DIAGONAL Auf Expedition: zwischen Serengeti und Sibirien
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DIAGONAL W S L- M A G A Z I N SCHWERPUNKT Auf Expedition: zwischen Serengeti und Sibirien N r. 2 21 Wald der Zukunft: Naherholung: Was Schneeakne: selbst Entscheidungshilfe für Landschaft attraktiv heilende Pickel auf Forstbetriebe, S. 22 macht, S. 26 Eiskügelchen, S. 33 Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser Eine Expedition ist immer ein Aufbruch ins Unbekannte, ein Vorstoß in Neuland. Sie erfordert nicht nur akribische Vorbe- reitung, sondern auch eine Portion Mut, Neugier und die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen – alles im übrigen Ei- genschaften, durch die sich auch Wissen- schafterinnen und Wissenschafter aus- zeichnen. Dabei bin ich überzeugt: Der Erkenntnisgewinn aus Expeditionen ist gross und hilft letztlich, Lösungen für drängende Probleme wie die Klima- oder Biodiversitätskrise zu entwickeln. Denn ohne tiefes Verständnis der Zusammen- hänge und ohne auch einmal in der Wis- senschaft den Mut zu haben, Neuland zu betreten, wird es nicht gelingen, innova- tive Lösungen zu entwickeln. Umgekehrt hilft das detaillierteste Verständnis der Zusammenhänge nichts, wenn sie nicht so aufbereitet werden, dass Politik und Gesellschaft darauf aufbauen. Der Aus- tausch mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, ist mir darum ein grosses Anliegen. Was sind Ihre Erwartungen und Bedürf- nisse? Welche Fragen treiben Sie um? Treten Sie mit uns in Kontakt, zum Bei- spiel bei Veranstaltungen! Auch für mich persönlich ist die Über- nahme der WSL-Leitung eine Art Expe- dition – neben viel Bekanntem und Ver- trautem entdecke ich momentan mit Neugier viel «Neuland». Und Neugier wünsche ich Ihnen für diese Ausgabe des Diagonals! Beate Jessel Direktorin WSL
SCHWERPUNKT Auf Expedition Bilder: Umschlag: Marco Moretti, WSL; Inhaltsverzeichnis: Zeitreise: Andreas Rigling, WSL; Expeditionen: Alfred-Wegener-Institut / Michael Gutsche (CC-BY 4.0); Bisons und Elefanten: Anita Risch, WSL; Verletzliches Paradies: Olivier Borde/Les Explorations de Monaco WIESO ES EXPEDITIONEN BRAUCHT Sind die finanziellen und ökologi- schen Kosten von Vorhaben wie der Polarexpedition MOSAiC gerechtfer- tigt? SLF-Schneeforscher Michael Lehning steht Rede und Antwort. 8 AUGE IN AUGE MIT BISONS U N D E L E FA N T E N Ihre Feldarbeit führt die Wissenschafterin Anita Risch regelmässig in die Wildnis. Wie es ist, seine Forschungsflächen mit Löwen, Elefanten und Bisons zu teilen. 12 AUF ZEITREISE IN DIE WILDNIS Kälte, Bären, Einsamkeit: WSL-Forscher Andreas Rigling erzählt, VERLETZLICHES wonach er im äussersten Zipfel Russlands suchte und welche PA R A D I E S Erkenntnisse die Reise verspricht. Dank der Analyse sogenannter 2 Umwelt-DNA wird die Über- wachung der Biodiversität einfacher. WSL-Forschende haben die Methode im Pazifik getestet. 16 KERNTHEMEN P O R T R ÄT S 22 WA L D 21 Dominik Haas-Artho, Softwareentwickler 24 LANDSCHAFT 29 Matthias Gerber, Informatikingenieur 28 N AT U R G E FA H R E N 34 Gesa von Hirschheydt, Biologin 30 B I O D I V E R S I TÄT 35 IMPRESSUM, AUSBLICK 33 SCHNEE UND EIS 36 DAS DING: DROHNE «HEDGEHOG» WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 2 2021
FORSCHUNG HAUTNAHKälte, Bären, Einsamkeit: WSL-Forscher Andreas Rigling erzählt, wonach er auf Expedition im äussersten Zipfel Russlands suchte und welche Erkenntnisse die Reise verspricht. Auf Zeitreise in die Wildnis Manche der hier wachsenden Lärchen stürzen nach dem Absterben auf das Lavagestein. Dort bleibt ihr Holz für lange Zeit konserviert. WSL-Forschende rekonst- ruieren mit Hilfe dieses Holzes das vergan- ge Klima und versuchen, den Zeitpunkt des Vulkanausbruchs genauer zu bestimmen. 2/5
Auf einem Flecken Boden zu stehen, den wahrscheinlich noch nie zuvor ein Mensch betreten hat – das ist ein besonderes Gefühl. Ich habe das auf meiner Expedition im Herbst 2019 ins Gebiet des Anyui-Vulkans erlebt, das im äussersten Nordosten Russ- lands liegt. Dort gibt es im Umkreis von hunderten Kilometern keinerlei Zivilisation. Keine Häuser, keine Strassen, keine Menschen. Dafür le- ben dort die grössten Braunbären der Welt, grösser als die Grizzlys in Nord- amerika. Und – das war der Grund für unsere Expedition – es gibt dort uralte Bäume. Dafür sorgte ein Ausbruch des Anyui-Vulkans, der vor vielen tau- senden Jahren ein 56 Kilometer lan- ges Band aus Lava in die Tundra ge- brannt hat. Am Rand dieses gigantischen, längst erkalteten La- vastroms wachsen grosse, langlebige Lärchen. Das Besondere an ihnen: Wenn sie nach ihrer Lebenszeit ab- sterben und beim Umfallen auf dem Ein dunkles Band erkalteter Lava zieht Vulkangestein landen, bleibt ihr Holz sich durch die Landschaft. Es stammt erhalten. Denn anders als im feuch- von einem Ausbruch des Anyui-Vulkans. Wann dieser stattfand, ist unklar – ver- ten Boden der Tundra laufen Zerset- mutlich vor etwa 250 000 Jahren. zungsprozesse auf dem Vulkangestein extrem langsam ab. Dazu kommt die Kälte – so werden die Bäume quasi gefriergetrocknet. Aus den Jahrringen ihrer Stämme lassen sich längst ver- gangene Temperaturschwankungen rekonstruieren. Über die Strasse der Knochen Auf dem Weg zu diesem einzigartigen Klima- und Umweltarchiv flogen wir zunächst nach Moskau und dann weiter nach Osten in die Stadt Ma- gadan, fast 6000 Kilometer Luftlinie von Moskau entfernt, wo wir unsere Bild: Andreas Rigling, WSL Kollegen aus Cambridge, Krasno- jarsk und Jakutsk trafen. Wir waren zu neunt: drei Forschende der WSL und der Universität Cambridge, drei Das Anyui-Gebiet im Nordosten Russlands. NR. 2 2021
Ein Temperatursturz sorgte für Minusgrade: Hier wärmt Andreas Rigling seine Füsse am Holzofen im Zelt. russische Forscher und drei Schweizer Jäger, die Gewehre zum Schutz gegen die Bären dabeihatten. Magadan war früher ein Zentrum des sowjetischen Gu- lag-Systems und wurde in den 1930er-Jahren von Strafgefangenen unter un- menschlichen Bedingungen gebaut, ebenso wie die einzige Strasse des Gebiets, die ins 2000 Kilometer westlich liegende Jakutsk führt. Noch heute wird sie «Strasse der Knochen» genannt, weil bei ihrem Bau und in den umliegenden Straflagern so viele Menschen starben. Bild: Cyrill Haupt, Bern In einer russischen Propellermaschine, einer Antonow, flogen wir weiter zur Bergbausiedlung Bilibino. Weil es hier viele Bodenschätze und ein Atom- kraftwerk gibt, ist diese Region für Ausländer eigentlich gesperrt und die orts- SCHWERPUNKT EXPEDITION 4/5
