Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie
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147 8 Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie Wulf-Dietrich Leber und Ronald Schwarz Inhaltsverzeichnis 8.1 Reformstau und kollektive Pandemieerfahrung – 149 8.2 Komponenten der Krankenhausfinanzierung im Status quo – 150 8.2.1 Die Vergütungskomponenten im Überblick – 150 8.2.2 DRG-Systematik – 151 8.2.3 Investitionsfinanzierung – 154 8.2.4 Pflegefinanzierung – 154 8.2.5 Vergütung psychiatrischer Leistungen – 155 8.2.6 Weitere Vergütungselemente – 155 8.2.7 Vergütung ambulanter Krankenhausleistungen – 157 8.3 Finanzierung in der Pandemie – 157 8.3.1 Freihaltepauschale – 157 8.3.2 Corona-Ausgleich für 2020 und 2021 – 160 8.3.3 Aufbau von Intensivbetten – 161 8.3.4 Weitere Corona-Folgenfinanzierung – 161 8.3.5 Das Goldene Jahr der Krankenhausfinanzierung – 162 8.4 Reformen nach der Pandemie – 163 8.5 Vorhaltefinanzierung – 165 8.5.1 Abkehr von der reinen Leistungsfinanzierung – 165 8.5.2 Grundprinzipien einer Vorhaltefinanzierung – 165 8.5.3 Modell einer Vorhaltefinanzierung der Kinder- und Jugendmedizin – 166 © Der/die Autor(en) 2022 J. Klauber et al. (Hrsg.), Krankenhaus-Report 2022, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64685-4_8
8.6 Weitere Modifikationen der Krankenhausfinanzierung – 167 8.6.1 Qualitätsorientierte Krankenhausfinanzierung – 167 8.6.2 Regionalbudgets – 168 8.6.3 Finanzierung von Versorgungsstufen – 169 8.7 Zukünftige Vergütung von Pflegeleistungen – 170 8.7.1 Probleme des „Pflexit“ – 170 8.7.2 Pflegepersonal: Untergrenzen und Bedarfsermittlung – 171 8.8 Vergütungsstruktur und Versorgungsstruktur – 172 8.9 Fazit: Allgemeinpolitischer Handlungsbedarf nach der Pandemie – 173 Literatur – 174
8.1 Reformstau und kollektive Pandemieerfahrung 149 8 2Zusammenfassung for keeping beds free and classic investment Die kollektive Pandemieerfahrung wird abseh- financing. Other reform options (e.g., quality bar einen Einfluss auf die Reformdebatte zur orientation, regional budgets) are described in Vergütung von Krankenhausleistungen haben. this article but regarded with skepticism. Re- Nicht zuletzt aufgrund des starken Fallzahl- forming the structure of care is likely to be rückgangs steigt die Kritik an einer leistungs- more important than reforming the structure of orientierten Vergütung und der Ruf nach einer reimbursement. Budgetgarantie wird lauter. Eine Analyse der gegenwärtigen Vergütungssystematik zeigt zu- nächst, dass die DRG-Fallpauschalen durch 8.1 Reformstau und kollektive zahlreiche weitere Vergütungskomponenten er- Pandemieerfahrung gänzt wurden. In der Pandemie kamen, insbe- sondere durch die Freihaltepauschalen, wei- tere Instrumente hinzu. Bedeutsam ist der Eine Reform der Krankenhausvergütung und Wiedereinstieg des Bundes in die Kranken- eine Neustrukturierung der Krankenhausland- hausfinanzierung. Ein zentraler Reformschritt schaft in Deutschland gelten seit längerem als in Richtung einer weniger fallzahlabhängi- überfällig. Bislang wurden jedoch keine ge- gen Vergütung könnte die Vorhaltefinanzierung setzgeberischen Konsequenzen gezogen aus aus Bundesmitteln sein. In ihrer Systematik der Erosion der Investitionsfinanzierung, der müsste sie sich klar von Freihaltepauscha- mangelnden Ambulantisierung, der nach wie len und klassischer Investitionsfinanzierung vor unzulänglichen Konzentration des Leis- unterscheiden. Andere Reformoptionen (u. a. tungsgeschehens sowie den Überkapazitäten Qualitätsorientierung, Regionalbudgets) wer- in den Ballungszentren. Auch die Notfallver- den dargestellt, aber eher skeptisch beurteilt. sorgung gilt zu Recht als reformbedürftig. Bedeutsamer als eine Reform der Vergütungs- Möglicherweise waren die sprudelnden Bei- struktur dürfte die Reform der Versorgungs- tragsgelder der letzten zehn Jahre ursächlich struktur sein. für den Reformstau. Das Spektrum an Reformvorschlägen ist The collective pandemic experience will fore- extrem heterogen und reicht von der Abschaf- seeably have an impact on the reform debate fung des DRG-Systems über die Aufhebung on the remuneration of hospital services. Not von Sektorengrenzen bis hin zu einer komplett least because of the sharp drop in the num- neuen Krankenhausplanung. Inmitten dieser ber of cases, there is an increased criticism Reformdebatte kam die Coronapandemie. Die of performance-based remuneration and calls folgende Argumentationskette geht davon aus, for a budget guarantee are growing louder. dass die kollektive Pandemieerfahrung wirk- An analysis of the current remuneration sys- mächtig den Gang der gesundheitspolitischen tem shows that the DRG flat rates per case Diskussion zur Neuordnung der stationären have been supplemented by numerous other re- Versorgung beeinflussen wird. muneration components. Further instruments Zunächst wird das bestehende Vergütungs- were added during the pandemic, in particular system dargestellt, das einige für zahlrei- through the lump sums for beds kept free. The che Versorgungsmängel verantwortlich ma- re-entry of the federal government into hos- chen. Es zeigt sich, dass auf Basis der pital financing is significant. The provision of DRG-Fallpauschalen ein hochkomplexes Ver- financing from federal funds could be a central gütungssystem mit zahlreichen Komponenten reform step in the direction of a reimburse- entstanden ist, das zahlreiche ergänzende An- ment that is less dependent on the number of reizwirkungen enthält, so z. B. die Verschie- cases. In terms of its systematics, it would have bung von Kosten in das Pflegebudget (siehe to be clearly distinguished from lump sums 7 Abschn. 8.2).
