DSTGB DOKUMENTATION NO 135 - KOMMUNALE ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT
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DStGB DOKUMENTATION NO 135 Kommunale Entwicklungszusammenarbeit Deutsche Städte und Gemeinden aktiv für die Eine Welt Deutscher Städte- und Gemeindebund
I Entwicklungspolitik in und von Kommunen IMPRESSUM Herausgeber Deutscher Städte- und Gemeindebund (DStGB) Redaktion Dr. Stefan Wilhelmy (Servicestelle Kommunen in der Einen Welt/Engagement Global) Hanna Landfermann (Servicestelle Kommunen in der Einen Welt/Engagement Global) Janna Lieser (Servicestelle Kommunen in der Einen Welt/Engagement Global) Uwe Zimmermann (Deutscher Städte- und Gemeindebund) Janina Salden (Deutscher Städte- und Gemeindebund) Barbara Baltsch Bildnachweise Titel: Stadt Landau; S. 5: Bundesregierung/Kugler; S. 7 oben: Andreas Grasser, unten: Mejía + Bendaña Fotografía; S. 8: Dominik Schmitz; S. 9: Stadt Bad Münstereifel; S. 10: Giulio Napolitano/shutterstock.com; S. 10: UN Photo/Cia Pak; S. 13: Stadt Düssel- dorf; S. 14: Stadt Dortmund; S. 16/17: Gemeinde Aidlingen; S. 18: Karl-Heinz Laube/ pixelio.de; S. 20: Deutsche Bundesstiftung Umwelt; S. 22: Grünes Klassenzimmer; S. 23: Dieter Appelt; S. 24: Stadt Neumarkt i. d. OPf.; S. 25: Stephen Williams; S. 26: fotogestoeber/shutterstock.com; S. 28: Prefeitura Municipal de Santarém; S. 29 und 30: Andreas Gasser; S. 31 und 33: Stadt Lahr; S. 34 und 36: Christiane Fritsch; S. 37 und 38: Matthias Bein; S. 39: Andreas Grasser; S. 41: Hans-Jürgen Schmitz; S. 42 bis 44: Stadtwerke Ettlingen GmbH; S. 43 Kasten: GIZ/CIM; S. 44 Kasten: SES; S. 48 und 49: Stadt Xanten; S. 50: Stadt Würselen: S. 51: Andreas Grasser; S. 52 und 53: Stadt Landau; S. 54 und 55: Stadt Mühlheim am Main; S. 56 bis 58: Stadt Biberach; S. 59 oben: Landratsamt Ludwigsburg, unten: Barbara Frommann; S. 62: Robin Nieuwen- kamp/shutterstock.com; S. 63: Stadt Herten. 2
I Entwicklungspolitik in und von Kommunen INHALT Vorwort Dr. Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes 4 V Migration und Entwicklung Grußwort Dr. Gerd Müller, Migration und Entwicklung zusammen Bundesminister für wirtschaftliche denken Zusammenarbeit und Entwicklung 5 Von Dorea Pfafferott 34 Partnerschaft mit viel Potenzial Von Peter Gaffert 37 I Entwicklungspolitik in und von Kommunen Kommunen gestalten Zukunft VI Wirtschaft als Handlungsfeld kommunaler von Dr. Stefan Wilhelmy und Janina Salden 6 Entwicklungspolitik Engagement zu beiderseitigem Nutzen Gemeinsam für die Millenniums- Von Dr. Klaus Nutzenberger 40 Entwicklungsziele Von Alexander Büttner 9 Von Ettlingen nach Kabul Von Eberhard Oehler 42 II Fairer Handel und nachhaltige Beschaffung in Kommunen VII Kommunale Außenpolitik Beitrag der Kommunen zu einer gerechten Völkerverständigung im besten Sinne Handelsordnung Von Uwe Zimmermann 46 Von Norbert Portz 12 Kommunale Allianz im Nahen Osten „Epizentrum“ des Fairen Handels Von Christian Strunk 48 im Landkreis Böblingen Von Ekkehard Fauth 16 VIII Land-Kommunen- und Multi-Akteurs-Kooperationen III Bildung für nachhaltige Entwicklung und Neue Wege für kommunale Partnerschaften Globales Lernen vor Ort Von Janina Salden und Barbara Baltsch 50 Bildung findet „Stadt“ Landespartnerschaft vor Ort mit Leben erfüllt Von Hannes Siege 20 Von Hans-Dieter Schlimmer 52 Mehrfach ausgezeichnete Stadt Bildung und Brunnen für Burkina Faso der UN-Weltdekade Von Daniel Tybussek 53 Von Thomas Thumann 24 Biberach engagiert sich in Telawi Globales Lernen an Schulen und Kindergärten Von Nobert Zeidler 56 Von Hans-Jürgen Böckelmann 26 IX Organisation und Finanzierung IV Klimaschutz und Klimaanpassung internationaler Arbeit Klimawandel – ein global-lokales Problem „Wir wünschen uns eine Art Lotsen Von Jessica Baier und Kurt-Michael Baudach 28 für Kommunen“ Global denken – gemeinsam planen – Interview mit Christiane Overmans 59 lokal handeln Online-Ratgeber der Servicestelle hilft! Von Dr. Wolfgang G. Müller 31 Von Dr. Anke Valentin 60 3
VORWORT VORWORT DES DEUTSCHEN STÄDTE- UND GEMEINDEBUNDES Kommunen sind unverzichtbare Partner in der Entwicklungszusammenarbeit Die Kommunen der Einen Welt sind eng miteinan tung kommunalpolitischen Engagements in der der verbunden: Sie stehen weltweit vor ähnlichen Entwicklungspolitik zu werben, um eine mög- Herausforderungen und das Handeln jeder Kom- lichst vielfältige Vertretung deutscher Kommunal Dr. Gerd Landsberg, mune wirkt sich auf die Situation in anderen Tei- politiker in europäischen und internationalen Gre- Geschäftsführendes len der Welt aus. Vor diesem Hintergrund ist ein mien zu gewährleisten. Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und gemeinsames Engagement im Rahmen einer Die kommunale Entwicklungszusammen- Gemeindebundes kommunalen Entwicklungszusammenarbeit jetzt arbeit ist und bleibt eine freiwillige Aufgabe. und für die Zukunft unerlässlich. In Einer Welt Umso bedeutender sind finanzielle und inhalt- leben heißt, Verantwortung zu übernehmen, von- liche Hilfestellungen von Bund und Ländern. Als einander zu lernen und sich gegenseitig zu unter- kommunaler Spitzenverband begrüßen wir aus- stützen, gemeinsam nach Lösungen zu suchen drücklich die Ankündigung von Bundesminister und diese zusammen umzusetzen. Dr. Gerd Müller, die bundesstaatliche Förderung Vor dem Hintergrund der aktuellen Flücht- für kommunale Entwicklungszusammenarbeit lingssituation ist eine wesentliche Aufgabe der aufzustocken. Entwicklungszusammenarbeit aus Sicht des Städte und Gemeinden haben als bürger- Deutschen Städte- und Gemeindebundes klar nächste Ebene vielfältige Möglichkeiten, um sich definiert: Fluchtursachen bekämpfen und Flücht- durch wechselseitiges interkulturelles Lernen als lingen, die in ihre Herkunftsländer zurückkehren, weltoffene, global kompetente und zukunfts eine belastbare Perspektive bieten. Städte und orientierte Kommune zu etablieren. Mit der vorlie- Gemeinden sind hier maßgebliche Akteure, denn genden Dokumentation wollen die Servicestelle vor Ort findet sich die Expertise, um gemeinsam Kommunen in der Einen Welt und der Deutsche mit Partnern die Verhältnisse in anderen Teilen Städte- und Gemeindebund Kommunen neu- der Welt zu stabilisieren und Demokratisierungs- gierig machen, motivieren und ermuntern, sich prozesse zu unterstützen. Vor allem durch bürger- entwicklungspolitisch zu engagieren. Die vielen schaftliches Engagement und explizit mit Hilfe Praxisbeispiele zeigen, dass Entwicklungspolitik von Erfahrungen, Netzwerken und Sprachkennt- nicht von der Größe einer Gemeinde abhängt nissen der Bürgerinnen und Bürgern mit Migra und dass es neben den bedeutenden klassischen tionshintergrund, lassen sich Brücken für eine Städtepartnerschaften vielfältige weitere Betäti- Integration bauen. gungsfelder gibt, um sich für eine gerechtere und Entsprechend ihrer Bedeutung für die Ent- nachhaltige Eine Welt einzusetzen. wicklungszusammenarbeit muss die Stimme der Kommunen auch international Gehör finden. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund sieht es als seine Aufgabe an, hierzulande für die Bedeu- Dr. Gerd Landsberg 4
