EU-AFRIKA-PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN - Plädoyer für die Förderung innerafrikanischer Wertschöpfung
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EU-AFRIKA 2021-14 EU-AFRIKA- PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN Plädoyer für die Förderung innerafrikanischer Wertschöpfung VON IRENE KNOKE
EU-AFRIKA – PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN INHALTSVERZEICHNIS ABBILDUNGSVERZEICHNIS 3 TABELLENVERZEICHNIS 3 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS 3 1. EINFÜHRUNG 4 2. HERAUSFORDERUNGEN FÜR EINE NEUE EU-AFRIKA-PARTNERSCHAFT 5 2.1 Handels- und Investitionspolitik 6 2.2 Migration und Flucht 9 2.3 Klimawandel und Entwaldung 11 3. AGENDA 2063: AUF DEM WEG ZU EINER AFRIKANISCHEN ZOLLUNION 14 3.1 Von regionalen Märkten zu einer pan-afrikanischen Freihandelszone 14 3.2 Industrialisierungsstrategie der Afrikanischen Union 17 3.3 Die Rolle Europas 19 4. REGIONALE WERTSCHÖPFUNGSKETTEN UND WELTWIRTSCHAFT 21 4.1 Afrikas Integration in internationale Wertschöpfungsketten 21 4.2 Binnenmarktorientierte Industrialisierung in der Agrarproduktion 24 4.3 Regionale Integration - Potentiale für mehr Wertschöpfung in Afrika 29 4.4 Wertschöpfungsketten und Privatsektor in Afrika 33 5. EINE NEUE PARTNERSCHAFT MIT AFRIKA ZUR FÖRDERUNG VON WERTSCHÖPFUNGSKETTEN 36 5.1 Handelspolitik 36 5.2 Investitionen und Privatwirtschaft 37 5.3 Partnerschaft statt klassischer Entwicklungszusammenarbeit? 41 FÖRDERER IMPRESSUM Gefördert durch Bonn, September 2021 MITARBEIT: EU-Afrika- ENGAGEMENT GLOBAL Dr. Sabine Ferenschild, Jiska Go- Partnerschaft mit Mitteln des HERAUSGEBER: auf neuen SÜDWIND e.V. – Institut für jowczyk, Friedel Hütz-Adams, Wegen Ökonomie und Ökumene Dr. Pedro Morazán 2021-14 Kaiserstraße 201, 53113 Bonn REDAKTION UND LEKTORAT: Tel.: +49(0)228-763698-0 Bjarne Behrens, Nina Kleemeyer info@suedwind-institut.de www.suedwind-institut.de Vera Schumacher V.i.S.d.P.: Dr. Ulrike Dufner Gefördert durch BANKVERBINDUNG: KD-Bank GESTALTUNG: IBAN: DE45 3506 0190 0000 9988 77 twotype design, Hamburg BIC: GENODED1DKD Für den Inhalt dieser AUTORIN: Publikation ist allein der INSTITUT FÜR ÖKONOMIE Irene Knoke Herausgeber verantwortlich. UND ÖKUMENE 2
EU-AFRIKA-PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Fotos: Titel: Marcel Crozet, ILO, via Flickr.com AfCFTA African Continental Free Trade Agreement (Konti- nentales Freihandelsabkommen in Afrika) AIDA Action Plan for the Accelerated Industrial Development of Africa (Aktionsplan für beschleu- nigte Industrieentwicklung Afrikas) AKP- STAATEN Afrikanische, Karibische und Pazifische Staaten AU Afrikanische Union COMESA Common Market for Eastern and Southern Africa (Gemeinsamer Markt für östliches und südliches Afrika) EAC East African Community (Ostafrikanische Gemeinschaft) EBA Everything but Arms (Alles außer Waffen) AUTORIN ECCAS Economic Community of Central African States (Wirtschaftsgemeinschaft Zentralafrikanischer IRENE KNOKE Staaten) Irene Knoke hat politische Wissenschaften, An- ECOWAS Economic Community of West African States glistik und Romanistik (Universität Heidelberg) (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) studiert und ein Aufbaustudium Entwicklungs- EFSD Europäischer Fonds für nachhaltige Entwicklung politik (Universität Bremen) absolviert. Seit dem EIP External Investment Plan Jahr 1999 ist sie wissenschaftliche Mitarbeite- EPA Economic Partnership Agreement rin bei SÜDWIND. Themenschwerpunkte hier (Wirtschaftspartnerschaftsabkommen) sind Entwicklungszusammenarbeit im Kontext EUTF EU-Notfall-Treuhandfonds nachhaltiger Armutsbekämpfung, Klimawandel, Frontex Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache Unternehmensverantwortung und Wertschöp- GAP Gemeinsamen Agrarpolitik der EU fungsketten. GSP Generalised Scheme of Preferences (Allgemeines Präferenzsystem) IKT Informations- und Kommunikationstechnologien SÜDWIND setzt sich für wirtschaftliche, soziale LDC Least Developed Countries (Am wenigsten entwickelte Länder) und ökologische Gerechtigkeit ein – weltweit. Wir recherchieren, decken ungerechte Strukturen NDICI Neighbourhood, Development and International Cooperation Instrument (Instrument für Nachbar- auf, machen sie öffentlich und bieten Handlungs- schaft, Entwicklungszusammenarbeit und Interna- alternativen. Wir verbinden entwicklungs tionale Zusammenarbeit) politische Bildungs-, Öffentlichkeits- und Lobby- OAE Organisation der Afrikanischen Einheit arbeit und tragen Forderungen in Kampagnen, SADC Southern African Developement Community (Süd- Gesellschaft, Unternehmen und Politik. afrikanische Entwicklungsgemeinschaft) Seit 30 Jahren. SDG Sustainable Developement Goals (Ziele für nachhaltige Entwicklung) SEZ Special Economic Zones (Sonderwirtschaftszonen) WTO World Trade Organisation (Welthandels organisation) ABBILDUNGSVERZEICHNIS Grafik 1: Regionale Wirtschaftsgemeinschaften in Afrika Grafik 2: Vorwärts- vs. Rückwärtsbeteiligung in internatio- nalen Wertschöpfungsketten TABELLENVERZEICHNIS Tabelle 1: itgliedsländer der regionalen Wirtschafts M gemeinschaft SADC Tabelle 2: Baumwollproduktion und -export 3
EU-AFRIKA – PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN 1. EINFÜHRUNG A ufgrund der geographischen und histori- schaftsbeziehungen auch die Fragen rund um Mi- schen Nähe gibt es eine enge Partnerschaft gration, wo die Interessen beider Seiten sehr stark zwischen den Nachbarkontinenten Europa divergieren, oder auch der Klimawandel. Kapitel 3 und Afrika, wobei die Ausgestaltung dieser Part- geht auf die Ziele der Agenda 2063 der AU ein und nerschaft in beiderseitigem Interesse liegt. Die beleuchtet vor allem Aspekte wie wirtschaftliche Europäische Union (EU) ist sowohl der wichtigs- Transformation, inklusives Wachstum und nach- te Handelspartner als auch der größte Partner in haltige Entwicklung, in deren Zentrum die Afri- der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika, kanische Kontinentale Freihandelszone (AfCFTA) auch wenn China seine Handels- und Kreditbe- steht. Hier wird auch untersucht, inwieweit die ziehungen mit dem Kontinent deutlich ausge- europäische Außenhandelspolitik und der Druck baut hat. Sowohl die EU als auch die Afrikanische zur Marktliberalisierung diese Ziele konterkariert. Union (AU) haben sich die Nachhaltigkeitsziele Zu den Zielen der AU zählen auch eine verstärk- der Agenda 2030 auf ihre Fahnen geschrieben: te Industrialisierung und regionale Integration. Der EU-Konsens über Entwicklungspolitik und Welche Chance, aber auch welche Probleme es die Agenda 2063 der AU stehen als Beleg dafür. bei dem Aufbau regionaler Wertschöpfungsket- Vor Ausbruch der Corona-Pandemie galt das Jahr ten gibt und wie vor allem einheimische kleine 2020 als ein entscheidendes Jahr für die Beziehun- und mittlere Unternehmen eingebunden werden gen der beiden Nachbarkontinente. Noch im März können, ist Gegenstand