MAGAZI N - Bayerische Staatsbibliothek

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MAGAZI N - Bayerische Staatsbibliothek
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                                 MITTEILUNGEN
                                 AUS DEN STAATSBIBLIOTHEKEN                                                              1 2011
Haus Unter den Linden 8          IN BERLIN UND MÜNCHEN
10117 Berlin (Mitte)

Haus Potsdamer Straße 33
10785 Berlin (Tiergarten)

Zeitungsabteilung im Westhafen
Westhafenstraße 1
13353 Berlin (Wedding)

www.staatsbibliothek-berlin.de

Ludwigstraße 16
80539 München

www.bsb-muenchen.de              In dieser Ausgabe

                                 Das Sakramentar Heinrichs II.       Frühes Drama von Rilke jetzt            WeltWissen – 300 Jahre
                                                                     in der Staatsbibliothek zu Berlin       Wissenschaften in Berlin
                                 Daphnis und Chloë in der Berliner
                                 Sammlung Künstlerische Drucke       Berthold Furtmeyr –
                                                                                                             Korane, Buch-Magazine
                                                                     Ein Buchmaler aus Regensburg
                                                                                                             und mehr …
                                 Blockbücher in bayerischen
                                                                     Prometheus-Skulptur von
                                 Sammlungen
                                                                     Hans Elias in der SBB-PK                Die Bibliothek Bruno Kaisers
                                 Die Schlachtenkupfer des Kaisers    BSB-Bestand auf Briefmarken
                                 in der Berliner Staatsbibliothek                                            „RISM-OPAC“ – der neue
                                                                     Heinrich Dathe zum Hundertsten          Musikkatalog ist online
                                 Rezensieren im Zeitalter
ISSN 1861-8375                   des Web 2.0                         Abbé Voglers Reiseklavier               Vossische Zeitung online
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INHALT

Seite 3
DAS SAKRAMENTAR HEINRICHS II.
Liturgie und Herrscherpräsentation in einem
ottonischen Codex aureus
Claudia Fabian

Seite 8
SCHÄFERIDYLL, HIRTENKITSCH, EROTIK, KUNST
Illustrierte Ausgaben von Longos’ Daphnis und Chloë
in der Berliner Sammlung Künstlerische Drucke
Silke Trojahn / Heidrun Feistner

Seite 13
VON ABECEDARIUM BIS ZEITGLÖCKLEIN
Erschließung und Digitalisierung der Blockbücher
in bayerischen Sammlungen
Bettina Wagner / Rahel Bacher

Seite 17
DIE „SCHLACHTENKUPFER“ DES CHINESISCHEN
KAISERS QIANLONG (1711–1799)
Ein digitale Präsentation von 64 Kupferdrucken aus dem
Bestand der Ostasienabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin
Gerd Wädow

Seite 22
REZENSIEREN IM ZEITALTER DES WEB 2.0
recensio.net – Rezensionsplattform für die europäische
Geschichtswissenschaft
Lilian Landes

Seite 25
„JETZT UND IN DER STUNDE UNSERES ABSTERBENS“
Staatsbibliothek erwirbt frühes und seltenes Drama von Rilke
Martin Hollender

Seite 30
BERTHOLD FURTMEYR – EIN BUCHMALER IN REGENSBURG
Christoph Wagner

Seite 35
DIE PROMETHEUS-SKULPTUR VON HANS ELIAS
IN DER STAATSBIBLIOTHEK ZU BERLIN
Günter Baron
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               Seite 39
               „EIN STÜCK BSB“ GEHT UM DIE WELT …
               Briefmarken-Motive aus dem Bestand der
               Bayerischen Staatsbibliothek
               Wolfgang-Valentin Ikas

               Seite 43
               TIERGÄRTNER AUS LEIDENSCHAFT
               Prof. Dr. sc. Dr. h.c. Heinrich Dathe (1910–1991)
               zum 100. Geburtstag
               Gabriele Kaiser / Katrin Böhme

               Seite 48
               DAS SCHWELLEN UND STERBEN DER TÖNE
               Die Musikabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek
               präsentiert Abbé Voglers Reiseklavier
               Reiner Nägele

               Seite 51
               BEETHOVENS NEUNTE IM MARTIN-GROPIUS-BAU
               Die Staatsbibliothek zu Berlin in der Ausstellung
               „WeltWissen – 300 Jahre Wissenschaften in Berlin“
               Katja Dühlmeyer

               Seite 55
               KORANE, BUCH-MAGAZINE UND MEHR …
               Die Bayerische Staatsbibliothek bei der Langen Nacht
               der Münchner Museen
               Peter Schnitzlein

               Seite 58
               DIE BIBLIOTHEK VON BRUNO KAISER
               Oder: Kennen Sie eigentlich die Sammlung 19 ZZ …
               Heidrun Feistner

               Seite 63
               DER NEUE MUSIK-KATALOG „RISM-OPAC“
               MIT ÜBER 700.000 NACHWEISEN IST ONLINE
               Armin Brinzing / Jürgen Diet

               Seite 66
               DIE VOSSISCHE ZEITUNG 1918–1934 ONLINE
               Joachim Zeller

               Seite 72
               KURZ NOTIERT
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DAS SAKRAMENTAR HEINRICHS II.

Liturgie und Herrscherpräsentation in einem ottonischen Codex aureus

Die Geschichte des über 1000 Jahre alten
Sakramentars Heinrichs II. kennt viele
Höhepunkte. Einer war am 23. September
2010 zu feiern, als das lang erwartete Fak-
simile vom Faksimile Verlag (früher Luzern,
heute München) im Friedrich-von-Gärt-
ner-Saal der Bayerischen Staatsbibliothek
der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Ein
zweiter fand am 2. November statt: Das
Faksimile wurde in Bamberg feierlich Erz-
bischof Ludwig Schick – quasi dem Nach-
folger oder aktuellen Hausherrn im von
Heinrich II. gegründeten Bamberger Bis-
tum – überreicht. Am 17. Dezember
schließlich war als Höhepunkt eine Privat-
audienz bei Papst Benedikt XVI. zur Über-
gabe des Faksimiles angesetzt.

Diese Termine zeigen, dass das Sakramen-
tar Heinrichs II. nicht nur ein exzeptionel-
les Kunstwerk ist, sondern in affektiven,
emotionalen, religiösen, repräsentativen,
durchaus auch politischen Dimensionen
noch heute anspricht. Dem allen soll die-
ser Beitrag in der gebotenen Kürze nach-       Das kurz nach 1002 entstandene Sakra-        Krönungsbild Heinrichs II.,
                                                                                            Clm 4456, Bl. 11r
spüren. Wer dann neugierig geworden            mentar Heinrichs II. (Clm 4456) gehört
ist, sei auf den das Faksimile begleitenden    nach derzeitiger Einschätzung zu den zehn
Kommentarband mit den ausführlichen            wertvollsten Handschriften der Bayerischen
Beiträgen von Brigitte Gullath, Martina        Staatsbibliothek. Es bewegt und beein-
Pippal, Erich Renhart und Stefan Weinfur-      druckt durch seine hochrangige Gestaltung,
                                                                                            Dr. Claudia Fabian
ter (Gütersloh, München Faksimile Verlag       auch wenn es zunächst als die unschein-
                                                                                            ist Leiterin der Abteilung Handschriften
2010) verwiesen, der keine Fragen offen        barste der fünf Prachthandschriften an-      und Alte Drucke der Bayerischen
lässt.                                         mutet, die im Säkularisationsjahr 1803 aus   Staatsbibliothek
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                                                                              Rückdeckel, einer mit schlichtem Goldrah-
                                                                              men eingefassten, früheren lothringischen
                                                                              Elfenbeinplatte auf dem Vorderdeckel um-
                                                                              schließt die 360 Pergamentblätter, Kalbs-
                                                                              pergament für den reich illuminierten An-
                                                                              fangsteil, sonst Schafspergament. Auch der
                                                                              eindrucksvolle Einband wurde für die Fak-
                                                                              simileausgabe als Replikat gestaltet.

                                                                              Die kunsthistorische Würdigung von Mar-
                                                                              tina Pippal charakterisiert die malerische
                                                                              Ausstattung und macht die Grammatik der
                                                                              Ornamente verständlich, die sich in ihrer
                                                                              Aussagekraft erst erschließen, wenn man
                                                                              sie nicht nur betrachtet, sondern auch liest.
                                                                              Die Gebete werden inszeniert, über die
                                                                              Illuminationen wird zum Höhepunkt des
                                                                              Gottesdienstes, Wandlung und Eucharis-
                                                                              tie, hingeführt. Es gelingt ihr, ein subtiles
                                                                              Konzept nachzuzeichnen. Vor allem wird
                                                                              die Verbindung des Sakramentars zur Poli-
                                                                              tik Heinrichs II. nachvollzogen. Die beiden
                                                                              Herrscherbilder im Sakramentar dienen
                                                                              dazu, seine Krönung zum König zu recht-
                                                                              fertigen und die Krönung zum Kaiser (im
                                                                              Jahr 1014) vorzubereiten. Sie zeichnen
                                                                              keine Politik nach, sondern modellieren
                                                                              die Wirklichkeit.

