Kleine Geschichte der Diplomatischen Akademie Wien - Ausbildung im Bereich der internationalen Beziehungen seit 1754
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Kleine Geschichte der Diplomatischen Akademie Wien Ausbildung im Bereich der internationalen Beziehungen seit 1754 Heinrich Pfusterschmid-Hardtenstein
Kleine Geschichte der Diplomatische Akademie Wien Diplomatische Akademie Wien, 2008 Autor: Heinrich Pfusterschmid-Hardtenstein ISBN 3-902021-56-X
Kleine Geschichte der Diplomatischen Akademie Wien Ausbildung im Bereich der internationalen Beziehungen seit 1754
Inhaltsverzeichnis Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Moderne Staaten erfordern Diplomatie und Konsularwesen. . . . . . . . . . . . . 9 Kaiserin Maria Theresia schafft in Wien ein Bildungsinstitut . . . . . . . . . . . 10 Die Orientalische Akademie als Teil der Universität Wien . . . . . . . . . . . . . 11 Ein Ort der Forschung über den Orient. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Konsuln und Diplomaten – Anwälte ihres Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1848 – Die große Zäsur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Die Öffentlichkeit interessiert sich für die Akademie. . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Standorte und Baulichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Von der Orientalischen- zur Konsularakademie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Ein modernes Bildungsprogramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Eine neue Akademie in einem neuen Haus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Die letzten Jahre der kaiserlichen und königlichen Anstalt. . . . . . . . . . . . . 21 Wie leben junge Akademiker in ihrer Akademie?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Zwischen den Weltkriegen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Eine „Fachhochschule“ für Politik und Volkswirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . 26 Das vorläufige Ende einer traditionsreichen Institution . . . . . . . . . . . . . . . 29 Der Neubeginn muss zunächst warten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Österreichs Rückkehr in die internationale Staatengemeinschaft . . . . . . . . 30 Gründung der Diplomatischen Akademie Wien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Routine folgt dem Schwung der ersten Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Wieder ist eine Neuordnung fällig. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Bauliche und personelle Erweiterungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Die Wende von 1989 berührt auch die Akademie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Entlassen in die Selbständigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Die Akademie im Spiegel des Zeitenwandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 Neue Berufsbilder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .47 Was bringt die Zukunft?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Eine moderne Ausbildungsstätte für heute und morgen. . . . . . . . . . . . . . . 50 Ausbildungsziele und Kernkompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Studiengänge, Studienabschlüsse und Veranstaltungen. . . . . . . . . . . . . . . . 53 Fakultät. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Forschung und Publikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .54 Internationale Vernetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 Zum Autor. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Impressum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 5
Vorwort Die Diplomatische Akademie Wien ist stolz auf ihre lange Geschichte, die bis zum Jahr 1754 und die Tage Maria Theresias zurückgeht, die sie als „Orienta- lische Akademie“ gegründet hat. Diese Broschüre gibt einen kurzen Überblick über die faszinierende Geschichte der Diplomatischen Akademie Wien – von der Orientalischen Akademie, der Konsularakademie, über die Wiederer öffnung 1964 – nachdem die Nationalsozialisten sie geschlossen hatten, bis zur Restrukturierung 1996 als unabhängiger Institution öffentlichen Rechts. Heute bereitet die Diplomatische Akademie postgraduates auf die vielfältigen Herausforderungen einer internationalen Karriere vor. Darüber hinaus orga- nisiert die DA regelmäßig hochrangige internationale Konferenzen und bietet maßgeschneiderte Seminare v.a. für öffentlich Bedienstete aus europäischen, asi- atischen und afrikanischen Ländern, internationalen und EU-Institutionen an. In der Gestaltung der Ausbildungsinhalte berücksichtigt die DA immer die aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und adaptiert das Curriculum in entsprechender Weise. Die DA bleibt nichtsdestotrotz auch ihren Wurzeln treu und legt großen Wert auf die Sprachausbildung und die lebendige Vielsprachigkeit, die einen Teil der internationalen Atmosphäre des Campus ausmacht. Wir sind nicht nur stolz darauf, die älteste Bildungsstätte der Welt für interna- tionale Beziehungen, sondern immer noch eine der angesehendsten Bildungs- institutionen der Welt zu sein. Wir arbeiten intensiv dafür, nicht nur diesen hohen Standard beizubehalten, sondern uns von unserer Tradition bereichern zu lassen und gleichzeitig auf dem neuesten Stand und hochaktuell zu sein. Ich hoffe, dass diese Broschüre interessante Einblicke gewährt und Sie die Lektüre genießen. Hans Winkler Direktor der Diplomatischen Akademie Wien 7
Moderne Staaten erfordern Diplomatie und Konsularwesen Moderne Staaten erfordern Diplomatie und Konsularwesen Der diplomatische Dienst ist im Umkreis der Herrschenden mit dem Ziel ent- standen, über die eigenen Grenzen hinaus politisch und wirtschaftlich wirk- sam zu werden. Diese stellten in Europa eine durch Heiraten und Erbverträge verflochtene Oberschicht dar, die aus dem sie umgebenden Adel geeignete Ver- treter für ihre Anliegen mit besonderen Missionen und etwa ab 1500 auch mit längeren Aufenthalten an fremden Höfen betraute. Der kaiserliche Gesandte in Russland, Sigismund von Herberstein, nicht nur mit dem gängigen Latein vertraut, sondern auch über Kenntnisse slawischer Sprachen verfügend, war eine jener Persönlichkeiten, die sich über die konkrete Mission hinaus mit der Kultur fremder Länder und Völker beschäftigten und darüber auch Berichte erstatteten, die bis heute als Einführung über Land und Leute gelten. Ähnlich waren es Kaufleute, die als Angehörige von Zünften oder Repräsentanten von Republiken, wie Venedig oder den Niederlanden sowie von Städtebünden wie der Hanse das Konsularwesen entstehen ließen, um gegenüber den Behörden der Länder, in