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Das feministische Magazin mit wissenschaftlichem Blick. La revue féministe avec une perspective scientifique. Fem Info 59 | 2021 Beziehungspraktiken Pratiques relationnelles A
Impressum Inhalt • Sommaire Inhalt • Sommaire FemInfo 59, Dezember 2021 • FemInfo 59, décembre 2021 Herausgeberin • Éditrice Übersetzung • Traduction Vorwort • Avant-propos 2 Verein Feministische Wissenschaft Schweiz Alexandra Cinter, Louise Décaillet Kann Liebe unpolitisch sein? – Lann Hornscheidt 4 Association suisse Femmes Féminisme Recherche Druck • Impression L’amour peut-il être apolitique? – Lann Hornscheidtr 8 Nationaler Vorstand • Comité national Das FemInfo wird auf 100 % Recyclingpapier in der Druckerei Mein Geld ist auch dein Geld ist auch mein Geld… – Geneva Moser 12 Martina Bundi, Lena Flühmann, Liliane Meyer Pitton, Katharina Pel- Reitschule in Bern gedruckt. Mon argent est aussi le tien qui est aussi le mien… – Geneva Moser 16 zelmayer, Jardena Rotach, Lea Schlenker, Nina Seiler, Seraina Wepfer Get Your Glass Up For The Working… Robot? – Janina Loh 20 Auflage • Tirage Geschäftsleitung • Direction générale 1000 Exemplare • 1000 Exemplaires Der Möglichkeitsraum der Fliege – Nina Seiler 25 Jovin Joëlle Barrer, Annina Haab Beziehungen gestalten – Ivonne Pomplun 30 Erscheinen • Annonce Wer ist/war sie ? – Lea Schlenker 34 Geschäftstelle • Secrétariat 3 Mal jährlich • 3 fois par année Verein Feministische Wissenschaft Schweiz Gita Tost – Wie lesbische Schlampen der bürgerlichen Ehe trotzten Postfach Sprache • Langage Rückblick Vollversammlung – Jovin Joëlle Barrer und Lea Schlenker 35 CH-3001 Bern Wir verwenden eine möglichst diskriminierungsarme Sprache. «So hoch liegt die Wirtschaft in der Schuld gegenüber den Frauen» PC 30-37698-6 Mehr dazu auf: www.femwiss.ch. Rapport de l’assemblée générale – Jovin Joëlle Barrer et Lea Schlenker 38 info@femwiss.ch Nous utilisons une langage aussi non discriminatoire que possible. « Voilà ce que l’économie doit aux femmes en Suisse » www.femwiss.ch Pour en savoir plus : www.femwiss.ch. Agenda & Forum 41 Redaktion • Édition Inserate • Annonce Eidgenössische Kommission dini Mueter Lena Flühmann, Liliane Meyer Pitton, Jardena Rotach, Lea Schlenker, 1 Seite • 1 page CHF 250.– Geschichte im Puls Nina Seiler, Seraina Wepfer 1/2 Seite • 1/2 page CHF 130.– Streikpost Layout • Graphisme Manuskripte • Manuscrits Casa Vitale Jovin Joëlle Barrer, Nora Ryser info@femwiss.ch Call for Papers – FemInfo 60 43 Cover • Couverture Nächster Redaktionsschluss • Prochain délai de rédaction Nora Ryser 01.02.2022 B
Vorwort Avant-propos Beziehungspraktiken Pratiques relationnelles TEXTE : JOVIN JOËLLE BARRER TEXT: JOVIN JOËLLE BARRER TRADUCTION : LOUISE DÉCAILLET «Kann Liebe unpolitisch sein?» fragt Geschlechter- ein. In der darin auftretenden Haushaltsfliege sieht Sei- « L’amour peut-il ne pas être politique ? » se demande nieuse de la simultanéité paradoxale d’une violence forschex Lann Hornscheidt und trifft damit den Trig- ler eine produktive Metapher für die paradoxe Gleich- le·la chercheur·euse·x Lann Hornscheidt qui formule domestique à la fois présente et absente. gerpunkt des aktuellen Heftthemas. Zum Jahresende zeitigkeit von An- und Abwesenheit häuslicher Gewalt. ainsi le point de départ du présent numéro. Pour la Dans un témoignage personnel, Geneva Moser haben wir nämlich dazu aufgerufen, das Phänomen In einem persönlichen Erfahrungsbericht erzählt uns fin de l’année en effet, nous avons appelé à réfléchir nous raconte ensuite comment une colocation qui ne Beziehung für einmal nicht als politische Kategorie, Geneva Moser von den Beziehungseffekten, welche ent- au phénomène de relation pour une fois non comme partage pas que la cuisine et la salle de bain, mais sondern als eine politische Handlung – als einen Ort stehen, wenn in einer WG neben Küche und Bad auch das catégorie, mais comme action politique – comme lieu aussi un compte en banque commun, peut agir sur des Aushandelns, des Verschiebens und des Auspro- Bankkonto mit der gesamten Mitbewohner*innenschaft de négociation, de déplacement et d’essai. les relations. bierens – zu reflektieren. geteilt wird. En montrant comment la violence de genre norma- Janina Loh se demande quelles pratiques relation- Entlang Beispielen normalisierter, geschlechterspezi- Janina Loh fragt, welche Beziehungspraktiken es zwi- lisée opère dans les formations sociales amoureuses nelles sont nécessaires entre être humain et machine fischer Gewalt innerhalb gesellschaftlicher Liebeskate- schen Mensch und Maschine braucht, damit die zuneh- telles que la famille ou le couple, Hornscheidt sou- pour que la robotisation croissante du monde du tra- gorien, wie etwa der Familie oder der Paarbeziehung, mende Robotisierung der Arbeitswelt aus feministischer ligne que l’amour ne peut développer pleinement son vail puisse devenir un projet libérateur d’un point de macht Hornscheidt deutlich, dass Liebe nur als sorgfäl- Sicht zu einem befreienden Projekt avancieren kann. potentiel émancipateur que s’il est pratiqué avec le vue féministe. tig geübte Handlung ihr volles emanzipatorisches Poten- Schliesslich reflektiert die Sexualtherapeutin Ivonne plus grand soin. Finalement, la sexologue Ivonne Pomplun se livre à tial entfalten kann. Pomplun mit einem praxisorientierten Ansatz zeitgenös- En résonance avec ce point de vue, la slaviste Nina une réflexion pratique sur les formes contemporaines An dieses Argument anknüpfend lädt uns die slavis- sische Formen von Partner*innenschaft. Dabei zeigt sie Seiler nous invite à une petite étude du poème polo- de partenariat. Elle y montre que non seulement l’ou- tische Kulturwissenschaftlerin Nina Seiler zu einer klei- auf, dass nicht nur das Öffnen, sondern auch das Schlies- nais Rodzina (famille). Dans la mouche qui y apparaît verture, mais aussi la fermeture d’une relation peut nen Etüde um das polnische Gedicht Rodzina (Familie) sen einer Beziehung praktisch durchdacht sein will. au sein d’un foyer, Seiler repère une métaphore ingé- être pensée de manière concrète. 2 3