ansässigen Polizisten machten ihre Arbeit äusserst gründlich: Um unsere Be- willigungen zu überprüfen, brauchten sie eine knappe Woche. Derweil sassen wir in Bilibino in einer winzigen Wohnung fest. Ohne unsere russischen Kolle- gen wäre die gesamte Expedition unmöglich gewesen. Im Reich der Bären Letztlich blieb uns nur eine Woche, um die Wildnis des Anyui-Gebiets zu er- kunden. Vom Transporthelikopter aus suchten wir eine geeignete Stelle mit vie- len Bäumen und Totholz und liessen uns absetzen. Wir bauten unsere Zelte auf, nahmen den Generator in Betrieb und hatten zuerst mal eine Nacht lang Angst. Denn davon, dass tatsächlich Bären herumstreiften, zeugten die vielen frischen Haufen. In der ersten Nacht standen wir darum abwechselnd Wache. Am nächs- ten Tag spannten wir Schnüre mit Glöckchen um unser Lager herum und liessen Weitere Informatio- nen zur Forschung zudem von da an jede Nacht eine starke Halogenlampe leuchten. Dennoch am Anyui (auf habe ich nie ruhig geschlafen. Englisch): www.wsl.ch/anyui Bei Tag waren die Bären weniger ein Problem, da konnten wir immer mal wieder Lärm machen, um sie abzuschrecken. Aufgrund dieser Vorsichtsmass- nahmen haben wir schliesslich glücklicherweise keine Bären zu Gesicht bekom- men. Dafür haben wir fleissig Proben genommen, darunter Stammquerschnit- te und Bohrkerne von noch lebenden Bäumen und von Totholz. Aus der Breite der Jahrringe können wir nun die Sommertemperaturen der entsprechenden Jahre rekonstruieren. Denn in wärmeren Sommern wachsen die Bäume schnel- ler und die Jahrringe sind breiter, dagegen ergeben kältere Phasen dünnere Jahr- ringe. Hunderte Jahre in einem Baumstamm Unsere älteste Baumprobe stammt von einer Lärche, die 600 Jahre alt wurde – und danach rund 400 Jahre auf dem Lavagestein lag, bevor wir sie fanden. Zusammen mit Daten von noch lebenden Bäumen können wir so ganze tau- send Jahre zurückblicken. Wir sind noch dabei, die Jahrring-Daten auszuwer- ten, doch wir glauben, dass wir damit den Temperaturanstieg der letzten Jahr- zehnte in den Kontext des letzten Jahrtausends setzen und so das Ausmass des menschengemachten Klimawandels sichtbar machen können. Wir wollen sicher ein weiteres Mal ins Anyui-Gebiet reisen, diesmal län- ger, um zusätzliche Baumproben von mehr Standorten zu sammeln. Ich freue mich schon darauf, denn ich war fasziniert von der Schönheit und Wildheit dieser Landschaft. In der Schweiz ist die Natur auch schön, aber sie ist überall beeinflusst von Menschen. Dagegen herrscht im Anyui-Gebiet die absolute Ein- samkeit. Dort ist die Natur unverfälscht und ich erlebe sie intensiver – unmit- telbar und mächtig, was auf mich einen starken Reiz ausübt. Auch jetzt, wäh- rend ich hier im Büro sitze, spüre ich das Reissen danach. (sru) WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 2 2021
GLETSCHERFORSCHUNG Schrumpfende Eisriesen. Die ge waltigen Gletscher in den Hochgebirgen Asiens versorgen Millionen Menschen mit Wasser. Welche Folgen ihre Schmelze hat, untersucht WSL-Forscherin Francesca Pellicciotti. Beim Lirung-Gletscher in der Langtang-Region in Nepal: Francesca Pellicciotti packt die Messausrüs- tung aus – darunter Messstangen und Festplatten für die Datenübertragung von den Wetterstationen. Über den Himalaya und seine benachbarten Hochgebirge erstrecken sich un- zählige, ausgedehnte Gletscher. Sie bilden nach den Polen die drittgrösste Eis- masse der Erde und versorgen ein riesiges Gebiet mit Wasser – von Tadschikistan über Pakistan, Indien, Nepal und Tibet bis China. Rund 250 Millionen Men- schen sind von ihnen abhängig. Doch: «Diese Gletscher verlieren als Folge des Klimawandels rasch an Masse», sagt WSL-Gruppenleiterin Francesca Pellic- ciotti, die mit ihrem Team mehrere Gletscher Hochasiens vor Ort untersucht hat. Unter anderem vermassen die Forschenden die Ausbreitung und Dicke des Eises mit Messstangen und machten Drohnenaufnahmen. Mithilfe der gewon- nenen Daten erstellten sie Computermodelle, um die künftige Entwicklung zu prognostizieren. Demnach werden die Gletscher Hochasiens bis ins Jahr 2090 derart geschrumpft sein, dass sie nur noch die Hälfte der heutigen Wassermen- ge liefern. «Das ist drastisch, denn in vielen Gebieten herrscht schon jetzt Was- sermangel, der in der Bevölkerung Konflikte schürt», sagt Pellicciotti. Noch unklar ist, was genau die Geschwindigkeit dieses Gletscherschwunds beeinflusst, und wie. Denn Erkenntnisse aus den gut untersuchten Alpen lassen sich nicht auf die Gletscher Hochasiens übertragen. Diese liegen höher und ha- Bild: Edoardo Soteras ben eine rauere Topografie mit markanten Erhebungen, Klippen und Schluchten. Zudem sind sie vielfach mit Schutt bedeckt, den sie von den umliegenden Berg rücken abtragen. «Eigentlich sollte diese Geröllschicht das Eis schützen und die SCHWERPUNKT EXPEDITION 6/7
Gletscherschmelze verlangsamen», sagt Pellicciotti. Doch Messungen haben er- geben, dass die schuttbedeckten Gletscher genauso schnell schrumpfen wie alle anderen. Diesen scheinbaren Widerspruch hat Pellicciotti nun zumindest teilweise erklärt: Die steilen Klippen der Gletscher sind nicht mit Schutt bedeckt. Sie bil- den gemäss Pellicciottis Messungen regelrechte Schmelzherde, die umliegendes Eis verschwinden lassen. Bei einem Gletscher in Nepal etwa sind diese Struk- turen für ein Drittel der gesamten Eisschmelze verantwortlich. Weitere Informatio- nen zu asiatischen Gletschern: www.wsl.ch/ gletscherschwund Test einer automatischen Wetterstation auf dem Kyzylsu-Gletscher in Tadschikistan, dessen Eis an dieser Stelle unter einer fünfzehn Zentimeter dicken Schuttschicht verborgen ist. Schützende Vegetation Um ihre Forschung weiterzuführen, erhielt Pellicciotti im Jahr 2017 einen der begehrten europäischen ERC-Grants. Unter anderem möchte sie damit künf- tig dem Rätsel der Gletscher im Karakorum-Gebirge in Tadschikistan auf den Grund gehen. Denn diese sind die einzigen weltweit, die zurzeit nicht schrump- fen. «Warum, wissen wir nicht», sagt Pellicciotti. Sie hat aber eine Vermutung: Die Eismassen würden vom Wasser gespeist, das aus den Büschen und Bäumen nahe der Gletscher verdunstet und anschliessend als Schnee auf die Gletscher fällt. Um ihre Hypothese zu überprüfen, will die Forscherin nun auch den Wasserhaushalt der Vegetation vermessen und modellieren. Gut möglich, glaubt Pellicciotti, dass die Vegetation für den Wasserkreislauf der Gletscher eine wich- tige Rolle spielt. (sru) Bild: Marin Kneib WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 2 2021
