EXPÉRIENCES SORBONNE 2020/21 - ROMANISTIK UNIVERSITÄT BONN

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EXPÉRIENCES SORBONNE 2020/21 - ROMANISTIK UNIVERSITÄT BONN
Expériences
 SorBonne
  2020/21
EXPÉRIENCES SORBONNE 2020/21 - ROMANISTIK UNIVERSITÄT BONN
EXPÉRIENCES SORBONNE 2020/21 - ROMANISTIK UNIVERSITÄT BONN
„Alles erscheint
weniger hektisch und weniger chaotisch.
   Man lernt die Stadt auf eine ganz
    andere Art und Weise kennen.“

    Johanna Wend (BA, 2. Jahr, Seite 9)
EXPÉRIENCES SORBONNE 2020/21 - ROMANISTIK UNIVERSITÄT BONN
EXPÉRIENCES SORBONNE 2020/21 - ROMANISTIK UNIVERSITÄT BONN
Liebe DFSler*innen,

es liegt ein anstrengendes Jahr hinter uns, wie wir es bislang noch nicht erlebt haben.
Euer Studienleben musste und muss immer noch unter den Folgen des Corona-Virus lei -
den: kein Präsenzunterricht, keine Lernräume in den Bibliotheken, keine Pausen, in de -
nen man sich mit Kommiliton*innen austauschen kann, keine Lerngruppen, keine Men-
sa, keine Cafés und vieles mehr. Durch Kontaktbeschränkungen in Deutschland und das
confinement in Frankreich konntet ihr euch untereinander nicht so sehen, wie ihr es
vielleicht wolltet. Vor allem für die Jahrgänge, die jeweils ihr Studium an einer neuen
Universität begonnen haben, ist das alles bestimmt nicht leicht gewesen. Wir denken
ganz viel an euch und hoffen, dass wir euch bei Fragen und Problemen mit Rat und Tat
zur Seite stehen können.

Doch lasst uns auch das Positive aus dieser neuen Situation ziehen. Haben wir uns nicht
eigentlich früher schon immer gewünscht, in Jogginghose mit einem Tee oder Kaffee in
der Hand in der Vorlesung oder dem Seminar zu sitzen? Voilà, das ist nun zu unserem
Alltag geworden! Aufgrund von geschlossenen Geschäften und Cafés können die Städte
ganz neu erkundet werden, denn wenn man sich nicht jeden zweiten Nachmittag für
drei Stunden in Cafés aufhält, nimmt man sich einmal mehr die Zeit, sich die Stadt zu
Fuß zu erlaufen. So könnt ihr Orte entdecken, an die ihr sonst vielleicht gar nicht ge -
kommen wärt. Ein langer Spaziergang an der Seine, Joggen durch die Rheinaue, Schlen-
dern durch den Jardin du Luxembourg, die Tuileries oder den Bois de Bologne, mit ei-
nem Coffee to go vom Café Orange an den Rhein …

Lasst euch von unserer zweiten Ausgabe der Expériences
SorBonne auf eine Reise durch das letzte Jahr mitnehmen.
In dieser Ausgabe findet ihr Berichte über den Alltag zwi-
schen Schreibtisch, Bett und wieder dem Schreibtisch.
Über hektisch gepackte Koffer, Spaziergänge im Radius
von einem Kilometer und Studierendenproteste. Die
Autor*innen erzählen, wie sie es geschafft haben, dass ih-
nen trotzdem nicht die Decke auf den Kopf gefallen ist. Es
geht um reiche Eindrücke aus Bonn und Paris, um
gemachte Erfahrungen – und diesmal auch um Wehmut und Bedauern. Wir hoffen, dass
wir euch mit dieser Ausgabe eine Art Logbuch geben können mit sehr vielen verschiede-
nen Perspektiven auf dieses seltsame Jahr.

                                             Leoni Tegtmeier & Lena Völkening
                                                               (Bonn, März 2021)
EXPÉRIENCES SORBONNE 2020/21 - ROMANISTIK UNIVERSITÄT BONN
EXPÉRIENCES SORBONNE 2020/21 - ROMANISTIK UNIVERSITÄT BONN
Inhaltsverzeichnis
PARIS..................................................................................................................................7
    Diese kleine glitzernde Welt...........................................................................................7

    Eine etwas verkorkste Zeit in Paris................................................................................8

    Zoom, Streiks und Solidarität.......................................................................................10
    Fauxpas und Einbildungskraft in Serie und Film...........................................................12
    Wie man ein Zimmer in Paris findet.............................................................................15
    Flanieren für Anfänger*innen: Zehn halbgefährliche Übungsstrecken........................18
    Aus einer anderen Perspektive....................................................................................21
    Sterneküche und Pizza.................................................................................................22
    Confinement auf 35 m2...............................................................................................23
    Métropole cosmopolite oder Haifischbecken mit béret?..............................................26
    Ein Pariser Oktobermorgen..........................................................................................28
    Au revoir Paris !............................................................................................................30
BONN................................................................................................................................33
    Erasmus en temps de virus..........................................................................................33
    Par la fenêtre................................................................................................................35
    Balades d‘un Bonner solitaire......................................................................................38
    And the best Flussufer is …..........................................................................................39
    Trouver un appartement pour son année à Bonn ou à Paris........................................41
    Das Institut français bringt euch ein Stück Frankreich nach Hause.............................45
DFS – ET PUIS ?.................................................................................................................47
    Interview : Anaïs, metteuse en scène et comédienne à Stuttgart...............................47
    Dix-huit mois au sein de la plus grande Foire du Livre du monde...............................51
    Die Herzensbrecherin kurz vor der deutschen Grenze.................................................54
IMPRESSUM......................................................................................................................59
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PARIS

                       Diese kleine glitzernde Welt
             Oder: Wenn sich eine Studentin der Literaturwissenschaft
                     an einem Gedicht über Paris versucht.

                     Auf den Spuren von Hugo und Baudelaire
                  begegneten wir einem ganz besonderen Flair.
                In jeder kleinen ruelle, auf den großen Boulevards
                   wurde noch so manches fatale Wunder wahr.

                          Sätze aus einer vergangenen Zeit
                    über den Dingen schweben für die Ewigkeit?
                  Große Gefühle mit Blick auf die Lichter der tour,
           ist das ein schlechter Traum oder einfach nur Romantik pur?

              Sie lauern im Verborgenen die Szenen der alten Tage,
          versteckte Geheimnisse irgendwo in Montmartre, eine Sage?
            Diese Magie traut sich hier zumeist nicht mehr ans Licht,
     wohl verschreckt durch die überfüllte Métro, die wie ein Monster zischt.

             Ein Teil dieser verlockenden Gerüchte müsste man sein,
           mit einem Zauberer hat der Flaneur zumeist wenig gemein.
Die Geschehnisse der Nacht offenbaren sich aber nur dem, der die Augen offen hält,
       unscheinbare Momente im Regen in dieser kleinen glitzernden Welt.

                   In den schillernden Spiegelungen der Seine
                   fragte man sich so häufig: Was wäre wenn?
              Würde ich mich diesem Getummel doch verschreiben?
           In den Cafés am Wegesrand einfach grinsend sitzen bleiben?

             Inmitten der Gedankenruinen der grands penseurs stehn,
                     dem Wahnsinn lieber doch nicht entgehn.
                   Was, wenn ich diesen guten Lektüren bewies:
                 Diese Geschichte handelt immer noch von Paris!

                                               Kim Sterzel (BA, 3. Jahr)

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Eine etwas verkorkste Zeit in Paris

                  … und was ich trotzdem daraus mitgenommen habe.

