Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie - Analyse und Reaktionen aus der Industrie

 
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie - Analyse und Reaktionen aus der Industrie
Der Case Local Motors: Co-Creation und
Collaboration in der Automotive-Industrie
Analyse und Reaktionen aus der Industrie
                                           Aktual
                                                  isier
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Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie - Analyse und Reaktionen aus der Industrie
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                   2

                   Inhalt
                   Über die Studie                                                     3

                   Einleitung: Klassische Industrieproduktion in der Krise             4

                   Der Local Motors Business Case                                      7

                   Eine völlig neue Art von Auto-Unternehmen                           11

                   Aus dem Netz auf die Straße: Der Rally Fighter                      15

                   Die Community als offenes Entwicklungswerkzeug                      26

                   Insight: Wie startet man eine Co-Creation-Community                 33

                   Die Kunden von Local Motors                                         39

                   Der Charme des Selbermachens: Die „Local Motors Build Experience“   43

                   Der Local Motors Prozess                                            47

                   FLYPmode: Von der Idee zum Prototypen in 150 Tagen                  50

                   Perspektive: Neue Fahrzeuge, Flotten und ein Auto für Afrika        53

                   Analyse: Die Vorteile offener Entwicklungsprozesse                  57

                   Executive Summary: Die Learnings aus dem Case Local Motors          65

                   Reaktionen der Industrie                                            67

                   Anhang 1: Offene Zusammenarbeit bei deutschen Zulieferern           79

                   Anhang 2: Collaboration-Beispiele und Best Practices                82
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Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                                                                                      3

                   Über die Studie
                   Mit dieser Studie wollen wir das Thema Innovation im Automotive-Bereich um
                   eine neue Perspektive erweitern: Die offene Entwicklung mit Hilfe einer Com-
                   munity, bei der nach dem Collaboration-Prinzip verteilte Akteure außerhalb des
                   Unternehmens Aufgaben eigeninitiativ abwickeln.

                   Die Studie gliedert sich in vier Teile:

                     →→ einen deskriptiven Teil, in dem wir erklären, wie Local Motors funktioniert,
                     →→ einen Teil, in dem wir darstellen, was dieses Entwicklungsmodell für den
                          deutschen Markt bedeuten kann,
                     →→ einen Teil, in dem die Learnings aus dem Case Local Motors zusammenge-
                          fasst werden
                     →→ und einen Teil, der Reaktionen der deutschen Automotive-Industrie auf
                          Local Motors dokumentiert.

                   Für den analytischen Teil der Studie wurden neben dem Team und den Führungs-
                   kräften von Local Motors rund 50 Fach- und Führungskräfte aus der deutschen
                   Automobilindustrie in Interviews um Einschätzungen zu Local Motors gebeten.

                                                            Um die Reaktionen der deutschen Automobilindustrie
                                                            auf das Konzept Local Motors zu ermitteln, hat die
                                                            Universität St. Gallen im Nachgang eine quantitative
                                                            Befragung durchgeführt.

                                                            Autoren: Dr. Willms Buhse, Lars Reppesgaard
                                                            (doubleyuu), Prof. Dr. Sven Henkel (Universität
                                                            St. Gallen), Dr. Ulrich Lessmann (T-Systems)

                                                            Local Motors CEO Jay Rogers mit einem der Autoren,
                                                            Dr. Willms Buhse

                     Bildnachweise: S. 4: Public Domain, Fotograf unbekannt / S. 61: Streetsmart GmbH / alle anderen: Local Motors. / S. 3 & 11: Stefan Hans
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Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                                                4

                   Einleitung:
                   Klassische Industrieproduktion in der Krise
                   Als Adam Smith 1776 seine Ideen zur Arbeitsteilung veröffentlichte, ahnte er
                   nicht, was er auslösen würde. Smith schlug vor, dass die Arbeiten in einer Gesell-
                   schaft jeweils von einem Spezialisten mit speziellen Werkzeugen erledigt werden
                   sollten. Unter dem Einfluss seiner Theorie von der Arbeitsteilung und den Ideen
                   von Frederick Winslow Taylor, der vorschlug, Produktionsprozesse in viele kleine
                   Arbeitsschritte aufzuteilen, die wiederum in repetitive Ablaufabschnitte unter-
                   teilt sind, erlebte die Wirtschaft im 19. Jahrhundert eine ungeheure Steigerung
                   ihrer Produktivität. Heute bezeichnen wir diese Zeitwende als „Industrielle
                   Revolution“. Als Henry Ford Anfang des 20. Jahrhunderts begann, die Automobil­
                   produktion zu revolutionieren, griff er auf ihre Ideen zurück. Damals drängte das
                   weiträumige Amerika nach ungehemmter Mobilität. Doch noch war das Auto
                   nicht nur ein vollkommen neues, sondern auch ein außerordentlich teures Pro-
                   dukt. Ford schwebte ein einfach zu bedienendes, robustes Vielzweck-Auto vor,
                   das für jedermann erschwinglich sein sollte. Das Ford Modell T, das Ford 1908
                   auf den Markt brachte, war perfekt auf diese Anforderungen abgestimmt. Doch
                   erst 1914, mit Einführung des Fließbandes für eine hoch arbeitsteilige Massen-
                   produktion, knackte Ford die letzte Bastion für den Einstieg in den Massenmarkt.
                   Schrittweise konnte er den Preis der „Tin Lizzy“ von 850 Dollar auf 370 Dollar
                   senken. Der Erfolg war überwältigend. Das T-Modell motorisierte Amerika und
                   wurde bis 1928 über 15 Millionen Mal verkauft. Erst der VW Käfer konnte 1972
                   den Verkaufsrekord des Modell T brechen.

                   Fortschritt trifft auf Vergangenheit: Eine Tin Lizzy begegnet auf diesem Foto aus dem Jahr 1911 Big
                   Springs, Nebraska, einer Kutsche.
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                   Das Wachstum der automobilen Industrieproduktion führte danach zum
                   Aufbau riesiger Produktionsstraßen. Noch bis in die 80er Jahre des 20. Jahrhun-
                   derts stellten die Automobilkonzerne einen Großteil der Bauteile im eigenen
                   Unternehmen her – Ford unterhielt zeitweise sogar ein eigenes Reifenwerk.
                   Erst der Aufstieg von japanischen Herstellern änderte das Spiel. Die „Lean
                   Production“ mit optimierten Materialflüssen und Just-in-Time-Logistik nach der
                   KANBAN-Methode des japanischen Herstellers Toyota galt in den 90er Jahren
                   als Leitbild des Fahrzeugbaus. Seither werden immer größere Anteile der auto-
                   mobilen Produktion und Entwicklung an spezialisierte Partner ausgelagert. Was
                   sich nicht geändert hat: Nach wie vor setzen die meisten Automobilproduzen-
                   ten auf das klassische Inhouse-Prinzip. Entwicklungsabteilungen mit Heerscha-
                   ren an Weißkitteln entwickeln auf der Grundlage von Marktforschung ingeniöse
                   Innovationen. Im Anschluss schrauben Kohorten von Blaukitteln Seite an Seite
                   mit Robotern in großen Fabrikhallen die Fahrzeuge an Just-in-time-genährten
                   Fließbändern zusammen. Mit hohem Kapitalaufwand entwickeln die Hersteller
                   Einheitsbaumuster, um sie 100.000fach zu kopieren und über ihr Händlernetz
                   per Massenmarketing in den Markt zu drücken.

                   In diesem System gibt es keinen kontinuierlichen Dialog mit den Kunden. Das
                   Feedback von Kunden begrenzt sich auf Marktforschungsergebnisse, Reak-
                   tionen auf Messeprototypen und Erfahrungen aus dem Kundenservice nach
                   Verkauf des Produktes. Das Angebot an Dienstleistungen rund um das Fahrzeug
                   ist beim Händler konzentriert oder auf einen undurchsichtigen Dschungel
                   unabhängiger Servicebetriebe verteilt. Obwohl der Kunde mit dem Auto die
                   zweitgrößte Anschaffung seines Lebens macht, finden viele seiner Bedürfnisse
                   und Wünsche erst sehr spät Eingang in die Serie – wenn sie nicht gleich gänz-
                   lich unberücksichtigt bleiben.

