GeoAgenda Open issue N 2018/3 - Portal sciences Switzerland
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Chère lectrice, cher lecteur, Liebe Leserinnen und Leser, AUTRES CONTRIBUTIONS / ANDERE BEITRÄGE Pour le numéro 2018/3 de GeoAgenda, nous Für die Ausgabe 2018/3 der GeoAgenda, haben vous proposons une « Open Issue ». Une série wir die Form des «Open Issue» gewählt. Wir de contributions libres remplacent l’habituel präsentieren eine Serie von thematisch freien 04 08 13 16 dossier thématique « Focus ». Quatre contributions abordent différentes Beiträgen, welche in dieser Ausgabe das üb- liche thematische Dossier «Focus» ersetzen. Zwischen London Nützliche Historische Enseigner les questions liées Gerechtigkeitsfragen im facettes du changement climatique. D’une Vier Beiträge erörtern die verschiedenen Fa- und den Alpen Wetterdaten aux changements climatiques Geographieunterricht am part, les articles de Simona Boscani Leoni et cetten des Klimawandels. Auf der einen Seite, Beispiel Klimawandel de Stefan Broennimann sur les instruments de die Artikel von Simona Boscani Leoni und Ste- 20 22 26 mesure météorologiques éclairent cette problé- fan Broennimann, welche die Problematik von matique à travers une perspective historique. meterologischen Messinstrumenten anhand D’autre part, les contributions de Philippe einer historischen Perspektive beleuchten. Auf Des élèves immergés dans Zwischennutzung Le RUN Hertig et de Stefan Reusser discutent de la der anderen Seite, die Beiträge von Philippe des enquêtes géographiques als neue Wohnform manière dont la didactique et l’enseignement de Hertig und Stefan Reusser, welche aufzeigen, la géographie ont su développer des méthodes wie im Geografieunterricht didaktische Metho- pour aborder au mieux cette vaste thématique den entwickelt wurden, um dieses vielschich- ACTUALITÉ / AKTUALITÄT actuelle dans la salle de classe. tige aktuelle Thema im Unterricht am besten La contribution de Julie Cacheiro, qui s’inscrit zu vermitteln. 30 31 34 également dans le domaine de l’enseignement, Der Artikel von Julie Cacherio, welche ebenfalls présente le projet « Savenquêteurs ». Il s’agit aus der Perspektive der Lehre schreibt, prä- d’une approche qui découle de la démarche sentiert das Projekt «Savenquêteurs ». Darin Manifestations Livres et publications Agenda d’enquête et qui permet l’enseignement d’une wendet sie einen Ansatz an, welcher, inspiriert géographie problématisée et critique. durch Befragungstechniken, das kritische Hin- Finalement, les articles de Gabriela Debrunner terfragen und Betrachten vom Unterrichten et de Luc Tripet abordent des thématiques der Geografie erlaubt. chères à la géographie urbaine. Dans le Schliesslich, befassen sich Gabriela Debrun- premier, le logement est au centre de la pro- ner und Luc Tripet in ihren Artikeln mit der blématique proposée, à l’aune de la notion reichen Thematik der urbanen Geografie. In d’affectation transitoire. Le second questionne Debrunners Artikel steht die Zwischennutzung les concepts utilisés en développement territo- als neue Wohnform für einkommensschwache rial pour définir les relations entre les villes. Wohnungssuchende in Schweizer Städten im Zentrum. Luc Tripet hingegen befragt in sei- nem Beitrag die gängigen Konzepte der terri- Bonne lecture ! torialen Entwicklungpolitik, welche die Verbin- Isabelle Schoepfer dungen zwischen Städten definieren. Viel Vergnügen beim Lesen, Isabelle Schoepfer
4 Autres contributions / Andere Beiträge GeoAgenda 2018/3 GeoAgenda 2018/3 Autres contributions / Andere Beiträge 5 Zwischen London Aktivitäten Abb. 2: Bild der Instru- Der Zürcher Arzt ist für seine unermüdliche Tätigkeit mente, die Scheuchzer während seiner Alpen- als Erforscher der Naturgeschichte der Schweiz be- reisen benutzte, wie kannt. Ausgerüstet mit Barometer, Thermometer und zum Beispiel den Wan- und den Alpen derstock mit angebau- Winkelmesser war er der erste, der die Alpen fast jedes tem Barometer. Aus: J. Jahr zwischen 1694 und 1711 wissenschaftlich bereiste J. Scheuchzer, Be- [Abb. 2]. Sein Ziel war Informationen und Beobach- schreibung der Na- tur-Geschichten des tungen über Flora, Fauna, Mineralien und Fossilien, Schweitzerlands, 3 aber auch über die Wasserquellen und Flüsse in den T.le, Zürich, 1706- Bergen zu sammeln; er war ebenso an den Bergbe- 1708, hier: Tl. 3, nach S. 160 (Zentralbiblio- Johann Jakob Scheuchzer (1672–1733) und die ersten wohnern, an ihrer Arbeit, an der Viehzucht und an der Milchwirtschaft interessiert. Während dieser Reisen thek Zürich, Alte Dru- cke, Signatur: 6.52-54) meteorologischen Messungen in der Schweiz machte er regelmässig Notizen über das Wetter, baro- metrische Höhen - und Lufttemperaturmessungen. Barometer und Thermometer waren in seiner Zeit re- lativ neue und teilweise noch ungenaue Instrumente: Zur Debatte: Die ersten meterologischen Messungen Deswegen war ein regelmässiger Messdatenaustausch •Klimaforschung als internationales Unterfangen. in der Schweiz können dank der Arbeit mit anderen Gelehrten aus der Schweiz und aus dem Ausland sehr wichtig. Aus dieser Zusammenarbeit sind eines gut Vernetzten gelehrten aus •Die Rolle von Laien (Nicht-Akademikern) für viele Beiträge mit vergleichenden Witterungstabellen Zürich - Johann Jakob Scheuchzer, auf und barometrischen Höhenmessungen in renom- die Naturforschung. Anfang des 18. Jahrhunderts datiert mierten internationalen Zeitschriften entstanden, wie •Die Entwicklung von Messinstrumenten in der Frühen werden. [Abb. 1]. zum Beispiel in den Philosophical Transactions in Lon- Neuzeit. don [Abb. 3]. Scheuchzers Tätigkeit als Forscher und Pu- blizist ist durch andere zahlreiche Schriften (insgesamt Biographie fast 300 veröffentliche und unveröffentlichte Werke) belegt: Darunter können wir die verschiedenen Aus- Scheuchzer wurde 1672 als Sohn einer gutbürger- gaben der Berichte seiner schon erwähnten Alpenrei- lichen Familie in Zürich geboren, studierte Medizin so- sen, die Itinera Alpina, die dreibändige Natur-Histori des wie Mathematik und Astronomie in Altdorf (bei Nürn- Schweitzerlandes oder auch seine meteorologischen berg) und promovierte 1694 in Utrecht (Holland). Nach Handschriften, wie die «Meteorologia Helvetica», die in einer einjährigen Studienreise kehrt er nach Zürich zu- der Zentralbibliothek Zürich aufbewahrt sind, hervor- rück, wo er 1695 eine Anstellung als Waisenhausarzt heben. In diesen Handschriften hat er Daten über die fand und später zum Kurator der Bürgerbibliothek und Witterung in Zürich von 1701 bis 1721 mit Angabe der Verwalter der Kunstkammer ernannt wurde. Ab 1710 barometrischen Maxima und Minima sowie der in der Abb. 3: A table oft the rain at Zurich, in Swit- war er zudem als Professor der Mathematik am Ca- Stadt gefallenen Regenmenge und des Wasserstands zerland, at Pisa and rolinum tätig, dem wichtigsten Ausbildungsinstitut in der Limmat gesammelt. Upminster in the year Zürich. Erst 1729 durfte er jedoch naturwissenschaft- 1708, in: William Der- ham, Tables of the ba- liche Vorlesungen halten und vier