von Kapitel 4. Dies wird 2020 legte die Europäische Kommission ihre „Um- auch an einzelnen Beispielen von Wertschöp- fassende Strategie mit Afrika“ vor (EU-Kommission fungsketten illustriert. Kapitel 5 analysiert vor 2020). Doch der gemeinsame EU-AU-Gipfel muss- diesem Hintergrund die Strategien für eine neue te vorerst verschoben werden. Partnerschaft, wie sie gegenwärtig auf dem Tisch Der Wunsch nach einer neuen strategischen liegen und kommt zu dem Schluss, dass bei der Partnerschaft ist auf beiden Seiten sicher ernst ge- Handels- und Investitionspolitik der EU sowie bei meint. Dennoch scheinen grundlegende Interes- der Förderung und Einbindung von kleinen und sen die beiden Seiten der Medaille unterschiedlich mittleren Unternehmen in regionale und globale zu beleuchten. Die fünf Säulen, die die EU-Strate- Wertschöpfungsketten noch nachgebessert wer- gie benennt, spiegeln in vielerlei Hinsicht wider, den muss, um sie stärker an die Prioritäten der dass es thematisch klare Überschneidungen bei Agenda 2063 anzupassen. Nur dann kann die von den Interessen gibt: Die Partnerschaft für die grü- der EU vorgelegte „Umfassende Strategie“ auch ne Wende und den Zugang zu Energie, für den di- wirklich zu einer Partnerschaft mit Afrika werden. gitalen Wandel, für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung, für Frieden und gute Regierungs- führung sowie Migration und Mobilität entspricht den Schwerpunktsetzungen, die auch die AU in ihrer Agenda formuliert. Nun wird es darauf an- kommen, bei der Ausgestaltung dieser Säulen auch die Interessen afrikanischer Staaten stärker in den Blick zu nehmen. Dies soll in dieser Studie genauer untersucht werden. Kapitel 2 skizziert einige der globalen Her- ausforderungen, denen sich die EU und Afrika in ihrer partnerschaftlichen Beziehung gegen- übersehen. Dazu gehören neben den im weiteren Verlauf tiefer diskutierten Handels- und Wirt- Foto: US-Africon via Flickr.com Die EU muss ihre Stra- tegie stärker an die Prioritäten der Agenda 2063 anpassen. 4
EU-AFRIKA – PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN 2. HERAUSFORDERUNGEN FÜR EINE NEUE EU-AFRIKA-PARTNERSCHAFT D er Klimawandel und die Digitalisierung kämpfung des Klimawandels, der Schutz der bio- zählen zu den wichtigsten globalen Her- logischen Vielfalt und der natürlichen Ressour- ausforderungen, die sich auch stark auf cen. Der Umgang mit Migration und Flucht ist die Beziehungen der beiden Nachbarkontinente ebenfalls ein wichtiger Bestandteil der gemeinsa- Europa und Afrika auswirken werden. Wie diese men Agenda. Herausforderungen gemeistert werden, wird auch Die Europäische Kommission hat in ihrer großen Einfluss auf die Migrationsbewegungen „Umfassenden Strategie mit Afrika“ („Compre- von Afrika nach Europa haben. Gleichzeitig wird hensive Strategy“) einen eigenen Vorschlag für Afrika auch immer wieder als Zukunftsmarkt oder eine neue Partnerschaft der EU und Afrika vor- Chancenkontinent bezeichnet, den nicht nur die gelegt (EU-Kommission 2020). Diese neue Strate- EU-Staaten als strategischen Partner neu entdeckt gie greift viele dieser Themen auf und soll nach haben. Auch andere geopolitische Mächte, allen den Vorstellungen der EU auf fünf Säulen er- voran China, aber auch Russland oder Indien ho- richtet werden: (i) eine Partnerschaft für die grü- fieren Afrika und seine Zukunftsmärkte. ne Wende und den Zugang zu Energie, (ii) eine Im Einklang mit der Agenda 2030 und ihren Partnerschaft für den digitalen Wandel, (iii) eine 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDG) steht Partnerschaft für nachhaltiges Wachstum und die „neue Partnerschaft“ zwischen der EU und Beschäftigung, (iv) eine Partnerschaft für Frieden Afrika vor wichtigen Aufgaben, die in der Euro- und gute Regierungsführung und (v) eine Part- päisch-Afrikanischen Agenda adressiert werden nerschaft für Migration und Mobilität. Eine Her- müssen: grünes Wachstum, die Schaffung men- kules-Aufgabe, insbesondere wenn man bedenkt, schenwürdiger Arbeitsplätze, Wertschöpfung dass die Beziehungen zwischen beiden Regionen durch nachhaltige Investitionen und regionale auch von kolonialer Ausbeutung geprägt sind Wirtschaftsintegration gehören ebenso dazu wie und wirtschaftliche Abhängigkeit sowie asym- die Gewährleistung von Ernährungssicherheit metrische Handelsbeziehungen bis heute existie- und der nachhaltige Zugang zu sauberer Ener- ren. Im Folgenden sollen die Handlungsfelder der gie. Weitere Themen sind die Förderung von Handels- und Investitionspolitik, Migration und Bildung und Forschung, Frieden und Sicherheit, Sicherheit sowie klimapolitische Maßnahmen die Gleichstellung der Geschlechter sowie die Be- verstärkt unter die Lupe genommen werden. Foto: KB Mpofu, ILO, via Flickr.com Schaffung menschenwürdiger Arbeitsplätze ist eine wichtige Aufgabe der EU-Afrikanischen Agenda. 5
EU-AFRIKA – PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN und dem Pazifik, die sogenannten AKP-Staaten). Im Rahmen dieses 2020 ausgelaufenen Abkom- mens waren die Wirtschaftspartnerschaftsabkom- men (Economic Partnership Agreements, EPA) ein wichtiger Bestandteil. Die EPA werden zwischen der EU und insgesamt fünf regionalen Länder- gruppen in Afrika getrennt verhandelt. Sie sollten sowohl neue Jobs in den AKP-Staaten schaffen als auch Umweltschutz stärken, so der Tenor der Be- gründungen. Sie werden heute noch von der Euro- päischen Kommission als „Schlüsselinstrumente“ der neuen „Umfassenden Strategie mit Afrika“ gesehen. Die Einteilung in Ländergruppen für die Siehe regionalen EPA wurde von der EU vorgenommen Kapitel 3.3 und lief nicht immer konform mit regionalen In- tegrationsprozessen in Afrika. Im Diskurs der EU sind die EPA nicht als kon- ventionelle Handelsabkommen zu verstehen. Die gemeinsamen Handelsvereinbarungen mit den Die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen der EU und Afrika haben eine lange Tradition. ehemaligen Kolonien sollten vor allem in Ein- klang mit den Regeln der WTO gebracht werden, aber zugleich weiterhin eine entwicklungspoliti- sche Zielsetzung enthalten. Gleichzeitig sollten 2.1 HANDELS- UND afrikanische Länder von Technologietransfer und niedrigeren Preisen profitieren. INVESTITIONSPOLITIK Anders als in den verschiedenen Lomé-Ab- kommen wurden im Cotonou-Abkommen durch Die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwi- das Prinzip der Gegenseitigkeit und den beidersei- schen beiden Kontinenten haben eine sehr lange Tradition, die stark durch den Kolonialismus sowie koloniale Kontinuitäten geprägt wurden. Nach der Unabhängigkeit und der Entstehung souveräner Foto: Dominic Chavez / World Bank via Flickr.com Staaten bemühte sich die Europäische Gemein- DIE VIER PRINZIPIEN DER EPA: schaft und später die EU mit Hilfe von Handels- 1.) Sie sollen entwicklungsorientiert sein, also präferenzen und Sonderregelungen bestehende zu regionaler Entwicklung und Wirtschafts- Asymmetrien