    Thronbild Heinrichs II.,   dem Bamberger Domschatz in die Mün-            Eine ganz enge, im Kommentar detailliert
    Clm 4456, Bl. 11v
                               chener Hofbibliothek kamen. Das Buch           dargestellte Verbindung besteht zwischen
                               beginnt mit einem Kalendar mit den Festen      dem Sakramentar Heinrichs II. und dem
                               des Kirchenjahrs, gefolgt vom Hochgebet.       karolingischen, im Auftrag Karls des Kah-
                               Das Sakramentar enthält dann die Messen        len hergestellten Codex aureus von St.
                               für das Kirchenjahr, für besondere Gele-       Emmeram (Clm 14000), wohl der bedeu-
                               genheiten, Votiv- und Totenmessen. Die         tendsten mittelalterlichen abendländischen
                               Handschrift wurde fast ausschließlich von      Handschrift im Bestand der Bayerischen
                               einem Schreiber geschrieben. Der Buch-         Staatsbibliothek. Beide Werke sind in
                               schmuck umfasst neben Miniaturen und           Regensburg entstanden. Das Sakramentar
                               Zierseiten zahlreiche größere und kleinere     bezieht sich in seinen Bildern deutlich auf
                               Initialen. Ein nur zum Teil zeitgenössischer   den Codex aureus. Es ist sogar anzuneh-
                               Prachteinband, mit einer teilvergoldeten       men, dass die gemeinsame Verwendung
                               Silberplatte Gregors des Großen auf dem        im Gottesdienst intendiert war. Das Evan-
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                                                                                             Sakramentar Heinrichs II., Rücken-
                                                                                             deckel (li. Original, re. Faksimile)

geliar (Clm 14000) wird durch das Sakra-       das Sakramentar nahelegen. Das Sakra-
mentar ergänzt, wodurch König Hein-            mentar bleibt sodann über alle Gefährdun-
rich II. sich mit Kaiser Karl dem Kahlen auf   gen hinweg im Bamberger Domschatz.
eine Ebene stellt. Da das Sakramentar          Zwei Synodalprotokolle der Jahre 1059
schon bald nach der Königskrönung von          und 1087 wurden der Handschrift voran-
Heinrich II. entstand, war es wohl für den     gebunden. Im 13. Jahrhundert wurde der
Gebrauch am königlichen Hof, also im           Codex restauriert, die Schnittbemalung
Regensburger Dom, bestimmt oder auch           stammt aus dieser Zeit. 1585 und 1729
für die im November 1002 von Heinrich II.      wurden wieder Restaurierungen durch-
wieder hergestellte Alte Kapelle in Regens-    geführt, die vor allem den Einband betref-
burg, die er 1009 dem Bistum Bamberg           fen. Im 18. Jahrhundert sind die Hand-
schenkte.                                      schriften des Bamberger Domschatzes
                                               Sehenswürdigkeiten für Reisende, sie wer-
So sehr dieser Bezug die beiden Werke          den bei Prozessionen mitgetragen und
verband, so kurz war die Zeit ihrer even-      bei Kirchenfesten gezeigt. 1803 bringt die
tuell gemeinsamen Nutzung. 1007 gründet        Säkularisation das Sakramentar mit vier
Heinrich II. das Bistum Bamberg, 1012          weiteren Bamberger Prachthandschriften
wird der Dom geweiht. Im frühen 11. Jahr-      in die heutige Bayerische Staatsbibliothek.
hundert kommt auch das Sakramentar             In diesen unruhigen Jahren kommen sie
nach Bamberg – vielleicht erst 1020 als        kurze Zeit nach Ansbach, dann Mannheim
Papst Benedikt VIII. am 14. April den Bam-     und Winterthur und werden erst 1814
berger Dom besucht. Das Reichenauer            im ehemaligen Münchener Jesuitenkolleg
Perikopenbuch (Clm 4452) wird als neues        ausgepackt. Hier und ab 1843 im neuen
Pendant in Auftrag gegeben. Es ist von der     Gebäude in der Ludwigstraße wird das
Ausstattung her ganz verschieden, doch         Sakramentar Heinrichs II. in der Zime-
kann der Bucheinband ein Angleichen an         lienausstellung gezeigt, aber auch kunst-
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    Miniaturansicht in der digitalen         geschichtlich und paläographisch erschlos-     1985 begannen die ersten Planungen zu
    Präsentation der Bayerischen Staats-
                                             sen. Ab 1909 lösen thematische Ausstel-        einem Faksimile, doch führten die Vor-
    bibliothek (BSB-Viewer), Bl. 9v–11v
                                             lungen die Dauerausstellung ab. Seit Be-       bereitungen damals nicht zum Erfolg, ob-
                                             ginn des 20. Jahrhunderts werden die           wohl die Handschrift für die Ausstellung
                                             konservatorischen Bedürfnisse der Hand-        Regensburger Buchmalerei im Jahr 1987
                                             schriften besser bekannt und stärker be-       aus ihrem Einband genommen worden
                                             rücksichtigt. Sie stehen heute an erster       war, was vor 30 Jahren für die Herstellung
                                             Stelle der Ausleihpolitik für diese hochran-   eines Faksimiles noch unverzichtbar war.
                                             gigen Werke. Das kommt aber keinem             Die Autoren, darunter Dr. Fridolin Dreß-
                                             Wegsperren gleich. In 20 thematischen          ler, Generaldirektor a. D. der Bayerischen
                                             Ausstellungen wurde das Sakramentar            Staatlichen Bibliotheken, Dr. Karl Dachs
                                             Heinrichs II. bis heute gezeigt, auch in Re-   und Prof. Dr. Florentine Mütherich arbei-
                                             gensburg und natürlich in Bamberg.             teten bereits für den Kommentar. Auch

    2. November 2010: Dr. Ludwig Schick,
    Erzbischof von Bamberg, Dr. Rolf Grie-
    bel, Armin Sinnwell (Faksimile Verlag)
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                                                                                                           magazin
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wenn ihre Beiträge im Kommentarband            werden. Da auch der Einband exakt nach-
nicht veröffentlicht werden, so erleben alle   gebildet wurde, kann die Prachthandschrift
seinerzeit vorgesehenen Autoren nun den        in originaler Anmutung öfter, ja sogar stän-
Abschluss der Arbeiten, können das Faksi-      dig, vielerorts, besonders an den Orten
mile einsehen und bewundern. Nach Ab-          ihrer Herkunft präsentiert werden, ohne
bruch der ersten Initiative 1990 folgten       das mittlerweile über 1000 Jahre alte origi-
viele weitere Sondierungen bis endlich im      nale Kunstwerk, für das jeder Transport
Jahr 2005 der Faksimile Verlag Luzern für      und jede Ausstellung eine nach heutigem
diese trotz erheblicher technischer Fort-      Kenntnisstand kaum verantwortbare Be-
schritte nach wie vor äußerst anspruchs-       lastung darstellen, in seiner unwiederbring-
volle, aber auch ganz besonders lohnende       lichen Materialität und Qualität zu gefähr-
Aufgabe gewonnen wurde.                        den.

So kann die Bayerische Staatsbibliothek        Im digitalen Zeitalter
nun für die dritte ihrer fünf Bamberger        haben gedruckte
Prachthandschriften ein hochwertiges Fak-      Bücher einen neuen
simile vorzeigen. Zunächst wurde 1978          Stellenwert. Die Bayeri-
das Faksimile des Evangeliars Ottos III.       sche Staatsbibliothek ist
(Clm 4453) veröffentlicht, einer Hand-         sehr dankbar, dass es
schrift, die kurz vor dem Jahr 1000 auf der    neben der digitalen Prä-
Insel Reichenau noch für den Vorgänger         sentation, die ein voll-
Heinrichs II. angefertigt wurde. Dann folgte   ständiges Blättern über
im Jahr 1994 das Faksimile des Perikopen-      das Internet auch im
buchs Heinrichs II. (Clm 4452), das der        Sakramentar Heinrichs
Herrscher vermutlich zwischen 1007 und         II. erlaubt, so ein wohl
1012 für sein neu gegründetes Bistum in        gelungenes Faksimile
Auftrag gab. Diese beiden Handschriften        gibt. Früher gehörten
mit Reichenauer Buchmalerei der ottoni-        Bibliotheken zu den
schen Zeit wurden 2003 in das UNESCO           Käuferschichten für Fak-
Memory of the World aufgenommen.               similes, heute sind es
                                               fast nur Privatleute.
Das Sakramentar Heinrichs II. ist aber         Alle, die ihr Interesse an
auch eines der ersten ganz großen Mei-         diesen Kulturgütern durch den Erwerb           Präsentation des Faksimiles für den
                                                                                              Generaldirektor a. D. der Bayerischen
sterwerke der Regensburger Schule der          eines solchen Buchs ausdrücken, stellen
                                                                                              Staatlichen Bibliotheken, Dr. Fridolin
Buchmalerei. Die besondere Bedeutung           sicher, dass solche Werke weiter erschei-      Dreßler
für Regensburg wird durch die Übergabe         nen können. Das Faksimile bindet den
eines Exemplars an die dortige Staatliche      inhaltlichen und repräsentativen Reichtum
Bibliothek gewürdigt werden.                   der vergangenen Zeit und seine Zeiten
                                               überdauernde Wirkung in eine greifbare
Alle Interessen für diese Prachthandschrift    und erfahrbare Form hohen Schauwerts
können mit Hilfe des Faksimiles wesentlich     und erlaubt so uns und vielen die direkte
leichter erfüllt bzw. in ihren vielfältigen    Begegnung mit nach wie vor identitätsstif-
Aspekten differenzierter wahrgenommen          tenden Kulturgütern.                           (Fotos: Faksimile Verlag/BSB)
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                                           SCHÄFERIDYLL, HIRTENKITSCH, EROTIK, KUNST