Jahre später (kurz vor rometrical altitudes at seinem Tod) erhielt er die langersehnte Professur der Physik an derselben Schule sowie die Stelle als erster «Barometer und Thermometer Zurich in 1708 obser- ved by J. J. Scheuchzer Stadtarzt. Die relative langsame Entwicklung seiner waren in seiner Zeit relativ neue and at Upminster ob- served by W. Derham akademischen Laufbahn kann durch die - nicht immer und teilweise noch ungenaue and also the rain in Pisa in Italy in 1707, latenten - Konflikte mit der politischen und kirchlichen Obrigkeit der Stadt erklärt werden. Als Anhänger des Instrumente: Deswegen war ein observed there by Dr. Michael Angelo Tilli, in Kopernikanismus war Scheuchzers Forschungstätigkeit regelmässiger ein regelmässiger Philosophical Transac- tions, 26, 1708-1709, in der von der protestantischen-orthodoxen Staatskir- che dominierten Stadt Zürich nicht einfach. Alle dort Messdatenaustausch mit anderen S. 334-366, hier S. 349 veröffentlichten Bücher mussten von der kirchlich-ob- Gelehrten aus der Schweiz und rigen Zensur überprüft werden, und Scheuchzer selbst wurde mehrmals mit den Zensurbehören konfrontiert. aus dem Ausland sehr wichtig.» «Die relative langsame Texte als Zeugen Entwicklung seiner Akademi- schen Laufbahn kann durch Dem Beispiel der Royal Society folgend, erstrebte Scheuchzer als erster Schweizer Wissenschaftler eine die - nicht immer latenten - umfassende Erforschung seiner Heimat mittels eines Konflikte mit der politischen Fragebogens: für ihn war dieser Fragebogen der erste Schritt zu einem mehrbändigen Werk über die Natur- Abb. 1: Porträt von Johann Jakob Scheuchzer, 59 Jahre alt, aus: Johannes Ja- und kirchlichen Obrigkeit geschichte der Schweiz, das er nie zu Ende brachte. Der cobus Scheuchzer, Physica sacra: iconibus aeneis illustrata, Ulmae, 1731- 1735, 4 Bände, Bd. 1, S. 50; Zentralbibliothek Zürich, Alte Drucke, Magazin der Stadt erklärt werden.» Einladungsbrief zu Erforschung natürlicher Wunderen so 06 Ru 40 | G. sich im Schweitzer-Land befinden, oder Charta invitatoria
6 Autres contributions / Andere Beiträge GeoAgenda 2018/3 GeoAgenda 2018/3 Autres contributions / Andere Beiträge 7 auf Latein, von 1699 enthielt 189 Fragen über verschie- men liess, das er von demselben Johannes Leonhardi dene Aspekte der Naturgeschichte der Schweiz. Auch erfahren hatte. In seinem Brief an Woodward schreibt in diesem Text zeigt sich Scheuchzers Interesse für die Scheuchzer: «Wie die Leute in Filisur sagen: Cura ch’il Klimaforschung, wie man schon an den ersten Fragen pitz da Stiervi […] fo chiapi, schi lascha der la fotsch , et erkennen kann: piglia il rasti, d.h. falls der Gipfel von Stürvis/Stierva von Wolken bedeckt wird, muss man die Sichel fallen – F rage 3: Wie groß die Kälte in den höchsten Gebir- lassen und stattdessen den Rechen nehmen (da es gen, was sie vor Würkung habe in die Leiber der bald regnen wird).»1 Menschen, in das Wasser, Wein, Brandtenwein etc.? Ein anderes Beispiel dieses gelehrten Austausches, über die Klimabeobachtungen ist die Zusammenar- – Frage 4: Wie schwer der Luft seye in verschidenen beit mit dem Kapuziner Giuseppe Maria Sessa, Prior Höhenen der Alpen, oder auch in den Thäleren? im St.-Gotthard Hospiz. Vom 1728 bis 1730 sandte der Abb. 4: Karte der Verteilung der Schweizer Korrespondenten von J. J. Scheuchzer. Quelle: Ru- dolf Steiger, Verzeichnis des wissenschaftlichen Nachlasses von Johann Jakob Scheuchzer, Geistliche Wetterbeobachtungen und barometrische Beiblatt zur Vierteljahresschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, 78, Nr. 21, 1933, – Frage 8: Die Wind ob sie regular und ordenlich zu Messungen aus dem Tessin nach Zürich, die Scheuch- S. 47-74. Copyright: Peter Vetsch Chur und Institut für Kulturforschung Graubünden. gewüssen Zeiten wehen oder unordenlich? Was zer in seinem Werk Nova ex summis Alpibus Vulgata vor sonderbare Würckungen sie haben in der Saat, (Zürich 1731) in Form von synoptischen Tabellen ver- Gebäuen, Bäumen etc. öffentlichte. – Frage 9: Ob man ein vorstehenden Ungewitter Klimaforschung als ein internationales könne vorher sagen auß etwelchem Getöß oder Brumlen in den unterirdischen Klüfften, auß der Unternehmen Helle, Farb und Gestalt der Wolcken etc.? Zum Schluss: Wie das Beispiel von Johann Jakob Scheuchzer zeigt, war die Klimaforschung von Anfang an ein internationales Unterfangen, das von vielen «Nach Zürich kamen auch untereinander vernetzen Gelehrten vorangebracht meteorologische Fragenkataloge wurde. Scheuchzer gehört auch zu den wenigen Natur- von ausländischen Kollegen, forschern seiner Zeit, die die komplexen Verbindungen zwischen Klima, Umwelt, Menschen und Wirtschaft, in- die nach Informationen über tuitiv erfassen hatten. die Witterung in der Schweiz Simona Boscani Leoni, Universität Bern, Historisches Institut suchten und nach der Möglichkeit, simona.boscani@hist.unibe.ch das Wetter vorherzusagen.» Zusammenarbeit Scheuchzer verteilte den Einladungsbrief unter sei- ne Schweizer Korrespondenten [Abb. 4] und hoffte Abb. 6: John Woodward an J. J. Scheuchzer, 21.7.1702, Zentralbi- bliothek Zürich Ms. H 294, S.85 auf viele Antworten: Es kamen nicht so viele Rückmel- dungen wie erhofft, aber einige Korrespondenten lie- ferten dem Zürcher viele interessante Informationen, wie der lange Antwortbrief des Pfarrers Johannes Le- onhardi aus Nufenen in Graubünden beweist [Abb. 5]. Nach Zürich kamen auch meteorologische Fragen- Literatur kataloge von ausländischen Kollegen, die nach Infor- Steiger Rudolf: Verzeichnis des wissenschaftlichen Nachlasses von tion. The Practice of Knowledge and the Figure of the Savant in the mationen über die Witterung in der Schweiz suchten Johann Jakob Scheuchzer, in: Beiblatt zur Vierteljahresschrift der 18th Century, 2 voll., Leiden/Boston, Brill, 2013, Bd. 2, S. 507-533 und nach der Möglichkeit, das Wetter vorherzusagen. Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, Zürich 1933. Am 21. Juli 1702 zum Beispiel schickte der englische Scheuchzer Johann Jakob: Oureisifoites Helveticus sive Itinera Al- Fischer Hans: Johann Jakob Scheuchzer (2. August 1672−23. Juni pina tria, London 1708; Id.: Ούρεσιφοίτης Helveticus sive Itinera Medizinprofessor und Mitglied der Royal Society John 1733). Naturforscher und Arzt, in: Neujahrsblatt der Naturfor- per Helvetiae alpinas regiones, 4 Bde., Leiden 1723, Id.: Helvetiae Woodward (1665-1728) Scheuchzer acht «queries con- schenden Gesellschaft in Zürich, 175 (1973), S. 3−168. historia naturalis oder Natur-Historie des Schweitzerlands, 3 Bände, Zürich, 1716-1718; Id.: Meteorologia Helvetica, Zentralbib- cerning fogs upon the tops of high Hills» [Abb. 6]. Da- Über verschiedene Aspekte von Scheuchzers Forschungstätigkeit: liothek Zürich, Ms. Z VIII 1 und Ms. Z VIII 25. rauf konnte der Zürcher Arzt relativ schnell reagieren, indem er seinem Kollegen ein Sprichwort über das The- Boscani Leoni Simona (Hg.): Wissenschaft – Berge – Ideologien. Jo- Scheuchzer Johann Jakob: Einladungs-Brief/ zu Erforschung natürli- Abb. 5: Johannes Leonhardi an J. J. Scheuchzer, 23.11.1699, Antwort auf den Einladungsbrief, hann Jakob Scheuchzer (1672−1733) und die frühneuzeitliche Na- cher Wunderen/ so sich im Schweitzer-Land befinden, Zürich 1699 ma «Wettervorhersage» auf Rätoromanisch zukom- turforschung / Scienza – montagna – ideologie. Johann Jakob (wiederaufgelegt in: Küster Hansjörg, Küster Ulf (Hg.): Garten und Zentralbibliothek Zürich Ms. H 327, S. 6 Scheuchzer (1672−1733) e la ricerca naturalistica in epoca mo- Wildnis. Landschaft im Achtzehnten Jahrhundert, München 1997, derna, Basel 2010; S. 14–31). 