150 Kapitel 8 Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie Die Coronapandemie hat eine völlig neue risch keinen Bestand haben wird und deshalb Situation geschaffen: Statt der allgemein er- neue Instrumente zur Bestimmung von Pfle- warteten Überlastung des Gesundheitswesens gebedarf und Pflegeleistung entwickelt werden zeigte sich eine bis dato beispiellose Fall- müssen. zahlreduktion im Krankenhausbereich. Inwie- Abschließend stellt sich die Frage, ob weit dies ursächlich auf die Freihaltepauscha- Deutschland vorrangig eine Reform des Ver- len zurückzuführen ist, muss der rückblicken- gütungssystems braucht oder ob vielmehr eine den gesundheitspolitischen Analyse überlas- Reform der Versorgungsstrukturen im Vor- sen bleiben. Faktum ist eine Vielzahl neu- dergrund stehen sollte (siehe 7 Abschn. 8.8). er Finanzierungsinstrumente (Förderung von Durch eine veränderte Krankenhausplanung Intensivbetten, Freihaltepauschalen, Corona- der Länder wird diese nicht zu erwarten sein. Mehrkostenfinanzierung) und ein Novum: Der Vielmehr dürften bundeseinheitliche Quali- Bund steigt wieder in die Krankenhausfinan- tätsanforderungen geeignet sein, die notwendi- zierung ein (siehe 7 Abschn. 8.3)! ge Trendwende zu einer stärker spezialisierten Noch ist die Pandemie nicht zu Ende. Es und konzentrierten Versorgung einzuleiten. deutet sich aber an, dass „das neue Normal“ nicht der Zustand vor der Pandemie sein wird. Natürlich ist vieles Spekulation, aber höchst- Komponenten der 8 wahrscheinlich wird es nie wieder so viele 8.2 Krankenhausfinanzierung innerdeutsche Flüge geben und höchstwahr- scheinlich werden nie mehr so viele Menschen im Status quo gleichzeitig im Büro arbeiten. Vermutlich wird auch die Fallzahl im Krankenhaus nicht wie- 8.2.1 Die der dem Vorkrisentrend folgen. Die kollektive Vergütungskomponenten Pandemieerfahrung wird die Diskussion ver- im Überblick ändern: In Zeiten steigender Fallzahlen waren die Fallpauschalen populär, in Zeiten rückläu- figer Fälle wird der Ruf nach Budgeterhaltung Der Kern des Vergütungssystems für deutsche lauter (siehe 7 Abschn. 8.4). Krankenhäuser sind die DRG-Fallpauschalen Einige Reformoptionen zur Vergütung (siehe 7 Abschn. 8.2.2). Insgesamt gibt es je- werden diskutiert. Im Zentrum steht eine Vor- doch eine vielfältige Vergütungsstruktur, die in haltefinanzierung (siehe 7 Abschn. 8.5), die der Pandemie sogar noch um einige Kompo- aus der Pandemie heraus eine breite Reso- nenten erweitert wurde. Da viele dieser Kom- nanz erfahren hat, weil Krankenhäuser aufge- ponenten Gegenstand der Reformdiskussion fordert waren, für Covid-19-Patientinnen und sind und die Reform vorrangig in einem ande- -Patienten Intensivkapazitäten freizuhalten. Es rem „Mischungsverhältnis“ der Komponenten wird gezeigt, dass Vorhaltefinanzierung nicht bestehen könnte, lohnt ein kurzer Überblick mit Freihaltepauschalen gleichzusetzen ist. und der Versuch einer Quantifizierung. Andere Modifikationen der Krankenhaus- Die ursprüngliche bedeutsamste zwei- finanzierung sind Qualitätsorientierung, Re- te Finanzierungskomponente neben den gionalbudgets und Finanzierung von Versor- DRG-Fallpauschalen war die Investitions- gungsstufen (siehe 7 Abschn. 8.6). Eine quan- förderung durch die Bundesländer (siehe titativ durchaus bedeutsame Finanzierungs- 7 Abschn. 8.2.3). Sie ist inzwischen zu komponente stellt nach dem DRG-Pflege-Split einer Marginalie geworden. Durch die die zukünftige Vergütung von Pflegeleistun- Ausgliederung der Pflegekosten aus den DRG- gen dar (siehe 7 Abschn. 8.7). Es ist da- Fallpauschalen im Jahre 2019 ist inzwischen von auszugehen, dass die jetzige Finanzierung das Pflegebudget zur zweitwichtigsten Finanz- nach dem Selbstkostendeckungsprinzip histo- komponente avanciert (siehe 7 Abschn. 8.2.4).
8.2 Komponenten der Krankenhausfinanzierung im Status quo 151 8 Ein eigenständiges Vergütungssystem mit Ta- pandemie flossen den Krankenhäusern wei- gespauschalen existiert für die Psychiatrie. tere Milliardenbeträge zu, was den DRG- Inwieweit es ebenfalls als leistungsorientierte Anteil weiter reduzierte. Das gilt auch für Vergütung bezeichnet werden kann, ist eine die rund 3 Mrd. C KHZG-Förderung (siehe Frage des Betrachtungswinkels. Nach wie vor 7 Abschn. 8.4). dominiert eine budgetorientierte Bestimmung des Finanzvolumens (siehe 7 Abschn. 8.2.5). Das DRG-System hatte – jenseits der 8.2.2 DRG-Systematik psychiatrischen Versorgung – von Anfang an eine Reihe ergänzender Finanzierungsinstru- mente, mit denen jene Komponenten vergütet Systematik und Wirkungsweise des DRG- werden sollten, die in einem Fallpauschalen- Fallpauschalensystems sind inzwischen Lehr- system nicht adäquat abgebildet sind (siehe buchwissen. Die jährlichen Berichte des In- 7 Abschn. 8.2.6): stituts für das Entgeltsystem im Kranken- 4 Sicherstellung ländlicher Krankenhäuser haus (InEK), die schwergewichtige (und we- 4 Funktion von Zentren nig erkenntnisreiche) Begleitforschung und 4 Neue Untersuchungs- und Behandlungs- rund tausend Seiten im Krankenhaus-Report formen (NUB) seit 2000 erübrigen eine nochmalige Darstel- 4 Besondere Einrichtungen lung an dieser Stelle. Das wesentliche Mo- tiv zur Einführung der leistungsorientierten Neu hinzugekommen ist inzwischen die diffe- Vergütung war die Abkehr vom Selbstkosten- renzierte Finanzierung von Notfallstufen. deckungsprinzip, dessen Anreizwirkung vor- An Bedeutung gewinnen inzwischen die nehmlich die Produktion von Kosten bewirk- ambulanten Krankenhausleistungen (siehe te. Die ersten Versuche eines Leistungsbezugs 7 Abschn. 8.2.7). Sie haben eine erstaunli- durch Fallpauschalen und Sonderentgelte ab che Formenvielfalt und eine zum Teil wenig 1995 blieben Stückwerk und führten schließ- transparente Vergütungssystematik – sofern lich zum Initialbeschluss im § 17b KHG, der dieses Wort überhaupt die Sachlage zutreffend Einführung des DRG-Systems. Die Vergütung beschreibt (Leber und Wasem 2016). von Leistungen statt der Vergütung von Kos- In der Coronapandemie sind einige quan- ten stieß zunächst auf massiven Widerstand der titativ bedeutsame Finanzierungskomponenten Krankenhäuser, erfreute sich aber angesichts hinzugetreten: Freihaltepauschalen, Förderung steigender Fallzahlen alsbald allgemeiner Be- von Intensivbetten, Mittel für coronabeding- liebtheit. Die Einführung eines „lernenden te Mehrkosten sowie Prämien für Pflege- Systems“ mit professioneller Weiterentwick- kräfte. Da sie nicht zum klassischen Vergü- lung durch das InEK auf Basis (einer später tungssystem gehören, werden sie gesondert in repräsentativen Auswahl) von kalkulierenden 7 Abschn. 