GRUSSWORT GRUSSWORT DES BUNDESMINISTERS FÜR WIRTSCHAFTLICHE ZUSAMMENARBEIT UND ENTWICKLUNG, DR. GERD MÜLLER Engagement muss von unten wachsen Die kommunale Entwicklungs- und möchte die Städte, Gemeinden und Kreise unterstützen, politik hat in den letzten Jahren diesen Weg weiter zu gehen. Mit dem Programm „Nachhaltige an Bedeutung und Anerkennung Kommunalentwicklung durch Partnerschaftsprojekte“ (NAKOPA) gewonnen. Die Anerkennung erhalten deutsche Kommunen seit 2013 die Möglichkeit, Mittel des kommunalen Beitrages spie- für Partnerschaftsprojekte zu beantragen. gelt sich mittlerweile mit einem Das Potenzial an kommunalem entwicklungspolitischem eigenen BMZ-Haushaltstitel zur Förderung des Engagements von Engagement ist jedoch bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Ich Kommunen wider. Kommunales Engagement ist zu einem wich- setze alles daran, dass sich noch viel mehr Städte, Gemeinden und tigen Bestandteil der deutschen Entwicklungspolitik geworden, Kreise in Deutschland global engagieren. Mit den neuen Post- weil Kommunen über spezifische Kompetenzen verfügen, die für 2015-Zielen für nachhaltige Entwicklung werden alle Akteure nachhaltige Entwicklung gebraucht werden. aufgerufen sein, am Erfolg der gemeinsamen Agenda mitzuar- Entwicklungspolitisches Engagement muss von unten beiten. Globale Partnerschaft muss lokal gelebt werden – dabei wachsen und kann nicht von oben verordnet werden. Als bürger- kommt es auf die Kommunen an. nächste öffentliche Ebene können Städte, Gemeinden und Kreise Immer mehr Städte und Gemeinden erkennen ihre Verant- hier einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie eine Plattform für wortung für eine global nachhaltige Entwicklung ebenso wie den das vorhandene Engagement von Schulen, Kirchen, Wirtschafts- Nutzen von Nachhaltigkeitskonzepten und Entwicklungspolitik unternehmen, aber auch der örtlichen Handwerks-, Industrie- für ihre eigene Kommune. Das Bundesministerium für wirtschaft- und Handelskammern, Eine-Welt-Vereine, Migrantinnen- und liche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt sie Migrantenorganisationen oder Bildungseinrichtungen wie Volks- mit Hilfe seiner Organisationen Engagement Global und deren hochschulen bereitstellen, die vielfältigen Aktivitäten unter Servicestelle für Kommunen in der Einen Welt sowie vor Ort mit einander vernetzen, in der Kommune bekannt machen und so der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gern. auch für neues Engagement werben. In der entwicklungspoli- Die vorliegende Dokumentation soll dazu einen Beitrag tischen Bildungsarbeit sind Kommunen ein wichtiger Partner. leisten. Sie gibt Anregungen sowie einen Überblick über die Gemeinsam entfalten Städte, Gemeinden und Kreise eine zahlreichen Unterstützungsangebote für Kommunen, die sich hohe Nachfrage. Durch nachhaltige Beschaffung leisten zahl- entwicklungspolitisch engagieren möchten. reiche Kommunen schon heute einen Beitrag zu nachhaltiger Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre der Dokumen- Entwicklung und geben ein wichtiges Beispiel für die Menschen, tation und viele hilfreiche Informationen und Anregungen für die die dort leben. Arbeit in Ihrer Kommune. Derzeit unterhalten über 500 Städte, Gemeinden und Kreise in Deutschland Beziehungen zu Kommunen in Asien, Afrika und Lateinamerika und engagieren sich mit (Projekt-)Partnerschaften für eine nachhaltige Entwicklung. Die Expertise von Kommunen zur lokalen Selbstverwaltung ist bei den Partnern gefragt, denn gut funktionierende Verwaltungen Dr. Gerd Müller werden von vielen Menschen als das Fundament der Gesellschaft Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und gesehen – überall auf der Welt. Ich begrüße dieses Engagement Entwicklung 5
I ENTWICKLUNGSPOLITIK IN UND VON KOMMUNEN Kommunen gestalten Zukunft Chancen und Möglichkeiten kommunaler Entwicklungszusammenarbeit VON DR. STEFAN WILHELMY, LEITER DER SERVICESTELLE KOMMUNEN IN DER EINEN WELT VON ENGAGEMENT GLOBAL, UND JANINA SALDEN, DEUTSCHER STÄDTE- UND GEMEINDEBUND Kommunen sind bedeutende Akteure der internationalen lungen sollen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig Entwicklungspolitik – dies wird sowohl national als auch internati- sein. Aber auch fast alle anderen Ziele weisen einen kommunalen onal immer mehr anerkannt. Städte, Gemeinden und Landkreise Bezug auf. setzen mit Expertise und Bürgernähe auf vielfältige Art und Weise Die kommunalen Spitzenverbände in Deutschland rufen die entwicklungspolitische Projekte um. Als verlässliche Partner der Kommunen auf, sich für ausgewählte Ziele der 2030-Agenda für Entwicklungszusammenarbeit nehmen sie ihre Verantwortung nachhaltige Entwicklung auf lokaler Ebene einzusetzen. Die Deut- für eine global nachhaltige Entwicklung wahr – und ihr Know- sche Sektion des Rates der Gemeinden und Regionen Europas how zu Handlungsfeldern der kommunalen Daseinsvorsorge ist (RGRE) hat eine Mustererklärung erarbeitet, mit der Kommunen weltweit gefragt. ihre Bereitschaft zum Engagement für die Nachhaltigkeitsziele signalisieren können. Das Thema Nachhaltigkeit bietet sich BEDEUTUNG DER KOMMUNALEN hervorragend an, um es zur zukunftsweisenden Querschnittsauf- ENTWICKLUNGSPOLITIK WÄCHST gabe zu machen und es in das kommunale Leitbild zu integrieren Die politischen Rahmenbedingungen für Kommunale Entwick- (siehe auch Kasten Seite 11). lungspolitik werden immer besser, zahlreiche nationale und internationale Beschlüsse spiegeln dies wider. So etwa werden KOMMUNEN SIND VIELFÄLTIG AKTIV UND Kommunen im Koalitionsvertrag der Bundesregierung für ENGAGIERT die 18. Legislaturperiode erstmals als Akteure genannt, deren Und die Kommunen selbst? Sie zeigen ihr entwicklungspoli- entwicklungspolitisches Engagement hierzulande ebenso wie tisches Engagement schon seit vielen Jahren in Wort und Tat: in den Partnerländern unterstützt werden soll. Ein Beschluss des Kommunale Akteure beteiligen sich in vielfältigen Projekten oder Deutschen Bundestages von 2015 zur Stärkung kommunaler Part- Partnerschaften und zahlreiche Beschlüsse vor Ort, wie etwa nerschaften unterstreicht diese gewachsene Bedeutung. Und der zur Fairen Beschaffung, werden umgesetzt. Die überwältigende Deutsche Bundestag hat im November 2015 dem Vorschlag der Teilnahme am 2014 erstmals ausgelobten und mit 50 000 Euro Bundesregierung zugestimmt, die Mittel des Bundesministeriums dotierten Wettbewerb „Kommune bewegt Welt“ der Servicestelle für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zur Kommunen in der Einen Welt zum Thema Migration und Kommu- Förderung für kommunale Entwicklungszusammenarbeit im Jahr nale Entwicklungspolitik unter der Schirmherrschaft des Bundes- 2016 deutlich aufzustocken. ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Wahrnehmung und vor allem Anerkennung der kommu- zeigt die Vielfalt der kommunalen Aktivitäten in diesem immer nalen Rolle in der Entwicklungspolitik spiegelt sich in der Folge wichtiger werdenden Bereich. in den Instrumenten der Servicestelle Kommunen in der Einen Dieses Engagement erfährt konsequenten Rückhalt durch Welt (SKEW) von Engagement Global zur inhaltlichen und finan- die nationalen und internationalen Interessensverbände der ziellen Unterstützung von entwicklungspolitischen Projekten der Kommunen und gewinnt durch die aktuelle Flüchtlingsthematik kommunalen Ebene. neue Bedeutung. Der politische Rahmen für Kommunale Entwick- Auch international wird der kommunalen Ebene immer lungspolitik ist durch Wertschätzung auf allen Ebenen abgesteckt größere Bedeutung zugesprochen. Im September 2015 haben und macht Mut, aktiv zu werden. die Vereinten Nationen die 2030-Agenda für eine nachhaltige Die Gründe, warum Städte, Gemeinden und Landkreise sich Entwicklung verabschiedet. Die darin enthaltenen 17 neuen in der Entwicklungspolitik engagieren, sind vielfältig. Durch globalen Nachhaltigkeitsziele werden nicht ohne die aktive Mitar- den internationalen Erfahrungsaustausch von guter kommu- beit der Kommunen umzusetzen sein. Eines der 17 Agenda-Ziele naler Praxis wird neues Wissen und mehr Handlungskompetenz ist sogar speziell auf Kommunen ausgerichtet: Städte und Sied- gewonnen – und das sowohl im Globalen Süden als auch im 6
Die neuen Nachhaltigkeits- ziele sind global; sie können am effektivsten durch das Wirken der kommunalen Ebene erreicht werden Globalen Norden. In den Kommunen wächst die interkulturelle Engagement in anderen Ländern birgt zudem Chancen, Demo- Vielfalt, die das Image als weltoffene, tolerante Kommune stärkt kratisierungsprozesse aktiv zu unterstützen – und das nicht nur und damit eine nachhaltige, soziale und wirtschaftliche Dynamik nach, sondern auch in Krisenzeiten. Gerade über Städtepartner- auslöst. Und nicht zuletzt: Bei den kommunalen Akteuren und schaften bestehen auch Handlungsspielräume, um Beziehungen in der Bevölkerung wächst das Bewusstsein für die komplexen aufrecht zu erhalten, auch wenn die nationalen Kontakte zurück- Problemstellungen einer globalisierten Welt. Wesentlicher haltender sind. Kommunale Entwicklungszusammenarbeit ist Bestandteil dessen ist, das Konzept des Globalen Lernens vor Ort damit auch Bestandteil einer kommunalen Außenpolitik. vor allem gemeinsam mit Bildungseinrichtungen zu verankern. Wie sehr deutsche Städte, Gemeinden und Landkreise ihrer- seits durch diesen Erfahrungsaustausch gewinnen können, SERVICESTELLE KOMMUNEN IN DER EINEN WELT zeigt sich beispielsweise im Projekt „50 Kommunale Klimapart- BERÄT UND UNTERSTÜTZT nerschaften bis 2015“ der Servicestelle Kommunen in der Bei der Suche nach geeigneten Handlungsschwerpunkten für Einen Welt in Kooperation mit der Landesarbeitsgemeinschaft entwicklungspolitisches Engagement gibt es zahlreiche Auswahl- Agenda 21 NRW (LAG 21 NRW), das vom Deutschen Städte- und möglichkeiten. Kommunen, gleich welcher Größe, können in Gemeindebund seit Jahren unterstützt wird. Hier bringen sowohl vielen Bereichen aktiv werden. Die Servicestelle Kommunen in deutsche als auch Kommunen der Süd-Partnerländer Expertise der Einen Welt von Engagement Global dient Ihnen bundesweit sehr unterschiedlicher Art mit. Beide Seiten können voneinander als Ansprechpartner. Information und Beratung, um kommunale lernen und profitieren – unmittelbar durch Verbesserungen in Akteure zu qualifizieren und zu vernetzen, gehören ebenso zu ihrem lokalen Umfeld und mittelbar durch die gemeinsamen den Kerngebieten der Servicestelle wie auch die Auslobung von Beiträge zu globalem Klimaschutz und Klimaanpassung. Die Wettbewerben. kommunalen Klimapartnerschaften sind ein vielversprechender Die Teilnahme etwa an dem seit 2003 ausgelobten Wettbewerb Ansatz, um ein globales Thema gemeinsam lokal anzugehen. „Hauptstadt des Fairen Handels“ steigert Sichtbarkeit, Anerken- nung und Würdigung kommunalen entwicklungs politischen Engagements, motiviert Bürgerinnen und Bürger zur Beteiligung und schafft Bewusstsein für die gemeinsame Verantwortung in der Einen Welt. Der Bereich Fairer Handel und nachhaltige Beschaffung bietet großes Potenzial, um viele Menschen direkt anzusprechen. Jeder ist Konsument. Und jede Institution, jede Verwaltung kann durch die Umstellung des Konsums von Gütern auf eine nachhaltige Entwicklung hinwirken. Wer sich in kommunalen Partnerschaften und internationalen entwicklungspolitischen Kommunalbeziehungen mit Partnern in Asien, Afrika oder Lateinamerika engagiert, weiß, dass deut- sche Kommunen mit ihrer Expertise oft begehrte Partner sind. Im Rahmen des Projekts „50 Kommunale Klimapartnerschaften bis 2015“ Die kommunale Selbstverwaltung ist dabei nur einer von vielen entwickeln deutsche Städte mit Kommunen im Globalen Süden gemeinsam „Exportschlagern“ von deutschem Know-how. Kommunales Handlungsprogramme in den Bereichen Klimaschutz und Klimaanpassung 7
I Entwicklungspolitik in und von Kommunen KOMMUNALE ENTWICKLUNGSPOLITIK BRAUCHT Die kommunale Entwicklungszusammenarbeit ist eine freiwillige BÜRGERSCHAFTLICHES ENGAGEMENT Aufgabe von Kommunen. Daran soll auch nicht gerüttelt werden. Kommunale Entwicklungspolitik ist nicht ohne bürgerschaftliches Für viele Städte und Gemeinden mit klammen Haushaltskassen Engagement denkbar. Eine breite zivilgesellschaftliche Beteili- ist ein entwicklungspolitisches Engagement jedoch nur schwer gung ist Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung. Hier umsetzbar – aber deshalb nicht gleich unrealistisch. Über die finden sich Wechselwirkungen zu einem weiteren kommunalen vielen Fördermöglichkeiten, etwa themen- und projektbezogene Handlungsfeld: Migration und Entwicklung. Menschen mit Migra- Fördermittel von Ländern, dem Bund oder der Europäischen tionshintergrund und ihre Organisationen besitzen oft besondere Union, informiert die Servicestelle Kommunen in der Einen Welt Kenntnisse über und Kontakte in ihre Herkunftsländer. Sie können umfänglich. so bei der Entwicklung passgenauer Entwicklungsstrategien behilflich sein. Gerade für die Kommunale Entwicklungspolitik POTENZIALE IN DER KOMMUNE BÜNDELN ist dies ein attraktives