Kann Liebe unpolitisch sein? Kann Liebe unpolitisch sein? Lann Hornscheidt trägt vor, organisiert Veranstaltungen und leitet einen Verlag – alles zu Themen von Diskriminierungskritik und Sprache, Lieben als politisches Handeln und Verbundenheit. Der Artikel baut auf dem Buch Zu Lieben als politisches Handeln/ Kapitalismus entlieben auf. Lanns jüngste Buchveröffentlichung trägt den Titel Sprachhaltung zeigen. Ein Argu- mentationsleitfaden für diskriminierungskritisches Sprechen und Schreiben. Mehr Informationen auf lannhornscheidt.com Kann Liebe unpolitisch sein? Vom Politischen eines scheinbar privaten Gefühls Ehrenmorde – zum Glück ein Problem der Ande- in einem paradoxalen Gegensatz zu den Orten und ren. Familiendramen – ok, kommen in «besten Fa- Menschen, die im statistischen Mittel die grösste milien» vor, zum Glück nicht bei «uns». Aber regel- sexualisierte und tödliche Gewalt gegen Frauen und mässige, fast tägliche Morde und Totschläge in Mädchen ausüben. Dieses Paradox führt auch zu ei- TEXT: LANN HORNSCHEIDT Partner*innenschaften über alle Class-Zuordnungen nem Nicht-Hinsehen zur Gewaltförmigkeit privater hinweg, denen unzählige verdeckte, euphemistisch Verhältnisse: heteronormativ orientierte Paar- und Fa- Wie kann Lieben (wieder) politisch verstanden Welt, wichtig genug, es auf die einschlägige Tages- so genannte «häusliche Gewalt»-Taten vorangehen? milienbeziehungen, die in den gesellschaftlichen Nar- werden? Welche Gräben tun sich zwischen priva- zeitungsseite zu schaffen und andere Nachrichten zu Ähnlich kollektivverdrängt in der Öffentlichkeit sind rativen als privates Glücksideal hochgehalten werden. ten Liebesidealen von Partner*innenbeziehungen verdrängen. die Realitäten sexualisierter Gewalt, die Kinder und Und von Menschen versucht werden, so zu leben, und Mutterliebe auf der einen Seite und Realitä- Ich denke an die Fast-jeden-Tag-Frauen, die in Jugendliche erleiden müssen. Auch diese Gewalt fin- unter Inkaufnahme und Missachtung der Gewalt, die ten von tödlicher Nahbeziehungsgewalt und se- Deutschland durch Partner oder Ex-Partner sterben 1 det nicht vorrangig im dunklen Wald und in einsamen sie für dieses Idealbild auf sich nehmen, erdulden, xualisierter Gewalt in Familien auf? Der Artikel – eine, wie das erste Beispiel ebenfalls, grösstenteils Strassen statt. Dies wird aber meist weiblich soziali- weglächeln. Dies ist eine patriarchale Ideologie, die versucht, die Paradoxien eines kapitalistischen heterosexuelle Konstellation. Sie schaffen es aber sierten Kindern und Jugendlichen eingeredet und ihr dazu führt, Liebe als ein privates Konzept und erstre- Kreisens um Liebe als privates Ideal zu benennen weder auf die Panoramaseite noch in die Rubriken In- raumgreifendes Verhalten damit deutlich reduziert. benswerten Zustand zu verstehen. Mutterliebe und und Liebe als politisches Handeln vorzuschlagen. neres, Familie und Gesundheit oder Gesellschaft. Im- Sexualisierte Gewalt findet vor allem an Orten statt lebenslange Paarbeziehungen sind die Folien eines mer, wenn ich diese Zahl in Vorträgen nenne, – eine und mit den Menschen – mindestens indem sie weg- Lebensideals, das verkapitalisiert, kontinuierlich von Im Herbst 2021 war in einer überregionalen deut- Zahl, die keine feministische NGO-Einschätzung ist, sehen und dulden –, die als Hort von Sicherheit, Ge- Menschen erstrebt und in der inszenierten Reinheit schen Tageszeitung in einer Rubrik Aus aller Welt sondern sich auf der Seite des Bundesfamilienminis- borgenheit und Liebe hergestellt werden, der Familie. nie erreicht werden kann und so zu Gefühlen eige- vom Verschwinden einer 20-Jährigen in den USA zu teriums findet, also «ganz korrekt» und am unteren nen Versagens, Scham, schlechten Gewissens führt. lesen, die nicht aus dem Urlaub mit ihrem Freund zu- Ende einer Wahrscheinlichkeitsskala angesiedelt ist, Kann Liebe ausschliesslich privat sein? Diese privatisierten Liebesideale lenken zugleich von rückgekehrt ist – er kam allein. Als sich der Fund eines wie es dort geschrieben steht – gibt es fassungslo- Liebe als Konzept, als Sehnsuchtsmoment und ge- der Idee ab, dass Liebe politischer Aktivismus ist oder toten Körpers als ihr Körper herausstellte, war «der ses, schockartiges Verwundertsein bei den Zuhören- wünschte kollektive Privaterfüllung des eigenen Le- sein könnte, und zwar in einer viel umfassenderen Form, Freund» spurlos verschwunden. Ein Drama aus aller den. Nicht-glauben-Können. Ungläubige Abwehr. bens in Form von Paarliebe und Familienliebe, steht als es die privatisierte Vorstellung von Liebe sein kann. 4 5
Kann Liebe unpolitisch sein? Kann Liebe unpolitisch sein? 1 Bundeskriminalamt Deutschland: Partnerschaftsgewalt Kriminalstatisti- sche Auswertung, Berichtsjahr 2019. Wiesbaden: Eigenverlag, 2020. sich zu verstecken, das eigene Fühlen runterzuspie- 2 Lorde, Audre: Uses of the erotic. The erotic as power (1978). In: Dies.: Zu lieben als politischer Aktivismus würde, bezogen Audre Lorde hat in ihrem Essay Uses of the Erotic in Sister Outsider. Berkley: Crossing Press, 1984. auf die oben beschriebenen Szenarien, bedeuten, len, um nur einige Mechanismen zu nennen, mit de- Sister Outsider 2 schon vor langer Zeit formuliert, wie nen Gewalt immer weitergetragen wird. 3 adrienne maree brown: Pleasure Activism. The politics of feeling good. Gewalt in sich wahrzunehmen, ernst zu nehmen, zu Lieben zu einem politischen Akt werden kann. Wenn Edinburgh: Chico, 2019. transformieren. Es würde heissen, eine Gesellschaft Selbstlieben als politisches Handeln Diskriminierte Lust empfinden und Lust leben können 4 williams, Kyodo angel (Rev.), Lama Rod Owens, Jasmine Syedullah: Ra- und ein Leben ohne Gewalt anzustreben, also Gewalt Diskriminierungskritisch-politisch verstandenes Lieben und diese Lust selbst definieren und mit Bedeutung dical Dharma. Talking Race, Love and Liberation. Berkeley: North Atlantic in jeglicher Form zu entsagen und sich aus gewaltvol- ist eine Haltung, die Menschen einnehmen können – füllen, ist das vielleicht eine der stärksten Herausfor- Books, 2016; hooks, bell: all about love. new visions. London: Women's len Verhältnissen zu verabschieden. Es würde auch derungen an ein kapitalistisches System, welches press, 2000. zu sich selbst, zu anderen, zu allem Lebendigen. Diese bedeuten, die starken