8.3 dargestellt. Krankenhäusern war stilbildend. Eine Reihe von weiteren Vergütungskom- ponenten regelt quantitativ eher nachrangige 2Zahl der DRG-Fallgruppen Tatbestände und soll im Folgenden nicht näher Die Grundidee des DRG-Systems ist die Kon- diskutiert werden, so z. B. diverse Zuschläge densation von Abermillionen Prozeduren- und oder Entgelte im Falle einer Organentnahme. Diagnosekombinationen auf eine überschau- Der Versuch einer Quantifizierung ist bare Zahl von Fallpauschalen vermittels ei- . Tab. 8.1 zu entnehmen. Sie zeigt, dass die nes Gruppierungsprozesses. Inwiefern dies in DRG-Fallpauschalen im Jahr 2019 nicht ein- zufriedenstellender Weise gelingt, ist Gegen- mal mehr 60 % der Krankenhausvergütung stand einer nach wie vor virulenten Reformde- ausmachten. Bei der Reformdebatte sollte dies batte. So sieht z. B. der Bundesrechnungshof berücksichtigt werden. Infolge der Corona- (BRH) die Anzahl von DRGs ursächlich für
152 Kapitel 8 Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie . Tab. 8.1 Krankenhaus-Finanzierungskomponenten (2019) # Erläuterungen In Mio. Euro In % a b 1 aG-DRG-äquivalente Fallpauschalen ohne Pflegeanteil; 21er-Daten 56.097 57 b 2 Zusatzentgelte nur Somatik; 21er-Daten 3.002 3 c 3 Investitionsförderung Nominale KHG-Mittel 3.129 3 4 Pflegebudgeta, d 21er-Datenb 18.035 18 5 Psychiatrische Leistungen Ausgaben für vor-, teil- und vollstatio- 8.839 9 näre psychiatrische Fälle; 21er-Datenb 6 Sicherstellungszuschläge 21er-Datenb 18 0 b 7 Zentrumszuschläge 21er-Daten 92 0 8 NUB 21er-Datenb 620 1 9 Besondere Einrichtungene 21er-Datenb 618 1 10 Ambulante Krankenhausleistungen Hochrechnung 3.543 4 8 GKV-Abrechnungsdatenf 11 Sonstige (Ausbildung etc.) 21er-Datenb 4.791 5 Summe 98.785 100 a Ausgliederung des pflegebudgetrelevanten Anteils aus den berechneten Kosten (bewertete und unbewertete fallbezogene Entgelte) der somatischen vollstationären Fälle mit Aufnahme im Jahre 2019 durch Gewichtung von Relativgewicht und Pflegerelativgewicht der jeweiligen Fallpauschale im Katalog 2021 mit den Bezugsgrö- ßen für das Jahr 2021 (3.284,50 C bzw. 151,97 C) b Berücksichtigung aller Kostenträger c Quelle: DKG, Bestandsaufnahme zur Krankenhausplanung und Investitionsfinanzierung in den Bundesländern 2020 d einschließlich Pflegesonderprogramm und Ausgaben für Pflegezuschlag nach § 8 Absatz 10 KHEntgG e Gesamtkosten aller somatischen Fälle mit dokumentierter Behandlung in einer besonderen Einrichtung sowie Vorhaltekosten für besondere Einrichtungen f Daten für GKV-Ausgaben hochgerechnet auf alle Kostenträger Krankenhaus-Report 2022 die Häufigkeit strittiger Abrechnungsfragen wieder zur weiteren Differenzierung des Sys- (BRH 2019). De facto bewegt sich die Anzahl tems und wird stark gefördert durch den jähr- von DRGs auf einem seit ca. zehn Jahren stabi- lichen Extremkostenbericht des InEK.1 Der len Niveau (. Abb. 8.1). Handlungsleitend bei Streit um die einst mangelnde Repräsentati- der Einführung einer weiteren Differenzierung vität der Kalkulationsstichprobe wurde zwi- sind in der Regel die Forderungen von Spezial- schenzeitlich entschärft, seit das InEK zur versorgern (z. B. Universitäten), hochpreisige Verbesserung der Repräsentativität Kranken- Versorgung besser abzubilden. häuser im Rahmen einer Stichprobenziehung Gegenstand einer anhaltenden Debatte ist zur Kalkulation verpflichten kann. zudem die Frage, ob das DRG-System stärker diagnoseorientiert oder aber stärker prozedu- renorientiert ausgerichtet sein sollte (Stich- wort: DRG versus PRG). Die Forderung, die wirklichen Kosten abzubilden, führt immer 1 Vgl. 7 www.g-drg.de.
8.2 Komponenten der Krankenhausfinanzierung im Status quo 153 8 1.400 1.318 1.292 1.255 1.292 1.275 1.192 1.200 1.194 1.193 1.187 1.196 1.200 1.220 1.200 1.137 1.082 1.000 954 878 824 800 664 600 400 200 0 V1.0 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 Krankenhaus-Report 2022 . Abb. 8.1 Anzahl der DRGs in Deutschland seit 2003 (Datenquelle: InEK) 2Abbildung von Kinder- und in den Kalkulationshäusern. Wird die glei- Jugendmedizin che Leistung über DRGs finanziert, so wer- Schon in den ersten DRG-Versionen wurde den die Sachkosten ca. 15 % höher vergü- die gesonderte Abbildung von Leistungen der tet. Laut Krankenhausstrukturgesetz (KHSG)2 Kinder- und Jugendmedizin angegangen. In- hatte deshalb die Selbstverwaltung mit Wir- zwischen gibt es via Alterssplit rund 300 Grup- kung ab 2017 die Kalkulationssystematik so zu pen für Kinder. Gleichwohl gibt es vernehm- ändern, dass dieser Effekt abgeschwächt wur- bare Forderungen, die Finanzierung von statio- de (laut Vereinbarung zunächst 50 %, ab 2018 närer Kinderversorgung aus dem DRG-System bis 2021 60 %).3 auszugliedern, so z. B. die gesundheitspoliti- sche Forderung in den Wahlprogrammen der 2Gezielte Absenkung von SPD. Die Herausnahme aus dem DRG-System mengenanfälligen Leistungen würde die Frage eines alternativen Vergü- Im Grundsatz ist die Weiterentwicklung des tungssystems aufwerfen. Nach den Erfahrun- DRG-Systems regel- und kalkulationsbasiert: gen mit der Selbstkostendeckung im Pflege- Maßgeblich für die Relativgewichte sind die budget dürfte eher nach anderen Alternativen Ergebnisse aus kalkulierenden Krankenhäu- gesucht werden. In 7 Abschn. 8.5.3 wird die sern. Die medizinisch nicht indizierten Men- Sicherstellung der Kinderversorgung durch ei- genausweitungen haben den Gesetzgeber be- ne gezielte Finanzierung von Vorhaltekosten wogen, mit dem KHSG gegenzusteuern: Bis empfohlen. zum 31.05.2016 hatten die Spitzenverbands- 2Korrektur aufgrund der Überbewertung 2 Gesetz zur Reform der Strukturen der Krankenhaus- von Sachkosten versorgung (Krankenhausstrukturgesetz – KHSG) Durch die Steigerung der Basisfallwerte über vom 10.12.2015. die Kostendaten der Krankenhäuser hinaus er- 3 Vereinbarung gemäß § 17b Absatz 1 Satz 6 KHG zur Korrektur der Anteile der Sachkosten in den gibt sich eine Diskrepanz in der Kalkulati- Bewertungsrelationen (Sachkostenvereinbarung) vom on: Wird eine Leistung über ein Zusatzent- 09.04.2020 für das Systemjahr 2021, abrufbar auf gelt finanziert, entsprechen die Kosten denen 7 www.gkv-spitzenverband.de.