Als ich im September nach Paris gekom-             Paris-Jahr sicherlich ein sehr spannendes
men bin, habe ich voller Vorfreude auf die         Jahr werden würde. Aber wir realisierten
kommenden Monate geblickt. Zu Beginn               auch, dass alles ganz anders sein würde,
erschien auch alles perfekt. Alles war noch        als man es sich erhofft hatte.
so neu und aufregend. In all der Aufregung
hat man beinahe den Trubel um Corona
vergessen. Das einzige, was einen daran
erinnerte, war die Maske, die einen von
nun an den ganzen Tag über begleitete. So
hatte ich das Gefühl, in einer kleinen idea-
lisierten, utopischen Welt zu leben. Doch
mit dem allmählichen Beginn des Herbstes
war da etwas, das komisch war. Ein kleiner
Schatten, der einen verfolgte und der im-
                                                   Der gewagte und optimistische Versuch ei-
mer größer wurde. Die Stimmung war an-
                                                   ner Präsenzlehre an der Sorbonne erwies
gespannt. Man war sich nicht mehr sicher,
                                                   sich bereits nach vier Wochen als nicht
ob es richtig, vertretbar und verantwor-
                                                   mehr realisierbar. Und so entschied sich
tungsvoll ist, täglich mehreren hundert
                                                   die Sorbonne zunächst für ein hybrides
Menschen zu begegnen und sich mit zwei-
                                                   System. Von nun an war immer nur noch
hundert anderen Studierenden in einen un-
                                                   die Hälfte der Studierenden in der Uni-
terirdischen, schlecht durchlüfteten Hör-
                                                   versität. Zu diesem Zeitpunkt war auch ich
saal zu setzen.
                                                   noch sehr optimistisch und meldete mich
                                                   für den Chor an. Aber letztendlich war
       „Die Pariser*innen werden
         in ihrer eigenen Stadt                    auch dies nur ein verzweifelter Versuch,
           zu Tourist*innen.“                      die Wunschvorstellung einer unvergessli-
                                                   chen Zeit in Paris aufrecht zu erhalten. Ich
Langsam wurde uns allen klar, dass hier            war genau zwei Mal bei der Probe und
etwas schieflief und es nur noch eine Frage        dann wurden wir alle endgültig von der
der Zeit war, bis der Schatten uns einholen        Realität eingeholt. Da in Frankreich die
würde. Wir mussten erkennen, dass dieses           Lockdownauflagen sehr streng waren, reis-

                                               8
ten die meisten von uns, darunter auch              rist*innen werden. Man kann sehen, dass
ich, Ende Oktober vorerst wieder nach               sie auch mal froh sind, ihre Stadt für sich
Hause. Jetzt, im Januar, bin ich nach zwei          zu haben. Natürlich ist alles ganz anders,
Monaten, die man hauptsächlich auf Zoom             als man es sich vorgestellt hat. Aber letzt-
verbrachte, nach Paris zurückgekommen.              endlich habe ich trotzdem schon so un-
Selbstverständlich   ließ   auch   hier   die       glaublich viel gelernt und ich merke, wie
nächste Überraschung nicht auf sich war-            ich mehr und mehr lerne, das Positive in
ten. Eine angekündigte Präsenzklausur               dieser verkorksten Situation zu sehen. Ich
wurde aufgrund von streikenden Pariser              glaube, ich habe vor allem gelernt, die Din-
Studierenden annulliert.                            ge gelassener zu sehen und alles mehr zu
                                                    genießen, weil man nie weiß, was als
Auch wenn natürlich nicht alles so ist, wie
                                                    nächstes passiert. Und so bin ich mir ziem-
man es sich erhofft hatte, so bin ich trotz-
                                                    lich sicher, dass ich trotz allem viel aus
dem froh, jetzt wieder in Paris zu sein.
                                                    den vergangenen Monaten mitgenommen
Irgendwie sehe ich es auch als Privileg an,
                                                    habe und aus den kommenden Monaten
die Stadt aus einer anderen Perspektive
                                                    noch viel mehr mitnehmen werde. Trotz al-
kennenzulernen. So kann man mit Ruhe
                                                    lem bin ich überzeugt, dass sich das Jahr
und Gelassenheit durch die Stadt spazie-
                                                    gelohnt haben wird, dass die Frühlingsmo-
ren, ohne andere Tourist*innen. Man lernt
                                                    nate in Paris dafür umso schöner sein wer-
die Stadt auf eine ganz andere Art und
                                                    den und dass ich diese umso mehr wert-
Weise kennen. Alles erscheint weniger hek-
                                                    schätzen werde.
tisch und weniger chaotisch. Und es macht
auch Spaß, zu sehen, wie die Pariser*innen
auf einmal in ihrer eigenen Stadt zu Tou-              Johanna Wend (BA, 2. Jahr)

                                                9
Zoom, Streiks und Solidarität
                Wie Corona unseren Auslandsaufenthalt beeinflusst hat

Corona. Das Virus hat und wird unsere               an einem Tisch statt vier Personen nur
Welt wohl noch einige Zeit begleiten und            zwei Platz nehmen, im Rest der Räume gab
auch unser Auslandsaufenthalt wurde na-             es diese Regelung allerdings nicht. Für uns
türlich nicht davon verschont.                      war es deshalb auch eher weniger verwun-
                                                    derlich, als Mitte Oktober die Zahlen der
Angefangen hat alles mit der Wohnungssu-
                                                    Neuinfektionen in Frankreich rasant anstie-
che, die aufgrund der Situation gänzlich
                                                    gen und die Vorlesungen und Seminare nur
auf    den   Online-Markt   verlegt   werden
                                                    noch abwechselnd von höchstens der Hälf-
musste. Hinzu kam die Ungewissheit, ob
                                                    te der Studierenden besucht werden durf-
wir denn überhaupt ausreisen dürfen. Als
                                                    ten. Dieses System hielt jedoch nicht lange
Frankreich Ende August zum Zeitpunkt der
                                                    an, denn noch während unserer ersten
Umzüge auch noch zum Risikogebiet er-
                                                    Ferienwoche Ende Oktober kristallisierte
klärt wurde, war die Unsicherheit groß und
                                                    sich heraus, dass es ein zweites confine-
uns wurde langsam bewusst, dass die
                                                    ment geben würde, denn das couvre-feu
„zweite Welle“ nicht sehr lange auf sich
                                                    ab 20 Uhr reichte nicht mehr aus, um die
warten lassen würde.
                                                    Neuinfektionen von über 40 000 Menschen
      Ein fast normaler Alltag in Paris             pro Tag einzudämmen.

Aber erstmal in Paris angekommen, stellte
sich heraus, dass sich nicht sonderlich viel
an dem Alltagsleben der Pariser*innen ver-
ändert hatte. In der Stadt sah man zwar
aufgrund der Maskenpflicht nur noch Men-
schen mit einer Mund-Nasen-Bedeckung,
doch sonst waren Cafés und Restaurants
im September und Oktober übergehend
normal geöffnet. Gleiches galt für Museen,
Fitnessstudios, Theater und Schulen. Auch
die Uni hat Mitte September „normal“ mit
der Präsenzlehre und einigen wenigen
Einschränkungen begonnen. In der Biblio-
thek und der Mensa durften beispielsweise

                                               10
Anders als in Deutschland durfte man das                     „Viele Dozierende haben
Haus nur noch mit einer attestation de dé-                sich in den ersten Minuten der
                                                             Zoom-Sitzungen nach der
placement verlassen, selbst wenn man nur                  körperlichen und psychischen
eine Runde spazieren gehen wollte. Darauf                         Verfassung ihrer
einzutragen waren die persönlichen Daten
                                                             Studierenden erkundigt.“

und die Uhrzeit, zu welcher man das Haus
verlassen hat, denn selbst Spaziergänge               holen. Während der letzten Woche vor

oder Sport waren auf eine Stunde am Tag               Weihnachten wurden dann viele Klausuren

in einem Radius von einem Kilometer be-               online geschrieben, wobei uns die The-

schränkt worden. Demnach fanden unsere                men, Texte und Aufgaben per Mail oder

Vorlesungen nach den Ferien, wie in                   Zoom zugeschickt wurden. Im Januar wa-

Deutschland auch, alle online über Zoom               ren weitere Klausuren geplant, wobei eini-

statt.                                                ge wenige vor Ort in der Universität ge-
                                                      schrieben werden sollten. Bei uns handelte
      Proteste in den Universitäten
                                                      es sich dabei um littérature classique, wes-
                                                      halb viele von uns kurz nach dem Jahres-
In dieser Phase wurden auch langsam Pro-
                                                      wechsel direkt nach Paris zurückgefahren
teststimmen der Studierendenschaft laut
                                                      sind. In dieser Woche hat sich ein Teil der
und auch einige Dozierende haben ge-
                                                      Studierendenschaft jedoch dazu entschlos-
streikt und sich dafür ausgesprochen, dass
                                                      sen, gegen diese Klausuren in présentiel
die Präsenzlehre wieder eingeführt werden
                                                      zu demonstrieren. Grund dafür waren teil-
müsse, denn Schulen waren im Gegensatz
                                                      weise die Zustände der Online-Lehre, und
zu Universitäten weiterhin während des
                                                      darüber hinaus hatten einige Studierende
confinement geöffnet. Während dieser Zeit
                                                      ihre Wohnungen verloren und waren nicht
hat die Sorbonne weiterhin versucht, ihre
                                                      in der Lage, eine Klausur zu schreiben. Am
Studierenden, soweit es geht, zu unterstüt-
                                                      Tag der Klausur wurde der Eingang zum
zen. Viele Dozierende haben sich in den er-
                                                      Campus Malesherbes versperrt und wir
sten Minuten der Zoom-Sitzungen nach
                                                      warteten fast zwei Stunden, bis schlus-
der körperlichen und psychischen Verfas-
                                                      sendlich entschieden wurde, dass die Klau-
sung ihrer Studierenden erkundigt, es wur-
                                                      sur online geschrieben wird.
den      Beratungsstellen   eingerichtet   und
mindestens einmal pro Woche konnten
Studierende, die aufgrund der Pandemie
ihren Job verloren hatten oder in Geldnot                Mara Wittpenn (BA, 2. Jahr)
waren, sich ein Frühstück am Campus ab-

                                                 11
Fauxpas und Einbildungskraft in Serie und Film
           Hat Emily in Paris die Stadt womöglich doch gut porträtiert?