1 Scheuchzer an John Woodward, 08.06.1702, Zentralbibliothek Zürich Ms. H 150a, S. 116: “Ad questionem whether before great rains and storms clouds or fogs are Urs Leu (Hg.), Natura sacra – Der Frühaufklärer Johann Jakob Derham William: Tables of the barometrical altitudes at Zurich in not observed arising out of the tops of the highest mountains, scias, inde certissimum alpicolis desinui pluviarum et tempestatum Jndicia. Accipe hâc vice […] eam- Scheuchzer (1672–1733), Zug, Achius Verlag, 2012. 1708 observed by J. J. Scheuchzer and at Upminster observed by que pluviosam observationem. Filisurij in Rhaetia […] viget Proverbium […]: Cura ch’il pitz da Stiervi (lingua haec est Rhaetica Romana vulgò dicta Italicae coruptae di- W. Derham and also the rain in Pisa in Italy in 1707, observed there alectus) fo chiapi, schi lascha der la fotsch, et piglia il rasti. Sensum hic est: Quando cacumen montis Stirwis quo duobus circiter miliaribus distat Filisuris versus occa- Boscani Leoni, Simona : Men of Exchange: Creation and Circulation by Dr. Michael Angelo Tilli, in: Philosophical Transactions, 26, 1708- sum capitium facit, id est nube veluti pileo cingitur abyt falcem, qua secatur foenum, et accipe Rastrum, instrumentum aliud quo foenum in acervos colligitur: quod of Knowledge in the Swiss Republics of the 18th Century, in: Holen- 1709, S. 334-366. instet pluvia”. stein André, Steinke Hubert, Stuber Martin (eds.), Scholars in Ac-
8 Autres contributions / Andere Beiträge GeoAgenda 2018/3 GeoAgenda 2018/3 Autres contributions / Andere Beiträge 9 Nützliche Historische Wetterdaten Zur Debatte: «Historische Wetterdaten werden •Numerische Methoden erlauben Wetterrekonstruktion wieder wertvoll, weil die Modellie- aus historischen Daten. rung von Wetterrisiken heute in •Vergangene Extremereignisse können detailliert der Lage ist, vergangene Ereignisse untersucht werden. bereits aus wenigen Messungen zu •Historische Daten erlauben bessere Beurteilung von rekonstruieren.» Wetterrisiken. Pfarrer und Gelehrte Seit der Aufklärung haben Privatper- sonen und Institutionen das Wetter Systematische, in Tagebüchern festgehaltene Wet- gemessen. Heute werden diese Daten terbeobachtungen reichen ins Spätmittelalter zurück wieder wertvoll. Sie erlauben quantita- und wurden ab dem 16. Jahrhundert häufiger. In der Schweiz führte der Zürcher Pfarrer Wolfgang Haller tive Analysen des vergangenen Wetters von 1545 bis 1576 ein Wettertagebuch. Erst mit der und können so in die Wetterrisikobeur- Entwicklung von Barometer und Thermometer im 17. teilung einfliessen. Jahrhundert waren instrumentelle Messungen mög- lich. Privatpersonen und Institutionen begannen, das Detaillierte Information zum aktuellen Wetter gehö- Wetter mit Instrumenten zu messen. John Locke, ein Abb. 1: (links) Meteorologische Messungen aus Bern, Januar 1760. (rechts) Regensammler der Stationen der Berner Ökonomischen Gesellschaft (aus den Abhandlun- ren heute zur Selbstverständlichkeit. Besonders inte- Vordenker der Aufklärung, führte beispielsweise in Ox- gen der Berner Ökonomischen Gesellschaft 1760 resp. 1761). ressieren dabei Extremereignisse – Gewitter, Stürme, ford in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mete- Hochwasser - welche die höchsten Schäden verur- orologische Messungen durch. In der Schweiz war Jo- sachen. Solche Ereignisse sind per Definition selten, hann Jakob Scheuchzer der erste Wissenschaftler, der daher ist unser Verständnis der beteiligten Vorgänge Messungen durchführte (vgl. Beitrag von Boscani Leoni Globales Unternehmen - Verantwortlichkeiten und neuen Aufgaben wurde der immer noch lückenhaft und Statistiken unsicher. Ver- in diesem Heft). Messungen beruhten damals meist nationale Interessen Betrieb eines Messnetzes endlich möglich. Um die Jahr- gangene Ereignisse bieten die Möglichkeit, sehr viele auf der Initiative einzelner wie Pfarrer Johann Jakob hundertmitte entstanden staatliche meteorologische extreme Ereignisse zu analysieren. Information dazu Sprüngli in Gurzelen, Reformer Heinrich Zschokke in Schon im 18. Jahrhundert wurde das Messen meteo- Institute in Preussen, Österreich und anderen Ländern. ist durchaus vorhanden – auch oder gerade für vorin- Aarau oder Naturwissenschaftler Marc Auguste Pictet rologischer Grössen zu einem globalen Unternehmen. Das Schweizer Messnetz begann im Dezember 1863 dustrielle Gesellschaften waren Extremereignisse äus- in Genf, um nur wenige zu nennen. Früh entstanden Insbesondere die Seefahrt war auf meteorologische im Auftrag des Bundes, betrieben durch die Naturfor- serst relevant und wurden genau beschrieben. auch meteorologische Netzwerke, meist durch wissen- Information angewiesen, obgleich instrumentelle Mes- schende Gesellschaft, deren meteorologisches Büro Aber wie können wir mit historischen Wetterdaten schaftliche Gesellschaften betrieben. Das erste Netz- sungen hier erst gegen Ende des 18. Jahrhundert auf- bald zur Meteorologischen Zentralanstalt wurde. vergleichbare Auswertungen durchführen wie für aktu- werk, das Rete Meteorologica Medicea, entstand in Ita- kamen. Auch Plantagenbetreiber oder koloniale Admi- Eine internationale Koordination erfolgte erst zöger- elle Ereignisse? Neue numerische Methoden erlauben lien um 1654, umfasste aber auch Stationen in anderen nistratoren führten Messungen durch. lich. Auch hier ging die Seefahrt voran, welche mit der die Rekonstruktion des dreidimensionalen Wetters be- Ländern (Paris, Innsbruck, Osnabrück, Warschau). Wei- Gemessen wurde also aus ganz unterschiedlichen Brüsseler Konferenz von 1853 Standards festlegte. Die reits aus wenigen Messungen. Damit verfügen wir über tere Netzwerke folgten. Am bekanntesten ist wohl das Gründen: Zur Erföhung der Sicherheit auf See, zur Internationale Meteorologische Organisation (1873) eine «Zeitmaschine» - und verstaubte, historische Da- Netz der Mannheimer Gesellschaft ab 1781. Es hatte Mehrung von Wissen, zur Steigerung der Landwirt- war eher ein Gefäss des Austauschs zwischen den ten erhalten damit ein ganz neues Gewicht. sogar Stationen in Grönland und Nordamerika. schaft, zur Erklärung von Krankheiten, zur Beschrei- Direktoren der Wetterdiensten und vermochte nicht, In einem von der ASG, dem Oeschger-Zentrum für In der Schweiz begann die Berner Ökonomische Ge- bung des Landes, zur Dokumentation des Reichtums Standards zu etablieren. Klimaforschung der Universität Bern, dem Schweize- sellschaft im Jahr 1760 mit dem Aufbau eines Mess- von Kolonien. Diese Information über die