                   Das ist die Praxis der automobilen Industrieproduktion – bis heute. Zwar lässt
                   sich auch in der Automobilproduktion ein Trend zur Individualisierung von Pro-
                   dukten und zu limitierten Auflagen beobachten, doch sind diesen Entwicklun-
                   gen angesichts der gegebenen Struktur der Wertschöpfungskette enge Grenzen
                   gesetzt. Spätestens seit der jüngsten Finanzkrise 2009 hat das klassische Para-
                   digma der Industrieproduktion Risse bekommen. Das gilt ganz besonders für
                   die amerikanische Automobilindustrie. Nach Jahren des Siechtums stehen die
                   stolzen Bannerträger des American Way of Life vor der Herausforderung, sich
                   radikal neu auszurichten.
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                   Dabei geht es nicht nur darum, Antriebe für die nächste Fahrzeuggeneration
                   zu entwickeln oder die richtigen Schritte bei der Vernetzung der Fahrzeuge
                   zum Connected Car zu tun. Vor allem bei Jüngeren nimmt die emotionale Bin-
                   dung an Marken oder Modelle ab. Der Wert des Autos an sich – als Mittel der
                   Wahl zur individuellen Mobilität, als identitätsstiftendes Statussymbol und als
                   Kommunikationswerkzeug – wird in einer zunehmend urbanen und vernetzten
                   Gesellschaft neu definiert.

                                       „Es ist eine neue Ära, und jeder, der mit diesem Unterneh-
                                       men verbunden ist, muss dies verstehen und bereit sein
                                       für Veränderungen, und zwar schnell.“
                                       (Frederick Henderson, CEO von General Motors)

                   Diese Entwicklung ist besonders ausgeprägt bei den sogenannten Digital
                   Natives zu beobachten – der Generation der ab 1980 Geborenen, die mit digi-
                   talen Technologien wie dem Computer und dem Mobiltelefon aufgewachsen
                   sind. Ihre Verhaltensmuster, die sich an netz-inhärenten Werten wie dem Teilen
                   von Wissen, dem Vernetzen und Offenheit orientieren, prägen aber inzwischen
                   auch andere Teile der Gesellschaft.

                                       „Das Verständnis des Kunden hat sich verändert. Er will
                                       gestalten und mitmachen und nicht mehr nur konsumieren.“
                                       (Prof. Dr. Torsten Tomczak, Universität St.Gallen)

                   Gleichzeitig hat sich in einer zunehmend von der Digitalisierung und der
                   permanenten Vernetzung, vom Mitmach-Internet Web 2.0, individualisierten
                   Produkten und offenen Partizipationsmodellen wie Wikipedia geprägten Gesell-
                   schaft das Verständnis der Kunden an sich – und damit auch der Autokunden
                   – verändert. Aus reinen Konsumenten werden Kunden, für die der Schriftsteller
                   und Futurologe Alvin Toffler den Begriff „Prosumenten“, also Konsumenten, die
                   produzieren, gestalten und mitmachen wollen, geprägt hat. Noch versäumen
                   es Automobilbauer in der Regel, ihnen Partizipationsmöglichkeiten anzubieten.
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                   Der Local Motors Business Case
                   Wohin soll also die Reise gehen? Vielleicht hierhin: Stellen Sie sich vor, Sie
                   mischen mit bei der Entwicklung Ihres neuen Autos und diskutieren Ihre Ideen
                   und Wünsche mit Ingenieuren und Designern. Und schließlich begeben Sie sich
                   zu Ihrem freundlichen Händler, um dort Ihr Auto gemeinsam mit Freunden
                   zusammenzubauen – ein Auto, das es nur ein einziges Mal gibt. Und jetzt sagen
                   Sie: Ist es nicht eigentlich völlig undenkbar, dass Kunden ihre Autos selbst
                   zusammenbauen? So etwas Ähnliches haben sich die Leute auch gefragt, als
                   Ikea an den Start ging. Werden die Leute wirklich bereit sein, ihre Möbel selbst
                   zusammenzubauen? Heute weiß man, dass die Leute dazu bereit sind – und
                   Ikea gerade für diese Idee lieben.

                   Genau diese Gedanken hatte Jay Rogers, als er sich entschloss, Local Motors zu
                   gründen. Das Start-Up-Unternehmen aus Phoenix im US-Bundesstaat Arizona
                   baut Autos. Das ist aber auch fast das einzige, was das Unternehmen, das sich
                   selbst als „Next Generation American Car Company“ bezeichnet, mit anderen
                   Autoproduzenten gemeinsam hat. Local Motors ist ein Autohersteller, der seine
                   Produkte über das Internet entwickelt und sie von ihren Kunden beim Händler
                   vor Ort zusammenbauen lässt. So kommt es, dass jeder Kunde bei Local Motors
                   sein ganz individuelles Auto bekommt – ein Auto, das er selbst gebaut hat.

                   Damit wagt das Unternehmen etwas, das neu ist in der Automotive-Industrie.
                   Das Unternehmen setzt in den Bereichen Konstruktion und Entwicklung voll auf
                   Offenheit als Strategie. Das beinhaltet das intensive Einbeziehen von Kunden
                   und Freunden der Marke in Entwicklungs- und sogar Fertigungsprozesse. Dieser
                   gemeinschaftliche, aber final immer von Local Motors gesteuerte Schöpfungs-
                   prozess – „Co-Creation“ – ist das Ergebnis einer offenen Entwicklungsstrategie
                   und die Basis des Geschäftsmodells. Ob Fahrzeugkonzept, Detailentwurf von
                   Baugruppen, Produktion oder Service – Local Motors nutzt die Erfolgsfaktoren
                   von Co-Creation in allen Phasen der Wertschöpfung.

                   Vor allem im Bereich der Produktentwicklung ist diese Vorgehensweise wesent-
                   lich durch das Collaboration-Prinzip – das Bearbeiten einer Aufgabe durch
                   verteilte Akteure – geprägt. Was in Local Motors-Fahrzeugen wie dem Rally
                   Fighter steckt, ist demnach alles andere als ein Betriebsgeheimnis. Im Gegen-
                   teil: Die Konstruktionsdaten aller Bauteile sind öffentlich einsehbar. Dadurch
                   werden die Fahrzeuge in dynamischen, agilen Collaboration-Prozessen mit
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Der Case Local Motors:
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                   einer ungeheuren Geschwindigkeit entwickelt – eine Verfahrensweise, die eher
                   an das Codieren von Software als an die Ingenieursarbeit in einer Entwicklungs-
                   abteilung erinnert. Es passt perfekt zu dem Local Motors-Fertigungskonzept für
                   Kleinserien, die auf Fertigteilen beruhen, die lediglich leicht verändert oder neu
                   zusammengestellt werden.

                   Von Local Motors kann man lernen, wie man Offenheit als Strategie verfolgt,
                   wie man diese Strategie Schritt für Schritt umsetzt, wie ein Automobilunterneh-
                   men so die Prinzipien des Netzes aufgreift, um Kunden nachhaltig zu binden
                   und zu begeistern – und was ein Unternehmen darüber hinaus durch diese
                   Vorgehensweise zu gewinnen hat.

                   Local Motors hat die Erfahrungen aus drei Jahren co-kreativer Entwicklung und
                   Produktion in einen strukturierten Prozess überführt, den die Arbeitsschritte
                   der Community in vier Phasen – „Create it“, „Develop it“, „Build it“ und „Mod
                   it“ aufgliedert. Dieser Prozess erlaubt es, in jeder Entwicklungsphase auf Kreati-
                   vität und Feedback aus der Community zugreifen zu können ohne die Kontrolle
                   über die Entwicklung Externen zu überlassen.