154 Kapitel 8 Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie partner gezielte Absenkungen vorzunehmen, nisierungen aus den DRG-Fallpauschalen zu bei denen es Anhaltspunkte für im erhöhten finanzieren. Maße wirtschaftlich begründete Fallzahlstei- gerungen gab. Im Rahmen einer Schiedsstelle wurden schließlich operative Hüftendoprothe- 8.2.4 Pflegefinanzierung tik und Eingriffe an der Wirbelsäule abgesenkt bzw. abgestaffelt.4 Die Regierungskoalition hat im Jahre 2018 beschlossen8 , die Pflegepersonalkosten besser 8.2.3 Investitionsfinanzierung und unabhängig von Fallpauschalen zu ver- güten. Die DRGs wurden mit Wirkung zum 01.01.2019 um die Pflegepersonalkostenver- Das Prinzip der dualen Krankenhausfinanzie- gütung bereinigt und die Personalkosten in rung wurde 1972 mit dem Krankenhausfi- Form eines Pflegebudgets nach Selbstkosten- nanzierungsgesetz (KHG)5 eingeführt: Inves- deckung finanziert. Es handelt sich um den titionskosten werden von den Ländern (und mit Abstand schwerwiegendsten Eingriff in zunächst dem Bund) finanziert, Betriebskos- das DRG-System, der bemerkenswerterweise ten von den Krankenkassen. Voraussetzung ohne jegliche konzeptionellen Vorarbeiten er- 8 dafür war eine Änderung des Grundgeset- folgte. Die Umsetzungsschwierigkeiten sind zes, mit der in Artikel 74 Nummer 19a dem beträchtlich und führen bis heute zu einem er- Bund die konkurrierende Gesetzgebung „über heblichen Vereinbarungsstau: Bis Mitte 2021 die wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäu- konnte nicht einmal für ein Drittel der Kran- ser und die Regelung der Krankenhauspfle- kenhäuser ein Budget für 2020 vereinbart wer- gesätze“ ermöglich wurde. Während sich in den. Die Kritik der Autoren an dieser Regel den Anfangsjahren der dualen Finanzierung soll hier nicht wiederholt werden.9 Bund und Länder an der Investitionsfinanzie- Die Umsetzung erforderte eine Viel- rung beteiligten, baute der Bund seinen Anteil zahl von Vereinbarungen der Spitzenver- schrittweise ab und mit dem Krankenhaus- bandspartner (Leber und Vogt 2020), oh- Neuordnungsgesetz6 wurde diese ab 1985 al- ne dass die grundlegenden Probleme da- leinige Länderangelegenheit.7 Die Gesetzge- mit gelöst worden wären: Es gibt Anzei- bung verpflichtet die Länder allerdings nicht chen dafür, dass die Krankenhäuser in ho- zu einem bestimmten Förderniveau, weshalb hem Ausmaß Kosten in den Pflegebereich die Investitionsförderung ein kontinuierlich verschieben und so die Gefahr einer Doppel- sinkendes Finanzvolumen zu verzeichnen hat finanzierung droht (siehe 7 Abschn. 8.7.1). – eine Erosion der dualen Finanzierung, die Mit dem Gesundheitsversorgungsweiterent- die Träger dazu zwingt, notwendige Moder- wicklungsgesetz (GVWG)10 ist die Entwick- lung eines Instruments zur Ermittlung des indi- viduellen Pflegebedarfs auf den Weg gebracht 4 Vereinbarung gemäß § 17b Absatz 1 Satz 5 zweiter worden (§ 137k SGB V). Inwieweit dies künf- Halbsatz KHG i. V. m. § 9 Absatz 1c KHEntgG zur gezielten Absenkung von Bewertungsrelationen vom 29.08.2016, abrufbar auf 7 www.gkv-spitzenverband. 8 Vgl. Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dy- de. namik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für 5 Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Kranken- unser Land. – Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU häuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesät- und SPD, 19. Legislaturperiode, 12.03.2018, S. 99, ze (Krankenhausfinanzierungsgesetz – KHG) vom abrufbar auf 7 www.bundesregierung.de. 29.06.1972. 9 Vgl. diverse Vorträge, Kolumnen und Artikel auf 6 Gesetz zur Neuordnung der Krankenhausfinanzie- 7 www.Wulf-Dietrich-Leber.de. rung (Krankenhaus-Neuordnungsgesetz – KHNG) 10 Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversor- vom 20.12.1984. gung (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsge- 7 Vgl. zur Historie Tuschen und Trefz 2009. setz – GVWG) vom 11.07.2021.
8.2 Komponenten der Krankenhausfinanzierung im Status quo 155 8 tig bei der Bemessung des Pflegebudgets eine gungsangebots (Sicherstellungszuschläge für Rolle spielt, ist noch offen. ländliche Krankenhäuser) oder besondere Auf- gaben bestimmter Krankenhäuser (Zentrums- zuschläge) zu finanzieren. Die wichtigsten er- 8.2.5 Vergütung psychiatrischer gänzenden Komponenten seien im Folgenden Leistungen skizziert. 2Sicherstellungszuschläge Zehn Jahre nach dem initialen DRG- Krankenhäuser, die für die regionale Basis- Beschluss11 hat der Gesetzgeber im Jahre 2009 versorgung der Bevölkerung notwendig sind, mit § 17d KHG12 versucht, die psychiatrische aber aufgrund geringer Fallzahlen in der Re- Vergütung neu zu regeln. Dies geschah nicht gion ihre relevanten Fachabteilungen nicht nach Fallpauschalen, sondern nach leistungs- kostendeckend finanzieren können, können ein bezogenen Tagessätzen, deren Regelungen in strukturell bedingtes Defizit aufweisen. Sofern vielen Fällen Analogien zum DRG-Prozess kein anderes Haus diese Versorgung über- zeigten (Relativgewichte, ein krankenhausbe- nehmen kann und ein Defizit besteht, kann zogener Entgeltwert, InEK-Kalkulation und mit den Krankenkassen ein Sicherstellungszu- vieles mehr) (Haas und Leber 2011). Der schlag vereinbart werden. Um die Sicherstel- Weg zur Einführung des pauschalierenden lungsrelevanz eines Hauses feststellen zu kön- Entgeltsystems für psychiatrische und psy- nen, hat der Gemeinsame Bundesausschuss chosomatische Einrichtungen (PEPP) nahm (G-BA) bundeseinheitliche Vorgaben festge- allerdings mehr als ein halbes Jahrzehnt in legt. Diese betreffen insbesondere die Gefähr- Anspruch und kann im eigentlichen Sinne dung der flächendeckenden Versorgung auf nach wie vor nicht als abgeschlossen betrach- Grundlage von Erreichbarkeitsmaßen sowie tet werden. Ursächlich waren unter anderem des geringen Versorgungsbedarfs aufgrund ei- erhebliche Widerstände der psychiatrischen ner geringen Bevölkerungsdichte im Versor- Krankenhäuser („PEPP muss weg!“) und eine gungsgebiet. Als für die Basisversorgung not- völlig unzureichende Weiterentwicklung der wendige Vorhaltungen wurden für die Grund- Prozedurenklassifikation (OPS). Die ökonomi- versorgung die Fachabteilungen Innere Me- sche Anreizwirkung des Systems ist schwer zu dizin und Chirurgie, die auch die Kriterien beurteilen, weil die Budgetbestimmung mehr der Basisnotfallstufe erfüllen müssen, und Ge- als ein halbes Dutzend Einflussgrößen hat. burtshilfe bzw. Gynäkologie und Geburtshil- fe festgelegt. Zur Verbesserung der regiona- len Versorgung von Kindern und Jugendlichen 8.2.6 Weitere Vergütungselemente wurde 2020 der Kreis der sicherstellungsre- levanten Fachabteilungen um die der Kinder- Das DRG-System wurde von Anfang an und Jugendmedizin erweitert. durch zusätzliche Finanzierungskomponenten ergänzt. Diese adressieren Fälle, in denen das 2Ländliche Krankenhäuser Fallaufkommen nicht ausreicht, um die Auf- Durch das eng verwandte Instrument der Liste rechterhaltung eines angemessenen Versor- ländlicher Krankenhäuser hat sich der An- wendungsbereich des eigentlichen Sicherstel- 11 Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversiche- lungzuschlags jedoch verkleinert. Denn die- rung ab dem Jahr 2000 (GKV-Gesundheitsreformge- ses basiert auf den gleichen G-BA-Vorgaben setz 2000) vom 22.12.1999. zur Beurteilung der Gefährdung der flächen- 12 Gesetz zum ordnungspolitischen Rahmen der Kran- kenhausfinanzierung ab dem Jahr 2009 (Kran- deckenden Versorgung sowie des geringen kenhausfinanzierungsreformgesetz – KHRG) vom Versorgungsbedarfs und erstreckt sich auf 17.03.2009. die gleichen drei Fachabteilungsfestlegungen