Messungen rischen Nationalfonds und der Burgergemeinde Bern netzes (Abb. 1). Die Schweizerische Naturforschende ist genauso wertvoll wie die Messungen selber. unterstützen Workshop wurde der Versuch gestartet Gesellschaft und auch Kantonale Gesellschaften betrie- In Nordamerika spielte auch die Expansion nach frühinstrumentellen Messreihen (Messreihen vor dem ben seber ebenfalls meteorologische Netzwerke. Eines Westen eine Rolle. Sowohl die englische Hudson Bay «In Europa kam der Aufbau Beginn staatlicher Wetterdienste um die Mitte des 19. war allen Messnetzen gemeinsam: Sie scheiterten je- Company in Kanada als auch amerikanische Militärein- staatlicher Messnetze mit dem Jahrhunderts) weltweit systematisch zu katalogisieren, weils nach wenigen Jahren, wenn der Elan verflogen heiten betrieben Messstationen in ihren Forts. In den Aufkommen des Nationalstaats.» um sie in weiteren Schritten zu digitalisieren und so der war und sich zeigte, dass die Sammlung und Publikati- 1840er Jahren übernahm die Smithsonian Institution «Zeitmaschine» zuzuführen. on der Daten aufwändiger war als angenomnen. Daher die Organisation eines staatlichen Netzes. In Europa wurden die Daten auch lange nicht hoch geschätzt – kam der Aufbau staatlicher Messnetze mit dem Auf- heute werden sie wieder interessant. kommen des Nationalstaats. Mit neuen politischen
10 Autres contributions / Andere Beiträge GeoAgenda 2018/3 GeoAgenda 2018/3 Autres contributions / Andere Beiträge 11 Abb. 4: Thermometer, lerbreite sowie der Fehlerbreite des Modells wieder- Annalen des russi- zugeben. Das Produkt, eine sogenannte «Reanalyse», schen Messnetzes behält dabei gleichzeitig seine Charakteristika als Mo- 1879 und Lochkarten, altes Lochstreifenlese- delldatensatz, ist also dreidimensional, lückenlos und Frühinstrumentelle gerät (Fotos: Andrea physikalisch konsistent. Somit erhält man eine beste Kaiser) meteorologische Daten der Schweiz Schätzung des Atmosphärenzustands aus Messungen Im durch den Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Pro- und der bekannten Physik der Atmosphäre. jekt CHIMES sammelt ein Team der Universität Bern frühinstru- mentelle meteorologische Daten aus der Schweiz, also sämtliche Messungen, welche vor 1863, dem Beginn des von MeteoSchweiz betriebenen Netzes, gemessen wurden. In zahlreichen Archiven «Durch diese Kette von fanden sich Hinweise auf ingesamt über 300 Messreihen (Abb. 2). Einige davon umfassen nur wenige Jahre, andere mehrere Jahr- modellierten Prozessen zehnte. Zwar konnten bisher nicht alle Daten gefunden werden, aber ein grosser Teil der Originaldaten wurde fotografiert und die werden historische Wetter- Werte werden nun digitalisiert. Abb. 2: Frühinstrumentelle meteorologische Reihen daten für die heutige in der Schweiz Wetterrisikenabschätzung nützlich.» Datensammler um 1800 wurden dadurch relativ viele Daten greifbar, so dass eine «Zusammenschau» möglich wurde. Hum- Der Ansatz wurde in den letzten Jahren so weit ent- Daten wurden von Beginn weg ausgetauscht und ge- boldt zeigte 1817 anhand einer Zusammenstellung von wickelt, dass bereits einige Dutzend Luftdruckmes- sammelt. Bereits die erste Ausgabe (im Jahr 1665) der 13 Messreihen, dass Linien gleicher Temperatur über sungen ausreichen, um brauchbare Rekonstrkuti- Philosophical Transactions, der ersten Fachzeitschrift Europa weit nach Norden verschoben sind. Im »Berg- onen zu erhalten. Die «Twentieth Century Reanalysis» der Welt, enthielt Druckmessungen. Auch Vergleiche haus-Atlas», der zwischen 1838 und 1848 erschien und (20CR), eines dieser Produkte, reicht zurück bis 1850. von Messungen an verschiedenen Orten wurden publi- Humboldt’s Kosmos begleitete, sind bereits über 300 Als Beispiel ist in Abb. 5 die meteorologische Situation, ziert. Der Breslauer Arzt Johann Kanold veröffentlichte Temperaturmessstationen aufgelistet. Wilhelm Dove welche im Juni 1910 zu einem Hochwasser auf der Al- ab 1717 Daten eines europaweiten Netzes (unter an- schliesslich publizierte 1852 einen Klimaatlas beru- pennordseite führte, dargestellt. Der 20CR Datensatz derem mit Scheuchzer’s Messungen aus Zürich). Auch hend auf ca. 1000 Stationen. zeigt ein Höhentief über Norditalien und grossräumige die Berner Ökonomische Gesellschaft und die Mann- Mit dem Beginn staatlicher Wetterdienste wurden Hebung auf dessen Vorderseite. heimer Gesellschaft veröffentlichten ihre Daten (Abb. 1) auch ältere Daten aufbereitet. Die ersten Ausgaben der Mit diesen globalen, grob aufgelösten Daten kann und machten sie so der Community zugänglich. Bereits «Annalen» der Meteorologischen Zentralanstalt enthal- ein Starkniederschlagsereignis noch nicht detailliert ten Tabellen mit älteren Daten, allerdings längst nicht dargestellt werden. So sind gerade für Starknieder- aller Stationen. Der deutsche Meteorologe Gustav Hell- schlagsereignisse die topographischen Gegebenheiten mann (Abb. 3) machte in den 1920er Jahren den Ver- sehr wichtig – sie verstärken die Hebung und können such, eine globales Inventar der frühinstrumentellen Konvektion auslösen, wie auch in diesem Fall. Mit Messreihen zu machen, ohne allerdings die Messrei- einem dynamischen Downscaling – der räumlichen Ver- hen selber zu sammeln. Um die gleiche Zeit trug auch feinerung mittles Einbettung eines regionalen Wetter- der Direktor der Zentralanstalt, Robert Billwiller jun., vorhersagemodells in einen gröber aufgelösten Daten- eine Liste aller Schweizer Messungen zusammen. Zwar satz – können aber sogar auf der Skala von Kilometern sind diese Listen nicht vollständig, sie geben aber wich- realistische Rekonstruktionen erzielt werden. Anhand tige Anhaltspunkte des selben Beispiels wird dies in Abb. 5 (rechts) anhand des Wettermodells WRF gezeigt, mit dessen Hilfe der 20CR Datenstaz in mehreren Schritten herunterskaliert Wetterrekonstruktion Von den digitalisierten Daten zur Wetterrisikokarte ist ein weiter Weg. Zunächst gilt es, die Daten zu pro- zessieren, das heisst, alte Einheiten umzuwandeln und Korrekturen vorzunehmen, sowie zu homogeniseren. Für die Wissenschaft haben insbesondere lange Mess- reihen einen grossen Wert; an ihnen kann direkt die Variabilität von Wetter und Kima – inklusive Extreme- reignisse – analysiert werden. Die meisten Anwendungen in der Klimatologie be- vorzugen aber gegitterte, raumfüllende Wetterda- tenprodukte. Mit Verfahren der Datenassimilation können bereits für das 19. Jahrhundert globale, drei- dimensionale Wetterrekonstruktionen erstellt werden. Datenassimilation ist die Kombination von Messdaten mit einem numerischen Wettervorhersagemodell. Da- bei wird das Modell durch stetiges leichtes Korrigieren Abb. 5: (links) Hochwasser am 14. Juni 1910 in Bern (Hinkender Bot), (Mitte) Rekonstruktion des Wetters über Europa in 20CR (geopotentielle Höhe und Vertikalbewe- Abb. 3: Gustav Hellmann (Foto Rudolf Dührkoop). dazu gebracht, alle Messungen innerhalb derer Feh- gung auf 500 hPa) um 12 UTC, (rechts) stündlicher Niederschlag über der Schweiz um 15 UTC im Downscaling mit WRF (Daten von Peter Stucki, Universität Bern).