denen sie Handel trieben, zu ihren Rechten zu kommen. Mit der Aufklärung und der Zunahme des grenzüberschreitenden Handels im 18. Jahrhundert entwickelten sich die Strukturen des modernen Staates, der sich nicht mehr auf persönliche Dienste für den Herrscher stützte, sondern Verwaltungsstrukturen mit ständigen und dafür ausgebildeten Berufsbeamten einrichtete. So entstanden unter Kaiser Karl VI. in der Habsburger Monar- chie Hofkanzleien, die sich mit den Beziehungen zum Ausland beschäftigten und folgerichtig auch nach und nach ständige Missionen in den wichtigsten Hauptstädten einrichteten. Konnte man sich mit den der Oberschicht ver- trauten Sprachen – Latein als Basis der Bildung, Französisch als Sprache der politisch-kulturellen Vorherrschaft und Italienisch als Sprache der Kaufleute im Mittelmeerraum – persönlich wie amtlich im Allgemeinen gut verständi- gen, ergaben sich hingegen Schwierigkeiten im Verkehr mit dem Osmani- schen Reich, dessen vielfältige Sprachen nur ganz wenigen Europäern vertraut waren. Gerade mit diesem weitreichenden, unmittelbar an die Habsburger Monarchie angrenzenden Imperium ergaben sich jedoch infolge der Beendi- gung der großen Kriege ab etwa 1700 neue Möglichkeiten des Handels und der politischen Beziehungen. Zumal ja noch recht nahe Territorien auf dem Balkan unter türkischer Herrschaft standen und bereits der Grenzverkehr ei- ner Regelung der Beziehungen mit deren Herrschern und ihren regionalen wie örtlichen Verwaltungen bedurfte. Deshalb wurden zunächst seit Ende des 17. Jahrhunderts, ähnlich einer von Frankreich befolgten Vorgangsweise, Knaben vorwiegend mittleren Alters als „Sprachknaben“ oder „jeunes de langues“ an die Internuntiatur (Botschaft) bei der Hohen Pforte in Konstantinopel entsandt, wo sie im Haushalt des Missionschefs wohnten und Türkisch, wenn möglich auch Persisch und Ara- 9
Kaiserin Maria Theresia schafft in Wien ein Bildungsinstitut bisch lernen sollten. Der Erfolg dürfte recht beschränkt gewesen sein. Die für ihre Ausbildung verantwortlichen Missionschefs scheinen sich weniger darum gekümmert als sich ihrer zur Ersparnis von Personalkosten als Diener im eige- nen Haushalt bedient zu haben. Kaiserin Maria Theresia schafft in Wien ein Bildungsinstitut Staatskanzkler Wenzel Anton Kaiserin Maria Theresia, Reichsfürst von Kaunitz-Rietberg leitete von Königin von Ungarn und Böhmen, 1753–1793 die österreichische Außenpolitik Erzherzogin von Österreich, 1740–1780 So kam es, dass Staatskanzler Graf (ab 1764 Reichsfürst) Kaunitz, der kurz zu- vor kaiserlicher Botschafter in Paris gewesen war und dort die ähnlichen Pro- bleme und den Lösungsversuch durch die Schaffung einer „École des Langues Orientales“ gesehen haben dürfte, im Jahr 1753 Kaiserin Maria Theresia die Schaffung einer „K.K. Orientalischen Akademie der morgenländischen Spra- chen“ vorschlug. Sie genehmigte höchstpersönlich die ersten acht Kandidaten für die mit 1. Jänner 1754 gegründete, heute älteste Akademie der Welt zur Vorbereitung auf Berufe für internationale Beziehungen. Sie und ihr Staats- kanzler interessierten sich auch weiterhin für das Schicksal der Zöglinge. So wurden diese in ihren roten Galauniformen zum alljährlichen Neujahrsemp- fang des Staatskanzlers geladen und gaben in türkischer Sprache Theaterauf- führungen vor der Kaiserin, die wiederholt die Akademie besuchte. 10
Die Orientalische Akademie als Teil der Universität Wien Die Orientalische Akademie als Teil der Universität Wien Das neue Institut wurde der von Jesuiten geleiteten Universität in Wien an- gegliedert. Zum Gründungsrektor wurde der anerkannte Wissenschaftler Pa- ter Joseph Franz (1754–1769) bestellt. Seine beiden Nachfolger Pater Johann Nekrep (1770–1785) und Pater Franz Hoeck (1785–1832) kamen ebenfalls aus dem geistlichen Stand. Beide waren anerkannte Orientalisten. Als letzter Geistlicher wurde der nachmalige Fürsterzbischof von Wien und Kardinal Dr. Joseph Ritter von Rauscher (1832–1849) zum Direktor bestellt. Das von Kaunitz der später „Orien- talische Akademie“ genannten An- stalt gesetzte Ziel wird in mehrfach abgewandelter Form über 200 Jahre hinweg Gültigkeit behalten: „Es soll- ten dafür in Wien, unter den Augen des kaiserlichen Hofes, fähige Jünglin- ge in den nöthigen Sprachen des Ori- ents wie des Occidents, und außerdem noch in allen Wissenschaften, die sie zur Bewahrung der kommerziellen und politischen Interessen Österreichs im Oriente geschickt machen möchten, von eigens dazu bestellten Lehrern un- terrichtet und gebildet werden“. Sowie: „Zihlet dahin ... eine beliebige Anzahl Steindl von Plessenet als Zögling derlei Knaben zu erziehen, welche nicht zerstreut in denen Häusern deren Befreundten, sondern in einem gemietheten Hauss und etwelchen nothwendigen Zimmern gleich einer Stiftung beisammen wohneten… Die Zöglinge sollen daher zu Männern erzogen werden, in welchen sich gründliche Kenntnisse, Geschäftsge- wandheit und feine Sitte mit tadelloser, auf wahre Religiosität gegründeter Sitt- lichkeit vereinigen“. Damit wurde von Anfang an Wert darauf gelegt, eine an der Praxis orientierte und nicht nur theoretische Ausbildung sicherzustellen. Im Vorfeld hatte der Staatskanzler Überlegungen angestellt, ob es zweckmäßig wäre, Adelige und Angehörige des Mittelstandes im Hinblick auf ihre unter- schiedliche Vorbildung und gesellschaftliche Stellung gemeinsam aufzuneh- men, da es bei der wenige Jahre zuvor für die Vorbereitung auf die Innen verwaltung gegründeten Theresianischen Akademie einen Adelsparagraphen gab. Dem wurde jedoch nicht stattgegeben und so zogen nach der Gründung der Akademie am 1. Jänner 1754 nach persönlicher Approbation durch die Kaiserin acht Zöglinge, darunter fünf Nichtadelige, in das Internat ein, das 11
