ort einzubinden und die kleinen und schwachen führte. Andererseits vollzog sich ein Prozess gemein- Gemeinden organisatorisch zu stärken und zweitens samer gemeindeübergreifender Identitätsbildung eine identitätsbildende Gemeinschaft über herkunfts- als deutsche Muslim_innen Hamburgs, im Zuge des- nationale und anderen Grenzen hinweg zu schaffen. sen sich herkunftslandbezogen ethnische, kulturel- Die Annäherung und Zusammenarbeit wurde le und ideologische Partikularitäten und Unterschiede nicht zuletzt dadurch herbeigeführt und ermöglicht, bei Teilen der vergemeinschafteten Muslim_innen dass die beteiligten großen Zentren und islamischen zwar nicht auflösten, aber allmählich verblassten Dachverbände wie die IGMG die eigenen Gemeinden beziehungsweise in den Hintergrund traten.11 Diese ermutigten, sich in die SCHURA organisatorisch einzu- polaren Kräfte, ethnoreligiöse Fragmentierung versus bringen und diese als Repräsentantin aller, auch ih- ethnisch übergreifende Identitätsbildung, durchzogen rer Gemeinden in Hamburg anzuerkennen und folg- seitdem den innerislamischen Aushandlungsprozess lich auf eigenprofilierendes Verhalten weitgehend zu und die Zusammenarbeit innerhalb von SCHURA und verzichten. darüber hinaus mit DITIB- und VIKZ-Gemeinden. 9 SCHURA Hamburg: Satzung 2011. 10 SCHURA Hamburg: Mitglieder 2021. 11 Färber, Spielhaus und Binder 2012: 70. 12 Tränhardt et al. 1999: 3.
9 Gemeinsames Fastenbrechen in der kurdischen Moschee Hamburg während des Ramadans. Seit 2017 legt die Versammlung der Imame einheitliche tägliche Fastenzeiten fest. Gemeinschaftsbildende Maßnahmen voraus: Der islamische Kalender ist ein Mondkalender Für das religiöse Zusammenwachsen ihrer in ethni- und über die Frage der richtigen Mondsichtung gibt scher wie auch glaubensbezogener Hinsicht hetero- es unterschiedliche theologische Auffassungen un- genen Mitglieder entfaltete die SCHURA Hamburg ter Muslim_innen.13 Dies führte in Deutschland dazu, verschiedene Aktivitäten: Alle zwei bis drei Monate dass, je nach Herkunft der Gläubigen, in den unter- fand unter Anleitung des dafür zuständigen Vor schiedlichen Moscheegemeinden der Ramadan an standsmitglieds eine Versammlung der Imame verschiedenen Tagen begonnen und das Fest zum der einzelnen Mitgliedsmoscheen statt, in der Ende des Fastenmonats, ʿīd al-fiṭr, nicht gemeinsam diese theologische Fragen sowie Themen ihrer prakti- am gleichen Tag begangen wurde. Dieser Zustand schen Gemeindearbeit besprechen und koordinieren wurde nicht nur unter Muslim_innen als unbefriedi- konnten. gend empfunden, sondern führte darüber hinaus in der Öffentlichkeit zu Fragen oder Problemen, wenn • Versammlung der Imame und der etwa für die Kinder am Festtag um Befreiung vom Ramadankalender: Schulunterricht nachgesucht wurde. Eine gemein- Seit dem Jahr 2007 wird von diesem Gremium bei- same Festlegung der Fastenzeiten zumindest in ei- spielsweise jährlich ein sogenannter Ramadan nem Bundesland war zum damaligen Zeitpunkt kalender erstellt – ein Kalender, der für alle ein Novum und war zudem eine wichtige Voraus Mitgliedsgemeinden gemeinsam und einheitlich setzung für die später im Staatsvertrag getroffene den Beginn und das Ende des Fastenmonats sowie Feiertagsregelung. die täglichen Fastenzeiten festlegt. Dem ging eine Diskussion durchaus komplexer theologischer Fragen 13 Yücel o. J.