       Meisterwerke wie Midnight in Paris und neuartige Unterhaltungsideen mit
    Romantikstempel wie Emily in Paris – DFS-ler*innen sind die meisten ein Begriff,
  sodass viele Filmszenen detailgetreu wiedergegeben und zum Teil sogar vorgespielt
werden können. Immerhin stehen sie ganz oben auf der Liste der Lehrmaterialien für die
   emotionale Vor- und Nachbereitung der Mission Schuhkarton in der Stadt mit mehr
   Métrostationen als Fahrrädern. Popcorn und Knabberzeug raus! Stifte bereithalten!
    Es folgt der Realitätscheck aus der DFS-Sicht: Was ist dran an dem Paris, das wir
         auf Bildschirmen sehen – was ist faul oder vielleicht auch zutreffend bei
                          Midnight in Paris und Emily in Paris?

       Realitätscheck No. 1:                       einfach diese verdammten Treppen hoch,
          Emily in Paris                           merkt sich ein Merkmal seiner Etage und
                                                   hält nicht an, bevor man über die immer
Starten wir mit der sympathischen Ameri-           gleiche lose Fliese gestolpert ist!
kanerin Emily, die spontan nach Paris
kommt, um dort in einer Marketingagentur                     Eine chambre de bonne
zu arbeiten … ob das gut gehen kann? Mit             ist in der Realität nun wirklich kleiner
dem Taxi geht es stilecht zur Wohnung in
                                                   Emilys Zimmer ist eine sogenannte cham-
einem alten Pariser Wohnhaus – ohne Auf-
                                                   bre de bonne – in ihrem Fall mit einem
zug und dafür mit seltsamer Etagennum-
                                                   sehr ausladenden Bett, einem großen
merierung. Wer hat bei seinem Umzug
                                                   Wohnbereich, Bad und Küche. Eigentlich
nicht gestöhnt, als er*sie die schweren
                                                   wie eine ganz normale Wohnung. Einfach
Koffer in den 6. Stock tragen musste, um
                                                   nein! Die meisten unserer chambres de
zu merken, dass man gerade eigentlich
                                                   bonne bekamen bereits den Stempel „Lu-
erst im 5. Stock angekommen war? Die
                                                   xus“, wenn sich die Dusche nicht prak-
Häuser haben zumeist ganz einfach da-
                                                   tischerweise direkt neben dem Herd be-
mals noch keinen Aufzug gehabt. Man
                                                   fand und man immerhin zwei Schritte von
könnte natürlich jetzt sagen, dass eben ge-
                                                   dem kleinen Bett bis hin zur Wohnungstür
nau das den Charme der Pariser Unterkunft
                                                   laufen musste. Oder wenn man über eine
ausmacht – oder man lässt es und geht

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eigene Toilette in seinem Zimmerchen ver-         Aufwand. Außerdem: Wenn man in Paris zu
fügte. Erschwingliche Wohnungen für Stu-          einer festen Gruppe an Menschen gehört,
dierende sind sehr klein und können mit           gehört man eben dazu und wird eingela-
den richtigen Dekoelementen entweder              den und gefragt. Erfahrungsgemäß sogar
fein oder kitschig werden. Größer werden          häufiger, als es vielleicht in Deutschland
sie dadurch trotzdem nicht. Später dann           der Fall wäre … Emily sitzt in einem hüb-
geht auch in Emily Wohnung etwas zu               schen Park und trifft per Zufall ihre neue
Bruch – es ist die Dusche. Skandal! Aber          beste Freundin, die ihr Baguette auf den
wahr … es sind vorzugsweise die mit Roh-          Boden wirft und ein Gespräch beginnt.
ren verbundenen wichtigen Alltagsutensili-        Irgendwie lernt man in Paris wirklich Leute
en, die im Laufe der Pariszeit angebrüllt         an den skurrilsten Orten oder durch die
oder repariert werden müssen. Besonders           witzigsten Situationen kennen. So zum Bei-
gerne natürlich genau dann, wenn man es           spiel, wenn man die Prozedur im SB-
gar nicht gebrauchen kann.                        Waschsalon noch nicht ganz versteht,
                                                  nachfragt und durch das plötzliche Singen
       Beim Französischsprechen                   und Tanzen mit einer neuen Pariser Be-
      zählt vor allem der gute Wille              kanntschaft vergisst, Waschmittel zu be-
                                                  nutzen.
Der Protagonistin werden in ihrem Alltag
viele Steine in den Weg gelegt. Sie kann          Nach kurzer Zeit stolpert die neue Hobby-

kein Französisch und versucht es mit einer        französin Emily wie durch Zufall in ihre

Übersetzungsapp und später dann mit ih-           neue Liebe hinein. Ich weigere mich, das

rem eigenen kleinen Wortschatz. Dabei             zu kommentieren! Suivant ! An ihrem er-

wird Emily teilweise ignoriert und ausge-         sten richtigen Arbeitstag steht die moti-

schlossen, bekommt fiese Spitznamen und           vierte neue Angestellte vor den verschlos-

wird zum Gespött. Tatsächlich ist es kein         senen Türen ihres neuen Unternehmens.

Geheimnis, dass man in Frankreich in mehr         Vor elf Uhr morgens taucht niemand auf

oder weniger lustige Situationen gerät,           und die Amerikanerin hat so gar kein Ver-

wenn man die Landessprache nicht be-              ständnis für die Verspätung ihrer Kolleg*in-

herrscht. Allerdings zählen dabei durchaus        nen. An diesem Punkt ist zumindest etwas

die Bemühungen. Auch mit nicht perfek-            dran. Die Tageszeiten scheinen sich in

tem Französisch kann man bei dem bloßen           Frankreich generell etwas zu verschieben.

Versuch, zu sprechen, ein Lächeln bei sei-        Es passiert nicht selten, dass gegen 15 Uhr

nem Gegenüber bestaunen und bekommt               noch von „Mittag“ und gegen 18 Uhr von

ggf. die nötige Hilfestellung ohne großen         „Nachmittag“ gesprochen wird. Eine von