156 Kapitel 8 Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie Innere Medizin und Chirurgie, Geburtshil- und dem Krankenhaus ein entsprechender Ver- fe oder Gynäkologie und Geburtshilfe so- sorgungsauftrag seitens der Landesbehörden wie Kinder- und Jugendmedizin. Jedoch ent- übertragen wurde, kann das Krankenhaus ei- fällt hier die Notwendigkeit, ein Defizit nach- nen Zentrumszuschlag mit den Krankenkassen zuweisen, sowie das Genehmigungsverfah- vereinbaren. ren bei den Landesbehörden. Stattdessen ver- einbaren die Selbstverwaltungspartner GKV- 2Neue Untersuchungs- und Spitzenverband, Deutsche Krankenhausgesell- Behandlungsmethoden (NUB) schaft (DKG) und Verband der Privaten Kran- Medizinische Innovationen finden über eine kenversicherung jährlich eine Liste der Häu- Klassifikationsänderung und ggf. neue DRGs ser, welche die G-BA-Vorgaben erfüllen. Die Eingang in das Fallpauschalensystem. Bis zur Krankenhäuser auf dieser Liste gelten als „be- Umsetzung einer Innovation im DRG-System darfsnotwendiges Krankenhaus im ländlichen existiert allerdings eine Lücke von ca. drei Jah- Raum“ und haben Anspruch auf eine zusätz- ren für hochpreisige Produktinnovationen. Um liche pauschale Finanzierung durch die Kran- diese „Innovationslücke“ zu schließen, können kenkassen in Höhe von 400.000 C jährlich. Für für noch nicht mit den Fallpauschalen sachge- jede weitere Vorhaltung einer der drei Fach- recht abrechenbare neue Untersuchungs- und abteilungsfestlegungen erhalten sie seit 2021 8 zusätzlich 200.000 C; somit kann die pauscha- Behandlungsmethoden befristete Vergütungen (sogenannte NUB-Entgelte) vereinbart wer- le Förderung bis zu 800.000 C betragen. Für den. Dazu ist ein Antrag beim InEK zu stellen, das Vereinbarungsjahr 2021 umfasst die Liste das diesen prüft. So darf die Anwendung ei- insgesamt 140 Krankenhausstandorte.13 ner Innovation nicht bereits durch den G-BA 2Zentrumszuschläge ausgeschlossen worden sein und die Entgelte sollen sachgerecht kalkulierbar sein. Bei po- Als Zentren können Krankenhäuser seit 2020 sitivem Ergebnis der Prüfung durch das InEK finanzielle Zuschläge nach bundeseinheitli- verhandeln die Vertragsparteien auf der örtli- chen Vorgaben erhalten, sofern die Aufgaben chen Ebene mit dem Krankenhaus das NUB- über die direkte Patientenversorgung hinausge- Entgelt. Dieses gilt dann für ein Jahr und je- hen. Mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz weils nur für das beantragende Krankenhaus. (PpSG)14 wurde der G-BA beauftragt, bun- deseinheitliche Qualitätskriterien für die Zen- trumsausweisung und Übernahme besonderer 2Besondere Einrichtungen Aufgaben festzulegen. Die Qualitätskriterien Krankenhäuser oder Teile von Krankenhäu- müssen sich dabei unmittelbar auf die be- sern können als sogenannte besondere Ein- sonderen Aufgaben beziehen und können ins- richtungen unter bestimmten Voraussetzungen besondere Vorgaben zu Art und Anzahl von zeitlich befristet vom DRG-Vergütungssystem Fachabteilungen, Mindestfallzahlen und Ko- ausgenommen werden. Infrage kommen dafür operationen mit anderen Leistungserbringern Einrichtungen, deren Leistungen insbesonde- umfassen. Erfolgt ist dies mittlerweile für Zen- re aus medizinischen Gründen, wegen einer tren in den Bereichen seltene und onkologi- Häufung von schwerkranken Patientinnen und sche Erkrankungen, Trauma, Rheuma sowie Patienten oder aus Gründen der Versorgungs- für Herz, Lunge und das neurovaskuläre Sys- struktur mit den Entgeltkatalogen noch nicht tem. Wenn die Qualitätskriterien erfüllt sind sachgerecht vergütet werden. Seit Jahren sind einige wenige Häuser als besondere Einrich- 13 Vgl. Vereinbarung der Liste der Krankenhäuser ge- tung definiert, die insbesondere palliativmedi- mäß § 9 Absatz 1a Nummer 6 KHEntgG, abrufbar auf zinische oder kinder- und jugendrheumatolo- 7 www.gkv-spitzenverband.de. 14 Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals (Pflegeper- gische Fälle sowie Tropenerkrankungen ver- sonal-Stärkungsgesetz – PpSG) vom 11.12.2018. sorgen.
8.3 Finanzierung in der Pandemie 157 8 2Notfallstufen der Auftrag an die Selbstverwaltungspartner In der initialen Finanzierungssystematik des aus § 115b SGB V erneuert, den AOP- DRG-Systems wurde lediglich zwischen Katalog in einer dreiseitigen Vereinbarung Krankenhäusern „mit bzw. ohne“ Notfall- von DKG, Kassenärztlicher Bundesvereini- aufnahme unterschieden. Da diese binäre gung und GKV-Spitzenverband fortzuentwi- Differenzierung (de facto 50 C Abschlag je ckeln. Ziel ist die stärkere Ambulantisierung Fall für Nichtteilnahme an der Notfallversor- bislang stationärer Leistungen, unter ande- gung) nicht mehr die sehr unterschiedlichen rem durch die Festlegung der Vorrangigkeit Vorhaltekosten abbildet, hat der Gesetzgeber der ambulanten Leistungserbringung im AOP- den G-BA verpflichtet, bis zum 31.12.2017 Vertrag. Grundlage dafür soll ein empirisches ein gestuftes System von Notfallstrukturen zu Gutachten auf Basis von GKV-Routinedaten beschließen (§ 136c Absatz 4 SGB V). Die sein, das derzeit vom IGES Institut ausgearbei- Spitzenverbandspartner hatten den Auftrag, tet wird. Durch die Vorgabe einer entsprechen- bis zum 30.06.2018 die Höhe sowie das Nähe- den Vereinbarung bis Ende Januar 2022 wird re zur Ausgestaltung der Zu- und Abschläge dem gesetzlich Nachdruck verliehen. mit Hilfe des InEK zu ermitteln. Der G-BA hat in seinem Beschluss vom 19.04.2018 eine Basisnotfallstufe sowie eine erweiter- 8.3 Finanzierung in der Pandemie te und eine umfassende Stufe definiert. Für die erweiterte Stufe müssen beispielswei- 8.3.1 Freihaltepauschale se zehn Intensivbetten vorgehalten werden (umfassende Stufe: 20). Es besteht Aufnah- mebereitschaft auch für beatmungspflichtige Das Leistungsgeschehen in deutschen Kran- Intensivpatientinnen und -patienten auf die In- kenhäusern im Coronajahr 2020 war geprägt tensivstation innerhalb von 60 Minuten nach durch zwei Ereignisse: Krankenhausaufnahme.15 1. Die Aufforderung der Regierung vom 17.03.202017, elektive Fälle zurückzustel- len, um Betten für die Versorgung von 8.2.7 Vergütung ambulanter Coronapatientinnen und -patienten freizu- Krankenhausleistungen halten 2. Eine generelle Zurückhaltung der Bevölke- rung, sich in der Coronazeit ins Kranken- Im Krankenhaus-Report 2016 haben die Au- haus zu begeben toren Leber und Wasem die vielfältigen und weitgehend ungeordneten Vergütungssysteme Beides zusammen bewirkte einen erhebli- zur Vergütung ambulanter Krankenhausleis- chen Rückgang der versorgten Fälle, der in tungen dargestellt (Leber und Wasem 2016). dieser Form wahrscheinlich nicht politisch Die seinerzeit skizzierte Charakterisierung intendiert war, aber großenteils das Ergeb- der „Systematik“ ambulanter Krankenhaus- nis einer politischen Maßnahme sein dürf- leistungen hat sich seither nicht verändert. te: der Freihaltepauschale. Die Bilder von Mit dem MDK-Reformgesetz16 wurde jedoch Bergamo vor Augen, brachte die Regierung in atemberaubendem Tempo das Covid-19- 15 Vgl. Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschus- ses zu einem gestuften System von Notfallstruk- turen in Krankenhäusern gemäß § 136c Absatz 4 17 Vgl. Vereinbarung zwischen der Bundesregierung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) vom und den Regierungschefinnen und Regierungschefs 19.04.2018, abrufbar auf 7 www.g-ba.de. der Bundesländer angesichts der Corona-Epidemie in 16 Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen Deutschland vom 17.03.2020, abrufbar auf 7 www. (MDK-Reformgesetz) vom 14.12.2019. bundesregierung.de.