Erzählungen in der Ausschliess- Haltung besteht aus Respekt, Achtung, Achtsamkeit, die Vorstellungen von Liebe so eng geführt hat, dass lichkeit von Paarbeziehungen nicht als unhintergehbar Fürsorge, Selbstsorge und Lebendigkeit. Sie schaut hin Lieben entpolitisiert worden ist. Ein liebender Aktivis- andere Menschen statt die Konzepte Liebesbezie- zu nehmen. Dasselbe gilt für die Idee, dass etwas zu der massiven Gewalt durch strukturelle Diskriminie- mus, der die kontinuierlich angebotenen Gewaltspi- hung, Polyamorie, Freund*innenschaften usw. zu daran entschuldbar, nachvollziehbar, natürlich bedingt rungsverhältnisse und der räumlichen, finanziellen, kör- ralen verlassen würde, wäre die grösste Kritik an be- verwenden. Das eröffnet mir u.a. die Engführung sei, wenn Kinder und Jugendliche sexualisierte Ge- perlichen und emotionalen, fremd- und selbstwahrge- stehenden Verhältnissen und zugleich ihre ultimative von Liebesbeziehung mit Sex zu durchbrechen und walt erleben müssen. Es würde heissen, sich selbst nommenen oder nicht wahrgenommenen Zurichtung, Veränderung, ohne immer wieder neu auf Gewaltlo- wahrzunehmen, wie vielfältig meine Kontakte und ernst zu nehmen und zu respektieren, als eine durch die Diskriminierte kontinuierlich erleben. Um zu überle- giken einzusteigen. Adrienne maree brown übersetzt Beziehungen sind und wie vielfältig ich unterschied- Genderismus diskriminierte Person, sodass Gen- ben, sind Diskriminierte gezwungen, diese vielschichti- Lieben als politisches Handeln in ihrem Buch Pleasure liche Kontakte lebe, berührt bin, Lust, Verbindung derismus in all seinen Formen nicht hingenommen, ge Zurichtung zu normalisieren. Activism 3 in konkrete Alltagshandlungen. Sich Lie- und Zuwendung empfinde. Lieben als Verb auszudrü- sondern skandalisiert würde. Es würde heissen, sich Eine liebende politische Haltung führt auch dazu, ben als politisches Handeln wieder anzueignen, ist ein cken, statt Liebe als Substantiv, macht für mich auch als diskriminierte Person Einfühlung und Wertschät- das eigene Sein als nicht getrennt von allem ande- Projekt, das bisher vor allem von rassismuskritischen deutlich, dass es um mein Handeln geht und nicht zung zu geben und zu verstehen, wie grundlegend ren Lebendigen zu verstehen. Die Idee eines Selbst- feministischen Aktivist*innen wie Audre Lorde, bell um feste Entitäten und Vorstellungen, in die ich oder und massiv Gewaltverhältnisse das eigene Sein be- liebens als Grundlage und erster Schritt zu einem hooks und Rev. angel Kyodo williams 4 ausformuliert andere zu passen haben und an denen wir, ganz ka- stimmen. Dies würde auch bedeuten, hinzuschauen, politischen Lieben, wie ich es in meinem Buch Zu wurde. Ihre Bücher formulieren Einladungen dazu, pitalistisch, immer nur wieder neu scheitern können. dass es viele verinnerlichte Diskriminierungen gibt, Lieben als politisches Handeln aufgeführt habe, ist bisherige Denk- und Lebensmodelle zu reflektieren Zu lieben als politisches Handeln zu füllen, entsagt die dazu führen können, sich selbst abzulehnen, sich letztendlich nur ein Übergang zu einer Selbstvorstel- und neu zu füllen. damit in vieler Hinsicht kapitalistischen Logiken. Und körperlich zuzurichten, in sexuelle Praktiken einzuwil- lung, die ein grundsätzliches Sich-verbunden-Fühlen In Bezug auf Liebesbeziehungen könnte das heis- es macht Spass! ligen, ohne nachzuspüren, ob diese sich gut anfühlen. und Verbunden-Sein mit allem Lebendigen bedeu- sen, genauer zu überlegen, was Lieben bedeuten Es könnte dazu führen, sich lebenslang abzuwerten, ten würde. soll und kann. Ich rede von «mich nah beziehen» auf 6 7
L’amour peut-il être apolitique? L’amour peut-il être apolitique? Lann Hornscheidt donne des conférences, organise des événements et dirige une maison d’édition, le tout sur des sujets relatifs à la critique de la discrimination et au langage, à l’amour comme action politique et aux liens. L’article s'appuie sur son livre «Zu Lieben als politisches Handeln/Kapitalismus entlieben». La publication la plus récente de Lann est «Sprachhaltung zeigen. Ein Argumentationsleit- faden für diskriminierungskritisches Sprechen und Schreiben». Plus d’informations sur lannhornscheidt.com L’amour peut-il être apolitique? Enjeux politiques d’un sentiment en apparence privé est précisé – les auditeur·ice·x·s sont stupéfait·e·x·s, L’amour peut-il être une affaire exclusivement privée? choqué·e·x·s. Ne pas pouvoir y croire, l’incrédulité L’amour en tant que concept, en tant qu’aspiration et comme défense. accomplissement privé – collectivement souhaité – TEXTE : LANN HORNSCHEIDT Les crimes d’honneur, heureusement, ne concerne de sa propre vie à travers le couple et la famille, est en TRADUCTION : ALEXANDRA CINTER que les autres. Les drames familiaux, certes, sur- opposition paradoxale avec ces lieux et ces personnes viennent même dans les « meilleures familles », mais qui, statistiquement, exercent la plus grande violence Comment concevoir (à nouveau) l’amour de manière ami » avait disparu sans laisser de traces. Un drame heureusement pas chez « nous ». Mais qu’en est-il des sexualisée et mortelle envers les femmes et les filles. politique ? Quels fossés séparent d’un côté l’idéal de mondial suffisamment important pour se retrouver meurtres et homicides réguliers, presque quotidiens, Ce paradoxe masque également le caractère violent l’amour privé, incarné dans les relations de couple et dans les pages dédiées de ce quotidien et évincer perpétrés dans les couples de toutes classes sociales des relations privées, celles du couple et de la famille l’amour maternel, des réalités que sont la violence les autres nouvelles. et précédés d’innombrables actes de « violence do- hétéronormatifs, présentées dans les récits sociaux mortelle dans les relations intimes et la violence Je pense aux femmes qui, presque chaque jour en mestique » cachés, appelés ainsi par euphémisme ? comme l’idéal du bonheur privé. Et les gens tentent sexualisée dans les familles ? L’article tente d’identi- Allemagne, meurent 1 des mains de leur partenaire Sont également collectivement évincées de la sphère de vivre ainsi, en acceptant et en ignorant la violence fier les paradoxes d’une perspective