zwischen beiden Kontinenten zu wachstum beitragen. kompensieren. Eine Reihe aufeinanderfolgender 2.) Sie sollen auf Gegenseitigkeit basieren, Partnerschaftsabkommen wie das Lomé-Abkom- was bedeutet, dass auch die Partnerländer men (I-IV) und weitere Vereinbarungen wie das nach einer Übergangsfrist ihre Zollbeschrän- Abkommen „Everything but arms“ (EBA) waren kungen auf Produkte aus Europa schrittweise (und sind teilweise noch immer) wichtige Kern abbauen müssen. Das langfristige Ziel ist die elemente der Partnerschaft. Die Idee, mit Hilfe Errichtung einer gemeinsamen Freihandels- von Handelspräferenzen Asymmetrien abzubau- zone. Dieses Prinzip der Gegenseitigkeit stellt en war im Prinzip nicht falsch. Nicht alle Länder den größten Bruch zu der bisherigen Handels- politik dar, die bis dahin von einseitig ge- in Afrika konnten allerdings davon profitieren währten Handelserleichterungen geprägt war. und die Maßnahmen wurden von anderen Politik 3.) Die Verhandlungen sollen auf regionaler bereichen wie der Gemeinsamen Agrarpolitik Ebene mit Ländergruppen geführt werden, der EU (GAP) konterkariert. Die Praxis der Han- deren Zusammensetzung insbesondere in delspräferenzen, die ehemaligen Kolonien einen Afrika jedoch sehr problematisch ist. Mit bevorzugten Zugang zu europäischen Märkten dieser Strategie ist die EU vorerst gescheitert sichern sollte, geriet schließlich in Konflikt mit und schloss eher widerwillig auch bilaterale den Prinzipien eines zunehmend neoliberal aus- Interimsabkommen mit einzelnen Ländern. gerichteten Welthandels unter dem Einfluss der 4.) Eine Differenzierung und Sonderbehand- Welthandelsorganisation (WTO). lung, insbesondere für die ärmsten Länder (Least Developed Countries, LDC) ist weiter- ENTWICKLUNGSORIENTIERTE hin gegeben. Die EPA sollen also dem unter- HANDELSABKOMMEN? schiedlichen Entwicklungsstand der Partner- länder Rechnung tragen. Seit dem Jahr 2000 regelte das Cotonou-Abkom- men die Handelsbeziehung der EU mit den Staa- Quelle: Marinov (2016) ten Afrikas (wie auch den Staaten aus der Karibik 6
EU-AFRIKA – PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN Asymmetrische Handelsbeziehungen prägen bis heute das Verhältnis der beiden Nachbarkontinente. tigen Abbau von Zollbeschränkungen bestehende gesellschaftliche Organisationen in Afrika und Entwicklungsasymmetrien ignoriert. Der Abbau Europa sehen mit zunehmender Sorge, dass in der Handelshemmnisse in Afrika eröffnet euro- der Entwicklungszusammenarbeit der EU eine zu päischen Unternehmen größere Chancen bei der starke Ausrichtung auf die Förderung von Privat- Erschließung der afrikanischen Märkte als afri- unternehmen stattfindet, ohne deren potentielle kanischen Produzent*innen in der EU. Besonders Konflikte mit den Interessen lokaler Akteure und gefährdet durch eine zu schnelle Marktöffnung der Umwelt ausreichend zu prüfen. Diese Mittel ist die verarbeitende Industrie, da sie im globalen fehlen vielerorts zur Finanzierung von sozialen Maßstab nicht wettbewerbsfähig ist (Krapohl / van Dienstleistungen, insbesondere im Bildungs- und Huut 2020). Gesundheitsbereich. Immer mehr öffentliche Ent- Viele afrikanische Regierungen haben daher wicklungsgelder werden zur Mobilisierung von eher zögerlich bis abwehrend auf die EPA reagiert, privatem Kapital eingesetzt, ohne dass klare Kri- die nach dem Prinzip „one size fits all“ konzipiert terien für die Einhaltung von sozial-ökologischen wurden. In den ersten Jahren wurden lediglich und menschenrechtlichen Mindeststandards for- einzelne bilaterale Interimsabkommen geschlos- muliert wurden. Darüber hinaus gibt es weiterhin Fotos: David Stanley via Flickr.com; USAID Ethiopia Nena Terrell via Flickr.com sen. Erst im Jahr 2016 konnte auf Druck der EU keine Belege dafür, dass in den ärmsten Ländern die erste regionale Übereinkunft mit der Südafri- über solche Förderinstrumente tatsächlich zusätz- kanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC) in Kraft treten. Das regionale Abkommen mit den westafrikanischen Ländern scheitert bis heute an dem Widerstand der größten Wirtschaftskraft Nigeria, das entsprechende EPA zu unterzeichnen (EU-Kommission 2021). Viele Regierungen in Afri- ka mussten sich aber im Laufe der Zeit dem Druck aus der EU beugen, weil diese drohte, den privi- legierten Marktzugang zu entziehen, wenn sie die EPA nicht ratifizieren. INVESTITIONSPOLITIK DER EU: DER PRIVATSEKTOR ALS RETTER IN DER NOT Es besteht kein Zweifel, dass private Investitio- nen gerade auch in afrikanischen Ländern drin- gend gebraucht werden. Offen ist allerdings weiterhin die Antwort auf die Frage, wie das Pri- vatkapital mobilisiert werden soll, ohne einen Interessenkonflikt zwischen Profitmaximierung Für den Privatsektor mobilisierte Mittel fehlen vielerorts und Armutsbekämpfung zu verursachen. Zivil- zur Finanzierung von sozialen Dienstleistungen. 7
EU-AFRIKA – PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN liches privates Kapital mobilisiert werden kann. nanzplan 2021-2027) die Karten neu gemischt. Hinzu kommt das Problem schwacher Institu- Hierbei wurden verschiedene Instrumente der tionen zur effizienten Umsetzung entsprechen- europäischen Entwicklungszusammenarbeit zu der Förderprogramme. Fragen von Korruption, einem neuen Instrument zusammengeführt, dem Steuervermeidung oder Steuerhinterziehung, von Instrument für Nachbarschaft, Entwick- illegalen Finanzströmen und Geldwäsche werden lungszusammenarbeit und Internationale nicht ausreichend angegangen. Das aber wäre Zusammenarbeit (NDICI). Der Privatsektor wichtig, damit gerade die ärmsten Länder von pri- soll noch stärker in die EU-Entwicklungs- ALS ANTWORT vaten Investitionen wirklich profitieren können. zusammenarbeit einbezogen werden, in- AUF DIE KRISE Trotz dieser offenen Fragen richtete die EU- dem der EIP ausgeweitet und der EFSD auf WURDEN DIE Kommission ihre neue Investitionsoffensive für alle Partnerländer der EU ausgedehnt wird GARANTIEN Drittländer (External Investment Plan, EIP) im Jahr (EFSD+). Mit Unterstützung weiterer Ins- FÜR DARLEHEN 2017 ein. Ein wichtiges Ziel solcher Investitions trumente und Maßnahmen, insbesonde- AN DEN initiativen ist es, mit öffentlichen Geldern zusätz- re Garantieoptionen, sollen im Zeitraum PRIVATEN liches privates Investitionskapital u.a. nach Afrika 2021-2027 zusätzliche Mittel des Privat- SEKTOR AUF zu locken, um so Beschäftigungsmöglichkeiten zu sektors in Höhe von bis zu einer halben GESTOCKT. schaffen, nachhaltige Entwicklung zu finanzieren Billionen Euro mobilisiert werden (Mora- und die Ursachen von Migration zu bekämpfen. zán 2021). Diese Mischung von öffentlichen und privaten Mit der Covid-19-Pandemie ist nun- Mitteln wird auch als Blending bezeichnet. Je nach mehr eine zusätzliche Herausforderung für die Vorhaben kann dies ein Investitionszuschuss, eine Entwicklungsfinanzierung hinzugekommen, de- Zinsvergünstigung oder eine Garantie