158 Kapitel 8 Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie Krankenhausentlastungsgesetz18 auf den Weg, Nur Häuser der Notfallstufen 2 und 3 (er- in dem neben der Finanzierung von Schutz- weiterte und umfassende Notfallversorgung) kleidung eine bundesfinanzierte Freihaltung kamen in den Genuss der Freihaltepauschale. von Betten geregelt wurde (§ 21 KHG). Kran- Nimmt man die Folgeabschätzung des G-BA kenhäuser erhielten je nicht belegtes Bett (Ver- als Maßstab, dann handelt es sich um etwas gleich war das Vorjahr) einen Betrag von über 400 Häuser, also weit weniger als die fast 560 C. Die Beträge wurden zunächst dem 1.800 Einrichtungen, die in der ersten Wel- Gesundheitsfonds entnommen und später aus le von der Freihaltepauschale profitierten. Von dem Bundeshaushalt refinanziert. dieser Fokussierung blieb in den folgenden In der ersten Welle erfolgte die Leer- Monaten jedoch nicht viel übrig. Auf Druck standsfinanzierung undifferenziert, was zu ei- der Länder wurde der Kreis der berechtig- ner Unterfinanzierung großer Häuser und einer ten Häuser stetig erweitert, sodass letztlich Überfinanzierung von Basisversorgern führte. wieder über 1.000 Häuser von der Freihal- Spektakulär ist die Überfinanzierung psychia- tepauschale profitierten. Handlungsleitend für trischer Krankenhäuser, deren Tagessatz in der diesen Vorgang dürfte nicht mehr die Covid- Größenordnung von 280 C liegt. Nicht zuletzt 19-Versorgung, sondern die allgemeine finan- auf Betreiben eines Expertenbeirats, den das zielle Sicherung der Krankenhäuser gewesen BMG zwecks Begleitung der staatlichen Hil- sein. Eine wochenbezogene Auswertung, wie 8 fen einberufen hatte (§ 24 KHG), erfolgte zum viele Häuser in welchem Zeitraum Freihalte- 01.07.2020 eine Differenzierung. Dies sollte pauschalen erhalten haben, liegt bis heute nicht die erste von insgesamt sieben Änderungen der vor. Die Länder waren zwar aufgefordert, dies Freihaltepauschalenregelungen in den Jahren im Internet zu veröffentlichen, taten das aber 2020 und 2021 sein (. Tab. 8.2). nicht in der notwendigen Differenzierung. Für den Zeitraum vom 13.07.2020 bis Für das Jahr 2020 haben die Länder ein 30.09.2020 galt eine Staffelung der Pauschalen Auszahlungsvolumen von 10,26 Mrd. C ge- (360, 460, 560, 660, 760 C und 280 C für die meldet. Zur Orientierung: Die Investitionsför- Psychiatrie). Nach wie vor galt die Freihalte- derung der Länder für Krankenhäuser beläuft pauschale für alle Krankenhäuser – unabhän- sich auf rund 3 Mrd. C. Dieser (Wieder-)Ein- gig davon, ob sie zur Versorgung von Covid- stieg des Bundes in die Krankenhausfinanzie- 19-Patientinnen und -Patienten einen Beitrag rung wird in 7 Abschn. 8.4 näher beleuch- leisten können. tet. Nach einer kurzen „Auszeit“ wurde die Freihaltepauschale zu Beginn der zweiten Welle wiederbelebt, aber mit einer Fokussie- rung auf Häuser, die wegen ihrer Intensiv- stationen einen veritablen Beitrag zu Versor- gung von Covid-19-Fällen leisten können. Das 3. Bevölkerungsschutzgesetz19 griff dabei auf die G-BA-Kriterien für Notfallstufen zurück: 18 Gesetz zum Ausgleich COVID-19 bedingter finan- zieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhaus- entlastungsgesetz) vom 27.03.2020. 19 Drittes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei ei- ner epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18.11.2020.
8.3 Finanzierung in der Pandemie 159 8 . Tab. 8.2 Regelungen zur Freihaltepauschale in den Jahren 2020 und 2021 Nr. Datum, Art und Rechtsgrundlage Geltungszeitraum Anwendungsbereich und Höhe der Pauschalen Voraussetzungen/Bestimmungskriterien Erst ab „zweiter Welle“ (Nr. 3), zuvor alle Häuser anspruchsberechtigt Pandemielage Fachliche Voraussetzung: Inzidenza und Intensivauslastungb Notfallstufec /Spezialversorgerd 1. 28.03.2020: Erste Regelung: COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz (§ 21 KHG) 16.03.2020 bis 12.07.2020 Somatik/Psychiatrie: 560 C 2. 08.07.2020: Anpassung: COVID-19-Ausgleichszahlungs-Anpassungsverordnung (AusglZAV) 13.07.2020 bis 30.09.2020 Somatik (5 Gruppen, CMI- abhängig): 360, 460, 560, 660, 760 C Psychiatrie: 280 C [Teilstationär: 190 C] 3. 18.11.2020: Neuregelung zur „zweiten Welle“: 3. Bevölkerungsschutzgesetz (§ 21 Absatz 1a KHG) ab 18.11.2020 nur noch Somatik (5 Gruppen, (bis zunächst 31.01.2021) CMI-abhängig): 360, 460, 560, 660, 760 C Inzidenz über 70 freier Anteil unter 25/15 % Notfallstufe 2 und 3/in angren- zenden Kreisen 4. 22.12.2020: Ergänzung: Verordnung zur Anpassung der Voraussetzungen für die Anspruchsbe- rechtigung der Krankenhäuser nach § 21 Absatz 1a KHG 17.12.2020 bis 14.01.2021 (rückwirkend) wie Nr. 3 Sonderregelung: nicht relevant Notfallstufe 2 und 3 Inzidenz über 200 (nachrangig: 1) 5. 26.01.2021: Anpassung/Ergänzung: Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Anpas- sung der Voraussetzungen für die Anspruchsberechtigung der Krankenhäuser nach § 21 Absatz 1a KHG ab 15.01.2021 (rückwirkend) wie Nr. 3 Sonderregelung: Inzidenz über 150 (zuvor 200) Inzidenz über 70/150 freier Anteil unter 15 %/ Spezialversorger nicht relevant
160 Kapitel 8 Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie . Tab. 8.2 (Fortsetzung) Nr. Datum, Art und Rechtsgrundlage Geltungszeitraum Anwendungsbereich und Höhe der Pauschalen Voraussetzungen/Bestimmungskriterien Erst ab „zweiter Welle“ (Nr. 3), zuvor alle Häuser anspruchsberechtigt Pandemielage Fachliche Voraussetzung: Inzidenza und Intensivauslastungb Notfallstufec /Spezialversorgerd 6. 24.02.2021: Fortschreibung: Zweite Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Anpassung der Voraussetzungen für die Anspruchsberechtigung der Krankenhäuser nach § 21 Absatz 1a KHG 01.03.2021 bis 11.04.2021 wie Nr. 3 7. 07.04.2021: Anpassung: Verordnung zur Regelung weiterer Maßnahmen zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser 05.04.2021 bis 31.05.2021 wie Nr. 3 8 Inzidenz über 50 (zuvor 70) 8. 02.06.2021: Fortschreibung: Erste Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Regelung weite- rer Maßnahmen zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser 01.06.2021 bis 15.06.2021 wie Nr. 3 a 7-Tage-Inzidenz der Coronavirus SARS-CoV-2-Fälle je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner b Anteil freier betreibbarer intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten in dem Landkreis oder der kreisfreien Stadt in einem ununterbrochenen Zeitraum von 7 Tagen c Notfallstufen Stufe 1 Basis, Stufe 2 erweiterte, Stufe 3 umfassende Notfallversorgung d Besondere Expertise bei Lungen- und Herzerkrankungen gemäß Zusammenstellung InEK Krankenhaus-Report 2022 8.3.2 Corona-Ausgleich Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz für 2020 und 2021 (KHZG)20 wurde ein gesonderter Corona- Ausgleich eingeführt (§ 21 Absätze 9 bis 11 KHG). Im Rahmen einer Ganzjahresbe- Das klassische Instrument zum Ausgleich von trachtung werden krankenhausspezifisch die (unvorhersehbaren) Belegungsschwankungen Erlöse von 2020 denen von 2019 gegen- sind Mehr- und Mindererlösausgleiche. Sie übergestellt. Dabei sind auch die bis zum wurden Mitte der 80er Jahre in das Bud- 30.09.2020 gezahlten Freihaltepauschalen getrecht eingeführt. Der Ausgleichsmecha- zu berücksichtigen. Unter Missachtung jeg- nismus basiert auf einer Fixkostenannahme licher Wirtschaftlichkeitsgebote verblieben und gleicht Mindererlöse in Höhe eines be- Überzahlungen beim Krankenhaus, bei einer stimmten Prozentsatzes aus. Umgekehrt flie- Unterzahlung hingegen hatte das Krankenhaus ßen Mehrerlöse in der Folgeperiode zurück an einen Zahlungsanspruch. In einer Verein- die Kostenträger. 20 Gesetz für ein Zukunftsprogramm Krankenhäu- ser (Krankenhauszukunftsgesetz – KHZG) vom 23.10.2020.