capitaliste cen- ou ex-partenaire – une situation qui touche majori- publique les réalités de la violence sexualisée que qu’ils-elles s’infligent, endurent, conjurent d’un sou- trée sur l’amour en tant qu’idéal privé et de proposer tairement les femmes dans le couple hétérosexuel, subissent les enfants et les jeunes. Ces actes de vio- rire au nom de cette image idéale. Il s’agit d’une une vision de l’amour en tant qu’action politique. comme c’est le cas dans ce premier exemple. Mais lence n’ont en général pas non plus lieu dans des forêts idéologie patriarcale, qui mène à concevoir l’amour ces femmes ne se retrouvent ni en double page, sombres et des rues isolées. C’est pourtant ce qu’on ra- comme un concept privé et un état désirable. L’amour ni dans les rubriques affaires intérieures, famille et conte le plus souvent aux enfants et jeunes socialisées maternel et les relations de couple qui durent toujours À l'automne 2021, un quotidien national allemand santé ou société. Chaque fois que je mentionne ce en tant que femmes, dont la manière d’investir l’espace forment la toile de fond d’un idéal de vie auquel, sur relate dans sa rubrique internationale la disparition chiffre dans mes conférences – un chiffre qui n’est se trouve ainsi considérablement réduite. La violence un mode capitaliste, les gens ne cessent d’aspirer et d’une jeune fille de 20 ans aux États-Unis, qui n'est pas une estimation fournie par une ONG féministe sexualisée est perpétrée principalement dans des lieux qui ne peut jamais être atteint dans sa pureté factice, pas rentrée des vacances où elle était partie avec mais qu’on trouve sur le site internet du Ministère fé- et avec des personnes – ne serait-ce que parce que entraînant ainsi un sentiment d’échec, de honte, de son petit ami (celui-ci est rentré seul). Lorsqu’on déral de la Famille, donc « tout à fait fiable » et situé celles-ci ferment les yeux et la tolèrent – censés garantir mauvaise conscience. Cet idéal de l’amour privatisé découvrit un cadavre s’avérant être le sien, « le petit à la limite inférieure d’une estimation, comme cela sûreté, protection et amour, à savoir la famille. détourne en même temps de l’idée que l’amour est 8 9
L’amour peut-il être apolitique? L’amour peut-il être apolitique? 1 Bundeskriminalamt Deutschland: Partnerschaftsgewalt Kriminalstatisti- sche Auswertung, Berichtsjahr 2019. Wiesbaden: auto-édition, 2020. 2 Lorde, Audre: Uses of the erotic. The erotic as power (1978). In: Id.: ou pourrait être un activisme politique, et ceci sous à des pratiques sexuelles sans se demander si elles finalement qu’une transition vers une conception de soi Sister Outsider. Berkley: Crossing Press, 1984. une forme beaucoup plus globale que ne saurait l’être nous font du bien. Cela peut conduire à se dévaloriser, qui impliquerait d’être relié à tous les êtres vivants avec 3 brown, adrienne maree: Pleasure Activism. The politics of feeling good. la conception privatisée de l’amour. à se cacher, à réprimer ses propres sentiments durant un sentiment profond de cette connexion. Edinburgh: Chico, 2019. L’amour comme activisme politique signifierait, en toute une vie, pour ne citer que quelques-uns des méca- Dans son essai Uses of the Erotic in Sister Outsider 2, 4 williams, Kyodo angel (Rev.), Lama Rod Owens, Jasmine Syedullah: Ra- se référant aux scénarios décrits ci-dessus, percevoir la nismes par lesquels la violence se perpétue. Audre Lorde décrivait il y a longtemps déjà comment dical Dharma. Talking Race, Love and Liberation. Berkeley: North Atlantic violence en elle-même, la prendre au sérieux, la trans- aimer peut devenir un acte politique. Lorsque les per- Books, 2016; hooks, bell: all about love. new visions. London: women's S’aimer soi-même, une action politique former. Cela voudrait dire viser une société et une vie sonnes discriminées éprouvent du désir, peuvent le press, 2000. Compris comme démarche critique et politique contre sans violence, c'est-à-dire renoncer à la violence sous vivre, le définir elles-mêmes et lui donner du sens, la discrimination, aimer est une attitude que les gens toutes ses formes et dire adieu aux relations qui en c’est peut-être l’un des plus puissants défis lancés au rait et devrait avoir le fait d’aimer. Je parle de «relation peuvent adopter, que ce soit envers eux-mêmes, en- sont empreintes. Cela impliquerait également de ne pas système capitaliste, lequel a généré une conception si proche» [«mich nah beziehen»] avec d’autres êtres hu- vers les autres, envers tous les êtres vivants. Cette prendre comme incontournables les récits puissants étroite de l’amour que celui-ci s’en est trouvé dépolitisé. mains au lieu d’utiliser les concepts de relation amou- attitude est faite de respect, de considération, d’at- de l’exclusivité au sein du couple. Il en va de même de Un activisme aimant qui délaisserait les spirales de vio- reuse, de polyamour, amitié, etc. Cela me permet, tention, de sollicitude, de souci de soi ainsi que de l’idée qu’il y a quelque chose d’excusable, de compré- lence qu’on nous propose continuellement représente- entre autres, d’éviter la réduction des relations amou- vitalité. Elle constate la violence massive des rapports hensible, relevant de la nature, dans le fait que les en- rait la plus grande critique qui soit des rapports existants reuses à la sexualité et de rendre compte de la diversi- structurels de discrimination et le conditionnement fants et les jeunes subissent des violences sexualisées. et en même temps leur changement ultime, ceci sans té de mes contacts et relations ainsi que des multiples spatial, financier, physique et émotionnel, perçu ou Cela impliquerait de se prendre soi-même au sérieux et retomber dans des logiques de violence. Dans son livre façons dont je suis touché·e·x, je ressens le désir, le non perçu, par soi-même ou par les autres, que les de se respecter en tant que personne discriminée en rai- Pleasure Activism 3, adrienne maree brown traduit en lien et l’affection dans mes différents contacts. personnes discriminées subissent en permanence. son de son genre, en sorte que le genrisme sous toutes actions quotidiennes concrètes cette notion d’amour Exprimer le fait d’aimer