Die Orientalische Akademie als Teil der Universität Wien der Philosophenstube der Universität in der Bäckerstraße angegliedert war. Für den jungen Franciscus de Paula Thugut (1736–1818) begann damit ein Aufstieg, der ihn bis zum Außenminister und in den Stand eines Freiherren führen sollte. Der Jakoberhof, 1785–1883 Sitz der Akademie Im Mittelpunkt der Kriterien für die Aufnahme stand die Fähigkeit, Spra- chen zu erlernen. Die Bewerber sollten daher nicht zu alt und nicht zu jung sein, damit „Gaumen und Gurgel“ die türkische Sprache beherrschen können, wie im Bericht an die Kaiserin bemerkt wurde. So war der jüngste Zögling erst acht Jahre alt. Dementsprechend wurde das Studienprogramm dem ei- nes Gymnasiums angeglichen. Auch die adelige Komponente kam mit Reit-, Fecht-, Tanz-, und Musikunterricht nicht zu kurz. Diese hohen Anforderun- gen waren nur durch die Führung des Internatsbetriebes und die geringe An- zahl von Zöglingen – zwischen einer und maximal 16 (1808) Aufnahmen im Jahr – möglich. Der Direktor und die beiden Präfekten waren somit in der Lage, die durchschnittlich 20 bis 30 Zöglinge bei ihren Studien individuell anzuleiten und zu überwachen. Nicht zuletzt waren der ganze Tag, die ganze Woche und nahezu das ganze Jahr Ausbildungszeit, während der lediglich die Intensität und die Fächer wechselten. So wurden die aufnahmsfähigsten Jah- re der Jugend voll genutzt. Nach und nach wurden Vorbildungserfordernisse und Niveau der Fächer angehoben und neue im Lehrplan wie die Rechts- und Staatswissenschaften aufgenommen. Die Ausbildung hatte inzwischen einen Ruf bekommen, der über die ursprünglich begrenzte Zielsetzung hinausging, so dass die Studiosi der Jurisprudenz der Wiener Universität von ihren Kolle- gen in der Akademie von den „Diplomatenlehrbuben“ sprachen. Die Karrieren ihrer Absolventen zeigen, dass sie im Lauf der Zeit nach dem Konsulardienst 12
Ein Ort der Forschung über den Orient auch hohe Posten der verschiedensten Ränge in der Diplomatie der Monar- chie und in der Staatsverwaltung besetzen konnten. Räumlich war die Akademie zunächst im Bereich der Universität in der Bäcker- straße untergebracht, bis sie dann nahezu ein Jahrhundert lang im sogenann- ten Jakoberhof residierte. Von diesem hieß es bei der Anmietung 1785, dass er „wegen seiner freien Aussicht über die Bastei immer die frischeste Luft habe“ und über die der Zögling Anton von Hammer berichtet, dass einer der geistlichen Präfek- ten während des Unterrichts zur Freude der Zöglinge mit Wohlgefallen der auf der Stubenbastei lustwandelnden Damen- und Mädchenwelt nachblickte. Nach 80 Jahren war man dann so weit, dass mit der vom Direktor und späte- ren Kardinal Rauscher initiierten Reform des Jahres 1833 als Eintrittserforder- nis die Absolvierung der philosophischen oder der gesamten Gymnasialstudi- en festgelegt und, um eine gleichmäßige Vorbildung zu gewährleisten, eine kommissionelle Aufnahmeprüfung eingeführt wurde. Die Akademie ersetzte nun auch für den ministeriellen und den diplomatischen Dienst die Ausbil- dung an der Universität. Ein Ort der Forschung über den Orient Die Akademie verblieb jedoch weiter- hin schon allein durch ihre Professoren in engem Kontakt zu Universität und Wissenschaft. Einer ihrer Zöglinge, Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall (1774–1865) blieb nach der regulären fünfjährigen Ausbildung noch weitere fünf Jahre an der Akademie. Er wurde schließlich nicht nur der bedeutends- te österreichische Kenner des Orients sondern auch Anreger und erster Präsident der Österreichischen Aka- demie der Wissenschaften. Die Orientalische Akademie hat bis Einer der Zöglinge und späterer Gründungs- präsident der Österreichischen Akademie der ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts Wissenschaften, Joseph Freiherr von Hammer- Purgstall hinein in den Wissenschaften vom Orient hervorragende Orientalisten als Studierende, Lehrer und Beamte hervorgebracht und mit eigenen Leistungen dieses Fachgebiet bereichert. Die dabei angelegten wertvollen Sammlungen von Dokumenten, Schriftstücken und die verfassten Wörterbücher sowie die gesammelten und übersetzten 13
Konsuln und Diplomaten – Anwälte ihres Staates rund 2000 „Osmanischen Sprichwörter“, die noch heute im Haus-, Hof- und Staatsarchiv und am Institut für Orientalistik der Universität Wien verwahrt werden, sind ein sprechender Beweis dafür. Konsuln und Diplomaten – Anwälte ihres Staates Diplomaten und Konsuln sind die Anwälte ihres Staates und seiner Bürger im Ausland. Um erfolgreich zu sein, benötigen sie nicht nur das den jeweiligen in- ternationalen Verhältnissen angemessene Wissen, sondern auch alle Qualitäten, die erforderlich sind, um in den hohen und höchsten gesellschaftlichen, politi- schen und wirtschaftlichen Kreisen der Staaten, in denen sie tätig werden, an- genommen und angesehen zu sein. Natürlich müssen sie zudem ein überdurch- schnittliches Maß an Identifikation mit dem eigenen Staat und seiner Politik entwickeln. All das konnte die Orientalische Akademie ihren Zöglingen bieten: 1. Eine multikulturelle Lebensgemeinschaft für die Dauer von vier bis sechs Jahren: Das Internat und die Anwesenheit von Angehörigen der so viel- fältigen Völker der Monarchie führten in ganz jungen Jahren aus geistiger und provinzieller Beschränkung heraus. 2. Die Mischung von Adeligen und Abkömmlingen aus bürgerlichen, mit- unter ganz einfachen Verhältnissen, ermöglichte es einerseits, alle auf ein gemeinsames gehobenes gesellschaftliches Niveau mit allen seinen Sitten und Unsitten einzustimmen und andererseits in die künftige Beamten- schaft tatsächlich die Fähigsten aufzunehmen. 3. Die in dieser Zeit nicht nur wegen der Interessen des standesbewussten Adels sondern auch wegen der nötigen finanziellen Mittel diesem weit- gehend überlassene Diplomatie wurde weiteren Bevölkerungsschichten dadurch zugänglich gemacht, dass die Absolventen der Akademie im Gegensatz zu direkt antretenden Bewerbern, die ein hohes anderweitiges Einkommen nachweisen und zunächst mehrere Jahre unbezahlt tätig sein mussten, mit erfolgreich bestandener Ausbildung sofort einen bezahlten Dienstposten erhielten. 4. Nicht zuletzt war es einer solchen Institution des Staates möglich, die jun- gen Leute in der Loyalität zum Herrscherhaus zu formen. So war die letzte Manifestation der K. u. k. Konsularakademie vor dem Ende der Monar- chie im Jahre 1918 die gemeinsame Fahrt der Direktion mit den wenigen trotz des Krieges noch verbliebenen Akademikern zur Krönung des letzten Kaisers Karl I. als König Karl IV. von Ungarn vom 29. bis 31. Dezember 1916 in Budapest. 14