                                           Illustrierte Ausgaben von Longos’ Daphnis und Chloë
                                           in der Berliner Sammlung Künstlerische Drucke

    Dr. Silke Trojahn                      Longos verfasste seinen Roman Daphnis          Dieser Roman hatte und hat eine unge-
    ist Erwerbungskoordinatorin in der
                                           und Chloë im zweiten oder dritten Jahrhun-     heure Wirkung: Er bildet neben den anti-
    Abteilung Historische Drucke
                                           dert nach Christi Geburt, vermutlich auf       ken bukolischen Gedichten (z. B. des Theo-
    Heidrun Feistner                       der Insel Lesbos. Über ihn selbst ist nichts   krit oder Vergil) die Grundlage für die
    ist Mitarbeiterin in der Abteilung     weiter bekannt, man bezweifelt sogar,          Schäferidyllen des Barocks und alle weite-
    Historische Drucke der Staatsbiblio-
                                           dass Longos sein wirklicher Name ist.          ren künstlerischen Bearbeitungen bis zu
    thek zu Berlin
                                                                                          dem bekannten Ballett von Maurice Ravel
                                           Die Handlung ist die im hellenistischen        und der Operette von Jacques Offenbach.
                                           Roman gängige: Daphnis und Chloë wach-         Dass er in der Altertumswissenschaft bis
                                           sen als Findelkinder bei Hirten auf und ver-   vor wenigen Jahrzehnten als voyeuristisch,
                                           lieben sich ineinander. Die genretypischen     ja sogar als pornographisch betrachtet
                                           Schwierigkeiten (Ent- und Verführungen)        wurde, dürfte seiner Popularität eher ge-
                                           werden überwunden, alles endet glücklich.      nutzt als geschadet haben.
                                           Die Besonderheit ist, dass üblicherweise
                                           das Paar im Roman seine Unschuld bis           Die erste gedruckte Ausgabe, eine franzö-
                                           zur Hochzeit behalten will, während hier       sische Übersetzung (Paris 1559), wie auch
                                           Daphnis und Chloë geradezu verzweifelt         die später erschienene griechische Erstaus-
                                           versuchen, diese zu verlieren, aber nicht      gabe (Florenz 1598) kommen noch ohne
                                           wissen, wie es geht. Am Ende des Romans        Illustrationen aus. Erst im 17. und vor
                                           wird geheiratet, so konventionell geht es      allem im 18. Jahrhundert findet das Werk
                                           dann doch zu, und „dann erst erkannte          eine breitere Beachtung. Inmitten baro-
                                           Chloë, dass alles, was am Waldrande ge-        cker Schäferidyllen und in den monumen-
                                           schah, nur Spiele von Hirten gewesen waren“    talen Typen des Druckers Giambattista
                                           (der letzte Satz).                             Bodoni (seine Ausgabe erschien 1786)
                                                                                          nimmt es Gestalt an zwischen Klassizismus
                                           Longos selbst wollte seinen Roman, so          und Kitsch. Insbesondere die Idyllen des
                                           schreibt er im Vorwort, nicht nur als gefäl-   Schweizer Dichters und Malers Salomon
                                           lige Lektüre, sondern auch als Vorschule       Gessner (1730–1788) mit seinen Illustra-
                                           für die Liebe verstanden wissen. Goethe        tionen bukolischer Szenen wirkten vor
                                           schätzte das Werk sehr und empfahl, es         allem in Frankreich lange Zeit fort. Die
                                           einmal jährlich zu lesen.                      meisten illustrierten Ausgaben stammen
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jedoch aus dem 20. Jahrhundert – eine
kleine Auswahl aus den Beständen der
Sammlung Künstlerische Drucke soll hier
vorgestellt werden.

Es verwundert nicht, dass der erste Ver-
such einer modernen Gestaltung 1893 in
England unternommen wurde, wo sich die
Buchkunstbewegung vor dem Hintergrund
einer starken präraffaelitisch geprägten
Kunstszene formierte. Charles Ricketts
und Charles Shannon griffen dort kurzer-
hand auf Gestaltungsmerkmale eines der
schönsten Bücher der Renaissance zurück:
zahlreiche Holzschnitte und auch die Typo-
graphie ihres Druckes ahmen die Hypner-
otomachia Poliphilii, die 1499 bei Aldus
Manutius in Venedig erschienen war, nach.

In Frankreich verlegte Ambroise Vollard
die Geschichte von Daphnis und Chloë, zu
der Pierre Bonnard seine zauberhaft gegen-
wärtigen Lithographien schuf, als eines der
ersten Malerbücher (Paris 1902). Julius
Meier-Graefe schlug Anton Kippenberg
vor, eine deutsche Ausgabe mit den Illu-
strationen Bonnards zu veranstalten, die
nicht zustande kam. So erschien die erste
deutsche Ausgabe dieses Textes in einem
modernen Gewand dann im Insel-Verlag in
einer, abgesehen von einer Titelvignette,
rein typographischen Gestaltung (1910,
Signatur 1 B 20075 : KD).                     sie lässt auch die wenigen in diesem Buch     Die klare Typographie dieses Druckes
                                                                                            (Signatur Vz 2073 : KD) lässt auch
                                              enthaltenen Lithographien leichter erschei-
                                                                                            die Lithographien von Charles François
Nach dem Ersten Weltkrieg standen die         nen, als sie es sind. Wir verweisen hier      Prosper Guérin leicht und luftig
illustrierten Bücher in ganz unterschied-     ausdrücklich auf das Sonnenhütchen.           erscheinen.
licher Weise unter dem Einfluss des Art
déco. Charles François Prosper Guérin         Die reizenden Figurinen des englischen
(1875–1939) illustrierte die Ausgabe Paris    Künstlers John Austen (1886–1948) könn-
1923 (Signatur 8° Vz 2073 : KD). Der dort     ten ein Modejournal so gut wie eine
verwendeten französischen Renaissance-        Schachtel Pralinen verzieren. Das Buch
Antiqua, die sehr großzügig gesetzt wurde,    wird zum Accessoire wie das Gesangbuch
gelingt es, den Text vom Staub zu befreien,   der Dame von Stand. Die Protagonisten
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                                                                 heiler Welten, in denen       griechische Schrift gesetzt, die sich im deut-
                                                                 selbst Bäume posieren,        schen Schriftbild nicht nachahmen lässt –
                                                                 lächeln uns nahezu unver-     und nicht nur wie schon zuvor für einen stil-
                                                                 wandt an (London 1925,        len oder als lyrisch empfundenen Text?
                                                                 Signatur 4° Vz 2285 :         (Hamburg 1935, Signatur 50 MB 6611 : KD)
                                                                 KD). Auch die Reduzie-
                                                                 rung der graphischen Sze-     Vor allem auch in den oft nur skizzenhaft
                                                                 nerie deutet bei beiden       ausgeführten Tierdarstellungen Renée
                                                                 Ausgaben auf das Bedürf-      Sintenis’ findet der unverstellte Blick des
                                                                 nis nicht nach der Lek-       Longos auf die Natur einen Ort. Ihre be-
                                                                 türe, sondern auf das         kannteste Tierplastik ist der Berliner Bär
                                                                 nach stilgerechtem Kon-       in Zehlendorf an der Autobahn bei Drei-
                                                                 sum.                          linden, der auch das Vorbild für den Berli-
                                                                                               nale-Bären ist.
     Nicht nur die Protagonisten John Aus-       Es war Harry Graf Kessler, der die Berliner
     tens (Signatur 4° Vz 2285 : KD) sind        Künstlerin Renée Sintenis (1888–1965) mit     Einige ihrer Holzschnitte ahmen deutlich
     stark stilisiert, selbst die Bäume folgen
                                                 der Illustration von Daphnis und Chloë für    den Stil jenes Meisters nach, dessen eigene
     dem Bogen von Chloës Schleier.
                                                 seine Weimarer Cranach-Presse betraute.       Interpretation zwei Jahre später erschien:
                                                 Das Tagebuch Kesslers erwähnt am 9. Mai       Aristide Maillol (1861–1944) illustrierte für
                                                 1930 einen in Weimar kursiv
                                                 gesetzten Daphnis und am
                                                 27. Oktober die für Januar
                                                 1931 zu erwartenden Blätter
                                                 der Renée Sintenis. Es soll nur
                                                 ein Doppelbogen als Probe-
                                                 druck realisiert worden sein.
                                                 Als dann das Buch 1935 end-
                                                 lich bei Hauswedell erschien,
                                                 hatte die Cranach-Presse ihre
                                                 Arbeit längst einstellen müs-
                                                 sen, Kessler war im Exil. Für
                                                 diesen Druck war in Anleh-
                                                 nung an die ursprünglich ge-
                                                 plante Gestaltung eine Kursive
                                                 gewählt worden, die graphisch
                                                 zu schwach ist, um die Holz-
                                                 schnitte integrieren zu können.
                                                 (Diese Blado-Kursiv ergänzt im
     Die Typographie der von Renée Sintenis      Typenrepertoire die Polyphi-
     illustrierten Ausgabe (Signatur 50 MB       lus-Type, die 1499 für die Hyp-
     6611 : KD) ist nicht kräftig genug, um
                                                 nerotomachia benutzt worden
     das nötige Gegengewicht zum Holz-
     schnitt zu schaffen.                        war.) Wurde hier die Kursive
     © VG Bild-Kunst, Bonn 2010                  auch als Metapher für eine
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                                                                                                           magazin
                                                                                                                                         11