par un verbe plutôt que par Pour survivre, celles-ci sont obligées de normaliser ses formes ne soit plus accepté mais considéré comme comme action politique. Se réapproprier celle-ci est un substantif souligne également selon moi qu’il s'agit ce conditionnement multiple. scandaleux. Cela signifierait faire preuve d’empathie et un projet qui, jusqu'à présent, a été formulé principale- de mon action et non d’entités et de représentations Une posture politique d’amour conduit également à d’estime envers soi-même, en tant que personne dis- ment par des activistes féministes et antiracistes telles fixes, auxquelles moi ou d’autres devons nous confor- concevoir son propre être comme n’étant pas séparé criminée, et comprendre combien les rapports de vio- qu’Audre Lorde, bell hooks et Rev. angel Kyodo wil- mer et où nous ne pouvons, de manière tout à fait capi- des autres êtres vivants. Considérer le fait de s’aimer soi- lence déterminent profondément et massivement notre liams.4 Leurs livres invitent à interroger et réinvestir les taliste, qu’échouer encore et encore. Donner un sens même comme fondement et premier pas vers un amour propre être. Cela impliquerait également de consta- modèles de pensée et de vie suivis jusqu’ici. politique au mot aimer c’est donc à bien des égards politique tel que je l’ai décrit dans mon livre Zu Lieben als ter que de nombreuses discriminations intériorisées Concernant les relations amoureuses, cela pourrait renoncer aux logiques capitalistes. Et c‘est amusant ! politisches Handeln [Aimer comme acte politique], n’est peuvent conduire à se renier, à se prêter physiquement vouloir dire réfléchir de plus près au sens que pour- 10 11
Mein Geld ist auch dein Geld ist auch mein Geld… Mein Geld ist auch dein Geld ist auch mein Geld… Geneva Moser, *1988, ist Geschlechterforscherin, Philosophin, Tanztherapeutin und Co-Redaktionsleiterin der Neuen Wege. Mein Geld ist auch dein Geld ist auch mein Geld… Kommunen ist eine grundsätzliche Kritik der Verhält- für 19 Personen. Die Gemök kann Zeit freisetzen, nisse im Kapitalismus und die Suche nach einer Alter- die sonst in den Zwängen der Einzelökonomie Über das Leben mit gemeinsamer Ökonomie native gemeinsam. Die gemeinsame Ökonomie, kurz gebunden bleibt. «Ich bin nicht gezwungen, unter Gemök, hat politische Konsequenzen. allen Umständen meine ‹Arbeitskraft› am ‹freien Markt› anzubieten und zu verkaufen, um meine Finanzausgleich? Grundbedürfnisse zu befriedigen. Ich werde nicht TEXT: GENEVA MOSER Die offenkundigste Wirkungsweise der Gemök ist, länger aufgrund meiner Leistung bewertet, sondern dass sie Einkommensunterschiede ausgleichen kann. bin gleichberechtigter Teil einer Gemeinschaft, die «Mein und Dein sind bürgerliche Kategorien» sagt Geld gehört allen gemeinsam. Wir teilen (allfällige) Damit hebelt sie ein Stück der Ungerechtigkeit aus, sich fortlaufend über ihre Möglichkeiten und Wün- das berühmte Känguru in den «Känguru-Chroni- Einnahmen und (allfälliges) Vermögen miteinander. die in der gesellschaftlichen Einkommensverteilung sche verständigt», wie die Journalistin Regine Beyß ken» des deutschen Komikers Marc-Uwe Kling. Es gibt ein gemeinsames Alltagskonto, zu dem alle steckt: Die Verteilung von Löhnen in der Gesellschaft schreibt.1 Die Zeit, die so gewonnen wird, kann statt- Aber wie ist es wirklich, Besitz solidarisch zu tei- mit der eigenen Bankkarte Zugriff haben. Jede*r ist in hohem Masse vergeschlechtlicht, entlang der dessen in Sorgearbeit, Selbstfürsorge, politischen len? Und was ist daran vielleicht feministisch? Ein bekommt, was er oder sie braucht, alle wägen ihre Kategorien von Race und Klasse werden Menschen Aktivismus, Nichtstun, Bildung und Vernetzung ge- Nachdenken über die Möglichkeiten und Schwie- Bedürfnisse eigenverantwortlich im Rahmen der ge- diskriminiert. In einer stabilen Gemök steht allen zu, steckt werden. Die Suche nach einer Arbeitsstelle rigkeiten von gemeinsamer Kasse. meinsamen Möglichkeiten ab. was sie brauchen. Daran geknüpft sind Fragen von gestaltet sich freier. Der Schritt in eine berufliche Vor acht Jahren habe ich mich zu dieser Form des Suffizienz und kollektive Aushandlungsprozesse: Was Selbstständigkeit ist abgefedert durch die Kom- Wenn meine Mitbewohner*innen und ich gemein- Umgangs mit Geld entschieden. Dieser Schritt war brauche ich wirklich, um ein gutes Leben zu führen? mune. Und das Beziehen von Sozialhilfe oder Arbeits- sam in einem Restaurant essen oder einen Kaffee mit Ängsten verbunden, mit vielen Fragen. Die ideo- Wie bekommen wir unsere jeweiligen Bedürfnisse losengeld hat nicht quasi automatisch zur Kon- trinken, machen wir manchmal einen etwas plum- logische Überzeugung war aber stärker, und mit der unter einen Hut? Was brauchen wir als Gruppe? Die sequenz, fortan am Rand des Existenzminimums pen Scherz, sobald es um das Begleichen der Rech- Zeit sind die Ängste und Unsicherheiten der Freude damit verbundenen Prozesse sind nicht per se kon- und der Gesellschaft leben zu müssen. nung geht: «Du, ich lade dich ein!» Auch wenn der über das praktische Funktionieren und der Erleichte- fliktfrei, können aber im besten Fall kreativ, gemein- Scherz schon alt und abgelutscht ist, amüsiert er rung gewichen. schaftsstiftend und befreiend sein. uns. Warum ist das lustig? Weil wir eine gemeinsa- Dieser Versuch einer alternativen ökonomischen Im Zuge solcher Fragen werden oft auch mate- Teile dieses Texts sind im Artikel Klassismus und ge- rielle Ressourcen gespart und nachhaltiger einge- meinsame Ökonomie im Sammelband Solidarisch ge- me Kasse haben. Wir laden einander also ständig Struktur, die gemeinsame Ökonomie, verbindet mei- gen Klassismus von Francis Seeck und Brigitte Theißl wechselseitig ein – oder eben gar nicht, denn das ne Wohngemeinschaft mit anderen Kommunen. Den setzt – eine Waschmaschine reicht beispielsweise (Münster, 2020) und als Kolumne «Gefühlsduselei» in der Zeitschrift Neue Wege erschienen. 12 13