                   Gegenüber klassischen Crowdsourcing-Szenarien, bei denen ein Unternehmen vielfältige Impulse
                   von außen aufnimmt, verfolgt Local Motors einen Co-Creation-Ansatz: Kunden, Designer und
                   Ingenieure („Contributors“) und die Mitarbeiter von Local Motors entwickeln das Fahrzeug in
                   engem Austausch.
Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie - Analyse und Reaktionen aus der Industrie
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                           9

                   Außerdem pflegt und entwickelt Local Motors ein Open-Source-Netzwerk mit
                   Zulieferbetrieben, über das CAD-Dateien der Bauteile ausgetauscht und publi-
                   ziert werden. Die Öffnung der OEM-Prozesse zu allen Stakeholdern unterstützt
                   neuartige Interaktionen, angefangen von der Konzeptdefinition über das Design
                   bis hin zur Gestaltung der Außenhaut mithilfe von „Skins“, die der Kunde
                   gemeinsam mit den Community-Designern entwirft. Über die Community und
                   die „Local Motors-Experience“, den gemeinsamen Bautermin in den Micro­
                   factories, werden Kunden eng in den Entwicklungs-, Kauf- und Serviceprozess
                   eingebunden. Die Microfactory dient als Plattform für die aktive Begegnung
                   und Zusammenarbeit von Kunden mit Experten des Unternehmens.

                   Dieser Ansatz erlaubt es Local Motors, ein Geschäftsmodell zu verfolgen, mit
                   dem sich extrem schnell und mit einem sehr geringen Kapitaleinsatz individu-
                   elle, aber auch komplett neue Fahrzeuge entwickeln lassen und das sich zudem
                   schon nach extrem kurzer Zeit rechnet. Während neue Serien und Modelle
                   in der klassischen Autoindustrie eine Vorlaufzeit von fünf bis sieben Jahren
                   haben, dauerte es beim Rally Fighter nur 18 Monate, bis aus der 2D-Zeichnung
                   ein Fahrzeug wurde, das ein Kunde abholen konnte. Das nächste Ziel von Local
                   Motors ist es, diesen Zeitraum auf 12 Monate zu reduzieren.

                   18 Monate dauerte es, bis nach dem ersten Entwurf der Rally Fighter, das erste
                   Produktionsfahrzeug von Local Motors, auf einer Wüstenpiste fuhr.
Der Case Local Motors: Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie - Analyse und Reaktionen aus der Industrie
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                   Ähnlich radikal sehen die Zahlen beim Thema Kapitaleinsatz aus. Während Ford
                   beispielsweise für seinen 4-Wheel-Drive F150 in fünf Jahren etwa 1,5 Milliar-
                   den Dollar investieren musste und Tesla für den Roadster sechs Jahre und 250
                   Millionen Dollar Kapital benötigte, kam der Rally Fighter, das erste Modell, das
                   Local Motors zum Verkauf anbietet, mit einem Budget von 3,6 Millionen Dollar
                   aus. Local Motors muss also nur ein bis zwei Prozent des Kapitals aufwenden,
                   das die klassische Automotive-Industrie in ein neues Fahrzeugmodell investiert.

                   Bereits jetzt ist Local Motors nach eigenen Angaben an einem Punkt, an dem
                   schon 150 verkaufte Fahrzeuge pro neuer Serie ausreichen, um den Break-Even
                   zu erreichen.

                                       „Das Innovationsmodell von Local Motors ist radikal neu
                                       für die Automotive-Industrie. Der Ansatz, Kunden und
                                       Zulieferer online an der Produktentwicklung zu beteiligen,
                                       ist vielversprechend und eröffnet der Branche aufregende
                                       Perspektiven, wie sie Produkte beziehungsweise
                                       Komponenten in Zukunft schnell und kosteneffizient
                                       entwickeln kann.“
                                       (Prof. Dr. Daniel Wentzel, RWTH Aachen)
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                   Eine völlig neue Art von Auto-Unternehmen
                   Wer Local Motors besucht, sieht zunächst eine Wellblechhalle, drei kleine
                   Büroräume und eine Armada an Autos, die aussehen wie Kampfmaschinen
                   für einen neuen George-Lucas-Film. Erst das Internet macht den kleinen
                   Automobilhersteller zum Riesen. Weil Local Motors die Entwicklungsabteilung
                   kurzerhand in eine Online-Community ausgelagert hat, lebt der weitaus größte
                   Teil des Unternehmens im Netz. Und die allermeisten Menschen, die gestalten,
                   planen und entwickeln, sind überhaupt nicht bei Local Motors angestellt: Es
                   sind Designer, Ingenieure und Autofans aus der ganzen Welt, die über das
                   Internet begeistert ihr Wissen und ihr Know-how in die Wertschöpfung von
                   Local Motors einbringen. Rund 1.400 Designer arbeiten für Local Motors,
                   außerdem viele eingeführte Zulieferer der amerikanischen Automobilindustrie.

                    Der Rally Fighter vor der ersten „Microfactory“
                           des Unternehmens in Phoenix, Arizona.

                   Auch bei der Produktion geht das
                   Start-up neue Wege. Bei Local Motors
                   gibt es keine Fabriken mit langen
                   Fließbändern, sondern kleine Werk-
                   statthallen, die gleichzeitig als Händ-
                   lerstützpunkt dienen. Local Motors
                   nennt sie „Microfactory“. Auch viele
                   der Monteure, die dort arbeiten, sind nicht bei Local Motors angestellt – nein,
                   es sind Kunden, die gemeinsam mit Freunden und Familie ihre Autos unter
                   fachkundiger Anleitung zusammenschrauben – in der Regel echte Fans, die
                   schon immer gern einmal selbst Hand anlegen wollten.

                   Hinter der Idee von Local Motors steht ein Mann mit Benzin im Blut. John Bur-
                   ton Rogers, den alle nur Jay nennen, ist geschäftsführender Gesellschafter und
                   Mitgründer von Local Motors. Seit frühester Kindheit vom Autovirus infiziert,
                   sammelte Jay seine Fahrpraxis auf BMW 535, Mercedes 300 SL, Dodge Viper,
                   Chevrolet 1500, Honda Element und Mercedes 280 SL. Schon sein Großvater
                   war ein Motor Guy – er leitete den berühmten amerikanischen Motorradher-
                   steller Indian, der bis zum zweiten Weltkrieg die Königsklasse des Motorrad-
                   baus darstellte.
Der Case Local Motors:
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                   Jay hat bereits ein äußerst bewegtes Leben hinter sich, bevor er Local Motors
                   gründet. Mit seinem Vater hat er im aufstrebenden China der 90er Jahre ein
                   Start-up für medizinische Testgeräte entwickelt. Sein Studium absolviert er
                   an der Woodrow Wilson School of Public and International Affairs der renom-
                   mierten Universität Princeton. Er arbeitet als Finanzanalyst für die Investment
                   Bank Ewing & Partner und lernt die Welt von Private Equity und Venture Capital
                   von innen kennen. Im Anschluss entscheidet sich Jay gegen einen Studienplatz
                   an der Universität Stanford und für den Eintritt in die US Army. Über sechs
                   Jahre kommandiert er eine Truppe von 300 Infanteriesoldaten im United
                   States Marine Corps. Zwischendurch wird er auch noch Ehemann seiner Frau
                   ­Susannah und Vater seiner Söhne John, Charles und Houston.

                                        Seine Militäreinsätze führen Jay in den Nahen Osten,
                                        wo er hautnah wahrnimmt, wie Amerikas Abhängigkeit
                                        von Ölimporten die Sicherheit des Landes gefährdet. Jay
                                        beschließt, etwas dagegen zu tun. Als leidenschaftlicher
                                        Autofan und mit seinen Erfahrungen als Gründer und
                                        Führungskraft entwickelt er nach und nach die Vision eines
                                        Automobilunternehmens der Zukunft.