sein. Für ren Auswirkungen auf die Förderstrategien der EU die Umsetzung wurde als wesentliche Säule der noch schwer einzuschätzen sind. Als Antwort auf Europäische Fonds für nachhaltige Entwicklung die Krise wurden unter anderem die Garantien für (EFSD) eingerichtet. Vorgeschlagen wurde die- Darlehen an den privaten und öffentlichen Sektor ser Plan bereits 2016 als Antwort auf die deutlich aufgestockt. Ob die starke Konzentration auf die gestiegene Migration. Begleitet wird er von Maß- Förderung privater Investitionen im Nachklang nahmen für die technische Beratung und die Ver- der Covid-Krise eine angemessene Reaktion ist, besserung des Investitionsklimas und der allge- sollte zumindest einer kritischen Beleuchtung meinen politischen Rahmenbedingungen in den unterzogen werden. Die Erfahrungen mit der Partnerländern. Pandemie haben jetzt schon gezeigt, wie drin- Inzwischen wurden mit dem Beschluss über gend notwendig starke öffentliche Gesundheits-, den neuen Haushalt der EU (der Mehrjährige Fi- Bildungs-, Nahrungsmittel-, Wasserversorgungs- Foto: Dominic Chavez / Worldbank via Flickr.com Der Schwerpunkt der Entwicklungsmaß- nahmen der EU sollte auf der Stärkung öffentlicher Systeme, wie des Gesundheits- systems liegen. 8
EU-AFRIKA – PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN Foto: UN Photo/ Isaac Billy via Flickr.com Ein Motiv für Migra- tion ist die Flucht vor Konflikten, wie hier im Sudan. und Abwassersysteme sind. Der Schwerpunkt der dem ihrer Herkunft. Weitere 19 Mio. gebürtige Af- Entwicklungsmaßnahmen der EU sollte daher rikaner*innen lebten in einer anderen Weltregion, auf der Stärkung der öffentlichen Systeme liegen. die meisten von ihnen (mehr als 10 Mio.) in Europa Wo private Investitionen gefördert werden, sollte (IOM 2020). Hervorzuheben ist die besondere Situ- zumindest klar definiert werden, dass solche In- ation in Bezug auf Flüchtlinge: Subsahara-Afrika vestitionen eine zukunftsfähige „grüne“ Trans- beherbergt 26 % der weltweiten Flüchtlinge. Das formation voranbringen und steuerkonform sein sind ca. 18. Mio. Menschen, die zum Teil innerhalb müssen. Dies müsste auch den Ausschluss von des eigenen Landes oder innerhalb der Region ge- Unternehmen beinhalten, die z.B. Steueroasen zur flohen sind (UNHCR 2020). Steuervermeidung nutzen oder Investitionen in fossile Brennstoffe tätigen. Angesichts des Drucks GRÜNDE FÜR IRREGULÄRE einer beschleunigten Ausgabe von vielen Milliar- MIGRATION den Euro bis 2024 sind solche strikten Regeln al- Die interkontinentale Migration aus Afrika findet lerdings kaum zu erwarten. primär regulär statt, das heißt, die meisten afri- kanischen Migrant*innen verfügen über gültige Papiere und Visa und migrieren legal aus 2.2 MIGRATION familiären, arbeitsbezogenen oder Studi- engründen (IOM 2017). Neben der regulä- DIE MEISTEN UND FLUCHT ren Migration finden aber auch irreguläre FLÜCHTLINGE Einreisen sowohl auf dem Land- als auch UND MIGRANT* Migration und Flucht zählen zu den großen He- auf dem Seeweg statt. Für das Jahr 2019 INNEN AUS rausforderungen für die Zusammenarbeit zwi- erfasste Frontex, die Europäische Agentur schen der EU und den afrikanischen Staaten. Die für die Grenz- und Küstenwache, insge- AFRIKA BLEIBEN EU ist eine wichtige Zielregion internationaler samt 139.000 Versuche, die EU-Außen- IN DER REGION. Migration. Viele Länder Afrikas sind dabei rele- grenze illegal zu übertreten (Frontex 2020). vante Herkunftsstaaten, einige aber auch zugleich Hinter diesen Zahlen verbergen sich zwar Transitländer oder selbst Zielstaaten. Bei einer Menschen aus vielen Kontinenten, aber es sind Gesamtbevölkerung von rund 512 Mio. Menschen zahlreiche Afrikaner*innen unter ihnen. Dement- waren Anfang 2018 knapp 4,4 % der gesamten EU- sprechend sind Aspekte wie die Ursachen irregu- Bevölkerung Bürger*innen aus Nicht-EU-Staaten lärer Migration, die Sicherung von Grenzen, aber (Eurostat 2020). In Afrika lebten im Jahr 2019 ca. auch der Rückführung irregulär eingereister Mi- 1,3 Mrd. Menschen. Rund 21 Mio. Afrikaner*innen grant*innen zu intensiv diskutierten Themen im lebten in einem anderen afrikanischen Land als EU-Afrika-Dialog geworden. 9
EU-AFRIKA – PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN Eine kürzlich erschienene Studie des IFO-Instituts der Herausforderung gerecht wird, bleibt offen. In gibt Aufschluss über die Gründe vieler Afrika- den nächsten 15 Jahren werden schätzungsweise ner*innen, die irregulär in die EU einreisen: Men- 375 Mio. junge Menschen auf dem afrikanischen schen aus dem Sudan und Somalia flohen zum Kontinent das Erwerbsalter erreichen. Ihnen vor Beispiel zu mehr als 90 % vor Krieg und Verfol- Ort eine berufliche Perspektive zu bieten, die eine gung, während weit mehr als 80 % der Menschen wirkliche Alternative zur Migration darstellen aus Algerien und Marokko in der Hoffnung auf kann, erfordert enorme, auch finanzielle, An- eine bessere wirtschaftliche Situation nach Euro- strengungen, eine Herausforderung, der sich der pa kamen (IFO 2019). Diese beiden Motive – Flucht Vorschlag für die neue EU-Afrika-Agenda der EU- vor Konflikten und die Suche nach Perspektiven – Kommission stellen muss. Die EU setzt hier vor al- bilden damit die Hauptgründe für irreguläre Mig- lem auf private Investitionen. ration aus Afrika. Konzepte zum Schutz vor Krieg Der Kommissionsvorschlag für die neue Agen- und Verfolgung, zum Aufbau wirtschaftlicher Per- da behält außerdem die bisherige Ausrichtung der spektiven, aber auch zur Erweiterung regulärer EU-Migrationspolitik gegenüber Afrika explizit Einreisemöglichkeiten sind deshalb die primären bei: Die neue Agenda soll eine wirksame Migra- Antworten, die der EU-Afrika-Dialog für irregulä- tionssteuerung und ein wirksames Grenzmanage- re Migrant*innen entwickeln müsste. ment unterstützen. Sie knüpft auch explizit an die langjährigen regionalen Dialogprozesse (Ra- GRENZMANAGEMENT IM FOKUS bat- und Karthum-Prozess) zwischen der EU und Der im Frühjahr 2020 vorgelegte Vorschlag der den afrikanischen Staaten entlang der westlichen Europäischen Kommission für die Europäisch- bzw. der östlichen Migrationsroute an. Diese kon- Afrikanische Agenda sieht bei den fünf Säulen zentrierten sich bisher auf die Verhinderung irre- der Zusammenarbeit u.a. eine „Partnerschaft für gulärer Migration durch Grenzmanagement und nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung“, eine Kontrollmaßnahmen. Menschenrechte spielen in „Partnerschaft für Frieden und gute Regierungs- beiden Prozessen nur eine untergeordnete Rolle. führung“ und eine „Partnerschaft im Bereich Mi- Mit den afrikanischen Staaten entlang der gration und Mobilität“ vor (EU-Kommission 2020). westlichen Migrationsroute führt die EU bereits Ob aber angesichts der skizzierten Handels- und seit 2006 den sog. ‚Rabat-Prozess‘. Ziele dieses Pro- Investitionspolitik die Bemühungen zur Schaf- zesses sind zwar unter anderem, mehr legale Mig- fung menschenwürdiger Arbeitsplätze der Größe rationswege zu schaffen und Synergien zwischen In den nächsten 15 Jahren werden schätzungsweise 375 Mio. junge Menschen auf dem afrikanischen Kontinent das Erwerbsalter erreichen. Foto: Marcel Crozet / ILO via Flickr.com 10