Mein Geld ist auch dein Geld ist auch mein Geld… Mein Geld ist auch dein Geld ist auch mein Geld… Unterschiede in der (staatlichen und beruflichen) Al- Geld. Sind irgendwann doch Gefühle des Ausgenutzt- Aber auch die gemeinsame Ökonomie kann emotionale grund, von ihrem erlernten Bezug zu Geld, Arbeit und tersversicherung durch die Höhe des Einkommens werdens im Raum, muss das besprochen werden. Herausforderungen wie Existenzängste, Verunsiche- Bildung. Ebenfalls hilfreich kann es sein, in der jeweili- und die Länge der Arbeitstätigkeit lassen sich durch Für eine Gemeinschaft sind solche Situationen immer rung und Selbstzweifel nicht verhindern. Gerade hin- gen Gruppe Finanzanträge möglichst niederschwellig die gemeinsame Ökonomie allerdings nicht unbedingt auch Chancen, aneinander und miteinander zu wach- sichtlich Klassenzugehörigkeit, aber auch bezüglich zu ermöglichen, beispielsweise in einem fixen Turnus: ausgleichen. Wir legen in regelmässigen Abständen sen, selbst wenn das nicht einfach ist. Geschlecht und Herkunft haben Gruppenmitglieder Alle vier Monate wird zusammengetragen, wer grös- Geld für die individuelle Altersvorsorge, in Form von Die Angst, die eigene Autonomie zu verlieren, unterschiedliche Ausgangslagen: Wer stellt mit wie sere finanzielle Pläne schmiedet. Zentral ist es auch, personalisierten Darlehen der Genossenschaft an die setzt voraus, dass ich eine solche habe. Gerade viel Sicherheit und Selbstverständlichkeit und in wel- an einer Kultur der Wertschätzung zu arbeiten. Dabei einzelnen Mitglieder, zur Seite und versuchen so, we- wenn es um materielle Ressourcen geht, kann die chem Tempo finanzielle Anträge an das Kollektiv? stellen sich Fragen wie: Welche Arbeiten sind wie nigstens einen kleinen Ausgleich zu schaffen. Auch eigene Autonomie immer nur eine fragile, vorläufige Wer wagt mit wie viel Zuversicht welche Zukunfts- sichtbar, werden gelobt, mit Dank versehen und her- im Fall eines Austritts aus der Gemök ist zwischen sein: Zu stark sind wir abhängig vom «freien Markt», pläne zu schmieden? Wer versteht sich selber als vorgehoben? Welche Tätigkeiten sind repetitiv, eher mir und der Gruppe geregelt, welcher Betrag mir zu- sind angewiesen auf unser eigenes Funktionieren belastend oder tragend, als aufgehoben oder ge- langweilig und unbeliebt? Auch ist es sicherlich hilf- steht. Er richtet sich nicht nach meinem Einkommen, ohne «Scheitern». Eine Gütergemeinschaft kann da meinschaftsstiftend? Wer fühlt sich zugehörig oder reich, Lohnunterschiede und ihre emotionalen Kon- sondern nach meinen Bedürfnissen. zumindest ein Stück Sicherheit bieten. Und sie er- kämpft darum, sich als Teil des Ganzen zu fühlen? sequenzen nicht zum Tabu werden zu lassen. Über- möglicht es, mit finanziellen Sorgen und Fragen nicht Wer verbindet Geld mit Stolz und Unabhängigkeit – haupt ist es befreiend, in der Befindlichkeitsrunde im Und die Emotionen? allein zu sein: Wie fülle ich die Steuererklärung kor- und wer in erster Linie mit politisch problematischem, Plenum die Scham und Unsicherheit beim letzten Ein- Gerade die emotionalen Ungleichheiten werden rekt aus? Wie beantrage ich Ergänzungsleistungen? überflüssigem Ballast? Wer setzt wie viel Anerken- kauf teilen zu können, am Themennachmittag über durch die Gemök aber nicht automatisch ausgehe- Was mache ich, wenn ich von meiner Herkunftsfa- nung voraus oder benötigt sie? eine fairere Altersvorsorge zu rätseln oder überhaupt belt. Wenn ich über die Gemök spreche, sind die milie Schulden erbe? Für manche bietet die Gemök Mir scheint, wir müssen einander gut kennenlernen gemeinsam die Frage nach dem guten Leben für alle Reaktionen häufig emotional: Das könnte ich nie! die Chance, eine relative finanzielle Autonomie über- in Bezug auf Klasse: einander zuhören, Differenzen zu stellen. Da gebe ich ja meine Autonomie auf! Was, wenn je- haupt erst zu erleben: Was möchte ich wirklich? Wie nicht einebnen zu einem gut gemeinten ‹Jetzt sitzen mand das ausnutzt? Diese Reaktionen sind verständ- will ich arbeiten? Wie geht es mir, wenn die Sorgen wir ja alle im selben Boot›, sondern sie herausarbei- lich, gründen aber auf Annahmen, die ich nicht teile. um Versicherung, Miete, Rückzahlungen von Schul- ten, sie verstehen lernen und Strukturen etablieren, Ich gehe davon aus, dass Menschen sich eher nach den wegfallen? Gütergemeinschaft kann auch den die die Gemök zur antiklassistischen Praxis machen. Zugehörigkeit und Partizipation sehnen, als danach, Blick auf die gegenseitige Angewiesenheit öffnen: Für meine Kommune war es beispielsweise hilfreich, 1 Beyß, Regine: Ungleiche sitzen an gedeckten andere auszunutzen. Meiner Erfahrung nach besteht Abhängigkeit ist dann weniger bedrohlich als einfach eine Gesprächsrunde zum Thema Geldbiografie zu Tischen. In: Der Freitag (online), freitag.de/au- grosse Vorsicht im Umgang mit dem gemeinsamen toren/schlachtreif/ungleiche-sitzen-an-gedeck- menschlich. machen. Alle erzählten von ihrem Klassenhinter- ten-tischen (abgerufen 1.11.2021). 14 15
Mon argent est aussi le tien qui est aussi le mien… Mon argent est aussi le tien qui est aussi le mien… Geneva Moser *1988, est chercheuse en études genre, philosophe, danse-thérapeute et co-rédactrice en chef de Neue Wege Mon argent est aussi le tien qui est aussi le mien… capitalisme et la quête d’une alternative. L’économie Certaines parties de ce texte sont parues dans l'article Klassismus und gemeinsame Ökonomie publié dans le recueil Solidarisch gegen Klassis- commune, gemeinsame Ökonomie ou Gemök, a des mus de Francis Seeck et Brigitte Theißl (Münster, 2020) et dans la colonne De la vie en économie commune conséquences politiques. Gefühlsduselei de la revue Neue Wege. Equilibre des finances ? TEXTE : GENEVA MOSER L’effet le plus évident de la Gemök est sa capacité à de l’économie personnelle. « Je ne suis pas obligé·e·x TRADUCTION : LOUISE DÉCAILLET compenser les différences de revenu. Ainsi, elle annule d’offrir et de vendre en toutes circonstances ma une partie de l’injustice liée à la distribution sociale des « force de travail » au « libre marché » pour satis- « Le mien et le tien sont des catégories bour- nous invitons pas du tout puisque l’argent est à nous revenus : la distribution des salaires dans la société est faire mes besoins de base. Je ne suis plus jugé·e·x en geoises » dit le célèbre kangourou dans les « Kän- tous·tes. Nous nous partageons les (éventuels) reve- hautement genrée ; les personnes y sont discriminées