Potenzial, insbesondere im Hinblick auf Und: Nicht immer muss Engagement mit viel Geld gefördert Städtepartnerschaften und den Fairen Handel. Gleichzeitig wird werden. Ein erster Schritt kann es schon sein, das bereits vorhan- die interkulturelle Kompetenz aller Akteure gefördert und ein dene Potenzial in einer Kommune zu bündeln. Private Initiativen, wesentlicher Beitrag zur Integration geleistet. Partnerschaftsvereine, Migrantengruppen, Bürgerinnen und Städtepartnerschaften sind seit Jahren und auch heute noch Bürger, die private Kontakte in andere Ländern pflegen: Hier anzu- zumeist Grundlage entwicklungspolitischen Handelns. Aus knüpfen, Netzwerke zu bilden, gemeinsame Aktionen durchzu- Kooperationen zwischen zwei Städten können neue Projekte führen in Kooperation mit Schulen, Kindergärten, Sportvereinen erwachsen, sich Netzwerke bilden oder Multi-Akteurs-Partner- oder Handels- und Handwerkskammern schafft Aufmerksamkeit schaften entstehen. Mehrere deutsch-französische Partner- und Motivation für ein umfangreicheres zivilgesellschaftliches schaften haben schon heute eine dritte Kommune aus dem Engagement, bei dem die Kommune unterstützen und mitwirken Globalen Süden in ihren Kreis aufgenommen. Gemeinschaftliches kann, ohne dass viel Geld aufgebracht werden muss. Engagement mit mehreren Partnern, etwa auch orientiert an den Kommunale Entwicklungspolitik bietet viele Chancen für Partnerschaften der Bundesländer oder aber im Rahmen von deutsche Städte, Gemeinden und Landkreise. Wer von ihnen Städtenetzwerken, verteilt die Aufgaben auf mehreren Schultern entwicklungspolitisch aktiv wird, kann nur gewinnen – in Deutsch- und erhöht zugleich den Output für alle Beteiligten. land und in der Einen Welt. Das Engagement von Kommunen für Fairen Handel wird alle zwei Jahre im Rahmen des Wettbewerbs „Hauptstadt des Fairen Handels“ ausgezeichnet – zuletzt im September 2015 8
I Entwicklungspolitik in und von Kommunen Zur Unterzeichnung des Millenniums-Gene- rationen-Vertrages am 9. Oktober 2007 konnten der dama- lige Bürgermeister Alexander Büttner (Mitte) und Werner Ohlert (links) vom Partnerschaftsverein die Beauftragte für die UN-Millenniumskam- pagne in Deutschland, Dr. Renée Ernst, begrüßen Gemeinsam für die Millenniums-Entwicklungsziele Partnerschaft zwischen Bad Münstereifel und Piéla in Burkina Faso VON ALEXANDER BÜTTNER, EHEMALIGER BÜRGERMEISTER DER STADT BAD MÜNSTEREIFEL Die am 9. September 2000 von den Vereinten Nationen (UN) als 50 Wohnplätze verteilt in einem rund 151 Quadratkilometer verabschiedete Millenniums-Erklärung ist zunächst einmal eine großen Gemeindegebiet wohnen, in einem engen Rahmen. Absichtserklärung von Staaten. Deren kleinste Organisations- Vielleicht kann man ihn am treffendsten mit einem „Magischen einheiten sind indes die Gemeinden – eine Überlegung, die zu Viereck“ mit den Eckpunkten „Politischer Wille“, „Finanzielle einer Herangehensweise in Form einer Entwicklungspolitik von Gestaltungsmöglichkeiten“, „Personelle Ressourcen“ und „Zusam- unten beziehungsweise zu einer Politik der nachhaltigen kleinen menarbeit mit Dritten“ beschreiben. Schritte führt. Die Erkenntnis, in „Einer Welt“ zu leben, in der Veränderungen Auswirkungen für alle haben, bewegt zum Handeln. Sicherlich MILLENNIUMS-ERKLÄRUNG UND ist der Gedanke zum helfenden Miteinander in Bad Münstereifel GENERATIONENVERTRAG IN BAD MÜNSTEREIFEL auch durch das Vorbild „Friedrich Joseph Haass“ geschärft. Er Aus diesem Grund hat der Rat der Stadt Bad Münstereifel 2007 die wurde 1780 in Bad Münstereifel geboren und kümmerte sich im Millenniums-Erklärung des Deutschen Städte- und Gemeinde- zaristischen Russland des 19. Jahrhunderts um die Gefangenen- bundes und den Generationenvertrag des Vereins Partnerschaft fürsorge, weshalb er heute noch als „Heiliger Doktor von Moskau“ Piéla-Bad Münstereifel e. V. zu den Millenniums-Entwicklungs- verehrt wird. Sein Beispiel zeigt, wie segensreich Menschen zielen der Vereinten Nationen beschlossen und unterzeichnet. wirken können. Auf Initiative der Partnerschaft Piéla-Bad Münstereifel e. V. und der Stadt Bad Münstereifel wurde die Millenniums-Erklärung 2009 von STÄDTISCHES UND EHRENAMTLICHES allen Kommunen des Kreises Euskirchen in einem Festakt unter- ENGAGEMENT zeichnet, an dem auch der damalige NRW-Integrationsminister Bei der finanziellen Gestaltung des politischen Willens zur Hilfe Armin Laschet und die Beauftragte für die UN-Millenniums sind Bad Münstereifel allerdings sehr enge Grenzen gesteckt. kampagne in Deutschland, Dr. Renée Ernst, teilnahmen. Es wird noch einige Jahre dauern, bis sie laut Plan wieder einen Bei der angestrebten Erreichung der Millenniums-Entwick ausgeglichenen Haushalt erreicht haben wird. Obwohl die Stadt lungsziele bewegt sich eine kleine Kommune wie Bad Münster in den vergangenen Jahren zur Haushaltskonsolidierung auch eifel, deren rund 18 000 Einwohnerinnen und Einwohner auf mehr viel Personal abgebaut hat – allein von 2011 bis 2014 entfielen 9
I Entwicklungspolitik in und von Kommunen 15 Prozent der Stellen –, besteht nach wie vor die Bereitschaft, lokale Initiativen personell und insbesondere organisatorisch zu unterstützen. Allerdings ist festzuhalten, dass eine kommunale Entwick- lungspolitik ohne die Mitarbeit des Ehrenamtes durch eine Stadt der Größenordnung Bad Münstereifels nicht realisierbar wäre. Diese Einbindung des Ehrenamtes spiegelt sich auf vielen Ebenen wider. Schulen, Vereine, kirchliche Einrichtungen und private Burkina Faso, was übersetzt Land des aufrichtigen Menschen heißt, gehört Initiativen arbeiten Hand in Hand mit der Stadt Bad Münstereifel immer noch zu den ärmsten Ländern der Welt zusammen. Schnittstelle zwischen Kommune und Ehrenamt war zuerst das Ratsbüro, später dann die Stabsstelle. Heute liegt lich der Einkommen war man noch weit vom angestrebten Ziel die Zuständigkeit beim Amt für Schule, Kultur, Kurwesen und entfernt. Zur Bekämpfung des Hungers wurde nach der Erhebung Tourismus, das wesentlich mehr leisten muss als reine Koordina- ein Digett-Projekt gestartet, das die Bodenerosion mindern und tionsaufgaben. Das Amt unterstützt die ehrenamtlich Tätigen auf höhere Ernteerträge sichern soll. Im Rahmen der Krankenversor- vielerlei Weise, insbesondere auf dem Gebiet der Öffentlichkeits- gung gab es immer noch zu wenige und zudem kostenpflichtige arbeit. Krankenstationen, die nur für die wenigsten Kranken zugänglich Als Beispiel kommunaler Entwicklungspolitik muss die waren. Dennoch konnten die Kinder- und die Müttersterblich- herausragende Arbeit des Vereins Partnerschaft Piéla-Bad keit gesenkt werden. Fortschritte konnten auch bei der Schulbil- Münstereifel e. V. hervorgehoben werden. Er wurde 1993 dung erzielt