EU-AFRIKA – PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN Foto: Sarah Ferhat / Worldbank via Flickr.com Die Folgewirkun- gen von Natur- Katastrophen bleiben oft ignoriert. Migration und Entwicklung besser zu nutzen, vor sche Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) zu un- allem aber irreguläre Migration und Schleuserkri- terlaufen. Diese stellen Aspekte wie die Förderung minalität zu bekämpfen, z.B. über eine verstärkte von sicherer und geregelter Migration, das sozial- Zusammenarbeit in den Bereichen Grenzmanage- ökonomische Wohlergehen von Migrant*innen ment, Grenzkontrollen und Polizeiausbildung. und Gemeinschaften, die Sicherung der Rechte Im Jahr 2014 wurde ein ähnliches Dialogforum von Migrant*innen, regionale Integration und mit den Ländern entlang der östlichen afrikani- Personenfreizügigkeit in den Vordergrund (Fe- schen Migrationsroute im Rahmen des sog. ‚Kart- renschild 2020). Sollte Europa diese Aspekte nicht hum-Prozesses‘ initiiert (EU/ICMPD 2016). Dass ebenfalls prioritär behandeln, wird aus dem EU- damit auch die Kooperation mit autoritären Re- Afrika-Dialog ein einseitiger, vom Geldgeber EU gierungen gesucht wurde, wie beispielsweise dem dominierter Monolog, in dem Menschen-/Arbeits- Sudan, welche wiederum gerade eine Ursache für rechte und Demokratie lediglich eine untergeord- Flucht und Migration darstellen, wurde von Men- nete Rolle spielen. schenrechtsorganisationen wie Pro Asyl scharf kritisiert (Pro Asyl 2015). Der Sudan unter dem mittlerweile gestürzten Diktator Omar al-Baschir wurde dennoch als zentrales Partnerland auserko- 2.3 KLIMAWANDEL UND ren. Unter demokratischen und menschenrechtli- ENTWALDUNG chen Gesichtspunkten ist dies extrem fragwürdig. Bei einem gemeinsamen EU-Afrika Gipfel in Im Kampf gegen die Erderwärmung stehen Valletta/Malta 2015 wurde der EU-Notfall-Treu- Deutschland und die EU als Hauptverursacher und handfonds (EUTF) für Afrika mit einem Umfang führende Handelsmächte in der Pflicht, Treibhaus- von 1,8 Mrd. Euro aus EU-Mitteln geschaffen. Da- gase zu reduzieren und die Menschen in armen mit sollten die grundlegenden Ursachen irregu- Ländern, die besonders unter den Folgen des Kli- lärer Migration beseitigt, die Herkunftsregionen mawandels leiden, zu unterstützen. Lö- von Flüchtlingen und Migrant*innen stabilisiert sungen für klimabedingte Migration und und der Kampf gegen kriminelle Schleuserbanden Folgewirkungen von Überschwemmungen DEUTSCHLAND gestärkt werden. Der EUTF konzentriert sich dabei und Dürre müssen zügig entwickelt und auf die wichtigsten Herkunftsregionen irregulärer umgesetzt werden. Im Rahmen des Pa- UND DIE EU Migration nach Europa: die Sahel-Region und die riser Klimaabkommens hatte sich die EU STEHEN ALS Region um den Tschadsee, das Horn von Afrika das Ziel für 2030 gesetzt, die Treibhaus- HAUPTVER- und den Norden Afrikas. Die Mittel sollen haupt- gasemissionen im Vergleich zu 1990 um URSACHER IN sächlich aus Mitteln der Entwicklungszusammen- mindestens 40 % zu reduzieren. Ende 2020 DER PFLICHT, arbeit kommen. Das zeigt, dass Entwicklungszu- wurden diese Vorgaben von den EU-Staats- ANPASSUNGS- sammenarbeit zunehmend für die Bekämpfung und Regierungschef*innen verschärft: MASSNAHMEN irregulärer Migration funktionalisiert wird. Bis zum Jahr 2030 soll es einen um 55 % IN ARMEN Mit ihrer Fokussierung auf Grenzmanagement verringerten Ausstoß an Treibhausgasen LÄNDERN ZU und Abwehr irregulärer Migration droht die Agen- im Vergleich zum Jahr 1990 geben. Das ist UNTERSTÜTZEN. da der EU die Interessen der AU und afrikanischer ein wichtiges Signal auch für die Partner- Regionalgemeinschaften wie der Westafrikani- schaft zwischen der EU und Afrika. 11
EU-AFRIKA – PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN Foto: Ollivier Girard / CIFOR via Flickr.com In gemeinsamen Programmen, hier in Kamerun, wird versucht, illegale Abholzung einzudämmen. Der Klimawandel stellt für viele afrikanischen nachholendes Wachstum im Stile des Westens Länder eine besondere Bedrohung dar, weil er die ist dabei undenkbar und würde zum Kollaps des Ernährungsgrundlage zusätzlich gefährdet und Ökosystems führen. Der Wachstumspfad muss Fortschritte bei der nachhaltigen Entwicklung zu- vielmehr CO2-arm, klimaresilient und umwelt- nichtemachen kann. Allein die Kosten für die An- verträglich sein. Gleichzeitig sind das Naturkapi- passung an den Klimawandel in den tal und die Biodiversität Afrikas von Ländern des Globalen Südens könn- Bis hohem ökologischen Wert und un- 2050 ten bis 2050 auf 280 bis 500 Mrd. verzichtbar für den Schutz von Klima US-Dollar pro Jahr ansteigen (UNEP und Umwelt. Diese Aspekte werden 2016). Bei verschiedenen UN-Klima- im europäischen Aufschlag für die könnten die Kosten für die gipfeln seit 2009 wurde vereinbart, Anpassung an den Klima- Europäisch-Afrikanische Agenda in wandel in den Ländern des die Klimafinanzierung für Anpassung Globalen Südens auf 280 der Säule Partnerschaft für die grüne und Minderung bis 2020 auf 100 Mrd. bis 500 Mrd. US- Dollar pro Wende und den Zugang zu Energie Jahr ansteigen US-Dollar pro Jahr anzuheben und bis angegangen. 2025 zu halten. Selbst wenn dieses Hier sind vor allem auch In- Ziel erreicht wird, bleibt die Lücke zwischen den vestitionen in eine saubere Kreislaufwirtschaft gemachten Zusagen und dem Finanzbedarf allein und die Gestaltung von nachhaltigen und fairen für Anpassungsmaßnahmen groß. Wertschöpfungsketten aufgeführt. Dies betrifft Gleichzeitig braucht Afrika auch für die kom- nicht nur agrarische Wertschöpfungsketten, son- menden Jahrzehnte ein hohes und kontinuier- dern auch den Rohstoffsektor und industrielle liches Wachstum, um ausreichend Nahrung und Wertschöpfungsketten, bei denen ambitionierte Arbeitsplätze für die stetig wachsende Bevölke- Umwelt- und Klimastandards etabliert und ein- rung zu schaffen und die SDG zu erreichen. Ein gehalten werden müssen. Darüber hinaus sind in 12