10 AIWG-Expertise: Das Verhältnis zwischen Staat und islamischen Religionsgemeinschaften • Gemeindeübergreifender Religionsunterricht: Der gefestigte interreligiöse Dialog wirkte Gegenstand der Koordination im Imame-Gremium beispielhaft und erleichterte es der Politik, ist zudem der Religionsunterricht für Kinder und ihrerseits Dialogprozesse mit Muslim_innen zu Jugendliche in den einzelnen Gemeinden. Manche beginnen, wobei die Kirchen nicht selten schlicht Gemeinden erteilen den Unterricht inzwischen ge- meinsam und nutzen dafür am Wochenende die als Referenzgeberinnen fungierten. Räume städtischer Schulen. Seit 2001 findet ein- mal im Jahr ein von der SCHURA veranstalte- ter Koranrezitationswettbewerb für Kinder und • Antirassistische Initiativen: Als ein wichtiges Feld zur gesellschaftspolitischen Jugendliche statt.14 Zu besonderen Anlässen und Partizipation erwies sich für SCHURA das Engagement Themen werden die Freitagsansprachen in den gegen Rassismus und Rechtsradikalismus, das sich SCHURA-Moscheen koordiniert,15 beispielsweise unter anderem mit dem linken „Hamburger Bündnis Aufrufe zur Teilnahme an Wahlen oder Initiativen zu gegen Rechts“ entwickelte.19 Hieraus ergaben sich Themen wie häusliche Gewalt. Erfahrungen im zivilgesellschaftlichen Engagement ge- meinsam mit nichtreligiösen Migrantenorganisationen • Interreligiöse Arbeit: sowie mit linken antirassistischen und antifaschisti- Die Zusammenführung von Personen, von ih- schen Gruppen. rem Einsatz und von Ressourcen verschiedener Gemeinden ermöglichte ein intensives gesellschaft liches wie auch interreligiöses Engagement von • Politische Gespräche: Seit ihrer Gründung hat die SCHURA kontinuierlich Muslim_innen im Stadtstaat: SCHURA war am das Gespräch mit verschiedenen politischen Parteien 20. November 2000 Gründungsmitglied des Inter in Hamburg gesucht, so dass der politische Dialog religiösen Forums Hamburg, eines gemeinsamen zu einem wichtigen Bestandteil ihrer gemeinsa- Gremiums der beteiligten Religionsgemeinschaften men Aktivitäten wurde. Zudem luden die Mitglieder der Evangelisch-Lutherischen Nordkirche, der Katho der SCHURA Politiker_innen zu Veranstaltungen am lischen Kirche, der Jüdischen und der Alevitischen „Tag der offenen Moschee“ oder zu Iftar-Empfängen Gemeinde sowie der Buddhisten, Hindus und ein. Seit den Bürgerschaftswahlen 2001 organisiert Bahai.16 Mit der Gründung des Forums wurde ein die SCHURA außerdem zu jeder Bürgerschafts- und interreligiöser Dialog institutionalisiert, der sich ein Bundestagswahl die Veranstaltung „Muslime Jahrzehnt lang fest in der Hansestadt etabliert hat- vor der Wahl“ mit Kandidat_innen der Parteien.20 te. Darüber hatte sich auch eine Beteiligung der Während die CDU zunächst die Einladung zu solchen Muslim_innen wie auch von Jüdinnen und Juden, Veranstaltungen vor der Bundestagswahl 2002 noch Hindus und Buddhist_innen an der Ausgestaltung mit der Begründung absagte, Kirchen und Moscheen an dem damals noch allein von der Nordkirche ver- seien keine geeigneten Orte für parteipolitische antworteten schulischen Religionsunterricht in Auseinandersetzungen21, sind Gesprächsangebote Hamburg ergeben (Gesprächskreis Interreligiöser in Moscheen für die Parteien allmählich zum festen Religionsunterricht).17 Wenn festgestellt wird, dass Bestandteil ihres normalen Wahlkampfprogramms der interreligiöse Dialog ein Vehikel ist, um die multi geworden. kulturelle Gesellschaft regierbar zu machen18 – der interreligiöse Dialog also politische Prozesse vorbe- reitet und begleitet –, so gilt dies auch für die weite- re Entwicklung in Hamburg hin zum Staatsvertrag: 14 Schura Hamburg e. V. 2017a. 15 Schura Hamburg e. V. 2020a. 16 Interreligiöses Forum Hamburg 2021. 17 Doedens o. J. 18 Tezcan 2006. 19 Islamische Zeitung 2015; Schura Hamburg e. V. 2017b. 20 Schura Hamburg e. V. 2020b. 21 Ahrens 2002.