den Verlag Gonin neben anderen Werken           Im Gegensatz zu Maillol, dessen monolithi-    Bei Hans Erni (Signatur 50 MC 893 :
auch Daphnis und Chloë (Paris 1937, Signa-      sches Werk sofort kenntlich ist, bedient      KD) lässt überschäumende Lebens-
                                                                                              energie die Zeichnungen bis in den
tur 50 MA 46730 : KD). Als Bildhauer            sich der Schweizer Künstler Hans Erni
                                                                                              Textkörper ragen.
formt er Volumina, die sich selber zu tra-      (*1909) in seinen graphischen Arbeiten
gen vermögen, auch seine zweidimensio-          unterschiedlichster Mittel. Wenn er für       oben links:
nalen Arbeiten zeichnen sich durch ihre         die Illustration von Daphnis und Chloë eine   Typographie und Satz dieser Ausgabe
                                                                                              beruhen auf klassischen Vorbildern und
Ruhe und Ausgewogenheit aus. Im Holz-           sehr freie Form mit einer überbordenden
                                                                                              ergänzen die Holzschnitte des Aristide
schnitt und seinen archaisch wirkenden          barocken Linienführung wählt, die selbst      Maillol (Signatur 50 MA 46730 : KD)
Linien findet das Wesen der Kunst Maillols      die Grenzen des Satzspiegels sprengt und      mit ihren starken und klaren Linien per-
vielleicht seinen schönsten Ausdruck. Die       in übermütig tollenden Randzeichnungen,       fekt.
                                                                                              © VG Bild-Kunst, Bonn 2010
von ihm illustrierten Bücher zählen zu den      die niemand zur Ordnung zu rufen scheint,
gelungensten des 20. Jahrhunderts. Man          bis in den Textkörper reicht, tut er dies
begreift hier sehr gut, dass ein Papier nicht   mit Bedacht. Hier wird das unbegrenzte
nur Träger von Schriften, sondern auch          Blau eines Sommermorgens gestaltet, des-
immer von Hoffnungen war. Wie viele             sen heiter bewegte Sinnlichkeit eine para-
Worte sind nötig für ein Versprechen, das       diesische Erde umfasst. Auch dieser Druck
ein schönes Papier mit einfacher Geste zu       erschien bei Gonin, nach dem Krieg in Lau-
geben vermag.                                   sanne (1950, Signatur 50 MC 893 : KD).
BIbliotheks

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                                                                                                    licher der Kontrast: diese Schrift
                                                                                                    meißelt sich nicht in den Stein.
                                                                                                    Ihre Anmutung, ihre Leichtigkeit
                                                                                                    möchten griechisch, nicht rö-
                                                                                                    misch sein. Treffen wir hier auf
                                                                                                    einen zweiten deutschen Ver-
                                                                                                    such, der griechischen Schrift
                                                                                                    einen eigenständigen Ausdruck
                                                                                                    zu geben, der sie von römischer
                                                                                                    Dominanz befreit? Auch die
                                                                                                    asiatisch wirkende Flüchtigkeit
                                                                                                    der getuschten, fast kalligraphi-
                                                                                                    schen Zeichnung ist völlig frei
                                                                                                    von jedem als historisierend
                                                                                                    empfundenen Anklang an klassi-
                                                                                                    zistische Monumentalität. Der
                                                                                                    Mainzer Graphiker Hannes
                                                                                                    Gaab (1908–1988) illustrierte
                                                                                                    diesen in der Eggebrecht-Presse
                                                                                                    erschienenen Druck (Mainz
                                                                                                    1958, Signatur 50 MB 6612 :
                                                                                                    KD).

                                                                                                    Es konnte hier nur angedeutet
                                                                                                    werden, in einem wie hohen
                                                                                                    Maße die Gestalt eines Buches
                                                                                                    Teil seiner Rezeptionsgeschichte
                                                                                                    ist. Die Erfahrungen der tägli-
                                                                                                    chen Arbeit zeigen, wie groß oft
                                                                                                    die Überraschung und auch die
                                                                                                    Freude darüber ist, an einer
                                                                                                    nicht vermuteten Stelle auf eine
                                                                                                    Formensprache zu treffen, die
                                                                                                    vielen in ihrer Komplexität nicht
                                                                                                    bewusst ist.

     Hannes Gaab (Signatur 50 MB 6612 :      Die Codex, eine 1953 von Georg Trump         Vor dem Hintergrund einer wachsenden
     KD) skizziert Chloë als antike Tragö-   entworfene Schrift, ahmt den Duktus einer    digitalen Welt bleibt die Erhaltung der ori-
     din, die wie ihr eigenes Denkmal auf
                                             handgeschriebenen Antiqua nach. Die aus-     ginalen gedruckten Quellen und ihre
     dem Textsockel steht.
                                             schließliche Verwendung ihrer Versalien,     lebendige Vermittlung, die sich nicht allein
                                             eine Selektion, die römischer nicht sein     auf die Vermittlung des Textes beschrän-
                                             kann, stellt einen unmittelbaren Rückgriff   ken kann, unverzichtbar.
                                             auf die antike Vorlage dar. Umso deut-
BIbliotheks

                                                                                                         magazin
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VON ABECEDARIUM BIS ZEITGLÖCKLEIN

Erschließung und Digitalisierung der Blockbücher
in bayerischen Sammlungen

Um die Mitte des 15. Jahrhunderts wurde        den konnten, später als die ersten Erzeug-   Dr. Bettina Wagner
                                                                                            ist Leiterin des Handschriften-
der Druck mit beweglichen Lettern er-          nisse Gutenbergs entstanden. Warum be-
                                                                                            erschließungszentrums
funden. Die ersten auf diesem Weg her-         gann man aber, Blockbücher zu drucken,
gestellten Erzeugnisse, z. B. die Gutenberg-   nachdem doch bereits ein anderes, so viel    Dr. Rahel Bacher
Bibel, beeindrucken durch ihr perfekt          vorteilhafteres Verfahren bekannt war?       ist Mitarbeiterin des Handschriften-
                                                                                            erschließungszentrums der Bayeri-
anmutendes Erscheinungsbild. Es wird           Diese und viele weitere Fragen können
                                                                                            schen Staatsbibliothek
darüber gerätselt, wie ohne bekannte Vor-      nur durch die Erforschung der erhaltenen
läufer plötzlich solche Spitzenprodukte        Exemplare geklärt werden, da keine ande-
erzeugt werden konn-
ten. Eine Antwort
suchte man lange in
den sogenannten
„Blockbüchern“ zu fin-
den: Blockbücher sind
Druckwerke recht
geringen Umfangs
(meist 20–50 Blatt),
bei denen Text und
Bild gemeinsam in
Holzstöcke geschnit-
ten und gedruckt wur-
den. Die Überlegung,
dass diese Form der
Reproduktion der Er-
findung des Drucks
mit beweglichen Let-
tern vorausgegangen
sei, wirkt unmittelbar
einleuchtend. Den-
noch hat sie sich als                                                                       Blockbuch „Biblia pauperum“:
                                                                                            in der Mitte Taufe Christi, links Durch-
irrig erwiesen, da alle
                                                                                            querung des Roten Meeres, rechts
Blockbücher, soweit                                                                         Rückkehr von Boten, oben und unten
sie bisher datiert wer-                                                                     Propheten
BIbliotheks