INTERVIEWPolarexpeditionen belasten das Klima, sind aber nötig für seinen Schutz. Von allen Polarexpeditio- nen war die im September 2019 gestartete MOSAiC- Expedition die aufwändigste und teuerste. Was bringen solche Vorhaben überhaupt und sind deren finanzielle und ökologische Kosten gerechtfertigt? SLF-Schnee forscher Michael Lehning steht Rede und Antwort. Michael Lehning, Sie waren mit Denn das arktische Meereis hat ei- Ihrer Forschungsgruppe an der nen grossen Einfluss auf das globale MOSAiC-Expedition beteiligt. Klima. Darum ist es wichtig, dass Insgesamt reisten mehr als vierhun- wir erfahren, was mit ihm passiert dert Forschende in die Arktis, das und was das seinerseits für Folgen Ganze kostete 140 Millionen Euro. hat, beispielsweise für den Anstieg War eine Expedition dieser des Meeresspiegels. Zudem ist ab- Grössenordnung wirklich nötig? sehbar, dass das arktische Eis die ML: Das ist eine berechtigte Fra- Klimaerwärmung nicht mehr allzu ge, die wir uns selbst auch gestellt lange überlebt. Deshalb müssen wir haben. Wir haben unsere Mitwir- es jetzt untersuchen, bevor es zu kung entsprechend kritisch abgewo- spät ist. Bisher wussten wir erst we- gen. Dabei ging es uns nicht in erster nig, weil sich in der Arktis keine fi- Linie um die Kosten, sondern haupt- xen Messsysteme installieren lassen, sächlich um Energieverbrauch und da das Meereis driftet, schmilzt, CO2-Ausstoss. Schon im Vorfeld war auseinanderfällt und sich neu zu- klar, dass grosse Mengen zusammen- sammensetzt. Ein Forschungsschiff kommen – über siebentausend Ton- im Eis überwintern zu lassen, war nen verfeuerter Diesel und ein darum die einzige Möglichkeit, das CO2-Ausstoss von mehr als 22 000 Eis über den ganzen Zyklus vom Tonnen allein vom Forschungsschiff Einfrieren bis zum Auftauen zu un- «Polarstern», das ein Jahr lang ein- tersuchen. Zudem liessen sich auf geschlossen im Eis durch die Arktis der Expedition viele Untersuchun- driftete. Für den gleichen CO2-Aus- gen auf einmal durchführen. So hat stoss könnte ein Passagier rund man die eingesetzten Ressourcen 17 000-mal von Zürich nach New möglichst effizient genutzt und eine York fliegen. Dazu kamen die Fahr- riesige Menge an verschiedenen, ten mit den Versorgungs-Eisbre- nützlichen Messdaten gesammelt. chern, die mehrmals neue Crews und Verpflegung brachten. Zum Beispiel? Eines der Forschungsteams Was hat Sie dazu bewogen, trotz- stellte auf dem Eis einen Turm mit Bild: Gaby Pfeifle Fotografik dem bei MOSAiC dabei zu sein? meteorologischen Sensoren auf. Michael Lehning ist Leiter der Gruppe Als sich das Projekt konkreti- Diese haben die Wetterbedingungen Schneeprozesse am SLF und Professor an sierte, wurde klar, dass sich hier in verschiedenen Höhen gemessen, der ETH Lausanne. eine einmalige Gelegenheit bietet. etwa Temperatur, Luftfeuchtigkeit, SCHWERPUNKT EXPEDITION 8/9
Auch während das Forschungsschiff im Eis eingeschlossen war, mussten die Schiffsmotoren permanent laufen – für Heizung, Licht und Küche, aber auch den Betrieb der wissenschaftlichen Messgeräte. Windgeschwindigkeit, Sonnenein- rund zehn Jahren, wenn sich strahlung. Diese Daten präzise zu die gesamten MOSAiC-Ergebnisse erheben ist sehr aufwändig, sie wer- im Vergleich mit anderen For- den aber von vielen Forschungs- schungsergebnissen einordnen gruppen benötigt. Selbst Teams, die lassen. Es wurden aber bereits erste das Wasser unter dem Eis unter- Resultate veröffentlicht und auch suchten, brauchen Daten aus der meine Forschungsgruppe ist dabei, Atmosphäre, ebenso meine Gruppe die ersten Ergebnisse aus unseren für unsere Schneeanalysen. Und MOSAiC-Untersuchungen zu pub- wenn man von einem Ort gleichzei- lizieren. Dabei geht es um die Ver- tig die Schneeverteilung, die Ent- teilung des Schnees, wo er auf dem wicklung des Meereises und die Eis liegenbleibt oder wie er Vorgänge unter dem Eis untersu- sich etwa durch Winde ausbreitet. chen kann, ist das wissenschaftlich Je umfassender wir die Prozesse Bild: Alfred-Wegener-Institut / Stefan Hendricks (CC-BY 4.0) extrem wertvoll. Das hilft uns, diese in Schnee, Eis, Wasser und der miteinander vernetzten Prozesse Atmosphäre in Klimamodelle ein- besser zu verstehen und sie in Com- bauen können, desto aussagekräfti- putermodellen abzubilden. ger werden Prognosen zukünftiger Entwicklungen. Unter anderem von Hat sich die Expedition also diesen hängt ab, ob sich die gelohnt? Menschheit auf wirksame Mass- Abschliessend beantworten nahmen gegen die Klimaerwär- können wir das wohl erst in mung einigen kann. WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 2 2021
auf unseren eigenen kleinen Expedi- Wer stellt sicher, dass sich Nutzen tionen in die Antarktis so schlank und Kosten einer Expedition die wie möglich unterwegs. Beispiels- Waage halten? weise nutzen wir für unsere Mes- Das müssen wir als Forschen- sungen die Forschungsstation «Prin- dengemeinschaft selbst machen. cess Elisabeth», die vollständig aus Das wird aber gerade von grossen erneuerbaren Energiequellen betrie- Projekten und Institutionen durch- ben wird. Und wir beschränken uns aus ernst genommen. Die Öffent- bei der Ausrüstung auf das Nötigs- lichkeit hat ein Recht, über Nutzen te. Zudem nutzen wir unser Know- und Umweltbelastungen solcher how zu Schnee und Wind, um zu er- Projekte Bescheid zu wissen. Wich- forschen, wie man in der Schweiz Factsheet Nach tig finde ich aber das Bewusstsein, eine Versorgung mit erneuerbaren haltigkeit MOSAiC (auf Englisch): dass es zur Forschung dazugehört, Energien aufbauen könnte, die www.wsl.ch/ dass sie nicht immer zu einem Ziel marktfähig und möglichst unabhän- mosaic-sustainability führt. Häufig dauert es seine Zeit, gig vom Ausland ist. bis irgendwann ein Durchbruch kommt und sich die investierten Wie das? Ressourcen auszahlen. Das muss Wir haben beispielsweise kürz- man der Forschung auch zugeste- lich gezeigt, dass Photovoltaik-An- hen, sonst wird man jeglichen Fort- lagen in Skigebieten eine grössere schritt behindern. Ausbeute haben als im Flachland. Das liegt einerseits daran, dass es Wie wichtig ist ökologisches dort oben keinen Nebel gibt und die Verhalten für Sie persönlich? Atmosphäre dünner und trockener Sehr wichtig. Ich selbst wohne ist. Andererseits erhöht auch die Re- in einem Plus-Energie-Haus, dessen flexion des Lichts durch den Schnee Energiebedarf durch Sonnenenergie die Energieausbeute. Das sollte man mehr als gedeckt ist, und fahre ein bei der Planung stärker als bisher Elektroauto. miteinbeziehen. Mit geschickt plat- zierten Anlagen liesse sich so auch Wie passt das mit der Teilnahme an im Winter viel erneuerbare Energie Grossexpeditionen zusammen? produzieren. (sru) Mir ist bewusst, dass ein Wi- derspruch darin liegt, wenn For- schende aufwändig zu den Polen reisen und gleichzeitig den Schutz des Klimas proklamieren. Das ist gerade das Paradoxe: Dass wir das Klima zusätzlich belasten müssen, um es besser zu verstehen und zu schützen. Darum ist unsere Gruppe «Das arktische Meereis hat grossen Einfluss auf das globale Klima – deshalb ist es wichtig zu untersuchen, was mit ihm passiert.» SCHWERPUNKT EXPEDITION 10/11