Der Hamburger Staatsvertrag aus Praxisperspektive 11 Hamburger Muslim_innen bei der Demo „Kein Aufmarsch von Nazi-Hooligans“ im September 2015. 1.2 Die Verabschiedung des SCHURA Grundsatzpapiers Nach den Terroranschlägen des 11. Septembers Muslim_innen. Hierzu hatte die SCHURA beispiels- 2001 sahen sich Muslim_innen in Hamburg ei- weise eine Veranstaltung am 31. Januar 2003 an der nem Generalverdacht ausgesetzt.22 In der Folgezeit Universität Hamburg organisiert, wozu sie unter ande- verabschiedete die Bundesregierung Pakete an rem Rolf Gössner als Redner einlud. Unmittelbar nach Sicherheitsgesetzen, die konkrete behördliche den Anschlägen, am 3. Oktober 2001, lud sie zum all- Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus nach jährlichen „Tag der offenen Moschee“ ein und bot für sich zogen und die von vielen Muslim_innen als be- die Presse und andere Interessierte einen Moschee- drohlich empfunden wurden. Sie sahen sich einem Rundgang durch den Stadtteil St. Georg an. Dies zog Generalverdacht ausgesetzt.23 Vonseiten einzelner einen großen Besuchertross mit vielen Kameras und Bürgerrechtler_innen wurden diese stark kritisiert, Fotoapparaten an, den der Vorstand durch die kleinen etwa vom damaligen Vorsitzenden der Internationalen und größeren Gebetsstätten führte. Damals waren sie Liga für Menschrechte, Rolf Gössner.24 Die SCHURA noch teilweise in Kellern oder Tiefgaragen unterge- bemühte sich in der Zeit nach dem 11. September bracht.25 Ziel war es, muslimisches Leben sichtbar und generell verstärkt um eine öffentliche Diskussion zu erfahrbar zu machen, um Misstrauen zu begegnen. den Maßnahmen und ihrer Wahrnehmung durch Zu einem Hauptproblem für islamische Verbände 22 Yoldas 2004. 23 Carini 2006. 24 Gössner 2021. 25 Als „versteckte Moscheen“ wurden sie später in der Presse betitelt. Vgl. Wilsdorf 2001.