                                             13
Emilys Lieblingsbeschäftigungen sind die            Stadt. Paris hat bei Nacht wirklich nochmal
Fotos, vorzugsweise Selfies, die sie an je-         eine völlig andere Wirkung als am Tag –
dem Ort aufnimmt. Immer. Also ständig. Es           eine gewisse Magie ist, so komisch das
wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass            klingen mag, irgendwie ganz einfach an-
ich nicht unfassbar viele Fotos in Paris            wesend. Besonders, wenn man alleine ist,
gemacht hätte – wenn auch so gut wie kei-           entfalten die einsamen Gassen und die
ne Selfies. Allerdings überlegt man sich            Streiche der Nacht ihre volle Wirkung und
das Handy-aus-der-Tasche-Holen an man-              man kann sich auf diese Stadt voll und
chen Orten ganz genau und lässt das Han-            ganz einlassen.
dy mitunter lieber in genau dieser Tasche
drin – wo es zumindest einigermaßen                   Den Literat*innen aus einer anderen
sicher ist. Die Neupariserin Emily lernt             Zeit fühlt man sich hier tatsächlich nah

schnell ihr Viertel, die Lieblingsbar, den
                                                    Auf einmal hält ein Automobil neben dem
Lieblingsbäcker und ihren bevorzugten
                                                    Drehbuchautor an und bringt ihn zu einer
Blumenladen kennen – alles direkt um die
                                                    wilden Partynacht der Extraklasse. Ob man
Ecke. Dieses Glück hat man nicht immer.
                                                    in Paris nun in ein fremdes Auto einsteigen
Es stimmt jedoch, dass man sich seine
                                                    sollte, sei mal so dahin gestellt. Wie oben
Orte in Paris – besonders die Bars und
                                                    bereits erwähnt, trifft man aber durch die
Treffpunkte – sehr schnell zusammensucht
                                                    lustigsten Zufälle die spannendsten Ge-
und dann wirklich das Gefühl hat, in einem
                                                    sprächspartner*innen    und   Freund*innen
kleinen Dorf zu leben. Dieses Glück, diese
                                                    und kann sich so durchaus etwas schneller
Orte in direkter Nähe seiner Wohnung zu
                                                    mal bei einer soirée wiederfinden. Der
finden, ist dann wirklich schon Profi-Level.
                                                    Abend bzw. die Nacht nimmt auf einmal
                                                    eine völlig neue Wendung und Gil findet
       Realitätscheck No. 2:                        sich in einer anderen Welt, zumindest in ei-
         Midnight in Paris
                                                    nem anderen Jahrhundert, im Paris der
                                                    20er Jahre mit Persönlichkeiten wie Ernest
So viel zum Tagesgeschehen – weiter geht
                                                    Hemingway wieder. Das Gefühl, auf einmal
es zum aufregenden Teil des Tages: der
                                                    in einer anderen Welt zu sein, kann Paris
Nacht. Diese verändert bekanntlich viele
                                                    prinzipiell ganz gut – für die deutsche Stu-
Gedanken und setzt auch dem Protagonis-
                                                    dentin ist es eine andere Welt. Dennoch
ten aus Midnight in Paris etwas zu. Statt
                                                    sind Zeitsprünge auch in dieser Metropole
mit seiner Verlobten einen schönen Abend
                                                    eher unwahrscheinlich. Etwas Wahres ist
zu verbringen, spaziert Gil lieber alleine
                                                    an Gils Erlebtem aber trotzdem dran: Es
durch die verwunschenen Gassen der

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stimmt nämlich, dass man sich in dieser             hand genommen und man sollte über
Stadt den „großen Köpfen von gestern“ an            einen Wochenendtrip in der campagne
manchen Orten so nah fühlt, dass man fast           nachdenken, oder man hat ganz einfach
glauben könnte, mit ihnen dort diskutieren          nur zu viel ferngesehen.
zu können. Fängt man damit an dieser
Stelle tatsächlich an, hat die Stadt bei ei-
nem entweder schon vollkommen Über-                        Kim Sterzel (BA, 3. Jahr)

                      Wie man ein Zimmer in Paris findet
                            L‘art de vivre – même sur 12 m2

Als eine von wenigen im DFS-Universum
habe ich nicht bereits während des Bache-
lors in Bonn bzw. in Paris studiert, sondern
etwas viel Allgemeineres, nämlich Sprache
und Kommunikation an der Uni Marburg.
Aus diesem Grund waren zwar Bonn und
die Uni dort Neuland für mich (hier ver-
brachte ich das erste Jahr meines Master-
studiums), dafür bot sich Paris als ab-
solutes Heimspiel dar, denn ich pausierte
mein Bachelor-Studium in Marburg von
2016 bis 2017, um in Paris ein aufregendes
Praktikum im Mode-Bereich zu machen.
Bereits bei meiner Ankunft in Paris im Jahr
2016 (damals wohnte ich im 10. Arrondis-
sement mit einer Schweizerin, die doppelt
so alt war wie ich) war ich schockverliebt
                                                    Cafés und die Bars sind mit denen keiner
in diese Stadt. Das Flair, die Sprache, die
                                                    anderen Stadt auf der Welt zu vergleichen.
Menschen, die Boutiquen, die restos, die
                                                    Oh, und nicht zu vergessen sind natürlich

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auch die Museen, die Bibliotheken und die          dem ich mich auf diversen Seiten ange-
Universitäten, allen voran natürlich die           meldet hatte, lautet mein Résumé: lacarte-
Sorbonne! Neben dem Erkunden einer                 descolocs.fr ist perfekt für all diejenigen,
französischen Uni freute ich mich auch die-        die das Abenteuer wagen       möchten, mit
ses Mal besonders darauf, mich durch die           Französ*innen in einer WG zu leben. Die
Gassen von Frankreichs Metropole treiben           Webseite funktioniert ähnlich wie WG Ge-
zu lassen, so ganz ohne großen Plan.               sucht in Deutschland, hat jedoch einen
Stopp! Einen bon plan werde ich aber               großen Vorteil: Nachdem man bei der An-
sicherlich brauchen, und zwar eine Unter-          meldung einige Zeilen über sich selbst ver-
kunft!                                             fassen muss, haben alle Mitglieder, die ge-
                                                   rade aktiv nach einer*m neuen Mitbewoh-
         „In der WG hatte ich
     alltäglichen Kontakt mit der                  ner*in suchen, die Möglichkeit, einen anzu-
     französischen Sprache. Eine                   schreiben.
  absolute Empfehlung meinerseits!“
                                                   Selbstverständlich muss man wie bei der

Die größte Hürde vor meinem langersehn-            Wohnungssuche in Deutschland eine Men-

ten Paris-Aufenthalt stand mir im Sommer           ge Eigeninitiative mitbringen, jedoch sind

2020 vor dem Umzug von Bonn nach Paris             die Französ*innen auf dieser kostenlosen

noch bevor: die Wohnungssuche, und das             Seite sehr reaktiv, und so fand ich nach cir-

mitten in der Corona-Pandemie! Während             ca drei Wochen eine WG mit einer Franzö-

das DFS-Netzwerk unter den Bachelorstu-            sin im 16. Arrondissement, nur fünf Gehmi-

dierenden groß ist und man häufig das              nuten vom Eiffelturm entfernt zwischen

Glück hat, eine Wohnung direkt zu über-            den Métrostationen Trocadéro und Rue de

nehmen, verhält es sich im Master etwas            la Pompe! Eine Traumlage, die jede*n Fran-

anders, denn für dieses Studium entschei-          zös*in neidisch macht! Dies gab mir die

den sich jedes Jahr nur sehr wenige. Was           Möglichkeit, nicht nur das Französisch der

mir jedoch definitiv geholfen hat, waren           Uni zu lernen, sondern auch alltäglichen

Tipps von Freund*innen, Bekannten und              Kontakt mit der französischen Sprache zu

Co. Man glaubt gar nicht, wie viele Men-           haben. Eine absolute Empfehlung meiner-

schen aus dem eigenen Umkreis in Paris             seits!

leben, gelebt haben oder zumindest je-                      Erneute Zimmersuche
manden kennen (der*die jemanden kennt),                     nach wenigen Monaten

der*die einem behilflich sein kann. So bin         Jedoch sollte auch hier mein Abenteuer
ich zunächst auf unterschiedliche Websei-          Wohnungssuche noch nicht enden, denn
ten und Facebookgruppen gestoßen. Nach-            Mitte Dezember eröffnete mir meine fünf

                                              16
Jahre ältere Mitbewohnerin Aude, dass ihr          lieber allein und trotzdem bezahlbar leben
Arbeitgeber sie ab Februar nach Dubai ver-         möchten. Für diesen Service muss man
setzen wird. Also galt es, innerhalb von           zwar einmalig zwischen 550 und 600 Euro
sechs Wochen eine neue Wohnung zu fin-             zahlen, jedoch hat man das aufgrund der
den. Wie immer sind Kontakte die erste             günstigeren Miete und der sicheren Verträ-
Anlaufstelle und auch hier kann ich nur            ge schon nach einigen Monaten wieder
empfehlen, in der Uni den Kontakt zu fran-         drin.
zösischen Mitstudierenden zu suchen. Mir
                                                      Tipps: Der beste Moscow Mule
persönlich fiel dies zum Glück nicht son-            und der beste Ort zum Picknicken
derlich schwer, denn ich hatte gar keine           Aber genug jetzt mit der lästigen Woh-
Wahl: Ich war die einzige Deutsche im DFS-         nungssuche und hin zu den schönen Din-
Master in diesem Semester. Noch dazu ka-           gen im Leben! Abschließend an meine Er-
men die Folgen des Coronavirus (wir hat-           fahrungen mit dem Pariser Wohnungs-
ten zwar zunächst Präsenzuni an der Sor-           markt möchte ich euch noch zwei Spots
bonne, jedoch wurde ab Mitte Oktober auf           empfehlen, wo ihr am besten einen ge-
Onlinekurse umgestellt).                           pflegten Drink in der schönsten Stadt der