12 Autres contributions / Andere Beiträge GeoAgenda 2018/3 GeoAgenda 2018/3 Autres contributions / Andere Beiträge 13 Enseigner les questions liées Abb. 6: Sturmgefähr- dungskarte der Schweiz. Dargestellt sind Böenspitzen von aux changements climatiques : Winterstürmen auf 10 m Höhe mit Wieder- kehrperiode von 50 Jahren (Silke Dierer, Meteotest; Peter Stucki, Universität Bern) résultats d’une recherche exploratoire et développement de ressources didactiques Le projet Climate Change Education À débattre : and Science Outreach (CCESO) s’inscrit •Changements climatiques: une thématique incontournable dans le cadre du volet « formation et à l’école ? communication » du Programme Climat 2017-2020 lancé par l’Office fédéral de •De quelles qualifications scientifiques et didactiques les enseignants doivent-ils disposer pour aborder la théma- l’environnement (OFEV/BAFU). Il vise à tique des changements climatiques à l’école ? identifier l’état des pratiques de l’en- seignement des questions relatives au •Ce qu’apprennent les élèves à l’école au sujet des change- changement climatique dans la scola- ments climatiques leur permettra-t-il de déconstruire des rité obligatoire et dans l’enseignement fake news ? gymnasial en Suisse. Ce projet a pris la forme d’une recherche exploratoire wurde. Solche Daten können wiederum von hydrolo- den. Gegen hundert Winterstürme aus den letzten 140 menée en Suisse alémanique et en dagogiques ont été étudiées au moyen d’entretiens gischen Modellen weiter verwendet werden und dann Jahren wurden in 20CR analysiert und dann mit WRF Suisse romande entre l’automne 2016 semi-directifs avec des enseignants volontaires, Abflüsse und Seespiegel simuliert werden. herunterskaliert. Aus der Statistik der stärksten dieser et l’été 2017. Un second projet (CCESO d’un questionnaire passé auprès des élèves de ces Durch diese Kette von modellierten Prozessen wer- Stürme konnte eine Sturmrisikokarte erstellt werden II) se déploie de l’été 2017 à la fin du enseignants et d’entretiens semi-directifs (focus den historische Wetterdaten für die heutige Wetter- (Abb. 6). So dienen historische Wetterdaten der heu- groups) avec des groupes d’élèves (en principe 2 mois de septembre 2019 et s’appuie sur risikenabschätzung nützlich. Gleichzeitig erlauben tigen Risikoabschätzung. groupes de 2 ou 3 élèves par classe). Ces données solche Modellketten die Schliessung des Kreises: Das Ziel des durch den Workshop gestarteten Projekts les résultats de la recherche explora- portant sur les pratiques et les représentations des modellierte Hochwasser kann dann wiederum mit ist es, den Weg zu bereiten für eine Verbesserung und toire pour développer et tester des sé- enseignants et des élèves ont été recueillies dans historischen Schadensdaten verglichen werden und Ausweitung von historischen Reanalysen zurück ins 18. quences didactiques destinées aux dif- plusieurs cantons de Suisse alémanique et dans deux kann somit auch der historischen Forschung dienen. Jahrhundert. Der erste Schritt dazu ist die Suche nach férents cycles de la scolarité obligatoire cantons de Suisse romande. Dadurch erhalten historische Daten – Wetterdaten, historischen Wetterdaten. et à l’enseignement gymnasial. Un canevas d’analyse des contenus scientifiques aber auch Information zu Schäden – eine neue Anwen- et un canevas d’analyse didactique ont été utilisés dung, und es entsteht eine neue Zusammenarbeit zwi- Stefan Brönnimann La recherche exploratoire (projet CCESO I) a été pour l’étude des manuels, des autres moyens d’ensei- schen KlimatologInnen und HistorikerInnen. Geographisches Institut der Universität Bern menée sous la responsabilité d’une équipe interinsti- gnement et des revues didactiques. Ces canevas ont Fig. 1 : Page de couver- Wenn solche Simulationen nicht nur für ein ver- tutionnelle conduite par des professeurs1 des Hautes également contribué à structurer l’analyse des don- ture du rapport de syn- gangenes Ereignis, sondern für viele Ereignisse durch- Ecoles pédagogiques de Lucerne (Sibylle Reinfried), de nées récoltées auprès des enseignants et des élèves. thèse sur la recherche geführt wird, können daraus Statistiken erstellt werden. Berne (Marco Adamina et Matthias Probst) et du can- La matrice d’analyse des contenus scientifiques a été exploratoire. Die Sturmgefährdungskarte der Schweiz ist so entstan- ton de Vaud (Philippe Hertig), en collaboration avec organisée en quatre grands « champs thématiques » : des membres de l’Oeschger Centre for Climate Change le système climatique, les causes des changements Research de l’Université de Berne (Martin Grosjean et climatiques, les changements climatiques et leurs Peter Stucki). Le projet a été coordonné par Juliette Vo- conséquences, et enfin la politique climatique et le Literatur Weiterführende Links gel (Fondation GLOBE Suisse). développement durable. Le canevas d’analyse didac- Brönnimann, S., Martius, O. & Dierer, S. (2014). Die Lüdecke C. (2010). Von der Kanoldsammlung (1717- Wetterdaten digitalisieren: www.oldweather.org La recherche a porté sur les plans d’études, les ma- tique a également été articulé en quatre grands vo- Wetter-Zeitmaschine. Physik in unserer Zeit, 45, 84– 1730) zu den Ephemeriden der Societas Meteorolo- nuels et autres supports d’enseignement, les revues lets : conceptions de l’apprentissage et référence aux 89. gica Palatina (1781-1792). In: Popplow, M. (Hrsg.). Von historischen Wetterdaten zur Risikokarte: Landschaften ararökonomischen Wissens. Wax- youtu.be/Vw3dSUwbZ-w professionnelles à visée didactique destinées aux savoirs spontanés des élèves, développement de com- Edwards, P. N. (2010). A Vast Machine: Computer mann, 97–119. enseignants et les revues scientifiques consacrées à pétences (géographiques, inter- et transdisciplinaires, Models, Climate Data, and the Politics of Global Was ist eine Reanalyse: la recherche en didactique2 ; les représentations des dans une perspective de durabilité), dispositifs didac- Warming. Cambridge, MA: MIT Press. Pfister C. (1975). Agrarkonjunktur und Witterungs- www.youtube.com/watch?v=Ux46HVU7H_g verlauf im westlichen Schweizer Mittelland, 1755- enseignants et des élèves relatives aux changements tiques (méthodes d’enseignement, nature des tâches Hupfer, F. (2015). Das Wetter in Tabellen. Christian 1797. Lang Druck AG: Liebefeld/Bern. Interaktive Visualisierung einer Reanalyse: climatiques ainsi que les pratiques didactiques et pé- proposées), et enfin ressources iconographiques (pho- Gregor Brügger und die Institutionalisierung der earth.fdn-dev.iwi.unibe.ch/ Meteorologie. In: Kupper, P. & Schär, B.C. (Hg.): Die Stucki, P. et al., (2012). Weather patterns and hy- Naturforschenden. Auf der Suche nach Wissen über dro-climatological precursors of extreme floods in Euro-Climhust Datenbank: die Schweiz und die Welt, 1800-2015. Baden, 51–67. Switzerland since 1868. Meteorol. Z., 21, 531-550. www.euroclimhist.unibe.ch/de/ 1 Le masculin est utilisé à titre générique dans ce texte et désigne indifféremment des femmes ou des hommes, ou des fonctions oc- Krempel, L. et al. (2006). Die «Europäische Gelehr- Sturmgefährdungskarte: cupées par des femmes ou des hommes. tenrepublik» des 18. Jahrhunderts. Frankfurt am https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/ Main, Campus. naturgefahren.html 2 Dates de publication : de 2000–2005 à 2017 selon les catégories.