werden, wobei das angestrebte Ziel aber noch nicht gegründet, um die akute Notlage des Ortes in Burkina Faso erreicht wurde. Dieses Fazit lässt sich auch für die anderen Millen- zu lindern. Angebahnt wurde der Kontakt auf einem Partner- niums-Entwicklungsziele ziehen. schaftstreffen im französischen Fougères. Gemeinsam mit der Vieles wurde getan, einiges erreicht, doch bleibt noch ein bretonischen Stadt und dem in der englischen Grafschaft Kent langer Weg zu gehen. Wichtig ist, dass ein individueller Weg gelegenen Ashford unterhält Bad Münstereifel eine Städtepart- möglich sein muss. In Fortschreibung der Millenniums-Erklärung nerschaft, die jeweils aus einem gegenseitigen Jugendaustausch gibt nun die 2030-Agenda für eine nachhaltige Entwicklung mit erwuchs. ihren globalen Nachhaltigkeitszielen die Richtung vor. Schritt- länge und Schrittfrequenz müssen die betroffenen Akteure selbst PRAKTISCHE UNTERSTÜTZUNG FÜR wählen dürfen, damit sie auf ihrem langen Weg nicht aus der PARTNERGEMEINDE IN BURKINA FASO Puste kommen. Zuerst nahm sich der Verein der Trinkwasserversorgung an. Brun- nenbau zählt zwar immer noch zu den wichtigsten Projekten, KONTAKT aber im Laufe der Zeit wurde die Hilfe zur Selbsthilfe um wichtige Stadt Bad Münstereifel Themen wie Gesundheitsvorsorge, insbesondere Aids-Vorsorge, Marktstraße 11-15 sowie um die Patenkinder-Aktion und die Förderung der Schulen 53902 Bad Münstereifel erweitert. Für Letztgenanntes wurden auch Schulpartnerschaften Tel.: 02253 505-0 mit der Grundschule in Bad Münstereifel-Arloff, der Friedrich- Fax: 02253 505-114 Haass-Gemeinschaftsgrundschule und dem St.-Michael-Gymna- E-Mail: info@bad-muenstereifel.de sium begründet. Selbst Kindergartenkinder laufen und sammeln Internet: www.bad-muenstereifel.de/ für Piéla. Das ist gelebte Völkerverbindung. Neben der Piéla-Hilfe sind Bad Münstereifeler Initiativen auch Partnerschaft Piela-Bad Münstereifel e.V. in Chile, Brasilien und Indien aktiv. Die Tradition des „Heiligen Walessiefen 8 Doktors“ führt die Friedrich-Joseph-Haass-Gesellschaft fort, die 53902 Bad Münstereifel sich unter anderem im deutsch-russischen Jugendaustausch und Tel.: 02257 4022 einem deutsch-ukrainischen Behindertenprojekt engagiert. Fax: 02257 950171 Wie gezeigt, liegt ein besonderer Schwerpunkt auf der Hilfe für E-Mail: info@piela-cuofi.de die westafrikanische Partnergemeinde Piéla, die 2007 zum Stand Internet: www.piela-cuofi.de der Millenniums-Entwicklungsziele befragt wurde. Hinsicht- 10
I Entwicklungspolitik in und von Kommunen Millenniums-Entwicklungsziele Anlässlich der und Nachhaltigkeitsziele Verabschiedung der 2030-Agenda für eine nachhaltige Entwicklung hatten die Vereinten Nati- onen die 17 neuen globalen Nachhal- tigkeitsziele auf die Fassade ihres Hauptquartiers in New York projiziert Im September 2000 unterschrieben die schaftliche Ziele unter einem Dach und bundes und der Deutschen Sektion des Staats- und Regierungschefs von 189 sie gelten für alle Länder – egal ob arm Rates der Gemeinden und Regionen Ländern die Millenniums-Erklärung der oder reich. Zudem wurden sie in einem Europas (RGRE) auch von deutschen Vereinten Nationen, in der acht Entwick- breiten Konsultationsprozess entwickelt, Kommunen unterzeichnet wurde. lungsziele für das Überleben der Mensch- an dem sich neben Politik, Wirtschaft und Da auch die neuen globalen Nach- heit festgeschrieben wurden. Danach Zivilgesellschaft auch die Kommunen haltigkeitsziele nicht ohne die aktive sollten bis zum Jahr 2015 der weltweite beteiligt haben. Eines der 17 Ziele richtet Mitwirkung der Kommunen in Deutsch- Hunger und die extreme Armut halbiert sich denn auch explizit an die kommu- land, aber auch weltweit, erreicht werden werden, alle Kinder eine Grundschul- nale Ebene. Ziel 11 fordert, „Städte und können, empfehlen die deutschen ausbildung erhalten, die Gleichstellung Siedlungen inklusiv, sicher, widerstands- kommunalen Spitzenverbände ihren der Geschlechter gefördert, Kindersterb- fähig und nachhaltig machen“. Mitgliedskommunen, sich – ähnlich wie lichkeit verringert, die Gesundheit der Wie bereits die Millenniums-Entwick- bei den Millenniums-Entwicklungszielen Mütter verbessert, Aids bekämpft, der lungsziele richten sich auch die neuen – für ausgewählte Ziele der 2030-Agenda Schutz der Umwelt verbessert und eine globalen Nachhaltigkeitsziele an die für eine nachhaltige Entwicklung auf weltweite Entwicklungspartnerschaft Kommunen. „Unsere Ziele sind global, lokaler Ebene zu engagieren. Die Deut- aufgebaut werden. aber sie können am effektivsten durch sche Sektion des RGRE hat dazu eine Nach Auslaufen der Millenniums- das Wirken der kommunalen Ebene Mustererklärung erarbeitet. Durch Unter- Entwicklungsziele haben die Vereinten erreicht werden“, betonte denn auch 2005 zeichnung dieser Erklärung können Nationen auf ihrer 70. Vollversamm- der damalige UN-Generalsekretär Kofi Städte, Gemeinden und Landkreise ihre lung im September 2015 in New York Annan die zentrale Rolle der Kommunen Bereitschaft signalisieren, die Nachhal- die 2030-Agenda für eine nachhaltige zur Erreichung der acht Millenniums- tigkeitsziele mit Leben zu füllen. Entwicklung verabschiedet. Die darin Entwicklungsziele. Die Generalversamm- enthaltenen 17 Ziele und 169 Unterziele lung des Weltverbandes der Kommunen WEITERFÜHRENDE für eine nachhaltige Entwicklung sind verabschiedete daher 2005 die Millen- INFORMATIONEN noch wesentlich ambitionierter als die niums-Erklärung der Kommunen, die Deutsche Sektion des Rates der Millenniums-Entwicklungsziele. Denn sie auf Initiative des Deutschen Städtetages, Gemeinden und Regionen Europas vereinen ökologische, soziale und wirt- des Deutschen Städte- und Gemeinde- (RGRE): www.rgre.de 11