1848 – Die große Zäsur 1848 – Die große Zäsur Das Revolutionsjahr 1848 brachte auch für die Orientalische Akademie eine Wende. Von nun an wurde hier ebenfalls die Trennung von Staat und Kirche vollzogen: Am 15. April 1849 wurde Sektionsrat Dr. Max Selinger als provisorischer Nachfolger des zunächst zum Bischof der Diözese Seckau berufenen Direktors und spä- teren Kardinals von Wien, Rauscher, bestellt. Die Turbulenzen des Jahres 1848 hatten bis in die Akademie hin- ein Auswirkungen, denn dem dama- ligen Zögling und späteren Außenmi- Rede eines Studenten an die Arbeiter nister Heinrich von Haymerle wurde am 27. Mai 1848 in Wien vorgeworfen, er hätte zusammen mit einem Kollegen in Anwesenheit des italienischen Präfekten Abbate Nunja im Sommerquartier der Akademie in Weidling einer vorbeikommenden Gruppe revolutionärer Studenten zugeju- belt. Nach seiner Verhaftung konnte er jedoch bei der anschließenden penib- len Untersuchung durch eine Purifizierungskommission glaubhaft versichern, dass er nie die Republik für eine auf Österreich anwendbare Staatsform gehal- ten habe; der Präfekt jedoch musste in seine Heimat zurückkehren. Die nun beginnenden Jahre sind zunächst durch größere Disziplin und die Einführung der Uniform der Staatsbeamten für die Zöglinge gekennzeichnet. 1852 war mit Oberstleutnant Philipp von Körber ein Militär zum Direktor bestellt worden, dem dann Direktoren aus dem ministeriellen und diploma- tischen Dienst des Ministeriums folgten: 1861 Ottokar Maria Freiherr von Schlechta von Wschehrd, 1871 Hofrat Heinrich Barb, 1883 ao. Gesandter u. bev. Minister Konstantin Freiherr von Trauttenberg. Alle drei waren in jungen Jahren Zöglinge der Akademie gewesen. Dennoch ist das Jahr 1848 nicht so sehr in politischer Hinsicht die Mitte zwi- schen zwei völlig unterschiedlichen Jahrhunderthälften als in technisch und wirtschaftlicher. Zu Beginn des Jahrhunderts konnten die Konsulareleven ihre Einsatzorte nur zu Pferde oder bestenfalls mit der Pferdepost erreichen und ihre Berichte im Scheine einer Kerze schreiben, während an seinem Ende alle wichtigen Stationen ihrer Karriere bereits durch ein dichtes Eisenbahnnetz oder durch regelmäßige Dampfschifffahrts-Verbindungen verbunden waren. Die Berichte wurden schon unter dem Licht von Glühlampen geschrieben, wenn die brisanten Inhalte nicht bereits über den Telegrafen durchgegeben 15
Die Öffentlichkeit interessiert sich für die Akademie worden waren. Vor allem war das Netz von Konsulaten auf Grund des mit allen Teilen der Welt gewaltig angestiegenen Handels von einigen Posten um das Mittelmeer herum zu einem ansehnlichen Apparat von etwas über 300 Generalkonsulaten, Konsulaten, Konsularagentien und konsularischen Hono- rarvertretungen angewachsen. Kardinal Dr. Joseph Othmar Oberstleutnant Philipp von Körber, Ritter von Rauscher, Akademiedirektor Direktor der Orientalischen Akademie 1832–1849 1852–1861 Die Öffentlichkeit interessiert sich für die Akademie Das Interesse der Öffentlichkeit an ihrer Tätigkeit hatte zugenommen, wie es ministerielle Verordnungen und Konsularenqueten des Parlaments in den Jah- ren 1849, 1858, 1868/70, 1883/86, 1898 und 1908 zeigen. Gelegentlich wur- de sogar überlegt, die Akademie aufzulösen, da liberal eingestellte Abgeordnete mit Argumenten wie “freie Pflanzen gedeihen besser als die verborgenen“ oder „an Stelle einer Pflanzstätte für die Heranbildung des Konsularbeamtenstan- des sei sie nur ein Treibhaus“ für ein Studium an den Universitäten plädierten. Dabei erwies sich die Kombination von Studien in den Sachfächern mit dem Sprachenstudium als stärkstes Argument für ihre Beibehaltung. Mit der zu- nehmenden Industrialisierung Europas und der wirtschaftlichen Expansion nach Übersee nahm das Interesse an der Ausbildung des Konsularkorps und nach und nach auch der Diplomaten in den Wirtschaftsfächern zu, während die Nachfrage nach Kenntnissen in den orientalischen Sprachen zugunsten von Serbokroatisch oder Russisch nachließ. Unterstrichen wurde diese Ten- denz durch den Aufstieg des Englischen, das zu Anfang des Jahrhunderts noch ein Wahlfach war, für das der Zögling die Kosten zu tragen hatte, und das am Ende bereits mit der Diplomatensprache Französisch gleichgezogen hat- 16
Standorte und Baulichkeiten te. Man probierte zeitweise mit Hilfe der Japanischen Gesandtschaft deren Sprache zu lehren, um sich schließlich für Chinesisch zu entscheiden. Nie wurde jedoch Spanisch gelehrt, obwohl dieses Land in der Vergangenheit eine bedeutende Rolle in den politischen und familiären Beziehungen des Hauses Habsburg und seiner Länder gespielt hatte. Die Frage nach der besten Art der Ausbildung sollte auch weiterhin für die Diplomatische Akademie des 20. Jahrhunderts eine Rolle spielen. Ursprüng- lich war es eine Kombination von Allgemeinbildung, wie sie allen Gebildeten zuteil wurde, mit anschließender Einführung bereits „on the job“, wie es in Großbritannien bis in die neueste Zeit praktiziert wurde. In den zurückliegen- den zwei Jahrhunderten hatte das nötige Spezialwissen für alle Berufe und da- runter auch für jene, die mit den internationalen Beziehungen zu tun haben, dermaßen zugenommen, dass ohne Spezialausbildung ein erfolgreicher Start der Karriere kaum mehr möglich wurde. Die Spezialisierung der Anwärter für den Konsulardienst durch die Orientalische Akademie hatte bereits im 19. Jahrhundert dazu geführt, dass am Berliner Kongreß von 1878 zur Regelung der offenen Balkanfragen mit dem Osmanischen Reich von fünf Delegierten Österreich-Ungarns, darunter der spätere Außenminister Haymerle, vier Ab- solventen der Orientalischen Akademie waren. Denn sie verfügten über die nötigen Sprach- und Spezialkenntnisse für die Region. Standorte und Baulichkeiten Die Akademie hatte zunächst kein eigenes Gebäude, sondern war an wech- selnden Orten im Universitätsviertel angesiedelt. Mit der Zunahme der Zahl der Zöglinge und den höheren Anforderungen an ihre Unterbringung und an Räume für erweiterte Lehrveranstaltungen entstand ein Problem, das 1883 durch die Zusammenlegung mit der Theresianischen Akademie gelöst wurde. In deren großflächigem Areal wurde den alten Gebäuden ein neuer Trakt, der sogenannte Akademietrakt, hinzugefügt und die Leitung beider Anstalten ei- nem gemeinsamen Direktor übertragen. Zunächst war dies Hofrat Dr. Paul Freiherr Gautsch von Frankenthurn, dem jedoch, als er 1885 vom Kaiser zum Minister für Cultus und Unterricht ernannt wurde, zunächst der Vizedirektor Heinrich Holzinger von Weidlich und mit Beginn 1886 Regierungsrat Dr. Michael Freiherr von Pidoll zu Quintenbach in der Leitung beider Institu- tionen folgten. Die Orientalische Akademie befand sich von da an in dem Trakt des Theresianums, in dem seit 1964 ihre Nachfolgerin, die Diploma- tische Akademie, untergebracht ist. Es dauerte jedoch nicht lange, bis auch diese Bleibe den steigenden Anforderungen an eine Ausbildungsstelle für das konsularische und diplomatische Korps einer Großmacht nicht mehr gewach- sen war. Die beabsichtigte räumliche Ausdehnung wurde in Anpassung an die veränderten Anforderungen an die für Außenbeziehungen zuständigen Diens- 17