Durch zwei französische Kommilitoninnen            Welt genießen könnt. Erstens: die kleine

hatte ich nun aber mehrere Wohnungsan-             Bar Le verre luisant, die sich zwischen dem

gebote. Eine der beiden empfahl mir den            Centre Georges Pompidou und der Rue de

studentischen Wohnungsservice von Mada-            Rivoli befindet. Hier gibt es den besten

me Anne Valeska. Letztere kümmert sich             Moscow Mule und die liebsten Barkeeper

privat um die Wohnungssuche und -ver-              (die einen nach nur wenigen Besuchen di-

mittlung ausländischer Studierender und            rekt wiedererkennen und herzlichst begrü-

hilft sogar bei der Anmeldung des CAF!             ßen)! Und zweitens das Seine-Ufer (rive

Dazu sind die Wohnungen in ihrem Reper-            droite) bei der Pont Neuf mit Blick auf den

toire unschlagbar günstig (zwischen 450            Eiffelturm. Ein Picknick mit Vino, Baguette

und 750 Euro warm pro Monat) und liegen            und Brie bei Sonnenuntergang ist nickel

häufig im Westen von Paris bzw. in Neuilly.        und garantiert mit keinem anderen Ort zu

Ihr könnt Madame Valeska am besten per             vergleichen!

Mail erreichen (aveparis.av@gmail.com),
sie antwortet meist noch am selben Tag
und schickt euch eine ganze Liste mit frei-            Juliane Kraus (MA, 2. Jahr)
en Studios. Super für all diejenigen, die

                                              17
Flanieren für Anfänger*innen: Zehn halbgefährliche Übungsstrecken

Auch wenn das Leute-Beobachten für mich
als Teilzeitpariserin zu einem festen Be-
standteil meines Vergnügungsprogrammes
wurde – manchmal hatte ich keine Lust
mehr, mich auf eine Bank in einem der
Parks zu setzen und „Menschenraten“ zu
spielen. Parks gibt es in Paris eine ganze
Menge, die auch alle nicht zu verachten
und durchaus sehenswert sind. Zum Bei-
spiel der Jardin du Luxembourg inklusive
                                                   Durchschnittspariserin    mag   das   auch
sehr vieler Menschen auf Bänken mit Bü-
                                                   samstags auf den Champs-Elysées gelin-
chern in der Hand, der Buttes Chaumont
                                                   gen – mal abgesehen davon, dass man sie
mit vielen Kindern und noch mehr pickni-
                                                   dann und dort niemals antreffen würde.
ckenden Gesell*innen, die Tuileries mit
                                                   Bei diesem Versuch würde ich mir entwe-
fotogeilen Tourist*innen oder der Park Mon-
                                                   der selber etwas brechen oder … Da wir
ceau, vorzugsweise mit Jogger*innen und
                                                   uns aber alle noch in der Ausbildung befin-
solchen, die es werden wollen. Hat auch
                                                   den, hier ein paar Orte, an denen das typi-
etwas, aber darum soll es jetzt nicht
                                                   sche Flanieren ungehindert und mit mini-
gehen. Stattdessen sehnte ich mich von
                                                   mierter Verletzungsgefahr erprobt werden
Zeit zu Zeit nach ein paar ruhigeren Minu-
                                                   kann. Dabei gilt hier stets zu versuchen,
ten in einem nicht enden wollenden Ge-
                                                   das Große im Kleinen zu finden, sprich: die
tümmel, um meine Blicke ungehindert
                                                   eigenen Wege. On y go !
schweifen zu lassen, nichts zu tun und
irgendwie auch an nichts zu denken. Und                von Kim Sterzel (BA, 3. Jahr)
dabei noch elegant auszusehen! Klar, der

                          1. Auf den Spuren der Bohème

Heute für Studierende nicht mehr wirklich erschwinglich, aber dennoch sehr schick und
beeindruckend anzusehen ist das Quartier Latin. Hier bekommt man einen Eindruck des
Paris „von früher“ und begibt sich ungewollt auf die Spuren der Bohème. In Richtung der
Tour Eiffel stolpert man in das 7. Arrondissement. Hier gilt Ähnliches: Es ist etwas für die
Augen und der Weg von der alten Sorbonne bis zur tour lohnt sich für einen langen
ausgedehnten Spaziergang entlang der großen Avenuen. Nicht verschätzen: Auch wenn
die tour zum Greifen nahe scheint, ist sie dennoch weiter weg, als man denkt!

                                              18
2. Picknick am Wasser                     3. Brücken-Bingo an der Seine

Der Canal Saint-Martin mündet       Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen am Wochen-
in Richtung Nordosten in das        ende war es, stundenlang an der Seine spazieren zu
Bassin de la Villette mit seinen    gehen – ohne ein bestimmtes Ziel. Obwohl man dem
quais und einigen schicken Bars     Fluss auf- oder abwärts theoretisch nur folgen muss,
und Cafés für eine Erfrischung.     ist es erstaunlich, welche Wege man auf dieser
Besonders im Sommer kann            Strecke entdecken kann. Am Flusslauf entlang
man an diesem Ort wirklich von      begegnen einem darüber hinaus sämtliche
einem    „blühenden       Leben“    Sehenswürdigkeiten wie an einer Perlenkette auf-
sprechen. Dann kann man hier        gefädelt: Louvre, Musée d’Orsay, Grand Palais …
auch schwimmen. Aber Obacht:        Tipp: Den Rückweg antreten sollte man vor Troca-
Es tummeln sich einige mehr         déro, spätestens ab da ist von „Entspannung“ keine
oder    weniger       freundliche   Rede mehr und das Flanieren wird eher zum
Schwäne!                            Balancieren.

                                                             4. Der Montmartre
                                                            ist besonders schön
                                                            – von der Rückseite

                                                        Die Tatsache, dass Montmartre
                                                        schön ist, werde ich an dieser
                                                        Stelle nicht weiter ausführen
                                                        müssen. Die Möglichkeit, hier
                                                        relativ einfach ein paar Straßen
                                                        mit weniger Menschen zu
                                                        finden, scheint im Amélie-
                                                        Viertel                 ebenfalls
                                                        wahrscheinlicher.     Besonders
                                                        schön ist es aber, den Weg
             5. Ruhe und Frieden                        hoch zu Sacré-Coeur nicht
                                                        durch         die      typischen
Auf Friedhöfen ist es nun einmal still – meistens.      Parkanlagen, sondern durch die
Genug Ruhe ist also schonmal da. Nun ist Friedhof in    vielen Straßen und Treppen –
Paris nicht gleich Friedhof. Mal abgesehen davon,       also „von hinten“ - zu wagen.
dass inmitten der Stadt viele berühmte Per-             Auf der Reise nach oben
sönlichkeiten begraben sind und es sich durchaus        erwarten einen bereits hübsche
emotional lohnt, die Grabstätten dieser Vorbilder zu    Aussichtspunkte, unerwartete
besuchen (wie z.B. Édith Piaf auf der Cimetière du      Entdeckungen        sowie    der
Père-Lachaise oder Simone de Beauvoir in                wirkliche       Charme       von
Montparnasse), sind diese Friedhöfe mit ihren kunst-    Montmartre.       Und,      oben
vollen Grabbauten besonders in Kombination mit          angekommen, natürlich einer
den bunten Blättern im Herbst auch einfach nur          der schönsten Blicke auf die
wunderschön. Es sei denn, man hat kurz vorher im        Stadt,     besonders    in   der
Englischkurs The Premature Burial von Poe gelesen.      Dämmerung. Am besten, man
Dann könnte ein Ausflug in der Dämmerung als            benutzt dabei Google Maps zur
Live-Horrorfilm-Erfahrung     gewertet      werden.     groben Orientierung. Gerade in
Achtung: Bei den gutbesuchten Gräbern bekannter         diesem Teil der Stadt kann sich
Persönlichkeiten geht es aufgrund des möglichen         das Viertel nämlich hinter jeder
Massenauflaufs mitunter weniger ruhig zu.               Ecke ändern.