12 AIWG-Expertise: Das Verhältnis zwischen Staat und islamischen Religionsgemeinschaften wurde – trotz wiederholter Distanzierungen vom Normgebung, sie seien nach Maßgabe islamischer Terrorismus nach Anschlägen – die Unterstellung Rechtsgrundlagen vielmehr geboten, heißt es darin. fehlender ideologischer Abgrenzung zu extremisti- Muslim_innen seien deshalb dazu aufgerufen, diese schen Strömungen. Ein Defizit war aber tatsächlich, Werte mitzutragen, weiterzuentwickeln und jederzeit dass es seitens islamischer Verbände kaum fundier- aktiv zu verteidigen. te Erklärungen über das eigene Selbstverständnis, die Zusammen mit der kurz zuvor veröffentlichten Sichtweise auf Staat und Gesellschaft in Deutschland „Islamischen Charta“ des Zentralrats der Muslime sowie die gesellschaftliche Rolle der Muslim_innen in Deutschland (ZMD)27 war das Grundsatzpapier im Land gab. Um dem abzuhelfen, beschloss der das erste Dokument dieser Art vonseiten eines isla- SCHURA-Vorstand Mitte 2003, eine Arbeitsgruppe zur misch-religiösen Verbands in Deutschland. Während Erstellung eines Grundsatzpapieres einzurichten, in die „Charta“ öffentlich kontrovers und kritisch dis- dem insbesondere Fragen der eigenen Verortung im kutiert wurde,28 erfuhr das Grundsatzpapier kaum demokratischen Rechtsstaat und in der Gesellschaft Resonanz. Für die innerislamische Verständigung auf aufgegriffen und thematisiert werden sollten. Es folg- einen gemeinsamen Wertekonsens und auf die ei- te ein mehrmonatiger Diskussionsprozess, bis auf gene Haltung in Bezug auf die säkulare Verfassung einer Mitgliederversammlung am 18. April 2004 ein der Bundesrepublik Deutschland war es dagegen ein Grundsatzpapier vorgelegt werden konnte, welches wichtiger Schritt, weil hier bisher nicht hinreichend mit großer Mehrheit angenommen wurde. geklärte Positionen ausdiskutiert und festgeschrie- Mit der Verabschiedung des Grundsatzpapiers ben wurden. Insbesondere war das Grundsatzpapier Muslime in einer pluralistischen Gesellschaft26 hat nicht Nachvollzug etwa einer staatlichen Vorgabe, sich die SCHURA eindeutig zu einem gemeinsamen sondern eigeninitiatives Produkt eines selbstverant- Islamverständnis im Einklang mit der Werteordnung worteten Diskussionsprozesses unter Vertreter_innen des Grundgesetzes bekannt. Das Grundsatzpapier verschiedener islamischer Glaubensgemeinschaften bekräftigt, dass Muslim_innen sich als Teil der deut- in Hamburg. Dieses Grundlagenpapier sollte sich spä- schen Gesellschaft verstehen und dass sie das ter sowohl in Bezug auf den Staatsvertrag als auch in Grundgesetz mit den Prinzipien der Menschenrechte, Fällen religiöser wie auch ideologischer oder politi- der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der scher Konflikte in den eigenen Reihen als nützlich und Säkularität als rechtliche Basis des Zusammenlebens wertvoll erweisen. auffassen. Diese Grundwerte ständen in kei- nem Widerspruch zu den Prinzipien islamischer 1.3 Öffentliches Klima und parteipolitische Rahmenbedingungen in Hamburg Als SCHURA 1999 gegründet wurde, regierte in Amtsrichters Ronald Schill holte aus dem Stand 19,4 % Hamburg ein rot-grüner Senat unter dem SPD- der Stimmen und bildete unter dem Bürgermeister Bürgermeister Ortwin Runde. Zu beiden Parteien wur- Ole von Beust (CDU) eine Koalition mit CDU und FDP. den schnell gute Kontakte geknüpft. Bündnis 90/Die Schill wurde Innensenator. Er und seine Partei waren Grünen und die SPD standen dem neuen Verband frühe Vorläufer der AfD, Schills ehemaliger Mitstreiter grundsätzlich positiv gegenüber, vor allem, weil sich Dirk Nockemann ist heute AfD-Fraktionsvorsitzender mit ihm nun für die Angelegenheiten der Muslim_innen in der Hamburgischen Bürgerschaft. Die Partei der Stadt ein akzeptabler Ansprechpartner bereithielt. hatte im Wahlkampf mithilfe einiger Medien eine Einen Einschnitt brachte die Bürgerschaftswahl Sicherheitsdebatte entfacht. Diese bekam weiteren vom 23. September 2001: Die rechtspopulistische Schub, als bekannt wurde, dass einige der Attentäter Partei Rechtsstaatlicher Offensive des ehemaligen des 11. Septembers zuvor in Hamburg gelebt hatten.29 26 Schura Hamburg e. V. 2004. 27 Zentralrat der Muslime in Deutschland 2002. 28 Zum Beispiel von Brunner 2003. 29 Wunder 2020.