Von der Orientalischen- zur Konsularakademie te mit einer Neugestaltung der Lehre verbunden. So waren die orientalischen Sprachen etwas in den Hintergrund getreten. Eine Neugewichtung des gesam- ten Programmes zugunsten einer Promotion der wirtschaftlichen Interessen der Doppelmonarchie wurde jetzt angestrebt. Der Konsulartrakt in der Theresianischen Akademie, Sitz der Akademien 1883–1904 und seit 1964 Von der Orientalischen- zur Konsularakademie Der gemeinsame Minister des kaiser- lichen und königlichen Hauses und des Äußeren Agenor Graf Goluchow- ski d. J. gab in einer Rede vor dem Ausschuss der Delegation des unga- rischen Parlaments am 20.11.1897 den Startschuss für die Neuordnung mit der Begründung „das 20. Jahr- hundert sei für Europa ein Jahrhundert des Ringens um das Dasein auf han- delspolitischem Gebiet und daher käme den Konsularfunktionären eine erhöhte Bedeutung in der Wahrung der Inter- essen der Monarchie zu“. Dafür bie- Agenor Graf Goluchowski, der Jüngere, te der vorhandene Studienplan der Minister des Äußeren und des Kaiserlichen Orientalischen Akademie nicht alle Hauses 1895–1906 Bildungsvoraussetzungen. Es wurde daher eine Kommission gebildet, die Vorschläge zur Reorganisation ausarbeiten sollte, ausgehend von einer Zwei- teilung des Studienganges in eine orientalische Abteilung und eine für die übrige Welt. 18
Ein modernes Bildungsprogramm Ein modernes Bildungsprogramm Der Direktor der Akademie legte bereits im Mai 1898 ein Promemoria vor, das wegweisend werden sollte. Pidoll verfügte nicht nur über eine lange Erfah- rung mit zwei Anstalten, die der Ausbildung der künftigen höchsten Beamten der Monarchie dienten, sondern war selbst ein Pädagoge von Format. Er hat folgende nach modernen Grundsätzen entwickelte grundlegende Neu- orientierung des gesamten Ausbildungsprogrammes vorgeschlagen: 1. Vorbereitung für den praktischen Dienst bei Wahrung des wissenschaftli- chen Niveaus einer Hochschule 2. Zentrale Stellung der staatswirtschaftlichen Fächer unter Beibehaltung der positiven juristischen und historisch-politischen Disziplinen, bei Redukti- on des linguistischen Unterrichts 3. Förderung der geistigen Initiative und Arbeitsweise durch Lernmethoden, die die Zöglinge zu selbständiger Arbeit heranziehen. 4. Herstellung des Gleichgewichts der Studienrichtungen In diesen Leitlinien ist das Bemühen enthalten, die in der Monarchie über- mäßig auf die formalen und rechtli- chen Grundlagen ausgerichtete Staats- verwaltung in ihren Beziehungen mit der Außenwelt zugunsten einer stär- keren Beachtung der wirtschaftlichen Grundlagen eines modernen Staates zurück zu drängen. Dazu ergänzend legt Pidoll großen Wert auf die analy- tischen Fähigkeiten der Studierenden und auf konkretes Anschauungsmate- rial. Das, was er zur Funktion und der Gestaltung von Seminaren zu sagen hatte, könnte auch heute nicht besser Michael Freiherr Pidoll von Quintenbach formuliert werden. Die gemessen an Direktor 1886–1904 anderen Unterrichtsanstalten geringe Zahl von Studierenden, die im neuen Gebäude vorhandenen Lehrbehelfe und die Möglichkeit in der Lehre auf die Professoren der Wiener Universität, einer der damals bedeutendsten der Welt, und auf die an den obersten Stellen der Staatsverwaltung tätige Beamtenschaft zurückgreifen zu können, machte diese Anstalt zur damaligen Zeit zum Spitzeninstitut im internationalen Vergleich. 19
Eine neue Akademie in einem neuen Haus Eine neue Akademie in einem neuen Haus Zwei Jahre nach Baubeginn konnte die Konsularakademie zum Anfang des Wintersemesters 1904/05 ihr neues Gebäude in der Waisenhaus- gasse, der heutigen Boltzmangasse, beziehen. Eröffnet wurde es am 3. November 1904 in Anwesenheit von Kaiser Franz Joseph I. Zur Deckung der Kosten in Höhe von 850 000 Kronen für den Bau und 150 000 Kronen für die Einrichtung hatte er den Erlös der deutschsprachigen Ausgabe des sogenannten Kronprin- zenwerkes gewidmet. Dieses noch zu Kaiser Franz Joseph I. förderte den Neubau Lebzeiten von Kronprinz Rudolf ins der Konsularakademie maßgeblich Leben gerufene, jeweils in Deutsch und Ungarisch 24 Bände umfassende Werk „Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild“ hatte durch die Mitarbeit von Wissenschaftern aus allen Regionen des Reiches eine umfassende Darstellung der Monarchie in ihrer letzten Lebensphase vermittelt. Das neue Haus verfügte nicht nur über Zimmer für bis zu 50 Zöglinge, nun- mehr „Akademiker“ oder „Hörer“ genannt, sondern hatte auch sieben Hör- säle, Prüfungssäle, Bibliothek, Warenmuseum, Billiardzimmer, Kegelbahn, Leseraum und Musikzimmer. Die neu Eintretenden wurden mit Bekleidung, Beschuhung, Leib-, Tisch- und Bettwäsche sowie mit den Lehrbüchern, Lehr- mitteln und Schreibrequisiten ausgestattet. Auch Tanz-, Fecht- und Reitun- terricht wurde weiterhin gewährt. Das vornehme und eine gediegende At- mosphäre ausstrahlende Haus war geeignet, auf die gehobene Lebensweise in der Welt der Diplomatie vorzubereiten. Heimito von Doderer hat ihm und seinen Bewohnern im Roman „Die Strudelhofstiege“ ein literarisches Denk- mal gesetzt. Diener in Livree mit weißen Handschuhen, Konsularakademiker in Uniform und würdige Professoren sowie die vielen im alltäglichen Verkehr verwendeten Sprachen gaben der Ausbildungsstätte ein Flair von Internatio- nalität und Intellektualität. Der Studienalltag von 7 Uhr morgens bis 20 Uhr abends und die an die Akademiker gestellten Anforderungen waren allerdings recht rigoros. Nach den Abschlussprüfungen folgten das Praktikum an einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde und dann in der Regel bereits der ers- te besoldete Dienstposten im Ausland. Die Absolventen der Akademie kamen aus allen Regionen der österreichischen Reichshälfte und zu einem Drittel aus Ungarn, insgesamt etwa zehn pro Jahrgang. Für viele begann damit der 20
Die letzten Jahre der kaiserlichen und königlichen Anstalt Aufstieg aus einfacheren Verhältnissen in die oberen Gesellschaftsschichten. Während vor allem Botschaften und wichtigere Gesandtschaften vor allem aus finanziellen Gründen aber auch wegen der angenommenen größeren Nähe und Loyalität zum Herrscherhaus weiterhin vorwiegend den Angehörigen des hohen Adels vorbehalten blieben, wurde die Konsularakademie zur Eingangs- pforte für das Bürgertum, das im Ministerialdienst, dem Konsulardienst und auch in der Diplomatie auf Grund der in der Akademie genossenen Ausbil- dung immer mehr Posten besetzen konnte. Die neue Konsularakademie in der Waisenhausgasse, heutige Boltzmanngasse Die letzten Jahre der kaiserlichen und königlichen Anstalt Im Sommer 1914 hat es, wie in ganz Europa, auch an der Akademie den großen patriotischen Enthusiasmus gegeben. Anstatt weiter zu studieren oder den Dienst in den für ihre Karriere vorgesehenen Dienststellen anzutreten, folgten die jungen Konsularakademiker dem Ruf zu den Waffen, freiwillig oder als Offiziere der Reserve. Die Jahrgänge werden danach immer dünner und mancher Lehrer musste sich gleichfalls verabschieden. Bald kamen erste Nachrichten über an der Front gefallene, verletzte oder in Gefangenschaft ge- ratene Angehörige. Die Stimmung unterliegt großen Schwankungen, aber mit den immer größer werdenden Einschränkungen schwinden die Hoffnungen, bis im November 1918 mit der Kapitulation der Armee, dem Verzicht Kaiser Karls I. auf die Regierungsgeschäfte und dem Zerfall der Monarchie durch die Bildung von Republiken auf ihrem Territorium und die Besetzung einiger Gebiete durch die ehemaligen Gegner auch für die Akademiker das einigende Band zerfällt. Sie eilen in ihre Heimat zurück, um dort an der Neuordnung der Verhältnisse teilzunehmen. Das Gebäude in der Boltzmanngasse dürfte 21