                                        „Bei den Marines lernt man‚ bescheiden zu sein, aber in
                                        großen Maßstäben zu denken. Ich habe Autos tief in mei-
                                        nem Herzen geliebt seit ich ein Kind war. Ich hatte einen
                                        Hintergrund als Unternehmer. Das und meine Arbeit im
                                        Finanzsektor würde bedeuten, dass ich Geld aufbringen
                                        kann. Und ich hatte bereits viele Leute geführt, als Kom-
                                        mandeur einer Kompanie war ich für 300 Marines verant-
                                        wortlich, Ich dachte‚ wer wäre besser dazu in der Lage, in
                                        der Auto-Industrie einen Unterschied zu machen?’“
                                        (Jay Rogers, Gründer von Local Motors)

                   Nach seiner Zeit bei der Armee setzt Jay sein Studium an der Harvard Business
                   School fort und konzentriert sich auf das Thema Innovation in der Automo-
                   bilindustrie. Parallel arbeitet er als Berater für die Automotive Practice der
                   Unternehmensberatung McKinsey & Co. Gemeinsam mit einem Kommilitonen
Der Case Local Motors:
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                   gewinnt er für seine Studienarbeit 20.000 Dollar der Harvard Social Enterprise
                   Initiative – ein Gründerpreis für sozial verpflichtete Unternehmer.

                   Der Preis motiviert die beiden Jungunternehmer, ihre Ideen in ein Gründungs-
                   konzept umzusetzen. Sie studieren eingehend die Methoden der Autohersteller
                   und führen Interviews mit großen und kleinen Herstellern, darunter mit Ford,
                   dem Elektropionier Tesla und dem Kit-Car-Produzenten Factory Five. Sie lernen,
                   dass fast kein Hersteller die Kunden seiner Autos wirklich kennt. Am besten
                   weiß es der kleine Hersteller Factory Five, der Replicas klassischer Autos als
                   Bausätze anbietet. Eher beiläufig hatte das Unternehmen eine Online-Commu-
                   nity-Plattform ins Netz gestellt – mit beachtlichem Erfolg. In der Community
                   diskutieren Kunden und Interessenten von Factory Five über kleine Details und
                   große Ideen. Bis zu 1.000 Nutzer pro Tag nutzen das Online-Forum des Klein-
                   herstellers – weitaus mehr als die Community-Plattformen großer Hersteller
                   wie Ford oder Volkswagen.

                   Für Jay ist die Factory Five-Community so überzeugend, dass er sich sofort
                   entschließt, das Element der Community in sein Gründungskonzept aufzuneh-
                   men – auch wenn er zu dieser Zeit noch nicht genau weiß, welche Funktion die
                   Community in seinem Unternehmen haben würde. Joe Lassiter, einer seiner
                   Professoren in Harvard, bestätigt Jay in seiner Vorahnung.

                                        „(Joe Lassiter) regte an, dass nicht wir diejenigen sein
                                        sollten, die die Kunden davon überzeugen müssen, unser
                                        Produkt zu kaufen, sondern dass die Kunden andere Kun-
                                        den überzeugen müssten unser Produkt zu kaufen.“
                                        (Jay Rogers, Local Motors)

                   Professor Joe Lassiter empfiehlt, zunächst eine kleine Fach-Community zu
                   entwickeln, die Designer und Entwickler für die Mitarbeit gewinnt. Und Factory
                   Five-Chef Mark Smiths plädiert dafür, die Kunden – ähnlich wie bei Kit-Cars –
                   am Bau der Autos zu beteiligen, sodass ein erheblicher Teil der Wertschöpfung
                   durch die Kunden selbst erbracht würde.

                   Nachdem Jay seinen Harvard MBA in der Tasche hat, kommt der Tag der Ent-
                   scheidung. Noch sind drei Optionen im Spiel: Die Beraterlaufbahn bei McKinsey,
                   ein Job bei einer Private Equity-Beratung, und die Gründung von Local Motors.
                   Jay setzt auf volles Risiko und entscheidet sich für Local Motors. Sein Partner
Der Case Local Motors:
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                   springt im letzten Augenblick aus privaten Gründen ab. Jay steht unverhofft allein
                   da. Ein Gespräch mit Mark Smiths, dem Gründer von Factory Five, bringt den
                   Wendepunkt. Smith ist sofort von der Local Motors-Idee überzeugt und bietet
                   umfangreiche Starthilfen an: Büros und eine Werkstatt in der Nähe der Factory
                   Five-Produktion, Zugriff auf Ingenieure und Designer, Know-how für Betriebsfüh-
                   rung und Produktion sowie die Unterstützung des Factory Five-Managements.
                   Mit diesem Grundstock überzeugt Jay weitere Investoren. Die Anteile sind weit
                   gestreut – viele der Investments bewegen sich um 100.000 Dollar.

                   Eine kleine Mannschaft, die Großes bewegt: Das Kernteam von Local Motors.
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                   Aus dem Netz auf die Straße: Der Rally Fighter
                   Die Gründung von Local Motors beginnt bei Null. Es gibt keinen Entwurf, keinen
                   Prototyp und kein fertiges Produkt. Es gibt nur Jays festen Glauben, dass die
                   Gemeinschaft der Local Motors-Online-Community schon bald ein erstes Pro-
                   duktionsfahrzeug hervorbringen wird. Als erste Iteration der Produktentwick-
                   lung entwickelt Local Motors den Rally Fighter.

                                                                Dynamische Entwicklung: Im Laufe der
                                                                18 Monate veränderten sich Design und
                                                                Innenleben des Rally Fighters durch den
                                                                Input der Community erheblich.

                                                                Doch bis der Wüstenrenner
                                                                Wirklichkeit wird, ist es noch ein
                                                                langer Weg. Zunächst muss Jay die
                                                                Online-Community aufbauen, die
                                                                er später Local Forge nennen wird.
                                                                Die Anfänge sind mühselig. Um
                                                                Local Forge erfolgreich zu starten,
                                                                wirbt Jay aktiv Designer an. Er
                                                                führt Gespräche mit Lehrenden
                                                                und Studenten des berühmten
                   Arts Center in Pasadena, Kalifornien, einer weltweit führenden Talentschmiede
                   für Autodesigner. Jay stellt fest, dass nur 20 Prozent der Absolventen einen Job
                   bei einem der großen Autohersteller finden. Er sieht ein großes Potential an
                   unterbeschäftigten Jungdesignern, die mit frischen Ideen und ohne industrielle
                   Vorprägung nach ersten Herausforderungen suchen. Diese kreativen Talente
                   möchte er überzeugen, über Local Forge mit seinem Unternehmen zusammen
                   zu arbeiten.

                   Der Start der Community verläuft zögerlich. Auch eine Prämie von 500 Dollar,
                   die er den Studenten zusagt, sofern sie ihre eigenen Designarbeiten in die Com-
                   munity hochladen, bringt wenig Erfolg. Erst als Ariel Ferreira das Management
                   der Community übernimmt, stellen sich erste Erfolge ein. Ariel hat Erfahrung
                   mit Kundenbindungsprogrammen für Volvo und GM und akquiriert von nun an
                   systematisch neue Mitglieder. Sie besucht Automotive und Industrial Design
                   Online-Communities und nimmt Kontakt mit potentiellen Kandidaten auf. Oft
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                   muss Ariel Misstrauen auflösen und nachweisen, dass Local Motors keine kurz-
                   lebige Eintagsfliege ist. Auch die Frage des Urheberrechts taucht immer wieder
                   auf. Vielfach sind bis zu zehn Kontakte notwendig, bevor es zur Registrierung
                   in der Community kommt. Mit dem „Charter Member“-Programm wirbt Ariel
                   um die ersten Mitglieder. Um die virtuelle Community realer und spürbarer zu
                   machen, erhalten die 20 ersten Designer, die ihre Arbeiten in die Community
                   hochladen, eine Racing-Basecap mit Local Motors-Logo als Dankeschön. Einige
                   dieser Designer stellt Ariel mit einem Beitrag im Blog von Local Motors vor.
                   Irgendwann, nach mühevollen Anfängen, wendet sich das Blatt: 12 Monate
                   nach Start sind 1.400 Designer und Autofans in der Community registriert.