II FAIRER HANDEL UND NACHHALTIGE BESCHAFFUNG IN KOMMUNEN Beitrag der Kommunen zu einer gerechten Handelsordnung Berücksichtigung sozialer und ökologischer Kriterien in der öffentlichen Beschaffung VON NORBERT PORTZ, BEIGEORDNETER DES DEUTSCHEN STÄDTE- UND GEMEINDEBUNDES KOMMUNEN ALS VORBILDER 1. Leistungsbeschreibung und technische Spezifikationen: Die Faire und nachhaltige Beschaffungen beinhalten die Beachtung Nichterfüllung einer entsprechenden Vorgabe durch ein der ökologischen, ökonomischen, sozialen und ethischen Krite- anbietendes Unternehmen führt im Sinne eines K.-o.-Krite- rien bei der Herstellung und dem Handel mit Waren und Dienst- riums des Auftraggebers zum Ausschluss des Bieters; leistungen. Dabei nehmen die Kommunen eine Vorbildfunktion 2. Eignung des Unternehmens (Fachkunde und Leistungsfähig- ein. Sie sind bei einem jährlichen öffentlichen Auftragsvolumen keit); in Deutschland von insgesamt etwa 300 Milliarden Euro nicht nur 3. Zuschlagskriterien (Umwelt und Soziales neben dem Preis) im Vergleich zum Bund und den Ländern die größten öffentlichen sowie bei der Auftraggeber; die Kommunen sind auch Vorbild für ihre Bürger 4. Auftragsausführung. und Bürgerinnen und können vor Ort mit ihrem Verhalten viele Anstöße gerade für Private und für die örtliche Wirtschaft geben. FAIRE BESCHAFFUNGEN Mit fairen Beschaffungen leisten Kommunen zudem einen wich- VERGABERECHTSKONFORM tigen Beitrag zu einer gerechteren Handelsordnung und stärken Unstreitig ist, dass Kommunen nachhaltige Beschaffungen im ihr entwicklungspolitisches Profil. Es sollte daher Ziel jeder Einklang mit dem Vergaberecht durchführen können. Insoweit Kommune sein, eklatante Rechtsverstöße bei der Herstellung von bestimmt § 97 Abs. 4 S. 2 des noch aktuellen Gesetzes gegen Wett- Produkten sowohl im In- als auch im Ausland zu verhindern und bewerbsbeschränkungen (GWB), dass „für die Auftragsausfüh- eine nachhaltige Beschaffung zu gewährleisten. Dadurch wird der rung zusätzliche Anforderungen an Auftragnehmer gestellt werden Grundsatz „Lokal denken, global handeln“ in der konkreten Praxis können, die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative umgesetzt. Aspekte betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung VERGABERECHTLICHE STELLSCHRAUBEN ergeben“. § 97 Abs. 3 des neuen und bis zum 18. April 2016 in Tatsächlich orientieren sich immer mehr Kommunen mit ihrem nationales Recht umzusetzenden GWB-Entwurfs vom 8. Juli 2015 Einkaufsverhalten an den Prinzipien einer fairen und nachhal- bestimmt noch eindeutiger im Sinne einer Vorgabe für öffentliche tigen Beschaffung. Diese Prinzipien spielen zudem aufgrund von Auftraggeber, dass „bei der Vergabe […] soziale und umweltbezo- Vorgaben im EU-Recht, in den nationalen Vergabeordnungen gene Aspekte […] berücksichtigt werden.“ sowie auch aufgrund von Vergabegesetzen in den einzelnen Auch enthält § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB-E eine ausdrückliche Bundesländern eine immer größere Rolle. Im Vollzug kommt es Bestimmung, dass öffentliche Auftraggeber unter Berücksichti- dabei auch auf eine vergaberechtlich richtige und tatsächlich effi- gung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen ziente Gestaltung der Einkäufe und Beschaffungen an, etwa von zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme Bauten aus nachwachsenden Rohstoffen oder nachhaltigem Holz, ausschließen können, wenn „das Unternehmen bei der Ausführung von Spielwaren für Kindertagesstätten, von Natursteinen für die öffentlicher Aufträge nachweislich gegen geltende umwelt-, sozial- Ortsgestaltung, von Berufskleidung für die Feuerwehr oder aber oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat“. Ergänzend von Nahrungsmitteln und Kaffee für den täglichen Gebrauch bestimmen die aktuellen §§ 16 Abs. 6 Nr. 3 S. 2 VOB/A, 16 Abs. 8 und Verzehr. Die Berücksichtigung von Kriterien der Nachhaltig- VOL/A sowie auch § 127 Abs. 1 GWB-E, dass der Auftraggeber bei keit und insbesondere von Umwelt- und Sozialaspekten kann bei seiner Entscheidung über den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Vergabeverfahren grundsätzlich auf vier Stufen erfolgen: Angebot unter anderem auch „Umwelteigenschaften“ bzw. umwelt- 12
II Fairer Handel und nachhaltige Beschaffung in Kommunen Zudem macht es Sinn, die Unternehmen frühzeitig über die Einzelheiten und das Verfahren nachhaltiger Beschaffungen zu Immer mehr Kommunen setzen bei der Ausstattung ihrer Feuerwehren informieren. Dadurch können die Unternehmen ihre Angebots auf Berufskleidung, die unter Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen produziert wird palette auf „faire Ausschreibungen“ ausrichten. bezogene oder soziale Aspekte“ berücksichtigen kann. Weiter heißt FAIRE BESCHAFFUNGEN OHNE es etwa in § 16 Abs. 6 Nr. 3 S. 3 VOB/A, dass für die Zuschlagsertei- KOSTENSTEIGERUNGEN lung „der niedrigste Angebotspreis allein nicht entscheidend ist“. Alle kommunalen Erfahrungen zeigen, dass „faire“ Vergaben und In gefestigter Rechtsprechung hat der Europäische Gerichtshof damit etwa die Beschaffung von Produkten, die ohne ausbeute- vier Voraussetzungen für vergaberechtskonforme nachhaltige rische Kinderarbeit hergestellt werden, nicht zur Erhöhung der Beschaffungen, die insbesondere soziale und Umweltaspekte Einkaufskosten führen. So wird ein Lieferant die Einhaltung der berücksichtigen, aufgestellt: ILO-Kernarbeitsnormen in seinem Angebot kaum preiserhöhend 1. Die jeweils vorgegebenen Kriterien müssen mit dem Gegen- berücksichtigen. Auch ein personeller Mehraufwand in der stand des Auftrags zusammenhängen (Auftragsbezug). Verwaltung dürfte sich bei einer effizienten Durchführung der 2. Die Zuschlagskriterien müssen klar, objektiv und nachprüfbar Verfahren im Rahmen halten. sein. 3. Der Auftraggeber muss die jeweiligen Kriterien vorab in der Bekanntmachung sowie in der Leistungsbeschreibung nennen und 4. bei Beachtung der Kriterien müssen alle wesentlichen Grund- WETTBEWERB „HAUPTSTADT sätze des Gemeinschaftsrechts (Verbot der Diskriminierung DES FAIREN HANDELS“ etc.) gewahrt bleiben. Die Servicestelle Kommunen in der UMSETZUNG IN KOMMUNEN UNTER Einen Welt von Engagement Global EINBEZIEHUNG ALLER AKTEURE richtet seit 2003 alle zwei Jahre den Eine faire Beschaffung sollte in der Kommune „Chefsache“ sein. Wettbewerb „Hauptstadt des Fairen Dies beinhaltet eine breite Unterstützung sowohl durch die Handels“ aus. Der Titel geht an Städte gesamte Politik als auch durch die Verwaltung. Es empfiehlt sich, und Gemeinden, die sich in besonderer Weise für Fairen durch Stadt-, Gemeinderats- oder Kreistagsbeschluss die Grund- Handel, Faire Beschaffung und nachhaltigen Konsum sätze einer fairen Beschaffung, also insbesondere die Einhaltung engagieren. Die Auszeichnung soll das lokale Engagement der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisa- für den Fairen Handel würdigen, Öffentlichkeit und Medien tion (ILO), bei allen Vergabeverfahren der jeweiligen Kommune auf innovative Beispiele aufmerksam machen und so noch vorzugeben. Dies gewährleistet, dass insbesondere keine Waren mehr Kommunen sowie Bürgerinnen und Bürger zu global beschafft werden, die mithilfe ausbeuterischer Kinderarbeit, verantwortungsvollem Handeln motivieren. Die ausge- Dumpinglöhnen sowie anderer menschenunwürdiger Arbeits- zeichneten Kommunen erhalten Preisgelder von insgesamt verhältnisse hergestellt wurden. 105 000 Euro für die Weiterführung ihrer fairen Projekte. Derartige Kommunalbeschlüsse müssen aber durch die Bisher hat der Wettbewerb, der vom Bundesministe- Verwaltung in der täglichen Vergabepraxis mit Leben erfüllt rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung werden. Dazu sind nicht nur alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (BMZ) gefördert wird, bereits mehr als 1000 vorbildliche der Beschaffungsstellen, also speziell die kommunalen Fach Projekte und innovative Aktionen zum Fairen Handeln bereiche und die zentralen Vergabestellen, über die Umsetzung hervorgebracht, die in einer eigens dafür eingerichteten fairer und nachhaltiger Beschaffungen in das Vergabeverfahren Datenbank der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt zu informieren und auch zu schulen. Weiter sollte das Verfahren aufgeführt sind. der nachhaltigen Beschaffung mit seinen einzelnen Stufen in WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN die kommunalen Vergabeordnungen und Dienstanweisungen Hauptstadt des Fairen Handels: www.service-eine-welt.de/ einfließen. Gewährleistet werden so Gleichbehandlung und hauptstadtfh/hauptstadtfh-start.html Transparenz für alle kommunalen Beschaffungen. 13