Wie leben junge Akademiker in ihrer Akademie? ziemlich grau und verlassen ausgesehen haben mit einigen wenigen Zurückge- bliebenen wie Direktor Anton von Winter, die nun versuchen, für die Akade- mie zu retten was zu retten ist: Denn es geht um ihr Überleben. Es ist wohl erlaubt, am Ende des Kapitels „K. u. k. Konsularakademie“ die Fra- ge zu stellen, ob sie letztendlich das bewirkt hat, was von ihr erwartet wurde: junge Menschen darauf vorzubereiten, die Interessen der Doppelmonarchie in den Auseinandersetzungen der Mächte erfolgreich zu vertreten? Aus der Distanz von bald hundert Jahren wird man sagen müssen, dass es der Politik und ihren Vertretern, einschließlich der Diplomaten, in den dem Weltkrieg voran gegangenen Jahren nicht gelungen ist, den Ausgleich der Interessen der Großmächte auf friedlichem Wege herbeizuführen. Die größten Fehler in Eu- ropa waren bereits in der Mitte des vorhergehenden Jahrhunderts begangen worden, als sich die Zivilgesellschaft einem Prozess der Militarisierung un- terwerfen ließ und gleichzeitig die aufsteigenden kleinbürgerlichen Schichten der Ideologie eines unduldsamen Nationalismus verfielen. Ein heute kaum noch verständlicher Hass zwischen den Völkern, vermischt mit wirtschaftli- chen Interessen und machtpolitischen Aspirationen führte schließlich zum „Selbstmord“ Europas. In der abgehobenen Atmosphäre der Akademie war wenigstens der Gegensatz zwischen den Völkern des Reiches auf das zwischen Nachbarn übliche mehr oder minder humorvolle Herausstreichen gegenseitiger Differenzen und Feh- ler reduziert. Jedenfalls wird dies in den Erinnerungen ihrer einstigen Zöglin- ge stets so dargestellt. Mehr war wohl angesichts des mächtigen Gegenstromes der allgemeinen Meinung nicht zu erwarten gewesen. Auch am anderen Ende der Gesellschaft, dem Arbeiterproletariat, war den Vertretern einer pazifisti- schen Weltordnung in den entscheidenden Monaten des Sommers 1914 und noch einige Zeit danach kein Erfolg beschieden. Wie leben junge Akademiker in ihrer Akademie? An dieser Stelle ist es angezeigt, ein wenig über das Leben der „Zöglinge“ oder „Akademiker“, wie sie auch hießen, im Vergleich der alten zur neuen Insti- tution zu sagen. Der Zeit vor 1918 entsprechend war das damalige Regime recht strikt mit viel Studium und wenig Freizeit, genauen Verhaltensnormen und einer über allem wachenden Anstaltsleitung. Allerdings kam der Sport mit Reit-, Fecht-, Schwimm- und Tanzunterricht nicht zu kurz, ergänzt durch Billardspiel. Der Staat stellte praktisch alles zum Leben nötige bis zur Unter- wäsche genau abgezählt zur Verfügung. Er verlangte daher einen schonenden Umgang damit. Der junge Mensch hatte sich in und außerhalb der Anstalt so zu verhalten, wie man es von einem späteren hohen Funktionär erwartete. 22
Wie leben junge Akademiker in ihrer Akademie? Die Hausordnung von 1892 enthält 52 Paragraphen. Sie regeln das Ver- halten im Allgemeinen in und außer- halb der Akademie, von der Pflicht zum Gehorsam und zum Tragen der Uniform bis zum Verbot der „Benüt- zung von Monocles sowie des Tragens von Bracelets“. Die Regeln hatten so wie die Uniform auch den Sinn, das Hervorkehren von Unterschieden der Herkunft und der finanziellen Mög- lichkeiten der Studierenden zu unter- binden und damit ein den angestreb- ten Gemeinschaftsgeist schädigendes Konkurrieren. Unter den jungen Leu- ten entwickelten sich eigene Formen der Aufnahme in die Gemeinschaft sowie der Rangordnung zwischen den verschiedenen gleichzeitig anwe- senden Jahrgängen. So mussten die neu Eingetretenen den älteren Jahr- gängen Respekt erweisen und wur- den von diesen „Jagdhunde“ genannt, Uniform eines Konsular-Attachés, die es zu dressieren galt. Sie konnten Jahrbuch des K. u. k. Auswärtigen Dienstes 1914 dann zu „Vizeakademikern“, „Aka- demikern“, „Vizeexzellenzen“ bis zur „Exzellenz“ im letzten Studienjahr aufsteigen. Die als Konsular-Attaché in den Dienst Aufgenommen konnten sich des Titels „Halbgott“ erfreuen. Bei Verstößen gegen die Rituale verhängte ein von den Älteren gestellter Gerichtshof in einem ulkigen Strafverfahren Strafen, die von der Rüge bis zur „Wasserleitung mit Stülpung“ reichten, bei der dem auf den Kopf gestellten Delinquenten Wasser in die Hosenröhren gegossen wurde. Auch zeigen der Umfang der Hausregeln und manche Erin- nerungen sowie aktenkundige Zwischenfälle, dass es sich um eine lebendige Jugend handelte. Bis 1926 war es ein reiner Männerbund, der sich auf eine ausschließlich männlich besetzte Berufskarriere vorbereitete. Nach 1918 fallen die Einschränkungen der persönlichen Lebensgestaltung bis auf die Regeln des Studiums und der Benützung der zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten. Ab dem Jahre 1926 verändert die Aufnahme von Frauen die Atmosphäre in der Anstalt. Die Geschlechtertrennung der Studentenzimmer fällt dagegen erst zu Beginn der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts. In dersel- ben Zeit bestand ebenfalls noch der Krawattenzwang bei gemeinschaftlichen Mahlzeiten. Selbst dies war schwer durchzusetzen. Noch in den 80er Jahren 23