8.3 Finanzierung in der Pandemie 161 8 barung einigten sich DKG und GKV auf re krankenhausbezogene Veröffentlichung der die 85-85-Regelung: Die bundesfinanzierten gezahlten Beträge durch das BMG – allerdings Freihaltepauschalen wurden zu 85 % ange- mit unvollständigen Daten aus Bayern und rechnet und die Erlösminderung wird zu 85 % Thüringen. Die Fördersumme wird aus Bei- ausgeglichen.21 Ein Haus, das inklusive ange- tragsgeldern des Gesundheitsfonds entnom- rechneter Freihaltepauschalen lediglich 90 % men, aber (anders als die Freihaltepauschalen) der Erlöse des Vorjahres erreichen konnte, nicht aus Bundesmitteln refinanziert. wird also auf 98,5 % der Vorjahressumme an- In welchem Umfang wirklich betreibbare gehoben. Betten aufgebaut wurden, ist nach wie vor un- Für das Jahr 2021 ist diese Regelung in klar. Das Finanzvolumen beträgt laut Bundes- eine Verordnung22 überführt worden, wobei amt für Soziale Sicherung (BAS) 686 Mio. C, letztlich alle Eckdaten der Vereinbarung über- was dem Aufbau von 13.700 Betten ent- nommen wurden. Zu beachten ist, dass bei spricht. Destatis weist einen Intensivbestand den Ausgleichen weder Bund noch Länder in von 26.319 Betten im Jahr 2019 aus. Stellt der Finanzierungspflicht sind. Die Ausfallver- man dem die aktuellen DIVI-Daten gegen- sicherung für nicht erbrachte Versorgungsleis- über, so zeigt sich ein ungeklärtes Delta von tung ist aus den Beitragsgeldern der Kassen rund 2.400 Betten. Das Gros der neu aufge- sowie anderer Kostenträger zu begleichen. stellten Betten findet sich in einer sogenannten „Notfallreserve“, also Betten, die angeblich in einem Zeitraum von sieben Tagen betreibbar 8.3.3 Aufbau von Intensivbetten sind. Mit dem Covid-19-Krankenhausentlastungs- 8.3.4 Weitere gesetz haben Krankenhäuser für den Neuauf- bau von Intensivbetten bis zum 30.09.2020 Corona-Folgenfinanzierung 50.000 C je zusätzliches Bett erhalten (§ 21 KHG). Die Zahlung war weder an einen re- Der Vollständigkeit halber seien einige weitere gionalen Bedarf noch an bestimmte Struktur- Finanzierungstatbestände im Gefolge der Co- voraussetzungen geknüpft. Da es keine bun- ronapandemie erwähnt: die Finanzierung von deseinheitliche Definition gibt, was ein In- Mehrkosten, von Tests und von Prämien für tensivbett ist, und da Nachweispflichten fehl- das Pflegepersonal. ten, gibt es eine bis heute andauernde De- batte über die zweckentsprechende Mittelver- 2Mehrkosten wendung („Geisterbetten“). In einem Bericht Für die Mehrkosten, die den Krankenhäusern hat der Bundesrechnungshof Aufklärung ange- insbesondere in der Frühphase der Pande- mahnt, die die Länder aber verweigert haben. mie entstanden, um beispielsweise Schutzaus- Ergebnis der mannigfaltigen Forderung nach rüstung zu beschaffen, hatte das Covid-19- Transparenz war unter anderem die temporä- Krankenhausentlastungsgesetz einen Zuschlag von 50 C je Fall bzw. 100 C je Fall bei 21 Vereinbarung nach § 21 Absatz 10 Krankenhausfinan- zierungsgesetz über den Ausgleich eines aufgrund des infizierten Patientinnen und Patienten vorge- Coronavirus SARS-CoV-2 entstandenen Erlösrück- sehen. Mit Auslaufen dieser Regelung zum gangs (Corona-Ausgleichsvereinbarung 2020) vom 30.09.2020 waren der GKV-Spitzenverband 18.12.2020, abrufbar auf 7 www.gkv-spitzenverband. und die DKG aufgefordert, eine Anschlussre- de. 22 Vgl. § 5 Absätze 1 und 6 der Verordnung zur Rege- gelung bis Ende 2021 zu treffen. Sie einigten lung weiterer Maßnahmen zur wirtschaftlichen Siche- sich zunächst auf Fortgeltung der Regelung rung der Krankenhäuser vom 07.04.2021. im vierten Quartal und später auf Absenkung
162 Kapitel 8 Die Vergütung von Krankenhäusern nach der Pandemie der Beträge auf 40 bzw. 80 C.23 In der Ver- zahl der Pflegekräfte und die andere Hälf- einbarung wird den Vertragspartnern vor Ort te nach der Zahl der Covid-19-Fälle ausge- empfohlen, die Abschlagszahlungen als end- zahlt. Mit einer „Betroffenheitsgrenze“ (Min- gültigen Betrag zu übernehmen und auf eine destzahl von Covid-19-Fällen) wurde die Zahl detaillierte Aufrechnung mit Nachweisen zu der Häuser auf 433 eingegrenzt. Nach der verzichten. Ende 2021 konnte eine Vereinba- zweiten Welle erfolgte eine weitere Zahlung rung darüber erzielt werden, welche Kosten mit einem Gesamtvolumen von 450 Mio. C, einzubeziehen und welche Nachweise zu er- für das das BMG erweiterte Verteilungskrite- bringen sind.24 rien formuliert hat. Für beide Prämien war in den Krankenhäusern mit den Arbeitnehmer- 2Coronatest vertretungen Einvernehmen über die Pflege- Die Finanzierung von Tests auf das Corona- kräfte zu erzielen, die diese Zahlung erhal- virus ist vielfältig und zum Teil schwer zu ten. ergründen. Mit dem 2. Bevölkerungsschutzge- setz25 wurde Krankenhäusern die Möglichkeit eröffnet, Coronatests von Patientinnen und Pa- 8.3.5 Das Goldene Jahr der tienten über ein Zusatzentgelt abzurechnen. Krankenhausfinanzierung Nicht von der Regelung umfasst sind die 8 Tests des Personals. Die Höhe des Zusatz- entgelts wurde durch die Bundesschiedsstel- Das medial pauschal vermittelte Überforde- le am 05.06.2020 festgesetzt (52,50 C). Für rungsszenario der Krankenhäuser kontrastiert PCR-Testungen des Personals durch die Ge- deutlich mit der faktischen Absenkung des sta- sundheitsämter hat das BMG die Preise für die tionären Versorgungsniveaus. Die Auswertung Testung festgelegt. Die Preise für die Testung der Daten für 2020 durch Busse und Augurz- von Patientinnen und Patienten im niedergelas- ky für den Corona-Expertenbeirat (RWI 2021) senen Bereich erfolgte durch den (erweiterten) zeigt, dass lediglich 2 % der Krankenhausbet- Bewertungsausschuss. Alle drei Testpreise dif- ten durch Covid-19-Fälle belegt waren, auf In- ferieren. tensivstationen 4 %. Die Auslastung der Betten zeigt insgesamt einen erheblichen Leerstand. 