EU-AFRIKA – PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN diesem Bereich die Schaffung von grünem Wachs- tum, nachhaltige Städte und Verkehrskonzepte IMPORTIERTE ENTWALDUNG sowie Investitionen in den Zugang zu nachhalti- UND KLIMAWANDEL ger Energie vorrangig aus erneuerbaren Energie- Die wichtigsten Anbauländer für Kakao welt- quellen von entscheidender Bedeutung (EU-Kom- weit sind Ghana und die Côte d’Ivoire. In der mission 2020). Côte d’Ivoire reduzierte sich die bewaldete Fläche von 16 Mio. Hektar im Jahre 1960 - ENTWALDUNGSFREIE LIEFERKETTEN damals die Hälfte der Landesfläche - auf Die Entwaldung ist ein wichtiger Treiber des Kli- weniger als 2 Mio. Hektar im Jahr 2010. Ein mawandels. Schätzungen zufolge importiert die erheblicher Teil dieser Verringerung wurde EU jährlich Produkte, die zur Abholzung von bis zu zum Ausbau der Anbauflächen von Kakao einer halben Million Hektar Wald pro Jahr führen genutzt. Seit 2010 wurden die Kakaoflächen (EU 2018). Die EU-Kommission, das europäische noch einmal massiv ausgeweitet, oft auch Parlament wie auch der Rat der EU haben in einer mit Eingriffen in Nationalparks oder ge- Vielzahl von Verlautbarungen mit großer Besorg- schützten Wäldern. Schätzungen zufolge nis auf die zunehmende globale Entwaldung hin- stammen aus der Côte d’Ivoire mindestens 30 % der Kakaoproduktion von illegal abge- gewiesen und auf die dringende Notwendigkeit, holzten Flächen. diese aufzuhalten. Gleichzeitig kam es in beiden Anbauländern Eine Ursache des Waldverlustes ist die Nach- in den vergangenen Jahren zu Wetterphä- frage nach tropischen Hölzern. Diese stammen zu nomenen, die zuvor nicht in einer solchen einem erheblichen Teil aus afrikanischen Ländern, Vielzahl beobachtet wurden. Trockene Winde da Kamerun, die Côte d‘Ivoire und Gabun zu den aus der Sahara wehen häufiger als zuvor wichtigsten Lieferländern der EU gehören. In Afri- Richtung Golf von Guinea und sorgen für ka bedecken primäre Regenwälder zwar nur noch Dürren. Generell dauern Trockenzeiten länger rund 13 % der Landfläche, enthalten jedoch rund und Regenfälle sind unberechenbarer ge- 90 % des gespeicherten Kohlenstoffs und haben worden. Diese Veränderungen des regionalen eine große Bedeutung für die Biodiversität (EU Klimas haben massive Auswirkungen auf die 2018). Um die illegale Abholzung einzudämmen, Menschen und auf die Agrarproduktion. Sie hat die EU einen Aktionsplan und gemeinsame verschärfen die ohnehin prekäre Situation vieler kleinbäuerlicher Familien weiter. Programme mit afrikanischen Staaten aufgebaut. Prognosen zufolge werden große Teile der Eine weitere wichtige treibende Kraft für die derzeitigen Anbauflächen aufgrund des Kli- Entwaldung ist die Ausweitung des Anbaus von mawandels in den nächsten Jahrzehnten nach Agrarprodukten und damit verbundene Agrarim- und nach nicht mehr für den Kakaoanbau porte der EU, wie eine von der EU 2013 in Auftrag geeignet sein. Es droht eine Verlagerung des gegebene Studie darlegt (EU 2013). Demnach hat Anbaus insbesondere nach Kamerun, Nigeria der Import von Kakao und Kaffee hat mit rund 12 % und die Demokratische Republik (DR) Kongo einen erheblichen Anteil an der importierten Ent- auf Flächen, die derzeit noch von primären waldung, auch wenn die wichtigsten Treiber der Regenwäldern bedeckt sind. globalen Entwaldung, Soja und Palmöl, überwie- Quelle: Fountain/Hütz-Adams 2018, Schroth et al. 2016 gend nicht aus afrikanischen Ländern importiert werden. Seitdem hat sich die Entwicklung eher noch verschärft, da Importe von Agrarprodukten in die EU, die auf zuvor bewaldeten Flächen ange- baut werden, deutlich gestiegen sind. Für den afri- kanischen Kontinent dürfte dabei Kakao weiterhin der wichtigste Faktor sein. Die EU ist der größte Importeur des in Afrika angebauten Kakaos. Die EU will daher eine Waldstrategie verab- Foto: Alexander Schimmek via Flickr.com schieden. Teil dieser Strategie soll der Aufbau von Lieferketten für importierte Produkte sein, die frei von Entwaldung sind. Die Beendigung der Entwal- dung im Agrarsektor soll in Partnerschaft mit den Anbauländern der importierten Produkte voran- getrieben werden (EU 2019). Hierfür sollte die EU möglichst schnell gesetzliche Vorgaben umsetzen, die die Fortsetzung des Imports von Entwaldung verhindern. Dazu gehört eine Sorgfaltspflichten- regulierung, in der Unternehmen vorgeschrieben wird, Entwaldungsrisiken in ihren Lieferketten zu überprüfen und sofern vorhanden, abzustellen. Die EU ist der größte Importeur von Kakao aus Afrika. 13
EU-AFRIKA – PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN 3. AGENDA 2063: AUF DEM WEG ZU EINER AFRIKANISCHEN ZOLLUNION I m Jahr 1963 gründeten die jungen Staaten Af- dabei wohl noch zu den handhabbaren Zielset- rikas in Addis Abeba die Organisation der Af- zungen. Schwieriger wird es vermutlich, durch rikanischen Einheit (OAE), die Vorgängerorga- die Stärkung der politischen Zusammenarbeit die nisation der heutigen AU. 50 Jahre später (im Jahr Bildung einer Kontinentalregierung umzusetzen. 2013) unterzeichneten die Mitgliedsstaaten der Die wirtschaftliche Integration mit dem Ziel eines AU die Agenda 2063 mit dem Ziel, als geeint auf- kontinentalen Binnenmarktes, der kontinentalen tretender Kontinent mehr Einfluss in der globalen Freihandelszone (AfCFTA), bildet das Herzstück Politik zu erlangen. Als gemeinsamer Handlungs- dieser Agenda. rahmen mit dem Zielhorizont 2063 will der sehr ambitionierte Entwicklungsplan nicht weniger als eine sozial-ökonomische Transformation des gesamten Kontinents hin zu einem vereinigten, 3.1 VON REGIONALEN wohlhabenden und friedlichen Afrika. Die MÄRKTEN ZU EINER 17% Öffnung der kontinentalen Grenzen und das Zusammenwachsen der Märkte ge- PAN-AFRIKANISCHEN des afrikanischen hört zu den zentralen Zielen dieser Trans- formation, die auch dahin führen soll, dass FREIHANDELSZONE Handelsumsatzes blei- in globalen Foren stärker mit einer Stimme Ziel der AfCFTA ist ein Binnenmarkt für Waren und ben in Afrika gesprochen wird. „The Africa we want“ Dienstleistungen auf dem ganzen Kontinent. Zudem (Das Afrika, das wir wollen) ist der Titel soll der freie Personen- und Kapitalverkehr erleich- der Agenda 2063 und verdeutlicht so auch tert werden, sodass mittelfristig eine kontinentale 69% das gewachsene Selbstbewusstsein der af- Zollunion etabliert werden kann. Hierfür sollen die rikanischen Staaten und bekräftigt die ge- Mitgliedstaaten verschiedene Maßnahmen ergrei- meinsame Identität und die gemeinsame fen, darunter Zollabbau und Handelserleichterun- des europäischen pan-afrikanische Idee¹. gen, der Aufbau handelsrelevanter Infrastruktur Handelsumsatzes bleiben in Europa In aufeinanderfolgenden 10-Jahres-Plä- und stärkere Marktintegration. In einer zweiten nen sollen Maßnahmen auf nationaler, re- Phase sollen dann auch handelsrelevante Politik- gionaler und kontinentaler Ebene zur Erreichung bereiche vereinheitlicht werden wie z.B. das Wett- messbarer Ziele durchgeführt werden. Mit jährli- bewerbs- oder das Patentrecht (AUDA-NEPAD 2019). chen Wachstumsraten von 7 % und einem Anstieg Die demographische Entwicklung sowie die so- des Realeinkommens um 33 % will der Kontinent ziale und wirtschaftliche Entwicklung der letzten die Armut bekämpfen. Die Verbesserung des Zu- Jahre machen Afrika zu einem wichtigen Zukunfts- gangs zu sauberem Trinkwasser und Sanitäran- markt. Vor der Covid-19-Pandemie erlebten viele lagen, die Beseitigung von Kinderarbeit und der afrikanische Länder ein hohes Wirtschaftswachs- Foto: Vigen Sargsyan World Bank via Flickr.com rechtlichen Diskriminierung von Frauen gehören tum und wichtige Impulse für den Handel unter- einander. Im Bereich der regionalen Integration fällt der Kontinent aber weit hinter die regionale Handelsintegration anderer Weltregionen zurück. So ist der innerafrikanische Handel in den vergan- genen Jahren zwar stetig gewachsen, wird für 2019 aber immer noch auf nur rund 15-17 % des gesam- ten afrikanischen Handelsumsatzes geschätzt, fast zwei Drittel der afrikanischen Exporte gehen dem- gegenüber nach Europa. Im Vergleich: In Europa liegt der Anteil des innereuropäischen Handels bei 69 % (Kohnert 2019). Das soll sich ändern, meinen Fast zwei Drittel der afrikanischen Exporte gehen nach Europa. die Architekt*innen der Agenda 2063.