Zwischen den Weltkriegen des letzten Jahrhunderts wurde einmal ein Gastprofessor aus den USA vor dem Eintritt zum Speisesaal aufgefordert, zurück in sein Zimmer zu gehen, um die Krawatte anzulegen. Was kann jedoch die Direktion gegen innovative junge Menschen tun, die an einem kalten Tag glauben, die Temperatur in ihrem Zimmer durch ein aufgeheiztes Bügeleisen erhöhen zu können, mit dem Erfolg, dass es die Auf- räumerin einfach auf das Fauteuil daneben stellt, wo es sich bis zum Boden durchfrißt. Soll die Direktion in einem solchen Fall der Hausordnung einen weiteren Paragraphen hinzufügen? Noch vor drei Jahrzehnten musste bei ei- nem gruppendynamischen Seminar festgestellt werden, dass sich die Insassen der Akademie eingeschlossen fühlten, weil es nur einen Telefonautomaten und eine Klingel an dem am Wochenende verschlossenen Tor gab. Dies konnte schnell behoben werden, zeigt jedoch den Gegensatz zur Gesellschaft von heu- te und ihren Institutionen, in der jeder durch Handy und Internet dauerhaft mit der gesamten Umwelt verbunden ist, zu einer Gesellschaft, in der der In- dividualität des Einzelnen und seinem Schutz gegenüber der Rücksicht auf die Gemeinschaft und ihren Geist weitgehend der Vorrang eingeräumt wird. Zwischen den Weltkriegen Die Konsularakademiker hatten so viel an Fachwissen und Berufsgeist in die neue Zeit mitgebracht, dass es ihnen sowohl im republikanischen Österreich als auch in den anderen Nachfolgestaaten der Monarchie möglich war, an entscheidenden Stellen am Aufbau der neuen Einrichtungen für den Verkehr zwischen den Staaten hilf- und erfolgreich mitzuwirken. Man traf sie daher in deren Ministerien und Vertretungsbehörden ebenso an wie in den Hallen des Völkerbunds. Auf ihre Akademie kamen mit dem Ende des verlorenen Krieges allerdings schwere Zeiten zu. Der Vielvölkerstaat war zerfallen; unter dem Namen Ös- terreich verblieb nicht viel mehr als ein Zehntel an Territorium und Bevölke- rung zurück. Die anderen Nachfolgestaaten verhielten sich abweisend, wenn nicht gar feindlich. Die alliierten Kriegsgegner sahen in der zunächst unter dem Namen Deutsch-Österreich firmierenden jungen Republik ebenso wie im Deutschen Reich und in Ungarn die Urheber des Krieges, die zur Rechen- schaft zu ziehen waren und daher außer territorialen Einbußen noch durch Reparationen für die Schäden aus dem Kriege gut zu stehen hatten. Nach Wien und in die Bundesländer waren zehntausende der ehemaligen Staatsdie- ner der Monarchie zurückgekehrt, für die es nun keine Verwendung mehr gab. Die Staatsfinanzen waren zerrüttet, der innere Frieden schwer gefährdet. Die Menschen hungerten in den Städten und waren vielfach auf Hilfe von außen angewiesen. Nur mehr die oberste Schicht der einstigen Säulen der Monarchie 24
Zwischen den Weltkriegen aus Adel, hoher Beamtenschaft und kirchlicher Hierarchie sowie ehemaligen auf den Kaiser vereidigten Offizieren fühlten sich in der vagen Hoffnung auf eine Rückkehr des Kaisers bedingungslos einem souveränen Österreich ver- pflichtet. Das ehemalige Ministerium des kaiserlich und königlichen Hauses und des Äußeren war als liquidierendes Ministerium des Äußeren auf eine kleine Dienststelle zusammengeschrumpft. Die leitenden Funktionäre der Di- plomatie und des Ministeriums hatten demissioniert und die neue Republik konnte sich für ihre Außenbeziehungen nur ein kleines Staatsekretariat sowie einige wenige Vertretungsbehörden im Ausland leisten. In dem schönen großen Haus der Akademie saß Direktor Anton Winter – sein „von“ war der republikanischen Gesetzgebung zum Opfer gefallen – mit kaum einer Aussicht, dass unter den neuen Verhältnissen genügend junge Leute für eine Karriere zur Vertretung des Staates auszubilden wären, um diese Anstalt personell und finanziell erfolgreich zu führen. Die Regierung von Staatskanzler Dr. Karl Renner hatte alles vorbereitet, um Österreich dem nun ebenfalls republikanischen Deutschland anzuschließen. Ihr Außenminister Dr. Otto Bauer hatte Berlin bereits darüber unterrich- tet, dass man in Aussicht nehme, die Akademie als Ausbildungsstätte für die gemeinsamen ministeriellen, diplomatischen und konsularischen Diens- te vorzusehen und von dort waren bereits Anfragen über Programm und Einrichtungen der Akademie eingelangt. Daraus wurde jedoch infolge des Anschlussverbots der Friedensverträge der Pariser Vororte von 1919 nichts. Winter, gedeckt durch das einstweilen für die Akademie zuständig gewordene, dem Bundeskanzleramt unterstehende Staatssekretariat für Äußeres, verhan- delte jedoch weiter und gelangte zu einem Abkommen, demzufolge Berlin für bis zu zwanzig deutsche Studierende die Kosten übernehmen werde. Daher traten dreizehn deutsche Hörer im Wintersemester 1921/22 ihr Studium in Wien an und die Direktion konnte den noch im Endstadium der Monarchie eingetretenen Studierenden den Abschluss ihrer Studien ermöglichen, sowie gleichzeitig einen neuen Jahrgang beginnen. Doch dieses Abkommen hielt nicht länger als ein Jahr, denn Deutschland war in tiefste Inflation versunken. Nun versuchte der Direktor mit Zustimmung der Regierung die Lösung der Krise durch Einbeziehung der Nachfolgestaaten der Monarchie in ein von allen finanziertes Institut für ihre konsularischen und diplomatischen Diens- te. Auch das blieb infolge Desinteresses der sehr auf die soeben gewonnene Souveränität bedachten Regierungen erfolglos. Lediglich Ungarn war bereit, eine kleine Anzahl Auszubildender durch Gewährung einer Studienbeihilfe zu entsenden. Bis dahin war die Akademie stets ganz auf eine Dotierung durch den Staat angewiesen, nun bestand nur mehr die Alternative, entweder das alte ehrwürdige Institut für voraussichtlich immer zu schließen, oder zu versu- chen, durch Zuwendungen privater Gönner und durch zahlende Studierende die Kosten des Betriebes zu decken. Winter ging den zweiten Weg ohne aller- 25
Eine „Fachhochschule“ für Politik und Volkswirtschaft dings die Möglichkeit, die deutsche Regierung einzubeziehen, ganz aus den Augen zu verlieren. Er erwies sich jetzt als ein erfolgreicher Manager. Eine „Fachhochschule“ für Politik und Volkswirtschaft Das Studienprogramm wurde radikal von vier bis fünf Jahren auf zwei re- duziert, die ehemals orientalische Orientierung auf Wahlfächer Türkisch, Arabisch und Persisch herab gestuft. Auf ein eigenes Lehrpersonal wurde verzichtet und dafür die Zusammenarbeit mit der Universität Wien und der Hochschule für Welthandel intensiviert. Die Konsularakademie erhielt daher den Untertitel: „Akademie für Politik und Volkswirtschaft“. Der Ruf der Akademie war so gut und die Ausbildung individueller als an der Universität, nicht zuletzt waren auch die Atmosphäre des Hauses und die Multinationalität der Lernenden so anziehend, dass ihre Zahl 1936/37 auf 125 hinauf schnellte. Sie kamen vorwiegend aus Österreich, aber auch aus Ungarn, Polen sowie anderen ost- und mitteleuropäischen Ländern. Ihnen gesellten sich StaatsbürgerInnen aus Großbritannien und den USA hinzu. Ein US-Stu- dent soll nach dem zweiten Weltkrieg – das Gebäude war bereits Botschaft der USA – als Diplomat in seinem ehemaligen Schlafzimmer gearbeitet haben. Vermutlich wurde vor allem im Hinblick auf das Interesse, zahlende Hörer zu erhalten, die Akademie Bahnbrecher für das weibliche Geschlecht. Nach der Erstaufnahme von Hörerinnen 1925/27 lag ihr Anteil bereits 1931/32 bei etwa 25 Prozent. Französischstunde mit ersten Hörerinnen 26