14 Autres contributions / Andere Beiträge GeoAgenda 2018/3 GeoAgenda 2018/3 Autres contributions / Andere Beiträge 15 tos, schémas, graphiques, etc.). Du côté des élèves, tous degrés scolaires confondus, les chaînes de causalité à trois ou quatre termes, et Le rapport de synthèse (Summary CCESO I) (fig. 1), de on constate que les causes anthropiques du réchauf- parfois des causalités multiples (plusieurs causes pour même que le rapport de recherche complet3 et un résumé fement climatique actuel sont largement mises en évi- une conséquence) ou des effets multiples (une cause en allemand et en français peuvent être téléchargés à par- dence, avec en premier lieu les émissions de gaz à effet engendre plusieurs conséquences). La grande majo- tir d’une page du site de la Fondation GLOBE Suisse : www. de serre générées par les transports routiers et aériens rité des élèves interrogés ont des difficultés à identifier globe-swiss.ch/de/Angebote/Atmosphere/Klimabildung. et les activités industrielles, par l’élevage intensif et ou exprimer des relations telles que des boucles de Quelques constats saillants découlent des résul- par le recours aux énergies fossiles. La déforestation rétroaction ou des boucles de récursivité, ce qui tend tats des analyses effectuées dans le cadre de cette et le chauffage domestique ne sont mentionnés que à indiquer des difficultés à développer des capacités recherche exploratoire4. Du côté des enseignants, par des élèves isolés, alors que les causes naturelles de raisonnement systémique et à mobiliser les outils on peut relever qu’une majorité des personnes inter- des fluctuations climatiques sont parfois évoquées, en de la pensée complexe. Ces constats sont par ailleurs viewées ne se sentent pas à l’aise pour aborder la thé- précisant alors qu’elles sont amplifiées par les facteurs similaires à ceux mis en évidence par les résultats de matique des changements climatiques ou certains des anthropiques. La compréhension des mécanismes de recherches récentes (Jenni et al., 2013; Hertig, 2015) » aspects de celle-ci, en raison d’un manque de connais- l’effet de serre est cependant très lacunaire et problé- (citation extraite du Summary, p. 55). sances scientifiques. Les enseignants interrogés sont matique : on note la prégnance de conceptions erro- également nombreux à dire qu’il leur est difficile d’éla- nées déjà mises en évidence par des recherches anté- borer des situations d’apprentissage permettant aux rieures (Reinfried et al., 2010 ; Reinfried, 2015), de très élèves de tisser des liens avec leur quotidien et leur nombreux élèves ayant recours aux modèles explica- « Les élèves de tous les degrés ont milieu de vie, alors même que l’on sait que cela serait tifs du « trou d’ozone » ou de la serre (fig. 2 et fig. 3), de la peine à élaborer des raison- souhaitable d’un point de vue didactique. Ils sont pra- parfois en combinaison l’un avec l’autre. nements explicatifs d’une autre tiquement unanimes pour estimer que la thématique Les conséquences des changements climatiques des changements climatiques est un sujet d’une impor- actuels massivement mentionnées par les élèves, là nature que les causalités linéaires ; tance primordiale pour nos sociétés. Mais la complexi- encore tous degrés scolaires confondus, sont la fonte ils ont des difficultés à développer té de la thématique soulève de réels défis didactiques des glaciers (alpins ou des régions polaires), la dimi- et génère des problèmes non négligeables lorsqu’il nution de la banquise, les inondations, l’élévation du des capacités de raisonnement Fig. 3 : Dessin d’un élève du secondaire I pour lequel une couche de gaz (ozone, gaz émis par l’usage de combustibles fossiles, CO2) forme une sorte de « serre » qui laisse passer le rayon- s’agit de penser sa transposition dans l’enseignement. niveau des mers et des océans, la submersion d’îles ou systémique et à mobiliser les outils nement solaire en direction de la Terre, mais empêche la chaleur de s’échapper (« modèle de la serre »). Source : Reinfried et al. (2010), p. 146. de régions littorales, le dérèglement des saisons, la sé- cheresse, les canicules, les températures extrêmes, la de la pensée complexe. » disparition d’espèces animales (le topos de l’ours po- « Pour la plupart des enseignants laire apparaît dans toutes les classes à des fréquences interrogés, la complexité de diverses), l’augmentation du nombre de catastrophes Compte tenu des résultats évoqués ci-dessus de ma- sur une plateforme dédiée après avoir été testés en la thématique des changements « naturelles ». Des enjeux sociaux ou économiques tels nière synthétique5, le deuxième volet du projet (CCESO classe et adaptés ou remaniés en fonction des résul- que les migrations, les problèmes de santé publique II), mené par la même équipe à laquelle se sont ajoutés tats de ces tests. L’ensemble de ces matériaux devrait climatiques soulève de réels défis ou ceux que doit affronter l’industrie touristique hiver- deux collègues du Tessin (Luana Monti Jermini et Mar- être disponible au cours du dernier trimestre de l’an- didactiques et génère des pro- nale sont évoqués beaucoup moins fréquemment. Les co Lupatini, DFA-SUPSI, Locarno), consiste à développer née 2019. mesures évoquées par les élèves pour agir contre les des exemples de séquences didactiques permettant blèmes non négligeables lorsqu’il causes anthropiques directes ou indirectes des chan- d’aborder la thématique des changements climatiques Philippe Hertig s’agit de penser sa transposition gements climatiques actuels peuvent être regroupées en tenant compte des connaissances scientifiques Contact : philippe.hertig@hepl.ch HEP Vaud, UER SHS / LirEDD sous les mots d’ordre de lutte contre la pollution et actuelles et en les intégrant sous une forme adaptée dans l’enseignement. » le gaspillage, notamment en réduisant le recours aux aux différents degrés de la scolarité. Un concept de Didactique de la géographie Projets CCESO I et CCESO II énergies fossiles. La plupart des mesures envisagées formation (Bildungskonzept) a été conçu à cet effet. relèvent d’abord de la sphère privée, familiale, ou de Des séquences didactiques spécifiques (destinées à l’action locale (recyclage, écogestes). l’un des cycles primaires, ou au secondaire I, ou encore Références citées au secondaire II) sont élaborées dans une perspective Hertig, Ph. (2015). Approcher la complexité à l’Ecole : enjeux d’enseigne- On relèvera encore que les élèves ne mentionnent cumulative, tout en veillant à la nécessaire différencia- ments et d’apprentissages disciplinaires et interdisciplinaires. In F. Audi- que très rarement des acteurs identifiés de manière tion permettant par exemple de faire des références gier, A. Sgard & N. Tutiaux-Guillon (éds.), Sciences de la nature et scien- précise : ils ont en effet massivement recours à des directes et explicites au milieu de vie des élèves et à ces de la société dans une école en mutation. Fragmentations, recompositions, nouvelles alliances ? (pp. 125-137). Bruxelles : De Boeck. expressions génériques (les industries, la voiture, les leur vécu. Toutes les séquences didactiques incluent pollueurs, tout le monde, nous, on) ; de même, les ac- une phase de questionnement (problématisation), Jenni, Ph., Varcher, P. & Hertig, Ph. (2013). Des élèves débattent : sont-ils en mesure de penser la complexité ? Penser l’éducation (Hors-série, tions (mesures) à entreprendre pour lutter contre les quatre grandes « unités thématiques » correspondant décembre 2013), 187-204. facteurs anthropiques de l’effet de serre restent for- aux quatre axes du canevas d’analyse scientifique (le mulées en des termes généraux, sans être attribuées système climatique / les causes des changements cli- Reinfried, S., Aeschbacher, U., Huber, E. & Rottermann, B. (2010). Den Treibhauseffekt zeigen und erklären. In S. Reinfried (éd.), Schülervorstel- ni référées à des acteurs bien identifiés. Par ailleurs, matiques / les changements climatiques et leurs consé- lungen und geographisches Lernen. Aktuelle Conceptual Change-For- une proportion non négligeable des élèves (près de quences / la politique climatique et le développement schung und Stand der theoretischen Diskussion (pp. 123-156). Berlin : la moitié de ceux qui ont été interrogés en Suisse ro- durable). Accompagnés de commentaires destinés aux Logos Verlag. mande, par exemple) exprime des visions très pessi- enseignants et des ressources iconographiques néces- Reinfried, S. (2015). Der Einfluss des Vorwissens auf geographisches Ler- mistes pour l’avenir, parfois même des scénarios apo- saires, ces matériaux didactiques seront mis en ligne nen. GeoAgenda 4/2015, 22-25. calyptiques (destruction totale de la nature, guerres, fin de l’humanité, fin du monde). 3 Le rapport de recherche et le rapport de synthèse sont rédigés pour l’essentiel en allemand, avec des passages en français. Enfin, et c’est là un point révélateur d’un enjeu didac- 4 Les paragraphes qui suivent sont largement fondés sur plusieurs passages du Summary publié ou du résumé de la recherche en tique majeur, on constate que « les élèves de tous les français (Abstract) et utilisent donc des formulations très proches. degrés, secondaire II compris, ont beaucoup de peine 5 Pour des raisons de place, seuls les résultats des analyses des données relatives aux enseignants et aux élèves ont été évoqués ici. Il Fig. 2 : Dessin d’un élève de 14 ans illustrant une conception erronée relative à l’effet de serre à élaborer des raisonnements explicatifs fondés sur n’est pas possible de faire état des constats tirés de l’analyse des manuels scolaires, des autres supports d'enseignement et des revues (« modèle du trou d’ozone »). Source : Reinfried (2015), p. 22. d’autres relations que les causalités linéaires simples, didactiques.
16 Autres contributions / Andere Beiträge GeoAgenda 2018/3 GeoAgenda 2018/3 Autres contributions / Andere Beiträge 17 Gerechtigkeitsfragen im Geographieunterricht am Beispiel Klimawandel Zur Debatte: tigkeitsfragen verschiedenen Inhalts im Rahmen des Geographieunterrichts gut •Anhand welcher Prinzipien können Gerechtigkeitsfragen strukturiert und zielführend im Klas- diskutiert werden? senverband zu diskutieren. •Wann haben wir es mit einer moralischen Problemstellung zu tun? Der Klimawandel vor dem Hintergrund der nachhaltigen Entwicklung •Welche Bedeutung kommt dabei der ethischen Reflexion zu? Mit der Verabschiedung der sogenannten Agenda Abb. 2: Die Relation der Klimapolitik am Beispiel Geo-Engineering. Hinweis: Die Abkürzungen werden im Text erklärt. Quelle: Dr. Ivo Wallimann-Helmer, 2018. 2030 (siehe Infobox), deren Zielsetzungen weitgehend auf den Milleniumszielen aufbauen, rücken Gerechtig- Der folgende Beitrag orientiert sich an keitsfragen immer mehr in den Fokus eines, im doppel- einem Weiterbildungskurs der Avanced ten Sinne, nachhaltigen Geographieunterrichts. Es geht rum von Massnahmen gegen diese Entwicklung reicht tigkeit. Entsprechend ist ein Merkmal der moralischen dabei um Themen wie die Würde des Menschen, den von Mitigation (Emissionsreduktion) über Manipulation Sprache das Normative und die Evaluation im Gegen- Studies in Applied Ethics der Universität Schutz des Planeten Erde, die Förderung von Wohl- (Geo-Engineering) bis hin zur Adaptation (Anpassungs- satz zur deskriptivempirischen Vorgehensweise. «Wir Zürich unter der Leitung von Herrn Dr. stand und Frieden für alle, sowie um globale Partner- massnahmen) und dem Aspekt von Loss & Damage haben es im Bereich der Moral also mit Werten und Ivo Wallimann-Helmer, welcher Ende schaften. (L&D, Umgang mit Schäden). Normen zu tun, die unser Handeln und Zusammenle- Mai dieses Jahres stattgefunden hat. Die Thematik Klimawandel tangiert alle diese Prin- Während es bei der Reduktion von Emissionen um ben orientieren.» (Wallimann, 2018) zipien, welche den 17 Entwicklungszielen (SDGs, siehe Prävention mit hoher Dringlichkeit (Beispiel: Verzicht Ethik als Wissenschaft stützt sich auch auf empi- Der methodische Ansatz bietet ein Infobox) vorangestellt sind und eignet sich deshalb be- auf den Energieträger Kohle) geht, sind wir im Falle rische Erkenntnisse über Moral und analysiert auch Instrument, welches erlaubt, die ver- sonders gut zur Veranschaulichung von Gerechtigkeits- des Geo-Engineerings (GE) bereits bei einer ethischen Begriffe und Kategorien von Moral. Die Klimarahmen- schiedenen Dimensionen von Gerech- fragen. Grundfrage angelangt. Dass alle Klimamodelle ab 2050 konvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) entstand Die Themen Klimawandel und Klimapolitik sind im von solchen Massnahmen ausgehen, sei hier nur am bereits 1992 und umschreibt in Art. 3 alle für eine ethi- tigkeit zu erkennen und adäquat zu 21. Jahrhundert unmittelbar miteinander verknüpft. Rande erwähnt. sche Diskussion relevanten Aspekte: Den Schutz des berücksichtigen. Die dabei gewonnenen Das Phänomen des Klimawandels ist weitgehend be- Die Eigen- oder Fremdverantwortung (Betroffen- Klimasystems zur Sicherung der Lebensgrundlagen Erkenntnisse ermöglichen es, Gerech- kannt und inzwischen weltweit anerkannt. Das Spekt- heitsprinzip) setzt dort ein, wo es um die Anteilsbe- künftiger Generationen auf der Grundlage der Gleich- rechnung im Falle von Anpassungsmassnahmen geht, heit, aber unter Berücksichtigung unterschiedlicher Vo- während das Krisenmanagement nach dem Verursa- raussetzungen in den verschiedenen Ländern. Dieser cherprinzip erfolgen sollte. letzte Aspekt führt uns direkt zur moralischen Frage, wer denn nun hauptsächlich zur Verantwortung gezo- gen werden sollte. «Die Thematik Klimawandel eignet sich besonders gut zur Veranschaulichung von Gerechtigkeitsfragen.» Was sind SDGs? Die Abkürzung SDG steht für Sustainable De- velopment Goal. Gemeint sind die 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung, welche von mehr als 150 Staatsoberhäuptern am 25. Sep- Wann haben wir es mit einem tember 2015 im Rahmen der sogenannten moralischen Problem zu tun? Agenda 2030 festgelegt worden sind. Einen Hinweis auf ein moralisches Problem können Abb. 1: Die Bereiche der uns bestimmte Gefühle geben oder allgemein etwas, Klimagerechtigkeit. das uns an einer Handlung oder Situation stört. Mora- Quelle: Dr. Ivo Walli- mann-Helmer, 2018. lismus ist damit in etwa das Gegenteil von Gleichgül-