     magazin
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                    ren Quellen existieren. Obwohl Blockbü-        SAMMLUNGSÜBERGREIFENDE ERSCHLIESSUNG
                    cher aber beliebte Sammlerstücke darstel-
                    len, die auf dem Weltmarkt Spitzenpreise       Der Ansatz der sammlungsübergreifenden
                    erzielen, wurden sie in den letzten Jahr-      Erschließung hat sich z. B. bei der Erhellung
                    zehnten durch die Druckforschung nur           der Bestandsgeschichte gut bewährt. Auf-
                    wenig beachtet. Dies ist zu einem großen       grund ihres geringen Umfangs wurden
                    Teil sicherlich auf die bislang schlechte      Blockbücher im Mittelalter häufig mit an-
                    Erschließungssituation des Großteils der       deren Handschriften oder Druckwerken
                    Bände zurückzuführen.                          zu Sammelbänden zusammengefasst. Lei-
                                                                   der sind derartige Sammelbände aus baye-
                    DAS PROJEKT                                    rischen Klosterbibliotheken nur noch sel-
                                                                   ten original erhalten, da sie meist nach der
                    Weltweit existieren heute geschätzt noch       Säkularisation aufgelöst und die Werke
                    etwa 600 Blockbuchexemplare (von 100           einzeln gebunden wurden. Anhand histori-
                    unterschiedlichen Ausgaben bzw. 33 Wer-        scher Quellen (Briefe des Johann Chri-
                    ken, darunter sehr verbreitete wie die         stoph von Aretin, Buchbinderrechnungen)
                    Biblia pauperum oder unikal überlieferte       gelang es, ein Dutzend solcher Sammel-
                    wie Abecedarium und Zeitglöcklein), von        bände mit insgesamt über 30 Blockbü-
                    denen bisher nur ein geringer Teil den         chern zu rekonstruieren. Bei mehr als der
                    Anforderungen der modernen Forschung           Hälfte dieser Blockbücher konnte durch in
                    entsprechend erschlossen ist. Im Internet      den Bänden vorhandene Eintragungen
                    zugänglich und detailliert beschrieben sind    nachgewiesen werden, aus welchem Klos-
                    bereits die acht Blockbücher der Bodleian      ter sie stammen. Dabei ergab sich, dass
                    Library in Oxford. Gedruckte Kataloge lie-     die einst gemeinsam in einem Sammelband
                    gen für die 54 Exemplare der Bibliothèque      enthaltenen Werke nach 1803 in verschie-
                    nationale de France in Paris und die 53        dene Institutionen gelangten und heute
                    Blockbücher in Londoner Sammlungen             teils in der Bayerischen Staatsbibliothek,
                    vor. Für Deutschland fehlen derartige Spe-     teils in der Universitätsbibliothek München
                    zialkataloge jedoch noch völlig. Im Rahmen     aufbewahrt werden. Es liegt auf der Hand,
                    eines Projekts, das durch die Deutsche         dass eine Aufarbeitung nur übergreifend
                    Forschungsgemeinschaft finanziert wird,        möglich ist.
                    werden seit 2009 an der Bayerischen
                    Staatsbibliothek alle Blockbücher, die sich    DIGITALISIERUNG
                    heute in bayerischen Sammlungen befin-
                    den, erstmals detailliert und sammlungs-       Die Blockbücher werden im Projekt nicht
                    übergreifend beschrieben. An dem Projekt       nur wissenschaftlich beschrieben, sondern
                    beteiligen sich insgesamt 14 Partnerinstitu-   auch digitalisiert. Diese Maßnahme dient
                    tionen (darunter z. B. die Staatsbibliothek    zugleich zwei unterschiedlichen Zwecken:
                    Bamberg, das Germanische Nationalmu-           zum einen dem Schutz der Objekte, die
                    seum in Nürnberg und die Universitäts-         wegen ihrer Fragilität oft nicht mehr be-
                    bibliothek Würzburg), die insgesamt 92         nutzt werden konnten, und zum anderen
                    Blockbücher bzw. Blockbuchfragmente            der kostenlosen Bereitstellung für die For-
                    besitzen.                                      schung im Internet. Bereits jetzt sind die
BIbliotheks

                                                                                                         magazin
                                                                                                                                    15

                                                                                            Thermographien
                                                                                            links: Wasserzeichen mit Papierstruk-
                                                                                            tur

                                                                                            rechts: Zusammengeklebtes Blatt mit
                                                                                            zwei sich überlagernden Wasserzei-
                                                                                            chen

Exemplare über die Digitalen Sammlungen        Dazu ist es jedoch im Vorfeld notwendig,
der Bayerischen Staatsbibliothek zugäng-       gute Aufnahmen der in den Blockbüchern
lich und können weltweit jederzeit voll-       enthaltenen Wasserzeichen anzufertigen.
ständig eingesehen und sogar als PDF-          Dies ist aus mehreren Gründen meist sehr
Datei heruntergeladen werden. Um das           viel schwieriger als bei mittelalterlichen
Blättern in den virtuellen Büchern zu er-      Handschriften und typographischen Dru-
leichtern, wurden die digitalisierten Seiten   cken. Bei Blockbüchern ist häufig nur eine
mit Sprungmarken zum Navigieren im Digi-       Seite des Papiers bedruckt; die leeren
talisat versehen.                              Rückseiten der Blätter wurden oft zusam-
                                               mengeklebt, so dass die Seiten doppelt so
THERMOGRAPHIE                                  dick sind und die Wasserzeichen nicht
                                               erkennen lassen. Blockbücher sind sehr
Blockbücher enthalten in aller Regel im        häufig koloriert und die aufgetragene
Text keinen Hinweis auf den Zeitpunkt          Farbe verdeckt die Wasserzeichen. Oft
ihrer Entstehung. Die einzige Möglichkeit,     wurde grüne Farbe verwendet, die das
sie dennoch zu datieren, besteht in der        Papier durch „Farbfraß“ korrodieren lässt;
Untersuchung des Papiers, auf das sie          Blockbücher müssen daher besonders
gedruckt wurden. Im Mittelalter wurde          sorgsam behandelt werden. Im Rahmen
Papier in Mühlen aus Hadern hergestellt.       des Projekts kommt deshalb für die Doku-
Um ihre Produkte zu kennzeichnen, be-          mentation der Wasserzeichen erstmals die
nutzte jede Mühle spezifische Wasserzei-       Methode der Thermographie zur Anwen-
chen. Diese Wasserzeichen können an-           dung, bei der mittels einer geringen Wär-
hand von Datenbanken und Findbüchern,          mestrahlung eine Infrarotaufnahme des
die eine große Menge datiertes Vergleichs-     Blattes erzeugt wird. Da das Papier an den
material bieten, chronologisch eingeord-       Stellen, an denen das Wasserzeichen liegt,
net und manchmal auch lokalisiert werden.      dünner ist, kann die Wärmestrahlung bes-
BIbliotheks

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     Blockbuch „Canticum canticorum“,         ser durchdringen, so dass sich das Was-        auf, d. h. dass nach und nach Teile der er-
     Ausschnitt der ersten Tafel
                                              serzeichen auf der digitalen Aufnahme klar     habenen Stege, welche die Farbe auf das
     links: Ausgabe I, früher Druckzustand
     („vino”)
                                              abzeichnet. Die Thermographie vereint          Papier übertragen, ausbrechen. In Exem-
     Mitte: Ausgabe I, später Druckzustand    zwei entscheidende Vorteile: Sie ist objekt-   plaren, die später produzierte wurden,
     mit Ausbrüchen („viro“)                  schonend und liefert hervorragende Abbil-      sind diese Schäden im Druck als Leerstel-
     rechts: Ausgabe II, fehlerhafter Nach-
                                              dungen. Die Wasserzeichen-Aufnahmen            len erkennbar. Die Digitalisierung der
     schnitt („viro“)
                                              der Blockbücher stehen ebenfalls bereits       Exemplare verschiedener Sammlungen
                                              über die Projekthomepage im Internet zur       macht den diffizilen Vergleich, der zur Fest-
                                              Verfügung.                                     stellung solcher Unterschiede notwendig
                                                                                             ist, nun zum ersten Mal für eine größere
                                              ERSCHLIESSUNG                                  Anzahl von Blockbüchern möglich. Die
                                                                                             Untersuchung solcher Ausbrüche kann
                                              Bei der Erschließung wird neben den Was-       sogar Erkenntnisse über die Grenzen einer
                                              serzeichen eine Vielzahl weiterer Kriterien    Ausgabe hinaus vermitteln: So trat in der
                                              analysiert, z. B. Kolorit, Bindung, hand-      ersten Tafel der Ausgabe I des „Canticum
                                              schriftliche Einträge, Besitzgeschichte. Von   canticorum“ in dem Wort „vino“ (lat.
                                              besonderer Bedeutung ist die Untersu-          Wein) ein Schaden auf, der dazu führte,
                                              chung des Druckzustandes, mittels dessen       dass das Wort in den späteren Abzügen
                                              die verschiedenen Exemplare einer Aus-         fälschlich als „viro“ (lat. Mann) gelesen
                                              gabe (d. h. Exemplare, die von denselben       werden kann. Der Holzschneider, der
                                              Holzstöcken abgezogen wurden) zueinan-         Ausgabe II anfertigte, benutzte offenbar
                                              der in Beziehung gesetzt und eine chrono-      einen späten Abzug der Ausgabe I als Vor-
                                              logische Abfolge aufgestellt werden kann.      lage und schnitt, da er den Text nicht ver-
                                              Das Verfahren beruht darauf, dass die          stand, fälschlich „viro“ nach. Dadurch ist
                                              Holztafeln durch die mechanische Belas-        zweifelsfrei belegt, dass Ausgabe II nach
     www.bsb-muenchen.de/                     tung beim Druckvorgang und der Lage-           dem Vorbild von Ausgabe I angefertigt
     Alte-und-Seltene-Drucke.                 rung zunehmend Abnutzungsspuren auf-           worden sein muss.
     101.0.html                               weisen: Es treten sogenannte „Ausbrüche“
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                                                                                                            magazin
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Wenn das Projekt abgeschlossen ist, wer-       nahmen der Wasserzeichen im Internet zu
den für nahezu die Hälfte aller in Deutsch-    Verfügung. Es bleibt zu hoffen, dass es der
land vorhandenen Blockbuchexemplare            Forschung in den nächsten Jahren anhand
detaillierte Beschreibungen vorliegen. Be-     dieser verbesserten Grundlage gelingen
reits jetzt stehen den Inkunabelforschern      wird, einige der Rätsel zu lösen, vor wel-
Digitalisate der Blockbücher in bayerischen    che uns die Blockbücher noch immer stel-
Sammlungen und thermographische Auf-           len.