fonction de ma performance, mais membre égal·e·x guru-Chroniken » du comique allemand Marc- nus et (éventuelles) fortunes. Nous avons un compte en fonction des catégories de race ou de classe. Dans en droit d’une communauté, qui se met constamment Uwe Kling. Mais que signifie vraiment partager courant commun auquel chacun·e a accès par sa une Gemök stable, chacun·e reçoit ce dont il·elle a d’accord sur ses possibilités et ses désirs », comme la propriété de manière solidaire ? Et en quoi cela propre carte bancaire. Chacun·e reçoit ce dont il·elle besoin. Elle pose donc des questions de suffisance et l’écrit la journaliste Regine Beyß.1 Le temps gagné peut-il être féministe ? Une réflexion sur les pos- a besoin, chacun·e évalue ses besoins de manière nécessite des processus collectifs de négociation : de ainsi peut alors être investi dans le travail de soins, sibilités et difficultés d’une caisse commune. autonome en fonction des possibilités communes. quoi ai-je vraiment besoin pour mener une bonne vie ? l’assistance personnelle, l’activisme politique, l’inac- J’ai opté pour cette forme de rapport à l’argent il y Comment pouvons-nous concilier nos besoins respec- tivité, la formation ou encore la création de réseaux. a 8 ans. Cette étape s’est accompagnée de peurs et tifs ? De quoi avons-nous besoin en tant que groupe ? La recherche d’emploi se fait de manière plus libre. La Lorsque mes colocataires et moi mangeons en- de beaucoup de questions. Mais la conviction idéolo- Les processus qu’elle implique ne sont pas dénués de commune adoucit l’entrée dans l’indépendance pro- semble au restaurant ou buvons un café, nous fai- gique était plus forte et, avec le temps, les peurs et conflits, mais ils peuvent dans le meilleur des cas être fessionnelle. Et l’obtention d’aides sociales ou d’in- sons parfois une plaisanterie un peu plate au moment insécurités ont fait place au plaisir du fonctionnement créatifs, libérateurs et renforcer la communauté. demnités de chômage n’a pas comme conséquence de payer l’addition: « Hé, je t’invite ! ». Même si la pratique et au soulagement. Ces questions impliquent souvent que des res- automatique de devoir vivre à la limite du minimum plaisanterie est vieille et rebattue, elle nous amuse Cette tentative de structure économique alterna- sources matérielles soient économisées et investies vital et en marge de la société. toujours. Pourquoi nous fait-elle rire ? Parce que nous tive, l’économie commune, relie ma colocation à de manière plus durable – une machine à laver suffit L’économie commune ne permet toutefois pas avons une caisse commune. Nous nous invitons donc d’autres communautés. Celles-ci partagent toutes par exemple pour 19 personnes. La Gemök peut libé- forcément de compenser les différences dans toujours les un·e·s les autres – ou plutôt nous ne une critique fondamentale des rapports au sein du rer du temps qui, sinon, resterait lié aux contraintes l’assurance-vieillesse (de l’Etat et professionnelle) 16 17
Mon argent est aussi le tien qui est aussi le mien… Mon argent est aussi le tien qui est aussi le mien… qui sont dues à la hauteur du revenu et à la durée La peur de perdre sa propre autonomie présuppose tif, avec quelle assurance, selon quelle évidence et à tiel de travailler à une culture de l’estime en se posant de l’activité professionnelle. Nous mettons régulière- que l’on en ait une. C’est justement lorsqu’il en va des quel rythme ? Qui ose avec quelle confiance faire quels certaines questions : quels types de travaux sont vi- ment de l’argent de côté pour la prévoyance vieillesse ressources matérielles que notre propre autonomie ne projets d’avenir ? Qui se considère comme un poids sibles, reconnus, suscitent des remerciements et sont individuelle sous forme de crédits personnalisés de la peut qu’être fragile et provisoire : nous sommes trop ou un soutien, a le sentiment d’être bien entouré·e·x mis en avant ? Quels types d’activité sont répétitives, coopérative à chaque membre et essayons ainsi de dépendants du « libre marché » et astreints à fonction- ou de renforcer la communauté ? Qui se sent bien plutôt ennuyeuses et peu appréciées ? Il est certaine- parvenir au moins à une petite compensation. Même ner sans « échouer ». Une communauté de biens peut intégré·e·x ou lutte pour se sentir faire partie d’un tout ? ment aussi utile de ne pas tabouiser les différences de en cas de départ de la Gemök, le montant qui me au moins offrir un peu de sécurité. Et elle permet de Qui associe l’argent à la fierté et l’indépendance – et salaires et leurs conséquences émotionnelles. Il est en revient se règle entre le groupe et moi. Ce montant ne pas être seul·e·x face aux soucis et questions finan- pour qui représente-t-il avant tout une charge politi- somme libérateur de pouvoir partager sa honte et son ne dépend pas de mon revenu, mais de mes besoins. cières : comment remplir ma déclaration d’impôts ? quement problématique et superflue ? Qui exige ou a incertitude quant à son dernier achat lors des tours de Comment demander des prestations complémen- besoin de quel type de reconnaissance ? table pléniers, de se creuser la tête sur une prévoyance Et les émotions ? taires ? Que faire si j’hérite de dettes de ma famille Il me semble que nous devons bien apprendre à vieillesse plus juste pendant un après-midi à thème ou Ce sont justement les inégalités émotionnelles que la d’origine ? Pour certain·e·x·s, la Gemök offre au moins nous connaître quant aux questions de classes : nous de simplement s’interroger ensemble sur une bonne Gemök ne peut pas annuler automatiquement. Quand la possibilité d’expérimenter une autonomie financière écouter les un·e·s les autres, ne pas effacer nos diffé- vie pour tous·tes. je parle de la Gemök, les réactions sont fréquemment relative : qu’est-ce que je veux vraiment ? Comment rences en prétendant que « maintenant nous sommes émotionnelles : Je ne pourrais jamais faire ça ! J’aban- est-ce que je veux travailler ? Comment est-ce que je tous·tes dans le même bateau », mais justement les donnerais mon autonomie ! Et si quelqu’un abuse ? Ces me sens quand je n’ai plus de soucis d’assurance, de travailler, apprendre à les comprendre