A U S R Ü S T U N G J A M A L- E X P E D I T I O N Wasserdichte Plastikblachen Dokumentenbox Plastikfässer Gummiboot mit Paddel Schlafsack Rucksack mit Kleidung und persönlichen Isomatte Zelt Gegenständen Regencape Etiketten zum Beschriften Wasserdichte Draht Boxen mit Essen für 35 Tage Gesammelte Baum- Seile scheiben PET-Flaschen mit Getreideflocken Zange Schaufel Benzinkanister Kettensäge und Ersatzketten Woll- Axt socken Erste-Hilfe-Set Massband Camping-Sitz- kissen Fischer- Kescher stiefel Karten Crocs Notizblock und Kamera Stift Moskito- spray Espresso kocher Hut mit Drohne für GPS-Gerät Stirnlampe Satelliten- Koch- Moskitonetz Luftaufnahmen telefon utensilien Beim Packen für ihre Expedition auf der Jamal-Halbinsel in Nordwest-Sibirien (s. Weltkarte oben) durften der WSL-Dendrochronologe Patrick Fonti und seine drei Forscherkollegen nichts Wichtiges Infoillustration: Raffinerie, Zürich vergessen. Denn in der Wildnis waren sie auf sich allein gestellt. Insgesamt 300 Kilometer paddel- ten sie den einsamen Tanlavaya-Fluss hinab. Unterwegs sägten sie immer wieder dicke Scheiben von alten, im Flussschlamm konservierten Baumstämmen ab, um diese später im Labor zu analy sieren. Die insgesamt 500 Baumscheiben mussten sie zusammen mit der Ausrüstung in nur vier Schlauchbooten transportierten. WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 2 2021
Bild: Joseph Bump WSL-Forscherin Anita Risch misst die Aktivität der Bodenorganismen unter einem stark zersetzten Wapitihirsch-Kadaver. Das heuartige Material ist der Mageninhalt. SCHWERPUNKT EXPEDITION 12/13
ABENTEUER FORSCHUNG Auge in Auge mit Bisons und Elefanten. Seit über zwanzig Jahren führt ihre Feldarbeit Anita Risch für mehrere Monate im Jahr in die Wildnis. Wie ist es, seine Forschungsflächen mit Löwen, Elefanten und Bisons zu teilen? Anita Rischs Fotoarchiv mutet an wie das Drehbuch für einen Abenteuerfilm: Elefanten und Hyänen ziehen im tansanischen Serengeti-Nationalpark wenige Dutzend Meter an ihr vorbei. Ein Grizzlybären-Tatzenabdruck von über fünf- zehn Zentimetern Breite im Schlamm. Ein enormer Bisonstier steht direkt ne- ben einer ihrer Forschungsflächen im Yellowstone-Nationalpark in den USA. «Wenn plötzlich so ein Bison schmatzend hinter dir steht, heisst es ruhig blei- ben», sagt Risch. «Man redet ihm zu und wartet, bis er abzieht.» Was andere Menschen furchterregend fänden, ist für Risch der Motor, der sie am Laufen hält. Einem ausgewachsenen Wapiti-Hirsch in der Brunftzeit Auge in Auge ge- genüber zu stehen? Findet die 47-Jährige «faszinierend». Auch wenn das Herz etwas schneller schlägt. Risch ist Leiterin der WSL-Gruppe für Tier-Pflanzen-Interaktionen. Sie hat in den letzten zwanzig Jahren jedes Jahr ein bis zwei Monate in der «Wildnis» in der Schweiz und im Ausland verbracht. Mit ihrer Forschung will Risch he- rausfinden, wie grosse pflanzenfressende Tiere, Insekten, Pflanzen und Boden- lebewesen einander in natürlichen Grasländern beeinflussen. Solche Ökosyste- me, von den heissen Savannen Afrikas zur kalten Tundra im hohen Norden oder im Gebirge, bedecken rund ein Drittel der Landfläche der Erde und be- herbergen eine enorme Artenvielfalt. «Ich finde es spannend, mitten in diesen Ökosystemen zu sein, die noch natürlich funktionieren, wo zum Beispiel die Tiere noch weit wandern kön- nen», sagt Risch. Savannen und Prärien sind jedoch oft auch gutes Landwirt- schaftsland. Deshalb geraten Menschen und Tiere häufig in Konflikte – Zäune durchschneiden Migrationsrouten von Wildtieren, diese wiederum fressen Feld- früchte oder töten Haustiere und werden deshalb gejagt. Rischs Forschung hilft dabei, Grasland-Ökosysteme besser zu verstehen und letztlich zu schützen. Kadaver schaffen neues Leben Ein erstes Highlight war, als sie zwischen 2004 und 2006 im Yellowstone-Na- tionalpark untersuchen konnte, wie Bisons und Wapiti-Hirsche den Kohlen- stoffhaushalt der Grasländer beeinflussen. Im Jahr 2017 ging sie, wiederum im Yellowstone-Nationalpark, der Frage nach, was mit den Nährstoffen aus Tie- ren geschieht, die von Wölfen gerissen wurden. Aus Sicherheitsgründen konn- ten sie und ihr Kollege Joe Bump nur Kadaver besuchen, die älter als vierzig Tage waren. Davor wäre das Risiko zu gross gewesen, dort auf Grizzlybären zu stossen. Die Untersuchungen zeigten, dass spezielle Mikroorganismen-Ge- sellschaften die Kadaver zersetzen und so Nährstoffinseln kreieren, auf denen für Grasfresser nahrhafte Pflanzen gedeihen. WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 2 2021
Mit schwergewichtigem Besuch lernt man umzugehen – man überlässt ihm das Forschungsfeld und wartet, bis er abzieht. Bison im Yellowstone-Nationalpark (USA). Wer an wilden Orten forscht, muss Vorsicht walten lassen. Risch arbeitet in ihr unvertrauten Gebieten meist mit Personen zusammen, die sich sehr gut auskennen. Es gibt auch gewisse Grundregeln zu beachten, etwa in der Seren- geti nicht einfach querfeldein zu laufen – Löwen sind schon in sehr kurzem Weitere Informatio- Gras kaum zu sehen. Das macht selbst den Toilettengang umständlich: «Man nen zu den Kadavern im Yellowstone sucht sich ein Gebüsch aus und umrundet es zunächst mit dem Auto, um si- Nationalpark: cherzugehen, dass sich keine grösseren Tiere darin verstecken». Erst dann steigt www.wsl.ch/kadaver man aus. Und wenn Elefanten zu nahekommen, springen alle ins Auto – der Zündschlüssel steckt und das Fahrzeug ist stets in Fluchtrichtung geparkt. Bei Begegnungen mit grossen Tieren ist ihr noch nie etwas passiert – da- für mit ganz winzigen. Ein entzündeter Tsetsefliegen-Stich hat eine Blutvergif- tung verursacht, in Afrika, weitab von Arzt oder Spital. «Es sind die kleinen Dinge, die am gefährlichsten sind», ist sie überzeugt. Zum Glück wirkten die mitgebrachten Antibiotika und Risch war bald wieder gesund. Nicht ganz so gefährlich wie in afrikanischen Savannen ist es im Schwei- zerischen Nationalpark, wo Rischs Team tagelang Berghänge hinauf- und hi- nunterklettert. Sie erkunden dort das Zusammenspiel von Tieren, Pflanzen und dem Boden auf alpinen Rasen. Ganz ohne ist auch diese Arbeit nicht: Bei Näs- se kann man in den steilen Grasflanken leicht ausrutschen und abstürzen. Verbotene DNA-Proben Eher an die Nerven als ans Lebendige gehen hingegen die bürokratischen Hür- den für Forschungsbewilligungen und den Export von biologischen Materia- lien. «Der Papierkrieg braucht Geduld», sagt Risch. Bisher scheiterte daran nur Bild: Anita Risch, WSL ein Projekt: Im Regenwald von Malaysia sammelte sie mit einer japanischen Kollegin Bodenproben, um den Einfluss von Salzmangel auf Bodenbakterien mittels DNA-Analysen zu erkunden. Doch dann ratifizierte Malaysia das Na- SCHWERPUNKT EXPEDITION 14/15