DIE „SCHLACHTENKUPFER“ DES CHINESISCHEN
KAISERS QIANLONG      (1711–1799)
Eine digitale Präsentation von 64 Kupferdrucken aus dem
Bestand der Ostasienabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin

DIE ÄRA QIANLONG                               liche Machtentfaltung „auf einmal“ sichtbar      Dr. Gerd Wädow
                                                                                                ist Fachreferent für China, Hongkong
                                               machen.
                                                                                                und Taiwan in der Ostasienabteilung
„Einmal sehen ist besser als hundertmal                                                         der Staatsbibliothek zu Berlin
hören“: Es ist nicht überliefert, ob dieses    Im Besitz der Staatsbibliothek zu Berlin be-
chinesische Sprichwort Kaiser Qianlong         finden sich neben dieser ersten Serie die
der Qing-Dynastie (1644–1911) durch            Drucke vier weiterer Serien, insgesamt 64
den Kopf ging, als er 1760 eine erste          Exemplare. Im Objektschutzkeller sicher
Gruppe von Kupferdrucken in Auftrag gab,       aufbewahrt, werden die Drucke seit kur-
die heute im Westen als die „Schlachten-       zem als Digitalisate auf den Internetseiten
kupfer“ bekannt sind. Der mandschurische       der Ostasienabteilung der Öffentlichkeit
Kaiser hieß eigentlich Gaozong           und   präsentiert.
herrschte von 1736 bis 1795 unter der          http://ead.staatsbibliothek-berlin.de/digital/
Regierungsdevise Qianlong (           „männ-   qianlong-schlachtenbilder/
liche Erhabenheit“) und wird nach ihr
meist auch (Kaiser) Qianlong genannt. Die      KUNST UND PROPAGANDA
Schlachtenkupfer zeigen im Format von
jeweils ca. 50 x 87 cm Szenen seiner Feld-     Den Drucken der ersten Serie gingen
züge im Landesinnern und entlang der           große Gemälde voraus, die von den am
Grenzgebiete. Aufgrund ihrer vergleichs-       Pekinger Hof tätigen Jesuitenmissionaren
weise hohen Auflagen ließen sich die Dru-      Giuseppe Castiglione sowie Jean-Denis
cke weithin verteilen und konnten mit          Attiret und Ignatius Sichelbarth und dem
beeindruckenden Darstellungen die kaiser-      italienischen Augustiner Jean-Damascène
BIbliotheks

      magazin
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                                              Sallusti geschaffen worden waren. Verklei-     wendige Logistik und eine anhaltende,
                                              nerte Kopien wurden als Vorlagen für die       teure militärische und bürokratische Prä-
                                              Druckplatten angefertigt; letztere übrigens    senz auch in den entlegenen Regionen des
                                              nicht in China, sondern in Paris, wo die       Reiches erforderlich, um den Status quo
                                              besten Kupferstecher jener Zeit arbeite-       zu sichern.
                                              ten. Kaiser Qianlong ließ 1760 die 16 Bild-
                                              vorlagen verschicken und zwischen 1767         Anders als sein Großvater, Kaiser Kangxi
                                              und 1774 von Le Bas, Saint-Aubin und                   (reg. 1662–1722), nahm Qianlong
                                              anderen unter Leitung des Stechers Char-       nicht persönlich an den Feldzügen teil.
                                              les-Nicholas Cochin d. J. ausführen. Qian-     Doch war er bei der öffentlichkeitswirk-
                                              long hatte verfügt, die Gravuren im Stil des   samen Verbreitung seiner Erfolge um so
                                              Augsburger Kupferstechers Georg Philipp        aktiver und nutzte u. a. mehrsprachige Ge-
                                              Rugendas d. Ä. (1666–1742) zu halten,          denkinschriften auf Stelen, Ehrenschreine
                                              dessen Werke ihm bekannt waren. Das            zum Gedenken an gefallene und lebende
                                              teure Material und die europäische Tech-       Krieger, prunkvolle Zeremonien und Sie-
                                              nik machten das Projekt prestigeträchtig       gesfeiern, Heldendichtung und, als Beson-
     Giuseppe Castiglione (?): Kaiser Qian-
                                              genug, um die mehrjährige Produktionszeit      derheit, den Kupferdruck.
     long, 1736
                                              der ersten Serie zu rechtfertigen. Spätere
                                              Kupfer wurden dann in Peking von den           Der ersten Kupferdruckserie ließ Qianlong
                                              mittlerweile dort ausgebildeten chinesi-       weitere folgen, darunter die der sogenann-
                                              schen Schülern der Jesuiten ausgeführt.        ten „Zehn siegreichen Feldzüge“ (1755–
                                                                                             1792). In der Internet-Präsentation der
                                              Die besondere Situation der mandschuri-        Ostasienabteilung der SBB-PK sind hier-
                                              schen Fremdherrscher in China brachte es       von, neben den Feldzügen gegen die
                                              mit sich, dass diese ihre Tradition einer      Dsungaren, auch die von der Unterwer-
                                              militärisch-kriegerischen Selbstwahrneh-       fung von Jinchuan (West-Sichuan) und dem
                                              mung zu bewahren suchten. Das zivilstaat-      Taiwan-Feldzug 1787–1788 enthalten.
                                              liche chinesische Literatenbeamtentum galt     Qianlong selbst maß diesen Feldzügen
                                              ihnen als weich und effeminiert. Mandschus     höchste Bedeutung bei, da er damit die
                                              und Chinesen konstruierten eine Differenz      Westexpansionen früherer Dynastien
                                              zwischen Kriegern und Literaten. Kaiser        noch übertroffen hatte.
                                              Qianlong jedoch brauchte beide. Bei aller
                                              Selbstinszenierung zielte er auf eine Inte-    DER KUPFERDRUCK
                                              gration der militärischen wie auch der zivi-
                                              len Bereiche in seine Herrschaft.              Der Kupferdruck war von dem italieni-
                                                                                             schen Franziskaner P. Matteo Ripa, der
                                              China erlangte im 18. Jahrhundert seine        zwischen 1711 und 1723 am Kangxi-Hof
                                              größte territoriale Ausdehnung, doch der       lebte, dort eingeführt worden. Nach Ripas
                                              damit erworbene Ruhm war teuer erkauft:        Fortgang aus China geriet der Kupferdruck
                                              zum einen mit kostspieligen Feldzügen,         dort in Vergessenheit. Erst Kaiser Qian-
                                              kriegerischen Auseinandersetzungen und         long wurde durch P. Michel Benoist S. J.
                                              verlustreich gewonnenen Schlachten; zum        wieder darauf aufmerksam. Zwischen der
                                              anderen waren eine umfangreiche und auf-       ersten, in Paris gravierten und gedruckten
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Serie und den folgenden, in den kaiserli-      sion lautet, Castiglione habe beabsichtigt,   Die Unterwerfung von Jinchuan
chen Pekinger Werkstätten entstandenen         die Bilder nach Rom zu senden, doch seien     1771–1776: Die Rückeroberung des
                                                                                             Kleinen Goldstromlandes
Drucken lassen sich künstlerische und          diese in Kanton (Guangzhou) von der fran-
                                                                                             Signatur: Libri sin. 1603-17
handwerkliche Unterschiede ausmachen.          zösischen Gesandtschaft abgefangen und
Während die letzteren in Stil und Ästhetik     nach Paris umgeleitet worden. Einer ande-
einen weniger westlichen Charakter auf-        ren Version zufolge hat der Vorsteher der
                                                                                             Taiwan-Feldzug 1787–1788: Die
weisen, fehlt es umgekehrt der ersten Serie    Jesuitenmission in China, P. Louis-Joseph     Gefangennahme von Zhuang Datian
im Stil des Augsburgers Rugendas an „chi-      Le Febvre, über einen Mandarin als Ver-       Signatur: Libri sin. 1603-42
nesischer Anmutung.“ Doch bei allen ging
es weniger um historisch und geographisch
exakte Darstellungen. Diverse Spezialisten
einzelner Bildsujets arbeiteten zusammen
und setzten die Themen nach schriftlichen
militärischen Aufzeichnungen und Augen-
zeugenberichten sowie der Zensur bzw.
den Wünschen des Herrschers in Genre-
szenen um.