                                           19
6. Mehrgängemenü im Marais                       7. Träumen in den Passagen

In den kleinen Gässchen des 3. und 4.                  Die Passagen haben bereits zu
Arrondissements kann man nicht nur komplett            diversen literarischen Werken
verloren und dabei trotzdem irgendwie anmutig          inspiriert – allen voran Walter
durch die Gegend spazieren. Es begegnen einem          Benjamin. Kann man auch machen,
neben viel Streetart auch kulinarische Highlights      muss man natürlich nicht. Diese
wie Falafel, hausgemachtes Eis, sehr gute              überdachten Laufstege mit klei-
Macarons oder Mittagessen auf dem Marché des           nen Geschäften zwischen dem
Enfants Rouges. Nach einem Spaziergang dieser          Grand Boulevard und Montmartre
Art ist man nicht nur extrem satt und reif für das     laden zum Verweilen und Träumen
Bett. Dadurch, dass sich dieses Gassenkonstrukt        ein. Ein überdachter Bummel
mitten in Paris befindet, kann man auf diese           eignet    sich   nicht   nur    an
Weise auch noch seinen Orientierungssinn testen.       verregneten, sondern auch an
Angefangen bei République in Richtung Seine ist        heißen Sommertagen, wo es hier
die Strecke am schönsten – und die verschiedenen       angenehm kühl ist. Praktisch
Gänge kommen in der richtigen Reihenfolge bis          dabei:     Die     Gänge      sind
zum Dessert.                                           miteinander verbunden und man
                                                       kann direkt weiterschlendern.

                   8. Marché aux puces: Stöbern und staunen

Unweit von einer der schönsten Aussichten der Stadt (s. Punkt 4) wartet das
Schmöckerparadies. Der marché aux puces ganz im Norden von Paris lockt mit seinen
endlosen und unübersichtlichen Gängen und kleinen Lädchen mit Schnickschnack aller
Art. Neben einigen wirklichen Schnäppchen für den Pariser Schuhkarton finden sich hier
viele kuriose und skurrile Angebote. Der Comedyfaktor ist in der Tour also inbegriffen.
Außerdem: Direkt bei der Métrostation Porte de Clignancourt befindet sich das Café
Recyclerie, welches von innen nicht nur spannend aussieht und ganz passablen Kaffee
macht – dahinter finden sich alte Bahngleise, die zum Urban Gardening und an manchen
Sonntagen auch für einen weiteren Flohmarkt genutzt werden. Paris mal anders.

  9. Mein Moment der Stille                     10. Trainingslager für die Stadt

Die Ile Saint-Louis mag vielleicht die   Herzlich Willkommen in einem meiner
kleine Schwester der Ile de la Cité im   absoluten Lieblingsviertel – so vielfältig wie
Schatten von Notre-Dame sein. Sie        Paris selbst: Montparnasse. Von schrägen
bietet dennoch nicht enden wollende      Bauwerken wie einem Turm im Bleistiftformat
Straßen zum Verweilen und Bum-           über lange Straßen bis hin zu süßen
meln und einen tollen Blick in           Restaurants hat man hier den Eindruck, Paris
Richtung der tour. Da sich die meis-     irgendwie noch einmal im Kleinen zu haben. In
ten auf der größeren und be-             diesem Viertel, dem Trainingslager für das
kannteren Insel tummeln, hat man         große Paris, den eigentlichen Wahnsinn, kann
hier zumeist seine Ruhe und das          man sein Können daher wie bei einer
Gefühl, einen winzigen Teil von Paris    Generalprobe       unter     Beweis       stellen.
fast ganz für sich alleine zu haben.     Montparnasse scheint das „normalste Viertel“
Bei Nacht ist es so gut wie men-         in Paris zu sein und ist daher für den*die
schenleer. Es empfehlen sich nächt-      Anfänger*in ideal geeignet. Aber: Irgendwann
liche    Spaziergänge     in     guter   sollte man dem Ruf der anderen quartiers
Gesellschaft.                            folgen und sich treiben lassen, flanieren eben!

                                           20
Aus einer anderen Perspektive
                   Die besten Aussichtspunkte und Spazierstrecken

Trotz der komplizierten Corona-Situation
schafft es die Stadt, einen so manches Mal
die ganzen Einschränkungen vergessen zu
lassen. Vor allem lange Spaziergänge ent-
lang der Seine, im Montmartre-Viertel oder
auch sonst überall in Paris wirken dabei
wie ein Wunder. An jeder Ecke wartet et-
was Neues, sei es eine Botschaft, ein aus-
ländisches Kulturzentrum, Sehenswürdig-
keiten oder Streetart.

Was sich vor allem während der Corona-
Zeit angeboten hat, waren kleinere Wande-
rungen außerhalb von Paris, denn in eini-
gen Vororten sind schöne Waldstücke gele-
gen, die fast menschenleer sind. Mit dem
Vorstadtzug ist man innerhalb von 30 bis           wundern und meistens sind zu dieser Stun-
45 Minuten vor Ort und kann zur nächsten           de auch viel weniger Tourist*innen vor Ort.
Zugstation   durch verschiedene     Wälder         Ein weiterer Tipp sind die Terrassen der Pa-
wandern. Auch empfehlenswert ist eine              riser Nobelkaufhäuser wie die der Galeries
Fahrt nach Saint-Germain-en-Laye, eine             Lafayette oder des Printemps, auf welche
Vorstadt im Westen, die durch den RER A            man kostenlos gehen kann und von wo aus
super an Paris angebunden ist. In der Alt-         man einen wunderschönen Ausblick auf
stadt kann man viele kleine Läden entde-           die Stadt erhält. Falls einen übrigens ein-
cken und der große Schlosspark bietet              mal die Sehnsucht nach deutschem Essen
einen großartigen Ausblick auf La Défense,         packt, ist der Tante Emma-Laden im 10.
nur eben einmal aus einer anderen Per-             Arrondissement ein guter Anlaufpunkt. Ne-
spektive. Ebenfalls eine gute Sicht auf das        ben Club-Mate oder Fritz-Cola werden viele
Finanzvierel bietet der Arc de   Triomphe.         typische Süßigkeiten und auch Schwarz-
Am besten besucht man diesen kurz vor              brot verkauft.
der Schließzeit am Abend, denn so kann
                                                      Mara Wittpenn (BA, 2. Jahr)
man all die schönen Lichter der Stadt be-

                                              21
Sterneküche und Pizza
             Ein Restauranttipp und ein Tipp für die Freizeitgestaltung

Wer Frankreich sagt, sagt Haute Cuisine.            wirklich gut!) in ein Restaurant, das wir le-
Käse, Wein und Baguette sind untrennbar             diglich aufgrund seiner Nähe zur Sporthal-
mit dem Bild verbunden, das der*die Deut-           le ausgewählt hatten, um nach dem Trai-
sche mit Frankreich verbindet. Aber auch            ning noch ein bisschen Zeit miteinander zu
die exquisiten, luxuriösen und exotischen           verbringen. Und lasst mich euch sagen:
Aspekte schwingen mit und man denkt un-             Das war die beste Entscheidung, die wir
weigerlich an Schnecken, Froschschenkel             hätten treffen können!
und Gänseleber. Als jemand, der tatsäch-
                                                           „Noch besser integriert
lich mal in Paris in einem Sternerestaurant            habe ich mich nur gefühlt, wenn
gespeist hat, kann ich euch sagen, dass an           ich in der Métro zeitgleich mit allen
                                                     Pariser*innen die Klappsitze für neu
den Vorurteilen etwas dran ist – diese be-
                                                       Zugestiegene freigegeben habe
sonderen Gerichte sind wirklich etwas Be-              und lediglich die Tourist*innen
sonderes, aber vor allem sind sie eins:                         sitzen blieben.“
TEUER!
                                                    In der Tat gefiel mir die kleine Pizzeria so
Für eine typische Studentin sind solche ex-
                                                    gut, dass ich dort mit meinem Freund, der
travaganten Spezialitäten definitiv nicht im
                                                    mich extra aus Deutschland besuchen
Budget. Und ohne Einladung wäre ich auch
                                                    kam, meinen Geburtstag feierte. Adelio
nie auf die Idee gekommen, solche kulina-
                                                    Pizza in der Rue des Pyrénées ist ein Fami-
rischen Experimente zu wagen, geschwei-
                                                    lienunternehmen und die Atmosphäre ist
ge denn so viel Geld für eine Mahlzeit aus-
                                                    wunderbar freundlich. Obwohl es nur Piz-
zugeben. Stattdessen war ich in Paris stets
                                                    zen gibt, ist die Auswahl recht groß und es
auf der Jagd nach kleinen Restaurants mit
                                                    sind ungelogen die besten Pizzen, die ich
Charme und einer etwas normaleren Spei-
                                                    je gegessen habe. Ich wage sogar zu be-
sekarte.
                                                    haupten, dass ein*e Italiener*in es nicht
Eines Abends ging ich mit ein paar ande-            besser hätte machen könnte. Der Service
ren Studierenden, die ich beim Bogen-               im Restaurant ist sehr schnell und freund-
schießen kennengelernt hatte (das Sport-            lich, sodass man sich nicht blöd vorkommt,
programm an der Sorbonne kann ich euch              egal wie komisch der Sonderwunsch ist,
nur wärmstens ans Herz legen, das Pro-              den man äußert. Es mag einer*m wasch-
gramm ist sehr groß und die Kurse sind              echten Französ*in ja unverständlich und