                                        „Wir erreichten einen Punkt, an dem es ‚umkippte’ und
                                        an dem die Leute aufhörten, die Fragen nach unserer
                                        Glaubwürdigkeit zu stellen, weil so viele ihrer Freunde
                                        und Kollegen sich bereits beteiligten. Sie begriffen, dass
                                        wir echt waren.“
                                        (Ariel Ferreira, ehemalige Community-Managerin
                                        von Local Motors)

                   Im April 2008 startet Local Motors den ersten Online-Wettbewerb – ein
                   Motivationsmittel, das von jetzt an die Community-Kultur des Autoherstellers
                   maßgeblich bestimmt. Der „Southern Californian Contest“ dreht sich um ein
                   Offroad-Fahrzeug für die Wüstenregionen im Südwesten der USA. Dieser
                   Wettbewerb deutet bereits das Rally Fighter-Konzept an. Mindestens 10 ernst-
                   zunehmende Entwürfe müssen eingereicht werden, damit das Preisgeld von
                   2000 Dollar ausgeschüttet wird. Am Ende sind es 22 Entwürfe. Sieger wird das
                   Offroad-Performance-Konzept „Panterra“ des 30jährigen Transportation Desi-
                   gners Filip Tejzerski aus Australien.

                   Ab jetzt folgt jeden Monat ein neuer Wettbewerb. Parallel steigen die Teilneh-
                   merzahlen. Auf die „Miami Motors Competition“ mit 40 Einreichungen folgt die
                   „Air Base Motors Challenge“ mit 80 und der „Adventure Team Motors Contest“
                   mit über 100 Teilnehmern.
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                                     17

                   Mit monatlichen Wettbewerben hält Local Motors die Community lebendig. Thema der Wettbe-
                   werbe sind innovative Fahrzeugkonzepte für regionale Nischenmärkte.

                   Die Wettbewerbe werden auf regionale Nischenmärkte in den USA ausgerichtet.
                   Die Anforderungen an das Autodesign leiten sich von örtlichen Kundenbedürf-
                   nissen und äußeren Bedingungen wie Geologie, Wetter, Kultur und ästhetischem
                   Empfinden ab.

                   Im Sommer 2008 ist es soweit: Local Motors ruft zur Auswahl eines Top-
                   Konzepts für die Umsetzung in die Produktion aus. Die Community bekommt
                   die Möglichkeit, noch einmal alle Einreichungen zu bewerten. Local Motors
                   motiviert die Community ausdrücklich dazu, besonders innovativen Ansätzen
                   ihr Votum zu geben.

                   Im Rennen sind sowohl die Wettbewerbssieger als auch Ideenskizzen und heiß
                   gehandelte Fast-Gewinner früherer Wettbewerbe. Unter Berücksichtigung
                   von Community-Kommentaren und Bewertungen wählen die Local Motors-
                   Mitarbeiter aus den besonders hoch bewerten Entwürfen 10 Top-Konzepte für
                   die finale Entscheidung aus. Die letzte Entscheidung behält sich Jay Rogers vor.
                   Er will sicherstellen, dass das Konzept die geplanten Anforderungen technisch
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                             18

                   erfüllt, mit den gegebenen Ressourcen der Firma umsetzbar ist und am Markt
                   eine reelle Chance hat. Diese Entscheidung kann nach Jays Überzeugung nur
                   jemand treffen, der mit allen Aspekten des Unternehmens vertraut ist.

                                                             Ausschnitte aus einem langem Interview
                                                             mit Jay Rogers finden Sie auf
                                                             www.doubleyuu.com/jayrogers

                                                             „Ich wollte, dass die Leute von
                                                             Anfang an wissen, dass jemand die
                                                             endgültige Entscheidung treffen wird
                                                             und dass wir nicht lediglich an einen
                                                             demokratischen Prozess gebunden
                                                             sein würden. Wir befanden uns in
                                                             einer sehr empfindlichen Phase. Die
                                       Community war noch sehr klein, es gab keine Präzedenz-
                                       fälle, auf die man sich beziehen konnte, und der größte
                                       Teil unseres Investments stand auf dem Spiel. Ich hatte
                                       also das Gefühl, dass die Person mit der meisten Erfah-
                                       rung in dem Unternehmen aus den Community-Designs
                                       auswählen sollte, was wir bauen, was wir vermarkten
                                       können und so weiter. Ich nenne diesen Prozess des kol-
                                       laborativen Entscheidens von Community und Unterneh-
                                       men ‚bi-modale Intelligenz’.“
                                       (Jay Rogers, Local Motors)

                   Vor der endgültigen Festlegung berät sich Jay noch einmal mit externen Stake-
                   holdern, zum Beispiel mit dem Arts Center und mit Experten von Factory Five.
                   Jay entscheidet sich schließlich für den Entwurf des südkoreanischen Designers
                   Sangho Kim, auch wenn sein internes Team eher für das „Panterra“-Konzept,
                   den Sieger des „Southern Californian Motors Contest“, plädiert. Kim hatte mit
                   dem Rally Fighter-Konzept zuvor bereits den „Miami Road Racer Competition“
                   gewonnen. Am 11.8.2008 kündigt Jay im Blog und auf der Website von Local
                   Motors den Rally Fighter offiziell als erstes Produkt von Local Motors an. Das
                   erste Auto von Local Motors soll die Bedürfnisse der angepeilten Marktnische
                   funktional und ästhetisch exakt befriedigen, die Individualität des Designers
                   spiegeln und gleichzeitig als Kultsymbol für die junge Automarke dienen.
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                                             19

                    Der Local Motors Rally Fighter basiert auf einem Entwurf des koreanischen Designers Sangho Kim.

                    Eine der Varianten von Kims Entwurf dient als Ausgangspunkt für die weitere Ausarbeitung durch
                                                           die Community.

                                  Die Reinzeichnung des Entwurfs wird von der Community inspiriert.

                          In weiteren Ausarbeitungen werden die Proportionen an das Maßkonzept angepasst.
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                                   20

                   Auch im weiteren Entwicklungsprozess des Rally Fighter-Konzepts behält die
                   Community ihre einflussreiche Rolle. Über den Online-Dialog finden Designer
                   und Ingenieure gemeinsame Positionen, obwohl ihre Perspektiven oft ganz
                   unterschiedlich sind und einander widersprechen.

                                        „Du musst sie dazu bringen, miteinander zu reden. Die
                                        Designer wollen etwas, die Ingenieure werden dir sagen,
                                        dass es nicht geht. Und oft musst du beide dazu bringen,
                                        einen Kompromiss zu finden. Beide Seiten werden ihre
                                        Entscheidungen verteidigen, und manchmal wirst du
                                        Leute vor den Kopf stoßen.“
                                        (Jay Rogers, Local Motors)

                   Für den Rally Fighter entwickeln die Local Motors-Ingenieure ein leichtes,
                   hochfestes Chassis. Es dient als Basis für individuelle Karosseriekörper, die
                   die Community entwickelt. Ingenieure aus der Community und Techniker von
                   Local Motors kümmern sich um die Anpassung der Designentwürfe an das
                   Einheitschassis.

                   Auch das Innenleben – Komponenten wie Motor, Lenksäule oder Getriebe
                   – entwickeln die Ingenieure von Local Motors nach den Vorgaben und auf
                   Grundlage der Ideen der Community. Sie sind es aber, die im Detail Lösungen
                   für technische Probleme suchen und entscheiden, wie sie sie am Besten lösen.

                                                              Rapid Prototyping: Der 3D-Drucker bei Local
                                                              Motors im Einsatz

                                                              Dazu nutzt Local Motors unter ande-
                                                              rem gezielt 3D-Drucker und -Scanner.
                                                              Die Hardware des Anbieters Z Corpo-
                                                              ration wird für das Rapid Prototyping
                                                              genutzt, um die Entwicklungszeit zu
                                                              reduzieren und Entwicklungskosten
                                                              zu senken. So benötigte das Unter-
                                                              nehmen etwa bei der Konstruktion
                   des Rally Fighters eine Antriebswellengabel, die für die off-Road-taugliche
                   Federung geeignet war. Das Entwicklungsteam kaufte eine handelsübliche
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                             21

                   Gabelaufhängung, die den Anforderungen am nächsten kam. Ihre Oberflächen-
                   daten wurden mit einem 3D-Scanner erfasst und in ein CAD-Modell umgewan-
                   delt. Die Entwickler veränderten an einigen Stellen die Proportionen der Gabel
                   und fügten Anschlussbacken hinzu. Diese Konzeptstudie drucken sie auf einem
                   3D-Drucker um sicherzugehen, dass das Teil ins Fahrzeug passen würde. Hätte
                   das Unternehmen das CAD-Modell an eine Werkstatt geschickt, hätte Local
                   Motors mit einer Bearbeitungszeit von drei bis vier Wochen und mit Kosten von
                   2.700 Dollar rechnen müssen.