et établir des réactions sont compréhensibles, mais elles se fondent loyer, de remboursement de dettes ? Une communau- structures qui font de la Gemök une pratique anti-clas- sur des suppositions que je ne partage pas. Je pars du té de biens peut aussi développer la perception de la siste. Dans ma commune par exemple nous avons principe que les gens cherchent plutôt à s’intégrer et à dépendance réciproque : ainsi, la dépendance devient organisé un tour de table sur le thème « biographies participer qu’à profiter des autres. D’après mon expé- moins menaçante que simplement humaine. financières ». Chacun·e a parlé de son propre contexte rience, il y a beaucoup de prudence dans l’utilisation de Mais l’économie commune ne peut pas non plus de classe, du rapport qu’il·elle a acquis à l’argent, au l’argent commun. Si certain·e·x·s ont le sentiment que empêcher les défis émotionnels comme les peurs exis- travail et à la formation. Il peut également être utile de d’autres profitent d’eux·elles, nous devons en parler. tentielles, l’insécurité et le doute de soi. Les membres faciliter les demandes financières dans le groupe res- Pour une communauté, de telles situations sont tou- du groupe partent de situations différentes quant à leur pectif à un seuil aussi bas que possible, par exemple 1 Beyß, Regine: Ungleiche sitzen an gedeckten jours des occasions d’apprendre les uns des autres et appartenance de classe, mais aussi quant à leur genre en fixant un tournus : tous les 4 mois, l’on calcule qui Tischen. In: Der Freitag (en ligne), freitag.de/au- de grandir ensemble, même si cela n’est pas simple. toren/schlachtreif/ungleiche-sitzen-an-gedeck- et origine : qui fait des demandes financières au collec- fait des plans financiers plus élevés. Il est aussi essen- ten-tischen (dernière consultation le 1.11.2021). 18 19
Get Your Glass Up For The Working… Robot? Get Your Glass Up For The Working… Robot? Dr. Janina Loh (geb. Sombetzki) ist Ethiker*in auf einer Stabsstelle Ethik bei der Stiftung Liebenau in Meckenbeuren am Bodensee. 2018 erschien eine Einführung in den Trans- und Posthumanismus, 2019 eine Einführung in die Roboterethik. Zu Lohs engeren Forschungsinteressen zählen neben der Verantwortung, dem Trans- und Posthumanismus und der Roboterethik auch Hannah Arendt, Polyamorie (insbesondere Poly-Ethik), feministische Technikphilosophie, Theorien der Urteilskraft sowie Ethik in den Wissenschaften. Get Your Glass Up For The Working… Robot? Roboter und Arbeitsbeziehungen Dem bleibt nicht viel hinzuzufügen, sollten wir anneh- gefährlich und dreckig») bezeichnet werden. Warum men, oder? Ausser vielleicht, dass es in einer hoch also, sind wir immer noch nicht dort? Warum sind technologisierten Gesellschaft wie der unsrigen, die Songs wie der von Ruthie Foster immer noch von TEXT: JANINA LOH sich derzeit anschickt, vollkommen vorbehaltslos und (trauriger) Aktualität? TRADUCTION : LOUISE DÉCAILLET mit wehenden Fahnen in die sogenannte Industrie 4.0 2 Sicher, im Kontext von Automatisierung und Digitali- einzuziehen, doch erstaunlich ist, dass immer noch sierung der Arbeitswelt wird auch häufig darauf hinge- Menschen die Arbeit verrichten müssen – unabhängig wiesen, dass es alles andere als ausgemacht ist, dass Wie setzen wir eine feministische Transformation Comment met-on en oeuvre une transfor- davon zunächst, welche Menschen vorrangig welche es bei den lästigen Arbeiten bleibt, die die Roboter uns der (Arbeits-)Gesellschaft in die Tat um? Indem wir mation féministe de la société du travail ? En Tätigkeiten ausüben. Ruthie Foster singt ihr vollkommen abnehmen. Einmal abgesehen davon, dass überhaupt Technologien per se als heteronormativ und anti- refusant la technologie parce qu’elle serait en gerechtfertigtes Loblied auf die «arbeitende Frau», die nicht klar ist, wer festlegt, welche Arbeiten so lästig feministisch ablehnen? Oder indem wir Roboter elle-même hétéronormative et antiféministe ? alles gewuppt bekommt, was ihr vorgesetzt wird, dann sind, dass Menschen sie nicht mehr ausüben wollten als artifizielle Sklaven der Menschen begrüssen? Ou en saluant les robots comme des esclaves auch nicht etwa im letzten Jahrhundert, sondern 2017 oder gar dürften. Hier soll allerdings nicht dieser bereits Weder noch! Eine feministische Transformation artificiels des humain·e·x·s ? Ni l’un ni l’autre ! (auf ihrem Album Joy Comes Back). recht ausgetretene Pfad beschritten, sondern zunächst der Gesellschaft erreichen wir nur über eine Revo- Nous ne parviendrons à une transformation Dabei hatte der tschechische Schriftsteller und versucht werden, die Chancen und Möglichkeiten aus- lution der Beziehungen. Denn diese reproduzieren féministe de la société qu’en révolutionnant Journalist Karel Capek bereits vor hundert Jahren zuloten, die sich durch den Einsatz von Robotern in der entsprechende Strukturen. les relations, car celles-ci reproduisent les in seinem Theaterstück R.U.R. Rossumovi Univer- Arbeitswelt für FLINT eröffnen. structures à changer. zální Roboti (Rossum’s Universal Robots) das Wort Die bereits skizzierten Vorbehalte gegen eine um- «robota» (für Frondienst, Zwangsarbeit, Arbeit; der fangreiche Abgabe menschlicher Tätigkeiten an Ro- Ruthie Foster wusste es. Sicher, wir alle wussten es Get your glass up for the working woman, slawische Wortstamm «rab» steht für «Sklave») für boter lassen sich vermutlich gut mit marxistischen – oder doch zumindest diejenigen unter uns, die nicht When you gotta get it done call the working woman. autonome, humanoide Maschinen geprägt, die den Bedenken zusammenfassen: Roboter sind lediglich vollkommen realitätsfern sind. Aber nur wenige haben Thank God for the working woman, Menschen alle lästige Arbeit abnehmen sollten – jene eine weitere Ausgeburt des (kapitalistischen) Patri- es so treffend in Text, Ton und Stimme ausgedrückt wie This country’s run by the working woman! 1 Arbeiten, die von Bernard Marr (2017) und anderen archats, das nach der erfolgreichen Ausbeutung der eben Ruthie Foster in ihrem Working Woman Blues: als «dull, dangerous, and dirty» (dt: «stumpfsinnig, Menschen und insbesondere von FLINT ihre (in die- 20 21
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