DIE PARISER SERIE

Warum die Bilder für die erste Serie nach
Paris gelangt sind, bleibt unklar. Eine Ver-
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     Die Befriedung der Zhong Miao (Yun-
     nan) 1795: Der Angriff auf die Zhong
     Miao bei Nanlong
     Signatur: Libri sin. 1603-61

                                            mittler den Vizekönig von Kanton davon       ten. Im Unterschied zu den folgenden
                                            überzeugt, die Bilder nach Frankreich zu     Serien trägt die „Pariser Reihe“ keine chi-
                                            schicken. Die ersten vier Vorlagen trafen    nesischen Textaufschriften.
                                            jedenfalls 1766 in Paris ein, gefolgt 1772
                                            von weiteren 12 Bildern. 1774 wurden die     DIE BERLINER SCHLACHTENKUPFER
                                            letzten Drucke angefertigt und Vorlagen,
                                            Platten und Kupferdrucke nach Peking zu-     Wie die Kupfer später nach Deutschland
                                            rückgeschickt. Dort erweiterte man sie       gelangten, ist bislang nicht völlig geklärt.
                                            um ein kaiserliches Vorwort und 16 Ge-       Auch die genaue Zahl der erhaltenen Dru-
                                            dichte sowie ein Nachwort der Hofbeam-       cke innerhalb und außerhalb Chinas ist

     Die Befriedung der Miao (Hunan)
     1795: Die Rückeroberung von Qian-
     zhou
     Signatur: Libri sin. 1603-56
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                                                                                                magazin
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unbekannt. Vermutlich wurden die Berli-         Kunstgeschichtlich konnte sich der Kupfer-
ner Drucke um 1900 während des „Boxer-          druck auch diesmal nicht etablieren. We-
aufstandes“ von Peking nach Berlin ge-          gen seiner Aufwendigkeit, und weil er in
bracht – wo das Ethnologische Museum            China letztlich eine fremde Technik war,
34 Druckplatten der Schlachtenszenen            blieb er eine Episode. Die Kupfer waren,
besitzt.                                        bei allem handwerklichen Geschick, in der
                                                Ausführung generisch, formal und kompo-
DIE BEDEUTUNG DER SCHLACHTENKUPFER              sitorisch-repetitiv, und stehen künstlerisch
                                                hinter ihrer dokumentarischen und propa-
Im späten 18. Jahrhundert war die zivile        gandistischen Bedeutung zurück. In der
und militärische Präsenz und Kontrolle ein      traditionellen chinesischen Bewertung ran-
Charakteristikum der Qing-Dynastie. Die         gierten sie nicht als Kunst, wie Kalligraphie
Deutungshoheit der Historiographie für          und Malerei, sondern wurden gemeinsam
öffentliche – auch zivile – Ereignisse wurde    mit Geographika bzw. Kartographika klas-
offensiv wahrgenommen und die eigene            sifiziert. Dies schmälert jedoch nicht ihren
militärische Stärke vermarktet.                 heutigen wissenschaftlichen Rang als außer-
                                                gewöhnliche Bilddokumente aus einer Zeit
Die Staatspropaganda verband Militarismus       vor der Erfindung der Fotografie. Heute
und Nationalismus: Mittels militärischer        erkennen wir die Drucke nicht nur als
Gedenkveranstaltungen, dem Genre der            Kuriosa, sondern insbesondere in ihrem
Kampfillustrationen und der Portraits ver-      politischen Kontext als Dokumente der
dienter Offiziere war Qianlong bestrebt,        imperialen Selbstinszenierung staatlicher
seine militärischen Erfolge auf kulturell-      Macht, die sie nicht nur für die allgemeine
künstlerischem Gebiet zu parallelisieren.       historische Forschung über die Qingzeit,
Er sah sich sowohl als überragenden             sondern auch für Militärhistoriker interes-
Kriegsherrn wie auch als konfuzianisch          sant macht. Sie komplementieren Text-
gebildeten Monarchen, der sich um das           dokumente und illustrieren Aufstieg und
Reich und seine Bevölkerung sorgte.             Zenit der Herrschaft der Qing.

ZUR UMSCHLAGABBILDUNG
Das Sakramentar Heinrichs II. ist eine der kostbarsten
Handschriften im Bestand der Bayerischen Staatsbiblio-
thek. Das Titelbild zeigt das Original (links) und das neue
Faksimile der Prachthandschrift, das Ende 2010 im Faksi-
mile Verlag in einer Auflage von 333 handnummerierten
Exemplaren erschienen ist. Der Faksimileband umfasst ins-
gesamt 718 Seiten im Originalformat von 295 x 242 mm.
Die Blätter sind dem Original entsprechend randbeschnit-
ten und wurden von Hand geheftet.
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                                         REZENSIEREN IM ZEITALTER DES WEB 2.0

                                         recensio.net –
                                         Rezensionsplattform für die europäische Geschichtswissenschaft

     Dr. Lilian Landes                   Schon immer war die wissenschaftliche           kularer, detailorientierter, interdisziplinä-
     arbeitet im Zentrum für
                                         Buchrezension ein Textgenre, das die Ent-       rer, flexibler und insbesondere internatio-
     Elektronisches Publizieren an der
     Bayerischen Staatsbibliothek
                                         wicklungen des jeweils betroffenen Fachs        naler werden; sie wird in mittelfristiger
                                         unmittelbar spiegelte und für das die Frage     Sicht aus dem Raster der gewohnten Dra-
                                         nach Publikationsgeschwindigkeit wichti-        maturgie traditioneller Buchbesprechun-
                                         ger war als für andere – zumal in den Ge-       gen ausbrechen.
                                         schichtswissenschaften, wo es mitunter
                                         Jahre dauert, bis nach dem Erscheinen           Bislang aber fehlt für die Erprobung sol-
                                         einer Schrift die zugehörige Rezension in       cher Verfahren das notwendige Instru-
                                         einem Fachjournal erscheint. Gerade die         mentarium, das sich an den Möglichkeiten
                                         Rezension ist prädestiniert für die intensive   und Erfahrungen des sogenannten „Web
                                         Nutzung jener Vorteile, die das elektroni-      2.0“ orientiert.
                                         sche Publizieren unter Bedingungen des
                                         Open Access bietet.                             Zugleich wird der Markt für „traditionell“
                                                                                         verfasste, online oder auf Papier publi-
                                         Mit der Digitalisierung wissenschaftlicher      zierte Rezensionen zunehmend unüber-
                                         Kommunikations- und Publikationswege            sichtlich. Oft unter großem Aufwand er-
                                         werden sich strukturelle Veränderungen          arbeitete und redigierte Besprechungen
                                         für das Rezensionswesen in den Ge-              erfahren zu wenig Beachtung angesichts
                                         schichtswissenschaften ergeben, das             des wachsenden Angebots, angesichts des
                                         scheint sicher. Die Diskussion über Neu-        Wahrnehmungsverlusts von Printrezensio-
                                         erscheinungen wird nicht nur schneller,         nen im Kreis der jüngeren Wissenschaftler
                                         sondern ihrem Wesen nach zugleich parti-        und angesichts der oft nicht gut sicht- und
                                                                                         findbaren Onlinepublikation von Rezen-
                                                                                         sionen kleinerer Fachzeitschriften, denen
                                                                                         die Anbindung an die zentralen Suchinstru-
                                                                                         mente des Wissenschaftlers fehlt. Nicht
                                                                                         selten kann eine Ausstattung der Rezen-
                                                                                         sionen mit suchrelevanten Metadaten
                                                                                         nicht geleistet werden.