II Fairer Handel und nachhaltige Beschaffung in Kommunen LEITFÄDEN UND WEBSEITEN ALS INFORMATIONSQUELLEN NUTZEN Ferner sollten frühzeitig die jeweiligen Nutzer der zu beschaffenden Leistungen (Fachbereiche in den Kommunen) sowie auch Umwelt- experten eingebunden werden und eine genaue Bedarfsanalyse Neben dem fairen Umgang untereinander spielt beim Fußball auch die Verwendung fair gehandelter Bälle eine immer wichtigere Rolle (Für welche Produkte ist eine nachhaltige Beschaffung besonders zielführend?) erfolgen. Empfehlenswert ist zudem, zunächst eine Konkretisierung der Beschaffung auf Produkte mit hohen Umwelt- Allerdings gilt dies nur in dem Maße, in dem sich eine Herkunfts- und Sozialauswirkungen vorzunehmen. Die Beschaffungsstellen region für gebietseigene Gehölze nicht auch auf einen anderen sind allerdings häufig überfordert, eigenständig die Umwelt- und Mitgliedstaat erstreckt. So reicht beispielsweise der Oberrhein- erst recht die Sozialgerechtigkeit von Produkten zu prüfen. Daher graben auch nach Frankreich hinein, so dass hieraus stammende empfiehlt sich der Rückgriff auf vorhandene Handbücher, Leit- Gehölze ebenso wie solche aus Deutschland bei einer „Berück- fäden und insbesondere auch Internetseiten: sichtigung von Gehölzen aus dem Oberrheingraben“ zugelassen • Beispiel: Umweltbundesamt, Rechtsgutachten werden müssen. Keinesfalls ist es zulässig, die konkreten Liefe- „Umweltfreundliche öffentliche Beschaffung“, ranten von Gehölzen auf bestimmte Gebiete zu beschränken. Dies www.uba.de/uba-info-medien/4314.html wäre ein Wettbewerbsverstoß, da damit entfernte Unternehmen nicht die Möglichkeit hätten, sich ebenfalls um die Lieferung der Sowie auf Datenbanken und Internetseiten, betreffenden Gehölze zu bewerben. zum Beispiel: • www.eu-energystar.org • www.blauer-engel.de INTEGRATION IN DAS VERGABEVERFAHREN • www.eu-ecolabel.de MITTELS GÜTEZEICHEN UND ZERTIFIZIERUNGEN Zentrales Problem bei der Durchführung nachhaltiger Beschaf- Des Weiteren kann es hilfreich sein, sich mit anderen Kommunen fungen ist die Überprüfung durch eine Kommune, dass etwa auszutauschen oder das Thema in Schulungen (Beispiel: Kommu- Baumaterialien, Nahrungsprodukte oder auch Textilien, also die nale Spitzenverbände, ICLEI) aufzugreifen. Hierüber können wert- Berufskleidung der Feuerwehr, ohne ausbeuterische Kinder volle Informationen, insbesondere über umweltfreundliche und arbeit hergestellt wurden. Hier sind die Kommunen allein über- klimaschonende sowie energieeffiziente Produkte und deren fordert. Daher empfiehlt es sich, von den Anbietern der Produkte Alternativen, gewonnen werden. entweder unabhängige Nachweise, also Gütezeichen (s. § 34 des Entwurfs der neuen Vergabeverordnung vom 9. November AUFTRAGS- UND UMWELTBEZOGENE 2015 = VgV-E) oder Zertifizierungen beziehungsweise zumindest BESCHAFFUNGEN AUS DER REGION ZULÄSSIG? eine Selbsterklärung zu verlangen, wonach etwa die Natursteine Als auftragsbezogene und damit zulässige Beschaffung im Sinne ohne ausbeuterische Kinderarbeit produziert wurden. Manko bei der Nachhaltigkeit kann grundsätzlich in der Vergabebekannt- Selbsterklärungen der Bieter ist, dass die Kommune auf deren machung und den Vergabeunterlagen nicht nur die Vorgabe Glaubwürdigkeit vertrauen muss. Insoweit hat der Verwaltungs- gemacht werden, dass bei der Beschaffung von Hölzern, etwa gerichtshof Baden-Württemberg am 21. Mai 2015 entschieden, für zu errichtende kommunale Bauten, Tropenhölzer und damit dass den Zertifizierungen bei Grabsteinen (Xertifix und fairstone) eine Schädigung von Urwäldern ausgeschlossen werden. Auch keine hinreichend gesicherte Glaubwürdigkeit beizumessen ist. die Ausschreibung von gebietseigenen (regionalen) Gehölzen Daher ist das Verlangen verbindlicher Nachweise vom Bestbieter, muss als vergaberechtlich zulässig angesehen werden. Zwar also dem Bieter, der den Zuschlag erhalten soll, rechtzeitig vor wird hiermit eine Beeinträchtigung der EU-Warenverkehrsfreiheit der Zuschlagserteilung zielführender. Die Bieternachweise bein- (Art. 28 ff. AEUV) vorgenommen. Diese kann aber ausnahmsweise halten, dass etwa die angebotenen Natursteine ohne ausbeute- dann gerechtfertigt sein, wenn nur gebietseigene Gehölze dazu rische Kinderarbeit im Sinne des ILO-Übereinkommens Nr. 182 führen, dass zum Beispiel die heimische Flora nicht genetisch gefertigt wurden. verändert wird und damit stabil für künftige Entwicklungen wie Eine Kommune dürfte einen Nachweis zumindest immer den Klimawandel bleibt. In diesem Fall kann eine kommunale dann auch rechtlich zweifelsfrei verlangen können, wenn dieser Vergabestelle aus Umweltschutzgründen bei ihrer Beschaffung Nachweis verhältnismäßig einfach beizubringen ist. In diesem im Einzelfall gebietsfremde Gehölze ausschließen. Fall stellt die Forderung keinen zu starken Eingriff in die Berufs- 14