18 Autres contributions / Andere Beiträge GeoAgenda 2018/3 GeoAgenda 2018/3 Autres contributions / Andere Beiträge 19 Abb. 3: Wirkungsglei- - von wem - warum zur Verantwortung gezogen? diesen drei Bereichen. Ob dabei der Emissionshandel chung in Abhängigkeit Sprechen wir von einer Ergebnisverantwortung im in Zukunft eine tragende Rolle übernehmen kann, ist von Bevölkerungszahl, Wohlstandsreduktion Sinne der Schadensbewältigung oder von einer kom- im Moment offen, die Grundidee basiert aber letztlich und technologischer pensationsorientierten Beseitigungsverantwortung, auf dem Prinzip der Gleichheit (Abb. 3). Entwicklung. welche auch auf direktem Wege künftige Schäden ver- Wenn Mitigationsmassnahmen nichts bringen, dann Quelle: Dr. Ivo Walli- mann-Helmer, 2018. meiden soll? So oder so, die Verantwortungsstruktur müssen Massnahmen zur Eindämmung oder Kompen- in der Klimapolitik und -gerechtigkeit ist komplex und sation von Klimaschäden ergriffen werden. Allerdings je nach Massnahmenbereich und politischem Hinter- ist zu beachten, dass nicht alle Auswirkungen des Kli- grund fällt die Verantwortung anders aus (Abb. 2). mas auch Schäden sein müssen (Beispiel: Landwirt- Einen sehr guten Eindruck von der unterschiedlichen schaftsfreundlicheres Klima in Skandinavien). Und Betroffenheit und Verantwortlichkeit der verschiede- Kippeffekte können unter Umständen so gross sein, nen Staaten zeigt die animierte Karte von www.carbon- dass Anpassung und Schadensbewältigung nichts brin- map.org. gen! Bei der Adaption geht es um die Frage, welche Rech- te künftige Klimaflüchtlinge haben und welche Mittel für sie sicherzustellen sind. «Als interessanter Einstieg in die Was spricht für die Klimamanipulation? Das Klimaziel Thematik der Klimagerechtigkeit von Paris kann nur mit Carbon Capture and Storage, kann die Untersuchung verschie- also dem Hineinpumpen von flüssigem Kohlendioxid in die Lithosphäre erreicht werden. dener politischer Statements he- Gegen Geoengineering spricht die Übertragung des «Wir haben es im Bereich wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit aufgeteilt? Und was rangezogen werden.» Risikos solcher Massnahmen und ihrer Folgen an künf- verstehen wir überhaupt unter würdigen Lebensbedin- tige Generationen und die Gefahr, dass die Emissions- der Moral also mit Werten gungen? reduktion nicht weiterverfolgt wird. In diesem Falle und Normen zu tun, die Die Intergenerationelle Gerechtigkeit richtet sich an wären wiederum Gerechtigkeitsprinzipien festzulegen, unser Handeln und Zusam- die Zukunft: Wieviele Klimaschäden dürfen wir künfti- Wie könnte ein Zusammenwirken welche die Erforschung von Geoengineering und sei- gen Generationen auferlegen? Wir bewegen uns zwi- nen Risiken (Abb. 4) begleiten… menleben orientieren.» schen Selbstversorgung und dem Anspruch auf gleiche der verschiedenen klimapolitischen Bedingungen wie heute, was in Anbetracht einer im- Massnahmen aussehen? Stefan Reusser, Präsident des VSGg mer noch wachsenden Weltbevölkerung als eine ehr- geizige Zielsetzung erscheint: Fakt ist, dass die Inhalte des Pariser Abkommens Wie kann man eine selbstkritische hinsichtlich Beschlüsse zur Zielerreichung höchst un- genau sind. Dies macht ein Zusammenwirken der ver- Einstellung einnehmen und ein – Historische Gerechtigkeit: schiedenen, zu Beginn genannten Massnahmen, umso Literatur selbständiges Urteil fällen? Verursacherprinzip vs. Nutzniesserprinzip wahrscheinlicher. Das Spektrum der Massnahmen wMeyer, Lukas; Roser, Dominic (2007): Intergene- zeigt sich in der sogenannten IPAT-Gleichung (die Ab- rationelle Gerechtigkeit. Die Bedeutung von zu- Die historische Grundfrage lautet: Was schulden die – Globale Gerechtigkeit: kürzung IPAT steht für impact, population, affluence künftigen Klimaschäden für die heutige Klimapoli- heute lebenden Generationen der Menschheit an Kli- Pro-Kopf-Anteil vs. Zahlungsfähigkeit and technology) oder anders ausgedrückt: Die Wirkung tik. Hg. v. Schweizerisches Bundesamt für Umwelt BAFU. Schweizerisches Bundesamt für Umwelt maschutzmassnahmen aufgrund vergangener Emis- von Massnahmen ist das Produkt von Bevölkerungs- BAFU. Bern, zuletzt geprüft am 18.07.2013. sionen? Dabei wird das Jahr 1990, in dem der erste – Intergenerationelle Gerechtigkeit: politik multipliziert mit der Wohlstandsreduktion (!) Roser, D. and Seidel, C. (2013), Ethik des Klimawan- IPCC-Report erschien, häufig als Stichdatum heran- Selbstversorgung vs. Gleichberechtigung und der technologischen Entwicklung. Eine Emissions- dels: Eine Einführung, Wissenschaftliche Buchge- gezogen, weil man bis zu diesem Zeitpunkt noch von reduktion ist somit das Resultat von Veränderungen in sellschaft, Darmstadt. einer Unwissenheit des anthropogenen Klimawandels sprechen kann. Als interessanter Einstieg in die Thematik der Klima- Die historische Gerechtigkeit tangiert in erster Linie gerechtigkeit kann die Untersuchung verschiedener die Industrienationen (Abb. 1), weil sie die Hauptver- politischer Statements herangezogen werden. Es geht antwortung für die bisherigen Emissionen tragen und dabei um die Frage, welche Prinzipien diese Aussagen daraus den grössten Nutzen zogen. Damit sind zwei vertreten! verschiedene Prinzipien angesprochen: Das umwelt- rechtliche Verursacherprinzip kann nur schlecht her- Gilt die gleiche differenzierte Verantwor- halten, wenn es darum geht für Emissionen in der Vergangenheit verantwortlich gemacht zu werden. tung für alle Klimamassnahmen? Darf jetzt aber der Wohlstandsgewinn durch Industria- lisierung angelastet werden oder ist das unfair? Da die Aus dem anfangs bereits genannten Artikel 3 der Kli- Nutzniesser meist auch zu den Geschädigten gehören, makonvention der UNO geht klar hervor, dass Mass- ist diese Frage durchaus berechtigt! nahmen zum Vorteil aller Betroffenen und gemäss Die globale Gerechtigkeit ist vor dem Hintergrund ihren Möglichkeiten getroffen werden sollen, jedoch der Disparitäten zwischen den heutigen Industrie- und die entwickelten Industrienationen eine grössere Last Entwicklungsländern zu beurteilen. Entsprechend stellt zu tragen haben. sich die Frage, wie die Klimaschutzlasten und Emissi- Eine einfache Antwort für alle Bereiche der Klima- onsrechte zu verteilen sind. Zwei Ansätze stehen sich politik könnte also lauten: «Wer die Sauerei produziert, gegenüber: Hat jeder Mensch Anrecht auf gleichviele muss sie aufräumen!» (Shue 1999) Emissionen oder wird der Emissionskuchen gemäss Die entscheidende Frage aber lautet: Wer wird wofür Abb. 4: Das Zusammenwirken von Emissionsreduktion, Anpassungsmassnahmen und Klimamanipulation. Quelle: Dr. Ivo Wallimann-Helmer, 2018.
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