                                                                                         Mit der Schaffung einer internationalen
                                                                                         Online-Angebots reagieren die Bayerische
BIbliotheks

                                                                                           magazin
                                                                                                          23

Staatsbibliothek, das Deutsche Historische
Institut Paris und das Institut für Europä-
ische Geschichte Mainz auf die geschil-
derte Situation: Mit recensio.net wird unter
der Leitung von Prof. Dr. Gudrun Gers-
mann im Januar 2011 eine europaweite,
mehrsprachige Open-Access-Plattform für
Rezensionen geschichtswissenschaftlicher
Literatur online gehen.

recensio.net wird kein Rezensionsjournal
sein, sondern als internationale Plattform
„klassische Rezensionen“ bestehender
Print- und E-Journale zusammenführen
und parallel Web 2.0-basierte Formen
wissenschaftlichen Rezensierens erproben.
Zwei Grundgedanken werden recensio.net         ausgelagert wird und als html-Text auf
zu einem Arbeitsinstrument mit einem           der Plattform erscheint, bleibt den ein-
klassischen und einem innovativen Schwer-      zelnen Redaktionen überlassen. Diese
punkt machen:                                  arbeiten weiterhin vollständig autark.
                                               Ihr Zugewinn wird eine bessere Sicht-
1. Die Plattform gibt dem traditionellen       barkeit der Rezensionen sein, die recen-
   Textgenre „Buchrezension“ Raum: Da-         sio.net im Bibliothekskatalog des Biblio-
   bei bleibt das gewohnte Layout aller        theksverbundes Bayern verlinkt sowie
   beteiligten Zeitschriften erhalten, indem   im Volltext recherchierbar macht.
   diese ihre Rezensionsteile als PDF-
   Dateien auf recensio.net veröffentlichen.   Immer mehr Verlage erkennen den
   Die einzelnen Journale sind neben der       positiven Einfluss, die im Open Access
   übergreifenden Plattformsuche auch          publizierte, qualitativ überzeugende
   gezielt einzeln ansteuerbar. Dabei ist      Buchbesprechungen auf die Außenwir-
   recensio.net als ein Ort der Zusammen-      kung von Fachzeitschriften haben. Dies
   führung, nicht als exklusiver Publika-      führt zu der angenehmen Situation, dass
   tionsort „klassischer“ Rezensionen          bezüglich der sonst vieldiskutierten
   gedacht, so dass einer parallelen On-       Open-Access-Grundsatzfrage hier alle
   linepublikation auf anderen Websites        Beteiligten an einem Strang ziehen und
   oder auf Papier nichts im Wege steht.       gleichermaßen profitieren: Der Verlag
   Auch die Frage, ob recensio.net als Pre-    von einem Renommeegewinn, die
   oder Postprint-Publikationsort genutzt      Autoren (der besprochenen Schrift wie
   wird – ersteres würde die eingangs an-      der Rezension) von mehr Sichtbarkeit
   gesprochene Möglichkeit zur schnelle-       und Publikationsgeschwindigkeit, was
   ren Netzpublikation ausschöpfen –,          nicht zuletzt ebenso dem Leser zugute
   oder die Frage, ob der Rezensionsteil       kommt.
   einzelner Zeitschriften gänzlich ins Netz
BIbliotheks

     magazin
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                                                                     Entwicklungen seines Fachgebiets Stel-
                                                                     lung nehmen und umgekehrt seine eige-
                                                                     nen Thesen durch Kollegen diskutiert
                                                                     sehen möchte.

                                                                     Nicht nur die traditionelle Monogra-
                                                                     phie, sondern auch in Zeitschriften
                                                                     oder Sammelbänden publizierte Auf-
                                                                     sätze sollen auf recensio.net präsentiert
                                                                     und diskutiert werden. Der Aufsatz ver-
                                                                     zeichnet in den letzten Jahrzehnten
                                                                     gegenüber dem traditionell dominieren-
                                                                     den „Buch“ einen erheblichen Bedeu-
                                                                     tungsgewinn (was sicher ebenso sehr
                                                                     im Vorbild der Naturwissenschaften
                                                                     wie in den projektorientierten Struktu-
                    2. Daneben wird recensio.net zugleich            ren der Forschungsförderung begrün-
                       jenen Veränderungen Rechnung tragen,          det ist). Diese Entwicklung soll damit
                       die sich mit der Etablierung des Web          berücksichtigt werden. Zusätzlich kön-
                       2.0 im Alltag der Netznutzer (vor allem       nen Internetressourcen für die histori-
                       der jüngeren) mittelfristig zweifellos        sche Forschung (Quellensammlungen,
                       vom kommerziellen auch auf den wis-           Forschernetzwerke, Bibliographien und
                       senschaftlichen Buchmarkt übertragen          vieles mehr) auf recensio.net präsentiert
                       werden: Autoren erhalten die Möglich-         werden. Durch die zeitlich unbegrenzte
                       keit, die Kernthesen ihrer Schriften auf      Kommentarmöglichkeit wird der per-
                       recensio.net zu publizieren. Moderierte       manenten Veränderung, der dieses Me-
                       Nutzerkommentare lassen nach und              dium unterworfen ist, Rechnung getra-
                       nach „lebendige Rezensionen“ und              gen.
                       Diskussionen rund um die angezeigte
                       Veröffentlichung entstehen. Die Mög-       Prinzipiell ist diese zweite Säule des Platt-
                       lichkeiten, die das Netz zur raschen,      formkonzepts auf die aktive Beteiligung
                       diskussionsaffinen Publikation bietet,     von Fachwissenschaftlern angewiesen.
                       sollen auf diese Weise ausgeschöpft        recensio.net ist sich bewusst darüber, dass
                       werden. Es wird möglich sein, gezielt zu   die Web 2.0-Funktionalitäten eine gewisse
                       Einzelaspekten einer Schrift Stellung zu   Anlaufzeit brauchen werden, zumal gerade
                       nehmen, wodurch letzthin auch fächer-      unter traditionellen Fachvertretern die
                       übergreifende Blicke auf Neuerschei-       Befürchtung nicht ausgeräumt ist, dass
                       nungen erleichtert werden. Zudem           diese Form der Kommunikation untrenn-
                       wird dem immer enger getakteten            bar mit einem inhaltlichen Qualitätsverfall
                       Arbeitsalltag des Historikers entspro-     einhergeht. Prinzipiell lebt der Gedanke
                       chen, dem immer weniger Zeit zur           des Web 2.0 von der Vorstellung einer
                       Ausarbeitung vollständiger Rezensionen     weitgehenden Selbstregulierung von Aus-
                       bleibt, der aber dennoch qualifiziert zu   wüchsen, die den kommunizierten Inhalt
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                                                                                                                                    25

oder die Umgangsformen betreffen. Insbe-       merksam gemacht werden können.
sondere während der Startphase, in der
die Kommentarfrequenz wachsen und die-         Inhaltlich stehen in Europa erschienene
sen Mechanismus sicherstellen muss –           Publikationen zu europäischen Themen im
wird die recensio.net-Redaktion dennoch        Fokus. Sowohl „klassische“ Rezensions-
nicht nur eingehende Präsentationen, son-      texte als auch Präsentationen und Kom-
dern auch Kommentare prüfen, bevor             mentare werden in allen europäischen
diese online gehen.                            Sprachen publiziert, während die Platt-
                                               formnavigation selbst dreisprachig angebo-
Ein Instrument zum „Anschub“ der Dis-          ten werden wird (Englisch, Deutsch, Fran-
kussionskultur wird die Kontaktierung          zösisch).
jener Wissenschaftler sein, mit deren
Werk sich ein Autor beschäftigt hat, der       Interessierte Zeitschriften, Autoren und
seine Schrift auf der Plattform präsentiert.   künftige Nutzer sind jederzeit eingeladen,
Diese gibt er im Rahmen des Formulars          mit recensio.net in Kontakt zu treten:
zur pointierten Formulierung seiner Kern-      Dr. Lilian Landes, Bayerische Staatsbiblio-
thesen als „Bezugsautoren“ an, so dass sie     thek, Zentrum für Elektronisches Publizie-
von der recensio.net-Redaktion kontaktiert     ren (ZEP)
und auf die Kommentarmöglichkeit auf-          lilian.landes@bsb-muenchen.de

„JETZT UND IN DER STUNDE UNSERES ABSTERBENS“
Staatsbibliothek erwirbt frühes und seltenes Drama von Rilke

Dank der vollständigen Finanzierung durch      Er hört Philosophie, Kunstgeschichte und      Dr. Martin Hollender
                                                                                             ist Referent in der Generaldirektion
ihren Freundes- und Förderverein ist es        bei August Sauer Literaturgeschichte. Er
                                                                                             der Staatsbibliothek zu Berlin
der Staatsbibliothek zu Berlin gelungen, die   wohnt in dieser Zeit bei seiner Tante Ga-
dritte selbständige Buchveröffentlichung       briele, der Witwe des Juristen Wenzel Rit-
Rainer Maria Rilkes aus dem Jahr 1896 zu       ter von Kutschera, in der Wassergasse 15b.
erwerben.
                                               Zu Weihnachten 1895 erscheint Rilkes
Im Juli 1895 hatte Rilke das Abitur abge-      zweiter selbständiger Gedichtband, die
legt. Seit wenigen Monaten, seit dem Win-      „Larenopfer“ – und unmittelbar nach
tersemester 1895, studiert der eben zwan-      Weihnachten beginnt er mit den Vorberei-
zigjährige Rilke an der deutschsprachigen      tungen zu einer neuen, lockeren Schriften-
k.u.k. Carl-Ferdinands-Universität in Prag.    folge, den „Wegwarten“. Ein- bis zweimal
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