                   Local Motors nutzte die 3D-Technik auch um sicherzustellen, dass alle Teile
                   des Rally Fighters tatsächlich exakt in das Chassis passen. Pisanis Team scannte
                   fertig gebaute Einheiten wie Benzintank, Motor und Lenksäule und integrierte
                   diese Daten in das CAD-Modell des Fahrzeugs.

                   Bei der Entscheidung, welche Fertigteile Local Motors für die Fahrzeuge ein-
                   kauft, half die 3D-Technologie ebenfalls, etwa bei der Suche nach Front- und
                   Heckscheinwerfern. Auf Grundlage eines bereits sehr ausgereiften CAD-
                   Entwurfs druckte das Local Motors-Team ein Frontpaneel aus. Dieses Glasfaser-
                   Modell bestückten die Mitarbeiter mit unterschiedlichen frei im Handel erhält-
                   lichen Lampen. Sie verglichen die optische Wirkung der jeweiligen Frontab-
                   deckungen auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums mit den Frontansichten
                   der dort geparkten Fahrzeuge und entschieden dann, welche Scheinwerfer die
                   richtigen für den Rally Fighter waren.

                                       „3D-Scanning und 3D-Druck helfen uns, die Entwicklung
                                       zu beschleunigen und Kosten zu senken, sodass wir pünkt-
                                       lich und innerhalb des Budgets bleiben können.“
                                       (Mike Pisani, Fahrzeug Ingenieur und Ausbilder der Auto-
                                       bauer in den Mikrofabriken, Local Motors)
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                                    22

                             Die Außenhaut wird in einen dreidimensionalen CAD-Datensatz umgesetzt.

                           Der CAD-Entwurf wird mit einer grafisch durchgestalteten Oberfläche versehen.

                                       Der Entwurf wird in ein 1:1-Schaum-Modell umgesetzt.

                           Zur Beurteilung des Außendesigns entsteht ein 1:4-Tonmodell des Rally Fighters.
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                                        23

                                                                Konzept

                                                   Produktion

                   Auch einzelne, technische Komponenten werden durch Ingenieure und
                   ­Designer der Community entwickelt. So entsteht der außenliegende Auspuff
                   innerhalb eines Monats.

                                                                Das Gestaltungskonzept für das Interieur des
                                                                Rally Fighters wird in nur vier Monaten in die
                                                                Produktion umgesetzt.

                                                                Kalkuliert für eine Stückzahl von
                                                                2.000 pro Jahr und Produktionsstand-
                                                                ort, kann der Rally Fighter zu einem
                                                                Maximalpreis von 59.000 Dollar ange-
                                                                boten werden. Alle Bauteile sind als
                                                                Open-Source nach Creative Commons
                                                                lizensiert. Die dazugehörigen CAD-
                                                                Files sind online über die Community
                                                                abrufbar.

                                                                Im Juni 2010 startete die Produktion
                                                                des Rally Fighters. Die CAD-Daten
                                                                des fertigen Entwurfs wurden an
                   die Zulieferer übergeben, die die notwendigen Standardkomponenten bereit-
                   stellten und just-in-time an die Local Motors Microfactory auslieferten. Dort
                   wurden die Autos unter Mitarbeit des Kunden verkauft, montiert, qualitätsge-
                   prüft und gewartet. Bis November 2010 wurden 127 Autos zum Stückpreis von
                   50.000 Dollar bestellt und vier fertig gestellt.
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                                       24

                   Mitte 2011 fuhren bereits 22 Rally Fighter auf den Straßen des süd-westlichen
                   Amerikas und einer im fernen Kasachstan. Die technischen Komponenten
                   stehen als Open Source-CAD-Dateien online zur Verfügung. Designer und
                   Ingenieure können die Dateien weiter modellieren und maßgeschneiderte
                   Designs um die technischen Bauteile herum entwickeln. Und Besitzer eines
                   Rally Fighters können ihre Fahrzeuge auch nach dem Kauf problemlos aufrüsten
                   oder verändern.

                   Allerdings: Bis heute ist keiner der Designer Kunde von Local Motors geworden –
                   vielleicht deshalb, weil der angepeilte Verkaufspreis von rund 50.000 Dollar weit
                   über dem Budget der meisten Jungdesigner liegt. Der Rally Fighter ist nicht nur
                   das erste Produktionsfahrzeug von Local Motors, sondern gleichzeitig das erste
                   Crowdsourcing „Creative Commons“-Auto überhaupt. Er erfüllt alle gesetzlichen
                   Regelungen für „Custom Built“-Autos und ist in 50 amerikanischen Staaten auf
                   Emission geprüft und für die Zulassung freigegeben. Alle Elemente des Rally Figh-
                   ters zum Beispiel Exterior und Interior Design, Türen, Heck und Name, wurden in
                   der Community entwickelt. Er vereint die besten Ideen aus 35.000 Designentwür-
                   fen von 2.900 Community-Mitgliedern aus über 100 Ländern.

                    Ein robuster Gitterrohrrahmen bildet die stabile
                       Basis für kundenindividuelle Konfigurationen
                                                  des Rally Fighters.

                                                                        Der Rally Fighter-Gitterrohrrahmen in
                                                                        Produktion.
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                     25

                   Fertigung der Rally Fighter-Karosserie.

                   Montage von Chassis und Zulieferteilen.

                   Springinsfeld mit Offroad-Qualitäten: Der Rally Fighter.
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                             26

                   Die Community als offenes Entwicklungswerkzeug
                   Das Kundenerlebnis Local Motors wird ganz wesentlich von der Zusam-
                   menarbeit in der Online-Community Local Forge geprägt, der Open Source
                   Co-Creation Plattform von Local Motors. Sie ist zentrales Element des Local
                   Motors-Geschäftsmodells.

                   Technisch basiert die Community auf einer Reihe von Programmen zur Bereit-
                   stellung dynamischer Webseiten, die sich mit dem Akronym LAMP abkürzen
                   lassen. Die Buchstaben stehen für Linux, Apache, MySQL und PHP. Diese bei
                   vielen Webunternehmen und -projekten extrem populäre Programmkombina-
                   tion ist besonders geeignet für den Aufbau von Webangeboten, deren Inhalte
                   sich schnell verändern und die von extrem vielen Besuchern genutzt werden.
                   Sie stellt auch beispielsweise die Infrastruktur für die Wiki-Software MediaWiki
                   dar, mit der das Online-Lexikon Wikipedia betrieben wird.

                   Die Grundlage aller Softwarebausteine ist Linux als quelloffenes Betriebssy-
                   stem. Auf dem Open Source Webserver Apache liegen die CAD-Entwürfe, aber
                   auch alle Dokumente, in denen sie kommentiert oder bewertet werden, in
                   einer MySQL-Datenbank. Der Computer, der Surfern auf ihre Anfragen hin die
                   dynamischen Webseiten der Local Motors-Community zur Verfügung stellt,
                   nutzt PHP-Skripte, um Daten aus einer MySQL-Datenbank zu generieren und
                   mit Apache über das World Wide Web abrufbar zu machen. Die Seitenbesucher
                   können die Seiteninhalte verändern. Änderungen werden dann in die MySQL-
                   Datenbank zurückgeschrieben.

                   Der eigentliche Code zur Programmierung der Community ist dagegen alles
                   andere als eine Standard-Lösung: Ihn haben Programmierer bei Local Motors
                   selbst entwickelt. Auch der Code, den das Unternehmen nutzt, um Hacker zu
                   entdecken und zu verhindern, dass Spammer mit ihren Einträgen die Commu-
                   nity missbrauchen, ist eine Eigenentwicklung.