Der Hamburger Staatsvertrag aus Praxisperspektive 13 Zwischen der Hamburger Regierung und den isla- seine viel beachtete und diskutierte Rede zum Tag der mischen Verbänden herrschte in den folgenden drei deutschen Einheit. In beiden Fällen war die zentrale Jahren Eiszeit. Es kamen keinerlei Gespräche mehr Botschaft, der Islam gehöre zu Deutschland. Ebenfalls zustande. Anfragen und Einladungen vonseiten der 2010 erschien Thilo Sarrazins Buch Deutschland schafft islamischen Gemeinschaften wurden nicht beant- sich ab32 und beförderte maßgeblich eine Art integra- wortet. Stattdessen trat der Hamburger Senat aus tionspolitischen Gegendiskurs, dieser schien zum da- Sicht der Muslim_innen ihnen nahezu ausschließlich maligen Zeitpunkt zwar medial präsent, aber nicht in Form seiner Sicherheitsbehörden gegenüber. Ein politisch bestimmend zu sein. erster Schritt zur Änderung dieser Situation vollzog Bei den Bürgerschaftswahlen 2008 verlor die CDU sich im August 2003, als die Regierungskoalition aus ihre absolute Mehrheit, während die Linke neu in CDU, FDP und Schill-Partei zerbrach. Bei der folgen- die Bürgerschaft kam und die FDP den Einzug ver- den Neuwahl der Bürgerschaft am 29. Februar 2004 passte. Anschließend bildeten unter dem Ersten verliert die sogenannte Schill-Partei, und die CDU er- Bürgermeister Ole von Beust die CDU und Bündnis reicht mit dem Ersten Bürgermeister Ole von Beust 90/Die Grünen den Senat und damit die erste die absolute Mehrheit. In der Bewertung war man schwarz-grüne Landesregierung in Deutschland. sich in der Hansestadt einig, dass dieses Ergebnis nur Für die zu diesem Zeitpunkt schon angelaufenen dem Spitzenkandidaten von Beust geschuldet war, Gespräche über einen möglichen Staatsvertrag er- was diesem in der Folgezeit eine nahezu unangefoch- wiesen sich diese Veränderungen auf der politi- tene Stellung verlieh.30 Aus dieser Stellung heraus schen Bühne als positiv: Zwischen SCHURA und den und befreit vom vormaligen rechtspopulistischen Hamburger Grünen hatte von Anbeginn an durchge- Koalitionspartner positionierte die CDU sich nun als hend eine positive Gesprächsebene bestanden und liberal-konservative Großstadtpartei.31 die Grünen hatten wiederholt eine Gleichstellung isla- Damit verbunden veränderte sich das Verhältnis mischer Religionsgemeinschaften gefordert. Vor allem der Regierungspartei zu den Muslim_innen in war die nunmehrige grüne Schulsenatorin und Zweite der Hansestadt und es entwickelten sich diverse Bürgermeisterin Christa Goetsch eine überzeugte Gesprächskontakte. Um diesen Prozess zu unter Verfechterin des Hamburger Religionsunterrichts stützen, wurde Bürgermeister von Beust im Ramadan für alle unter gleichberechtigter Einbeziehung der 2006 zum Iftar-Empfang in die Centrum-Moschee Muslim_innen.33 eingeladen. Angesichts der vorherigen Situation Auch zu der Partei Die Linke hin bestand bei und des sich nur langsam entwickelnden Dialogs SCHURA schon vor deren Einzug in die Hamburgische mit dem Senat wirkte von Beusts Gesprächsangebot Bürgerschaft ein guter Kontakt, der sich anschließend über einen möglichen Staatsvertrag geradezu sen- noch verstärkte. Da auch die sich zu dieser Zeit eben- sationell. Es kam aber in einem bundesweiten poli falls in der Opposition befindliche SPD die Gespräche tischen Klima, welches sich zunehmend für eine mit den islamischen Verbänden unterstützte, gab Integration des Islams offen zeigte und nach konst- es in der entscheidenden Verhandlungsphase (2008 ruktiven Lösungen suchte. So startete im selben Jahr und 2010) zwischen Islamischen Gemeinschaften und auch die Deutsche Islam Konferenz. 2010 hielt der dem Hamburger Senat einen fraktionsübergreifenden damalige Bundespräsident Christian Wulff sodann Konsens in der Hamburger Bürgerschaft. 30 Ebd. 31 Gall 2011. 32 Sarrazin 2010. 33 Weiße et al. 2008.