² 1 Sieben übergeordnete Ziele bestimmen die Agenda 2063: (a) ein wohlhabendes Afrika mit inklusivem Wachstum und nachhaltiger Entwicklung (b) ein politisch geeinter, panafrikanisch integrierter Kontinent, (c) ein rechtstaatliches Afrika, das Menschenrechte achtet, (d) ein sicheres und friedliches Afrika, (e) eine auf gemeinsamen Werten basierende starke kulturelle Identität, (f) ein Afrika, dessen Entwicklung von den Menschen vorangetrieben wird und (g) Afrika als einflussreicher, unabhängiger Akteur in der globalen Politik. (s. https://au.int/agenda2063/goals) 2 Die Covid-19-Krise könnte allerdings zu einem Rückschlag für all diese Bemühungen führen, da Grenzen geschlossen statt geöffnet wurden und auch die Nachfrage nach vielen afrikanischen Produkten eingebrochen oder der Preis gesunken ist. Hinzu kommen die Kosten zur Bewältigung der Folgen der Krise bei gleichzeitig einbrechenden Steuereinnahmen. 14
EU-AFRIKA – PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN GRAFIK 1: REGIONALE WIRTSCHAFTSGEMEINSCHAFTEN IN AFRIKA CEN-SAD COMESA EAC ECCAS ECOWAS IGAD SADC UMA Gemeinschaft der Sahel-Sahara-Staaten (CEN-SAD): Benin, Burkina Faso, Kap Verde, Zentralafrikanische Republik, Komoren, Elfenbeinküste, Tschad, Djibouti, Ägypten, Eritrea, Gambia, Ghana, Guinea-Bissau, Guinea, Kenia, Liberia, Libyen, Mali, Mauretanien, Marokko, Niger, Nigeria, São Tomé und Príncipe, Senegal, Sierra Leone, Somalia, Sudan, Togo, Tunesien Gemeinsamer Markt für das östliche und südliche Afrika (COMESA): Burundi, Komoren, Demokratische Republik Kongo, Djibouti, Ägypten, Eritrea, Äthiopien, Kenia, Libyen, Madagaskar, Malawi, Mauritius, Ruanda, Seychellen, Sudan, Swasiland, Uganda, Sambia, Simbabwe Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC): Burundi, Kenia, Ruanda, Tansania, Uganda Wirtschaftsgemeinschaft Zentralafrikanische Staaten (ECCAS): Angola, Burundi, Kamerun, Zentralafrikanische Republik, Tschad, Demokratische Republik Kongo, Äquatorialguinea, Gabun, Kongo, São Tomé und Príncipe Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanische Staaten (ECOWAS): Benin, Burkina Faso, Kap Verde, Elfenbeinküste, Gambia, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Liberia, Mali, Niger, Nigeria, Senegal, Sierra Leone, Togo Inter-Governmental Authority on Development (IGAD): Djibouti, Eritrea, Äthiopien, Kenia, Somalia, Sudan, Uganda Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrikas (SADC): Angola, Botswana, Demokratische Republik Kongo, Lesotho, Madagaskar, Malawi, Mauritius, Mosambik, Namibia, Seychellen, Südafrika, Swasiland, Tansania, Sambia, Simbabwe Union des Arabischen Maghreb (UMA): Algerien, Libyen, Mauretanien, Marokko, Tunesien Quelle: Marinov 2016: 19 Siehe Grafik 1 Derzeit existieren insgesamt acht regionale reichte aber auch hinter den Erwartungen zurück Wirtschaftsgemeinschaften in Afrika, in denen (Marinov 2016). zwar alle afrikanischen Länder vertreten sind, Die Aufhebung von Zöllen bedeutet jedoch im- teilweise aber auch mit überlappenden Mitglied- mer auch Einnahmeverluste für den Staat, auch schaften (Corrigan 2015). Die angestrebte Inte wenn sie bezogen auf den innerafrikanischen gration in den regionalen Gemeinschaften ver- Handel bislang vergleichsweise gering sind. Die lief nicht immer im gewünschten Tempo, machte meisten Zolleinnahmen für Importe generieren aber zumindest in und zwischen einigen Wirt- die afrikanischen Staaten über den Handel mit schaftsgemeinschaften vergleichsweise gute Fort- anderen Ländern und Regionen. Das ist allerdings schritte. So haben beispielsweise die COMESA, nur ein Teil der Rechnung, denn die Zunahme von die SADC und die EAC im Jahr 2015 ein Freihan- Handelsbeziehungen führt auch zu einer Verbes- delsabkommen abgeschlossen, das Handelsbar- serung der Einkommenssituation großer Teile rieren abschafft. Auch in den einzelnen Sektoren der Bevölkerung. Insgesamt werden den afrika- sind die Fortschritte uneinheitlich. Fortschritte nischen Staaten Wohlfahrtsgewinne in Höhe von gab es zum Beispiel in den Bereichen makroöko- bis zu 16,1 Mrd. US-Dollar prognostiziert, sollten nomische Politik, Handel (z.B. bei der COMESA), die Zölle im innerafrikanischen Handel eliminiert Infrastruktur und Verkehr (SADC und EAC), bei werden. Mit Ausnahme des Bergbaus sollen alle der Freizügigkeit (ECOWAS) oder bei Frieden und Sektoren, vor allem die verarbeitende Industrie, Sicherheit (ECOWAS und SADC). In vielen regio- der Dienstleistungs- und der Agrarsektor stark nalen Wirtschaftsgemeinschaften blieb das Er- wachsen (UNCTAD 2018). 15
EU-AFRIKA – PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN Langfristig werden solche positiven Effekte immer größer, während kurzfristig mit unterschiedlich hohen Anpassungskosten zu rechnen ist. So gel- ten beispielsweise die Furcht vor Einbußen bei den Zolleinnahmen oder sektorspezifische Arbeits- platzverluste sowie eine ungleiche Verteilung von Gewinnen und Verlusten zwischen den verschie- denen afrikanischen Staaten zu den Haupthin- dernissen für die geplante Integration. Nicht alle Staaten starten von derselben Position in dieses gemeinsame Vorhaben. Länder, die heute schon größere Produktionskapazitäten in der verarbei- tenden Industrie haben wie Ruanda oder Nigeria werden stärker von einer regionalen Integration profitieren als kleine Volkswirtschaften und die Gut ausgebaute, auch grenzüberschreitende Infrastruktur fehlt oft. ärmsten Länder wie etwa Sambia, die ihre lokale Industrie bedroht sehen und erhebliche Einkom- mensverluste fürchten (UNCTAD 2018). heranwachsen konnte. Um dies nachzuahmen, Daher öffnen viele Länder die Märkte für fehlt es allerdings in vielen Regionen Afrikas an die Nachbarstaaten nur zögerlich aus Angst vor einer gut ausgebauten grenzüberschreitendenden wirtschaftlichen Verlusten, sei es durch geringe- Infrastruktur. Auch diese Aspekte werden daher re Zolleinnahmen oder größerer Konkurrenz aus in der Agenda 2063 benannt und entsprechende dem Ausland. Aber auch die vielen Doppelmit- Ziele definiert. gliedschaften in mehreren Wirtschaftsgemein- Vonseiten der Zivilgesellschaft wurde jedoch schaften, mangelnde finanzielle Ressourcen und auch die mangelnde Transparenz der Verhand- schlecht ausgebaute Verkehrsinfrastruktur