                   Doch nicht die individuelle Programmierung der Community-Software ist
                   der wesentliche Erfolgsfaktor des Unternehmens, sondern der Aufbau der
                   virtuellen Gemeinschaft und der Umgang mit ihren Mitgliedern. Den Prozess
                   des Community Managements beschreibt Jay Rogers als „Ein- und Ausatmen“,
                   als dynamischen Wechsel der Prinzipien Wettbewerb und Zusammenarbeit.
                   Die Community erschließt das Know-how von Designern, Ingenieuren und
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                                   27

                   Autofans, um innovative Fahrzeuge zu entwickeln. Local Motors spezifiziert
                   Konzept, Marktsegment und Zielpreis, die Community kreiert in Online-
                   Wettbewerben maßgeschneiderte Problemlösungen und die Kunden bauen
                   ihre Autos gemeinsam mit Local Motors-Mitarbeitern in den regionalen
                   „Micro­factories“ zusammen. Jay sieht Local Forge als einfach zu benutzendes
                   Werkzeug für Designer, Ingenieure, Kunden und Fans, um ihr ganz persönliches
                   Idealauto zu entwerfen, zu entwickeln und schließlich auch zu fahren.

                                                                          Die Local Motors-Community
                                                                          ist gleichzeitig Showroom der
                                                                          registrierten Designer, die
                                                                          eigene Arbeiten in ihrem Profil
                                                                          veröffentlichen können.

                                                                          Gemeinsam ein tech-
                                                                          nisch hochkomplexes
                                                                          Industrie­produkt ent-
                                                                          wickeln? Wie soll das
                                                                          gehen? Aurel François,
                                                                          diplomierter Industrial-
                                                                          und Autodesigner aus
                                                                          Castres in Frankreich hat
                                                                          es selbst erlebt. Nach-
                   dem er 2007 seinen Abschluss als Transportation Designer in der Tasche hatte,
                   folgten viele Bewerbungen, aber kein Jobangebot. Um möglichst viele Men-
                   schen auf seine Arbeiten aufmerksam zu machen, entschloss sich Aurel, sie
                   online zu veröffentlichen. Bald wird auch Ariel Ferreira, Community Managerin
                   bei Local Motors, auf Aurel aufmerksam. Aurel bekommt ausführliche E-Mails
                   von Ferreira, mit denen sie dem Jung­designer die Mitgliedschaft in der Local
                   Motors-Community schmackhaft machen will. Doch Aurel hat seine Probleme
                   mit Ariels Angeboten. Ihre Vorschläge lesen sich sehr utopisch, sind für einen
                   Franzosen schwer zu verstehen und äußerst langatmig verfasst. Dennoch wird
                   er Mitglied der Community. Er veröffentlicht seine Entwürfe auf Local Forge
                   und lädt bald erste Ideenskizzen in den sogenannten Check-Up-Bereich der
                   Community hoch. Schließlich nimmt Aurel an der „Miami Motors Challenge“
                   teil – ein Designwettbewerb zur Entwicklung eines Fahrzeugkonzepts speziell
                   für Miami, ausgeschrieben von Local Motors. Weil Aurel niemals in seinem
                   Leben in Miami gewesen ist, muss er zunächst sehr viel recherchieren. Aurels
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                              28

                   fertiger Designentwurf wird von den anderen Mitgliedern der Community
                   bewertet und erreicht Rang 3. Aurel hat die neuartige Arbeitsweise überzeugt.
                   Er mag das Gefühl des Zeitdrucks, konnte sein Konzept aktiv verteidigen und
                   hat viele Anregungen aus den zahlreichen Vorschlägen und Kritiken gezogen.

                   Community-Mitglieder wie Aurel sind in allen Phasen eingebunden. Ob Besu-
                   cher, einfaches Mitglied, Designer oder „Builder“ – in allen Rollen können Nut-
                   zer mitarbeiten. Mit besonderen Reward-Tags bildet Local Motors Untergrup-
                   pen innerhalb der Community. Es gibt „LM Competion Winner“, „LM Vehicle
                   Owner“, „LM Team Members“ und „LM Charter Members“ – die Mitglieder der
                   ersten Stunde. Von der ersten groben Ideenskizze bis hin zum Produktionsfahr-
                   zeug können die Mitglieder Iterationen der Fahrzeugentwicklung mit eigenen
                   Vorschlägen beeinflussen, bewerten und kommentieren. Über Local Forge kann
                   Local Motors hautnah entlang aktueller Markttrends entwickeln, um kompro-
                   misslose, begeisternde Fahrzeuge zu kreieren.

                   Zentrales Element der Community sind die monatlichen Wettbewerbe. Sie
                   helfen Local Motors, Produkte iterativ zu entwickeln. Dafür wird das Gesamt-
                   projekt wird in mehrere Einzelwettbewerbe für die Entwicklung einzelner Bau-
                   gruppen zerlegt. Der Projektfortschritt wird in der „Punch List“ über ein Journal
                   aller wichtigen Releases dokumentiert.

                   Jeder Wettbewerb markiert eine Entwicklungsphase und eröffnet Mitgliedern
                   die Chance, mit einem eigenen Beitrag zur Lösung beizutragen. Während des
                   Wettbewerbs geben die Mitglieder wechselseitig Feedback. Die Höhe des
                   Preisgeldes, das ebenfalls monatlich ausgeschüttet wird, richtet sich nach der
                   Komplexität der Komponente. So gibt es für ein komplettes Außendesign ein
                   höheres Preisgeld als für den Feinentwurf einer Tür.

                                       „Es ist eine großartige Erfahrung, das erste Mal, dass ich
                                       etwas über Local Motors erfuhr, war an meiner Schule,
                                       der IED hier in Turin. Da war so ein Banner, einfach aus-
                                       gedruckt und an eine Wand geklebt. Und nun das. Es ist
                                       cool, Teil dieser Community zu sein. Es ist großartig.“
                                       (Giulio Partisani, Istituto Europeo di Design Turin, nach
                                       dem Gewinn der Chicago Motors Competition)
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                                                    29

                         First Time in a Competition

                         - Editable 3D and Photoshop “Package” to help community members with their design.
                         - Restricted drivetrain placement and configuration (Batteries and Electric Motor)
                         - Form factor : Shooting Brake
                         - Use of video interviews to help designers get a better idea of who they would be designing for.

                                                                                  Local Motors Competitions

                   Das Briefing des „San Francisco Motors Competition“ formuliert exakt die Regeln und
                   Rahmenbedingungen für den Entwurf.

                     Wettbewerbsdetails
                                                                                        Themen der monatlichen Wettbewerbe
                         →→ Wettbewerb der Kategorie                                    sind Nischenkonzepte für regionale
                                                                                        Märkte. Beim „San Francisco
                            Umrisszeichnungen                                           Motors Competition“ ging es um
                                                                                        ein Elektroauto im „Shooting
                         →→ Preise:                                                     Brake“-Sportkombi-Layout.
                              →→ Erster Preis: 2.000 Dollar
                              →→ Zweiter Preis: 500 Dollar
                              →→ Dritter Preis: 200 Dollar                              Designer und Entwickler können
                         →→ Rahmen-Layout: „Shooting Brake“                             in der Community auch auf
                         →→ Elektrofahrzeug                                             Software-Tools und CAD-Files
                         →→ Ausschreibungszeit: Zwei Wochen                             fertig entwickelter Komponen-
                         →→ Zeit zum Einreichen der                                     ten und Baugruppen zurück-
                            Vorschläge: Eine Woche                                      greifen, die unter Creative
                         →→ Abstimmungsphase: Eine Woche                                Commons lizensiert sind und als
                         →→ Bislang 123 eingereichte                                    Open Source-Dateien herunter-
                            Vorschläge                                                  geladen werden können.
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                                           30

                   Die Mitglieder der Local Motors-Community können die Konstruktionszeichnungen von Chassis
                   und Komponenten kostenlos als Open Source-CAD-Files herunterladen und weiter verarbeiten. Alle
                   Zeichnungen sind nach Creative Commons lizensiert.

                   Jedes Bauteil des Rally Fighters ist als Open Source-CAD-Datei online hinterlegt.