Eine „Fachhochschule“ für Politik und Volkswirtschaft Das Studium an der Akademie war unabhängig von Herkunft oder Stellung der Eltern allen offen, wenngleich die Angehörigen jener Schichten, die tra- ditionell mit Diplomatie und Konsulardienst verbunden waren, aus Gründen der gesellschaftlichen Einstimmung und finanziellen Situation weiterhin ver- hältnismäßig stark vertreten waren. Allerdings wählte später, den allgemeinen Umständen entsprechend, die Mehrheit Berufe im Wirtschaftsleben. Dr. Johanna Nestor (geb. Müller), die erste weibliche Botschafterin Österreichs, welche die Konsularakademie von 1935–1937 absolviert hat Wie wir gesehen haben, konnte die politische Lage in und um Österreich nicht ohne Einfluss auf eine Lehranstalt bleiben, die ihre Hörer auf Berufe vorbereitete, die mit der Politik eng verbunden sind. Während ihre Vorgän- gerinnen, die Orientalische und die Konsularakademie über ein klar auf die Grundfesten der Doppelmonarchie – die Devise im Aufgang des Gebäudes in der Boltzmanngasse lautete in Deutsch und Persisch geschrieben: „Für Gott und den Herrscher“ – abgestimmtes Credo verfügten, das zwar nicht mehr Mehrung sondern nur Erhaltung des Reiches und seiner Strukturen bedeutete, musste die neue Akademie in einem weitgehenden Niemandsland mit den un- terschiedlichsten Ideologien und den Staat wie seine Verfassung betreffenden Kräften ihr Programm abwickeln. Relativ unbestritten waren in diesem Milieu wahrscheinlich noch die gesellschaftlichen Sitten und Usancen sowie die Vor- stellungen vom künftigen Beruf. Über Republik oder Monarchie, Demokratie oder andere autoritäre Regierungsformen, Staat und Kirche, Individuum und Gemeinschaft, sogenannte Reinheit der Rassen oder deren Vermischung bis zu Internationalität und Völkerbund oder Vorherrschaft der Nationen und Staaten, für die Beibehaltung eines klein gewordenen Österreichs oder dessen Verbindung mit dem Deutschen Reich herrschten hingegen viele unterschied- liche und häufig recht kontroverse Ansichten. Wahrscheinlich traten sie im Alltag gegenüber der persönlichen Lebensgestaltung, den Problemen mit Prü- 27
Eine „Fachhochschule“ für Politik und Volkswirtschaft fungen und den Sorgen wie es danach weitergehen sollte, in den Hintergrund. So konnte noch 40 Jahre später ein inzwischen in die höchsten Ränge der österreichischen Diplomatie und Politik aufgestiegener Absolvent bei einem Besuch der nunmehrigen Botschaft der USA auf einen Seminarraum zeigen und erklären: „Dort haben wir unsere Prüfungen abgelegt und da daneben habe ich die Kollegin NN das erste Mal geküsst“. Historiker, die die vorhandenen Akten unter die Lupe genommen haben, Memoiren sowie Erzählungen ehemaliger StudentInnen lassen auf eine im Allgemeinen kameradschaftliche Atmosphäre schließen. Anstelle der recht homogenen „Mannschaft“ in der alten Akademie entstand nun eine Art grö- ßeres College mit Internen und Externen, die wiederum Zirkel bildeten auf Grund von Freundschaften, gleichen Interessen und gemeinsamer Nationali- tät. Manche widmeten sich vor allem dem Studium, andere hingegen gaben den Verlockungen eines Studentenlebens in einer Stadt mit vielfältigen At- traktionen nach. Es lässt sich auch das Einschleusen einiger überzeugter Ange- höriger nationalsozialistischer Organisationen nachweisen, doch scheinen in den schlimmen Monaten des Terrors nach dem Anschluss in den Märztagen des Jahres 1938 noch Reste eines Gemeinschaftsgeists erhalten geblieben zu sein: Wenn beispielsweise Lord Arthur Weidenfeld berichtet, dass ihm sein Kollege Kurt Waldheim die Prüfungsunterlagen brachte, da Studierende jüdi- scher Herkunft ihren Studienabschluß zwar nicht mehr in der Akademie aber doch mit Erlaubnis des Direktors Hlavac durch getrennte Prüfungen machen konnten. International Diplomatic Jazzband: Auch Spaß und Geselligkeit kommen nicht zu kurz 28
Das vorläufige Ende einer traditionsreichen Institution Das vorläufige Ende einer traditionsreichen Institution Es ist sehr schwierig, heute das Verhalten jener Menschen zu beurteilen, die damals nicht zu den politisch besonders engagierten gehörten, sich jedoch auf eine voraussichtlich lange Dauer mit einem Regime einzurichten hatten, das gerade in Österreich von Anfang an mit besonderer Brutalität vorging. Die Leiter der Akademie, nämlich ihre beiden in der Zwischenkriegszeit wir- kenden Direktoren Anton Winter (1866–1942) und Generalkonsul Friedrich Hlavac (1885–1975), letzterer selber ein Absolvent der Akademie, waren in ihrer Grundeinstellung deutsch-national. Das beweisen nicht nur die wie- derholten Versuche, für die Akademie in Berlin eine Patronanz finanzieller wie personeller Natur zu erreichen. Eine angesichts der Abweisung durch die Nachfolgestaaten und des so sehr geschrumpften Einzugsgebietes und der fi- nanziellen Misere nicht einfach beiseite zu schiebende Option, sondern auch Äußerungen, die über das hinausgehen, was selbst in heutiger Perspektive als Überlebensstrategie angesehen werden könnte. Alle Versuche, die Konsularakademie in der Tradition ihrer Gründerin un- ter den neuen politischen Verhältnissen als eigenständige Anstalt weiter zu führen, waren, ob sie nun wohlmeinend oder nur opportunistisch begründet waren, ohne Aussicht auf Erfolg. Das nationalsozialistische Regime hatte so fundamental andere Ansichten über die Gestaltung der Beziehungen zwischen den Staaten und Völkern, seine Vertreter und Anhänger hatten eine so men- schenverachtende Einstellung und für Wien war zudem lediglich ein Platz als größere Provinzstadt vorgesehen. Jede Weiterführung unter dem alten Namen hätte der Akademie daher nur geschadet. Dazu kam es schließlich trotz ver- schiedenster Bemühungen des Direktors wegen unterschiedlicher Vorstellun- gen über die Aufgaben der Akademie zwischen der Direktion, den Dienststel- len der NSDAP und dem Reichsaußenministerium sowie schließlich wegen des im September 1939 von Adolf Hitler vom Zaun gebrochenen Zweiten Weltkriegs nicht mehr. Das Gebäude wurde als Lazarett der Luftwaffe ver- wendet. So beendete der letzte Lehrgang der Konsularakademie am 31. März 1941 zunächst einmal ein fast 200 Jahre währendes Wirken im Sinne einer geordneten, Grenzen überschreitenden Zusammenarbeit unter einem Regime mit diametral widersprechenden Zielen und Lebensumständen. Der Neubeginn muss zunächst warten Das Ende des Krieges im Mai 1945 war nicht nur durch verwüstete Städte und Landschaften, Hunger und eine aus allen Bahnen der Normalität gerissene Be- völkerung gekennzeichnet, sondern zunächst durch die Unsicherheit über die Zukunftsaussichten des durch die Alliierten von der nationalsozialistischen Ge- waltherrschaft befreiten Staates. Dessen Regierung konnte in den ersten Mona- 29
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