sowie lungen über das AfCFTA sowie die fehlenden eine fehlende Verankerung in der breiten Be- Partizipationsmöglichkeiten für Bürger*innen, völkerung behinderten die regionale Integration private und zivilgesellschaftliche Organisationen in vielen Wirtschaftsgemeinschaften (Corrigan kritisiert. Schon im Jahr 2016 forderte der Dachver- 2015). Die Agenda 2063 soll diesen Trend um- band der afrikanischen Zivilgesellschaft, relevante kehren und orientiert sich unter anderem an der Verhandlungsdokumente zu veröffentlichen und Wirtschaftspolitik in Asien der letzten Jahrzehnte. Möglichkeiten der Partizipation auf nationaler Der Erfolg dieser Region basierte vor allem auf der und kontinentaler Ebene zu schaffen (ACS 2016). wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die regionale Es besteht die Sorge, dass von dem Freihandelsab- Wertschöpfungsketten ermöglichte, wodurch die kommen insbesondere die politischen Eliten profi- Region zu einem wichtigen Akteur im Welthandel tieren könnten und die Rechte von Arbeiter*innen und kleinbäuerlichen Betrieben der Wachstums- logik untergeordnet werden könnten. Insgesamt sind die Ziele sehr ambitioniert und Kritiker*innen befürchten ähnliche Probleme wie bei der Zusammenarbeit in den regionalen Wirt- schaftsgemeinschaften. Hinzu kommt die hohe Foto: Marcel Crozet / ILO via Flickr.com; Alex Proimos via Flickr.com ethnische Diversität auf dem Kontinent, die die Einigung verschiedenster Akteure schon in der Vergangenheit erschwert hat. Aktuelle Prognosen stimmen zwar überein, dass das AfCFTA den intra- regionalen Handel und das Wachstum der afrika- nischen Ökonomien fördern wird und die Wohl- fahrtsgewinne gegenüber den Kosten überwiegen (Weltbank 2020, UNCTAD 2019). Der innerafrikani- sche Handel wird allerdings nicht automatisch zu einer nachhaltigen und inklusiven Entwicklung in allen beteiligten Staaten führen. Ob die Handels- liberalisierungen daher zum Erreichen der ambi- tionierten Ziele der Agenda 2063 beitragen, hängt maßgeblich von den politischen Maßnahmen zur Abfederungen der negativen Folgen der Marktin- tegration ab. Dazu zählen neben dem Schutz von Länder mit größeren Produktionskapazitäten in der verarbeitenden Industrie werden stärker kleinbäuerlichen Betrieben und Gewerkschaften von einer regionalen Integration profitieren. insbesondere der Ausbau des Sozialstaates sowie 16
EU-AFRIKA – PARTNERSCHAFT AUF NEUEN WEGEN die Harmonisierung der Arbeits- und Sozialge- Arbeitskräfte wandern nicht aus, weil sie im Land setze zwischen den afrikanischen Ländern (Third einen gut bezahlten Job finden. World Network 2016). Der wichtigste Faktor für Verarbeitete Produkte „Made in Africa“ sind eine erfolgreiche Umsetzung der AfCFTA bleibt derzeit in globalen und regionalen Wertschöp- somit der politische Wille. Das gilt vor allem für fungsketten eher Mangelware, weniger als 15 % solche Länder, die kurzfristig zu den Verlierern ei- des Bruttoinlandsprodukts des Kontinents kom- ner verstärkten Integration gehören könnten, weil men aus der industriellen Produktion (AU o.J.). sie stärker abhängig sind vom innerafrikanischen Am globalen Handel und der globalen Produktion Handel und durch den Zollabbau zunächst Staats- sind die afrikanischen Staaten zusammen sogar einnahmen verlieren. Eine gemeinsame politi- nur mit 2 % beteiligt (UN 2018). Industrialisierung sche Vision und ein sensibler Blick auf eventuelle steht entsprechend ganz oben auf der Agenda af- Durststrecken einzelner Staaten oder Regionen ist rikanischer Regierungen. Die AU hat nicht nur in hier besonders wichtig (AUDA-NEPAD 2019). der Agenda 2063, sondern bereits im Jahr 2008 in ihrem Aktionsplan zur industriellen Entwicklung (AIDA - Action Plan for the Accelerated Industrial 3.2 INDUSTRIALISIE- Development of Africa) das Ziel erklärt, den Anteil verarbeiteter Produkte in Afrika zu steigern und Siehe Kasten RUNGSSTRATEGIE DER die Industrialisierung auf dem Kontinent ko- härent zu gestalten. AFRIKANISCHEN UNION Industrialisierungsprozesse sind multidimen- sional und komplex. Um einen nachhaltigen In- Die Agenda 2063 geht davon aus, dass es ohne dustrialisierungsprozess auszulösen, ist nicht nur eigene Industrie keinen nachhaltigen Wohlstand Geld notwendig. Starke Institutionen, d.h. keine geben kann. Je mehr Produkte im eigenen Land oder nur sehr geringe Korruption, eine effiziente verarbeitet werden, desto größer ist der Mehrwert Verwaltung, die gute Ausbildung von Menschen, in einer Volkswirtschaft. Jede Stufe in der Pro- eine ausreichende Verkehrsinfrastruktur und duktionskette vom Rohstoff bis zum Endprodukt Energieversorgung sind heute genauso wichtig erhöht die Produktivität, neue Geräte und Tech- wie verlässliche Telekommunikation. Das sind nologien können eingeführt werden, qualifizierte hohe Hürden insbesondere für Länder, in denen AIDA – AKTIONSPLAN FÜR DIE reichtum kann nur mit einer vom afrikanischen Markt BESCHLEUNIGTE INDUSTRIELLE besseren Infrastruktur in ferngehalten werden, um ENTWICKLUNG AFRIKAS steigende Wettbewerbsfä- lokale Industrien nicht zu higkeit verwandelt werden. zerstören. 1. Produkt- und Exportdiversi- 3. Entwicklung von Human- 5. Entwicklung eines gesetz- fizierung, Management und kapital und Nachhaltigkeit, Entwicklung der natürlichen lichen, institutionellen und Innovation, Wissenschaft und regulatorischen Rahmens: Ein Ressourcen: Die Verarbei- Technologie: Im Zentrum tung primärer Rohstoffe solcher, verlässlicher Rahmen dieser Priorität stehen der Pri- soll die Attraktivität für pri- und landwirtschaftlicher vatsektor, also Unternehmen, Produkte innerhalb Afrikas vate Investitionen aus dem die durch Ausbildung von soll gesteigert werden, um In- und Ausland steigern. Managern und Vernetzung mit durch die wachsende Wert- 6. Mobilisierung von Ressour- Universitäten und Forschungs- schöpfung vom natürlichen cen für die industrielle Ent- einrichtungen die technolo Reichtum Afrikas stärker zu wicklung: Da Afrika bisher gische und personelle Basis profitieren. nur zu einem geringen Anteil für die Industrialisierungsstra- 2. Entwicklung der Infrastruk- tegie schaffen sollen. von internationalen Privat- tur: Um mehr regionale 4. Entwicklung von Standards investitionen profitiert, setzt Verarbeitung zu erreichen, und Konformität: Einerseits AIDA zunächst auf müssen die Energie- und sollen afrikanische Produkte afrikanisches Kapital. Neue Wasserversorgung sowie durch Einhaltung interna- Quellen wie Pensionsfonds, die Transport- und Kom- tionaler Produktstandards Heimatüberweisungen der munikationsmöglichkeiten und –normen wettbewerbs- afrikanischen Diaspora oder ausgebaut werden. Der fähig werden. Andererseits zusätzliche Steuereinnah- Wettbewerbsvorteil durch sollen Importe, die solche men sollen hierfür erschlos- den natürlichen Ressourcen- Standards nicht einhalten, sen werden. Quelle: AU o.J. 17
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