Risch mit dem Geweih eines Wapitihirsches, der von Wölfen gerissen wurde, im Yellowstone-National- park (USA). goya-Protokoll, das den Zugang zu genetischen Ressourcen regelt. Im Ausland mit malaysischen DNA-Proben zu arbeiten, war nun auch rückwirkend ver- boten. «Das ärgert einen dann schon», sagt Risch. Die Proben liegen bis heute unbearbeitet im Tiefkühler an der WSL. Für ihre Dissertation und anschliessende Postdoktoranden-Stellen ver- brachte Risch abwechselnd einige Jahre in den USA und in der Schweiz, bis sie sich 2006 um ihre heutige WSL-Stelle bewarb. Ihre Expeditionen sind die Frucht ihrer über die Jahre geknüpften persönlichen Kontakte, ein Austausch, bei dem neue Forschungsideen nur so sprudeln. «Meine Stärke ist es, Leute zu vernet- zen und interdisziplinär zusammenzubringen», sagt Risch. Die nächste Station wird – nach der Corona-Pandemie – Australien sein, wo sie die Wechselwir- kungen von eingeführten Tieren wie Kühen, Schafen und Kaninchen sowie Pflanzen mit der heimischen Flora und Fauna und dem Boden erkunden möch- te. Risch möchte die Feldarbeit weiterhin nicht nur anderen überlassen: «Ich schätze es, mein Forschungsobjekt selbst sehen und erleben zu können.»(bki) Bild: Joseph Bump WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 2 2021
Verletzliches Paradies. Den Zustand der B I O D I V E R S I TÄT Biodiversität zu überwachen ist aufwändig und teuer. Das soll sich ändern – dank der Analyse sogenannter Umwelt-DNA. WSL-Forschende haben die Methode in einem Schutzgebiet im Pazifik getestet. Auf den ersten Blick sind es nur ein paar unscheinbare Felsen, die 500 Kilome- ter vor Kolumbiens Küste aus dem Meer ragen. Doch die Gewässer um die kleine Insel Malpelo sind ein Naturparadies: Hier fliessen verschiedene Meeres strömungen zusammen, die Nährstoffe herbeitragen und das Leben förmlich explodieren lassen. Mehr als vierhundert Fischarten tummeln sich in teils rie- sigen Schwärmen, darunter besonders viele Haiarten wie Hammerhaie oder die bedrohten Walhaie. Malpelo zieht mit seiner aussergewöhnlichen Artenvielfalt nicht nur Tau- cherinnen und Taucher, sondern auch Forschende an. Zu ihnen zählt Loïc Pel- lissier, Assistenzprofessor an der ETH Zürich und Leiter der WSL-Forschungs- gruppe Landschaftsökologie. Er erforscht, wie die Biodiversität auf globale Veränderungen reagiert. 2018 reiste Pellissier mit einem internationalen Expe- ditionsteam nach Malpelo. Ziel war, eine Methode zu testen, die es künftig viel einfacher machen soll, die Artenvielfalt zu messen. «Nur wenn wir über sie Be- scheid wissen, können wir die Biodiversität schützen», sagt Pellissier. Und ihr Schutz ist dringend nötig. Denn weltweit sind einzigartige Ökosys- teme wie Malpelo bedroht. Eingriffe des Menschen, Umweltverschmutzung Bilder: Olivier Borde/Les Explorations de Monaco Ein Gerät am Meeresboden macht Videoaufnahmen der vorbeischwimmenden Tierarten – hier von einer Taucherin des Expeditionsteams. SCHWERPUNKT EXPEDITION 16/17
Expedition nach Ein Expeditionsteilnehmer hantiert mit einer Meerwasserprobe. Sie enthält DNA verschiedener Malpelo: www.wsl.ch/ Tierarten, die später im Labor analysiert wird. malpelo-expedition und die Klimaerwärmung lassen Tier- und Pflanzenarten in einem vorher nie gekannten Tempo aussterben. «Wir brauchen die Biodiversität, sie ist unsere Lebensgrundlage», sagt Pellissier. Doch bei vielen Ökosystemen weiss man nicht einmal, wie es um sie steht. Denn die Erhebung von Daten ist aufwändig und teuer. Viele Orte sind nur schwer zugänglich und es braucht Spezialistinnen und Spezialisten mit Artenkenntnissen. Daher sind Erhebungen oft punktuell, werden selten wiederholt und konzentrieren sich meist nur auf wenige, leicht auffindbare Arten. Lebewesen hinterlassen Spuren Diese Probleme könnte die Methode lösen, die nicht nur Pellissier, sondern im- mer mehr Forschende weltweit verwenden. Sie weist das Vorkommen von Spe- zies indirekt nach, mit Hilfe der sogenannten Umwelt- oder «environmental» DNA, kurz eDNA. Bei Gewässern braucht es dafür lediglich eine Wasserpro- be. Denn Lebewesen hinterlassen im Wasser Ausscheidungen oder verlieren Hautschüppchen, in denen ihr Erbgut enthalten ist. Diese DNA-Spuren wer- den aus dem Wasser gefiltert und im Labor entschlüsselt. Weil jede Art ihre cha- rakteristische DNA hat, können die Forschenden einzelne Arten identifizieren Bild Seite 18/19: Olivier Borde/Les Explorations de Monaco und so die Artenzusammensetzung bestimmen. Dazu gleichen sie die gefunde- ne DNA mit Datenbanken ab, in denen bereits die Gensequenzen vieler Orga- nismen gespeichert sind. Die Methode wurde ursprünglich für Bakterien entwickelt, bei anderen Lebewesen kommt sie erst seit wenigen Jahren zur Anwendung. «Daher war die Frage, ob sie zum Beispiel für Fische oder Wale ebenfalls funktioniert», sagt Pellissier. Genau dies untersuchte das Team auf der Malpelo-Expedition. Die Forschenden verglichen, ob sie mit Hilfe von eDNA genauso viele Tierarten entdecken konnten wie mit einer herkömmlichen Bestimmungsmethode. Dazu WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 2 2021
In den Gewässern um die kleine Insel Malpelo ist die Biodiversität ungewöhn- lich hoch, wie WSL-Forschende mittels DNA-Analysen bestätigen konnten. Hier leben fast 400 Fischarten oft in gro- ssen Schwärmen, etwa diese Exemplare aus der Familie der Haemulidae. Das reiche Nahrungsangebot lockt viele grosse Raubfische an, wie diesen Hai der Gattung Carchar- hinus. Auch bedrohte Haiarten können sich hier vermehren: Malpelo zählt zum UNESCO-Weltnatur erbe und steht unter Schutz. Illegale Fischerei ist aber trotz scharfer Kontrollen ein Problem. SCHWERPUNKT EXPEDITION 18/13
An den steil abfallenden Felsen wachsen Korallen, auf denen mehr als 340 Arten von Schnecken und anderen Weichtieren leben. Das Naturreservat Malpelo, Kolumbien. WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 2 2021