                                               22
absurd vorkommen, aber ich verabscheue            Restaurants gesellig und engagiert unter-
Käse. Als ich dem Kellner also mitteilte,         halten. Noch besser integriert und akzep-
dass ich gerne so wenig Käse wie möglich          tiert habe ich mich in Frankreich nur ge-
auf meiner Pizza hätte und mein Freund er-        fühlt, wenn ich in der Métro zeitgleich mit
wähnte, dass er gerne so viel wie möglich         allen Pariser*innen die Klappsitze freigege-
hätte, bot uns der Kellner mit einem Au-          ben habe, um neuen Passagier*innen Platz
genzwinkern prompt an, meinen Käse                zu machen, und lediglich die ganzen Tou-
einfach zusätzlich auf die Pizza meines           rist*innen sitzen blieben. Ich kann euch
Freundes zu geben. Zum leckeren Essen             einen Besuch in meiner Lieblingspizzeria in
und exzellenten Service kommt dann noch           Paris also nur empfehlen, in der Hoffnung,
die heimelige Atmosphäre des Restaurants          dass der Laden die Corona-Krise überlebt.
dazu: Bei beiden Besuchen haben sich              Mein Geheimtipp? Der Pfefferminztee, der
Koch und Kellner mit uns unterhalten und          mit seiner Geheimzutat etwas ganz Beson-
bei meinem Aufenthalt mit meinen Sport-           deres ist.
kommiliton*innen haben sich am Ende des
                                                       Viktoria Jakobs (BA, 3. Jahr)
Abends     alle    Besucher*innen     des

                             Confinement auf 35 m2
                         Eine Fotowand voller Erinnerungen

Als Macron Ende Oktober den zweiten               verließen – viele, um zu ihren Familien aufs
Lockdown ankündigte, saßen wir in unserer         Land zu fahren, denn in Paris durfte man
gemütlichen 2er-WG im herbstlich verreg-          sich von nun an nur noch mit einer attes-
neten Paris und waren erstmal ziemlich ge-        tation in einem Radius von einem Kilome-
schockt. Obwohl dieses Szenario aufgrund          ter für eine Stunde am Tag bewegen. Wir
der steigenden Corona-Zahlen vorherzuse-          beide wägten lange ab, ob wir auch, wie
hen war, wurden wir von den neuen Maß-            viele andere unseres Studiengangs, zurück
nahmen überrumpelt. Am nächsten Tag               nach Deutschland fahren sollten, und ent-
hörten wir schon das erste Kofferrollen im        schlossen uns dann aber, in Frankreich zu
ganzen Haus und sahen, dass Pariser*in-           bleiben, um uns beim Lernen gegenseitig
nen mit vollgepackten Autos unsere Straße         zu    motivieren   und   zu   unterstützen.

                                             23
„Unglaublich, dass man                      den vergangenen Wochen, die uns einen
in einem Radius von einem Kilometer                Blick   zurück   in   die   wunderschönen
         doch immer wieder
       neue Straßen entdeckt.“                     Sommermonate boten.

                                                   Da war zum Beispiel ein typischer Mont-
Zwischen den Zoom-Sitzungen unternah-              martre-Moment: Nach einem Besuch im
men wir jeden Tag einen kleinen Spazier-           Cabaret Au lapin agile und einer Kirsch-
gang – unglaublich, dass man in einem Ra-          schnaps-Verkostung sind wir durch die ver-
dius von einem Kilometer doch immer wie-           winkelten Straßen des Quartier Montmar-
der neue Straßen entdeckt. Wir haben uns           tre spaziert, in denen sich die Hitze seit
französische Rezepte herausgesucht, ganz           Wochen staute. Überall saßen Pariser*in-
viel gekocht und köstliche pâtisseries ge-         nen auf kleinen Bistrot-Terrassen, als plötz-
backen. Ein Highlight war auch, den 20.            lich ein großes Sommergewitter aufzog.
Geburtstag mit einer Zoom-Party im Confi-          Gemeinsam sind wir die steilen Straßen
nement zu feiern, das war ein Geburtstag           hinabgerannt und waren in kürzester Zeit
der besonderen Art.                                klatschnass. Aus einem Café klang Azna-
                                                   vours La Bohème und wir stellten uns in ei-
Doch so langsam gingen uns schließlich
                                                   nem kleinen Buchladen unter. Das war ei-
auch die Ideen aus, und manchmal konn-
                                                   ner der französischsten Momente in unse-
ten wir den Satz Macrons „C‘est dur d’avoir
                                                   rem Parisjahr.
20 ans en 2020“ sehr gut nachvollziehen.

Der Regen prasselte an diesem Morgen an
unsere Fensterscheiben und unser all-
morgendliches Zusammentreffen am Kü-
chentisch war beim Gedanken an die an-
stehenden Zoom-Meetings schon etwas
betrübt. So langsam sehnten wir uns nach
den schönen Sommermonaten, die wir ge-
meinsam in der Stadt verbracht hatten, zu-
rück und stellten uns ernsthaft die Frage,
ob es die richtige Entscheidung war, auf 35
m2 im confinement zu bleiben. Wir warfen
einen Blick auf unsere Fotowand, zu der
wir in weiser Voraussicht nach jedem Paris-
Erlebnis ein weiteres Foto hinzugefügt hat-
ten. Jetzt klebten überall bunte Fotos von

                                              24
Unser Blick schweift weiter und bleibt an           An den Ufern saßen junge Menschen, er-
einem Foto hängen, auf dem wir stolz                zählten und lachten, und von Salsa-Musik
selbstgemachte Macarons in die Kamera               beschwingt ließen wir den Abend bei ei-
halten. Über das Erasmus-Programm wer-              nem kleinen Glas Wein ausklingen.
den jedes Jahr viele Events angeboten wie
                                                    Oben rechts ein Foto, auf dem wir einge-
dieser Macaron-Workshop mit einem Profi-
                                                    sunken in die gemütlichen, roten Sessel
Bäcker. Daneben ein Foto des glitzernden
                                                    des Théâtre de Variétés gespannt Molières
Eiffelturms, den wir mit anderen Erasmus-
                                                    L‘Avare anschauen, für das wir vergünstig-
Studierenden     aus    Italien   nach   dem
                                                    te Resttickets hatten ergattern können. Da
Macaron-Backen bestaunten. Gitarrensolos
                                                    fühlte man sich fast wie in eine andere Zeit
im Hintergrund, und ganz viele fremde
                                                    versetzt.
Sprachen im Ohr – das war Paris pur.
                                                    Ein Bild ganz unten an unserer Fotowand
                                                    zeigt den Invalidendom, der in bunten Far-
                                                    ben angestrahlt wird: La nuit aux Invali-
                                                    des. Es war einer der letzten Abende vor
                                                    dem Semesteranfang, wir saßen auf den
                                                    Pflastersteinen des Innenhofs und haben
                                                    einen künstlerischen Rückblick der Ge-
                                                    schichte der Stadt betrachtet, der als
                                                    großes Lichtspektakel auf das alte Gemäu-
                                                    er projiziert wurde. Danach spazierten wir
                                                    bei Vollmond an der Seine entlang und ge-
                                                    nossen bei Mitternacht einen Crêpe am
                                                    Seine-Ufer … einfach magnifique! In der
                                                    Mitte der Fotowand hängt eine Postkarte
                                                    der Mona Lisa. In den ersten Monaten in
                                                    Paris waren so wenige Touristen in der
                                                    Stadt, die Straßen waren manchmal wie
Ein anderes Bild in unserer Küche zeigt die
                                                    leergefegt, dass man fast ganz alleine
geschwungenen Brücken des Canal St.
                                                    durch die Museen flanieren und die Gemäl-
Martin an einem lauen Sommerabend. Wir
                                                    de von Nahem betrachten konnte, ohne
nahmen die Métro bis zur Place de la Répu-
                                                    von Selfie-Sticks erschlagen zu werden. So
blique     und         sind       dann    an
                                                    hat die Corona-Zeit doch auch ihre Vortei-
Straßenkünstler*innen und Musiker*innen
                                                    le. Auf einem anderen Foto sonnen wir uns
vorbei bis zum kleinen Kanal geschlendert.