II Fairer Handel und nachhaltige Beschaffung in Kommunen KAMPAGNE FAIRTRADE-TOWNS Kommunen in Deutschland können sich seit Anfang 2009 auch in den Medien ein um den Titel „Fairtrade-Town“ bewerben. Zur Erlangung des regelmäßiges Forum Titels ist die Umsetzung von fünf Kriterien erforderlich. Dazu geboten, steht der gehört die Nutzung von Kaffee und einem weiteren Produkt Auszeichnung nichts mehr im Wege. Dabei wird der Titel „Fair- aus Fairem Handel bei Rats- und Ausschusssitzungen sowie im trade-Town“ zunächst auf zwei Jahre vergeben, danach erfolgt Bürgermeisterbüro. Zudem müssen Einzelhandelsgeschäfte eine Überprüfung. und Gastronomiebetriebe fair gehandelte Produkte anbieten, In Deutschland wurden mittlerweile fast 400 Kommunen wobei sich die notwendige Anzahl nach der jeweiligen Einwoh- als „Fairtrade-Towns“ ausgezeichnet. International gibt es nerzahl der Kommune richtet. bereits mehr als 2500 „Fairtrade-Towns“, wobei Großbritannien Kommunen, die den Titel anstreben, müssen darüber mit über 500 „Fairtrade-Towns“ die Bewegung anführt. Als hinaus eine lokale Steuerungsgruppe unter Einbindung Träger der Kampagne in Deutschland steht der Verein Trans- von Verwaltung, Einzelhandel, Agenda 21, Kirchen, Schulen Fair interessierten Kommunen in der Planungsphase beratend und Medien eingerichtet haben, die die fairen Aktivitäten zur Seite und stellt im Internet umfangreiches Material bereit. vor Ort koordiniert. Werden dann noch öffentliche Einrich- tungen wie etwa Schulen oder Kirchen für die Verwendung WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN fair gehandelter Produkte gewonnen und wird dem Thema Kampagne „Fairtrade-Towns“: www.fairtrade-towns.de ausübungsfreiheit der anbietenden Unternehmen dar und ist werden. Eine Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfassungsgemäß. Dabei muss das besondere Gewicht der von empfiehlt sich ebenso wie eine Information der Bürgerschaft und den ILO-Kernarbeitsnormen erfassten Bereiche berücksichtigt insbesondere auch der bei Ausschreibungen potenziell anbie- werden. Diese umfassen allesamt grundgesetzlich geschützte tenden Unternehmen. Faire Beschaffungen führen nach allen Rechtsgüter. Erfahrungen nicht zu Kostensteigerungen. Sie sind im Allgemein- Wenn der Bestbieter die Erklärung der Kommune zur verbind- interesse. Zudem tragen sie zu einem faireren Welthandel bei und lichen Beibringung des konkreten Nachweises unterzeichnet beeinflussen das Verhalten von Herstellern und Lieferanten. hat, wird diese im Zuschlagsfall Vertragsbestandteil. Verstößt ein Faire und nachhaltige Vergaben sollten durch Kommunen Auftragnehmer daher gegen die ihm auferlegte Verpflichtung, effizient durchgeführt werden. Hierzu bieten sich – neben liegt ein schwerwiegender Pflichtenverstoß und ein Verstoß schwer überprüfbaren Selbsterklärungen der Bieter – insbeson- gegen die Auftragsausführung (vgl. § 128 GWB-E) vor. Dieser dere von den Unternehmen beizubringende Gütezeichen und berechtigt die Kommune zum Rücktritt vom Vertrag oder zur frist- Nachweise unabhängiger Institute an. Diese gewährleisten, dass losen Kündigung. Auch sollte die Kommune für diesen Fall in ihren die zu liefernden Produkte insbesondere ohne ausbeuterische Vergabeunterlagen eine entsprechende Vertragsstrafe vorsehen. Kinderarbeit und unter Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen hergestellt wurden. Ein Verstoß kann im Vergabeverfahren zum FAZIT Angebotsausschluss des Unternehmens und nach Auftragsertei- Faire und nachhaltige Beschaffungen finden in der kommunalen lung wegen eines Verstoßes gegen die Vorgaben zur Auftrags- Praxis immer mehr Eingang. Sie schärfen das entwicklungs ausführung zum Rücktritt vom Vertrag oder zur Zahlung einer politische Profil von Kommunen. Faire und nachhaltige Beschaf- Vertragsstrafe führen. Bei Beachtung dieser Vorgaben können fungen sind bei richtiger Anwendung vergaberechtskonform. gerade die Kommunen als größter öffentlicher Auftraggeber Sie sollten auf der Grundlage klarer politischer Zielvorgaben und in Deutschland mit nachhaltigen und fairen Beschaffungen damit auf der Grundlage von Rats- und Kreistagsbeschlüssen einen wertvollen Beitrag zu einer gerechteren Handelsordnung sowie einer Dienstanweisung in den Kommunen umgesetzt erbringen. 15
Aidlingen wurde als erste Gemeinde im Landkreis Böblingen und 81. Kommune in Deutschland mit dem Titel „Fairtrade-Town“ ausgezeichnet „Epizentrum“ des Fairen Handels im Landkreis Böblingen Fairer Handel und nachhaltige Beschaffung in der Gemeinde Aidlingen VON EKKEHARD FAUTH, BÜRGERMEISTER DER GEMEINDE AIDLINGEN UND VORSITZENDER DER LENKUNGSGRUPPE „AIDLINGEN IST FAIR“ Die Gemeinde Aidlingen hat etwa 9000 Einwohnerinnen und Um dieses Ziel zu erreichen, müssen fünf Kriterien erfüllt werden: Einwohner und liegt im Landkreis Böblingen in Baden-Württem 1. Es liegt ein Beschluss der Kommune vor, bei allen Sitzungen berg. In der Vergangenheit wurde Aidlingen, die „Perle des der Ausschüsse, des Gemeinderats sowie im Bürgermeister- Heckengäus“, als beliebtes Naherholungsgebiet bekannt, denn büro Fairtrade-Kaffee und darüber hinaus noch ein weiteres mehr als die Hälfte der Gemeindegemarkung sind Natur- und Produkt aus Fairem Handel zu verwenden. Es wird die Entschei- Landschaftsschutzgebiete. Seit einiger Zeit jedoch hat sich die dung getroffen, als Gemeinde den Titel „Fairtrade-Gemeinde“ Gemeinde nun auch als „Epizentrum“ des Fairen Handels im Land- anzustreben. kreis Böblingen etabliert. 2. Es wird eine lokale Steuerungsgruppe gebildet, die auf dem Weg zur „Fairtrade-Gemeinde“ die Aktivitäten vor Ort koordi- AUF DEM WEG ZUR FAIRTRADE-TOWN niert. Im Zuge der Diskussion um ein Sanierungsgebiet fanden sich 3. In den lokalen Einzelhandelsgeschäften werden gesiegelte Räumlichkeiten, die für die Nutzung als Eine-Welt-Laden geeignet Produkte aus Fairem Handel angeboten und in Cafés und waren. Die Idee, mit einem Verein einen Eine-Welt-Laden aufzu- Restaurants Fairtrade-Getränke ausgeschenkt. Für die Größen- bauen und zu betreiben, löste in der Bürgerschaft spontane ordnung von Aidlingen sind dies vier Einzelhandelsgeschäfte Begeisterung aus. So konnte der „fair Weltladen & Café“ seinen und zwei gastronomische Betriebe. Betrieb im November 2010 aufnehmen und wird auch heute noch 4. In öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Vereinen und sehr gut angenommen. Kirchen werden Fairtrade-Produkte verwendet und Bildungs- Im Frühjahr 2011 verfestigte sich die Idee, eine örtliche aktivitäten zum Thema „Fairer Handel“ durchgeführt. Lenkungsgruppe zu gründen, die die Aktivitäten des Fairen 5. Die örtlichen Medien berichten über alle Aktivitäten auf dem Handels koordinieren soll. Der Bürgermeister konnte hierfür als Weg zur „Fairtrade-Gemeinde“. Vorsitzender gewonnen werden. Und schnell formierte sich eine Bereits im Mai 2011 hat der Gemeinderat einstimmig den zwölfköpfige örtlich breit vernetzte Gruppe mit Vertreterinnen Beschluss gefasst, bei Beschaffungen der Gemeinde Aidlingen und Vertretern aus der Gemeindeverwaltung, dem Gemeinderat, zukünftig nur noch Produkte zu berücksichtigen, die ohne Weltladen, Kirchen, Schulen, Vereinen, dem Einzelhandel und der ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne der Kernarbeitsnormen Gastronomie. In der konstituierenden Sitzung im Juli 2011 wurde der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hergestellt werden. das Ziel formuliert, in den nächsten fünf Jahren einen Antrag für Seither gilt in der Gemeindeverwaltung der oberste Grundsatz die Anerkennung als „Fairtrade-Town“ zu stellen. „Regionalität vor Internationalität“. 16
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