machten Taucherinnen und Taucher mit speziellen Videokameras Aufnahmen der Tierwelt unter Wasser. Gleichzeitig sammelten die Forschenden Wasserpro- ben für die DNA-Analyse. «Unsere Arbeit war ein voller Erfolg», sagt Pellissier. Mittels eDNA-Ana- lyse fanden die Forschenden nicht nur jene Arten, die sie bei ihren Tauchgän- gen und auf den Videoaufnahmen entdecken konnten, sondern etliche weitere. Eine davon war eine sehr seltene und scheue Walart, der Kleine Pottwal (Ko- gia sima), den bisher noch nie jemand vor Malpelo gesichtet hatte. Ähnliche Experimente führten die Forschenden vor der Karibikinsel Providencia und an Flussläufen im kolumbianischen Urwald durch, gemeinsam mit Wissenschaf- Projekt Vigilife (auf terinnen und Wissenschaftern des kolumbianischen Meeres- und Küstenfor- Englisch): vigilife.org/en schungsinstituts Invemar. «Dabei konnten wir unsere Methode so weiterent- wickeln, dass sie nun routinemässig eingesetzt werden kann.» Globales Netzwerk im Aufbau eDNA-Analysen sollen künftig genutzt werden, um ein weltweites Langzeit-Mo- nitoring der Biodiversität aufzubauen. Das ist das Ziel eines Mammutprojekts namens «Vigilife», an dem auch Pelissier mit seiner Gruppe beteiligt ist. Initi- iert hat es die französische Biotech-Firma Spygen, mittlerweile beteiligen sich bereits etwa zwanzig Forschungsinstitutionen und Firmen. Die Vision ist, durch die Analyse von Wasser- und Bodenproben an tausenden Orten Veränderun- gen in Ökosystemen zu verfolgen und Bedrohungen frühzeitig zu erkennen, zum Beispiel das Auftauchen invasiver Arten. Die Informationen können Ent- scheidungsträger nutzen, um Schutzmassnahmen zu planen. Pellissier beteiligt sich derzeit an einem französisch-schweizerischen Pro- jekt, das ein Langzeit-Monitoring für den Fluss Rhone aufbaut. Zu einem glo- balen Monitoring müssen jedoch viele Länder beitragen. Da die Analyse von Umwelt-DNA verhältnismässig günstig ist, könnte dies nun auch für ärmere Staaten einfacher werden. «Es braucht aber auch das Know-how vor Ort», sagt Pellissier. Deshalb unterstützen er und weitere Expeditionsteilnehmer den Aufbau eines Analyselabors in Kolumbien. Mit diesem Land ist auch Pellissiers persönliche Geschichte verknüpft: Auf der Expedition 2018 lernte er seine heutige Frau kennen, eine kolumbianische Forscherin. Zwei Jahre später kehrten die beiden für ihre Hochzeitsreise zur Karibikinsel Providencia zurück, wo sie zuvor geforscht hatten. Doch die Insel war gerade von einem Wirbelsturm getroffen worden, der den paradiesischen Ort verwüstet hatte. Für Pellissier ein Schlüsselerlebnis: «Mir ist da erst so rich- tig bewusst geworden, wie verletzlich die Natur ist.» (cho) SCHWERPUNKT EXPEDITION 20/21
Dominik Haas-Artho, Birmensdorf «Ich bin gerne beim Locher- gut in Zürich-Wiedikon. Hier gibt es ein paar sehr gute asiatische Restaurants, die mich mit meinen Reisen nach Ostasien verbinden. Mein klarer Favorit ist «Miki Ramen», die vegeta- rischen Ramen-Nudelsuppen sind super lecker.» Bild: Bruno Augsburger, Zürich U M W E LT D A T E N V E R S T Ä N D L I C H D A R S T E L L E N Dominik Haas-Artho ist Softwareentwickler für das die Umweltdaten möglichst einfach zu nutzen sind. Umwelt-Datenportal envidat.ch. Auf EnviDat wer- Dabei hilft ihm seine Erfahrung als Game Desig- den Daten aus Monitoring- und Forschungsprojek- ner. «Die Arbeit gefällt mir, weil das Thema Umwelt ten der WSL veröffentlicht. Haas’ Aufgabe ist es, und Nachhaltigkeit wichtig ist und ich an der WSL die Website ansprechend zu gestalten, so dass einen Beitrag dazu leisten kann.» (bki) WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 2 2021
WALD Ein neues Werkzeug hilft Forstbetrieben, die Waldleistungen der Zukunft zu planen Mehr oder weniger Holzschlag? Was Forstleute heute entscheiden, beeinflusst die Waldleistungen der Zukunft. Jahrhundertelang planten Förster besser oder schlechter liefern können. und Waldbesitzer vorwiegend mit Der Prototyp verknüpft ein Schwei- Blick auf optimale Holzerträge. Heu- zer Waldwachstumsmodell mit Forst- te sollen Wälder möglichst vielfältige betriebsdaten und Kriterien, wie gut Funktionen erfüllen, zum Beispiel bestimmte Waldleistungen erfüllt Wasser und Luft säubern, vor Natur- sind. Variieren kann man die Art der gefahren schützen, Naturvielfalt be- Waldbewirtschaftung, aber auch das herbergen, Kohlenstoff aufnehmen Klima der Zukunft. und als Erholungsort dienen. Die Damit haben die Forschenden Strategie der Waldbewirtschaftung für drei Forstbetriebe Simulationen beeinflusst, welche Waldleistungen bis zum Jahr 2060 durchgeführt. Für gefördert werden. «Das macht die zwei Mittellandbetriebe setzten sie Planung der Forstbetriebe immer Holzertrag respektive Biodiversität komplexer und unüberschaubarer», und Erholungsqualität als Hauptziel, sagt Timothy Thrippleton aus der für jenen in den Voralpen die Schutz- WSL-Gruppe Nachhaltige Forstwirt- funktion. Es stellte sich heraus, dass schaft. zwei der Betriebe bereits heute eine Also haben er und seine Kolle- Bewirtschaftungsform anwenden, die gen an der WSL eine Entscheidungs- den höchsten Gesamtnutzen erzielt. Bild: Thomas Schöpfer hilfe entwickelt, mit der Forstbetrie- «Das zeigt, dass die Holznutzung in be simulieren können, welche diesen Betrieben bereits sehr nachhal- Leistungen ihre Wälder in Zukunft tig ist», sagt Thrippleton. Nur ein Be- KERNTHEMEN 22/23
trieb könnte das Ziel Biodiversität schungsprogramms «Nachhaltige und Erholungsnutzen mit reduzierter Wirtschaft» entstanden. Eine grafi- Holznutzung bis 2060 besser errei- sche Benutzeroberfläche, die das chen. Die Untersuchung zeigte, dass Werkzeug für alle zugänglich macht, bei allen Betrieben ein totaler Ver- ist derzeit in Planung. (bki) zicht auf Holznutzung die Option mit dem geringsten Gesamtnutzen wäre. www.wsl.ch/waldleistungen «Unser Modell kann Forstbe- trieben helfen, sich wissenschaftlich abgestützt für eine Bewirtschaftungs- strategie zu entscheiden», sagt Thrip- pleton. Der Prototyp ist im Rahmen eines Projekts des Nationalen For- WALD Dürre stoppt Zuckertransport zu den Wurzeln Regnet es lange nicht, fallen die Bo- denmikroben im Wald in eine Art Trockenschlaf. Normalerweise helfen diese Bakterien und Pilze dem Baum, Spurenelemente und Wasser aufzu- nehmen, und bekommen dafür Koh- lenhydrate als Nahrung in Form von Zucker. Benötigen sie weniger Zu- cker, sinkt die Nachfrage und der Baum stoppt den Transport von der Krone nach unten. Dies zeigen erste Resultate eines Grossversuchs, den WSL-Forschende Eingepackte Föhren im Pfynwald (VS), wo für diese Baumart grenzwertig trockene Bedingungen herrschen. im Pfynwald im Wallis durchgeführt haben: Sie packten die Baumkronen an. «Dann können auch die Bäume hundertjähriger Föhren für ein paar wieder Wurzeln bilden und Nährstof- Stunden in Plastiksäcke ein und fe aufnehmen», sagt der Studienleiter liessen sie mit stabilen Isotopen mar- und Waldökologe Arthur Gessler. kiertes Kohlendioxid (CO2) «einat- Erst wenn es für lange Zeit trocken men», aus dem die Bäume Zucker bil- bleibt, wachsen die Wurzeln weniger den. Wohin diese transportiert und entsprechend auch Blätter und werden, lässt sich anhand der Mar- Holz. Die Bäume speichern dann kierung verfolgen. Nach nur vier Ta- auch weniger CO2. Wenn also mit der gen waren markierte Zucker im Bo- Klimaerwärmung sehr trockene Som- den nachweisbar und flossen sogar mer gebietsweise zunehmen, könnten ein Jahr später noch aus Stamm und Wälder weniger des Treibhausgases Nadeln in den Boden. einlagern als erhofft. Bild: Gottardo Pestalozzi, WSL (bki) Der bei Trockenheit gestoppte Zuckertransport setzte beim nächs- www.wsl.ch/pfynwald ten Regenschauer sofort wieder ein und kurbelte die Mikrobenaktivität WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 2 2021