                                               25
auf der Wiese im Parc Monceau, der nur               vor allem geduldig zu sein. Die Bilder in
zwei Straßen vom Campus Malesherbes                  unserer Küche fügen sich zu unserer eige-
entfernt ist, und kämpfen uns durch einen            nen Geschichte zusammen, erzählen von
900-seitigen Rousseau. Der Parc Monceau              unvergesslichen    Paris-Erinnerungen,   die
ist in den Pausen zwischen den Vorlesun-             uns im confinement Hoffnung gegeben ha-
gen, die am Anfang noch in Präsenz statt-            ben und uns immer begleiten werden.
fanden, zu einem unserer Lieblingsorte
geworden.
                                                                       Louisa Gottmanns und
„Confiniert“ in Paris – das war manchmal
                                                        Sabrina Reitnauer (BA, 2. Jahr)
gar nicht so einfach. Man lernt, flexibel und

         Métropole cosmopolite oder Haifischbecken mit béret?
                            Warum will man hier bloß leben?

Es musste Paris sein. Ich wollte unbedingt           zwingend. An meiner Grundhaltung hat
ein Jahr in dieser Stadt leben und dieses            sich darüber hinaus auch nicht wirklich et-
Abenteuer durchmachen. Et je regrette                was geändert. Etwa weil meine Erwartun-
rien. Aber warum musste es ausgerechnet              gen bestätigt und somit zu Erfahrungen
Paris sein? Andere départements haben                umgewandelt wurden? Oder anders her-
immerhin auch schöne Fleckchen. Warum                um? Es wäre jedenfalls gelogen, wenn ich
wollte die kleine Hobbyfranzösin in mir              behaupten würde, dass ich nicht jederzeit
partout nichts anderes akzeptieren als die           und sofort wieder dazu bereit wäre, meine
temperamentvolle Collage aus Prestige,               Koffer zu packen und mich ein zweites Mal
hübschen und sich sehr ähnelnden Gebäu-              in dieses Haifischbecken mit béret zu
den,   viel   Getöse   menschlicher    sowie
Métro-Natur und teilweise nicht ganz ver-                     „Wenn man in Paris
ständlicher Kunst, das alles garniert mit ei-            unterwegs ist, hat man ständig
                                                          das Gefühl, in irgendwelche
nem Hauch métropole cosmopolite? Ob ich
                                                            sehr großen Fußstapfen
die Antworten meines Vor-Paris-Ichs auf                           zu treten.“
diese Fragen hören möchte, weiß ich nicht

                                                26
wagen. Mais pourquoi ? Ist es einfach nur          auch wenn sie noch so skurril sind, und
das Gefühl, in Paris zu sein? Mit der Métro        verbringt Stunde um Stunde in Museen.
geht es in die Uni oder eigentlich egal wo-        Die Tatsache, dass alles einfach unfassbar
hin. Es ist voll, nicht besonders angenehm         teuer ist, versucht man irgendwie auszu-
und stickig. Aber dennoch habe ich die             blenden. Es gibt ja Baguette – mehr
Métro geliebt. In einer lauten Raupe unter         braucht man dann auch nicht. An einem
der Erde durchgerüttelt zu werden und zu           langweiligen Sonntag wird ein Spaziergang
raten, wer mir wohl zuerst mein Handy              durch die Stadt auf einmal so spannend
klauen möchte. Auf den Straßen: ein                wie ein Kinofilm und die Begegnung zwi-
Gewusel und Lärm partout. Aber auch das            schen zwei Menschen zur wunderschöns-
war irgendwann wie eine Melodie in mei-            ten Schnulze. Auf dem Weg, egal wohin,
nen Ohren. Für Kunst interessiert man sich         hat man seltsamerweise die ganze Zeit
auf einmal mehr als sonst, beschäftigt             das Gefühl, ständig in irgendwelche sehr
sichmit den verschiedenen Stilrichtungen,          großen Fußstapfen zu treten. Besonders
                                                   nachts am Fuße der erleuchteten Seine
                                                   scheint sich die Stadt nochmal zu verän-
                                                   dern und ihr prestigeträchtiges Gesicht zu
                                                   zeigen. Wenn die tour anfängt zu blinken,
                                                   trennt sich menschlich gesehen wohl die
                                                   Spreu vom Weizen. Also, habe ich eine
                                                   neuartige   Wahrnehmungsstörung,      wenn
                                                   ich einen glitzernden Turm auf einmal an-
                                                   zubeten anfange, oder ist es letztendlich
                                                   dann vielleicht doch nur Paris? Erklärt mir
                                                   dann   vielleicht   doch   einmal   jemand,
                                                   warum wir eigentlich die Métro sagen, ob-
                                                   wohl es doch le métro ist?!

                                                          Kim Sterzel (BA, 3. Jahr)

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Ein Pariser Oktobermorgen
                               Spaziergang durch die Stadt

Es ist Sonntag. Ganz früh morgens, die
Sonne geht langsam über den Dächern auf
und taucht die kleine Straße mit den ge-
schwungenen Balkonen in goldenes Licht.
Gegenüber öffnen sich die ersten Fenster-
läden, Hundebesitzer*innen brechen zur
allmorgendlichen Runde auf. Eine ältere
Frau mit Lockenwicklern lehnt sich, nur mit
einem quietschrosanen Bademantel beklei-
det, an die große Eingangstür, in der einen
Hand eine große Tasse Kaffee, in der ande-
ren Hand eine Zigarette, und unterhält sich
lautstark mit einer Dame aus dem ersten
                                                      Baguette. Die Häuser strahlen jetzt nur so
Stock. Ich trete in die noch frische Stadtluft
                                                      in der Morgensonne und unser Bus nähert
hinaus, ziehe meine obligatorische Maske
                                                      sich immer weiter der Seine.
auf und laufe beschwingt die wenigen Me-
ter zur Bushaltestelle Hôpital Américain. Li-         Haltestelle Iéna. Wer jetzt Lust hat, könnte
nie 82, Luxembourg. Im Bus lehne ich mich             bereits hier aussteigen und in wenigen Au-
erstmal zurück und genieße die ersten                 genblicken den Eiffelturm im morgendli-
paar Meter durch die schönen Straßen von              chen Dunst fotografieren. Ich widerstehe
Neuilly-sur-Seine. Überall stehen Menschen            der Verlockung und bleibe sitzen. Mit ei-
vor den Bäckereien, unterhalten sich, ge-             nem lauten Rattern geht es jetzt mit un-
nießen den Herbstmorgen.                              glaublichem Tempo über die Pflastersteine
                                                      des Pont d’Iéna, direkt am Eiffelturm vor-
Der Bus überquert die périphérique und
                                                      bei. Es ist einer dieser Momente, der ei-
stürzt sich am Bois de Boulogne vorbei in
                                                      nem jedes Mal aufs Neue den Atem raubt.
das städtische Gewusel. Wir passieren die
                                                      Kaum kann man sich etwas besinnen, bie-
Avenue Foch, es geht an unzähligen Cafés
                                                      gen wir schon um die Ecke und ich sehe
vorbei und mit Schwung und lautem Hu-
                                                      den Invalidendom durch die Scheibe, seine
pen über die Place Victor Hugo. Die ersten
                                                      goldene Kuppel blitzt im Sonnenlicht. Es
Pariser*innen treten die Rückkehr von der
                                                      geht nun immer weiter in die Stadt hinein,
Boulangerie an, unter ihren Armen ein
                                                      vorbei an der Gare Montparnasse, bis ich
frisch gebackenes und sicherlich duftendes

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