2Coronaprämie für Pflegekräfte Insgesamt war 2020 eher ein Jahr der Unter- Für die besondere Belastung der Pflegekräfte auslastung – keines der Überlastung. in der Pandemie hat der Bund nach der ers- Erstaunlich mag es sein, dass dieses Jahr ten Welle ein Finanzvolumen von 100 Mio. C der verminderten Aktivität nicht zu einem Fi- zur Verfügung gestellt (§ 26a KHG). Einem nanzierungseinbruch und zur Entlastung der Vorschlag der Spitzenverbände folgend wur- Kassenfinanzen geführt hat. Diese sind um de die Hälfte des Betrages nach der An- 1,7 % gestiegen – nicht gesunken. Ursächlich war eine ganze Reihe von Einzeleffekten, wie 23 Vgl. Vereinbarung nach § 9 Absatz 1a Num- z. B. die Erhöhung der Landesbasisfallwerte, mer 9 KHEntgG über vorläufige Zahlungen für die die höhere Fallschwere, Tariflohnsteigerungen Zuschläge nach § 5 Absatz 3i KHEntgG sowie und eine reduzierte Prüfquote sowie die co- nach § 9 Absatz 1 Nummer 3 BPflV (2. Corona- ronabedingten Mehrausgaben (Leber 2021a). Mehrkostenzuschlagsvereinbarung) vom 18.12.2020, Insgesamt zeigt sich eine Erlössteigerung von abrufbar auf 7 www.gkv-spitzenverband.de. 24 Vereinbarung nach § 9 Absatz 1a Nummer 9 14 % bei einem Fallzahlrückgang von 13 % – KHEntgG (Corona-Mehrkosten-Vereinbarung) vom ein Ergebnis, das rechtfertigt, von einem „Gol- 21.12.2021, abrufbar auf 7 www.gkv-spitzenverband. denen Jahr der Krankenhausfinanzierung“ zu de. 25 Zweites Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei ei- reden. ner epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom Noch liegen keine endgültigen Daten vor, 19.05.2020. inwieweit den Erlössteigerungen auch entspre-
8.4 Reformen nach der Pandemie 163 8 chende Kostensteigerungen gegenüberstehen, vestitionskosten.26 Es wäre konsequent, wenn aber die gesunkene Insolvenzwahrscheinlich- der Bund sein finanzielles Engagement mit keit lässt nicht vermuten (Augurzky et al. der Durchsetzung bundeseinheitlicher Vorga- 2021), dass das Gesamtbild korrigiert werden ben verbinden würde. Bei der Bund-Länder- muss. Mischfinanzierung von 1974 bis 1985 war das nicht der Fall. Auch bei der Freihaltepau- schale während der ersten Coronawelle und 8.4 Reformen nach der Pandemie beim Aufbau von Intensivbetten überließ man die Investitionsentscheidungen den Kranken- hausträgern und ließ diese durch Landesbe- 2Wiedereinstieg des Bundes hörden bestätigen. Erst bei der Freihaltepau- in die Krankenhausfinanzierung schale während der zweiten Welle kam in Form der Notfallstufen ein bundeseinheitli- Was bleibt von dem, was sich während der ches Abgrenzungskriterium zur Anwendung. Coronapandemie geändert hat? Im Folgenden Mit dem KHZG hat der Bund hingegen zur werden einige Prognosen formuliert, die ei- Förderung der Digitalisierung eigene Kriterien nen gewissen spekulativen Charakter haben, aufgestellt. Inwieweit die detaillierten Richt- aber sehr wohl wertvoll zur Einschätzung der linien des BAS27 bei der Bescheidung durch anstehenden Reformen sein können. Schließ- die Landesbehörden allerdings korrekt ange- lich wird man annehmen können, dass sich wendet werden, bleibt abzuwarten. Gleich- bestimmte kollektive Erfahrungen, wie sie die wohl zeichnet sich hier ein neues Politikmuster Coronapandemie zweifellos darstellt, in der ab, bei dem der Bund eigenständige Vorgaben Reformdebatte niederschlagen werden. Nach- zur Strukturierung der Krankenhauslandschaft haltige Wirkung dürften die rückläufigen Fall- macht. zahlen haben, die Einsicht in die Notwendig- Wie dauerhaft das finanzielle Engagement keit konsequenter Digitalisierung, die Bedeu- des Bundes ist, ist schwer abzuschätzen. Da tung der Krankenhauspflege, die Strukturie- allenthalben das Problem der Investitionsfi- rung der Krankenhauslandschaft und – hier als nanzierung als ungelöst angesehen wird, ist ein erstes diskutiert – der Einstieg des Bundes in „kalter Entzug“, also eine Rückführung aller die Krankenhausfinanzierung. Bundesmittel auf null, eher unwahrscheinlich. Glaubt man der Zuständigkeit gemäß Im Folgenden sprechen sich die Autoren für Grundgesetz, dann hätten eigentlich die für die Bundesfinanzierung von Vorhalteleistun- Epidemien und Katastrophenschutz zuständi- gen aus – nach bundeseinheitlichen Kriterien gen Länder die finanziellen Lasten der Co- ronapandemie schultern müssen. Es kam an- 26 Vgl. § 22 Absatz 1 KHG in der Fassung vom ders: Der Bund hat sich in allen Bereichen 29.06.1972 im BGBl I, S. 1015, 7 https://www. mit milliardenschweren Hilfsprogrammen en- bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?start=%2F%2F*%5B gagiert und die Hauptlast der Pandemie getra- %40attr_id%3D%27I_1972_60_inhaltsverz%27 gen. Wie im 7 Abschn. 8.3 dargestellt, betrug %5D#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D das finanzielle Engagement des Bundes allein %27bgbl172s1009.pdf%27%5D__1634831849121. Zugegriffen: 19. Okt. 2021. für die Freihaltepauschalen und den Aufbau 27 Vgl. Richtlinie zur Förderung von Vorhaben zur von Intensivbetten in den Jahren 2020 und Digitalisierung der Prozesse und Strukturen im Ver- 2021 insgesamt 15,23 Mrd. C – ein Vielfa- lauf eines Krankenhausaufenthaltes von Patientinnen ches der Länderinvestitionen. De facto handelt und Patienten nach § 21 Absatz 2 KHSFV vom es sich um einen Wiedereinstieg des Bundes 03.05.2021, 7 https://www.bundesamtsozialesicherung.de/ in die Krankenhausfinanzierung. In der An- fileadmin/redaktion/Krankenhauszukunftsfonds/ fangszeit des KHG trug der Bund im Rahmen 20210503Foerderrichtlinie_V03.pdf. Zugegriffen: einer Mischfinanzierung ein Drittel der In- 31. Okt. 2021.
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