Damit sie zu engagierten Erwachsenen L ANDSCHAF T werden: Kinder ab ins Grüne! dass diese beeinflussen, ob jemand Natur- und Umweltschutz wichtig findet. Aber von «wichtig finden» zu «sich engagieren» ist es nochmals ein grosser Schritt. Deshalb befragte Dubernet fast tausend Personen, wie oft und unter welchen Umständen sie als Kinder Zeit in der Natur verbracht hatten. Dafür entwickelte und testete sie ei- nen Fragebogen. Das klingt einfacher als es ist. Nur schon der Begriff «Na- turaufenthalt». Gelten eine Stunde im Sandkasten zwischen Wohnblöcken und das Fussballspiel auf dem Pau- senplatz als solcher, oder braucht es dafür Wald, Wiesen, Wildnis? Duber- nets Lösung ist ausgeklügelt. Der as- phaltierte Schulhof oder die Strasse zählen genau so wenig wie der Schul- oder Einkaufsweg; die von Menschen gestaltete natürliche Umgebung wie Parks, Gärten oder auch Brachen hin- gegen schon. Und gemäss Definition gehören auch «die Tier- und Pflan- zenwelt, das Grüne, das Blaue, das Wilde und das Chaotische» zur Na- tur. So ist ein Naturaufenthalt auch Wer als Kind viel Zeit mit freiem Spiel in der Natur verbracht hat, engagiert sich als Erwachsene eher für die Umwelt. im städtischen Umfeld möglich. Die Klima- und Biodiversitätskrise Unbeaufsichtigt wirkt am sind riesige Herausforderungen für besten unsere Gesellschaft. Um sie zu bewäl- Zudem musste die Datenwissen- tigen, müsste sich jede und jeder für schafterin herausfinden, wie sich das Natur- und Umweltschutz einsetzen. heutige Engagement zugunsten der Die Realität ist anders: Einige Men- Umwelt messen lässt, und zwar mög- schen engagieren sich, viele aber lichst ohne Verzerrungen durch nicht. Die Datenwissenschafterin Ilka Wunschdenken der Umfrageteilneh- Dubernet wollte herausfinden, wor- menden. Dazu setzte sie unter ande- an das liegt. rem auf ein sogenanntes «Choice Ex- Sie vermutete, dass Naturaufent- periment»: Die Befragten entschieden, Bild: Birgit Ottmer, WSL halte in der Kindheit prägend für das wie sie in hypothetischen Situationen Umweltengagement im Erwachse- handeln würden – ob sie beispielswei- nenalter sind. Es ist bereits bekannt, se eher einen Facebook-Post einer KERNTHEMEN 24/25
Partei teilen oder aktiv bei einer In- zu lassen.» Sollen Eltern also künftig formationskampagne mitwirken ihre Kinder jeden Mittwochnachmit- würden. tag alleine in den Wald schicken? Die Die Auswertung zeigt, dass Na- Forscherin lacht: «Naturaufenthalte turaufenthalte in der Kindheit das fördern, dass sich Kinder später für spätere Engagement für die Umwelt die Natur engagieren. Die Welt ist da- tatsächlich fördern. Spannend ist ins- mit nicht gerettet. Aber immerhin besondere, dass es vor allem unbeauf- sind erste Schritte getan.» (bio) sichtigte, unorganisierte Naturauf- enthalte sind, die einen positiven Einfluss haben. Dubernet folgert: «Es ist also wichtig, nicht die ganze Zeit unserer Kinder zu verplanen, sondern sie auch mal alleine draussen machen Die Glatt: vom Hinterhof-Kanal L ANDSCHAF T zum städtischen Naherholungsgebiet Die Glatt fliesst vom Greifensee durch Dübendorf, Wallisellen, Opfi- kon und Schwamendingen – ein dicht besiedeltes Entwicklungsgebiet der Stadt Zürich. Der Kanton möchte den Fluss als «grüne Infrastruktur» aufwerten, um den steigenden Bedarf an Naherholung zu decken. Erfah- rungen mit Projekten im städtischen Umfeld, die den Fokus auf die Erho- lung richten, gibt es aber noch kaum. Darum untersuchen Marius Fank- Sitzgelegenheiten laden zum Verweilen ein und hauser und Matthias Buchecker, wie steigern die Erholungsqualität. die Glatt heute genutzt wird und wie ihr Erholungspotenzial erhöht wer- und störende Orte sowie ihre bevor- den kann. zugten Routen auf Karten eingezeich- net. Es zeigt sich: An vielen Stellen ist Beliebt, aber zu laut der Verkehr zu laut und es fehlen Plät- Die Forscher möchten die Erholungs- ze zum Verweilen. Enge, dunkle Stel- suchenden und ihre Ziele so gut ver- len wie Unterführungen werden als stehen, dass sie künftig mit einem gefährlich empfunden. Dennoch ge- Computermodell die Auswirkungen fällt die Glatt den meisten. verschiedener Aufwertungsmassnah- Die Arbeit dient nun als Hilfs- men auf das Erholungsverhalten si- mittel bei der Planung des Projekts Bild: Marius Fankhauser, WSL mulieren können. Anwohnerinnen «Fil Bleu Glatt», einem durchgehen- und Anwohner haben deshalb online den Weg entlang der Glatt. (bio) nicht nur Fragen beantwortet, son- dern auch besonders bedeutungsvolle WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 2 2021
L ANDSCHAF T«Die Attraktivität einer Landschaft hat viel mit ihrer Bedeutung für die Menschen zu tun» Erholung und Sport im Freien sind es auch gesellschafts- und grup- gefragter denn je, das hat nicht zu- penspezifische Vorlieben. Diese wer- letzt der Lockdown im Frühling 2020 den stark von der Bedeutung eines gezeigt. Der Aufenthalt im Naherho- Ortes geprägt, den dieser für die lungsgebiet hat einen positiven Ein- Menschen hat. fluss auf unsere Gesundheit. Doch was zeichnet eine erholsame, attrak- Inwiefern? tive Landschaft aus und wo kommt Der Ort, an dem wir aufge- es zu Interessenskonflikten? Solche wachsen sind, hat für uns zum Bei- Fragen diskutieren WSL-Landschafts spiel eine spezielle Bedeutung und ökologe Felix Kienast und seine Kol- wir fühlen uns dort wohl – auch leginnen und Kollegen an der dies- wenn ihn Aussenstehende vielleicht jährigen WSL-Tagung «Forum für als hässlich bezeichnen. Aber auch Wissen» Ende November 2021. über Social Media kann eine solche Bedeutung geschaffen werden, dann Felix Kienast, was macht eine wollen alle dorthin, das hat etwa Landschaft erholsam? der Hype um das Berggasthaus Die Forschung hat gezeigt, dass Äscher in der Region Alpstein ein- Orte mit Wasser, Aussicht und reich drücklich gezeigt. Verhindern lässt strukturierte Landschaften eine sich das