                   Die „Open Hardware Platform“ der Local Motors-Fahrzeuge spiegelt den Open
                   Source-Ansatz der Software-Industrie nach Vorbild des Betriebssystems Linux,
                   das zu einem weltweit führenden Betriebssystem aufstieg, nachdem es über
                   mehrere Iterationen der Community-Entwicklung eine immer größere Reife
                   erreicht hatte. Die Zulieferer von Local Motors nutzen die Open Hardware Platt-
                   form, um neue Bauteile zunächst in Kleinserie einzuführen. Über das Feedback
Der Case Local Motors:
Co-Creation und Collaboration in der Automotive-Industrie                                                           31

                   der Local Motors Community erhalten sie wertvolles Feedback für die Großse-
                   rie. Ähnlich wie bei Linux prognostiziert Jay auch für die Open Hardware Plat-
                   form von Local Motors einen längeren Vorlauf, bis Anwender und Nutzer der
                   offenen Hardware-Plattform auf breiter Ebene vertrauen. Jay führt zudem an,
                   dass die Entwicklung einer Hardware-Plattform für ein Auto besonders hohe
                   Anforderungen an Zuverlässigkeit, Sicherheit und Compliance stellt. Er setzt auf
                   die Kräfte der Community, über die er das Feedback von Kunden sammeln und
                   in die weitere Entwicklung einbeziehen kann. Außerdem ist er überzeugt, dass
                   die junge Marke Local Motors über den offenen Entwicklungsprozess nachhal-
                   tig Bekanntheit und Vertrauen aufbauen kann.

                                           „Wir werden das erste wirkliche
                                           Open-Source-Autounternehmen sein.“
                                           (Jay Rogers)

                   Local Motors integriert sukzessive weitere Partner in seine Community, darunter Medienpartner,
                   Logistikunternehmen, Software-Produzenten, Regierungsagenturen, Markenartikler und Zulieferer.

                   2011 ist die Community auf 25.000 Mitglieder aus 122 Ländern angewachsen.
                   Viele Mitglieder kommen aus Italien, Spanien, Frankreich und Großbritannien.
                   Deutschland und Russland sind weniger stark vertreten. Local Forge bildet
                   ein Gegenmodell zur Abteilungsstruktur traditioneller Automobilhersteller.
                   Auch dort nähern sich Fachabteilungen wie Entwicklung und Marketing aus
                   unterschiedlicher fachlicher Perspektive gemeinsamen Lösungen. Doch verläuft
Der Case Local Motors:
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                   die Kommunikation zwischen Fachabteilungen in der Regel viel schleppen-
                   der. Abstimmungen und Umsetzung aktueller Markttrends in das Produkt
                   dauern länger. Und die Fähigkeit, Kunden zuzuhören, ist wesentlich weniger
                   ausgeprägt.

                                            „Das Beispiel Local Motors zeigt, dass Automotive-
                                            Unternehmen Online-Communities kontinuierlich aktiv
                                            managen müssen, wenn sie die Kreativität ihrer Kunden
                                            dauerhaft für sich nutzen wollen.“
                                            Prof. Dr. Daniel Wentzel, RWTH Aachen.

                   Seit ihrem Start im März 2008 hat sich die Local Motors-Community stetig vergrößert. 2011 sind
                   25.000 Mitglieder in Local Forge registriert.
Der Case Local Motors:
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                   Insight:
                   Wie startet man eine Co-Creation-Community

                                                             Ariel, wie sind Sie zu Local Motors
                                                             gestoßen?

                                                             Mein Ehemann half dem Gründer im
                                                             Jahr 2007, seine Webseite zu starten.
                                                             Damals hatten sie noch nicht ein ein-
                                                             ziges Community-Mitglied, aber von
                                                             Beginn an die Vision eines offenen
                                                             Entwicklungs- und Designprozesses,
                                                             an dem maßgeblich eine Community
                   beteiligt ist. Ich wurde gefragt, ob ich den Aufbau übernehmen würde und
                   sagte zu, auch wenn ich ehrlich gesagt nicht wusste, wie man eine Community
                   managed. Es war damals ein ziemlich neuer Berufszweig. Und was wir vorhat-
                   ten, war auch neu: Wir wollten für Auto-Enthusiasten und Designer einen Ort
                   für die Zusammenarbeit und konstruktives Feedback schaffen.

                                       Gab es keine anderen Communities, in denen Designer im
                                       Automotive-Bereich Entwürfe vorstellen und diskutieren
                                       konnten?
                                                            Ariel Ferreira
                   Es gab bereits andere Communi-
                   ties, wo man sein Portfolio zeigen         →→ Sie war die erste Community-
                   und sich vernetzen konnte, aber sie           Managerin von Local Motors.
                   waren weniger auf den Austausch            →→ Community-Nickname: Ari
                   von konstruktivem Feedback und             →→ Heute betreut sie die Presse-
                   ganz sicher nicht für Collaboration-          und Öffentlichkeitsarbeit des
                   Projekte ausgelegt. Statt einer               Unternehmens.
                   formellen Ausbildung als Commu-
                   nity Manager waren Freundlichkeit, Respekt und Zuspruch die Eigenschaften,
                   die ich in den Aufbau unserer Community mit einbringen konnte. Wir wollten
                   einen Ort im Netz kreieren, an dem man positiv über die Dinge spricht und
                   nicht nur kritisiert. An dem man von seinem Traumwagen träumt und sagen
                   kann: Ich würde es lieben, wenn ein Auto „soundso“ wäre.
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                                        Negative Stimmen innerhalb der Local Motors-­
                                        Community gibt es aber vermutlich auch, oder?

                   Ja, ein paar Neinsager und Meckerer gibt es überall. Aber wenn man eine Com-
                   munity vom ersten Aufkeimen bis zur Blüte begleitet, erlebt man, dass es ganz
                   entscheidend ist, dass zu Beginn Mitglieder mitmachen, die bestimmte Werte
                   hochhalten. Sie wachsen mit der Gemeinschaft und weisen oft die Neinsager in
                   ihre Schranken. Wir selbst schalten uns sehr selten in die Konversationen ein,
                   meistens schaffen es die Mitglieder, selbst die kollaborative und konstruktive
                   Atmosphäre zu erhalten.

                                        Wie startet man eine Co-Creation-Community?

                   Das Gute ist, dass viele Auto-Designer und andere, die sich mit viel Leidenschaft
                   das Automotive-Umfeld bewegen, das öffentlich tun. Sie haben ein Blog, sie
                   wollen sich ausdrücken. Zunächst haben ich viele Blogger persönlich kontaktiert
                   und ihnen erklärt, was wir vorhaben und dass wir ein offenes Modell der Co-
                   Creation in der Automotive-Entwicklung verfolgen. Das war nicht einfach, denn
                   viele haben nicht geglaubt, dass wir es mit unserem offenen Co-Creation-Ansatz
                   ernst meinen und das Open Source-Prinzip tatsächlich ernst nehmen. Da war der
                   persönliche Kontakt das wichtigste um Vertrauen aufzubauen. Das gilt übrigens
                   für Community-Mitglieder inner- und außerhalb der Vereinigten Staaten gleicher-
                   maßen. Dabei habe ich mir oft viel zu viel Arbeit gemacht und lange, lange Mails
                   geschrieben, in denen ich das ganze Projekt erklärt habe. Heute weiß ich, dass
                   drei Zeilen genügt hätten und am Schluss die Sätze: „Hast du Interesse? Dann lass
                   uns darüber sprechen.“ Aber hey, man lernt eben nie aus.

                   Der zweite Schritt war, dass ich persönlich alle wesentlichen Design-Hochschu-
                   len in den Vereinigten Staaten besucht und dort unser Konzept vorgestellt
                   habe. Auch hier gab es viele Menschen, die Lust hatten, ihre Designs vorzu-
                   stellen und Feedback zubekommen. Der dritte Schritt war, dass wir schnell
                   begonnen haben, diejenigen öffentlich hervorzuheben, deren Designs in der
                   Community am besten ankamen. Konstruktives Feedback ist einer der Werte,
                   zu denen wir uns als Organisation bekennen, und wir versuchen, diesen Grund-
                   satz auch beim Umgang mit der Community mit Leben zu füllen.
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