14 AIWG-Expertise: Das Verhältnis zwischen Staat und islamischen Religionsgemeinschaften 2. Staatsvertrag zwischen dem Hamburger Senat und islamischen Religionsgemeinschaften 2.1 Aufnahme der Verhandlungen Der Gesprächsprozess begann Ende 2006 mit ei- Seitens der Senatskanzlei wurde das Gespräch nem Anschreiben der Hamburger Senatskanzlei an von ihrem damaligem Chef Dr. Volkmar Schön ge- die Verbände SCHURA, DITIB und VIKZ, in dem die- leitet. SCHURA, DITIB und VIKZ waren durch eigene se um Darlegung ihrer Positionen zu Inhalten und Verhandlungsdelegationen vertreten. Hinsichtlich des Perspektiven gemeinsamer Gespräche ersucht wur- weiteren Vorgehens verständigte man sich darauf, den. Angeschrieben wurde auch die Alevitische Ge zunächst regelungsbedürftige Sachthemen zu bear- meinde Hamburg. Da diese hieraufhin erklärte, sich beiten und dafür die Klärung von Grundsatzfragen – nicht als islamisch, sondern als eigenständige religiö nämlich, ob die Verbände die Voraussetzungen ei- se Gemeinschaft zu verstehen, wurden später geson- ner Religionsgemeinschaft erfüllten und am Ende ein derte Gespräche mit den Alevit_innen geführt und mit Staatsvertrag geschlossen werden kann – zunächst ihnen ein eigenständiger Staatsvertrag geschlossen. einmal zurückzustellen. Ebenso war man sich einig, Obgleich DITIB und VIKZ, wie eingangs beschrieben, dass es hier um religionsspezifische Fragestellungen in Hamburg wenig stark engagiert waren, wurden gehen sollte und nicht um solche allgemeiner inte sie neben der SCHURA gleichberechtigt als regiona- grationspolitischer Art. Damit folgte die Senatskanzlei le Vertreter bundesweiter Dachverbände, die auch ausdrücklich der gleichen Vorgehensweise wie in den in der Deutschen Islam Konferenz vertreten waren, Verhandlungen mit den Kirchen und der Jüdischen einbezogen. Gemeinde. Auf die Anfrage antwortete SCHURA mit ei- Diese Vorgehensweise sollte sich als konstruktiv nem mehrseitigen Positionspapier, in dem sie das und am Ende erfolgreich erweisen. Eine Entscheidung eigene Selbstverständnis als islamische Religions etwa über den rechtlichen Charakter der Verbände gemeinschaft darlegte und begründete. Als Ziel der oder ihre politische Bewertung gleich zu Beginn der Gespräche wurde der Abschluss eines Staatsvertrags Gespräche hätte diese möglicherweise zum Scheitern genannt und als zu regelnde Inhalte jene Punkte, die gebracht. So verständigte man sich zunächst über sich später fast alle im Vertragswerk wiederfanden. eine Reihe zu behandelnder Sachthemen, die in wei- Daraufhin folgte die Einladung der Senatskanzlei zum ten Teilen dem eingereichten SCHURA-Positionspapier Auftaktgespräch am 8. Juni 2007. entsprachen. 