kaum. Wir können solche hohe Zustimmung und generell ei- Fälle aber zumindest für die For- nen hohen Erholungswert haben. schung nutzen: In einem Projekt mit Diese Präferenzen sind weltweit der Universität Zürich werten wir ähnlich. Umgekehrt gibt es Orte, an Daten aus den sozialen Medien aus. denen sich niemand gerne aufhält, So erfahren wir, über welche Land- weil der Stresslevel dort steigt, an- schaften sich die Leute austauschen statt wie in einer erholsamen Land- und können so Landschaftspräfe- schaft zu sinken. Urbane Pärke zum renzen herausfiltern. Beispiel werden nachts gemieden, weil sie dunkel und unübersichtlich Aber ein solcher Hype um eine sind. Auch dicht befahrene Strassen Landschaft kann auch zu Konflik- sind aufgrund des Verkehrslärms ten führen. Orte, an denen sich niemand länger Das stimmt. Rund um die gro- als nötig aufhält. Derzeit untersucht ssen Städte konzentrieren sich bei die WSL zusammen mit der Empa schönem Wetter viele Menschen an solche Orte mit hoher Lärmbelas- sogenannten Hotspots, vor allem an tung und deren Auswirkung auf die Gewässern oder im Wald. Die gröss- menschliche Gesundheit. ten Konflikte entstehen sicherlich dort, wo die Sicherheit oder die Na- Braucht es denn immer Wasser und tur beeinträchtig werden, also wenn Felix Kienast ist Aussicht, damit sich Menschen Biker auf Wanderinnen treffen oder Titularprofessor für Landschaftsökologie erholen können? Bootsführende zu nah und zu an der ETH Zürich Nicht unbedingt. Neben den schnell an einem Schilfgürtel vorbei- Bild: zvg und Senior Scientist an der WSL. allgemein gültigen Präferenzen gibt fahren. Aber vermutlich gibt es auch KERNTHEMEN 26/27
Landschaften am Wasser haben generell einen hohen Erholungswert. dann Konflikte, wenn gegensätzli- nen. Und mit guter Besucherlenkung che Bedeutungen, die eine Land- kann man viel erreichen, das haben schaft für unterschiedliche Men- wissenschaftliche Auswertungen der schen hat, aufeinanderprallen. Dazu WSL solcher Lenkungsmassnahmen weiss man noch wenig. Diesen As- gezeigt. pekt möchten wir gerne an der Ta- gung diskutieren. Wird sich der Trend nach Erholung vor der Haustüre auch nach der Wo muss man eingreifen und Pandemie fortsetzen? etwa die Natur vor den Menschen Das wird sich zeigen, allenfalls schützen? entsteht sogar ein Nachholbedarf Es gibt Gebiete, die einfach bezüglich Fernreisen und die heimi- nicht betreten werden dürfen, etwa schen Erholungsräume werden sehr empfindliche Biotope wie die dadurch wieder entlastet. In der Kernzonen von Hochmooren. Ge- Gruppe Sozialwissenschaftliche nerell bin ich aber der Meinung, Landschaftsforschung der WSL dass das Aussperren der Menschen laufen derzeit diverse Untersuchun- aus der Landschaft die allerletzte gen zu diesem Thema, die am Massnahme sein muss. Leider– so Forum für Wissen erstmals präsen- behaupte ich – wird das in der tiert werden. (lbo) Schweiz immer öfter gemacht, auch bei unproblematischen Habitaten. Das «Forum für Wissen» zum Thema «Erhol- same Landschaft» findet am 30. November Dies untergräbt die Schweizer Tra- an der WSL in Birmensdorf und online statt. dition des öffentlichen Zugangs im Tagungssprache ist Deutsch. Eine Anmeldung ist möglich bis Mitte November 2021: www.wsl.ch/ Wegenetz. Ich bin überzeugt, dass forum. die Leute über Umweltbildung, zum Bild: Markus Bolliger Beispiel mithilfe von Rangern, zu ei- ner verantwortungsvollen Erho- lungsnutzung gebracht werden kön- WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 2 2021
Gefahr von Hangrutschungen: N AT U R G E F A H R E N Die Bodenfeuchte ist ein guter Indikator von 35 bestehenden Messstationen in der ganzen Schweiz, welche konti- nuierlich die Feuchte in bis zu einein- halb Meter Tiefe erfassen. Die For- schenden verglichen diese Daten mit Rutschungen aus der WSL-Unwetter- schadens-Datenbank. Das Ergebnis ist vielverspre- chend: «Die zeitliche Veränderung der Bodenfeuchte eignet sich gut, um die regionale Gefahr von Rutschun- gen vorherzusagen», sagt WSL-Dok- torand Adrian Wicki. Am besten funktioniert dies bis fünfzehn Kilo- meter um den Messstandort, darüber hinaus nimmt die Genauigkeit ab. Derzeit untersuchen die Forschenden, wie sich Lücken im Messnetz mit Hil- fe von Computersimulationen ergän- zen lassen. Messstationen stehen aus prak- tischen Gründen meist in flachem Ge- lände – Rutschungen treten hingegen an Hängen auf. Um herauszufinden, Installation einer Bodenfeuchte-Messstation bei Ranflüh (BE): Forschende ob Messungen an flachen Standorten verkabeln die Sensoren, die im Bodenprofil stecken, mit dem Datenlogger. genauso aussagekräftig sind wie an Erdrutsche an steilen Hängen oder steilen, installierten die Forschenden Böschungen richten in der Schweiz für einen direkten Vergleich verschie- jedes Jahr Millionenschäden an und dene Stationen im Napfgebiet (BE). gefährden Menschenleben. Sie ereig- Vorläufige Auswertungen zeigen, nen sich meist nach heftigen Regen- dass es nur kleinere Unterschiede fällen wie etwa im Sommer 2021. gibt. Doch wo und wann solch flach Die Resultate dienen als Beurtei- gründige Rutschungen auftreten, ist lungsgrundlage für das Bundesamt schwierig vorherzusagen. für Umwelt, welches in den kommen- Deshalb untersuchen Forschen- den Jahren ein nationales Warnsys- de der WSL, welche Informationen tem für Hangrutschungen aufbauen sich für den Aufbau eines Frühwarn- will. (cho) systems nutzen lassen. Bisherige Stu- dien konzentrierten sich meist auf die www.wsl.ch/video-hangrutschungen Niederschlagsmenge. Die Forschen- Bild: Adrian Wicki, WSL den verfolgen hingegen einen neuen Ansatz: Sie verwenden Messdaten zur Bodenfeuchte. Diese stammen KERNTHEMEN 28/29
Matthias Gerber, Davos «Am Dorfberg oberhalb vom Davoser See gehe ich gerne am Sonntagmorgen mit meiner Hündin Xelie laufen. Es hat kaum Leute, man kann die Ruhe geniessen und hat einen wunderschönen Blick auf das Tal und die um liegenden Berge.» E N T W I C K L U N G V O N W A R N - U N D I N F O R M AT I O N S S Y S T E M E N Bühler, SLF Zürich YvesAugsburger, Matthias Gerber leitet am SLF das Team, wel- täten von der Arbeit profitieren kann und umge- ches die Software der Lawinenwarnung sowie kehr t.» Denn im Winter bildet er seine Informationssysteme für Naturgefahrenverant- Schäferhündin für die Lawinenrettung beim SAC Bruno Bilder: wortliche und die Öffentlichkeit entwickelt. Auch aus, im Sommer üben sie bei REDOG die Suche Bild: in seiner Freizeit dreht sich alles um Naturge- nach Verschütteten in Trümmern. (ro) fahren. «Mir gefällt, dass ich bei diesen Aktivi- WSL-MAGAZIN DIAGONAL NR. 2 2021
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