2.2 Gegenstand der Gespräche Im Anschluss an die Entscheidung, wichtige Sach Fächern, zum Religionsunterricht an öffentlichen themen anzugehen, wurden verschiedene religions- Schulen sowie zu islamischen Feiertagen und von bezogene Themen gemeinsam diskutiert. Mit dem Fragen zum Rechtsstatus der Imame. Nicht zuletzt Themenkomplex des Moscheebaus wurden die ge- wandten sich die Gesprächsbeteiligten der Frage meinsamen Gespräche begonnen und fortgesetzt mit der gemeinsamen Wertegrundlagen zu, wobei das der Erörterung von Fragen des Bestattungswesens, Grundsatzpapier der SCHURA eine gute Grundlage der Hochschulausbildung in islamtheologischen schuf.
15 Gegenstand der Gespräche zwischen dem Hamburger Staat und den islamischen Religionsgemeinschaften waren unter anderem auch die islamischen Feiertage. Dieses Bild ist während des muslimischen Neujahrsfest 2019 in der Ayasofya Moschee entstanden. In mehreren Fällen hatte man in den politischen sollten: Der Hamburger Senat bestand darauf, dass Gesprächen bereits einige Aspekte angerissen und ihre Mitwirkung lediglich in Form eines Rechts auf teilweise geregelt, sodass gewissermaßen nur noch Anhörung und über Stellungnahmen zu gewährleis- an eine bestehende Praxis angeknüpft werden muss- ten sei, sie aber hierbei keine Bestimmungs- und te, um sie vertraglich zu fixieren. Ein Beispiel bilde- Vetorechte hätten. Letzteres wäre ein gegenüber te die Frage von Ausnahmeregelungen für sarglose der Universität Hamburg nicht vertretbarer Eingriff Bestattungen auf muslimischen Gräberfeldern nach in die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und islamischen Riten auf den städtischen Friedhöfen. Lehre und sei in Hamburg auch für die Kirchen nicht Ebenso wurde in der Frage der Einführung islami- vorgesehen. scher Theologie und Religionspädagogik an der Als ein neuartiges Thema wurde schließlich Universität Hamburg an bisherige Gespräche mit und die Aufnahme der beiden höchsten konfessions- innerhalb der Universität angeknüpft. Es herrsch- übergreifenden islamischen Feiertage, das heißt te Konsens darüber, dass die Einrichtung entspre- des Opferfestes und des Festes zum Ende des chender Lehrstühle primär zur Ausbildung islami- Fastenmonats Ramadan, sowie des im Schiitentum scher Religionslehrer_innen vom Stadtstaat gefördert zentralen Trauertages Aschura, in das Hamburgische werden solle. Meinungsverschiedenheiten zwischen Feiertagsgesetz erörtert. Mit der Folge, dass im dem Senat und den islamischen Verbänden erga- Staatsvertrag die Möglichkeit der Befreiung vom ben sich im Zuge der Verhandlungen allerdings Schulunterricht und von der Arbeit festgelegt wurden. auch, wie etwa hinsichtlich der Frage, ob islamische Des Weiteren wurden Fragen zum Rechtsstatus der Verbände bei der Besetzung der Lehrstühle sowie Imame oder zur Gefängnisseelsorge besprochen, wo- bei der Festlegung der Lehrinhalte für die islamische bei keine besonderen Probleme oder Konflikte in der Religionslehre als Studienfach einbezogen werden Diskussion darüber auftraten.
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